COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 11. April 2011, 19.30 Uhr Das Hand-in-Hand-Prinzip Soziale Netzwerke im Wirtschaftsleben Eine Sendung von Paul Stänner Spr. vom Dienst Das Hand-in-Hand-Prinzip Soziale Netzwerke im Wirtschaftsleben Eine Sendung von Paul Stänner Atmo Applaus Atmo Dr. Thomas Bach redet, abblenden zur Atmo Autor Dr. Thomas Bach, Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees und Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, spricht über die Bedeutung des Sports, vor allem des Breitensports. Es ist Frühstückszeit. Der Raum ist bis zum letzten Platz gefüllt mit Damen und Herren in Geschäftskleidung, die an wohl gedeckten runden Tischen sitzen und Hörnchen, Brötchen, Kaffee und Müsli genießen. Thomas Bach hat aufmerksame Zuhörer, auch wenn nicht die Figur eines jeden einzelnen sportlichen Ehrgeiz verrät. Eine normal erscheinende Hotelatmosphäre mit Ansprache, aber der Eindruck täuscht. Atmo Applaus, unter dem Autor beginnt allmählich die Frühstücksatmo Autor Der Frühstückssalon liegt in einem Gebäude an der Südseite des Berliner Gendarmenmarktes, Im obersten Stockwerk, der Blick geht über die Dächer des Deutschen und des Französischen Doms und die Figuren auf dem Dach des Schauspielhauses. 1. O-Ton Spickermann Der Club wurde vor 10 Jahren, im November 2001, gegründet von Dieter Klostermann. Klostermann ist gebürtiger Bremer, ist als junger Mann dann nach der Hotelausbildung ins Ausland gegangen, hat für große Konzerne gearbeitet und ist auf Clubs aufmerksam geworden in Asien und hat damals seinen ersten Club in Asien gegründet. Autor Helga Spickermann ist Repräsentantin und PR-Managerin des Berlin Capital Club. "Capital" im Übrigen darf man vermutlich zu Recht übersetzen einerseits als: "Hauptstadt" und andererseits als: "Kapital". 2. O-Ton Spickermann Er ist dann in den 90er Jahren zurück nach Europa gekommen und über London dann nach Berlin. Als er dann gesehen hat, wie die Mauer fällt, hat er gesagt, er braucht unbedingt einen Club in Berlin und natürlich am Gendarmenmarkt, eine wunderbare Adresse. Autor Der Berlin Capital Club ist ein wirtschaftlich orientiertes Unternehmen. Der Club ist ein Dienstleister, so wie ein Hotel oder ein Restaurant ein Dienstleister ist, allerdings funktioniert die Struktur eines Clubs ein wenig anders als ein beliebiger öffentlicher Raum. 3. O-Ton Spickermann Ein Club ist eigentlich ein verlängertes Wohnzimmer. Der ehemalige Berliner Stadtkommandant der Briten hat einmal gesagt A club is like an extented family. You have to put something in in order to get something out. Punkt ist einfach, dass, wenn Sie hierher kommen, sind Sie zuhause. Sie kennen alles, Sie haben - um jetzt sportlich nach Dr. Bach zu sprechen, Heimvorteil. D.h. Sie können sich eigentlich viel ungezwungener geben, als Sie jetzt beispielsweise könnten, wenn Sie in ein Hotel gehen. Wenn Sie hier eine Konferenz machen oder Geschäftspartner einladen, dann ist das für Sie, als wenn Sie sie nach Hause einladen. Atmo läuft unter Autor aus Autor Der Club ist einerseits jedem zugänglich, er garantiert andererseits aber auch eine gewisse Exklusivität: Als neues Mitglied wird man empfohlen oder man empfiehlt sich selbst - in beiden Fällen wird ein Aufnahmekomitee darüber entscheiden, ob die Empfehlung auch zu einer Mitgliedschaft führt. Dann ist man drin und bewegt sich unter den movers and shakers, wie man in der globalisierten Wirtschaft sagt, unter denen, die etwas bewegen können. Musikakzent Autor Grundsätzlich ist jeder ein Netzwerker - im