COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Die Reportage, 2. Juni 2011 Protest ohne Popstar - im Zentrum des Widerstands der Exil-Tibeter Atmo 1: Mönche singen Gedenklieder/Hupen, Autos Autor 1: Tensenja Sung nimmt eine Handvoll weißer Kerzen aus einem Pappkarton, verteilt sie an die Wartenden um sie herum: Mönche und Nonnen in roten Kutten, mit stoppelkurzem Haar, einfache Tibeter und indische Touristen. Einige halten bereits brennende Kerzen in der Hand. Sie reichen das Feuer weiter. Immer mehr reihen sich in den langen Zug ein, ziehen durch die nächtlichen Gassen von McLeod Ganj den Berg in Richtung Tempel hinunter. Tensenja Sung arbeitet für den Tibetischen Jugendkongress und hat den Protestmarsch heute organisiert. O-Ton 1, Tensenja Sung: Die Situation in Tibet wird jeden Tag schlimmer. Wir haben das Glück im Exil in einem demokratischen Land leben zu dürfen, es ist unsere Pflicht die Stimme derer zu werden, die in Tibet leiden. Englisch: The Condition inside Tibet is getting worse day by day, we are in exile, we are here in a democratic country. So why are we here? We are here as political refugees, so it is our responsibility to become the voice of those who are suffering inside Tibet. Autor 2: McLeod Ganj ist der Sitz des Dalai Lama und damit das Zentrum des Widerstands der Tibeter gegen die chinesische Besatzung ihres Landes. Das kleine Dorf liegt in den Bergen des Himalaya, ganz im Norden Indiens. Etwa 200 Kilometer entfernt von der chinesischen Grenze, hinter der das tibetische Hochland beginnt. Der Protestzug bewegt sich durch die engen Straßen, vorbei an kleinen Läden und Restaurants. Weit verzweigte Gassen und schmale Treppen führen hinab zu den Wohnhäusern, die an die steilen Berghänge gebaut sind. Tensenja Sung entzündet eine der letzten Kerzen, hält die Hand schützend vor die schwache Flamme und reiht sich in den Protestzug ein. Sie trägt einen bodenlangen dunklen Rock, die schwarzen Haare sind akkurat über die Schultern gelegt. Es geschehen schreckliche Dinge in Tibet, sagt sie und die Welt erfährt kaum etwas davon. O-Ton 2, Tensenja Sung: Seit einigen Tagen müssen die Mönche im Kirti-Kloster noch größere Unterdrückung erdulden als sonst; ein Mönch, er heißt Pinso, hat sich aus Protest selber angezündet. Es leben etwa 2500 Mönche in dem Kloster und nichts und niemand darf mehr hinein oder hinaus. Die gesamte Nahrungsversorgung wurde unterbrochen, 300 Mönche wurden bereits eingekerkert und wir haben Informationen, dass noch mehr Mönche eingesperrt werden sollen. Englisch: Since a few days, there have been restrictions in the Amdo Ngaba, Kirti Monastery and there is one monk called Pinso, he immolated himself, he burned himself. So after that there are about 2500 monks in that monastery and we have got information, that the whole monastery has been restricted. No one is allowed to go inside, no one is allowed to go outside, the whole food supply has been stopped and last night 300 monks have been imprisoned and we have information that tonight there are going to be more monks that will be imprisoned. Autor 3: Seit 1959 ist McLeod Ganj der Sitz der tibetischen Exilregierung. Damals sterben über 80.000 Tibeter bei einem Aufstand gegen die Besatzung ihres Landes durch die chinesische Volksarmee. Unzählige Mönche werden festgenommen und hingerichtet, die Klöster geplündert und zerstört. Der Dalai Lama flieht ins indische Exil, wo er rund 1000 Kilometer von Tibets Hauptstadt Lhasa entfernt seinen Sitz in McLeod Ganj aufbaut. Im Laufe der Jahre folgen ihm viele tausend Tibeter. Der Demonstrationszug schlängelt sich langsam hinab zu einem kleinen Platz vor dem Tempel und der Residenz des Dalai Lama. Tensenja Sung schwenkt ihre Kerze hektisch hin