COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe : Literatur Titel der Sendung : "Charmeur und Chronist der Gosse" Der marokkanische Schriftsteller Mohamed Choukri AutorIn: : Godehard Weyerer Redakteurin : Dorothea Westphal Sendetermin : 13.07.2010 Regie : Besetzung : Sprecher (Kommentar), Übersetzer, Zitator (Zitate und Übersetzungen könnten auch von Sprecher gelesen werden) O-Töne und Atmos im V-Speicher Musik Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Godehard WEYERER Historiker M.A. Bremer Journalisten-Etage Fedelhören 8 28203 B R E M E N Tel.: 0421-2442277 Mobil: 0170-3118632 e-mail: gweyerer@aol.com 13. Juli 2010 DEUTSCHLADRADIO KULTUR Literatur Dorothea Westphal Charmeur und Chronist der Gosse Der marokkanische Schriftsteller Mohamed Choukri Wann er, der Sohn einer ärmlichen Bauerfamilie, im Rif-Gebirge geboren wurde, lässt sich auf den Tag genau nicht mehr festlegen. Nach eigener Aussage muss es im Juli 1935 gewesen sein, und Mohamed Chourki, der marokkanische Schriftsteller, wäre in diesem Sommer 75 Jahre alt geworden. Choukri lebte in Tanger, als die Stadt noch unter internationalem Status stand. Er, der sich als 20jähriger im Gefängnis lesen und schreiben beibrachte, lernte die Beatniks (Paul Bowles, William Burroughs, Allen Ginsberg) kennen, die in den fünfziger und sechziger Jahren nach Tanger kamen. Choukri war Zaungast auf den Partys, die vor allem die Amerikaner in Tanger feierten und die die Stadt der Diplomaten, Schmuggler und Gestrandeten als dekorative Kulisse missverstanden. Choukri´s Autobiographie war wegen seiner schonungslosen Schilderungen des sozialen Milieus in Marokko lange Jahre verboten. Er, der dem Whisky zugetan war und die Dynamik der westlichen Welt durch und im Alkohol-Genuss zu ergründen versuchte, beschreibt die vorwiegend negativen Auswirkungen des westlichen Einflusses auf die traditionellen Werte des marokkanisch- islamischen Lebens, das seiner Ansicht nach im Kif-Rausch zu erstarren droht. Diese Widersprüchlichkeiten prägten sein Leben und sein literarisches Werk. Mohamed Choukri starb vor sechseinhalb Jahren, am 15. November 2003. Godehard Weyerer traf ihn 1994 in Tanger. Atmo 01: Medina (Markt2) SPR.: Das Labyrinth der engen Gassen ist Mohamed Choukris Zuhause gewesen. In der Medina, der Altstadt von Tanger, führen ausgetretene Steintreppen hinauf zur Kasbah, der mittelalterlichen Burganlage. Die Menschen sind hier zu Fuß unterwegs. Heute noch wie damals, als Mohamed Choukri in die Stadt kam und Tanger unter internationaler Verwaltung stand. Franzosen, Briten und Spanier hatten das Sagen. Die Hafenstadt im Norden von Marokko bot sich seinen von weither angereisten Gästen als Kulisse für ein märchenhaftes Leben wie aus Tausendundeiner Nacht an. CUT 01: Mira! Te voy a decir una cosa ... aunque fuese sin raizes es un europeo Übers.: Wenn ein Marokkaner sich auch nur das Geringste zuschulden kommen ließ, wurde er hart bestraft. Bei einer Razzia wurden niemals Europäer oder Amerikaner festgenommen. Stets waren die Einheimischen dran, die vielleicht ihre Papiere vergessen hatten oder was weiß ich. Es war reiner Kolonialismus, aber was konnten wir tun? Wir gingen auf die Straße und mussten uns ausweisen, während ein paar Schritte neben uns Ausländer unbehelligt vorbeispazierten. In unserem eigenen Land! Ich musste nachts auf dem Friedhof schlafen, um mich nicht ausweisen zu müssen, weil ich keine Papiere hatte. Wir waren Entwurzelte im eigenen Land. Musik 01: Djellala-Musik (klassische arabische Musik Zitat: Mein Bruder ist ein Engel geworden. Und ich? Ich werde ein Teufel sein, daran ist kein Zweifel. Die