Fußballverein findet man den Elektriker seines Vertrauens, im Schützenverein den Gebrauchtwagenhändler, mit dem man reden kann, und in der sonntäglichen Kneipenrunde nach dem Gottesdienst kommt man mit dem Leiter der Sparkasse ins Gespräch, der - unter der Hand - Hinweise über die Kreditwürdigkeit eines potentiellen Kunden gibt. Finster wird es, wenn wir in die Bereiche des "Rheinischen Klüngels" oder der bayerischen "Spezlwirtschaft" hinabsteigen - da geht es dann schon nicht mehr um gegenseitige Freundlichkeiten, sondern um Amtsmissbrauch und Rechtsverletzung. Und von da ab ist der Übergang bis hin zu mafiahaften Vereinigungen fließend. Man kennt sich, man hilft sich, man empfiehlt einander, so ist es Tradition. Inzwischen gibt es aber organisierte Netzwerke, ja eine ganze Industrie von Netzwerken, die versucht, das möglichst effizient zum Produkt zu erheben, was früher so nebenher lief: Das Anbahnen und Bearbeiten von Kontakten. Einer aus dieser Industrie ist Alexander S. Wolf: 4. O-Ton Wolf Die Deutschlandgroup ist der Versuch, die Art und Weise, wie wir in Deutschland berufliche Beziehungen pflegen, zu revolutionieren. Autor Wer immer etwas Starkes plant, fängt am besten mit einer Revolution an. Alexander Wolf ist ein smarter Mittdreißiger, der seit einiger Zeit in der Nähe des Kurfürstendamms in einem Gemeinschaftsbüro die Deutschlandgroup aufbaut. 5. O-Ton Wolf Wir wissen ja alle, dass Beziehungen unheimlich wichtig sind. Nicht nur Liebesbeziehungen, sondern auch berufliche Beziehungen. wir hören immer mehr davon und es gibt gerade so eine Welle, einen Trend der Beziehungskultur,... jeder weiß, man muss Vitamin B haben, man muss jemanden kennen, aber wie das geht, weiß eigentlich keiner. Und selbst die Profis - ich hab jahrelang mit dem Diplomatischen Korps gearbeitet - wissen nicht genau, wie sie das eigentlich anstellen sollen. Autor Die Erfahrungen aus der Welt der Diplomaten haben Alexander Wolf gelehrt, dass es kaum etwas Sinnloseres gibt als die beliebten Small talks mit Häppchen. 6. O-Ton Wolf Jeder stürmt auf die Stehempfänge dieser Welt, versucht seine Visitenkarten loszuwerden, danach geht man mit Stapeln von Papier nach Hause und hat Namen drauf stehen - das sind Kontakte, was man braucht, sind aber Beziehungen. Autor Den Unterschied zwischen Kontakt und Beziehung macht das Element "Vertrauen" aus, aus dem dann wohl auch eine gewisse Nachhaltigkeit entsteht. Wenn's gut geht. 1985 wurde in den USA das "Business Network International", kurz: BNI, gegründet. Dem Gründer ging es zunächst einmal darum, für sein eigenes Geschäft mehr Kunden zu bekommen. Aus der Idee, wie dies geschehen sollte, wurde nach und nach ein System entwickelt, dass als BNI in mittlerweile 44 Ländern vertreten ist. Atmo Vorraum 7. O-Ton Obst Wir sind hier im Hotel Ambassador und wir haben heute Morgen unser BNI Frühstück beim Chapter Löwen. Wir treffen uns Mittwochmorgens regelmäßig zum Frühstück, um Empfehlungsmarketing zu betreiben. D.h. wir sind eine Gruppe von selbstständigen Unternehmern, die praktisch in der Woche für einander arbeiten. Autor Dem Diplomingenieur Jürgen Obst gehört eine Firma namens "Ökologische Gartenkunst", also ein klassischer Betrieb für Landschafts- und Gartenbau. Zurzeit leitet er das Chapter "Löwen" in Berlin. Die einzelnen Chapter, also Gruppen des Business Network International, sind regional geprägt: Die Berliner Gruppen bevorzugen die Namen aggressiver Tiere, die bayerischen Chapter scheinen Gesteinsnamen zu schätzen, man fragt sich, was wohl die Geschäftspartner am Wattenmeer wählen. Es handelt sich zumeist um mittelständische Unternehmen, die sich gegenseitig potentiellen Kunden empfehlen. 