Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 24. Juni 2013, 19.30 Uhr "Wer soll das bezahlen? Wer hat soviel Geld?" - Wenn das Dach über dem Kopf Luxus wird - Musik / Gläser / anstoßen Anne (platzend vor Freude) Auf deinen neuen Job in München, Paul! Phantastisch! Paul Und: wir ziehen in die schönste Stadt Deutschlands! Anne In die ,Weltstadt mit Herz'! Weißt du noch, wie bei unserem letzten Besuch Tante Hedy unserm Matze diese Lederhose gekauft hat - Paul Unser kleiner Bayer! Er muss nur noch lernen, Grüß Gott zu sagen. Anne und Paul: Jetzt brauchen wir nur noch eine Wohnung! Sprecher/in vom Dienst: Wer soll das bezahlen? Wer hat so viel Geld?" Wenn das Dach über dem Kopf Luxus wird Von Rosemarie Bölts O-Ton (Versteigerung am Odeonsplatz) Sie wissen ja, in Berlin, die Preise sind ja versaut. Der Markt richtet ja alles, und hier, in München, richtet der Markt es noch richtig. Also, wer bietet die 300 ?? - 400 - 500 - 600 - 800 - 1 000 - 1500 ! - Da geht doch noch mehr! Da geht doch noch mehr! 2,5 die Dame! 2,6 die WG! - 10 000! Ach, Sie haben geerbt! Da kann man sich so eine Luxusimmobilie natürlich leisten"! Sprecherin München ist tatsächlich Spitze. Um auf die prekäre Mietsituation, nicht nur in München, sondern in vielen Städten aufmerksam zu machen, hat das online- Kampagnennetzwerk CAMPACT zusammen mit dem Deutschen Mieterbund und dem Mieterverein München im März eine Telefonzelle als "Wohnraum" versteigert. In sozusagen "bester Lage" auf dem Odeonsplatz, direkt vor dem Innenministerium. Anschließend übergaben die Kampagnenvertreter dem bayerischen Innenminister Joachim Hermann, der auch der Bauminister des Freistaates ist, 100 000 Unterschriften mit dem Appell: "Wohnen muss bezahlbar sein!" Und? Was sagt der bayerische Wohnungsbauminister von der CSU dazu? O-Ton (Joachim Herrmann) Ja, also vielen Dank für die Übergabe, vielen Dank für Ihr Engagement, für Compact, aber eigentlich auch für den Deutschen Mieterbund. In der Tat, beim Thema: Wohnen muss bezahlbar sein, sind wir uns im Grundsatz völlig einig. Wir brauchen insgesamt in Deutschland mehr Wohnungsbau, und wir brauchen einen noch besseren Mieterschutz. Ich hab das, wie man so schön sagt, auf dem Bildschirm! Wir machen da kein Hehl draus, dass da ein Dissens innerhalb der Koalition, innerhalb der Staatsregierung besteht, weil die FDP das ablehnt. Wir werden jedenfalls mit einer klaren Aussage in dieser Richtung dann auch in den Landtagswahlprogramm gehen. Sprecherin Zu den Demonstranten zählt auch Hausbesitzerin Gerda Pirker mit ihrer Tochter. Die Tochter wegen ihrer leidvollen Erfahrungen bei der Suche nach einer kleinen 2-Zimmer-Wohnung. Ihre Mutter, weil sie das ganze Mietpreissystem für unmoralisch hält. Sie selber vermietet in ihrem Haus Zimmer an Studenten zu einem Dumpingpreis von 200 ? und ist damit "total zufrieden". Im Gegensatz zum Finanzamt: O-Ton (Gerda Pirkner) Wie wir angefangen haben zu vermieten, ist uns vom Finanzamt damals der Bescheid zugekommen, dass wir zu wenig verlangen von unseren Mietern. Ob das Freunde meiner Tochter oder meines Sohnes wären. Und der Mietspiegel würde einen höheren Satz erfordern, und ich sollte Steuern zahlen für den erhöhten Mietspiegel in München! O-Ton (Sprechchor) "Wohnen