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Das Schiff wird aufgebracht, die Passagiere evakuiert - der Frachter versenkt. Außer der tropischen Ladung - 500 Häute und etwa 250 Tonnen Gummi - sinkt an diesem 5. September 1939 noch eine andere, weit wertvollere Fracht auf den Meeresgrund: die umfangreiche Sammlung Arnold Schultzes: Insekten, Schmetterlinge, und - in Herbarien gepresst und geordnet, zahllose tropische Pflanzen. Alles zusammengetragen in mühevoller Arbeit im ecuadorianischen Dschungel. Arnold Schultze: "Flaggenorder, Beidrehen, Stoppen, Boote aussetzen! Nur das Notdürftigste konnten wir an Wäsche retten und dazu unsere lieben Vögelchen. Das spielte sich alles in wenigen Minuten ab. Dann wurde unser Schiff durch zwölf Kanonenschüsse versenkt, mit all unserem Besitz, vor allen Dingen die unersetzlichen Sammlungen. Wir sind jetzt bettelarm." ...schreibt Arnold Schultze später - nach einer Internierung in Dakar - über den Ausgang seiner letzten, großen Reise. Da ist er mit seiner Frau auf die Insel Madeira gelangt. Was Schultze in seinem Brief konstatiert, ist der Verlust fünfjähriger Forschungsarbeit. Erhalten bleibt nur ein anderer Koffer, aus Kolumbien. Im Sommer 1939 trifft er im Naturkundemuseum Berlin ein, und wird unter dem Signum "Koffer 41/Trockenmaterial" registriert, stichprobenartig untersucht - und im Depot verstaut. Warum dieser Koffer nicht sofort unter die Lupe genommen wurde, erklärt Hanns Zischler, der ein Buch über Arnold Schultze und dessen "Schmetterlingskoffer" geschrieben hat: Hanns Zischler: "Zum einen ist es üblich, dass der Sammler selbst die Sammlung auswertet, das ist zumindest die Tradition in den Museen, sofern er Zeit und Gelegenheit dazu hat. Zum anderen ist es so, dass durch die Kriegsereignisse und die Nicht-Rückkehr Schultzes - also seine doppelte Hinderung - das Museum nicht in der Lage war, den (Koffer) unmittelbar bei Eintreffen, also 1939, auszuwerten. Man darf auch nicht vergessen, dass der Inhalt des Koffers, diese 15- bis 18-tausend Schmetterlinge, dass der Inhalt des Koffers bereits älter war. Das heißt, die Sammlung ist ja aus den Jahren 1920 bis 1928, etwa, im Jahr `39 war er schon älter, Ende der 40er Jahre ist er noch älter. Und, von daher nimmt die Aktualität oder das aktuelle Interesse rapide ab." Autorin: Fast siebzig Jahre später kommt der Koffer wieder ans Licht. Das Naturkundemuseum zeigt ihn in einer Ausstellung, um Sponsoren auf die unausgewerteten Bestände des Museums aufmerksam zu machen. Auch die Illustratorin Hanna Zeckau, die im Museum an einem Tierbuch zeichnet, und der Schauspieler und Autor Hanns Zischler, der im Auftrag der Bundeskulturstiftung die Geschichte von Sammlungen recherchiert, stoßen auf den Koffer. Beide sind elektrisiert und neugierig. Sie öffnen einen stabilen, dunkelbraunen Überseekoffer, innen ist er mit grün-weiß gemustertem Papier ausgeschlagen, und entdecken 46 bunte Zigarrenkisten, eine jede bis oben gefüllt mit kleinen, dreieckigen Papiertütchen, in jedem Tütchen ein gefalteter Schmetterling. Und ein Reisetagebuch. An die 18-tausend Schmetterlinge, allesamt in Kolumbien zusammengetragen von dem Schmetterlingsforscher Arnold Schultze. Doch wer war dieser Mann? "1875 in Köln geboren, als Sohn eines Offiziers, wurde auch Schultze Artillerie- Offizier. Er ließ sich zum Auswärtigen Amt (Kolonialamt) kommandieren und nahm als Topograph an der deutsch-englischen Grenzexpedition in Nordkamerun teil, nach einer Vorbereitungszeit im orientalischen Seminar und an der Universität Göttingen, wo er auch Vorlesungen in Botanik hörte. 