8. O-Ton Obst Wenn ich auf meiner Baustelle bin und sehe, dass zum Beispiel ein Glas kaputt ist, dann habe ich in unserer Gruppe einen Glaser und den empfehle ich. D.h. ich gebe eine Visitenkarte des Glasers weiter und erzähle dem Kunden, dass ich diesen Glaser kenne, dass er vertrauenswürdig ist und Mittwochmorgens bekommt dann der Glaser aus unserer Gruppe einen Empfehlungszettel, wo die Daten des Kunden draufstehen, so dass er da anrufen kann. Atmo Allgemeine Atmo, dann Atmo Präsentation unterlegen Autor Mittwochmorgen, sieben Uhr: die Berliner Löwen, bestehend aus 18 Firmen - zum Beispiel Gesundheitsmanagement, Schädlingsbekämpfung, Gebäudereinigung, Energieversorgung - und einigen Gästen, streben ihrem wöchentlichen Frühstück zu. 9. O-Ton Obst Der feste Ablauf beim BNI ist überall in der Welt in allen Chaptern gleich. Es gibt eine Begrüßung, wo ich dann das Team vorstelle, die mitarbeiten, dann gibt es eine 60-Sekunden-Präsentation von jedem Mitglied und jedem Gast, dann gibt es 10 Minuten von einem Mitglied, der sich ein bisschen ausführlicher präsentieren kann und dann zum Schluss kommt die Empfehlungsrunde, wo die besagten Zettelchen ausgetauscht werden. Autor Die besagten Zettelchen sind kleine, standardisierte Formulare, mit den Angaben desjenigen, der die Empfehlung weitergereicht hat, mit den Angaben zum potentiellen Kunden, der die Empfehlung erhalten hat und einer Bewertung der Geschäftsanbahnung auf einer fünfstufigen Skala von "warm" bis "heiß". Die Zettel werden mit großer Inszenierung überreicht, dann wird ausgewertet. 10. O-Ton Obst/Koyne (einblenden) Obst: ...gebeten, die Netzwerker des Monats uns kundzutun. Koyne: Ja noch mal ganz kurz zu den Zahlen des Monats: Wir hatten dort einen Gesamtumsatz von 8.198 Euro bei 18 Mitgliedern, in Summe wurden dort 36 Empfehlungen gegeben, die meisten davon hat Jürgen Obst gegeben und somit ist er der Netzwerker des Monats (Applaus) Autor Jürgen Obst, der ausgezeichnete Netzwerker, hat in den ersten Jahren seiner Selbständigkeit, die ja nach den Erfahrungen der Betriebswirtschaft immer die schwierigsten sind, seine Aufträge mit einem oder zwei Mitarbeitern bewältigt. Dann trat er dem BNI bei, zahlte mehrere hundert Euro Beitrag jährlich und geht seitdem jeden Mittwoch frühstücken. 11. O-Ton Obst Seitdem ich beim BNI bin, habe ich - sagen wir mal - 70/80 Prozent meines Umsatzes, die ich hier über Empfehlungen bekomme und hab meine Firma mittlerweile so vergrößert, dass ich sieben feste Mitarbeiter habe, ja und würde gerne noch wachsen, und es ist wirklich total spannend wie viele Kontakte, Geschäftskontakte ich hier knüpfen kann, immer wieder nach vier Jahren noch, wo ein ungeheures Potential an Geschäftskontakten zu erobern ist. Autor Erfrischend ist die wenig umständliche Art, mit der man aufeinander zugeht: Man ist höflich und kooperativ, aber niemand heuchelt Freundschaft oder weitergehendes Interesse. 12. O-Ton Obst Es ist nur Business, also Freundeskreis hab ich selber auch noch nie eingeladen, also hier in unserer Gruppe, sondern es geht ums Geschäft, das Thema ist hier Geschäfte machen und insofern sind die Gäste, die ich auch eingeladen habe immer im weiteren Sinne Geschäftskontakte, Geschäftspersonen, die ich hier weiter empfohlen habe. Autor Und das scheint ein in Deutschland neuer Zug zu sein: Dass man deutlich macht, man ist an dem anderen nur als Wirtschaftsfaktor interessiert - und räumt dabei ehrlicherweise auch ein, dass man selbst nur als Wirtschaftsfaktor gesehen werden möchte. Die Erfolge dieses Netzwerkes werden vom Chaptermitglied Marco Koyne genau erfasst. 