muss bezahlbar sein! Wohnen muss bezahlbar sein! ..." Sprecherin Die Welt ist dank der globalisierten Wirtschaft mobil und flexibel geworden, und das heißt, man zieht dorthin, wo man entweder überhaupt noch Arbeit findet oder dahin, wo man Karriere macht. So ergeben sich Wanderungsbewegungen: von Ost nach West, von Nord nach Süd, und infolge der dramatischen Situation in den Krisengeschüttelten EU-Schuldenstaaten auch noch europaweit von Süd nach Nord und von West nach Ost. Deutschland gilt dabei als der Wirtschaftswachstumsstabilitätsleuchtturm schlechthin, obwohl es in sich durchaus die Europakarte widerspiegelt. Überalterte und aussterbende Regionen auf der einen, Ballungszentren, die buchstäblich aus allen Nähten platzen, auf der anderen Seite. Wer in der Eifel oder der Uckermark lebt, für den sind Wuchermieten und Wohnungsnot Fremdworte. In den Hochpreisregionen hingegen wie Hamburg, Berlin oder Frankfurt, Stuttgart, München oder im Rhein- Main-Gebiet kann man froh sein, überhaupt eine Wohnung zu finden, geschweige denn eine, die auch ein Durchschnittsverdiener bezahlen kann. Aber was heißt schon "Durchschnitt", wenn den Preisen keine Grenzen gesetzt sind? Anne (raschelt mit der Zeitung) Hör mal, Paul, hier: "ca. 106 qm, Bad, Gä-WC,EBK,SW-Balkon, komplett renov., 490 ? + NK 270 ? + 2 MM Kt., Gge 70 ? mögl., v. privat" - oh, nur 2 Zi., Paul auf 106 qm - ? Anne Tja. - Aber hier: "Neuw. Wohlfühlhaus mit Liebe zum Detail, 5 Zi+ Dachgal. + Hobbyr., 160 qm a. 4 Ebenen, 45 qm Nfl., alle Räume m. Blk od. Terr., Ahornparkett u. weiß. Marmor, 2 Bä. 2 Kü. Off. Kamin, schöne Gartenanlage, 2 150 + NK 150 ? + Gge. 60 ? -" Paul 160 qm auf 4 Ebenen - ? Glaubst du, das ist praktisch mit unseren beiden Minis? Anne (hörbar die Stirn kraus ziehend) Wo ist das überhaupt, Daglfing? (raschelt mit dem Falk-FaltStadtplan) Sprecherin In Deutschlands Ballungszentren fehlen schon jetzt schätzungsweise 260 000 Mietwohnungen. Angesichts steigender Einwohnerzahlen und steigender Haushaltszahlen - in manchen Städten wie München sind fast die Hälfte Single- Haushalte - werden nach einer Studie des Pestel-Instituts bis 2017 rund 400 000 Wohnungen fehlen. Der Deutsche Mieterbund klagt, dass aber nur noch 65 - bis 70 000 Wohnungen pro Jahr neu gebaut werden und auch die Zahl der Sozialwohnungen in den letzten zehn Jahren von 2,5 auf 1,7 Millionen zurückgegangen ist. Macht bis zum Jahr 2025 ein Minus von insgesamt einer Million Wohnungen. Wir haben dieselbe Situation wie nach dem Krieg, stellt der Deutsche Mieterbund fest, mit rund drei Millionen Mitgliedern Deutschlands größte Mieterlobby. Nur, dass man heute nicht von "Wohnungsnot" spricht, sondern von "gefährdeter Wohnungsversorgung". Einmal durch Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und explodierende Mieten. Zum anderen, kritisiert Lukas Siebenkotten vom Deutschen Mieterbund, indem sich Entscheidungsträger aus der sozialen Verantwortung stehlen. Nur so ließe sich auch der auffällige Rückzug von Bauträgern und Investoren aus dem öffentlich geförderten Wohnungsbau erklären, weil der sich angeblich nicht mehr rechne: O-Ton (Lukas Siebenkotten) Es muss sichergestellt werden, dass privates Kapital in den Wohnungsbau gesteckt wird und zwar in den