und her, ordnet die Protestierenden vor einem provisorischen Podest aus Metallstangen und Zeltplane in Reihen. Auf dem Podest sitzen sechs Mönche und Nonnen. Atmo 2: Singen der Hungerstreikenden Autor 4: Sie wiegen ihre Oberkörper langsam nach vorne und zurück, die Augen halb geschlossen, die Laute formen sie fast ohne die Lippen zu bewegen. Aus Protest gegen die Unterdrückung ihrer Landsleute in Tibet sind sie in Hungerstreik getreten - nicht bis zum Tode, dies hat seine Heiligkeit, der Dalai Lama verboten aber es soll ein Zeichen sein. Mehr und mehr Menschen strömen heran, stehen in dichten Reihen vor dem Podest, die Flammen der Kerzen tauchen den Platz in ein schwaches, flackerndes Licht. Ein Mann in schwarzem Anzug steigt energisch die Stufen des Podests hinauf: Tsewang Ragzin, Präsident des Tibetischen Jugendkongresses. Kurz senkt er den Kopf vor den streikenden Mönchen und Nonnen, dann ergreift er das Mikrofon. O-Ton 3 und Atmo 3: Rede von Tsewang Ragzin auf Tibetisch (Wird dann zu Atmo für nächsten Autorentext) Autor 5: Er berichtet von Pinso, dem Mönch aus dem Kirti-Kloster, der sich aus Protest verbrannt hat und über die Gefahr, in der sich die Mönche des Klosters nun befinden. Doch der Protest soll nicht nur in McLeod Ganj gehört werden. Ragzin gibt das Mikrofon an einen jungen Tibeter neben ihm weiter. Der richtet sich auf Englisch an die Weltgemeinschaft: O-Ton 4: Englische Rede (emotional vorgetragen): Er hat sein wertvolles Leben für Tibets Unabhängigkeit geopfert und während er brannte haben ihn die Chinesen geschlagen bis er Tod war. Außerdem wurde uns gesagt, dass die Chinesen heute Nachmittag um fünf Uhr weitere Busse ins Kirti-Kloster gebracht haben und wir befürchten, dass die Busse heute Nacht mit Mönchen beladen werden um sie wegzubringen, zu foltern und möglicherweise umzubringen. Englisch: He sacrificed his precious life for Tibet's independence and during this time, when he was on fire, the Chinese army beat him up, beat him to death. The report that we got also said, around 5pm today, China has brought in another five busses into Kirti monastery and we fear, that all these busses will be loaded with monks again tonight and be taken away somewhere else to be tortured and possibly executed. Autor 6: Gemeinsam steigen beide Männer die Stufen des Podests hinunter. Auf der anderen Seite des Platzes bauen Mitarbeiter des tibetischen Jugendkongresses unterdessen einen Tisch auf, stellen Laptop und Beamer darauf. Atmo 4: Gräultatenvideo Autor 7: Auf einer Leinwand direkt neben den Hungerstreikenden flimmern jetzt verwackelte Bilder von chinesischen Sicherheitsleuten, die mit Schlagstöcken auf eine Gruppe von Mönchen einprügeln. Einige stürzen, werden weiter geschlagen. Als nächstes: Bilder von Folteropfern, blutige Gesichter, zerschnitten Arme, offen liegende Gedärme. Und immer wieder Bilder tibetische Protestzüge. Nach einigen Minuten ist der Film zu Ende. Atmo 5: Autos, Stimmen bei Auflösung der nächtlichen Demonstration Autor 8: Penba, eine junge Frau mit Basecap, legerem T-Shirt und Jeans sitzt zwischen den anderen Demonstranten vor der Leinwand. Sie stellt ihre Kerze in einem weißen Plastikbecher vor sich auf den Boden. Unbeweglich schaut sie in die Flamme, dreht mit der rechten Hand den Becher monoton im Kreis. Sie lebt seit 1984 in McLeod Ganj. Ihre Eltern in Tibet hat sie seit dem genau einmal gesehen. O-Ton 5 Penba: Ich habe meine Eltern das letzte Mal 2007 gesehen. China wollte der Welt wegen der olympischen Spiele zeigen, dass sie uns erlauben nach Tibet zu reisen. Seit dem habe ich meine Eltern nie wieder gesehen. Englisch: I have met my parents last time in 2007. 