13. O-Ton Koyne Durch die Mitgliedschaft im BNI haben wir den Vorteil, uns gegenseitig zu empfehlen und haben es geschafft, im letzten Jahr einen Umsatz 255.000 Euro zu generieren, d.h. dieser Umsatz ist positiv in jeder einzelnen Bilanz der 18 Mitgliedsfirmen zu bewerten. Autor Ein Netzwerk zur gegenseitigen Empfehlung ist offenkundig ein effizientes Hilfsmittel, das sich aber für den einzelnen aber nur rechnet, wenn auch er selbst eine Leistung einspielt, um von den Leistungen anderer zu profitieren. Das System, das der BNI seit 1985 verfolgt, wurde von der sich revolutionär gebenden "Deutschlandgroup" in minimaler Veränderung übernommen. Alexander S. Wolf: 14. O-Ton Wolf 60 - 15- 1 ist die Beschreibung des neuen Elements in dieser Beziehungspflege. Wir treffen uns für maximal 60 Minuten in Gruppen von maximal 15 Leuten einmal in der Woche. Zusammengefasst, aus Fremden werden Bekannte, aus Bekannten werden Vertraute, aus Vertrauten werden Freunde. Autor Während die Runden beim BNI auch größer sein können, limitiert sich die Deutschlandgroup auf 15 Mitglieder. Auch hier gibt eine untergründige Gemeinsamkeit: Schaut man sich die Mitgliedsfirmen an, so stammen sie dem ersten Eindruck nach zumeist aus der Kommunikationsbranche im weitesten Sinn. Die wöchentlichen Runden werden á 15 immer wieder neu gemischt, so dass die Teilnehmer möglichst häufig auf neue Gesichter treffen. Wer organisiert dieses Beziehungsroulette? 15. O-Ton Wolf Das macht meine Frau, sie ist die Geschäftsführerin und Inhaberin der Firma, und wie ein gutes Restaurant muss es immer einen geben, der auf den Stil und die Mischung achtet, und das ist sie. Musikakzent Autor Jörg Sydow ist an der Freien Universität Berlin Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere für das Feld der Unternehmenskooperation, also für Netzwerke von Unternehmen, die gemeinsame Projekte abwickeln. Die Frage lautet, in welchen Situationen solche Netzwerke für ein Unternehmen hilfreich sein können. Die Antwort: 16. O-Ton Sydow Situationen braucht man heute gar nicht mehr zu bezeichnen, weil das ein so mittlerweile verbreitetes Phänomen ist, dass man eher sich fragt, wo findet man keine Netzwerke? Autor Die Ausnahme ist eher die Regel: Als Beispiele, wo Netzwerke keinen Nutzen versprechen, nennt der Betriebswirtschaftsprofessor Unternehmen mit starken vertikalen Organisationsformen wie zum Beispiel in der Mineralölindustrie. Andererseits haben auch Mineralölfirmen gelernt, bei der Exploration von neuen Ölquellen, die heute nur noch mit großem Aufwand gefunden und erschlossen werden können, zusammen zu arbeiten. Dem Verbraucher von der Tankstelle kommt darüber hinaus gleich der Verdacht, dass es auch bei der Preisgestaltung der Mineralölproduzenten ein Netzwerk geben muss. 17. O-Ton Sydow Tatsächlich könnte man auch Kartelle als Netzwerke bezeichnen, und Netzwerke sind eben nicht nur legal, sondern manchmal eben auch illegal, wie mit jeder Organisationsform kann man damit Gutes tun oder auch Schlechtes. Autor Das sei den Kartellbehörden überlassen: Wo sind Netzwerke für Firmen effizient? Professor Jörg Sydow: 18. O-Ton Sydow Ein ganz wichtiger Grund ist die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft, und da gibt es zunehmende Beispiele in so genannten wissenschaftsbasierten Industrien, und weil wir hier in Berlin sind: ein schönes Feld ist