KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : 46 Reihe : Literatur Kostenträger : P 62 300 Titel : Während ich schrieb ? das Jahr 2013 AutorIn : Gregor Sander Redakteurin : Barbara Wahlster Sendetermin : 29.12. 2013 Regie : Klaus-Michael Klingsporn Besetzung : Sprecherin, Sprecher Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig © Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Text: Gregor Sander Zeitungen: Nadja Schulz-Berlinghoff Voice-over: Romanus Fuhrmann Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Barbara Wahlster Sendedatum: 29.12.2013 Atmo: Schreibmaschine bzw. Tastatur drunter und weg Gregor: 1. Januar 2013 Ich soll ein Tagebuch schreiben. Nicht einmal in der Pubertät habe ich Tagebuch geschrieben. Ich wusste nie für wen. Aber ich nahm den Auftrag der Guntram und Irene Rinke Stiftung an, das Jahr 2013 zu portraitieren. O-Ton Anette Ausgerechnet du? Du schreibst dir doch nie was auf. Gregor: sagt meine Frau Anette: Was leider stimmt. Mir gefällt das Bild vom ständig kritzelnden Schriftsteller. Im Theater, im Bus, im Supermarkt. Aber ich mache das nie. Auch für meinen neuen Roman nicht. ?Was gewesen wäre? soll er heißen. Aber, ob das ein guter Titel ist? Manchmal finde ich ihn toll und manchmal eher komisch. 14 Kapitel sollen es werden. Acht habe ich erst geschrieben. Im Oktober will ich das Manuskript beim Wallstein Verlag abgeben, damit das Buch im Frühjahr 2014 erscheint. Habe ich schon erwähnt, dass ich Zeitungen liebe? Gedruckte, meine ich. Für das Tagebuch werde ich jeden Tag eine kaufen und meinen wichtigsten Artikel ausschneiden. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 16. Januar Süddeutsche Zeitung Die Franzosen sind in Mali einmarschiert. Der neue Präsident François Hollande sagt, Frankreich habe kein Interesse längerfristig in Mali zu beleiben. Schneideatmo Sprecherin: Der Militäreinsatz habe nichts mit ?der Politik einer anderen Zeit? zu tun, so Hollande unter Anspielung auf die französische Kolonialvergangenheit in Afrika. Vor einem Rückzug aus Mali müsse garantiert werden, dass es dort wieder Sicherheit und eine funktionierende Verwaltung gebe, dass Wahlen organisiert würden und dass keine Terroristen mehr das Land bedrohten. Atmo: U-Bahn drunter und weg 23. Januar Mit der U-Bahn zum Alexanderplatz. Eine Alltäglichkeit als Recherche. Ich steige ein in der Bernauer Straße. Zu Mauerzeiten war das ein Geisterbahnhof, eine von sechs Stationen an denen die U-8 nicht hielt. Die DDR hatte die Bahnsteige verrammelt und selbst die Notausgänge zugemauert. Die Westberliner sind mitten durch Ostberlin gefahren ohne anzuhalten. Kaum noch vorstellbar. Aber ich muss mir das vorstellen, denn meine Romanfiguren, Astrid und Jana, sollen diese Strecke fahren. Ende der Achtziger Jahre, kurz vor dem Mauerfall. Am Alex treffe ich meinen Freund Jaroslav Rudi?. Schriftsteller, Tscheche und Eisenbahnfan. Sein erster Roman: Der Himmel unter Berlin spielte in der Berliner U-Bahn und Jaroslaw hatte den Traum vieler kleiner Jungs: 2. O- Ton Jaroslaw Rudi? Das ist jetzt nicht gelogen. Mit dreizehn wollte ich zu einer Lokführerschule gehen, aber Gott sei Dank habe ich diese Brille gekriegt. Aber Eisenbahn ist ein Hobby für mich geblieben. Gregor: Zur Zeit ist Jaroslaw Rudi? Gastdozent an der Humboldt- Universität, aber am Sonntag fährt er nach Hause. Denn es ist Präsidentschaftswahl in Tschechien, und die ist so spannend wie lange nicht: Neun Kandidaten gab es: Von einem komplett tätowierten Mann bis zu alten Kommunisten. Jetzt wählen die Tschechen zwischen den beiden Finalisten. 3. O-Ton Jaroslaw Rudi? Einer heißt Milo? Zeman. Der ist der ewig wiederkehrende Typus von einem gewissen Schwejk. Von diesem Tschechen, der in der Kneipe hockt, eigentlich fit im Kopf ist, ständig Witze reißt, Becherovka trinkt, Bier trinkt. Der sagt, wenn ihr mich wählt dann wird es gemütlich in unserer Kneipe. Wir lassen uns nicht einreden von außen, was wir so machen sollen. Es ist doch sehr nett bei uns in Böhmen, in unserem Tal. Dann kommt dieser Karel Schwarzenberg. Ein Fürst. Der eigentlich in Österreich aufgewachsen ist. Die mussten ja vor den Kommunisten flüchten nach dem Zweiten Weltkrieg. Der ist unglaublich beliebt unter den Jugendlichen in Tschechien. Also die laufen rum jetzt in Prag mit so T-Shirts: Karel for President, so wie bei den Sex Pistol T-Shirt. Gregor: Jaroslaw will seine Stimme auch dem modernen Adligen geben. Gewinnen wird ein paar Tage später aber Milo? Zemann Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 28. Januar Berliner Zeitung Schneideatmo Sprecherin: Die Polizei feuerte Tränengas-Granaten auf die Menge, die mit Steinen warf. Die Menschen demonstrierten gegen Präsident Mohammed Mursi und die ihn unterstützenden Islamisten. Den fünften Tag in Folge kam es zu Krawallen in Ägypten. In der vergangenen Woche waren bei gewaltsamen Auseinandersetzungen 49 Menschen ums Leben gekommen. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 11. Februar Der Papst will zurücktreten. Zum ersten Mal seit 700 Jahren macht der Heilige Vater von dieser Möglichkeit Gebrauch. Ein Nachrichtensprecher des WDR sagt im Radio versehentlich: 4. O- Ton WDR ?Papst Benedikt XVI hat für Ende des Monats seinen Rücktritt angekündigt. Das Oberhaupt der katholischen Kirche gab seine Entscheidung während einer Karnevalsversammlung im Vatik... Pardon während einer Kardinalsversammlung im Vatikan bekannt.? Gregor: Der deutsche Papst tritt am Rosenmontag zurück, das ist offensichtlich zuviel für das katholische Köln. Aber es gibt natürlich Wichtigeres im Leben als den Rosenmontag oder den Papstrücktritt. Atmo: Trillerpfeife + Fußballplatzatmo und weg Gregor: Denn jeden Montag ist Training der Autorenfußballnationalmannschaft. Im zarten Alter von 42 Jahren bin ich Fußballnationalspieler geworden. Offiziell mit DFB-Trikot. Nummer 18. Das kam so: 5. O- Ton Wolfram Eilenberger Das war bei einem Literaturfestival in Lahti und wir spielten damals mit der Weltauswahl, der dort anwesenden Schriftsteller gegen das finnische Nationalteam, und da fiel mir ein deutscher Autor links auf, der einen guten linken Fuß hatte und offenbar schon mal fußballerisch tätig war. Und da er noch in Berlin lebte und drei Bücher veröffentlicht hatte, war er also ein Qualifikant für das Team und dann habe ich dich gefragt, ob du nicht mal kommen willst. Gregor: Wolfram Eilenberger spielt im offensives Mittelfeld und bringt als Chefredakteur des Philosophie Magazins die Dinge gern auf den Punkt: 6. O- Ton ? Eilenberger Insofern ist das nicht nur eine kuriose Ansammlung übergewichtigen älteren Herren, sondern wenn wir das tun sind wir ganz bei der Sache. Mit großem Ehrgeiz. Und ich glaube das Wichtige für uns ist, dass Fußball für uns eins bedeutet: Wir müssen nicht mehr denken. Wir müssen nicht mehr an das denken, was wir eigentlich tun. Wir zerstreuen uns im besten Sinne und vergessen uns selbst. Gregor: Für Jan Böttcher, der als Schriftsteller schon beim Bachmannpreis gewonnen hat, ist auch das Fußballspiel gegen Schriftsteller aus anderen Ländern eine Herausforderung. Und das nicht nur aus sportlicher Sicht. 