Manuskript Kultur und Gesellschaft Reihe : Zeitreisen Titel : Galilei reloaded Ein Kirchenprozess und kein Ende Autor : Scanzano, Pietro Redakteur : Jana Wuttke Sendung : 08. Dezember 2010 / 19:30 Uhr Regie : Beate Ziegs Besetzung : Mellies, Otto, Schnitzler, Barbara, Condrus, Wolfgang Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 MUSIK/GRUNDTON O. Ä. ZITATOR/GALILEI Ich, Galileo Galilei, Sohn des verstorbenen Vincenzio Galilei aus Florenz, meines Alters 70 Jahre, persönlich vor Gericht erschienen und vor Euch kniend, hochwür- digste Herren Kardinäle Generalinquisitoren in der gesamten Christenheit wider die ketzerische Verderbnis, habe mich der Ketzerei heftig verdächtig gemacht, weil ich die falsche und der heiligen Schrift widersprechende Meinung des Kopernikus für wahr gehalten habe, daß die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege. Und da ich aus dem Geiste Eurer Eminenzen und eines jeglichen getreuen Chri- sten diesen heftigen Verdacht tilgen will, schwöre ich aufrichtigen Herzens und un- geheuchelten Glaubens ab, verfluche und verabscheue die oben genannten Irrtümer und Ketzereien. Und ich schwöre, künftig niemals wieder in Wort oder Schrift Dinge zu sagen noch zu behaupten, für welche ähnlicher Verdacht gegen mich erschöpft werden könnte. So wahr mir Gott helfe und diese seine heiligen Evangelien, die ich mit meinen Händen berühre. Zu Rom, im Kloster der Minerva, an diesem 22. Juni 1633. GRUNDTON AUS ERZÄHLERIN Am 22. Juni 1633 verurteilte das Tribunal der Inquisition den in ganz Europa berühmten Mathematiker und Astronomen Galileo Galilei, weil er behauptet hatte, daß die Erde sich bewege, und die Bibel keine wissenschaftliche Autorität sei. Galilei mußte zur Strafe seine Überzeugungen abschwören. Neun Jahre lang, bis zu seinem Tod 1642, stand er unter Hausarrest. Er erhielt Lehr- und Veröffentli- chungsverbot; seine Werke wurden auf den Index gesetzt. Es ist der berühmteste Fall von Zensur. MUSIK ERZÄHLERIN 24 Jahre zuvor, im Herbst 1609, hatte Galilei, damals Professor der Mathematik an der Universität Padua, ein von ihm entwickeltes, Fernrohr genanntes Instrument gen Himmel gerichtet. Und damit Berge auf dem Mond entdeckt, und Vieles noch, was die damalige Auffassung des Universums in Frage stellte. O-TON 01 BELLONE Trova che quelle che allora chiamavano nebulæ erano in realtà ammassi di stelle. Scopre che la Via Lattea è una congerie sterminata di stelle che sembrano gettate a caso... E il 7 di gennaio 1610, abbiamo il suo appunto, osserva Giove. E vede molte cosa attorno a Giove. Ma è incuriosito dal fatto che vede attorno a Giove su un segmento di retta tre puntini luminosi. Che lui chiama stelle fisse. Il giorno 8 ci riguarda, e vede che la posizione di Giove e delle tre stelle è cambiata. SPRECHER Galilei entdeckt, daß das, was man damals nebulæ nannte, in Wirklichkeit Stern- anhäufungen sind; daß die Milchstraße aus zahllosen, anscheinend zufällig hingeworfenen Sternen besteht. Und am 7. Januar 1610, wir haben seine Auf- zeichnung, beobachtet er den Jupiter. Und er ist verwundert, um den Jupiter drei kleine aneinandergereihte Lichtpunkte zu sehen, die er Fixsterne nennt. Am 8. schaut er noch einmal hin - und findet den Jupiter und die drei Sterne in einer anderen Anordnung vor. ERZÄHLERIN Der Galilei-Forscher Enrico Bellone. O-TON 02 BELLONE Allora valuta, con le tabelle astronomiche, come si è mosso Giove, per lasciarsi tutte le stelline da una parte. E trova, semplicemente, che le tavole astronomiche non spiegano ciò che sta osservando. Incuriosito ancor di più, il giorno 9 ci riguarda, ma ci sono le nuvole... Dal 10 in poi comincia l'esplorazione sistematica tutte le notti, e trova che le quattro stelline non sono stelle. E capisce che sono satelliti attorno a Giove. E cosí comincia l'era moderna. Perché ha spalancato una finestra meravigliosa sull'universo, ed ha distrutto secoli e secoli