Wohnungsbau für diejenigen Menschen, die keine hohen Mieten zahlen können. Es wäre eine Aufgabe des Staates, zum Beispiel der Steuergesetzgebung, zu überlegen wie kann man dieses private Kapital, das in großen Mengen in Deutschland vorhanden ist, in diesen Bereich bekommen. Sprecherin Die Mietbelastung in den Ballungsräumen beträgt bei vielen inzwischen 30, bei immer mehr 40 oder sogar 50 Prozent plus X des Einkommens. Eine prekäre Situation. Während die einen aus der Stadt wegziehen müssen, geht es bei den "Besserverdienenden" nur noch darum, ob sie überhaupt eine Wohnung finden. Der Markt ist dicht. Paul Na, Schatz, war unsere Traumwohnung heute dabei? Anne Ja, ein "Traum" war das mal wieder! Löcher! Und Preise - ! Ein Makler hat sogar 100 ? verlangt, nur um die Wohnung anschauen zu dürfen! Und dann stehste da in einer Schlange von 50 Leuten! Mit Matze im Buggy in dem Gedränge wirklich himmlisch! Und als ich mich auch noch als Mutter von zwei Kindern geoutet habe, da meinte diese aufgedonnerte Herrin über Wohnen oder nicht Wohnen doch glatt: "alleinerziehend"? Paul! Dreimal soviel Netto Einkommen, wie die Wohnung Brutto kostet! Mit BANKAUSZUG! Nee, ich hab keine Lust mehr auf diesen Rummel! Ich will nicht mehr, Paul! Nie mehr geh ich allein zu diesen Wohnungsbesichtigungen! Wo sind wir denn! Jetzt sag doch auch mal was, Paul! Paul (bedröppelt, ermattet) Mein Chef - Anne (giftig) Ach, Werkswohnung, oder was?! Sprecherin 2012 zählte München 1,43 Millionen Einwohner. Bis 2025 sollen es 1,6 Millionen sein. Und alle brauchen ein Dach über dem Kopf. Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, der in den letzten zehn Jahren als Präsident des Deutschen Städtetages dieselbe Not anderer, begehrter Kommunen kennengelernt hat: O-Ton (Christian Ude) "Die Wohnungsfrage ist in den Ballungsräumen ein Zukunftsthema, die große soziale Frage neben dem Arbeitsmarkt. Und es braucht wieder mindestens eine Dekade von bundespolitisch gefördertem Wohnungsbau - dabei ist mir wurscht, ob es staatliche Wohnungsbaugesellschaften sind oder kommunale, die unterstützt werden, oder Genossenschaften, die sich an soziale Spielregeln halten. Sprecherin In seiner 20jährigen Amtszeit sind in München 120 000 neue Wohnungen geschaffen worden, stellt Oberbürgermeister Ude stolz fest, so viel, wie in keiner anderen deutschen Stadt. Nur etwa achtzehn Prozent der insgesamt rund 760 000 Wohnungen sind dabei in kommunaler, genossenschaftlicher oder in freier Trägerschaft. Und trotzdem sei München bis jetzt die Politik der "sozialen Mischung" gelungen, die für sozialen Frieden und Sicherheit und somit für die Lebensqualität in der Stadt sorge: O-Ton (Christian Ude) "Und da brauchen wir eine Wohnungs- und Mieterschutzpolitik, die sämtliche Register gleichzeitig zieht. Den Wohnungsbestand schützen, indem man Zweckentfremdung verhindert, indem man Luxussanierung behindert, indem man Erhaltungssatzungen erlässt, indem man immer wieder auch Häuser kauft, um sie vor der Spekulation zu bewahren. Das machen wir. Dann kann man den städtischen Wohnungsbau forcieren, da hat München das größte kommunale Wohnungsbauprogramm aller deutschen Städte aufgelegt, wir bieten dafür im Jahr 625 Millionen auf. Und dann können wir nur an den