2007 I went to Tibet that's only because the Olympic Games were held in China and the Chinese wanted to show the people of the world that they allow the people to travel to china for a visit. That's why I got a chance to go to Tibet. Since then I never met my parents, 2007 is the last time I met my parents. Autor 9: Die olympischen Spiele in Peking im Sommer 2008 bringen für Penba wie für viele andere Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage. Doch diese wird bitter enttäuscht. Als die Tibeter einen Aufstand wagen - ist das der Beginn noch härterer Repressalien. Überall in den Autonomiegebieten Polizei und Armee - Überwachungskameras sogar in den Tempeln. Die Situation wird immer schlimmer, sagt Tsewang Ragzin, der jetzt zwischen den anderen Demonstranten direkt neben Penba steht. O-Ton 6 Tsewang Ragzin: Seit dem historischen Aufstand 2008 greift China noch drastischer durch. Es gibt keine Meinungsfreiheit, keine Religionsfreiheit, schlicht keine Grundrechte. Zurzeit haben wir eine der schlimmsten Situationen überhaut. Englisch: After 2008 when there was historic uprising all over Tibet, China has really restricted freedom of movement, freedom of expression, freedom of religion, the basic fundamental rights. So because of that the situation is getting worse now and we have the current situation, and you now, this is one of the worst situations. Atmo 6: Singen der Hungerstreikenden setzt wieder ein (Fortsetzung von Atmo 2) Autor 10: Und gerade jetzt, fügt er hinzu, wird der Dalai Lama die politische Führung abgeben. O-Ton 7: Tsewang Ragzin: Natürlich kommen viele Herausforderungen auf uns zu, keine Frage; aber wir müssen befolgen was seine Heiligkeit sagt und er will wirkliche Demokratie für die Tibeter und wir respektieren das. Kein Zweifel es wird schwierig, aber wir müssen die Herausforderungen annehmen. Englisch: Of course we will face so many challenges, there is no question about that, but you know, we have to follow what his holiness said, that he wants true democracy for the Tibetan people and we all respect that and we have to follow through on this. No doubt, we will face so many challenges, but we will have to face these challenges! Autor 11: Tsewang Ragzin streicht den schwarzen Anzug glatt und lockert die Krawatte ein wenig. Der politische Rückzug des Dalai Lama ist ein Einschnitt für die Tibeter. Aber wir sind gut aufgestellt, sagt er selbstbewusst. Als Präsident des Tibetischen Jugendkongresses sieht er täglich viele junge Menschen, die sich weltweit für die Freiheit Tibets einsetzen. O-Ton 8: Tsewang Ragzin: Hier ist die Zentrale unserer Organisation, aber wir haben 87 regionale Büros in der ganzen Welt. Vor allem hier in Indien, in Nepal, Buthan oder in anderen Teilen Asiens, in Nordamerika und in Europa. Insgesamt haben wir 35.000 Mitglieder und ja, wir werden stärker. Englisch: We are the headquarter of this organization. We have 87 regional chapters all over the world. Mostly here in India, Nepal, Bhutan, other parts of Asia, North America, Europe and then we have over 35.000 members. Yes, we are getting stronger. Atmo 7: Ausblenden von Atmo 6, dann Vogelgezwitscher vor der Residenz Autor 12: Die Residenz des Dalai Lama liegt in der hellen Morgensonne. Einige indische Touristen fotografieren das gelb gestrichene Gebäude, das gelbe Vordach und das weiße Tor am Eingang. Der Popstar der Tibeter wohnt in einem schlichten, unauffälligen Gebäude, der größte Teil des Areals ist für den Tempel reserviert und für Besucher geöffnet. Vom Vorplatz führt eine breite Treppe hinauf in das Innere des Tempels. Atmo 8: Im Tempel, Stimmen im oberen Stockwerk Autor 13: Drinnen, auf einer Bank, sitzt Gendön, ein junger Mönch. Gebetet hat er bereits am Morgen, nun ist er hier, um Englisch zu lernen - mit Sarah, einer jungen