dafür die Optik, die optischen Technologien, wie es heute heißt, wo die Entwicklung von neuen Produkten ohne eine enge Zusammenarbeit mit Hochtechnologieeinrichtungen der Wissenschaft gar nicht mehr möglich ist. Biotechnologien, Nanotechnologien, das wären weitere Beispiele dafür und gerade wo es diese Zusammenhang zu organisieren gilt zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, sind Netzwerke gar nicht mehr durch anderes zu ersetzen. Autor Wer aber mit anderen zusammenarbeitet, muss bis zu einem gewissen Maß seine Karten auf den Tisch legen. Mit dem Risiko, dass ein Kooperationspartner, der ja zumeist auch in der gleichen Branche tätig und somit ein Konkurrent ist, nützliche Informationen abgreifen kann. Jörg Sydow, der solche Cluster wissenschaftlich begleitet hat: 19. O-Ton Sydow In der Tat, Sie sprechen damit ein Grundproblem an von Kooperation und Konkurrenz, das für Netzwerke kennzeichnend ist. Das lässt sich auch nicht vermeiden, da kann man nur geschickt mit umgehen. Wenn ich da auf das Feld optischer Technologien zurückgehen darf, da haben wir in unserem Fall gefunden, den wir begleitet haben, dass da Unternehmen tatsächlich ihr Leistungsprogramm beschränken, um die Kooperation nicht zu gefährden und damit eben Wettbewerb beherrschbar machen in der Kooperation. Sie haben natürlich sehr, sehr recht, dass das ein grundsätzliches Problem ist, Wettbewerb und Konkurrenz in solchen Netzwerkstrukturen zu beherrschen. Autor Gerade mittelständische Firmen, für die eine Kooperation im Netzwerk neue Geschäftsfelder eröffnen kann, sind in der Regel nicht mit üppigen Mitteln ausgestattet. Innerhalb eines überschaubaren Zeithorizonts muss so eine Firma Geld verdienen, sonst lohnt sich die Netzwerkarbeit nicht. Denkt man. Professor Sydow meint dagegen: 20. O-Ton Sydow An manchen Stellen ist es gar nicht wichtig, das zu messen, weil es auch hilfreich sein kann, über einen längeren Zeitraum zusammenarbeiten und ein subjektives Gefühl zu haben, dass es sich für die Beteiligten nicht unbedingt das in Mark und Pfennig oder Euro und Cent ausdrücken zu können. In vielen Netzwerken wird es gerade nicht möglich, das kurzfristig zu realisieren, weil eben der langfristige Zeithorizont wichtig ist, gerade wenn es um die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftseinrichtungen und Unternehmen geht. Autor Netzwerke von Firmen untereinander sind eine Methode, eine andere Methode des Netzwerkes ist die Verbindung unterschiedlicher Komponenten innerhalb einer Firma. Die Mitarbeiter bilden Netzwerke, die von der Firmenleitung organisiert werden. Der Hintergrund: Jede Firma hat eine Organisation, die im Regelfall von oben nach unten verläuft und von den Vorgesetzten zumeist für ausgesprochen effizient gehalten wird. Die Erfahrung zeigt aber, dass es oft schneller geht, wenn man den Dienstweg meidet. 21. O-Ton Sydow Schlaue Organisationen beziehen das mit ein und bilden zum Beispiel Kohorten von neuen Mitarbeitern, die sie dann pflegen und hegen während ihrer persönlichen Entwicklung und sie schaffen damit ein informelles Netzwerk in Organisationen, um zum Beispiel Defizite formaler Organisation zu beseitigen. Autor Der kluge Chef baut also in seinem Unternehmen eine hierarchische Struktur auf und pflegt gleichzeitig anarchische Netzwerke, mit denen seine Mitarbeiter die unzweckmäßigen Strukturen umgehen können. Hü und hott im Zusammenspiel, oder, für die Esoterik-Branche: Yin und Yang in der Harmonie des Netzwerks. 