di punti di vista sull'astronomia. SPRECHER Also versucht er, anhand von astronomischen Tafeln herauszufinden, wie sich der Jupiter bewegt haben mag. Und er findet, daß die Tafeln seine Beobachtungen nicht erklären. Umso neugieriger schaut er also am 9. wieder hin, aber der Himmel ist von Wolken überzogen: er kann nichts sehen. Vom 10. an setzt er Nacht für Nacht seine Beobachtungen systematisch, ja besessen fort. Er entdeckt, daß die vier Sternchen gar keine Sterne sind. Und erkennt, daß sie eigentlich Monde des Jupiter sind. Also beginnt das moderne Zeitalter. Denn er hat ein wunderbares Fenster zum Universum aufgerissen und damit Jahrhunderte astronomischen Wissens zerstört. ERZÄHLERIN Was Galilei mit seinem Fernrohr beobachtet, überzeugt ihn von der Richtigkeit der Lehre des deutsch-polnischen Astronomen Nikolaus Kopernikus: daß die Erde sich um die Sonne dreht - und nicht umgekehrt, wie die ganze Welt damals glaubte. Galilei tauft die vier Jupitermonde auf den Namen Mediceische Gestirne: er will die Gunst der mächtigen florentinischen Familie der Medicis erlangen, der Großher- zöge von Toskana. Schon im März 1610 verkündet er die Resultate seiner Beob- achtungen in einem kleinen Buch, das als erstes Beispiel moderner wissenschaftli- cher Publizistik gilt. Sein Titel: Sidereus Nuncius - die Sternen- oder Astronomi- sche Botschaft. Doch so leicht vom neuen Weltbild zu überzeugen war die gelehrte Welt nicht. ZITATOR/GALILEI An den hochgelehrten Herrn, den Kaiserlichen Mathematikus Johannes Kepler in Prag. Diese Leute, die Peripatetiker, meinen, die Philosophie sei ein Buch wie die Æneis oder die Odyssee, und die Wahrheit sei nicht in der Welt oder in der Natur, sondern, wie sie selbst sagen, in der Vergleichung der Texte zu suchen. Wie würdest Du lachen, wenn Du hörtest, was von dem Ersten Philosophen der Uni- versität zu Pisa gegen mich vorgebracht wurde! Als hätte ich die Mediceischen Sterne mit eigenen Händen an den Himmel gesetzt, um die Natur aus dem Gleichgewicht zu bringen und die Wissenschaften über den Haufen zu werfen... O-TON 05 BELLONE Dopo di lui la nostra immagine della natura non sono piú state quelle che erano state per migliaia di anni. Ma con una clausola in piú. E la clausola di Galileo è questa: tutto ciò che accade nella scienza è passibile di falsificazione e di ulteriori cambiamenti. E quindi entra ovviamente in conflitto con chi invece ritiene di possedere delle verità che sono eterne, non passibili di critica. Quindi il conflitto era a questo punto inevitabile. SPRECHER Nach Galilei wurde unser Bild von der Natur nicht mehr das, was es für Tausende von Jahren gewesen war. Mit einer zusätzlichen Klausel, und zwar, daß die Aussagen der Wissenschaft verbesserungsfähig sind - und somit der Falsifizierung unterworfen. Also tritt er natürlich mit denjenigen in Konflikt, die wie die Kirche hingegen meinen, ewige Wahrheiten zu besitzen, die jenseits aller Kritik gültig sind. Von da an war der Konflikt also unvermeidbar. GRUNDTON ERZÄHLERIN In der Bibel steht: "Die Sonne geht auf an einem Ende des Himmels und läuft um bis wieder an sein Ende." Und an anderer Stelle: "Damals redete Josua, "Sonne, stehe still zu Gibeon, und Mond, im Tal Ajalon!"" Für die Kirche ist damit der Fall klar: wenn man den Lauf der Sonne aufhalten kann, dann ist sie es, die sich um die Erde bewegt, und nicht umgekehrt. GRUNDTON aus O-TON 06 TITZMANN Der Konflikt, um den es geht, ist also der zwischen dem biblischen Weltmodell - einem eindeutig geozentrischen Weltmodell - und dem neuen kopernikanischen Weltmodell. ERZÄHLERIN Der Kulturwissenschaftler Michael Titzmann. WEITER O-TON 06 TITZMANN Also gibt es in dem Augenblick, wo Galilei ja durchaus aggressiv das neue kopernikanische Weltmodell vertritt, ein ideologisches Problem. Das führt dann dazu, daß er von diversen Florentiner Dominikanern im Jahre 1614-1615 angegriffen wird; 1615 denunziert