Amerikanerin. Sie kommt 2007 zum ersten Mal nach McLeod Ganj, seit dem immer wieder. ((O-Ton 9, Sarah Richardson: Ich bin aus mehreren Gründen hier. Zum einen um tibetischen Buddhismus zu studieren, es gibt mehrfach täglich Kurse und viele andere Möglichkeiten. Und ich bin als Freiwillige hier, um den tibetischen Flüchtlingen Englisch und Computerkenntnisse beizubringen. Englisch: I am here for a couple of reasons. One, to study Buddhism, Tibetan Buddhism since this is the place for it, and there are so many teachings happening multiple times a day, many opportunities for that. And I am also here to volunteer, so I am volunteering with an organization that works with Tibetan refugees and also the local community. We are teaching English and computer skills and things like that.)) Autor 14: Viel Englisch kann Gendön noch nicht. Doch er will es lernen. Auch, um sich überall auf der Welt für Tibet einsetzen zu können. Der Mönch schlägt die Beine übereinander und stützt seinen Ellenbogen auf den Oberschenkel. Ich habe nichts gegen Chinesen, sagt er, kann mir sogar vorstellen, gemeinsam mit ihnen zu leben. Unter einer Bedingung. O-Ton 10, Gendön: Wir wollen Freiheit und wir wollen unsere Kultur retten. Wenn wir in Freiheit leben können, dann können wir auch mit China auskommen. Aber in Tibet gibt es keine Freiheit und wir können unsere Kultur nicht bewahren. Englisch: We want freedom, we want to save our culture. If we have freedom, we can stay with china. But in Tibet we don't have freedom of speech, we can't save our culture. Autor 15: Direkt neben der Bank, auf der Gendön sitzt, ist eine Tür. Sie führt in einen kleinen Raum, der von allen Seiten verglast ist. Durch die Scheiben flackert das Licht hunderter kleiner Lampen. Atmo 9: Ganz leise Stimmen aus dem Tempel, es ist sehr still im Raum. Drinnen legen einige Nonnen kurze Dochte in metallenen Schalen, gießen ein spezielles Öl darüber und zünden den Docht an. Penba, die junge Frau mit Basecap, betritt mit andächtigen Schritten den kleinen Raum. Stellt ihre Handtasche ab, nickt kurz den Nonnen zu und zündet eine der Kerzen an. Die ist für ihren Vater. O-Ton 11, Penba: Er ist vor einer Woche gestorben. Wenn jemand stirbt, dann opfern wir Lichter und wir rezitieren Mantras, um seinem Bewusstsein zu helfen. Das Licht hilft dem Bewusstsein. Englisch: He passed away one week ago. When someone passes away, we offer butter lamps and we utter a mantra to help his consciousness. A butter lamp is a light and this light will help to that consciousness. Autor 16: Sie legt einen weiteren Docht in eine Metallschale, gießt Öl darüber und zündet ihn an. Gerne würde Penba die Lichter mit ihrer Familie in Tibet anzünden, doch das geht nun mal nicht, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Hass auf die Chinesen verspürt sie trotz allem nicht, nur auf die kommunistische Führung in Peking. O-Ton 12, Penba: Seine Heiligkeit, der Dalai Lama, sagt dass alle Menschen gleich sind. Ich glaube nicht, dass zum Beispiel die Chinesen, die hier ein Restaurant betreiben ein Problem darstellen. Wir machen keinen Unterschied zwischen Chinesen, Indern und anderen Ausländern. Alle sind gleich. Englisch: His Holiness always stated, that everyone is equal. I don't think that all the Chinese, those who are running a restaurant, I don't think that there is a problem with them because we never distinguish, whether there is Chinese whether there is a foreign, whether there is an Indian, everyone is equal. Atmo 10: Ausklingen von Atmo 9, dann leise Menschenstimmen und Meditationsgesänge der Hungerstreikenden von draußen Autor 17: An der Rückseite des Tempels liegt das Institut buddhistischer Dialektik. Kalsung Wangmo rückt ihren roten Umhang zurecht und