1905 zur Schutztruppe von Kamerun versetzt. 1906 schied er nach schwerer Erkrankung aus dem Heeresdienst aus. Er studierte dann in Bonn Geographie und Naturwissenschaften und promovierte mit einer Monographie über das Sultanat Bornu, dass er auf der Grenzexpedition kennengelernt hatte. Darauf nahm er an der Zweiten Deutschen Zentral-Afrika- Expedition des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg 1910-11 teil, auf der er zusammen mit dem Botaniker Milbraed am unteren Kongo, in Südkamerum und auf den Guinea-Inseln Fernando Poo und Annobon arbeitete." ...heißt es nüchtern 1950, in den "Botanischen Jahrbüchern für Systematik", über diesen Mann, dessen Geschichte als Schmetterlingsforscher in Afrika beginnt, als Mitglied der Zentralafrika-Expedition. Es ist seine erste, von vielen großen Reisen. Diese Reisen werden ihn in den 1920er Jahren nach Kolumbien führen, er fährt den Magdalenenstrom hinab und in die Berge der Sierra Madre, wo er Besitzungen kartiert und vermisst und auch all die Schmetterlinge fängt, die noch immer im "Koffer 41/Trockenmaterial" lagern; Anfang der 1930er Jahre reist er noch einmal nach Afrika, dann nach Mallorca; und 1934 nach Ecuador. Von dieser mehrjährigen Forschungsreise kommt er nicht mehr nach Deutschland zurück. In allen Aufzeichnungen Schultzes, blitzt seine Liebe zur Natur und vor allem zu den Schmetterlingen auf, die er schon als Junge hegte und die sich in seinen erwachsenen Jahren erfüllte, wie er 1933 beschreibt: Arnold Schultze: "Schon lange war es mein Wunsch, an der unteren Mosel und ihren Nebentälern Nachforschungen über das augenblickliche Vorkommen von Parnassius apollo anzustellen, seitdem ich vor 45 Jahren als Junge hinter diesem Falter am Rande der Schieferabstürze zwischen Kilbern und Winningen hergejagt war..(..) Wir waren schon einige Tage vor dieser Entdeckung zu sehr vorgerückter Tagesstunde zufällig an der fraglichen Stelle vorbeigekommen, die so günstige Bedingungen für unseren Falter bot, dass mein Begleitung ausrief:" Der Hang schreit geradezu nach Apollos!" (..) Wir konnten so nah an sie herankommen, (es wäre uns möglich gewesen, sie mit der Hand zu greifen), dass wir alle Einzelheiten der Zeichnung erkennen konnten. (..) Man wird es mir nicht verdenken, wenn ich den Fundort im Interesse der Erhaltung der Art nicht bekannt gebe." Zeitlebens gelang es Arnold Schultze, seine Arbeit als Geograph, Kartograph und Botaniker mit seiner Leidenschaft für Schmetterlinge zu verbinden. Auch als Teilnehmer der so genannten "Mecklenburg-Expedition" nach Zentral-Afrika: . Hanns Zischler: "Es gibt einen offiziellen Forschungsbericht, der ist im üblichen Sinne geographisch, botanisch und zoologisch. Natürlich ist es eine Sichtung des Geländes. Und wenn er kartographisch ist, heißt das natürlich auch, dass unter den Vorzeichen des gegenwärtigen - damals gegenwärtigen - Imperialismus, die Einflusszonen kartiert werden." Welche wissenschaftliche Ausbeute die Expedition aus Zentralafrika mitbrachte, zählt Ethnologe Georg Thilenius in seinem Bericht auf: Georg Thilenius: "Die Hauptexpedition und die Teilexpeditionen der Herren Dr. Schultze und Dr. Schubotz ergaben zusammen 860 Säuger, 2900 Vögel, rund 400 niedere