22. O-Ton Sydow Weil zum Beispiel irgendwelche Regeln überbürokratisch sind und tatsächlich die Mitarbeiter, weil sie sich kennen gelernt haben bei der gemeinsamen Personaleinstellung zum Beispiel nach ihrem Hochschulabschluss, tatsächlich stärker zusammenarbeiten als allein in formalen Strukturen. Und so was wird heute mitgedacht. Musik Atmo Lokal Autor Niels Przybilla leitet eine Firma für Hosting, Internet und Webdesign. Er unterrichtet Interessenten, die sich im Internet bewegen wollen, um entweder Geschäftskontakte zu knüpfen oder einen Job zu finden. Networking, Netzwerkarbeit ist eine Methode, die das altertümliche Herumfragen im Freundeskreis ersetzt hat. 23. O-Ton Przybilla Das moderne networking unterscheidet sich darin, dass es mehr auf das Thema Geschäft ausgerichtet ist, dass offen darüber gesprochen wird, dass man miteinander Geschäfte machen will. Autor Je nach Unternehmensgröße, schätzt Przybilla, kann man annehmen, dass zwischen 20 und 80 Prozent des Umsatzes durch networking hereingeholt werden, eine professionelle Präsentation im Internet vorausgesetzt. Wir nehmen die Plattform Xing als Beispiel - und einen Handwerker: 24. O-Ton Przybilla Ein Glaser könnte sich darüber präsentieren, dass er schaut, welche Spezialdienstleistungen er anbietet und wer die Zielgruppe für diese Spezialdienstleistung ist. Bei einem Glaser könnten das zum Beispiel Architekten oder Bauherren sein und dann gezielt aus dem Netzwerk Architekten und Bauherren sich herauszusuchen. Autor Jochen Pett, ein Experte für Markenstrategien und Contentdevelopement - will sagen: für die Botschaft, die eine Marke ausstrahlen soll - ist mit seinem persönlichen Profil bei Xing vertreten. 25. O-Ton Pett Es kommt immer wieder vor, dass ich eine Mail bekomme, so eine Art Wochenreport, dann kann ich daran sehen, wer sich mein Profil angeschaut hat. Dann kann ich auch diese Person klicken und schau mir wiederum deren Profil an, das kriegt nun der wiederum mit, das ist so eine Art Doppelagentenspiel und einer macht dann den ersten Schritt und klickt "diese Person als Kontakt bitte hinzufügen". Und wenn das geschehen ist, hat der andere die Möglichkeit, diese Kontaktaufnahme entweder abzulehnen oder anzunehmen und man kann das Ganze noch mit einer persönlichen Nachricht garnieren. Autor Wobei offenbar nicht allein ein geschäftlicher Zweck bei Xing möglich ist. Man kann auch Kommunikationsgruppen einrichten, in denen sich die Mitglieder zu bestimmten Themen austauschen, die beispielsweise aus wissenschaftlicher Sicht interessant sind. Oder es treffen sich die Liebhaber des Angelsports oder der spanischen Küche. Was die geschäftlichen Aspekte betrifft, hat Xing Vor- und auch Nachteile. 26. O-Ton Pett Der persönliche Kontakt ist das A und O, ist der intensivste, der tragfähigste und letztlich der, an dem man erkennt, wie sehr man jemandem wirklich vertrauen kann. Autor Und dafür ist das Internet ein nur eingeschränkt taugliches Hilfsmittel. Aber um den einen, tragfähigen und persönlichen Kontakt überhaupt zu finden, muss der Internet-User erst einmal "Masse machen": 27. O-Ton Pett Aber was die Breite der Ansprache betrifft, auch die Effizienz, auch die Tatsache, dass man dann durch die Filterung, die das Profil ja darstellt, mit Leuten in Kontakt kommt, die man sonst nie getroffen hätte im realen Leben, das ist tatsächlich ein richtiger Mehrwert. Autor Niels Przybilla, der Internet-Trainer, hat ein Beispiel: 28. O-Ton Przybilla Xing kann ich besonders dann gut nutzen, wenn ich weiß, was ich haben möchte. Ein Beispiel aus der Praxis ist ein Kunde von mir, der ganz gezielt GmbH- Geschäftsführer gesucht hat, d.h. er hat in sein Suchprofil bei Xing eingegeben, er sucht Kontakt zu GmbH-Geschäftsführern, damit hat er aufgrund der Suche die absolut passenden Kontakte bekommen, und konnte die natürlich ansprechen, weil er ein entsprechendes Angebot für die hatte. Musikakzent Autor Wieder Berlin, ein Dachgeschoss in der Nähe des Kurfürstendamms, das Arbeitszimmer von Heidi Ramlow. 