ihn Lorini bei der Inquisition. O-TON 07 PESCE Il copernicanesimo poneva alla teologia problemi fondamentali. Il primo è quello della verità delle affermazioni della Bibbia. In quell'epoca sia i protestanti che i cattolici affermavano la verità assoluta della Bibbia. I cattolici per di piú sostengono che soltanto il ceto ecclesiastico, in quanto ispirato da dio, in quanto depositario di una missione voluta da dio, è l'autentico interprete dell'interpretazione della Bibbia. SPRECHER Der Kopernikanismus stellte die Theologie vor grundsätzliche Probleme. Das erste betrifft die Wahrheit der Aussagen der Bibel. Damals behaupteten sowohl die Protestanten als auch die Katholiken die absolute Wahrheit der Bibel. Die Katholi- ken behaupteten außerdem, daß allein die Geistlichkeit, als der von Gott inspirierte Stand, befugt sei, über die Interpretation der Bibel zu entscheiden. ERZÄHLERIN Der Bibelforscher Mauro Pesce. O-TON 08 PESCE Quindi il primo problema è quello di sapere se veramente la Bibbia è vera in senso assoluto, posto che il copernicanesimo necessariamente poneva in questione alcune affermazioni della Bibbia relative alla mobilità del sole: Il sole non si muoveva piú da oriente a occidente, e la terra non si situava piú al centro dell' universo. SPRECHER Das erste Problem war also zu entscheiden, ob die Bibel absolut wahr sei, denn der Kopernikanismus stellte manche ihrer Behauptung in Frage: Daß sich die Sonne eben nicht von Ost nach West bewege, und die Erde nicht mehr in der Mitte des Alls stehe. O-TON 09 TITZMANN Galilei hatte nun natürlich das Problem, daß er - um den Kopernikanismus mit der Bibel irgendwie kompatibel zu machen - die Bibel selbst interpretieren mußte. Und er hatte sich dabei, ob er wollte oder nicht, gewissermaßen in das Geschäft, das die Theologie für sich reserviert hatte, eingemischt. ERZÄHLERIN Der Kulturwissenschaftler Michael Titzmann. O-TON 10 TITZMANN Es war also klar, daß es hier um einen potentiell fundamentalen ideologischen Konflikt geht: Dürfen Nicht-Theologen die heiligen Texte so interpretieren, daß sie mit neuen Wissensbehauptungen vereinbar werden, oder nicht? O-TON 11 PESCE Un secondo problema, forse ancora piú importante di questo, è che il coperni- canesimo veniva a mettere in discussione non soltanto il sistema tolemaico abbracciato nella università di allora, ma poneva in questione la visione cosmolo- gica di tutto il mondo antico. Per il quale dio abitava al di sopra dei sette cieli. Gesú ascende al cielo - in senso letterale. Perché era normale per chi pensava all'ascensione di Gesú al cielo pensare che se Gesú doveva arrivare al luogo di dio dovesse attraversare necessariamente i cieli, con tutti i problemi che l'attraver- samento dei cieli comportava, perché il primo cielo era pieno di demoni... SPRECHER Ein zweites, vielleicht noch wichtigeres Problem war, daß der Kopernikanismus nicht nur das alte ptolemäische System, das damals in den Universitäten gelehrt wurde, sondern auch das gesamte antike Weltbild in Frage stellte. Danach wohnte Gott über dem siebten Himmel. 'Jesus steigt in den Himmel' - der Satz wurde damals wortwörtlich verstanden. Sprachen also die Gläubigen von der Himmelfahrt Christi, so war es für sie selbstverständlich, daß er, um zu dem Vater zu gelangen, notwendig durch die sieben Himmelssphären hindurchgehen mußte - mit all den Problemen, die das mit sich zog, denn die erste Sphäre war voll von Dämonen usw. MUSIK ZITATOR/GALILEI An den wohlgelehrten Herrn Parlamentsadvokaten Elia Diodati in Paris. Ich habe vor vielen Jahren, als der Lärm gegen Kopernikus sich zu erheben begann, in einer Schrift dargelegt, daß es einen großen Mißbrauch bedeutet, die Bibel in natürlichen Fragen zu bemühen. Ist doch die Absicht des Heiligen Geistes nicht, uns zu lehren, wie der Himmel geht, sondern, wie man in den Himmel geht. Behauptete nämlich jemand, es sei eine Ketzerei zu