Wirbeltiere, und etwas 18.000 Wirbellose, endlich eine größere Zahl von Alkoholpräparaten. Der Hauptwert der zoologischen Sammlungen besteht vor allem in der überaus reichen Insektenausbeute, die außer zahlreichen neuen Sorten viele Formen oft in großer Stückzahl enthält, die nur in den Typenexemplaren bekannt waren. Unter den Lepidopteren konnte eine ausgesprochen melanotische Tendenz festgestellt werden. Dr. Reichenow beschrieb die von Dr. Schultze bei Molundu endeckte Tricholamea schultzei (Tränenbartvogel) als zehnte neue Art." Tricholamea schultzei. - Arnold Schultze hat aber nicht nur neue Arten wie diese entdeckt, die nun seinen Namen tragen, er liefert auch eine für die Textil-Industrie höchst interessante Arbeit: Hanns Zischler: "Schultze hat 1913, also unter dem Eindruck seiner Afrika-Reise, den für ihn wichtigsten Aufsatz geschrieben, nämlich eine neue und bessere Methode mit der Seidenraupenzucht umzugehen. Das ist etwas, was aus dem unmittelbaren Forschung mit Schmetterlingen kommt. Diese Arbeit hat er auf Englisch veröffentlicht und sie wurde auch als bahnbrechend für die Seidenindustrie betrachtet." Wie seine Schmetterlinge hat sich auch Schultze "verwandelt": aus dem Insektenforscher, ist der Schmetterlingsforscher geworden: Und wenn Arnold Schultze über Schmetterlinge schreibt, in seinem Berichtsteil über die Expedition, dann blitzt neben dem nüchternen Forscher, auch der Schmetterlingsliebhaber, fast ein Poet, auf: Arnold Schultze: "Die Schmetterlinge, die weißen Cymothoe caenis, boten ein seltenes, den Heuschreckenschwärmen der Steppe vergleichbares Naturschauspiel. Ein lediglich aus Männchen bestehender Zug dieses Falters flog am Vormittag des 12. November (1910) von Osten kommend über den Stationshügel, setzte über den Fluss und verschwand auf dem andern Ufer im Wald. Der Schwarm, der zeitweise den Eindruck eines mäßig starken Schneegestöbers hervorrief, begann um 9 Uhr, wurde gegen Mittag schwächer und hörte mit dem letzten Nachzügler um 1 Uhr auf." Doch damals interessierten sich nicht nur Wissenschaftler wie Schultze für Schmetterlinge, seit dem 19. Jahrhundert war die Schmetterlingsjagd auch unter Laien ein beliebtes Vergnügen. Hanns Zischler: "Dass die Schmetterlingssammlung ein derartiges Liebhaberphänomen geworden war, dass regelrechte Börsen entstanden sind, innerhalb von Mitteleuropa, auch in den USA und auch in England, in der man quasi als Amateurbiologe seinem etwas merkwürdigen Naturverständnis frönen konnte. Und gleichzeitig sich auch noch in einem bestimmten Sinn als "kunstsinnig" begreifen konnte. Der Schmetterling war ja immer auch etwas, was die Natur aufgrund seiner Schönheit zu transzendieren schien. Nämlich in dem Sinn, dass die Schönheit des Schmetterlings keiner Nutzerklärung eigentlich folgt." Zur Gilde der Schmetterlingssammler gehörte auch der Literat Vladimir Nabokov. Er hat nicht nur Erzählungen und den Roman "Lolita" verfasst, in seinen Lebenserinnerungen schreibt er immer wieder leidenschaftlich von der "Schmetterlingsjagd" , für die er vier Motive aufzählt: Vladimir Nabokov: "Erstens die Hoffnung, das erste Exemplar zu fangen, oder der Fang selbst; dies ist der Traum im Hinterkopf eines jeden Lepidopterologen. (..) An zweiter Stelle steht der Fang eines sehr seltenen oder sehr ortsgebundenen Falters - Kreaturen, die man in Büchern oder obskuren wissenschaftlichen Zeitschriften oder auf