Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 25. März 2013, 19.30 Uhr Kein Land in Sicht Über die Konsequenzen deutscher Bodenpolitik Von Stefanie Müller-Frank Musik O-Ton 1 Andreas Tietz Boden ist eine begrenzte Ressource. Boden wird nicht hergestellt. Landwirtschaftlich nutzbarer Boden nimmt sogar jährlich ab. Es werden mehr Nahrungsmittel benötigt, und auch der Bedarf an Futtermitteln steigt enorm. Und das muss auf der gleichbleibenden Fläche produziert werden. Und da wird Boden mehr und mehr zu einem sehr knappen Faktor, der dann entsprechend im Wert steigt, wenn wir einen freien Markt dafür haben. Sprecher v. Dienst Kein Land in Sicht Atmo Krähen Sprecher v. Dienst Über die Konsequenzen deutscher Bodenpolitik Von Stefanie Müller-Frank Musik Sprecher Ackerland gilt derzeit als renditeträchtige Anlage. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern, wo noch viele Flächen auf den Markt kommen, treibt die starke Nachfrage die Bodenpreise in die Höhe. So kostete ein Hektar Brandenburger Ackerland im Jahr 2012 durchschnittlich 8,4 Prozent mehr als im Vorjahr, in der Uckermark haben sich die Hektarpreise innerhalb von nur zwei Jahren vielerorts sogar verdoppelt. Atmo Cash Sprecher Die BVVG, die bundeseigene Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft privatisiert derweil fleißig die letzten ostdeutschen Wald- und Ackerflächen in ihrem Portfolio. So wird die endliche Ressource Boden zum Spekulationsobjekt ? mit gravierenden Folgen für Landwirtschaft und Regionalentwicklung. Atmo Krähen Sprecherin Putlitz liegt im Nordwesten Brandenburgs, auf halber Strecke zwischen Berlin und Hamburg. An einem verhangenen Wintertag wirkt die Gegend eher trostlos: die Felder abgeerntet, der Boden gefroren. Knapp 2.700 Einwohner hat die Stadt, einen ehrenamtlichen Bürgermeister, einen Fanfarenzug und ein Freibad. Der einzig größere Arbeitgeber und wichtigste Steuerzahler vor Ort ist die KTG Agrar AG. Das börsennotierte Unternehmen mit Sitz in Hamburg betreibt konventionellen und ökologischen Anbau, bewirtschaftet rund 28.000 Hektar in Ostdeutschland, davon allein 6.500 Hektar rund um Putlitz. Damit ist die KTG Agrar AG einer der größten, europäischen Produzenten von Marktfrüchten ? also Getreide, Mais und Raps. Aus ihnen stellt das Unternehmen zum einen Öl und Tiefkühlkost her, zum anderen werden damit die betriebseigenen Biogasanlagen gefüttert. ?Ackern für?s Leben? ist das Leitmotto der KTG Agrar, sich selbst bezeichnet das Unternehmen als ?ersten Bauern an der Börse?. Das ist auch Bert Wigger wichtig. Der gelernte Industriekaufmann ist im Vorstand der KTG Agrar zuständig für Expansion und Flächenverwaltung. O-Ton 2 Bert Wigger Wir sind keine klassischen Investoren, sondern wir sind Landwirte. Das ist schon mal eine Grundvoraussetzung dafür, um zu verstehen, was wir tun. Das heißt, wir erwerben keine klassischen Nutzflächen, um sie gewinnbringend am Markt zu verpachten und mit Erlössteigerung weiter zu veräußern. Sondern wir kaufen an den Standorten, wo wir Landwirtschaft betreiben. Atmo Jacke anziehen/Auto einsteigen/Gespräch Sprecherin Bert Wigger zieht sich eine Daunenjacke über und bittet zur Rundfahrt übers Betriebsgelände in seinen beheizten BMW. Vor einem Getreidesilo stapeln sich Hackschnitzelhaufen, aus den Biogasanlagen weht ein süßlicher Geruch herüber. O-Ton 3 Bert Wigger (Nun können ja auch Landwirte Investoren sein.) Selbstverständlich. Wobei ja der Hintergrund des Kapitalanlegers der ist, dass er eine Renditeerwartung hat und möglicherweise noch eine Preissteigerung mitnehmen möchte. Der Landwirt selbst kauft in der Regel die Fläche, um seine Produktionsgrundlage zu erhalten. Auch für die Zukunft. (Aber