29. O-Ton Ramlow Wir wollen im Netgzwerk uns unterstützen. Wir haben eine Email-Liste, wo, wenn jemand eine Frage hat, welches Gift kann ich nehmen, oder welche Pistole oder so, dann schreiben wir Rundmails und irgendjemand weiß dazu was, weil, wir kommen ja aus allen Berufen, aus allen Sparten, wir haben bei uns Richterinnen, Polizistinnen, Hausfrauen, Gärtnerinnen - es ist alles vertreten, Fahrradkurier, sonst was... Autor Heidi Ramlow spricht für die "Mörderischen Schwestern", ein bundesweites Netzwerk von mehr als 400 Krimi-Autorinnen. Allein das Berliner Chapter umfasst 52 Projektentwicklerinnen in der Branche "Mord und Totschlag". Die Damen unterstützen einander mit handwerklichen Tipps, aber auch mit Kontakten zu Verlagen und anderen Akteuren des Marktes. 30. O-Ton Ramlow Verlage und Filmfirmen - ja doch, es gibt z.B. den Jaron-Verlag, da haben sehr viele Schwestern veröffentlicht schon, die schätzen inzwischen unsere Qualität, wir kriegen auch in Berlin immer mehr Anfragen von Bibliotheken, für Lesungen, das wird von Jahr zu Jahr mehr, weil sie feststellen, wir sind eben nicht ein Hausfrauenverein, der in seiner Freizeit Krimis schreibt, sondern wir sind richtig professionell, und das schätzen sie. Autor Heidi Ramlow hat als Regisseurin und Autorin mehr als 30 Jahre Erfahrungen mit Gerichtssendungen, die in der ARD und im ZDF ausgestrahlt wurden. An Professionalität herrscht also kein Mangel. Die Frage in einem Netzwerk ist wie immer: Wenn ich meinem Co-Netzwerker Tipps gebe, die ihm beruflich nützen, dann füttere ich gleichzeitig meinen Konkurrenten. Oder funktionieren Frauen da anders? 31. O-Ton Ramlow Ich seh das nicht als Konkurrenz an, ich hab mein ganzes Leben so gehandelt und viele der Schwestern eben auch, ich bin stolz darauf, wenn ich dazu beitragen kann, wenn jemand veröffentlicht wird oder einen Preis kriegt, da kann ich doch stolz drauf sein, dass ich dem sogar den Tipp gegeben habe. Autor Im Überblick betrachtet: Netzwerken scheint eine soziale Verhaltensweise zu sein, der man nicht entgehen kann. Wer nicht netzwerkt, steht außerhalb des Spielfelds. Entscheidend ist wohl nur die Frage: Was will ich? Geld und Geschäft oder Freizeit und Freunde? Und: Welchen gesellschaftlichen Rahmen brauche ich dafür? Und Was? muss ich investieren, um Was? heraus zubekommen? Spielarten gibt es in jeder Größenordnung. Und: der Gewinn muss nicht immer sofort als Geld sichtbar sein. 32. O-Ton Ramlow Es hilft vor allen Dingen bei Schreibblockaden, die jeder mal hat. Man sitzt vor seinem Blatt Papier und bringt nichts drauf und da zu kommunizieren, dass das was ganz Normales ist, dass jeder sich manchmal die Sätze wirklich abringt und dass die Arbeit im Grunde genommen anfängt, wenn man einen Roman oder eine Kurzgeschichte geschrieben hat, dann fängt die eigentliche Arbeit an, nämlich die Feinarbeit und da sich zu unterstützen, die Qualität zu verbessern, da trägt ein Netzwerk dazu bei. ... und da richtige Kritik in einem geschützten Raum zu erfahren, finde ich sehr wichtig, und das hilft auch den Schwestern eben. Musikakzent Atmo Lounge im Berlin Capital Club Autor Wieder Berlin, wieder ein Dachgeschoss, zurück im Berlin Capital Club über dem Gendarmenmarkt. Helga Spickermann ist Repräsentantin des Clubs und es geht um die Frage, ob solche exklusiven Zusammenschlüsse nicht immer auch den Verdacht erwecken, hier werde hinter verschlossenen Türen um Millionen gemauschelt. 