lässt sich im Schneidersitz auf einem großen Kissen auf dem Boden nieder. Kalsung Wangmo heißt eigentlich Kerstin Brummenbaum und kommt aus der Nähe von Bonn, ihr buddhistischer Lehrer hat ihr den tibetischen Namen gegeben. O-Ton 13, Kalsung Wangmo: Ich bin vor 20 Jahren, direkt nach dem Abi nach Dharamsala gekommen. Ich hatte vom Dalai Lama gehört, von der Exilgemeinschaft hier und bin dann doch länger geblieben als geplant und hab mich dann hier mit dem Buddhismus beschäftigt. Es gibt hier Kurse, man kann Meditationen besuchen, also es gibt hier sehr viel. Da hab ich dran teilgenommen und dann ist mein Interesse stärker geworden, bis ich dann nach einigen Monaten überlegt habe Nonne zu werden. Autor 18: Die schlanke Frau hat ihre Haare stoppelkurz geschoren, wie alle anderen Mönche und Nonnen, sie trägt eine unauffällige runde Brille. In den vielen Studienjahren in McLeod Ganj, erarbeitet sie sich Respekt am Institut. Und noch mehr: Als erste und bislang einzige Frau weltweit erhält sie den buddhistischen Gelehrtentitel und graduiert zur Geshe. Sie steht auf und geht zum Kopfende des Raumes, wo ein kleiner Altar aufgebaut ist. Dahinter stehen in hohen Regalen alte Bücher und Schriften. O-Ton 14, Kalsung Wangmo: Das Studium wird als sehr wichtig angesehen, weil alles was Buddha selber gelehrt hat sollte man nicht akzeptieren, sondern es durchleuchten, also selber analysieren und selber zu einer eigenen Überzeugung kommen oder nicht, es kommt dann drauf an miteinander zu debattieren, also jeden Tag. Es immer wieder durchkauen so dass man ein gutes Verständnis bekommt und dann ist man eher in der Lage wirklich zu meditieren. Autor 19: Das Institut buddhistischer Dialektik ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Exiltibeter. 1973 wird es durch den Mönch Lobsang Gyatso gegründet. Heute ist es ein weltweit bekanntes Zentrum des tibetischen Buddhismus. Kalsung Wangmo geht langsam an der Bücherwand entlang, nimmt dann ihre Tasche und geht ins Nebenzimmer. Dort sitzt ein Mönch auf einem Kissen und guckt Fernsehen. Einen Spielfilm - auf Chinesisch. Vor ihm ein Tablett mit Brot und Suppe. Atmo 10: Chinesischer Film, dann Film leiser, darüber Gespräch von Wangmo und tibetischen Mönch auf Tibetisch (kurz stehen lassen) Autor 20: Kalsung Wangmo unterhält sich kurz mit ihm, auf tibetisch. Ohne die Sprache ist ein Studium hier nicht möglich, sagt sie. Und will dann doch noch schnell erklären, warum Mönche auch Fernsehen dürfen ... O-Ton 15, Kalsung Wangmo: Also eigentlich ist dies hier ein Klassenraum, hier ist die Tafel, da ist ein Sitz für den Lehrer und an Sonntagen dürfen die Mönche hier Fernsehen gucken. Zum Beispiel Nachrichtensendungen oder Sendungen um ihr Chinesisch oder Englisch zu verbessern, Dokumentationen und so weiter oder Fußballspiele oder Cricketspiele, das dürfen sie sich also anschauen. Als Entertainment, als Unterhaltung. Autor 21: In ihrer Heimat Tibet herrscht trotz wirtschaftlicher Fortschritte - ein Klima der Angst. Dennoch wollen die meisten Mönche und Nonnen irgendwann nach Tibet zurückkehren. Offizielle Amtssprache dort ist allerdings Chinesisch. Wer etwas bewegen will, sagt Kalsung Wangmo, muss mit den Besatzern sprechen können. Atmo 12: Bälle, Sportunterricht (zusätzliche Atmo möglich, Kinder schreien 1,2,3,4 etc. wäre möglich), sobald Sonam Samkhar langsam weg läuft, Atmo leiser. Autor 22: Weiter oben, in den Bergen, einige Kilometer von McLeod Ganj entfernt, liegt das tibetische Internat. Die Schüler der sechsten Klasse haben Sportunterricht. Auf dem großen Schulhof tummeln sich etwa 40 Kinder, die Mädchen werfen den Ball hin und her, die Jungen versuchen mit besonders spektakulären Korbwürfen Mönche und Mädchen zu beeindrucken. Oberhalb