Gesetzgeber appellieren, ebenfalls etwas für Mieterschutz und Wohnungsbau zu tun. Sprecherin Dennoch, gibt Christian Ude zu, wird die Stadt trotz aller Anstrengungen nie so gut aussehen wie das auch sozialdemokratisch regierte Wien, das mit seinen 60 Prozent an städtischen "Gemeindebauten" und einem entsprechend niedrigen Mietniveau eine kommode Wohnungssituation geschaffen hat. Oder wie die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover, die, obwohl sie etwa gleich viele genossenschaftliche und kommunale Wohnungen wie München aufweist, trotzdem über einen "entspannten Wohnungsmarkt" verfügt. Da gibt es höchstens mal Engpässe bei der Wohnungsgröße, aber nicht bei der Miethöhe, erklärt Klaus Töle vom Mieterbund Hannover: O-Ton (Klaus Töle) Wir haben ganz große Probleme bei den preiswerten Wohnungen und kleinen Wohnungen. Die kleinen Wohnungen, das sind ein- zwei-Zimmer Wohnungen mit einer Warmmiete so um 500 Euro, da ist es wirklich schwierig in Hannover. Bei den großen und gut ausgestatteten Wohnungen in Hannover, so über 7 Euro den Quadratmeter, da ist es so in Richtung Entspanntheit, ja. Sprecherin Genügend Wohnraum für jede Einkommenslage und ein solides Vermietergemüt sorgen offenbar dafür, dass Hannover trotz Expansion, Wirtschaftswachstum und Studentenandrang ein "total befriedetes Gebiet" ist, wie Reiner Beckmann, Vorsitzender des Haus und Grundeigentümervereins, betont: O-Ton (Reiner Beckmann) Bei den meisten Vermietern ist es ja so, dass die nicht alle drei Jahre die Miete erhöhen, sondern dass die sagen, mir ist das viel lieber, ich habe einen ruhigen Mieter in meinem Hause wohnen, auf den ich mich verlassen kann, dass er auch seine Miete pünktlich zahlt. Also wird er seinen Mieter, der in Ruhe seit vielen Jahren da wohnt, auch nicht mit Mieterhöhungen bedrängen. Das ist der typische Hannoveraner Haus- und Grundeigentümer. Sprecherin Es gibt viele Hindernisse, um so "genossenschaftlich" zu werden wie Wien oder so moderat wie Hannover. Ganz abgesehen von EU-Vorgaben würde man es sich, selbst wenn man es wollte, in München auch gar nicht leisten können, die Wohnungswirtschaft der freien Marktwirtschaft zu entziehen und auf Privatinvestoren zu verzichten, meint Münchens SPD Oberbürgermeister Ude: O-Ton (Christian Ude) Und wenn wir feststellen, darüber muss man schon auch nachdenken, dass wir in München im Jahr mindestens 7 000 Wohnungen neu brauchen, um mit den Ansprüchen der vorhandenen Bevölkerung und vor allem der zuziehenden Menschen fertig zu werden, dann können davon selbst bei größten finanziellen Anstrengungen, nur 1 800 Wohnungen öffentlich gefördert sein. Das heißt aber umgekehrt, 5 200 Wohnungen müssen privat finanziert werden. Sprecherin 31 000 - bezahlbare - Mietwohnungen fehlen jetzt schon in Deutschlands teuerster Metropole, über 23 000 Münchner warten auf eine Sozialwohnung. Während es auf der anderen Seite immer chicer wird, sich eine "Stadtwohnung" zu leisten, O-Ton0 (Christian Ude) Ganz klar ist, was der Bayerische Landtag tun muss. Er muss die Umwandlungsspekulation, die er seit 25 Jahren achselzuckend zulässt, stoppen. Denn jetzt gibt es so viel vagabundierende Milliarden, die die Finanzmärkte verlassen und die Flucht in die Sachwerte, ins Betongold