sagen, daß die Erde sich bewegt; und bewiesen dann die Beobachtung und eine zwingende Schlußfolge- rung, daß sie sich doch bewege: in welche Verlegenheit hätte er dann sich selbst und die hl. Kirche gebracht? MUSIK AUS O-TON 12 TITZMANN Galilei hat den Einspruch erhoben, daß gegebenenfalls die Theologen all ihre heiligen Texte uminterpretieren müssen, wenn die Naturwissenschaft zu sicheren Ergebnissen gekommen sei - und ihre Ergebnisse seien sicher, während die In- terpretationen der Theologen es nicht seien. Also eine massive Herausforderung. Galilei war ja ein erstaunlich unerschrockener Mensch - 16 Jahre zuvor ist schließlich Giordano Bruno auf dem Campo de' Fiori noch lebend verbrannt worden. ZITATOR/GALILEI Wenn ich frage, wessen Werk die Sonne, der Mond, die Erde, die Sterne, ihre Stellungen und Bewegungen seien, so wird man mir, denke ich, antworten, sie seien das Werk Gottes. Und wenn ich frage, wer die hl. Schrift diktiert habe, so weiß ich, man wird mir antworten: der hl. Geist - das ist auch Gott. Die Welt ist also das Werk, die Bibel das Wort desselben Gottes. Wenn aber dem so ist, warum sollen wir denn, um zur Erkenntnis der Teile der Welt zu gelangen, unsere Forschungen mit den Worten und nicht vielmehr mit den Werken Gottes beginnen? Ist vielleicht das Werk weniger edel und ausgezeichnet als das Wort? ERZÄHLERIN Die Auseinandersetzung um die Bibelinterpretation beendet die Kirche mit einem Machtwort. 1616 fällt das hl. Offizium, die oberste Inquisitionsbehörde in Rom, ein folgen- schweres Urteil über die Grundsätze der kopernikanischen Lehre. GRUNDTON ZITATOR Daß die Sonne der Mittelpunkt der Welt und darum unbeweglich sei: SPRECHER "Besagte These ist töricht, philosophisch absurd und formell häretisch, insofern sie ausdrücklich Sätzen widerspricht, die in der hl. Schrift an vielen Stellen vorkommen." ZITATOR Daß die Erde nicht der Mittelpunkt der Welt und nicht unbeweglich sei: SPRECHER "Besagte These erhält philosophisch dieselbe Beurteilung, und ist in Anbetracht der theologischen Wahrheiten zum mindesten irrig im Glauben." GRUNDTON AUS ERZÄHLERIN Am Urteil beteiligt ist der einflußreichste Theologe der katholischen Kirche: Kardi- nal Roberto Bellarmino - der Inquisitor, der für das Todesurteil gegen den als Ketzer verbrannten Philosophen Giordano Bruno mitverantwortlich gewesen war. Galilei wird von Bellarmino ermahnt, die kopernikanische Lehre aufzugeben. Als Katholik dürfe er sie fortan zwar als reine Hypothese vertreten. Behauptete er sie aber als wahr, und setze er sie der Wahrheit der Bibel entgegen, so würde die Inquisition eingreifen. Galilei gehorcht. Und schweigt - 16 Jahre lang. MUSIK O-TON 13 TITZMANN Galilei hat ganz offenkundig gehofft, daß dieses Urteil der Inquisitionskongregation keinen Bestand haben werde, und publiziert dann seinen berühmten Text von 1632, den Dialog über die zwei hauptsächlichen Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische. Wo er drei Sprecher auftreten läßt. Der eine, mit dem schönen Namen Simplicio, der nicht nur an den antiken Naturphilosophen Simplikios erinnert, sonder natürlich auch die Konnotation der Einfältigkeit hat - diesem legt er das aristotelische Weltmodell in den Mund, und er wird permanent von den beiden anderen Sprechern widerlegt. ERZÄHLERIN Der Diàlogo ist Galileis literarisches Meisterwerk. Gegen die Konventionen der Schulgelehrsamkeit ist das Buch nicht in lateinischer, sondern in italienischer Spra- che geschrieben: eine bissige Auseinandersetzung, voll feiner Ironie, mit dem alten Weltbild und der ihm zugrundeliegenden Denkweise. Dem setzt Galilei seine scharfsinnige Verteidigung der kopernikanischen Lehre entgegen. Der Autor Italo Calvino hält Galilei für den größten Schriftsteller der italienischen Literatur. Dessen Prosa erhebe sich "zu einem Grad an Präzision und zugleich verfeinerter Poesie, die etwas Wunderbares haben". MUSIK ZITATOR/GALILEI