des Sportplatzes steht das Verwaltungsgebäude. Sonam Samkhar ist seit acht Jahren Direktorin der Schule. Bedächtig schreitet die rundliche Frau die Treppen zum Schulhof hinab. O-Ton 16, Sonam Samkhar: Mindestens 80% der Schüler sind aus Tibet. Sie sind gekommen, um in Sicherheit zu sein und um die tibetische Kultur und Sprache zu lernen. Die meisten Eltern lassen ihre Kinder hier und gehen zurück nach Tibet, da sie nicht in Indien bleiben dürfen. Einige lassen sich auch hier nieder. Englisch: At least 80% of the students here are from Tibet and they have come from Tibet and they have come from Tibet to get a better education and to be save and to learn Tibetan culture and Tibetan language. Most of the parents leave their children here and go back because they don't have permission to stay in India but some of them have settled in India. Autor 22: Ziel der Schule ist es, den Kindern eine tibetische Ausbildung zu bieten. In Tibet selber ist dies kaum noch möglich. Die kommunistische Staatsführung in Peking will den Widerstand Tibets langfristig durch Umerziehungsprogramme brechen. Sonam Samkhar dreht sich um, geht langsam die etwa 100 Meter zum Gebäude der Unterstufe. O-Ton 17, Sonam Samkhar: Die Ausbildung, die die Kinder in Tibet bekommen ist vollkommen chinesisch orientiert. Viele dürfen die tibetische Sprache und Kultur nicht lernen, ganz zu schweigen von der Religion. Die Ausbildung hier ist dagegen tibetisch, wir wollen verhindern, dass die Kinder ihre tibetische Identität verlieren. Englisch: The education they get in Tibet is fully Chinese orientated. Many of them are not allowed to learn Tibetan language and Tibetan culture and all that, leave alone religion. The education they get here is tibetanised, we don't want them to lose Tibetan identity. So we try to teach them all the Tibetan elements. Atmo 13: Im Klassenzimmer, Kinder singen tibetisches Lied Autor 23: Die Kinder der dritten Klasse stehen hinter ihren grünen Bänken, singen so laut sie können ein tibetisches Lied. Sie tragen eine dunkelblaue Stoffhosen, ein hellblaues Hemd und einen grünen Pullunder mit dem Zeichen der Schule darauf. Die Direktorin lehnt an der Eingangstür und beobachtet die Kinder mit wohlwollendem Lächeln. O-Ton 18, Sonam Samkhar: Bis zur achten Klasse lehren wir so viel Tibetisches wie möglich: tibetische Geschichte zum Beispiel oder tibetische Kultur. Von der neunten bis zur zwölften Klasse folgen wir dem Lehrplan für die indischen Abschlussprüfungen. Englisch: Up to class eight we try to put in as much Tibetan elements as possible: Tibetan history, Tibetan culture all that. From nine to twelve we follow the Indian board examination, so we follow their syllabus. Autor 24: Nach dem Singen steht Englisch auf dem Stundenplan. Atmo 14: Kinder sprechen Englische Wörter nach. Wenn Direktorin den Raum verlässt, Atmo etwas leiser. Autor 25: Die Direktorin tritt über die Schwelle des Klassenzimmers ins Freie, blickt ins Tal hinab. Auf den Häusern wehen unzählige tibetische Gebetsfahnen, kleine Rechtecke in rot, grün, gelb und blau, die an langen Schnüren über die Dächer gespannt sind. Das Internat bietet ein breites Angebot auch über den Unterricht hinaus. Sogar ein Altenheim für ehemalige Lehrer gibt es. Ein Provisorium, betont Sonam Samkhar - auch sie möchte nicht für immer im Exil bleiben. O-Ton 19, Sonam Samkhar: Auf keinen Fall, wir haben uns hier nicht dauerhaft niedergelassen und wir gehen auf jeden Fall zurück in unser Land. Wenn wir wirklich bleiben wollten hätten wir uns um die indische Staatsbürgerschaft beworben, aber kaum jemand hat dies getan. Wir wollen zurück, auf jeden Fall! Englisch: No, no, we are not settled here, we are definitely going back to our country and we