antreten, dass wir eine weitere Umwandlungswelle vor uns haben. Musik Jupp Schmitz: "Wer soll das bezahlen? Wer hat soviel Geld? Wer hat soviel Pinke, Pinke..." Sprecherin Seit 2009 flüchten immer mehr Kapitalanleger aus den verspekulierten Finanzmärkten ins "Betongold". Deutschland, das als "Europas Wachstumsmotor Nummer eins mit Rekordbeschäftigung und steigenden Realeinkommen" gilt, hat längst Großbritannien als "attraktivsten Immobilienmarkt Europas überholt", teilte jüngst der Marktanalyst BulwienGesa mit. Finanzinvestoren wie Pensionskassen, Versicherungen und Fonds locke die Aussicht auf eine "ordentliche" Rendite, die sie in anderen Anlageklassen entweder nicht bekämen und/oder dafür große Risiken eingehen müssten. 25 Milliarden Euro wurden letztes Jahr in Deutschland für Wohn- und Gewerbeimmobilien ausgegeben, elf Prozent mehr als im Vorjahr. Dabei ist es kein Geheimnis, dass zum Beispiel in Berlin und Frankfurt am Main bereits 60 Prozent des Investmentvolumens auf das Konto ausländischer Kapitalgeber geht. München mit seinem "Flair" steht aktuell bei russischen Kapitalanlegern hoch im Kurs: O-Ton (Jaroslav Horowitz) Wir suchen für russische Kunden - aus Großraum Russland, Ukraine, Kasachstan, Lettland - Projekte, Bauprojekte, Investmentprojekte. Größenordnung? Na gut, ich sag mal so, zwischen fünf und 20 Millionen. Das sind gerade mal Mehrfamilienhäuser. Ein Mehrfamilienhaus in Schwabing könnte durchaus zehn, zwölf, fünfzehn Millionen kosten. Das sind Manager von großrussischen Konzernen, Geschäftsleute, Banker, und wir haben auch ein Fonds." Sprecherin Jaroslav Horowitz betreibt seit fünf Jahren in München eine Unternehmensberatungsfirma. Der gebürtige Russe schaut sich auf der Münchner Immobilienmesse um, die im April dieses Jahres zum zweiten Mal stattfindet. 60 Aussteller informieren über den Markt in München und der Speckgürtel-Region. Die Branche, der zweitgrößte Wirtschaftszweig in Deutschland, boomt ohne Ende, allein in München mit einem neuerlichen Rekordumsatz von knapp zehn Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Man sieht es den höchst zufriedenen Gesichtern an: O-Ton (Jaroslav Horowitz) "Geld wird abgewertet, immer weiter, immer wieder. Bayern ist noch sicher, und München ist am sichersten. Und preislich liegt es viel, viel niedriger als andere große Städte Europas wie London, Paris und so fort. Das ist alles schon überhitzt, und die Leute denken, dass München noch lohnend ist." 0.19 Sprecherin Schirmherr der Münchner Immobilienmesse ist der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, der sich vor diesem Publikum für das Wohnungseigentum als Kapitalanlage stark macht und auch sonst Dankbarkeit erntet: O-Ton3 (Joachim Herrmann) (auf Rundgang durch die Messestände) so, Grüß Gott! Ordentlichen Stand hier, ja. - Das erste Quartal ist gut gelaufen - Ja?! - Ja, die Förderungszusagen haben sich ordentlich entwickelt, sowohl im Eigenheimraum als bei der ORS. Ja, wir sind sehr zufrieden. - Also haben wir das auch mit den Bedingungen, haben wir das auch hingekriegt - Ja, kann man immer noch besser machen, das muss ich auch sagen - sehr zufrieden. - Ja? Dann muss jetzt auch entsprechend gebaut werden, gell!...Hallo... Sprecherin Um die Pleiteschulden