7. O-Ton Böttcher Wir waren ja zum Beispiel in Norwegen, in Lillehammer, über uns Tr ohnte die Schanze. Die Winterspiele waren ja dort mal und wir standen da drunter auf so einem Kunstrasenplatz, und dann kam ein Heldentenor und sang die Hymnen. 200 Norweger sangen die Norwegische Hymne mit. Bei uns natürlich: Nüscht... Gregor: Meine Jungs sind sogar amtierende Schriftstellereuropameister. Leider war ich da noch nicht dabei. Aber vielleicht werde ich ja erst mit 50 Jahren so richtig gut? Wer weiß? Gregor: 27. Februar Die Italiener haben tatsächlich wieder Silvio Berlusconi gewählt. Der Tagesspiegel: Schneideatmo Sprecherin: Dreierlei stand immerhin schnell fest: Dass Silvio Berlusconi eine von keinem vorhergesagte sensationelle Aufholjagd hingelegt hatte ? vom ?miracolo Berlusconi?, sprachen seine Anhänger schnell -, dass der Radikalpopulist Beppo Grillo mit 25 Prozent der Stimmen seine erst dreieinhalb Jahre alte ?Fünf Sterne Bewegung? aus dem Nichts in geradezu astronomische Höhe geschossen hatte, und dass Mario Monti, der in Europa so gefeierte ?Retter Italiens? bei seinem eigenen Volk kaum Anklang fand. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 5. März Der Roman, den ich schreibe, ist zweigeteilt. Die ungeraden Kapitel erzählen eine Geschichte, die Mitte der 80er Jahre in der DDR beginnt. Die Liebesgeschichte von Astrid und Julius. Dieser Strang umfasst etwa 25 Jahre und ist in der Ich-Perspektive geschrieben. Die Erzählerin Astrid ist 17 Jahre alt beim Beginn des Romans und erzählt im Imperfekt. In der Ich-Form. Die geraden Kapitel berichten von einem etwa fünftägigen Urlaubsaufenthalt 2012, der inzwischen über 40jährigen Astrid und ihrem jetzigen Freund Paul in Budapest. Dieses Mal wird in der dritten Person und im Präsens geschrieben. Beide Stränge werden natürlich zusammen geführt. Manchmal fällt es mir schwer beim Schreiben aus der DDR im Jahre 1988 nach Budapest 2012 zu springen. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 7. März: Tagesspiegel Schneideatmo Sprecherin: Der Bürgerkrieg in Syrien zwingt immer mehr Menschen in die Flucht. Zwei Jahre nach Ausbruch der Gewalt hat die Zahl der syrischen Flüchtlinge im Ausland nach UN-Angaben eine Million erreicht. Gregor: 11. März I?am in England and I?am happy. Writer in Residence an der Queen Mary University in London. Fünf Wochen jetzt und fünf Wochen im Herbst, und wenn alles gut läuft werde ich hier im Oktober meinen Text beenden. Ich kann absolut asozial sein, mit niemandem reden und in meiner eigenen Geschichte schmoren. Während sich für meine Frau in Berlin die Familienarbeit mit unseren beiden Kindern verdoppelt. Leider... Atmo: Mind the gap drunter und weg Gregor: 19. März Der Argentinier Jorge Bergoglio nennt sich als neuer Papst Franziskus I. Die Süddeutsche Zeitung besucht einen Slum in seiner Heimatstadt Buenos Aires: Schneideatmo Sprecherin: Wie ist der Heilige Vater? ?Vor einem Jahr hat Bergolglio an Ostern zwölf Paco-Süchtigen die Füße gewaschen?, berichtet Padre Pepe. Viele Bewohner der Villas weinten, als die Nachricht von seiner Wahl bekannt wurde. Er ist ihnen so nah, der Deutsche Ratzinger war ihnen so fremd? Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 9. April Gestern ist Magret Thatcher 87jährig in London gestorben. In einigen britischen Städten gehen junge Menschen auf die Straße und feiern den Tod der ?Eisernen Lady?, wie eine Befreiung. Ich erinnere mich an keinen Premierminister vor ihr. Robert Gillett, Leiter der Germanistik an der Queen Mary University: 8. O-Ton Gillet ?Da kommen erstaunliche Hassgefühle auf. Also das hätte ich nicht gedacht. Man wusste das sie eine alte Dame ist und so weiter... Wenn man ihre Stimme hört, also ich finde es sehr schwer mich zu bändigen. Ich habe sie gehasst? Gregor: Der Guardien, der heute ein riesiges schwarzweiß Foto von Magret Thatcher auf Seite 1 bringt, titelt: Schneideatmo(?) Sprecherin: ?She became harder and harder? Voice-over: Sie wurde härter und härter. Gregor: Der konservative Daily Mirror hingegen, nennt sie ausschließlich Baroness und schreibt: Schneideatmo (?) Sprecherin: Calls for the Iron lady to be set in stone in Trafalgar Square Voice-over: Forderungen werden laut der Eisernen Lady ein steinernes Denkmal auf dem Trafalgar Square zu errichtet. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 22. April Zurück in Berlin. Italien hat zumindest wieder einen Staatspräsidenten . Frankfurter Allgemeine Zeitung Sprecherin: Beide große Parteien sowie die Mitte unter dem amtierenden Ministerpräsidenten Mario Monti hatte in den letzten Monaten wiederholt vergeblich versucht den bald 88 Jahre alt werdenden früheren Kommunisten, der heute als ?Vater der Nation? bezeichnet wird, für eine neuerliche Kandidatur zu gewinnen. Erst nach dem Scheitern von zwei Kandidaten in den ersten fünf Runden erklärte sich Napolitano, dann doch bereit, wieder anzutreten. Atmo: Meer und Möwen drunter und weg Gregor: 4. Mai Judith Hermans Gesicht sieht man die Sonne der letzten Tage an und die Arbeit am Literaturfestival in Horumersiel. Sie sieht glücklich aus und müde zugleich. Wir sitzen im Haus ?Daheim? einem alten Backsteinhaus in diesem kleinen Kurort an der Nordsee. 9. O- Ton Judith Hermann ?Dieses Haus hat mein Ururgroßvater gekauft, Achtzehnhundertnochwas. Der war Leuchtturmwärter auf Wangerooge, und als er in Pension gegangen ist, ist er auf?s Festland gegangen hier nach Horumersiel . Möglicherweise deshalb, weil wenn man in Horumersiel an den Strand geht, kann man bei gutem Wetter den Leuchtturm auf Wangerooge sehen. Gregor: Mit ein paar Einheimischen hat Judith Hermann hier zum zweiten Mal die Horumersieler Literaturtage organisiert, und ich werde im Kursaal lesen. Wir haben beide in den 90er Jahre die Berliner-Journalisten-Schule besucht und sind seit dem befreundet. 