Kleinen, wenn sie sterben, werden Engel, die Erwachsenen Teufel. Es ist zu spät, dass ich ein Engel werde. (Das nackte Brot) SPR.: Mohamed Choukri, der mit diesen Zeilen den ersten Teil seiner Autobiografie schloss, empfängt uns in seiner kleinen Wohnung im zweiten Stock eines schmucklosen Mietshauses. Orientalische Teppiche dämpfen die Schritte auf dem Holzboden, an den Wänden Regale vollgestopft mit Büchern. In der Küche stapelt sich Geschirr im Becken, leere Flaschen stehen auf dem Tisch. Im Arbeitszimmer, mit Blick in den Hinterhof, gibt es eine kleine Sitzecke. Choukri schenkt Tee ein. Als Fünf- oder Sechsjähriger sei er, der Sohn einer ärmlichen Bauerfamilie, aus dem Rif-Gebirge in die Stadt gezogen. In Europa tobte damals der Krieg, als sich seine Familie in Tanger durchs Leben schlug. Musik 02: Djellala-Musik (klassische arabische Musik Zitat: Mein Bruder hustete und hustete. Ich fragte meine Mutter voller Angst. "Wird er auch sterben?" "Aber nein. Dein Bruder wird nicht sterben. Er ist nur krank." In Tanger sah ich das viele Brot nicht, das mir meine Mutter versprochen hatte. Wenn der Hunger sich mit Gewalt über mich hermachte, suchte ich in den Mülleimern nach essbaren Resten. Ich traf einen Knaben, in den Mülleimern wühlend wie ich. Sein Kopf und seine Hände voller Pusteln. Barfüßig, Hemd und Hose durchlöchert. Er sagte zu mir: "Die Mülleimer in der Stadt sind besser als in unserem Quartier. Die Abfälle der Christen sind besser als die der Muslime." (Das nackte Brot) CUT 02: Quien sabe entre los marroquis ... como otros turistas que se agarran asi. Übers.: Wer kannte damals in Marokko schon Gregory Corso, Allen Ginsberg, Williams Burroughs, oder Alberto Moravia und wusste, dass sie in der Stadt waren? Noch heute interessieren sich nur wenige dafür, dass auch Samuel Beckett, Jean Genet oder Tennessee Williams in Tanger lebten. Für die Marokkaner waren es nur Fremde, die herkamen und wieder weggingen, wie heute die Touristen. Atmo 02: Junger Marokkaner auf dem Grand Socco: "Market, jeah? Can you see the Berber-market in Merdina, m father`s shop?. You have paranoia? What do you think? Are many huzzelers here in Marokko? (Atmo unter Text legen) SPR.: Nein, nein, er sei kein Touristen-Schlepper, kein Huzzeler, beteuert der junge Marokkaner auf dem Grand Socco, dem großen Platz vor dem Eingang zur Medina. Er sei auch keiner, vor dem man Angst haben müsse. Er helfe seinem Vater in dessen Geschäft und wolle nur sein Englisch verbessern. Atmo 03: Junger Marokkaner auf dem Grand Socco: "I tell, here are man people selling haschish. I want just practice the language. I am not a guide". (Atmo unter Text legen) SPR.: Hartnäckig hält er an seinem Vorhaben fest und lässt erst davon ab, als Mohamed Choukri zu verstehen gibt, dass die Fremden, die sich trotz einbrechender Dämmerung in das Gewirr der Altstadtgassen wagen, unter seiner Obhut stehen. CUT 03: Yo no, francamente no he traicionado ... salvador. Übers.: Heute werde ich dafür kritisiert, dass ich viel Geld ausgebe; dann sage ich, dass ich keinen Vertrag mit der Armut geschlossen habe. Ich bin so weit gekommen, weil ich viele Opfer gebracht habe, um so leben zu können. Außerdem leide ich gelegentlich an starken Depressionen. Zweimal bin ich aufgrund der schizophren anmutenden Situation, zwischen allen Stühlen zu sitzen, in psychiatrische Anstalten eingewiesen worden. Mein Leben war Überlebenskampf und Abenteuer zugleich. Viele haben diese Zerrissenheit und das Gefühl, nirgendwohin zu gehören, nicht verkraftet. Viele haben es nicht geschafft. Aber ich kann nicht alle retten. Musik 03: Djellala-Musik (klassische