der Bayerischen Landesbank bei der EU abzutragen, hat der Freistaat sein Familiensilber verscherbelt: 32 000 Wohnungen der Landesbank-Immobilientochter "GBW"- Gegenstandswert 2,5 Milliarden Euro - wurden im April dieses Jahres für 882 Millionen Euro an das private Augsburger Immobilienunternehmen Patrizia, das "ein Konsortium aus 27 Investoren anführt", verkauft. Die bayerischen Kommunen, die auch gern die Wohnungsbestände übernommen hätten, hatten keine Chance gegen das "Höchstgebot". Allein für die über 8 000 Wohnungen der GBW in München bräuchte die Stadt mindestens fünf Jahre ihrer wohnungspolitischen Anstrengungen, um diese Mieter aufzufangen, denen durch die Privatisierung Mieterhöhungen und Kündigungen drohen, schimpfte der Münchner Oberbürgermeister. Erfolglos.Es regiert der Markt, es geht um den Handel mit Wohnungen, es geht ums Geschäft. Und im großen Stil rentiert es sich erst richtig: O-Ton (Jaroslav Horowitz) Wohin, wenn nicht nach München. Von der Infrastruktur, von Arbeitsmarkt, von Firmenpräsenz, (München ist eine homogene Stadt). Da gibt's keine Friktionen wie Mannheim, oder Köln oder Bonn oder so, Hamburg sogar. Frankfurt ist noch interessant, Frankfurt hat noch Luft nach oben. Sprecherin Auf fünfzehn bis zwanzig Prozent schätzt der russische Unternehmensberater den Anteil großrussischen Betongolds in der bayerischen Landeshauptstadt. O-Ton (Jaroslav Horowitz) Ich hab einen Kunden, der verdient 120 Millionen Euro pro Jahr, und so ein Kunde wird bei den Banken auch dankend angenommen, gepflegt, selbstverständlich. Melodie von: Wer kann das bezahlen O-Ton Gesang (Jupp Schmitz, schunkelig) "Wer kann das bezahlen? Wer hat soviel Geld?..." Sprecherin 65. Deutscher Mietertag. Passenderweise findet er dieses Jahr in München statt. Motto: "Wohnen muss bezahlbar sein". 600 Delegierte haben sich versammelt und versuchen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, das da heißt: Politik, in der sich die jeweils mächtigste Lobby durchsetzt. Beatrix Zurek ist Vorsitzende des 73 000 Mitglieder starken Mietervereins München, Mietrechtsanwältin und SPD- Stadträtin und insofern in dreifacher Hinsicht frustriert: O-Ton (Beatrix Zurek) Viele Regelungen wie zum Beispiel die Mieterhöhungen und das Bodenrecht, das ist eben in Bundesgesetzen geregelt. Da strampelt man sich auf kommunaler Ebene ab und schaut aber mit dem Ofenröhrl ins Gebirge, weil auf Bundesebene nicht nachgezogen wird. Und das ist das Problem. Sprecherin Der Deutsche Mieterbund sorgt sich. Um Mietbegrenzungen. Um mehr Kündigungsschutz. Um die Wiedereinführung von Wohngeld. Um mehr Sozialwohnungen. Gegen die Umwandlung in Eigentumswohnungen. Gegen hohe Maklergebühren. Radikal ist das nicht, sondern eher bescheiden gegenüber dem Paradigmenwechsel vom Schutz des Wohnraums zum Schutzraum für Kapitalanlagen. In diesem Klima will keiner heiße Eisen wie Boden- und Immobilienspekulation anfassen. Und wenn doch, dann wird ihr vorgeworfen, sie wolle wohl zurück in den Sozialismus, hat Beatrix Zurek erfahren. Sie möchte schon den Hebel auch bei der Regulierung des Bodenpreises ansetzen: O-Ton (Beatrix Zurek) Der Bodenpreis ist sozusagen ein Regulativ, aber natürlich hilft es nichts, wenn der Bodenpreis reguliert ist und