10. O-Ton Judith Hermann Und dann hast du mich Mitte, Ende der 90er gefragt, ob ich nicht einen Schreibort wüsste. Einen Ort außerhalb der Stadt, weit weg von allem. Einen Ort der ne gewisse Isolation beinhaltet und so ein Fremdheitsgefühl. An dem du schreiben könntest und dann ist mir Horumersiel eingefallen. Gregor: Dass sie in Horumersiel den alten Hafen im Ort 1962 zugeschüttet haben und darauf eine Parkplatz bauten, hat mich damals gleichermaßen erschüttert wie fasziniert, und später sollte aus dieser Verwirrung meine Erzählung ?Ich aber bin hier geboren? entstehen. Wenn man es genau nimmt, dann gibt es die Horumersieler Literaturtage wegen dieses zugeschütteten Hafens. Andreas Reiberg, ein Graphiker aus dem Ort, hat vor ein paar Jahren ein riesiges Schwarzweißfoto mitten auf den Parkplatz gestellt. Darauf ist der Hafen zu sehen und das Foto erinnert an diese Wahnsinnstat und macht den Verlust sinnlich begreifbar, bei jedem Vorübergehen. 11. O?Ton Judith Hermann ?Dieses Foto und die damit verbundenen Vorstellungen, vielleicht auch Sehnsüchte führten zu einem Gespräch zwischen mir und Andreas in dem es um Utopien ging und die kindliche Idee zu versuchen den Hafen zurück ins Dorf zu holen. Also den Parkplatz wieder aufzureißen und verschwinden zu lassen und das Wasser wieder hoch zu holen, und da wieder Schiffe in die Mitte des Ortes zu bekommen und das Wasser. Und aus diesem Moment entstand dann plötzlich die Idee wir könnten Künstler nach Horumersiel holen, im weitesten Sinne. Literaten, Bildende Künstler und vielleicht auch Musiker und zusammen mit denen, ja zumindest den Ort auch metaphorisch beleben.? Gregor: Eingeladen wurden so verschiede Autoren wie Bas Böttcher, Renata Lucic oder Daniel Schnorbusch. Gemeinsam mit der Bildhauerin Karin Mennen hat Judith einen Workshop am Strand zum Thema Schwimmen gegeben. Die Teilnehmer erhielten Leinwände, sollten sich drei Farben wählen und sich dann malend dem Thema nähern. Und später wechseln von der Leinwand zum Papier. Vom Malen zum Schreiben. 12. O-Ton Judith Hermann Das Schöne war, dass wir vormittags ganz junge Teilnehmer hatten, eine zwölfte Klasse eines Gymnasiums aus Jever und für die war diese ganze Wasserthematik ein zentrales Motiv. Eine Quelle des Lebens, ein sprudelnder Quell, der sie versorgt mit Energie, mit Sinnlichkeit, mit Lust, mit Licht mit allem was beglückend ist. Die fanden Wasser alle im weitesten Sinne schön und belebend und erquickend. Die Teilnehmer des Workshops am Nachmittag und die jüngste war vielleicht vierzig und die älteste 65 und da hatte sich diese Metapher schon deutlich gewandelt, und das Wasser war schon eher ein Transmitter für Erinnerung und ging dann aber auch schon über wie ein Jordanwasser ins Jenseitige. Atmo Meer und Möwen drunter und weg Gregor: Für den Garten ihrer Vorfahren hat sich Judith Hermann die Leinwand einer Teilnehmerin erbeten. Mit einem Gedicht darauf: 13. O- Ton Judith Hermann Das Meer hat seinen Wasserspiegel ausgelegt, um gerade hier den Himmel auf Erden zu haben. Das ist so ein Phänomen, wenn hier das Meer bei Ebbe liegt, dann ist ja nur so ein ganz dünner Wasserspiegel auf dem Watt und dann sieht es wirklich in bestimmten Lichtverhältnissen so aus als Läge der Himmel auf dem Watt. Und sie hat das sehr schön aufgeschrieben, finde ich. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 7. Mai Der NSU Prozess, der gestern begonnen hat wurde gleich wieder unterbrochen, weil Beate Zschäpes Anwälte mit den erstaunlichen Namen Stahl, Heer und Sturm dem Richter Befangenheit vorwerfen. Berliner Zeitung: Schneideatmo Sprecherin: Beate Zschäpe erscheint durchaus selbstbewusst im Raum. Von ihren Hand- und Fußfesseln ist sie befreit. Den Fotografen wendet sie den Rücken zu. Und muss dabei auf das Holzkreuz blicken, das hier erstaunlich deplaziert wirkt. Später wird sie häufiger mal lächeln, entspannt manchmal fröhlich wirken. Die Körpersprache ist lebhaft. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 26. Mai. Ich war ein paar Tage in Ungarn. Ich muss noch drei Kapitel schreiben und dann alles überarbeiten. Aber was wollte ich in Budapest? Recherchieren? Mich inspirieren lassen? Beides stimmt nicht und doch ein wenig. Ich habe mich rumgetrieben, in Kaffeehäusern gesessen und mit vielen Ungarn gesprochen. Über ihr Leben. Heute und früher. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 10. Juni Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet von einer massiven Bespitzelung der Menschen weltweit durch amerikanische Geheimdienste: Schneideatmo Sprecherin: Zuvor hatte die britische Zeitung ?Guardien? als streng geheim klassifiziertes Material des amerikanischen Militärgeheimdienstes ?National Security Agency? NSA veröffentlicht, aus dem hervorgehe, dass der Dienst in einem einzigen Monat dieses Jahres etwa 97 Milliarden einzelner Informationen wie Telefondaten oder E-Mails gesammelt habe. Offenbar sammelt der Dienst demnach in Deutschland besonders viele Daten, etwa durch die Überwachung des Internetverkehrs. Gregor: 19. Juni 14. O-Ton Danilea Dröscher und Gregor singen dona nobis ? kurz dann blenden Gregor: Wo ist Gott zu Hause? In einer alten Werkstatt in Berlin Reinickendorf, die inzwischen als Atelier genutzt wird? Vermutlich nicht. Das würde auch das Projekt der Schriftstellerin Peggy Mädler und ihrer Kollegin Julia Schleipfer vom ?Labor für kontrafaktisches Denken? ad absurdum führen. Denn die beiden planen eine Ausstellung mit dem Titel: ?Wer?s glaubt wird selig?. Dabei soll geklärt werden: ?Woran glauben eigentlich Atheisten?? Im Dezember 2013 wird sie für drei Wochen in der Alten Kantine der Sophiensäle gezeigt. Peggy Mädler: 15. O-Ton Peggy Mädler In dieser Ausstellung gibt es drei Teile dann zu sehen. Der eine Teil ist ein Pilgerweg oder sind zwei Pilgerwege, agnostischer Pilgerweg, der von Nord nach Süd durch Berlin geht. Mit elf Stationen. Und ein atheistischer Pilgerweg, den wir von Ost nach West durch die Stadt konzipiert haben. 16. O- Ton Peggy Mädler Dann gibt es in der Mitte der Ausstellung unsere Reliquienschau. Das wird dann wie so ein Objektkasten aus dem naturwissenschaftlichen Museum in der Mitte des Raumes aufgestellt. 17. O- Ton Peggy Und das Dritte ist dann die Videoinstallation. Die wird am Kopfende der Ausstellung zu sehen sein. Das ist das Triptychon. Gregor: Insgesamt 12 Menschen werden später so auf drei Bildschirmen über ihren Glauben im Nichtglauben reden. Als virtuelle Ikonen. Die Schriftstellerin Daniela Dröscher und ich versuchen uns vor der Kamera zu erklären. 18. O-Ton Daniela Dröscher Ich komme aus einem ganz kleinen rheinland-pfälzischen Dorf, 500 Seelen. Und der Pfarrer und die Pfarrersfrau waren so das Zentrum und Musik wurde ganz groß geschrieben. Das war so eine Villa Kunterbunt. Mit Gesang und Tanz und alles war immer sehr schön. Der Kindergottesdienst. Ich war ein großer Fan von Jesus, der war meine erste große Liebe, ich war echt in den verknallt. 