arabische Musik Zitat: Mein Vater kommt jeden Abend verdrossen nach Hause. Wir wohnen in einem einzigen Raum. Manchmal schlafe ich mitten im Gerümpel. Mein Vater ist eine Bestie. Kein Mucks, kein Wort ohne seine Ermächtigung, als würde er über alle Dinge bestimmen und nicht Gott, wie ich es die Leute sagen hörte. Er schlägt meine Mutter ohne verständlichen Grund. Ich habe ihn öfters zu ihr sagen hören: "Ich werde dich verlassen, du Hurentochter. Mach deine Sache alleine mit diesen zwei Welpen." Mein Bruder weint. Von Schmerzen gepeinigt, weint er um Brot. Ich sehe IHN auf ihn zugehen. Die Bestie geht auf ihn zu. Wahnsinn in seinen Augen. Keiner kann ihn aufhalten. Ich will um Hilfe schreien: "Eine Bestie! Ein Verrückter! Haltet ihn!" (Das nackte Brot) (Musik 03 aufblenden) Zitat: Ich dachte daran, wie mein Vater meinem Bruder den Hals umgedreht hatte. Ja, er ist es, der ihn getötet hat. Ich habe es gesehen, wie er ihn getötet hat. Er hat ihm den Hals umgedreht. Das Blut spritzte aus seinem Mund. Ich habe es gesehen, ich habe es gesehen, wie er ihn getötet hat. Mein Vater hat ihn getötet! (Das nackte Brot) Atmo 04: Restaurant SPR.: Spät abends füllt sich das Cafe Tingis am Petit Socco. Auf dem kleinen, von mehrstöckigen Häusern eingerahmten Platz hatte sich Mohamed Choukri als junger Mann mit seinesgleichen getroffen, mit Bettlern, Schmugglern und Strichern. Auch später, nachdem er sich das Lesen und Schreiben beigebracht hatte und als Lehrer und Schriftsteller arbeitete, kehrte er zurück zu den Plätzen seiner Jugend, setzte sich an einen Tisch, bestellte einen Kaffee, meist auch einen Whiskey, und schrieb. Musik 04: Djellala-Musik (klassische arabische Musik Zitat: In der Stadt ist kein Ort sicherer als der Friedhof. Ich glaube, die Leute achten die toten Seelen höher als die lebendigen. Wir gingen in Richtung des Friedhofs. Wir betraten die Welt der ewigen Stille. Ich dachte, hier liegt mein Bruder begraben. Wenn mein Vater tot ist, werde ich sein Grab besuchen, um darauf zu pinkeln. Sein Grab ist zu nichts gut, es taugt nur als Abort. (Das nackte Brot) SPR.: Mit seiner schonungslosen Schilderung der sozialen Realität verletzte Mohamed Choukri das moralische Empfinden der islamischen Glaubensgemeinschaft. "Das nackte Brot", der erste Teil seiner Autobiografie, wurde in Marokko verboten - auch weil Choukri die im Koran verankerte Unantastbarkeit des Vaters missachtete. Der Vater starb 1979. Im zweiten Teil seiner Autobiografie, "Zeit der Fehler", schreibt er über seine Familie. Das Kapitel heißt "Salz wird niemals blühen". CUT 04: Si. El odio, el odio que yo ... mi padre Übers.: Ja, ich habe meinem Vater verziehen. Der Hass, den ich für ihn empfand, war ein kindlicher Hass. Heute weiß ich, dass er selbst kein angenehmes Leben hatte. Er war Soldat, ist desertiert und hat zwei Jahre im Gefängnis verbracht. Er gehörte der entrechteten Klasse an. Armut, Gewalt auch in seiner Kindheit. Letzten Endes war er kein Rivale, an dem ich mich messen konnte. Ich war ihm in vieler Hinsicht überlegen. Andererseits wurde ich oft gefragt, warum ich nicht geheiratet und Kinder bekommen habe. Ob ich Kinder nicht mögen würde. Und dann kann ich nur antworten, dass ich mir selbst nicht sicher bin. Vielleicht trage ich einen Teufel in mir, der mich zwingen würde, mich meinen Kindern gegenüber genauso schlecht zu verhalten, wie mein Vater es mit uns getan hat. Atmo 05: Restaurant SPR.: Die meisten Männer, die sich bei einbrechender Dunkelheit im Café Tingis treffen, sitzen in einem weiten Kreis vor einem Fernsehapparat, der für alle gut sichtbar unter der Decke hängt. Einige Gäste haben