den prachtvollen Tafeln berühmter Werke verrückt betrachtet hat und die man nun im Fluge sieht. (...) Drittens ist das Interesse des Naturforschers, die Lebensgeschichte wenig bekannter Insekten zu entwirren, ihre Gewohnheiten und ihren Aufbau zu erkunden und ihre Stellung im System der Klassifizierung zu bestimmen - einem System, das manchmal unter blendendem Feuerwerk höchst attraktiv in die Luft fliegen kann, wenn nämlich eine neue Entdeckung das alte System durcheinanderwirft und seine abgestumpften Verfechter in Verwirrung setzt. Und viertens sollte man das sportliche Element nicht übersehen, das Glück, das man haben muss, die rasche Bewegung und die gesunde Körperanstrengung, die glühende und mühsame Suche, die damit endet, dass einem das seidige Dreieck eines geschlossenen Falters im Handteller liegt." Diesem "seidigen Dreieck" war auch Arnold Schultze zeitlebens auf der Spur. Nach seiner Rückkehr von der zweijährigen Afrika-Expedition 1911 wäre er gern bald wieder dorthin gereist. Doch als ehemaliger deutscher Offizier kann er nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nicht dorthin zurück, auch nicht als Forscher. Und eine Universitätskarriere in Deutschland ist nach den akademischen Gepflogenheiten so gut wie unmöglich, Schultze ist zwar promoviert, aber ihm fehlt eine Habilitation. Und so entscheidet sich Schultze für Kolumbien, das als so genanntes "neutrales Land" wohl gleichgültig gegenüber militärischen Vergangenheiten irgendwelcher Forscher war: Hanns Zischler: "Zum anderen war Kolumbien interessant für jemand, der kartographisch und geobotanisch gearbeitet hat, denn Kolumbien war im Aufbruch begriffen, nach einer ziemlich desaströsen Phase um 1900 und war ein Land, ein "Erwartungsland", wenn man so will, der amerikanischen Obst- und Plantagenindustrie außerordentlich interessant, nämlich für Zugriffe aus dem Westen. Für Zugriffe, das heißt "United Fruit Company" wollte sich große Teile Kolumbiens nicht aneignen, aber zumindest das Monopol auf die Ausbeutung besitzen. Und die Voraussetzungen einer verbesserten Ausbeutung waren immer Geographen und Geobotaniker und Kartographen. Und Schultze war ein sehr guter. Das heißt: Von daher es ist naheliegend, so jemanden wie Schultze nicht nur zu holen, sondern auch, dass er tatsächlich eben auch sehr gerne hingegangen ist." Anfang 1920 beginnt Arnold Schultze im Auftrag der kolumbianischen Regierung mit Untersuchungen der tatsächlichen Grenzverläufe von Großgrundbesitzen im nördlichen Teil des Landes. Er macht dort das, was er am besten kann: er kartiert, er zeichnet und führt geologische wie Untersuchungen der Tier- und Pflanzenwelt durch. Hanns Zischler: "Er hat registriert, wie die Einflusszonen der Monokulturen sind. Es ging zuerst um Bananen, und später dann um Kaffee. Er hat das alles festgehalten und hat im Grunde so etwas wie eine Strukturplanung im übertragenen Sinn vorgenommen des Landes und von teilen des Landes vorgenommen, für die Regierung. Allerdings, das sollte man auch nicht vergessen, gegenüber einer Regierung, die eine Art Raubrittermentalität hatte. Man hat sich mit den Amerikanern verständigt, oder man hat versucht, auf eine sehr grobe Weise, sich der Besitzungen zu versichern, man hat auch Enteignungen vorgenommen, Indios vertrieben, man hat ganz grauenhafte "Agrikulturpolitik" betrieben, im monokulturellen Sinn, im Sinne der Brandrodungen, die