33. O-Ton Spickermann Ich glaube, in jedem Raum, der geschlossen ist, finden Gespräche statt, und hier ist es natürlich schon so, dass wir nicht darüber reden, was gesprochen wird, es sei denn, die Presse ist zugelassen. Aber das ist eben eine Vertraulichkeit, die ein Club ausmacht und ich denke mal, da müssen sie nicht in einen Club gehen, um irgendwelche Hinterzimmer zu haben, die können sie überall haben. Aber es ist hier einfach so, dass die Leute, die hierher kommen, wissen, dass es geschützt ist. Autor Ulrich Junghanns kennt den Berlin Capital Club seit Jahren. Zunächst kam er durch sein Amt hierher, als Wirtschaftsminister des Landes Brandenburg. Nach seinem Ausscheiden aus der Landesregierung nutzt er den Club für seine Geschäfte, als Unternehmensberater in der Umfeldentwicklung des Flughafens Berlin- Brandenburg und bei der Integration erneuerbarer Energien. 34. O-Ton Junghanns Netzwerke sind für den, der sie sucht und mitgestaltet, ein Wachstumsfaktor, ein Mittel, in dieser internationalen, globalen Welt Schritt zu halten bei der Markteroberung national und international, man kann auch sagen, es ist ein Treibmittel für die eigene Firmenentwicklung. Autor Ulrich Junghanns ist Minimalist, in Berlin nutzt er ein kleines Büro in einer Bürogemeinschaft, sein Hauptsitz ist in Frankfurt an der Oder. Den Club in Berlin- Mitte braucht er als Ort, um sich mit seinen Kunden zu treffen. 35. O-Ton Junghanns Ich hege mit dieser Mitgliedschaft zwei Erwartungen: ich möchte für meine konkreten Geschäftsinteressen, für die Gespräche, für die Verhandlungen, die ich führe, eine Atmosphäre bieten, die a) einladend ist, die auch einen bestimmten Anspruch verkörpert, einen gewissen Stil verkörpert und die in einer Vertraulichkeit abläuft, die an einem Tisch in einer Gaststätte so nicht ablaufen kann wegen der Umfeldgeräusche, die man dann hat. Erstens. Autor Das eigentliche Thema aber ist die Netzwerkarbeit, also das Kennenlernen neuer Personen, neuer Geschäftsmöglichkeiten und auch neuer Sichtweisen. 36. O-Ton Junghanns Zweitens nutze ich den Club mit seinen Angeboten, mit wirklich interessanten Leuten verschiedener Branchen in Kontakt zu kommen, da gibt es Frühstückstreffen, da gibt es Abende, die man organisiert, also man kann ziemlich hautnah in einem kleinen Kreis mit interessanten Managern der deutschen und der internationalen Wirtschaft zusammenkommen oder mit Verantwortlichen der Politik oder der Verwaltung, die über das sprechen, was sie zu verantworten haben und wo man sich ganz einfach informiert. Autor Da es um Geschäfte geht, geht es auch um Bilanzen: Der Capital Club Berlin verlangt jährlich mehrere Tausend Euro Mitgliedsbeitrag, dazu kommt die Zeit, die man dort verbringt: im Gespräch an der Bar oder auch auf der Golfbahn. Lohnt sich also der Aufwand? 37. O-Ton Junghanns Absolut, Absolut, die Zeit, die ich einbringe, die ich dort verbringe, ist wirklich gut genutzt, die Zeit für sehr intensive Gespräche, auch mit Folgerungen, die sich daraus ergeben haben fürs Geschäft. Musik Spr. vom Dienst Das Hand-in-Hand-Prinzip Soziale Netzwerke im Wirtschaftsleben Eine Sendung von Paul Stänner Es sprach der Autor Ton: Barbara Zwirner Regie: Roswitha Graf Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2011 1 1