sich in den hinteren Teil der Bar zurückgezogen, halten dort einen Plausch oder spielen eine Partie Tavla, das traditionelle arabische Brettspiel. Ein korpulenter Kellner mit schwarzem Schnauzbart und einer etwas schmuddeligen weißen Jacke schwenkt gekonnt sein Silbertablett von Tisch zu Tisch. Atmo 05 hochziehen SPR.: Bevor es Fernseher gab, hatte jedes halbwegs gute Café, das etwas auf sich hielt, seine Leute, die Geschichten erzählten - lange und gute Geschichten, denen jeder zuhörte. Und in jedem Cafe gab es einen festen Platz, wo die Musiker spielten. Auch in jenem, das Mohamed Choukri gerade verlässt und hinaustritt auf den Petit Socco. Von dem Platz führen viele Wege nach oben zur Kasbah, der Burganlage, die über der Altstadt von Tanger thront. Der Ortsunkundige kann sich da schnell verlaufen. Im Nacken meint er den Atem der jungen Männer zu spüren, die ihm auf Schritt und Tritt folgen. Oben, am Ende der langen Treppe, funkelt schwach ein rotes Licht. Mohamed Choukri kennt die Prozedur und richtet ein paar Worte an die nächtlichen Hasardeure. Das Licht der Taschenlampe wechselt von rot auf grün. Der Weg ist frei. Zitat: Wir kauften eine halbe Flasche Mahia. Wir tranken sie auf der Kuppe des Jebel Dersa. Wir beschlossen, ins Bordell zu gehen. Lalla Harouda, von der wir Halbwüchsigen alle wussten, dass sie eine Meisterin der Hochzeitsnacht war, sagte zu uns: "Es scheint, ihr zwei habt getrunken, nicht wahr?" "Ja, aber du bist schön, und wir wollen dich." Sie lächelte und musterte uns aufmerksam. Ihr Gesicht glänzte von der Schminke, und ihre Augenränder waren mit Kuhl geschwärzt. Mein Freund schaute mich an. Ich versicherte der Frau, dass wir nicht viel getrunken hätten. Dass wir nur fröhlich seien und mit ihr schlafen wollten, wie es unsere Freunde im Viertel taten. Sie musterte uns immer noch, und wir hatten Angst, dass sie ablehnen würde. Sie sagte zu uns: "Gut, wer kommt als erster?" (Das nackte Brot) SPR.: In der Stadt gab es drei unterschiedliche Arten von Bordellen. Die marokkanischen, von denen Choukri in seiner Autobiografie "Das nackte Brot" erzählt, die spanischen, die teurer waren, und die exklusiven für die reichen Ausländer. 1956 zogen Franzosen und Spanier aus Marokko ab. Der internationalen Status der Stadt Tanger wurde aufgehoben. Das gewisse Etwas, ob wahrer Charme oder fauler Zauber, war erloschen. Die Reichen und Exzentriker verließen die Stadt und suchten sich andere Spielwiesen. Einer blieb: Paul Bowles, der amerikanische Schriftsteller, der in Tanger "Himmel über der Wüste" schrieb und 1973 Mohamed Choukris Autobiografie ins Englische übersetzte. CUT 05: Bueno, creo que Paul Bowles nunca se ha inteesado ... economicamente culturalmente politicalmente. Übers: Ich glaube, Paul Bowles hatte nie ein echtes Interesse daran, sich in die marokkanische Kultur einzuleben. Er hat nie wirklich versucht, die Geschichte oder die Kultur oder die Kunst Marokkos zu erkunden. Sein Interesse galt nur vereinzelten Personen oder exotischen Phänomen, aus denen er Nutzen ziehen konnte. Aber um die Kultur an sich, um die Veränderungen der Kultur besonders innerhalb der letzten hundert Jahre hat er sich nie gekümmert. Früher ist er in die Medina gegangen, hat dort seinen Tee getrunken, seine Pfeife geraucht und mit Bekannten geplaudert. Aber für den kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Wandel der modernen Gesellschaft Marokkos hat er sich nie interessiert. SPR.: Land und Leute hätte Paul Bowles nie wirklich verstanden, obwohl er über ein halbes Jahrhundert in Tanger lebte, klagte Choukri. Dabei war es Paul Bowles, der Übersetzer seiner