Ich habe im Italienischen geschrieben, weil ich es für nötig erachte, daß jedermann das Buch lesen kann. Ich sehe, wie die jungen Männer, obzwar mit einem guten Naturell ausgestattet, nicht imstande sind, die im Lateinisch geschriebene Dinge zu lesen, und daher glauben, daß jene Schwarten voll von Neuigkeiten der Philosophie sind, die ihnen nicht in den Kopf wollen. Ich aber will, daß sie merken, daß die Natur ihnen ebenso wie den Philosophen Augen gegeben hat, um ihre Werke zu sehen, und desgleichen das Gehirn, um diese zu verstehen und zu begreifen. MUSIK AUS ERZÄHLERIN Im Diàlogo legt Galilei seine philosophische Ansicht dar: nicht blinde Befolgung von autoritativen Behauptungen, sondern allein "sinnliche Erfahrung und zwin- gende Beweisführung" bilden die Grundlagen der Naturerkenntnis. Eine - wie sie genannt wurde - erschreckend moderne Philosophie: das Manifest der neuzeitlichen naturwissenschaftlichen Methode. Die Veröffentlichung des Diàlogo betrachtet die Kirche als Verstoß gegen das Verbot, den Kopernikanismus zu lehren. Die Inquisition greift erneut ein. 1633 wird ein Verfahren gegen den nunmehr 70jährigen Wissenschaftler eröffnet. O-TON 14 PESCE Nella vicenda galileiana l'oggetto del contendere è complesso, non è univoco. Ci sono tante questioni in gioco. Siamo in piena controriforma, che però non è ancora stata vinta dalla chiesa cattolica. Quindi c'è uno scenario di lotta la protestantesimo che è tuttora in piedi in Europa. SPRECHER In der Angelegenheit 'Galilei' ist der Gegenstand der Auseinandersetzung ver- wickelt; er ist nicht eindeutig. Es waren viele Fragen im Spiel. Es ist die Zeit der Gegenreformation der katholischen Kirche, die aber noch nicht durchgeschlagen hat. Das Szenario ist also das eine Kampfes gegen den Prote- stantismus in Europa. ERZÄHLERIN Der Bibelforscher Mauro Pesce. O-TON 15 PESCE E quindi la chiesa ha bisogno di serrare sempre piú le fila e di impedire l'emergere di un pensiero troppo indipendente.... Che sono soprattutto due. Quella dell'affermare una visione scientifica nuova come se fosse veramente vera, assolu- ta (cosa che costringerebbe il cattolicesimo ad una riformulazione della teologia che non si può permettere in quel periodo), e dall'altro quella di veder emergere un potere intellettuale autonomo non controllato dalla chiesa: che anche questo è un pericolo per la chiesa cattolica. SPRECHER Die katholische Kirche muß ihre Reihen fester zusammenschließen. Sie steht unter dem Druck, das Aufkommen viel zu unabhängiger Lehren und Meinungen zu ver- hindern. Es gab vor allem zwei Tendenzen, die für sie gefährlich waren. Die erste war, daß sich ein neuer wissenschaftlicher Geist durchsetzen könnte, mit einem eigenen Anspruch auf absolute Wahrheit. Der Katholizismus wäre damit gezwun- gen gewesen, seine Theologie auf eine neue Basis zu stellen - was er in dem gegebenen historischen Augenblick jedoch nicht leisten konnte. Zweitens war es zu befürchten, daß sich dadurch eine autonome intellektuelle Macht außerhalb der kirchlichen Kontrolle konstituierte. Und das war ebenfalls eine Gefähr für die katholische Kirche. O-TON 16 TITZMANN Jedenfalls wird am Ende Galilei verurteilt - und diese schöne Stelle muß ich dann, glaube ich, doch mal zitieren, wenn ich sie da alle finde: Das Urteil 1633 verkündet dann, daß er eine verderbliche Lehre vertreten habe, von der gelte, eine Meinung könne in keiner Weise wahrscheinlich sein, von der man erklärt und festgelegt habe, sie widerspreche der göttlichen Schrift. Daher sei er, Galilei, heftig der Häresie, der Ketzerei, verdächtig. Daher wird er dann zur Abschwörung gezwungen und zu Gefängnis nach Belieben der hl. Inquisition verurteilt - was dann in der Folge in Hausarrest umgewandelt wird. ERZÄHLERIN "Und sie bewegt sich doch!", soll Galilei leise nach seinem Widerruf vor sich hin gesprochen haben: eine vielzitierte Episode, die in Wirklichkeit