19. O-Ton Gregor Ich bin in der DDR groß geworden, Gott hab sie selig, und habe eine relativ kurze gar nicht intensive evangelische Prägung. Die begann mit meiner Taufe und hatte dann aus Versehen nur eine Weiterführung, weil ich in einen evangelischen Kindergarten gegangen bin. Aber eigentlich nur, weil mich kein anderer Kindergarten genommen hat. Meine Eltern sind dann nach der Taufe meiner Schwester vom Glauben abgefallen und ich mit ihnen. 20. O-Ton Daniela Dröscher Na, und dann ist mein Onkel gestorben, so ganz sinnlos und doof und hatte zwei kleine Kinder noch, und das habe ich irgendwie nicht zusammengekriegt. Und dann bin ich da nicht mehr hingegangen, weil ich dachte, das geht ja nicht: Der gütige allmächtige Gott. Warum lässt er das denn zu? Gregor: Trotzdem glaubt Daniela Dröscher, dass die Toten in den Himmel kommen, und ich klopfe dreimal auf Holz, wenn ich möchte, dass etwas auch wirklich geschieht. Oder wirklich nicht geschieht. Und wir müssen klären: Warum Daniela das Lied Dona nobis zu hause nicht singt? 21. O-Ton Daniela Dröscher: Weil mein Mann das Lied unheimlich findet. 22. O- Ton Gregor Warum? 23.O-Ton Daniela Dröscher: Weil es etwas Sakrales, Einschüchternes ausstrahlt. 24. O-Ton Gregor Warum? 25. O-Ton Daniela Dröscher: Weil es sehr streng und formal gebaut ist. 22. O-Ton Gregor Warum? 24. O-Ton Gregor Warum? 27. O-Ton Daniela Dröscher: Weil sich das Mönche irgendwann so ausgedacht haben. 22. O-Ton Gregor Warum? 28. O-Ton Daniela Dröscher: Weil sie gern singen wollten? 24. O-Ton Gregor Warum? 29. O-Ton Daniela Dröscher: Weil ihnen sonst langweilig geworden wäre? 22. O-Ton Gregor Warum? 30. O-Ton Daniela Dröscher: Weil sie entscheidende schöne Dinge nicht tun dürfen. 24. O-Ton Gregor Warum? 31. O-Ton Daniela Dröscher: Weil das böse ist? 22. O-Ton Gregor Warum? 32. O-Ton Daniela Dröscher: Weil der Körper sündig ist. 24. O-Ton Gregor Warum? 33. O-Ton Daniela Dröscher: Weil der Körper zu Exessen fähig ist, die die Moral überschreiten. 22. O-Ton ich Warum? 34. O-Ton Daniela Dröscher: Das ist so! Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 5. Juli Die ägyptische Armee hat ihre Drohung wahr gemacht und den neuen Präsidenten Mursi abgesetzt, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung Schneideatmo Sprecherin: Mursi hatte sich im Machtkampf mit den alten Eliten verzettelt, die mit ihren Instrumenten, vor allem der Justiz und den Sicherheitskräften, seine Arbeit sabotierten. Mursis Sündenfall aber war die überhastete Verabschiedung einer Verfassung, die das Land nicht einte, sondern noch mehr spaltete. Hinzu kam, dass Mursi und seine Regierung sich viel zu wenig um die Wirtschaft kümmerten. Die verunglückte Verfassung hätte die Leute nicht auf die Straße getrieben, das tat erst die wachsende wirtschaftliche Not. Die Schlangen vor den Tankstellen wurden länger, der Strom fiel häufiger aus, und die Inflation treibt die Menschen in Armut. Atmo: Vogelgezwitscher drunter und etwas länger stehen lassen. Gregor: 9. Juli Den Sommerurlaub verbringen wir seit zehn Jahren in einem kleinen Dorf in Vorpommern. Und in diesem Jahr haben wir wirklich Glück: Sonnenschein, jeden Tag. Wir baden, angeln, lesen, spielen Tischtennis und schlafen. Eigentlich machen wir fast nichts. Im Herbst will ich meinen Roman beenden, aber auch das versuche ich hier zu vergessen. Die Seele baumeln lassen, nannte meine Mutter das früher immer, und ich habe mir die Seele als Kind dann immer vorgestellt wie eine sanft wiegende leere Hängematte. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 11.Juli Eugen Ruge schreibt einen ?Wutausbruch? zur amerikanischen Spionage in Deutschland in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Sprecherin: Sehr geehrte Frau Merkel! Wie oft und mit welchem Eifer haben sie die Machenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR verurteilt! Zu Recht, denn die Stasi war eine ekelhafte Institution, das müssen sie mir, einem Republikflüchtigem nicht erklären. Dennoch hat die Stasi über mich persönlich vermutlich nicht den hundertsten, vielleicht nicht den tausendsten Teil der Information besessen, die irgendwo bei der NSA auf Festplatten herumliegen. Wäre es, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, nicht ihre politische, ihre moralische Pflicht mich als Bürger vor den Angriffen auf meine Privatsphäre zu schützen? Atmo: Vor der Lesung drunter und weg Gregor: 7. August Ich lese im tschechischen Brno als letzter von 60 Autoren. Es ist der ?Monat der Autorenlesungen?, in dem in diesem Jahr immer ein deutschsprachiger Schriftsteller mit einem Tschechen, Slowaken oder Polen auf Reisen geht. Von Brno nach Ko?ice in der Slowakei über das tschechische Ostrava nach Wroc?aw in Polen. Eingeladen waren zum Beispiel Kathrin Schmidt, Judith Zander, Robert Mennasse, Jaroslaw Rudi? oder Pavel Kohout. Die Veranstalterin Tereza Semotamová: 35. O-Ton Tereza Semotamová: Es ist sozusagen Festival der zweiten Städte. Also Brünn ist die zweitgrößte Stadt Tschechiens, Ostrava ist die drittgrößte Stadt, Ko?ice ist zweitgrößte Stadt Slowakei und Wroslaw ist zweitgrößte Stadt Polens, glaube ich. Und die Idee ist auch verbunden damit, dass Ko?ice, sowie Ostrava, sowie bald Wroc?aw waren diese europäischen Städte für Kultur gewählt worden und denen hat gerade so ein hammerliterarisches Festival gepasst für die Anträge. Und es ist eigentlich auch sehr gute Idee für die Städte, dass da mal was passiert im Sommer. Gregor: Meine erste Lesung in Brno findet in einem kleinen Theater statt. Einhundert Zuhörer sind gekommen. Jaroslaw Rudi? stellt mich vor, und ich muss zuerst erklären wie Judith Hermann und ich vor 15 Jahren unseren tschechischen Verleger Pavel ?eho?ík in Berlin kennenlernten: 36. O-Ton Gregor und Jaroslaw Also im Nachhinein ist das sehr romantisch und das wussten wir alle an diesem Abend natürlich nicht. Das muss 1997 oder 98 gewesen sein, im Prenzlauer Berg in Berlin und ich hoffe Pavel, ich kann das jetzt alles erzählen, ich erzähl es auf jeden Fall alles. Gregor: Judith Hermann arbeite damals in einer Kneipe als Kellnerin und ich war dort, um sie kurz zu besuchen, ein Bier zu trinken und eine Zigarette zu rauchen. Unser heutiger Verleger Pavel arbeitete in Berlin als Straßenmusikant um Geld für seinen Verlag zu beschaffen: 37. O-Ton Gregor und Jaroslaw Pavel kam nach vorne an den Tresen + tschech Übersetzung + und sagte dass der Jirzi Geburtstag habe und sie sich gerne betrinken würden. + tschech Übersetzung + Aber mit Schnäpsen, die sie nicht kennen. + tschechische Übersetzung + Und das war gar nicht mehr so leicht 1997 noch Sachen zu finden, wo wir dachten, dass die sie vielleicht noch nicht kennen würden. + tschechische Übersetzung + Und dann haben wir immer mehr getrunken zusammen. + tschechische Übersetzung + Und das endete dann alles damit, dass wir in eine andere Kneipe gingen und Jirzi sich hinlegte auf den Bürgersteig, + tschechische Übersetzung + Pavel sehr führsorglich einen Pullover unter seinen Kopf schob, + tschechische Übersetzung + und sagte, das würde der immer so machen. + tschechische Übersetzung + Und dann haben wir verabredet, dass wir Freunde werden, und sie alle unsere Bücher übersetzen. + tschechische Übersetzung + Und das hat geklappt + Lachen. Atmo Punkmusik im ?Auto drunter und stehen lassen Gregor: Am Morgen nach der Lesung in Brünn sitze ich um sieben im Auto mit Patrick Linhard. Ein tschechischer Dichter, der mein Reisepartner ist. Aus den Boxen dröhnt slowakische Punkmusik und am Rande der Autobahn gibt es Sonnenblumenfelder, kilometerweit. Wir werden gefahren von Robert Gal, einem slowakischen Schriftsteller, der diese Tour jeden Tag macht. Seit einem Monat. 