Schriften, der eine seiner ersten Kurzgeschichten an Harper`s Magazine vermittelte: "Die Sandalen des Propheten". Zitat: Der alte Engländer sagte: "Das ist der köstlichste Couscous, den ich je gegessen habe." Ich warf einen Blick zu meiner Großmutter hinüber. Ich sagte zu ihm: "Ja, es ist Couscous aus Mekka. Alles hier in unserer Wohnung ist in Mekka besorgt worden. Sogar dieser Weihrauch hier kommt jeden Monat mit dem Couscous aus Mekka." Das Fleisch nach dem Couscous, sagte ich ihm, sei mit Rosinen, Gewürzen und Koriander aus Mekka gekocht. "Wir nennen das Gericht Mrouzia." Er murmelte: "My God! Marvelous!" Der Engländer verschlang mit einem Augen das Mrouzia, und mit dem anderen das Gesicht meiner Großmutter. Weißes Kleid, Weihrauch um sie aufsteigend, süße arabische Parfüme, gewichtige Stille. Auf Anhieb meistert sie die Rolle, die ich ihr beigebracht habe. (Zeit der Fehler) CUT 06: Yo me he liberado de ellos hace mucho tiempo ... para leer la civilizacion humana mundialmente. Übers: Ich musste mich von der Konditionierung dieser Gesellschaft erst befreien, um offen für andere Denkweisen zu sein. Persönlich ziehe ich die westliche Philosophie der arabischen vor und bedaure, dass ich viel zu spät damit angefangen habe, mich mit menschlichen Zivilisationen überall auf der Welt auseinander zusetzen. Zitat: Eine Weile herrschte Schweigen. Ich dachte, jetzt ist der ersehnte Augenblick da, an Aladins Wunderlampe zu reiben. Ich brachte das weiße Kissen herbei und entfernte das goldbestickte, grüne Seidentuch darüber. Der Engländer starrte auf die verblichenen Sandalen. Mein Blick gab ihm zu verstehen, dass er die heiligen Sandalen nicht berühren durfte. (Zeit der Fehler) CUT 08: Bueno, yo creo que ... el otro es mas cerrado. Übers: Der Rationalismus ist meiner Meinung nach offener und lässt eine Auseinandersetzung zu, im Unterschied zum Islam, der sehr primitiv sein kann, orthodox und fanatisch. Im Rationalismus gibt es einen Dialog. Das ist für mich sehr wichtig. Ich glaube, er ist menschlicher und weltoffener. Außerdem halte ich nichts von geschlossenen Systemen. Der Rationalismus bietet einem mehr Möglichkeiten, sich auch von ihm zu lösen. Zitat: Im Cafe Central wiederholte er zum dritten Mal sein Ansuchen. "Die Angelegenheit ist sehr heikel. Es war schon sehr schwierig, meine Großmutter zu bewegen, Ihnen einen Blick auf die Sandalen zu erlauben. Sie können mir glauben, Sie sind der erste Fremde, der sie gesehen hat, und keiner außer Ihnen wird sie sehen." "Ich verstehe, aber vielleicht können wir doch zu einer Übereinkunft gelangen." Nach einer Weile sagte ich zu ihm: "Hören Sie, ich habe da eine Idee. Aber unter einer Voraussetzung ..." "Die wäre?" "Wenn Sie Tanger auf der Stelle verlassen, sobald ich Ihnen die Sandalen aushändige!" "Wenn es nur das ist!" "Auch ich muss Tanger erlassen und ich werde nicht zurückkehren können, bevor meine Großmutter stirbt." "Ich verstehe. Wieviel verlangen Sie?" "Eine Million Francs." "Auuh! Nein! Das ist ein großer Betrag." "Aber Sie kaufen die schönste Rarität der Geschichte, die Sandalen des Propheten. Und ich werde es ein Leben lang bereuen. (Zeit der Fehler) SPR.: Schließlich einigt man sich auf eine halbe Million Franc, was nach der Währungsumstellung auf den Neuen Franc immerhin noch 5.000 Franc entspricht und eine Menge Geld ist für ein x-beliebiges Paar ausgetretener Schuhe.. "Die Sandalen des Propheten": eine Kurzgeschichte, die erzählt, wie Touristen im Orient übers Ohr gehauen werden. Und es ist ohne Belang, ob sich die Geschichte so oder ähnlich tatsächlich zugetragen hat. Jeder versucht auf seine Art, das Beste für sich herauszuschlagen. Wobei in den wesentlichen Punkten dann doch immer der Westen die Nase vorn hat, so Choukri. CUT 08: Creo o que los que goviernan ... Übers: Der Islam will sich behaupten, nicht den Westen beherrschen. Er stellt keine Bedrohung für den Westen dar, es ist eher umgekehrt. Womit soll der Islam den Westen beherrschen, mit einer hohen Geburtenraten? Wer hat die Waffen? Wer stellt die Industrieprodukte her? Und das wird sich so schnell nicht ändern. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen denen, die Waffen herstellen, und denen, die sie einsetzen, zwischen denen, die Autos bauen, und denen, die sie fahren. Wir kommen nicht gegen den Westen an. Der Westen hat nicht den geringsten Grund, uns zu fürchten. Und ich vermag nicht zu sagen, wann sich das ändern könnte. SPR.: Mohamed Choukri nannte Paul Bowles einmal einen Dieb, er habe sich für seine ersten übersetzten Bücher das Copyright unter den Nagel gerissen. Auf die Frage, warum er Bowles nicht verklagt hätte, antwortete Choukri: Er sei ein alter Herr. Grüßen Sie ihn von mir. Er, dessen Schriften Bowles übersetzte, war von ihm abhängig, wirtschaftlich abhängig. CUT 09: Übers: Das, was der Westen mit uns macht, ist Herrschen durch Teilen. Er spielt die einen gegen die anderen aus. Das ist reiner Neokolonialismus, wirtschaftliche und politische Abhängigkeit. Früher haben sie unser Land besetzt, das ist heute nicht mehr nötig, aber die wirtschaftliche Abhängigkeit hat sich nicht geändert. Heute beherrschen sie uns aus der sicheren Ferne. Sie spielen uns solange gegeneinander aus, bis wir schwach und auf ihre Hilfe angewiesen sind. Die arabischen Länder bezahlen dafür einen hohen Pries. SPR.: Fragt man Mohamed Choukri nach den Ursachen dieser Ungleichheit, verweist er auf den Kif-Rausch, der das Leben in Marokko und in anderen islamischen Ländern geradezu lähme. Das Tempo hingegen bestimmt den Fortschritt, sagt er, der dem Whisky zugetan und von der westlichen Welt fasziniert war; im Alkoholgenuss sah er deren Dynamik begründet. CUT 10: Esto no lo voy a ... al mismo tempo me ha traduzido cuatro libros. Übers: Aber dennoch möchte ich das nicht verallgemeinern. Damals, als ich mit Paul Bowles an meinen Übersetzungen arbeitete, rauchte er seinen Kif und behielt trotzdem einen wunderbar klaren Kopf. Aber wenn er etwas trank, konnten wir nicht mehr arbeiten. Und bei mir war es umgekehrt. Wenn ich Kif oder Hasch rauche, bring ich nichts zu Papier. Ich fühle mich wie ein Tier. Paul dagegen hatte seine besten Ideen im Kifrausch. Und so hat er mir vier Bücher übersetzt. Atmo 06: Djellala-Musik 195-209 SPR.: Oben in der Medina, knapp unterhalb der Kasbah, der mittelalterlichen Festungsanlage, treffen sich einige Musiker im Tarik Ben Abbou, dem Haus neben der Schule. Der Raum ist karg eingerichtet. Matten liegen auf dem Boden. In der Mitte niedrige Tische, auf denen Teegläser stehen. Das Licht ist fahl und schummrig. Die Wasserpfeife macht ihre Runde. Mohamed Choukri hat sich eine Flasche spanischen Anis- Schnaps mitgebracht. (Atmo 06 wieder aufblenden: Klatschen, Stimmen, Musik setzt wieder ein) SPR.: Die Musiker spielen Djellala-Musik, die klassische maghrebinische Musik, auf traditionellen Instrumenten - der Darabukka, der Handtrommel, der Oud, der 12saitigen Kurzhalslaute, dem Riqq, dem Tamburin, oder der Ney, der Rohrflöte. Jeder Musiker stellt sein Instrument in unterschiedlichen Melodiezügen vor. Die freie Improvisation steigert sich langsam zu einer raumfüllenden Komposition. (Atmo 06 wieder aufblenden Werden diese orientalischen Klänge vermengt mit Elementen aus Rock, Reggae, Funk und