eine Legende ist. O-TON 17 TITZMANN Damit hat die katholische Kirche eine ihrer gravierendsten Fehlentscheidungen getroffen. Sie hat sich in Opposition zu den von Galilei im wesentlichen mit- iniitierten Naturwissenschaften begeben, und koppelt sich für einige Jahrhunderte von der europäischen denkgeschichtlichen Entwicklung ab. MUSIK ERZÄHLERIN Mit der aufsehenerregenden Zensurmaßnahme glaubte die Kirche, den Schluß- strich unter eine lange währende Kontroverse gesetzt zu haben. Sie irrte sich. Tatsächlich eröffnete das Inquisitionsurteil eine noch länger währende Kontroverse - über Bedeutung, Gründe, Motive und Folgen des Prozesses, die bis zum heutigen Tag anhält. Der 'Fall Galilei' ist eine der am meisten untersuchten Episoden der westlichen Kul- turgeschichte, und erhält je nach Betrachter unterschiedliche Wertungen. Galilei polarisiert - immer noch. Sein 'Fall' gilt vielfach als Musterbeispiel für den Konflikt zwischen Glauben und Vernunft; doch eher verdeutlicht er den Konflikt zwischen Wissenschaft und katholischer Kirche. Diese strich Galileis Werke aus dem Index der verbotenen Bücher erst zweihun- dert Jahre nach dem Prozeß, und erst nach weiteren anderthalb Jahrhunderten öffnete sie sich einer Neubewertung des Falls. O-TON 18 TITZMANN Im Jahre 1979 hat der damalige Papst Johannes Paul II. anläßlich einer Rede davon gesprochen, daß Galilei viel von Männern der Kirche zu leiden gehabt habe, und hat in der Folge eine Kommission eingesetzt, die sich mit diesem Fall beschäftigen sollte - und das tat sie bis 1992. ERZÄHLERIN Die Arbeit der Kommission sollte nach dem Willen des Papstes die "tiefe Har- monie" bestätigen, "die die Wahrheiten der Wissenschaft und die Wahrheiten des Glaubens" vereinige. Eine Alternative war von vornherein ausgeschlossen. Zweck des Unternehmens war offenbar nicht, zu einem unvoreingenommenen und sachlichen Urteil über den 'Fall Galilei' zu gelangen. Eher sollte damit die Öffent- lichkeit dafür sensibilisiert werden, daß die Kirche durch die Verurteilung Galileis nicht eine ihr innewohnende anti-wissenschaftliche Haltung zum Ausdruck ge- bracht hätte. Tatsächlich gehörten dem Gremium weder ausgewiesene Galilei- Experten an noch Nicht-Katholiken, noch - bis auf zwei Mitglieder - Nicht-Kleriker. O-TON 19 COYNE The commission did a good job before public opinion. It was clearly stated that subjectively there were members of the church, the judges of Galileo and the theologians of that time, who, because they did not correctly judge the nature of scripture, saw a conflict between what Galileo was trying to do and scripture itself. And so they erred, they committed errors at that time that we objectively now can judge as errors. SPRECHER Die Kommission hat einen guten Job vor der Öffentlichkeit gemacht. Es wurde deutlich gesagt, daß die Kirche damals klar einen Fehler begangen hatte. Es gab Mitglieder der Kirche - Galileis Richter und die Theologen von damals -, die sub- jektiv die Natur der Schrift nicht korrekt deuteten und darum einen Konflikt sahen zwischen dem, was Galilei zu tun versuchte, und der Schrift selbst. Und damit haben sie geirrt; sie begingen damals etwas, was wir heute objektiv als einen Feh- ler beurteilen können. ERZÄHLERIN Der Jesuitenpater George Coyne, Astronom und früherer Leiter der Päpstlichen Sternwarte. Ehemaliges Mitglied der von Johannes Paul II. eingesetzten Unter- suchungskommission. O-TON 20 COYNE The 1633 condemnation of Galileo was very specific. It's a "You disobeyed an order that was given you in 1616". And that's true. His Dialogs clearly support Copernicanism, and he was given a command not to write, to teach or to research. Their command, judged from today's point of view, was wrong. Galileo should have then permitted to continue to do his research. But subjectively those judges at that time saw that it was a threat to the catholic faith, because it contradicted