vollkommen überflüssig waren." Autorin: Arnold Schultze beobachtet genau; seine Schriften lesen sich aus heutiger Sicht wie die eines Umweltaktivisten. Dabei war er kein politischer Kämpfer, aber Unrecht und Vertreibungen hat er nicht einfach hingenommen und in seinem Aufsatz heftig kritisiert: Arnold Schultze: "In den tropischen Waldländern Lateinamerikas spielt sich, schon seit vielen Jahren, ein wirtschaftliches Drama ab." ...schreibt Schultze 1937 in seinem Text "Flammen in der Sierra Madre de Santa Marta". Arnold Schultze: "Dessen einzelne Phase die Menschheit nur hier und da in recht empfindlicher Weise spürt, ohne die Zusammenhänge zu ahnen, dessen ganze Größe aber nur dem nachdenklichen Beobachter zu Bewusstsein kommt: Durch Waldverwüstungen sind, (..) die wirtschaftlichen Verhältnisse reicher, großer Länder von Grund auf in ungünstigem Sinn verändert worden. Durch das Verhalten ihrer eigenen Bewohner treiben diese Länder unaufhaltsam dem sicheren wirtschaftlichen Ruin entgegen, soweit nicht ihre Lenker einsichtig, energisch und - selbstlos genug sind, den Waldverwüstungen entgegenzusteuern. Acht Jahre arbeitet Schultze im kolumbianischen Dschungel, macht minutiöse Untersuchungen, und beschreibt nicht weniger als eine ökologische Katastrophe: Arnold Schultze: " Viel Unheil richtet an das Gesetz über die durch Gesuch beantragte Zuteilung von Nationalland (der so genannten "terrenos baldios") an Privatpersonen. Diese Gesetz legt dem Antragsteller die Verpflichtung auf, innerhalb von fünf Jahren zwei Drittel des ihm zugeteilten Landes unter Kultur zu haben. Da aber nur ein ganz geringer Prozentsatz der Landwirte die Mittel besitzt, dieser Verpflichtung nachzukommen, wird in jedem Jahr ein anderes Stück Wald "kultiviert", d. h. durch Feuer und Axt vernichtet, dann in ganz oberflächlicher Weise mit Mais oder Maniok bepflanzt, um es im nächsten Jahre seinem Schicksal zu überlassen. Dieses System der Brandkultur ist ein wahrer Krebsschaden. Die wertvollen Hölzer, unermessliche Werte darstellend, werden verbrannt (..), der Boden wird ausgetrocknet und der Einwirkung der Atmosphärilien ausgeliefert; die Quellen verschwinden...". Autorin: Doch der Appell des Forschers, der Vernichtung Einhalt zu gebieten, verhallt. Er verhallt auch 1937, als sein Aufsatz - zehn Jahre später - in den deutschen "Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg" erscheint. Hanns Zischler: "Meines Wissens ist dieser Aufsatz weder von der kolumbianischen Regierung jemals irgendwie weiter respektiert worden, der hätte ja eigentlich zu großen Veränderungen führen müssen, zumindest in landwirtschaftlicher Hinsicht. Noch ist er - 10 Jahre später - in Deutschland 1937 auf irgendeine Form der Anerkennung gefallen. Denn was hätte man in Deutschland von 1937 mit einem Aufsatz über Zerstörungen in Nordostkolumbien anfangen sollen?" Als sein Text veröffentlicht wird, ist Arnold Schultze längst auf einer fünfjährigen Forschungsreise in Ecuador. Im tropischen Dschungel legt er den Grundstock für die große Pflanzensammlung, die später mit der "Inn" auf den Meeresboden versenkt werden wird. Und wie schon in Afrika und in Kolumbien pflegt er auch in Ecuador seine Leidenschaft für Schmetterlinge. Hanns Zischler: "Schmetterlingssammeln, und wie er es betrieben hat, und das war ja wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit, ist etwas sehr entlastendes. Wenn