Soul, entsteht die rhythmische Musik der Straße, die Musik der Jugend, die gegen die restriktive islamische Ordnung der Väter und Großväter protestiert, die Rai-Musik. Atmo 07: Rai-Musik SPR.: So wie die Jugend mit ihrer Musik die kulturelle und ökonomische Öffnung zum Westen fordert, ohne freilich das vermeintliche Schlaraffenland zu verherrlichen, so lebt auch das literarische Werk Mohamed Choukris von der festen Überzeugung, die eigene, kulturelle Identität weder Fortschritt noch Wohlstand opfern zu müssen. Neben den beiden autobiografischen Werken liegen in deutscher Übersetzung vor: Der Roman "Zoco Chico" und ein Bericht über ein Treffen mit Jean Genet und Tennessee Williams in Tanger. (Atmo 07 aufblenden) SPR: Gerade in "Das nackte Brot", dem ersten Teil seiner Autobiografie, beschreibt Mohamend Choukri sein Leben in einer zum Teil äußerst kompromisslosen Sprache. Das ist nicht typisch in der arabischen Literatur, in der nach wie vor stark differenziert wird zwischen Außendarstellung und tatsächlich gelebter Alltagsrealität, bestätigt Elisabeth Arend, Professorin für Sprach- und Literaturwissenschaft an der Universität Bremen. CUT 11: (Arend) Wenn man sich die Kritiken anschaut, die nach dem Erscheinen der arabischen Version erschienen ist, kann man ganz klar sagen, es war eine unglaubliche Provokation in der Hochsprache, im Arabischen dermaßen Krudes und Sexuelles zu beschreiben. Selbst der marokkanische Schriftsteller-Verband hat sich nach Erscheinen des Originals sehr heftig ausgesprochen. Was man Choukri vorwarf, er würde der westlichen Welt über die Sprache und die Provokation alle Klischees gegenüber der arabischen Welt auf dem Tablett servieren. SPR: Der Preis, um von der europäischen Literatur-Kritik entdeckt und gefeiert zu werden, war hoch für Choukri, der penibel darüber wachte, wie seine Werke übersetzt wurden. CUT 12: (Arend) Da muss man im Falle Choukri in Betracht ziehen, dass die französische Version des Textes 1980 vor dem arabischen Original erschienen ist in der Übersetzung von Tahar Ben Jelloun, der einer der Großmeister der marokkanischen-frankophonen Literatur ist. Da haben Studien offen gelegt, dass er adoptierend und literarisierend übersetzt hat und somit den Text in gewissen Passagen zwar nicht seine Gesamtschärfe nehmen konnte, aber etwas glättend, etwas literarisierend übersetzt hat. SPR.: "Das Nackte Brot", der erste Teil der Autobiographie von Mohamed Choukri, auf den die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Arend hier Bezug nimmt, ist mit Abstand der wichtigste und bekannteste Text von ihm. 1973 wurde das Buch von Paul Bowles ins Amerikanische übersetzt, sieben Jahre später ins Französische. Die Rückübertragung 1983 ins Arabische wurde in Marokko sogleich verboten; auch klagte Mohamed Choukri darüber, den zurückübersetzten Text zum Teil gar nicht mehr wiedererkannt zu haben. Choukri, so Elisabeth Arend, versuchte, ihn in den darauffolgenden Jahren der ursprünglichen Fassung anzugleichen. Das Original hatte er verloren. CUT 13: (Arend) Ich würde zwei Sachen gerne unterstreichen. Zum einen, dass es in Marokko seit Mitte der 60er Jahre eine große Befreiungsbewegung in der Literatur gibt, da wird das gesamte ästhetische Inventar, das in der Literatur bis dahin bestand, vollkommen in Frage gestellt und provokant erneuert. Choukri würde ich in dieser Tendenz sehen als einen, der versucht, literarische Ausdrucksformen herauszunehmen. Aber ich wäre zurückhaltend, einen einzelnen Text wie den von Choukri auf ein Podest zu heben, sondern immer versuchen, ihn im Zusammenhang zu beschreiben. SPR.: Auch in der Frage, ob