scripture. They were wrong in that. But that judged from what we know today. SPRECHER Galileis Verurteilung von 1633 war von einer ganz besonderen Art. Sie war eine von der Sorte "Du hast einen Befehl mißachtet, der dir 1616 erteilt wurde". Und das ist wahr. Sein Dialog unterstützt offensichtlich den Kopernikanismus - und Galilei hatte den Befehl erhalten, darüber weder zu schreiben, zu unterrichten oder zu forschen. Dieser Befehl war, vom heutigen Gesichtspunkt aus betrachtet, falsch. Man hätte Galilei erlauben sollen, weiter zu forschen. Aber subjektiv empfanden die Richter damals, daß das eine Bedrohung für den katholischen Glauben war, weil es der Schrift widersprach. Darin haben sie sich geirrt - das aber wohlgemerkt, vom heu- tigen Wissensstand aus beurteilt. O-TON 21 TITZMANN Am Ende dieses Prozesses kam merkwürdigerweise heraus, daß behauptet wurde, beide Seiten hätte Irrtümer begangen, und es habe wechselseitiges Mißverstehen gegeben. ERZÄHLERIN Der Kulturwissenschaftler Michael Titzmann. O-TON 22 TITZMANN Nun wüßte ich nicht, welche Irrtümer Galilei begangen hat. Und ich wüßte auch nicht, daß man sich mißverstanden hätte. Die katholische Kirche hat Galilei sehr wohl richtig verstanden, und Galilei die katholische Kirche auch. Es gibt also - und das hat sich in der Folge dann in katholischen Publikationen der letzten Jahre immer wieder gezeigt -, wenn es um den Fall Galilei geht, eine Tendenz, einfach zu leugnen, daß da wirklich ein Konflikt gewesen sei. O-TON 23 TITZMANN Es wird also im Grunde immer wieder postuliert, es gebe keinen Konflikt zwischen Vernunft und Glauben - das tat Johannes Paul II., das tut Benedikt XVI. Dann darf man sich fragen, warum in Europa seit der Aufklärung im 18. Jhdt. dieser Konflikt immer wieder aufgetreten ist: etwa in Gestalt der Kritik der hl. Texte, der Religionskritik etc. Also offenkundig gibt es einen solchen Konflikt doch. MUSIK ERZÄHLERIN Zum Abschluß der Kommissionsarbeit titelte die Vatikanzeitung L'Osservatore Romano: "Galilei - Mißverständnis ausgeräumt". Man sprach vielfach von der 'Rehabilitierung' Galileis durch Johannes Paul II. In Wirklichkeit war von offizieller Seite jemals weder von 'Rehabilitierung' noch von einer Revision des Prozesses die Rede. Worum es für die Kirche ging, hatte das damalige Oberhaupt der Kongregation für Glaubensfragen, der einstigen Inquisition, Kardinal Joseph Ratzinger 1990 erklärt. O-TON 24 RATZINGER Es geht einfach um ein richtiges Verhältnis zur Geschichte, man kann ja Ge- schichte nicht ungeschehen machen, man muß aber aus ihr lernen. Es wäre ja, wie mir scheint, in der Tat ein wenig absurd, wenn man jetzt wieder einen Prozeß machen wollte, um dann am Schluß zu einem anderen Urteil zu kommen, und damit ja auch gleichsam Galilei doch noch einmal irgendwie als Angeklagten behandeln würde, über den man verhandeln muß usw., während doch die weiter- gehende wissenschaftliche Reflexion ohnedies die Perspektiven verändert hat und so etwas damit einfach a-historisch und anti-historisch wäre. Insofern, glaube ich, kann man nicht von einer Weigerung zur Rehabilitation sprechen, sondern von dem Versuch eines vernünftigen Verhältnisses zur Geschichte, zur Gegenwart und zur Zukunft. ERZÄHLERIN Das Urteil gegen Galilei ist im Sinn des kanonischen Rechts immer noch gültig. Auch hat die Kirche bislang die Legitimität des Verfahrens nie geleugnet - ebensowenig ihren Anspruch, die eigene Meinung als absolute Wahrheit zu defi- nieren, und andere Meinungen nicht zuzulassen. Stattdessen bat der Papst um Vergebung für die Sünden der Kirche. O-TON 25 PESCE Io non ho mai trovato particolarmente interessante questo tentativo di riabilitare Galileo all'interno della chiesa cattolica. Nel senso che ho l'impressione che molti degli studi che sono nati dalle commissioni che lui ha fondato invece di riabilitare Galileo hanno riabilitato il comportamento della chiesa nel '600. SPRECHER