38. O- Ton Robert Gal I? am driving you to Bratislava from Brno. Then you will take a train from Bratislava to Ko?ice. It will take you five hours to get to Ko?ice and you will have readings in the evening. Voice-over: Ich fahre euch von Brno nach Bratislava. Dort werdet ihr einen Zug nach Ko?ice nehmen. Ihr werde fünf Stunden nach Ko?ice fahren und am Abend habt ihr dort eine Lesung. Gregor: Nach zwei Stunden sind wir in der slowakischen Hauptstadt Bratislava, von der ich nichts sehen werde, außer den Bahnhof. An einem Kiosk kaufe ich mir einen Kaffee. Gekocht, wie früher auch in der DDR: Das Kaffeepulver einfach mit kochendem Wasser aufgebrüht, so dass sich eine dicke Schicht oben auf dem kleinen Plastikbecher bildet. Patrick Linhard, knackt sich eine Dose Bier auf und steckt sich eine Zigarette an. Es ist neun Uhr morgens. Mit seinen langen blonden Haaren sieht er aus wie ein Feenwesen und Charles Bukowski in einem. Er hat die ganze Nacht nicht geschlafen und holt dies nun im Zug nach. Er schläft und schläft, während wir an der Niederen Tatra vorbeifahren, an Stauseen und den schneebedeckten Bergen der Hohen Tatra. Bevor wir aussteigen zieht Patrick noch ein echtes tschechisches Polizeihemd über, um die slowakischen Brüder ein bisschen zu provozieren. Atmo: Zugbremse 39. O Ton Patrick So I take the Police-Shirt, because it?s legal in a outside and just smoke a cigarette. Two minutes stop the policecar and two policeman come to me: Why I have this shirt? Why I?am smoking? Because it?s prohibit in Slovekia, because you can not cross the yellow line. I never heart about something like this. In this time comes the lady to us, to take us to the centre of the city for authors readings and she told: Please policeman: He is a stranger a czech poet. Please forgive him. And the policeman said: Ok, but this is something like warning and you have to write in this document: I?am sorry! Voice-over: Also, ich habe das Polizeihemd angezogen, weil das erlaubt ist im Ausland und nur eine Zigarette geraucht. Zwei Minuten später hielt ein Polizeiauto und zwei Polizisten fragen mich: Warum ich dieses Hemd an habe und warum ich hier rauche. Zum Rauchen muss man die gelbe Linie vor dem Bahnhof übertreten. So was habe ich noch nie gehört. Dann kam die Dame, die uns zur Lesung bringen sollte, und sie sagte: Bitte, Herr Polizist. Er ist ein Ausländer, ein tschechischer Poet. Bitte, vergeben Sie ihm. Und der Polizist sagte: Ok, aber es gibt eine Verwarnung, und er muss in dieses Dokument schreiben: Entschuldigung! Atmo: Zug drunter und weg Gregor: Wir sehen wenig von den Städten und die Sonne brennt. Jahrhundertsommer heißt er jetzt schon. Mir dem Zug geht es am nächsten Tag zurück nach Tschechien, nach Ostrava und Patrick rockt mit seinen kurzen Texten, wie überall, den Laden: O-Ton Linhard 40. Kurz: Gedicht auf tschechisch. Am Ende: Lachen Gregor: Ich verstehe wie immer kein Wort, freue mich aber an seinen Auftritten. Lena Dorn, eine junge Deutsche, die in Ostrava einen Monat lang deutsche Autoren übersetzt hat, fragt mich, ob sie nicht dieses eine Mal völligen Blödsinn übersetzen könne. Sie würde sich wünschen einmal aus dem Rahmen zu fallen. Mir gefällt diese charmante Idee sofort. 41. O-Ton Lena Dorn und Gregor Etwas tschechisches dann Lena: Jetzt habe ich gesagt, dass dein Lieblingsautor Ji?í Sumín ist. Ich lache und sage: Ja, das stimmt. Gregor: Das stimmt natürlich nicht, und ich weiß gar nicht wer Ji?í Sumín ist, aber Lena und ich amüsieren uns den ganzen Abend darüber. Am nächsten Tag geht es weiter. Erschöpft komme ich bei brütender Hitze in Wroc?aw an. Das Festival hätte für mich nicht einen Tag länger dauern dürfen, aber diese eine Lesung schaffe ich noch. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 14. August. Vier Wochen lang habe ich nicht geschrieben. Habe mein Romanmanuskript nicht einmal angeschaut. Ich ließ mich treiben und es ist dann immer wieder schwer zurück zu finden zum Text. Fünf Tage habe ich nun in meinem Büro gesessen. Fünf Tage, in denen ich nichts geschrieben habe. Keine Zeile. Zum Glück kenne ich dieses Gefühl inzwischen, weiß dass das ein Zustand ist, der wieder vorbei geht. Ich muss ihn nur aushalten. Und richtig: Heute schreibe ich weiter. Mühsam. Eine Seite, aber ich bin zufrieden. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 15. August In Ägypten ist die Gewalt zurück, wie die Berliner Zeitung berichtet. Im Morgengrauen geht die Polizei gegen die Protestlager der Mursi-Anhänger vor. Mit Bulldozern und Panzern. Schneideatmo Sprecherin: Nach offiziellen Angaben sterben mindestens 278 Menschen, darunter 43 Polizisten, mindestens 1400 Verletzte werden gezählt. Aus den Reihen der Demonstranten heißt es, 2200 Menschen seien getötet, mehr als 10000 verletzt worden. Unter den Todesopfern war auch ein Kameramann des britischen Senders Sky News. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg 28. August Der Tagesspiegel Sprecherin: Das Seltsame ist, dass man als regelmäßiger Leser von Wolfgang Herrndorfs Block ?Arbeit und Struktur? immer geglaubt hat: Der schafft das, so schnell stirbt es sich auch mit einem Glioblastom, einem bösartigen, unheilbaren Gehirntumor nicht. Gregor: Ich gehörte nicht zu den regelmäßigen Lesern des Blogs und habe ihm trotzdem still und unbekannt die Daumen gedrückt. Gestern ist Wolfgang Herrndorf gestorben. Der Autor von Tschick und Sand. 48 Jahre wurde er alt. Drei Jahre älter als ich. Ich kannte ihn nicht persönlich, aber ich bin gern, wie eine Million anderer Leser auch, im Lada mit Tschick und Maik durch Brandenburg gefahren. Atmo: Zikaden drunter und stehen lassen Gregor: 3. September: Vielleicht ist das der schönste Ort, an dem ich bisher dieses Tagebuch geschrieben habe. Auf einer Dachterrasse hoch über dem Comer See. Genau am Scheitelpunkt, wo sich der schmale Bergsee in zwei Schenkel teilt. Gegenüber liegt Bellagio und dahinter steigen grau und zackig die Berge auf. Ich bin für ein paar Tage Gast der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Villa La Collina in Norditalien. Hans-Jörg Clement Leiter der Abteilung Kultur der Adenauer-Stiftung. 