Mohamed Choukri die Sprache der Straße überhöht und literaturfähig gemacht und inwieweit sie, die Sprache der Gosse, durch den Einzug in die Literatur an Eigentümlichkeit eingebüßt habe, mahnt die Bremer Literaturwissenschaftlerin zur Vorsicht. CUT 14: (Arend) Ich will nicht von Überhöhung sprechen. Er hat es ins Arabische übersetzt, damit ist es nicht mehr die Sprache der Gosse. Es ist die Sprache der Gosse, dargestellt im literarischen Duktus. Immer noch krude, aber es ist keine Abbildung der Sprache der Gosse. Das geht gar nicht, in dem Moment, wo Sie literarisch transformieren. (Atmo 07 aufblenden) CUT 15: (Arend) Er wird immer wieder in der Funktion genannt, dass er der erste ist, der mit einem arabischen Text in dieser provokanten Beschreibung des Sexuellen in diese Desakralisierung der Literatursprache eintritt. Man muss dabei immer bedenken, dass Choukri das Schrift-Arabisch erst als über 20jähriger erlernt hat. Das heißt, es war auch für ihn eine neue Erfahrung, sich in dieser Sprache zu äußern, die nicht die gesprochene Sprache ist. Er selber hat ja schon übersetzt, seine sprachliche Erfahrung im Spanischen im Dialektarabischen ins Hocharabische übersetzt. Eine Kunstsprache, die er verwendet, die auf die Realität rekurriert. SPR.: In seinen letzten Jahren fürchtete Choukri um sein Leben - auch er stand auf der Todesliste radikaler Islamisten, neben Salman Rushdie. Er hatte Angst, auf offener Straße rücklings erstochen zu werden. CUT 16: Übers.: Die marokkanische Regierung hat in den 80er Jahren den Fundamentalisten große Zugeständnisse gemacht. Damals wurde mein Buch "Das nackte Brot" verboten, mit dem Ziel, die Linke zu bekämpfen, die damals an Einfluss gewann. Man hat also versucht, mithilfe des Fundamentalismus die Linke zu schwächen. Gott sei Dank haben die Politiker erkannt, dass das Gespenst des Fundamentalismus gefährlicher ist als die Linke. Die Regierung nahm die Unterstützung für die Fundamentalisten zurück und ließ mehr politische Freiheiten zu. Meinungsfreiheit und Menschenrechte wurden stärker respektiert, so sehe ich das. SPR.: Der erste Teil seiner Autobiografie "Das nackte Brot" lag bereits in 39 Übersetzungen vor, als es endlich auch in marokkanischen Buchläden zu kaufen war. 20 Jahre musste Choukri darauf warten. 20 Jahre ließ er auch verstreichen, bevor er den zweiten Teil seiner Lebensgeschichte schrieb, "Zeit der Fehler". Das Buch war von Beginn an in Marokko erhältlich, der Bann über Mohamed Choukris Bücher war gebrochen. Und als der Schriftsteller schwer erkrankte, ließ der König ihn in das Militärhospital nach Rabat bringen. Eine späte Anerkennung von höchster Stelle, die ihm aber nicht mehr zu helfen vermochte. Mohamed Choukri erlag seinem Krebsleiden am 15. November 2003. Atmo 08: Bettler auf Straße Zitat: Rosennarr, so nannten ihn die Leute der Nachbarschaft. Der Rosennarr lebte mit seiner Mutter in einer Hütte. Jeden Morgen gingen sie zusammen zum Souk und kamen erst am Abend wieder zurück. Sie bettelte, und er verteilte seine Rosen an Frauen und schöne Mädchen. Er verlangte nichts von ihnen. Die Rosen kaufte er vom Geld seiner Mutter oder er stahl sie. Seine letzte Rose warf er immer der Bewohnerin des Erdgeschosses hin. Eines Tages warf sie ihm aus Rührung über seinen Fimmel ein Tuch zu. In jener Nacht träumte er von Rosenbeeten, in denen er Blüten schnitt, während aus dem Fenster der Frau lauter Tücher geflogen kamen. (aus: Zeit der Fehler) Mohamed Choukri: Das nackte Brot, Piper-Verlag, 1992; übersetzt von Georg Brunold und Viktor Kocher. Mohamed Choukri: Zeit der Fehler, Eichborn-Verlag, 1994; übersetzt von Doris Kilias 20