Den Versuch, Galilei innerhalb der katholischen Kirche sozusagen zu 'rehabilitie- ren', habe ich noch nie besonders aufschlußreich gefunden. Mein Eindruck ist, daß die von Johannes Paul II. veranlaßten Untersuchungen eigentlich einen Rück- schritt darstellten: Viele Studien der von ihm eingesetzten Unter- suchungskommissionen haben, statt Galilei zu rehabilitieren, eigentlich das Verhalten der Kirche im 17. Jahrhundert rehabilitiert. O-TON 26 SÁNCHEZ Né il decreto del 1616, che fu un decreto dell' Indice, né tantomeno il processo di Galileo che fu una misura disciplinare, hanno a che fare con l'infallibilità della Chiesa. Che la Chiesa abbia sbagliato in quel caso - che la Chiesa potesse sbagliare, lo sapeva Galileo perfettamente. Non era una decisione infallibile, la sentenza era riformabile, e fu riformata de facto, anche se bisogna dire: con molta difficoltà lungo i secoli. SPRECHER Weder das Dekret von 1616, das von der Indexkongregation erlassen wurde, noch der Galilei-Prozeß, als eine Disziplinarmaßnahme, haben mit der Unfehlbarkeit der Kirche zu tun. Daß die Kirche in dem Fall geirrt habe - (korrigiert sich!) daß die Kirche irren könnte -, das wußte Galilei sehr gut. Es war keine unfehlbare Entscheidung. Das Urteil war revidierbar, und es wurde in der Tat de facto revidiert - wenn man auch sagen muß: unter großen Schwierigkeiten und im Lauf der Jahr- hunderte. ERZÄHLERIN Pater Melchor Sánchez de Toca, Untersekretär des Päpstlichen Rates für die Kultur. O-TON 27 SÁNCHEZ Però devo dire una cosa. Si parla di richieste di perdono: io, finora, l'unica istituzione che ho visto chiedere perdono pubblicamente, è la Chiesa cattolica. Non vedo delle altre istituzioni chiedere perdono per gli sbagli del passato. Dico questo polemicamente, però. Qua a chiedere perdono siamo noi. Vorrei vedere gli altri. Chi è senza peccato scagli la prima pietra. SPRECHER Ich muß aber eins sagen. Man redet zwar von Vergebung. Bislang aber habe ich als die einzige Institution, die öffentlich um Vergebung gebeten hat, nur die katholische Kirche gesehen. Ich sehe keine andere Institution, die für die Fehler der Vergangenheit um Vergebung gebeten hat. Das sage ich aber in polemischer Absicht. Wir sind es, die wir hier um Vergebung bitten. Ich möchte gern die ande- ren sehen. Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. MUSIK ERZÄHLERIN Zum Jahr der Astronomie 2009 veranstaltete das Jesuiten-Institut "Stensen" in Florenz ein internationales Symposium, um den 'Fall Galilei' "historisch, philoso- phisch und theologisch neu zu betrachten". Kurz danach legte der Vatikan eine kritische Ausgabe der Prozeßakten vor, mit einigen neuen Dokumenten aus den Archiven der Inquisition. Zu einer Neubetrachtung des 'Falles' haben indes weder das Symposium noch die neu veröffentlichten Dokumente geführt. Die Kirche muß weiterhin zu einem konstruktiven und überzeugenden Verhältnis zu der neuzeitlichen Naturwissenschaft finden. O-TON 28 TITZMANN Es gibt grundsätzlich unauflösbare Konflikte eben, wenn man heilige Texte als letzte und absolute Wahrheitsquellen betrachtet, oder wenn man die menschliche Vernunft als eine solche letzte unhinterfragbare, unhintergehbare Wahrheitsquelle betrachtet. ERZÄHLERIN Der Kulturwissenschaftler Michael Titzmann. O-TON 29 TITZMANN Diese Konflikte existieren natürlich bis heute fort. Das typische Beispiel ist die Evolutionstheorie. Und damit eine Theorie, die natürlich radikal wiederum den heiligen Texten des Christentums, dem Schöpfungsbericht der Genesis, wider- spricht. MUSIK LANGSAM EINBLENDEN O-TON 29 TITZMANN D. h., der Konflikt zwischen neuen wissenschaftlichen Theorien und den heiligen Texten des Christentums, aber auch des Judentums und des Islams, existiert nach wie vor. Insofern war der Fall Galilei natürlich der erste Fall überhaupt, wo schon von Anfang an ein solcher Konflikt aufgetreten ist. MUSIK WIEDER HOCH UND AUS