dann die Mieten unbegrenzt vereinbart werden können, weil, dann wird ja nur der Gewinn größer. Also, man muss das Gut Wohnen sozusagen reglementieren. Und es ist ja nicht so, dass, wenn man dann angreift, es auch keine Gewinnmargen gäbe. Kommunale Unternehmen zeigen, dass man mit günstigen Mieten auch noch einen Ertrag erwirtschaften kann, dass das Unternehmen floriert. Also heißt hier Regulativ nicht gleich Kappung einer Wirtschaftstätigkeit. Sprecherin Im Unterschied dazu setzt die aktuelle Regierungskoalition als Allheilmittel gegen explodierende Mieten auf die Bildung von Wohneigentum. Der Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Rainer Bomba, CDU: O-Ton (Rainer Bomba) "Das, was den Markt ganz massiv beeinträchtigen wird, ist eine schnelle Durchführung von Neubauten. Das heißt, wir müssen den Markt mit neu gebauten Wohnungen quasi fluten. Und ich sage es nochmal, hier muss über das Angebot der Preis wieder reduziert werden. Das werden wir in spätestens zwei, drei Jahren erleben, weil wir momentan Rekorde schreiben bei den Baugenehmigungen. Mit 240 000 Baugenehmigungen in 2012, und nochmal 5 Prozent drauf jetzt in 2013, 2011 war auch ein exzellentes Jahr, wird sich hier in den nächsten Jahren erheblich was tun. Sprecherin "Totales Desinteresse" am Thema Wohnen und Mieterschutz attestiert der Deutsche Mieterbund Bundesbauminister Peter Ramsauer von der CSU. Das zeigt sich auch daran, dass er nicht selber beim "Mietertag" erscheint, sondern seinen Staatssekretär geschickt hat, der dann auch bereitwillig gegenüber Journalisten die Position der Bundesregierung widergibt. Rainer Bomba: O-Ton (Rainer Bomba) Natürlich ist Wohnung auch eine Ware. Sie wird ja am Markt gehandelt zu einem Preis, den wir Miete nennen. (Und diesen Preis können wir natürlich beeinflussen.) Wir leben in keinem sozialistischen Land, in dem wir Preisvorgaben machen können. Sprecherin Es ist Wahlkampf, und alle buhlen um die Mieter. Erst kürzlich hat sich die Bundeskanzlerin bei der SPD bedankt, dass die mit ihrem Wahlschlager "Preisbremse bei Wiedervermietung auf maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete", "eine gute Idee" gehabt habe und sie das gern in das Wahlprogramm der CDU aufnehme. Deutschland ist eben immer noch zu über 50 Prozent Mieterland. Im Zweifel kann man sich ja, wie gehabt, auf die FDP berufen, die die guten Regierungsabsichten der jeweiligen Koalitionspartner vereitelt. Dabei ist die Gesetzeslage eindeutig: Die bayerische Verfassung besagt, dass mit Grund und Boden nicht spekuliert werden darf und bestätigt den Anspruch auf bezahlbaren Wohnraum. Und das Grundgesetz verlangt: Eigentum verpflichtet. Anne Nein, dass da jetzt die alte Dame, die seit 48 Jahren in der Wohnung wohnt, in eine "Altersresidenz" umgesiedelt werden soll, nur, damit wir dreimal soviel Miete hinlegen, - nein, das mache ich nicht mit! Paul Na ja, wenn nicht wir, dann jemand anders. Anne Dann können wir auch gleich bei Tante Hedy bleiben. Ihre Wohnung steht ja auch zum Verkauf an, wenn die gierige Erbengemeinschaft sich nicht mit dem Haus einig wird. Paul Und was machen wir dann mit Tante Hedy? Anne Sag ich ja, DAS machen wir nicht. Sprecherin Es gibt auch eine gute Nachricht im Immobilienpoker. Die