are hoping and we are trying to work towards that end. If we wanted to settle down here, we would all have applied for Indian citizenship, but none of us have, except just few. We want to go back, definitely! Autor 26: Während die kleinen weiter Englisch lernen, sammeln sich die älteren Schüler und Schülerinnen auf dem Sportplatz. Auch sie tragen die Uniform des Internats, einige haben den grünen Pullunder um die Hüfte gebunden. Dann machen sie sich geschlossen auf den Weg den Berg hinunter nach McLeod Ganj. Heute hat die tibetische Frauenorganisation zum Protest aufgerufen. Treffpunkt ist wieder der Platz vor dem Tempel und der Residenz des Dalai Lama. Atmo 16: Musik im Institut für darstellende Künste (vor O-Ton 20, kurz den einsetzenden Gesang freistehen lassen) Autor 28: Auf halber Strecke liegt das tibetische Institut für darstellende Künste. Samtend Hondup [Samten Döndup], der künstlerische Leiter des Instituts sitzt in der dritten Reihe eines großen leeren Theatersaals. Der Raum ist verdunkelt, nur die Bühne ist hell erleuchtet. Er blickt hinauf, wo zwei junge Tibeter Gitarren mit langen Griffbrettern und kleinen Klangkörpern spielen und melancholisch den Oberkörper hin und her wiegen. O-Ton 20 des künstlerischen Leiters: Das ist eine typische tibetische Gitarre wie sie von Tibetern gemacht und gespielt wird. In der heutigen Aufführung sind unzählige Tänze wie der "Cham [Tscham] Dance", wir versuchen den Zuschauern zu zeigen wie Tänze aus Klöstern aussehen, wir zeigen eine kleine tibetische Oper und die Volkstänze der verschiedenen Regionen und dann zeigen wir noch einige klassische Musikstücke. Englisch: This is called "drumie", this is the typical Tibetan guitar, which is made by Tibetans and played by Tibetans. And regarding today's performance, there is such a huge variety like the cham dance, we are including the monastery dance we just want people to get a taste of how monastery dance looks like and there is a small piece of Tibetan opera and the folk dances of the different regions and then there are some classical songs and some classical music also. Autor 29: Das Kulturzentrum ist eines der ersten Institute, dass der Dalai Lama nach seiner Ankunft 1959 ins Leben ruft. Bis heute verstehen sich die Mitarbeiter und Studenten als Bewahrer der tibetischen Kultur. Ziel des Instituts ist jedoch nicht nur die alten Traditionen Tibets aufrecht zu erhalten, meint Samtend Hondup [Samten Döndup], während er konzentriert seine Studenten auf der Bühne beobachtet. Auch neuere Musikstile, die vor allem in der tibetischen Hauptstadt Lhasa beliebt sind werden unterrichtet. Atmo 17: Erst Stimmen, dann zweite Darbietung mit Musik (Musik steht kurz frei vor O-Ton 21) Autor 30: Der künstlerische Leiter steht auf, hebt den Arm, geht mit schnellen Schritten den Mittelgang bis zur Bühne nach vorne. Eine Gruppe indischer und amerikanischer Wissenschaftler und Tibet-Liebhaber hat sich für den Abend angekündigt. Samtend Hondup [Samten Döndup] möchte die tibetische Kultur und sein Institut fehlerfrei präsentieren und hat noch einige Kritikpunkte. O-Ton 21, Künstlerischer Leiter: Wir trainieren die Studenten drei Jahre lang. Jetzt sind sie Junior-Künstler und können die Volkstänze der verschiedenen Regionen auf der Bühne präsentieren. Englisch: Those are the students who we are training for three years and now they are junior artists and now they are on stage to perform the different folk dances from the different regions of Tibet and that is the performance that they are making today. Autor 31: Sechs Frauen und sechs Männer stehen sich in Reihen gegenüber, gehen aufeinander zu und ziehen sich wieder zurück. Die Frauen lassen ihre Hände über dem Kopf kreisen, die Männer stampfen