42. O- Ton Hans Jörg Clement Adenauer hat dieses Cadenabbia durch Zufall hier entdeckt und sofort lieben gelernt und hat dann sich entschieden diese Villa anzumieten. Diese Villa ist hier vergleichsweise karg. Es ist ein relativ schlichtes Haus und im Übrigen war es auch noch etwas kleiner als es jetzt ist. Und Adenauer hat dann aus den umliegenden Hotels hier Möbel ranschaffen lassen, immer wenn er da war. Das wurde durchmöbliert, kreuz und quer und sehr improvisiert, aber am Ende doch so effektiv, dass man immer vom Ersatzbundeskanzleramt in Cadenabbia gesprochen hat. Er hat dann hier unten mit der Bevölkerung Boccia gespielt. Nicht hier, wie man immer meint, weil die Bocciabahn hier steht, sondern unten im Ort. Atmo: Zikaden drunter und stehen lassen Gregor: Die Stiftung schreibt jährlich ein Stipendium für Kunst, Musik und Literatur aus. Einmal im Jahr treffen sich einige aktuelle und ehemalige Stipendiaten zu einer Werkstatt in Cadenabbia, um sich über ihre Arbeit zu unterhalten. Es werden mehr Bildende Künstler gefördert und so sind auch in der dieser Werkstatt 13 Maler dabei, ein Musiker und nur ich bin Schriftsteller. Ich habe beschlossen hier zum ersten Mal mein Romanmanuskript zur Diskussion zu stellen. Im Halbrund sitzen am zweiten Abend fünfzehn Stipendiaten und zwei Mitarbeiter der Stiftung vor mir und ich lese. 43. O- Ton Gregor Lesung Um ein Klavier lungern fünf Gestalten in schlecht sitzenden Anzügen. Die Instrumente zu Füßen. Geige, Gitarre, Posaune und ein Cello. ?Die sehen aus wie aus einem Kusturica-Film?, hört sie Paul begeistert sagen, und das ist das Letzte was sie hört, denn dann sieht sie Julius in einer der Nischen am Fenster sitzen. Julius und auch seinen Bruder Sascha. Der hat kaum noch Haare, sein Kopf ist rasiert und glänzt im Licht des Kronleuchters. Aber Julius sieht aus wie immer, ganz gleich , nur älter. Ein Geist in einem hellgrauen Hemd und Astrid denkt: ?Nein, nicht hier. Das kann nicht sein? Und dieser Gedanke und das Fortziehen von Paul ist fast eins. Sie zieht ihn Richtung Treppe und fast läuft sie dabei. Sie hat das Gefühl als hätte ihr jemand mit der flachen Hand auf den Solar Plexus geschlagen. Während sie die Treppen hinunterläuft, hört sie auch Paul wieder, wie er sagt, fast schreit: ?Himmel, was ist denn!? Sie bleibt stehen, atmet schwer: ?Ich kann da nicht essen.? ?Wegen der paar Ameisen oder warum? Magst du keine Zigeunermusik, oder was ist jetzt dein Problem. Ist das nicht alles ein wenig übertrieben?? Astrid küsst ihn flüchtig und zieht ihn Richtung Ausgang. ?Ich muss hier raus. Ich brauche frische Luft.? Applaus Gregor: Die Anwesenden wissen nichts über den Text. Ich habe ihnen vorher keine Informationen gegeben. Trotzdem wird rege diskutiert. 44. O- Ton Gregor und Publikum Gregor: Was hast du da jetzt gewusst? Publikum: Na dass es am Ende so sein wird, dass jetzt in Budapest Julius wieder auftaucht. Gregor: Ja, dann weißt du wahrscheinlich auch immer schon um neun wer der Mörder im Tatort ist. Lachen Gregor: Aber wenn es so ist, finde ich es auch nicht schlimm. Publikum: Du findest es nicht schlimm? Gregor: Ich würde es mir nicht wünschen, glaube ich, aber ich fände es nicht schlimm. Gregor: Mit dem Titel, Was gewesen wäre, haben meine Zuhörer ähnliche Schwierigkeiten wie ich. 45. O-Ton Publikum und ich Gregor: Es gibt so Tage da finde ich den ganz toll. Und dann gibt es so Tage da finde ich den auch echt... Hans Jörg: Wie war jetzt noch mal der Arbeitstitel? Gregor: Was gewesen wäre. Klingt so ein bisschen mühsam, finde ich hin und wieder. Wie findet ihr den? Publikum: Ist ein bisschen didaktisch. Ist ein bisschen sperrig. Ja, es könnte weniger distanziert sein. Gregor: Ich bekomme viel Lob von den anderen, es bleibt mir aber ein unsicheres Gefühl, das, so hoffe ich, daher kommt, dass der Text noch nicht abgeschlossen ist. 46. O-Ton Gregor Es fehlen noch Kapitel 13 und 14. Bei 13 bin ich absolut guter Dinge. Bei 14 kriege ich hin und wieder Muffensausen, weil ich weiß: Ich habe noch 6 Wochen oder so was. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 19. September Die Schlagzeilen der Feuilletons verdeutlichen, wer da gestorben ist. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Schneideatmo Sprecherin: Ein sehr großer Mann Gregor: Neue Zürcher Zeitung: Sprecherin: Der Herr der Bücher Gregor: Für Die Welt war der am Mittwoch verstorbene Marcel Reich-Ranicki Sprecherin: Erster Bürger im Reich der deutschen Dichtung. Gregor: Aber wie soll man um ihn trauern? FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher hat Reich-Ranicki gut zugehört: Sprecherin: Ich weiß genau, was er von Nachrufen erwartet. In dem Augenblick, da ich dies schreibe, höre ich seine Stimme: ?Herrgott, Sie müssen zeigen, was der Kerl taugte, nicht, wo er zur Schule ging!? Atmo: Kamera drunter und weg Gregor: 21. September Meine Schwester Sintje ist einen Tag lang mit mir durch Berlin gelaufen und hat mich fotografiert. Das Autorenfoto. Das zählt nicht gerade zu meinen Stärken: Auf einer Bank sitzen und freundlich gucken. In einem Park stehen und freundlich gucken. An einer Häuserecke lehnen und freundlich gucken. Sintje macht das hervorragend und ganz nebenbei. Wir haben fünf Motive gefunden. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 23. September Die CDU hat die Bundestagswahl gewonnen. Die FDP ist rausgeflogen. Bei allen anderen Katzenjammer. Es riecht nach einer Schwarz-Roten Koalition. Die Person Angela Merkel war entscheidend. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung: Schneideatmo Sprecherin: ?Der Jubel zeigt, wir können uns alle freuen.?, ruft die CDU-Vorsitzende ihren Parteifreunden zu. Von einem ?Superergebnis? spricht sie. ?Wir werden damit verantwortungsvoll umgehen.? Um sie herum stehen Fraktionsvorsitzende, Minister und andere Führungsleute der Partei ? sie strahlen alle. Die Sprachregelung haben sie schnell gefunden: klarer Regierungsauftrag, große Freude, ein beinah nie dagewesenes Ergebnis, ein unglaublicher Sieg, der allein Angela Merkel zu verdanken sei. Atmo: Mind the gap drunter und weg Gregor: 2. Oktober Ich bin wieder in London, an der Queen Mary University. Seit zwölf Tagen schreibe ich. Spreche möglichst wenig mit anderen Menschen. Ich gehe mit meinem Roman ins Bett und stehe mit ihm auf. Mir sind Änderungen, Möglichkeiten und Ideen morgens beim langsamen Aufwachen eingefallen, beim Durch-die-Stadt-Laufen, beim Joggen. Das 13. Kapitel ist so gut wie geschrieben. Ich. Sonst nichts. Am Dienstag vergangener Woche durchbricht die Welt allerdings meine Selbstisolation und das auf sehr schöne Weise. Atmo: Handyklingeln 47. O-Ton Epkes/Handymailbox Empfangen am 25. September um 10 Uhr 5: Hallo Herr Sander. Hier ist Epkes. Ich würde gern mit ihnen ganz kurz was besprechen. Das ist mir wirklich wichtig. Und vielleicht würd es sie sogar freuen, wenn sie mit mir drüber sprechen. Ich will es jetzt so nicht auf den Anrufbeantworter sagen oder auf die Mailbox. Wär? mir lieber wir könnten es persönlich machen. Also ist gar nichts Schlimmes. Es kann sie wirklich nur freuen. Mein ich jedenfalls. Gregor: Gerwig Epkes, vom Süd-West-Rundfunk, ist Jury-Vorsitzender des Deutschen Erzählerpreises. Alle zwei Jahre wählt die Jury den, ihrer Meinung nach, besten Erzählband aus. 2013 haben sie sich für meinen Winterfisch entschieden. Was für eine Freude! Großartig! Sensationell! Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 15. Oktober Der Guardien berichtet über nationalistische Unruhen in Moskau. Nachdem der Mörder eines 25 jährigen Russen als angeblichen Kaukasier ausmacht wurde, tobt der nationalistische Mob. Die Polizei reagiert unglaublich. Sprecherin: Moscow police rounded up and arrested more than 1200 migrant workers at a vegetable warehouse yesterday, the day after Russian rioters staged the most violent nationalist unrest in the capital in thre years. Voice-over: Die Moskauer Polizei hat gestern über 1200 Gastarbeiter in einem Gemüselager zusammengetrieben und verhaftet. Am Tag zuvor hatten russische Randalierer in der Hauptstadt die heftigsten nationalistischen Unruhen der vergangenen drei Jahre veranstaltet. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 23. Oktober Meine Zeit in London geht übermorgen zu Ende. Für Kristof Magnusson fängt sie gerade erst an. Der deutsch-isländische Schriftsteller ist jetzt mein Nachbar an der Queen Mary University. 48. O-Ton Kristof Magnusson Klopfen + Türöffnen Hallo Gregor, komm rein. Wir gehen mal am Besten ins Wohnzimmer. Ich muss noch ein kleines büschen aufräumen, weil ich hier die ganzen Sachen noch rumstehen hab. Möchtest du einen Kaffee oder Tee? Gregor: Kristof verkriecht sich weniger als ich. Sein Arbeitstag beginnt am Morgen in einem Fitnessstudio. 49. O-Ton Kristof Das ist hier ein Fitnessstudio, das 10 Minuten mit dem Bus entfernt ist auf der Canary Wharf, das ist so eines der Finanzzentren von London. Es gibt da etwas, was ich noch nie in der Umkleidekabine eines Fitnessstudios gesehen habe. Nämlich: Bügelbretter. Und zwar nicht eines oder zwei, sondern wirklich acht. Und ich geh immer morgens dahin und wenn ich dann fertig bin und aus der Dusche komme, dann stehen da lauter so Banker und Unternehmensberater in Unterhose, die irgendwie ihre Hemden bügeln, und dann ziehen die ihren Anzug an, und dann verschwinden sie zur Arbeit. Gregor: Kristof fühlt sich an die Welt seines letzten Romans Das war ich nicht erinnert. Eine der Hauptfiguren war auch ein Banker, ein Zocker, der Millionen verspielt. Aber ich möchte ein ganz anderes Thema mit ihm besprechen. Kristof Magnusson gehört zu den Erstunterzeichnern des Aufrufes an die Bundeskanzlerin. Gegen die Spioniererei der NSA. Auch ich habe diesen Aufruf unterschrieben. Online. Das ist ein merkwürdiges Gefühl, weil Kristof tatsächlich der erste persönliche Kontakt zu dieser Gruppe ist. Aber heute funktioniert eben auch der Widerstand eher virtuell. 50. O- Ton Kristof Es gibt einfach bestimmte Themen, da möchte ich, dass die Regierung nicht erst abwartet, wie sind die Mehrheiten, wo geht das Stimmungsbarometer hin, sondern dass die bei bestimmten Sachen sagen: Nein. Wir haben auch Prinzipien und das geht mit uns wirklich einfach mal nicht. Gregor: Ich äußere Zweifel, dass die NSA-Spionageaffäre die Menschen in Deutschland überhaupt interessiert. 51. O-Ton Kristof Also diesen Aufruf, den haben jetzt 70000 Menschen unterschrieben. Das ist ja jetzt nicht nichts. Ich glaube einfach es dauert seine Zeit bis so ein wichtiges Thema, was relativ abstrakt ist, sich dann mal herumspricht, dass das wichtig ist. Auf Dauer wird kein Weg daran vorbeiführen, dass wir unsere Freiheiten verteidigen. Es gibt so viele Beispiele, wo man einfach Freiheiten einschränkt um Sicherheiten zu bekommen und das führt immer dazu, dass man am Schluss beides verliert. Gregor: Da hat er Recht, aber mein Zweifel am Interesse der Bevölkerung an ihren Rechten im Internet bleibt. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 24. Oktober An meinem letzten Tag in London hat es die deutsche Politik dann doch noch auf die erste Seite des Guardien geschafft: Schneideatmo (?) Sprecherin: Merkel?s call to Obama: Are you buggin my phone? Voice-over: Merkel ruft Obama an: Hörst du mein Telefon ab? Schneideatmo Sprecherin: The German news weekly Der Spiegel reported an investigation by German intelligence, prompted by research from the magazine, that produces plausible information that Merkel?s mobile was targeted by the US eavesdropping agency. The German chancellor found the evidence substantial enough to call the White House and demand clarification. Voice-over: Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL berichtet über eine Untersuchung des deutschen Geheimdienstes ? angestoßen durch Nachforschungen des Magazins ?, die es für wahrscheinlich hält, dass das Mobiltelefon der Kanzlerin Ziel eines amerikanischen Lauschangriffs war. Die deutsche Kanzlerin hielt die Information für glaubwürdig genug um das Weiße Haus anzurufen und eine Aufklärung zu fordern. Gregor: Plötzlich ist das Thema auch für Deutschland interessant. Dafür musste allerdings erst die Kanzlerin abgehört werden! Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 30. Oktober Ich bin wieder zu Hause und guter Dinge. Es ist mir in England tatsächlich gelungen den letzten Punkt zu setzen. Das muss nicht heißen, dass der Roman jetzt wirklich zu Ende ist, aber wenn ich die erste Fassung geschafft habe, dann ist erfahrungsgemäß der Rest nur Fleißarbeit. In London kam keine große Freude auf. Ich war merkwürdig emotionslos. Leer, wie nach einem langen Lauf im Ziel. Aber ohne die freigesetzten Endorphine. Der Verlag allerdings zeigt sich begeistert. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 5. November Berliner Zeitung Schneideatmo Sprecherin: In einem neusachlichen 60er Jahre-Apparmenthaus in München Schwabing, in der total vermüllten und kunst-klimatisch nur als Katastrophe zu bezeichnenden Wohnung eines greisen, für seine Nachbarn nahezu unsichtbaren Herren namens Cornelius Gurlitt, lagerten seit Jahrzehnten 1500 während der Naziaktion ?Entartete Kunst? verschollene Kunstwerke. Gemälde, Zeichnungen, Grafiken der heute so extrem teuren Klassischen Moderne, vornehmlich von Pablo Picasso, Marc Chagall, Paul Klee, Max Beckmann, Ernst Barlach, Henri Matisse, Emil Nolde, Ludwig Kirchner, Max Liebermann, Otto Dix, Edvard Munch, Oskar Kokoschka, Käthe Kollwitz. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 11. November Ich muss mich für das Cover, den Umschlag, meines Romans entscheiden. Das ist immer schwer, es sei denn man hat beim Schreiben schon ein Bild im Kopf, aber mir ist das noch nie gelungen. Im Wallstein Verlag ist es so, dass die Grafikerin die Manuskripte liest und dann mehrere Entwürfe macht, die mit den Autoren besprochen werden. Mein Lektor, Thorsten Ahrend, mailt mir die Entwürfe zu und wir telefonieren. 52. O-Ton Telefon Thorsten Ahrend und Gregor Thorsten: Ahrend Ich: Du ich hab die Covernetwürfe mir angeguckt Thorsten: Und Ich: Alle jo, ganz gut finde ich. Nicht alle, aber einige Thorsten: Reicht ja einer Gregor: Die Arbeit mit Thorsten ist schön, weil es immer ein Miteinander ist. Er würde nichts gegen meinen Willen unternehmen, und ich lege wirklich sehr großen Wert auf seine Meinung. Das ist bei der Arbeit am Text sehr wichtig, aber auch bei Entscheidungen wie dieser. 53. O- Ton Telefongespräch Thorsten und ich Ich: Ich finde das Erste gut mit dem Schatten. Thorsten: Ja. Ich: Ich find vor allem den Schatten gut, und dass die Frau oben quer läuft. Also dass die nicht so direkt zu sehen ist, und dass dann der Schatten so giacomettiartig nach unten geht. Hat sie auch mit der Schrift gut gemacht, finde ich. Das Nächste geht gar nicht, finde ich Thorsten: Zu alt ne. Ich: Das sieht so nach... Thorsten: ...30er aus Ich: ...genau 30er Jahre aus. Das Nächste finde ich, ehrlich gesagt, so von der Stimmung und von den Farben her ziemlich gut. Wie findest du das? Thorsten: Ja, ich weiß nicht. Ich fand?s ganz gut, aber es ist vielleicht n bisschen zu sehr orgienmäßig. Ich: Ja n bisschen sehr partymäßig. Das Problem ist vielleicht auch noch die Bierflasche in der Mitte. Also die steht auch so wahnsinnig zentral. Thorsten: Ja. Wir können sie vielleicht ja noch umkippen. Lachen Ich: Und dann sind das auch so wahnsinnig viel Füße. Es sind auch alles Männerfüße. Thorsten: Ja, ich habe mich im Grunde genommen auch ein bisschen zu Nummer eins jetzt hinreißen lassen. Ich: Die Frau mit dem Schatten. Ok. Thorsten: Jo, denn ist doch gut Ich: Finde ich auch. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 12.November Heute kam ein Anruf von Thorsten Ahrend und nun ist alles wieder ganz anders. Im Wallstein Verlag war Vertreterkonferenz. Die Vertreter beraten deutschlandweit die Buchhändler beim Einkauf. ?Sie waren alle begeistert von deinem Buch?, sagt Thorsten. ?Aber die Frau mit dem Schatten war ihnen zu still und zu melancholisch. Wir wollen jetzt das Bild mit der Flasche und den Füßen nehmen.? Ich bin ganz froh, dass es einer der Entwürfe war, die ich mochte. Den Titel ?Was gewesen wäre? fanden sie gut. Den nehmen wir jetzt. Da bin ich sicher. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 14. November Frankfurter Allgemeine Zeitung Schneideatmo Sprecherin: Fünf Tage nach dem verheerenden Taifun Haiyan schlägt die Verzweifelung der Überlebenden im phillipinischen Katastrophengebiet zunehmend in Gewalt um. In dem Dorf Abucay unweit der fast völlig zerstörten Stadt Tacloban kam es zu Feuergefechten zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Anwohnern, wie am Mittwoch der Lokalsender ANC berichtete. In Alangalan stürmten Tausende ein Depot mit Reissäcken. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 21. November Ich fühle mich als wäre mir der Stecker gezogen worden. Müde und leer. Aber auch glücklich und zufrieden. Mein Verlag hat entschieden, dass ?Was gewesen wäre? als Leseexemplar erscheint. Das heißt, es soll noch vor Weihnachten ein Exemplar gedruckt werden, dass dann wie eine Werbung an Buchhändler, Journalisten und Veranstalter geschickt wird. In den letzten Tagen habe ich den Roman viermal gelesen und immer wieder Änderungen eingearbeitet. Und mit mir noch der Lektor und die Korrektorin. Ich kann den Text nicht mehr sehen. Und ab jetzt auch nichts mehr ändern. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 11. Dezember Nelson Mandela ist gestorben. Die TAZ berichtet von einer besonderen Trauerfeier in Südafrika. Schneideatmo Sprecherin: Castro und Obama gaben sich die Hand, Hollande und Sakorzy scherzten miteinander, das südafrikanische Publikum buhte lustvoll den eigenen Präsidenten aus und jubelte begeistert dem US-Präsidenten zu, wenn er das Fortdauern politischer Verfolgung auf der Welt geißelt. Im strömenden Regen von Soweto zeigt sich, dass der Funke, der von Nelson Mandelas Leben ausgeht ? nämlich der Mut, Bestehendes infrage zu stellen -, auf das Volk übergesprungen ist und seinen Tod überdauert. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 13. Dezember Ich habe den halben Tag am Fenster verbracht. Als endlich der gelbe Transporter hielt, bin ich runtergelaufen und habe dem Boten das Paket aus der Hand gerissen. Mein Buch ist da! Endlich. Es sieht toll aus und: Erst jetzt glaube auch ich es. Geschafft! Und noch jemand freut sich: Meine Frau Anette hat bisher meine Manuskripte mitgelesen. Sie kannte die Geschichten immer so weit, wie ich eben war. Aber dieses Mal hat sie gewartet. Sie will den Text als Buch lesen und nicht von losen Blättern. 54. O- Ton Anette: Kannst jetzt mal gleich die Kinder hüten und ich schmeiß mich hier in die Kissen und fang an zu lesen. Im Wald - Wir gingen durch den Wald, Jana und ich. Fast Hand in Hand. Unsere Arme (ab hier langsam ausblenden!) beru?hrten sich beim Laufen manchmal, und wir trugen beide Sommerkleider mit kurzen Ärmeln. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 16. Dezember Frankfurter Allgemeine Zeitung Die Regierungsmannschaft der großen Koalition steht fest. Die größte Überraschung ist wohl die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Sprecherin: Mit dem Einzug in den Bendlerblock bestätigt von der Leyen die ihr zugeschriebenen Ambitionen. Erste Bundespräsidentin wäre zwar auch nicht schlecht gewesen. Als erste Verteidigungsministerin kann sie aber auch noch die zweite Kanzlerin werden. Gabriel weiß somit schon, gegen wen er wahrscheinlich antreten müsste, wenn Merkel wirklich nicht mehr wollte. Kurz Musik stehen lassen, drunter und weg Gregor: 28. Dezember Zwischen den Jahren. In drei Tagen geht das Jahr 2013 zu Ende. Ob ich im nächsten Jahr Tagebuch schreiben werde? Wer weiß? Als ich in London, dass letzte Kapitel von ?Was gewesen wäre? schrieb, kam mir die Idee für ein neues Buch. Ob diese Geschichte trägt? Ich werde versuchen das rauszufinden im Jahr 2014. Musik! 1