Mietpreise steigen langsamer als die Preise für Eigentumswohnungen oder Häuser. - Man feiert es tatsächlich als Erfolg, dass in Ballungsgebieten nur noch 15 statt wie bisher 20 Prozent Mietsteigerung alle drei Jahre möglich sind. Und - es ist Wahlkampf - inzwischen erwägen alle Parteien, außer der FDP, eine Deckelung bei Neuvermietungen. Eventuell. Vielleicht. In Ballungszentren. Anne Das ist auch keine Lösung, Paul. Auch für 800 000 gibt es einfach nichts. Selbst wenn wir in eine Umlandgemeinde ziehen würden -(resigniert) Paul Allein diese Fahrerei in die Stadt - Anne kostet Zeit und Geld - Paul die Straßen sind dauernd verstopft wegen der vielen Pendler - Anne - und wir brauchen dauernd eine extra Kinderbetreuung. (resigniert) Ach, überhaupt, die Kinder, die sehen dich ja jetzt schon kaum, und wenn ich auch wieder arbeiten will, können wir sie eigentlich gleich zur Adoption weggeben. - (Pause) Paul, in Hannover haben wir uns doch eigentlich richtig wohl gefühlt, oder? Paul (irritiert) Hannover? Sprecherin Auch in Hannover glauben alle an den Markt. Offenbar funktioniert er hier noch. Trotz Zuzugs, Wirtschaftswachstums, Grün und Wasser satt, ist die Stadt eine "traumhafte Provinzhauptstadt" - behaupten die Hannoveraner. Und das, bestätigt Maria del Carmen Weber vom Vorstand des mächtigsten deutschen Maklerverbands IVD, mag dazu beitragen, dass der Investorenrausch, der München (und den anderen Ballungszentren) Quadratmeter-Kaufpreise bis zu einem Spitzenwert von 22 000 Euro und Mietpreise bis zu 22 Euro pro Quadratmeter beschert, Hannover verschont. Wozu ein Image als Langweilerstadt doch gut sein kann: O-Ton (Maria del Carmen Weber) Und es gibt sicher in Hannover den ein oder anderen Ausreißer, wo man auch sagt, das ist ja Wahnsinn. Vor drei, vier Jahren waren hier noch 1 200 Euro pro Quadratmeter gefordert, jetzt sprechen wir über das Dreifache, aber das sind Einzel-fälle. Und genauso im Mietbereich. Auch dieses betrifft nachweislich in erster Linie eine ganz kleine Prozentzahl des Gesamtvermietungsmarktes, wo wir die zweistellige Zahl erreichen, also, sprich, ab zehn Euro der Quadratmeter. Sprecherin Also ist alles am Ende eine Mentalitätsfrage? Hannover: total entspannt, München: total hysterisch? Münchens Oberbürgermeister Christian Ude sieht ganz andere Gefahren. Er warnt davor, dass drastisch steigende Mieten langfristig die zivile Stadtgesellschaft zerstören. Und das geht schließlich alle an: O-Ton4 (Christian Ude) Wohnen muss erschwinglich bleiben, sonst wird es auch ungemütlich für die Besser-verdienenden. Denn die Besserverdienenden brauchen Erzieherinnen, sie brauchen Polizeibeamte, sie brauchen Dienstleistungspersonal. Eine Stadt, die sich nur Spitzen-verdiener oder Besserverdienende leisten können, wird selbst für diesen Personenkreis am Ende sehr, sehr kalt. Also, die Stadt muss ein Ort bleiben, den sich unterschiedliche Einkommensgruppen leisten können. Sprecher/in vom Dienst: "Wer soll das bezahlen? Wer hat soviel Geld?" - Wenn das Dach über dem Kopf Luxus wird - Ein Feature von Rosemarie Bölts Es sprachen: Viola Sauer Joachim Schönfeld Nadja Schulz Berlinghoff Ton: Bernd Friebel Regie: Roswitha Graf Redaktion: Martin Hartwig Produktion Deutschlandradio Kultur 2013 1