man sich ansieht, welche Unbill er zu ertragen hatte, im Gelände, die wirkliche Mühsal, sich da wie so ein "Ironman" - der er im Grunde ja gar nicht war - aber sich durch diese unglaublich anstrengenden Dschungelzonen zu bewegen und all das immer noch zu registrieren, festzuhalten, dann ist der Schmetterling das ist so ein Plus, das Surplus des Aufenthaltes. Das ist das Unbeschwerteste, was es überhaupt gibt. Das ist wie eine Gratifikation, das steht mir noch zu, das nehme ich noch mit, in meinem Kescher. Das ist die leichteste Beute und auch die am wenigsten belastende Beute, die mir der Dschungel gibt." Autorin: Mehrere zehntausend Schmetterlinge dürfte Schultze in all den Jahren gesammelt haben, jeder Falter wurde "im Feld" betäubt und dann fein säuberlich in dreieckigen Papiertütchen verpackt. Enthalten sind sie in jenem "Koffer Nr. 41/Trockenmaterial". Es sind Puppen darin, manchmal einzelne Flügel, die in den Tütchen stecken. Manche sind erstaunlich gut erhalten, trotz der langen Wartezeit, manche haben gelitten oder sind zerfallen, hunderte, tausende liegen darin, die Flügel zusammengefaltet, in ihrer "Sterbehaltung". Wenn sie geöffnet werden, wie das Präparatoren des Naturkundemuseums für das Buch über den "Schmetterlingskoffer" mit einigen getan haben, dann entfaltet sich mit den Flügeln ihre Pracht und Schönheit - fast so, als wären sie lebendig. Hanns Zischler: "Dieser Koffer ist er gefüllt mit Wundertüten, in mehrfacher Hinsicht. Es sind kleine Zeitkapseln, aber nicht nur weil es wissenschaftliche Objekte enthält, oder entomologische Exemplare, in den meisten Fällen Schmetterlinge oder auch Puppen - das ist die eine Seite. Die andere Seite dieses Inhalts sind eben die Verpackungen. Alles, was je auf Papier gedruckt werden kann, von militärischen Gestellungsbefehlen, bis zu Verordnungen, bis zu Bilanzen, bis zu Briefausrissen, Zeitungsausrissen, Romanseiten, Werbebroschüren, all das, was irgendwie Papier werden kann, für ein Schmetterlingstütchen, wurde von Schultzenatürlich verwendet, um seine geliebten kleinen Objekte darin zu verstauen." Doch bevor die Schmetterlinge in den Tütchen landeten, mussten sie entdeckt, gejagt, und "erlegt" werden. Arnold Schultze: " Bei etwa drei Vierteln der Höhe war das Leben der Falter am reichsten .Hier fing ich eine wunderbare dunkelblaue Thecla-artige Lycaenide und gänzlich unerwartet - 2 Catasticta-Arten, darunter ein Stück der herrlichsten uricoecheae mit der scharlachroten Oberseite am Hinterflügel. Die Pieriden, die sich durch die lange Behaarung des Thorax als echte Hochgebirgstiere erwiesen, gehören zu den allermerkwürdigsten ihrer Familie. Mit ihrem eigentümlichen halb schwirrenden, halb schwebenden Flug erinnern sie etwas an die Parnassier." Hanns Zischler: "Ein Schmetterlingsammler ist immer einer, wenn er das ernsthaft macht, immer: der Killer. Die Entomologen sind ihrer eigenen Definition nach Killer. Sie sagen, es geht uns nicht um ein Exemplar, es geht uns um viele. Und unter den vielen wollen wir das Schönste haben oder das Interessanteste. Weil nur aufgrund der ungeheuren Verbreitung sehr vieler Insekten, aus der Masse ein wirklich interessantes Individuum herausgefunden werden kann. Das ist der eine Aspekt. Und in dem Moment, wo ich sammle, bin ich natürlich weit über den Stand des bloßen, melancholischen Betrachters hinausgerückt. Jemand, der sammelt, sagt: ich will das