immer wieder mit den Füßen auf den Boden. Doch das Institut hat nicht nur den Auftrag die tibetische Kultur zu bewahren. Es ist, wie alles in McLeod Ganj, auch dem Kampf um das verlorene Land verpflichtet. Immer wieder gehen Kompanien des Instituts in tibetische Flüchtlingslager um mit ihren Aufführungen die Erinnerung an Zuhause wach zu halten und den Glauben der Menschen zu stärken, eines Tages tibetische Kultur wieder in Tibet leben zu dürfen. Samtend Hundup hat heute keine Zeit, wie die Schüler zur Demonstration zu gehen. Er probt weiter für die Aufführung am Abend. Atmo 18: Hungerstreikende Autor 32: Noch immer wiegen die Mönche und Nonnen im Hungerstreik ihre Körper bedächtig vor und zurück, rezitieren tibetische Meditationsgesänge. Vor dem Podest ziehen die Schüler des tibetischen Internats in ihren blauen Hosen und grünen Pullundern vorbei, hinein in den Tempel. Atmo 19: Während Beschreibung Übergang zur Atmo Schüler im Tempel Autor 33: Drinnen angekommen setzen sie sich in langen Reihen nebeneinander auf den Boden. Sie strecken Schilder in die Luft auf denen sie Freiheit für die Mönche des Kirti-Klosters fordern und natürlich Freiheit für Tibet - ein Land, in dem viele von ihnen noch nie in ihrem Leben waren. Dadim Schalin, eine kleine Frau mit pechschwarzen, schulterlangen Haaren, steht auf einer Bühne und blickt über die Menschenmenge. Der Andrang ist groß. Mönche, Nonnen, Tibeter aller gesellschaftlichen Gruppen sind da. Und dennoch: in die internationalen Nachrichten schafft es der Protest der letzten Tage nur mit einer kleinen Meldung. O-Ton 22, Dadim Schalin: Es gibt ein kleines Programm hier, dann marschieren wir zwei Stunden lang den Berg hinunter und dort wird eine abschließende Zeremonie abgehalten. Englisch: There is a small program here, then we march down for two hours and there is another concluding ceremony out there. Autor 34: Immer mehr Menschen strömen in die offene Halle zwischen Residenz und Tempel. Dadim Schalin steigt die beiden Stufen vom Podest hinunter, geht hinüber zu den anderen Organisatorinnen der Demonstration. Wir müssen gemeinsam noch lauter protestieren, um uns weltweit Gehör zu verschaffen, sagt sie. O-Ton 23, Dadim Schalin: In der vergangenen Woche hat China die Sicherheitspräsenz enorm verstärkt. Wir haben Berichte über Tote, über Verwundete - die Situation ist an einem Siedepunkt angelangt. Dieser Marsch soll die Solidarität mit den Menschen in Tibet zeigen. Wir appellieren an die internationale Gemeinschaft, an Menschenrechtsorganisationen, an die Regierungen auf der ganzen Welt die Stimme für Tibet zu erheben und der chinesischen Regierung zu sagen, dass sie die Besatzung Tibets beenden soll. Englisch: In the last week we saw a heavy presence of armed security forces. There have been reports of dead cases, of injuries that local people have sustained and now things have really reached to a boiling point. So this march is symbolically to show solidarity to the people inside Tibet and particularly raising a voice to the global community, to the human rights organizations, to the governments around the world to speak on behalf of Tibet and to tell the Chinese government to stop the siege of Tibet. Autor 35: Der ständige Kampf um Aufmerksamkeit kostet viel Kraft, sagt Dadim Schalin. Und erscheint manchmal aussichtslos. Dennoch will sie wie so viele andere in McLeod Ganj weiter kämpfen. Ob nun mit oder ohne den Dalai Lama. Dadim Schalin blickt hinüber zu seiner Residenz. Solange er noch hier ist, hat die chinesische Regierung einen weltweit bekannten Gegenspieler. Und danach? Die junge Frau zuckt mit den Schultern, deutet dann mit der rechten Hand auf die vielen Menschen um sie herum. Wir werden weiter machen, sagt sie. ENDE 1