haben!" Als die "Inn" 1939 mit allen Sammlungen versenkt wird, war der Verlust für Schultze nicht nur ein wissenschaftlicher, sondern auch ein finanzieller: Hanns Zischler: "Ich vermute, dass Schultze einen Teil seiner großen Sammlung auch verkaufen wollte. Das war damals üblich. Ich erinnere an die Sammlung Staudinger, die 1907, glaub ich, Staudinger war der größte, bedeutsamste Sammler von Schmetterlingen generell und zwar von tropischen, neotropischen Schmetterlingen, der 1907 für eine unfassbar hohe Summe von 300 000 Goldmark verkauft hat. Und es musste dafür - es stand auf der Kippe - ein Sonderhaushalt bewilligt werden, um diese Sammlung überhaupt kaufen zu können. Wobei die Sammlung ungeheuer groß ist, die hat 80 000 Exemplare umfasst. Nur als Beispiel. Das heißt: Im Grunde gibt es auch einen wirtschaftlichen Wert, einen Sammlerwert von bestimmten Schmetterlingen, der in dem Fall von Schultze vielleicht auch eine Rolle gespielt hat." Doch statt nach dem Verlust zu verzweifeln, besinnt sich Arnold Schultze auf seine Fähigkeiten: Der Schmetterlingsforscher zeichnet und malt, seine Bilder werden in Funjal in einer Ausstellung gezeigt, ja, er schafft es 1945 sogar, die versenkte Pflanzensammlung quasi aus dem Kopf wieder auferstehen zu lassen: in seinem Aufsatz über "Pflanzengeographische Beobachtungen" . Hanns Zischler: "Das Einzige, was ihm übrigbleibt, von diesen doch sehr, sehr umfangreichen Sammlungen, ist sein Gedächtnis. Das heißt, er hat eine minutiöse Erinnerung an die Gebiete und die Objekte und den Zusammenhang von Objekten und Gebieten, die für einen Mann seines Schlages wichtig sind. Und er kann das in einem immerhin 50seitigen Aufsatz noch einmal darlegen. Als hätte er - mit einer doch sehr ungewöhnlichen Memotechnik begabt - das letztlich retten können, für die Nachwelt, in der Beschreibung des Regenwaldes." Zwar muss er die materiellen Belege für seine Beobachtungen schuldig bleiben, aber wie schon in den Beschreibungen der kolumbianischen Gebirgswelt, liefert er auch in diesem letzten Text Beschreibungen, die an Alexander von Humboldt, an Carl Ritter oder Jakob Grimm erinnern, weil auch Schultze Landschaft als Teil der Kultur wahrnimmt. Nur manchmal, er die tropischen mit deutschen Landschaften vergleicht, klingt - auch in seinem wissenschaftlichen Text - leise sein Heimweh an: Arnold Schultze: " Bei San Francisco sind die Wiesen durchflossen von dem weiter oberhalb unweit des Ortes im Bergwalde entspringenden Putomayo, dessen kristallklares Wasser in seinem Geröllbett dahinrauscht wie einer der Gebirgsbäche in einer deutschen Mittelgebirgslandschaft oder im Alpenvorland. Die Illusion, als ob man sich in einer solchen nordischen Gegend befände, wird noch erhöht durch die anheimelnde Vegetation der blumigen Wiesen mit Veilchen, Viola Humboldii, gelbem Hahnenfuß, Ranunculus und Weideröschen, von unseren heimischen Epilobium augustifolium kaum zu unterscheiden." Am 22. August 1948 stirbt der Forscher Arnold Schultze auf Madeira. Seine umfangreiche Arbeit, die von ihm bestimmte Schmetterlingssammlung der Afrika- Expedition, seine Aufsätze über die Tier- und Pflanzenwelt in Kamerun, Kolumbien und Ecuador sind im Berliner Naturkundemuseum zu sehen. Arnold Schultzes "Schmetterlingskoffer", den Hanna Zeckau und Hanns Zischler geöffnet haben, er wartet noch auf seine wissenschaftliche Auswertung - der "Koffer 41/Trockenmaterial". 1