Sie haben doch Kapitalanleger, oder?) Wir haben teilweise Kapitalanleger, die diese Flächen dann an uns verpachten. Wir selbst fühlen uns aber nicht als Kapitalanleger, sondern als klassische Landwirte. (Aber Sie sind doch an der Börse notiert.) Wir sind an der Börse notiert. Wobei der Unterschied darin liegt, dass wir unser Kapital über die Börse beschaffen, so wie es ein Privatlandwirt zum Beispiel mit Banken macht, der sich ein Darlehen nimmt, um eine Fläche zu erwerben, haben wir die Möglichkeit, am Kapitalmarkt teilzunehmen, besorgen uns dort das Kapital und erwerben dann die landwirtschaftliche Nutzfläche. Sprecher Natürlich kann sich ein ?Privatlandwirt? Geld bei der Bank leihen, um den bewirtschafteten Grund und Boden zu erwerben. Lange Zeit war das jedoch gar nicht nötig, denn viele Bauern hatten ihre Ackerflächen und Wiesen von der BVVG ? der Nachfolgerin der Treuhand ? langfristig gepachtet. Gut zwanzig Jahre nach der Wende laufen diese Pachtverträge nach und nach aus. Die BVVG drängt auf den Verkauf der letzten Flächen und veräußert die Ländereien zum Höchstgebot. Und da die Bodenpreise in den neuen Bundesländern noch immer weitaus günstiger sind als in Westdeutschland, kaufen sich zunehmend Investoren und Geldanleger in Gegenden wie der Prignitz ein. Dadurch sind die ortsansässigen Landwirte im Zugzwang: Wollen sie ihre Betriebsflächen nicht verlieren, müssen sie das bislang gepachtete Land zum jetzigen Marktpreis ankaufen. Atmo Traktor fährt auf Hof/ Hund bellt Sprecherin Zwei Trecker kommen die Telschower Landstraße herunter und biegen auf den Hof von Bert Schwarzer ein. Der Landwirt war kurz mit einem Mitarbeiter beim Tanken, jetzt geht es wieder schnell in die Stube, Kohlen nachlegen. Zusammen mit seiner Frau, seinem Vater und zwei Angestellten bewirtschaftet Bert Schwarzer in der Nähe von Putlitz 230 Hektar Grünland. Außerdem hat der Betrieb 200 Mutterkühe. Der Pachtvertrag läuft noch bis 2019. Das Land zu kaufen, könnte sich Bert Schwarzer gar nicht mehr leisten. O-Ton 4 Bert Schwarzer Die Bodenpreise sind hier so explodiert ? teilweise auch durch BVVG-Flächen. Und wenn sich jemand findet, der das Geld dafür zahlt, kann man der BVVG eigentlich auch nichts absprechen, warum sie das Geld nicht nimmt. Aber diese Flächenpreise sind für uns so hoch, dass wir das teilweise in einer Generation nicht mehr realisieren können. Atmo Tür aufschließen Sprecherin Schließlich muss er das Geld für den Kaufpreis ja auch erwirtschaften können. Das aber ist mit klassischer Landwirtschaft fast nicht mehr möglich. Zumal die Schläge ? also die zusammenhängenden Äcker und Wiesen ? hier aus historischen Gründen weitaus größer sind als im Westen. Zu einer ehemaligen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft gehören oft mehrere Tausend Hektar Land. Das ist attraktiv für Investoren ? ob Unternehmen, Aktienfonds oder Privatleute, die ihr Kapital in Sachwerten anlegen wollen. O-Ton 5 Bert Schwarzer Da ist es ja eben so, dass die diese alten Strukturen aufkaufen. Die kaufen ja komplette LPGs, 2.000, 3.000 ha groß, und erlangen dadurch eine Größe ? das sind strukturelle Vorteile, da kommen wir nicht mehr mit. Weil uns einfach auch das Grundkapital dafür fehlt.   Sprecher Seit 1990 erwarb eine ganze Reihe von Investoren aus den alten Bundesländern Grund und Boden im Osten ? die JLW Holding zum Beispiel 17.000 Hektar, die Südzucker AG knapp 10.000 Hektar, der Möbelkonzern Steinhoff mindestens 7.000 und die Rethmann-Gruppe 6.000 Hektar. Sie alle investierten in landwirtschaftliche Nutzflächen, kauften sich in LPG-Nachfolgebetriebe ein oder übernahmen sie gleich ganz. Was im Gegensatz zum klassischen Landkauf nicht genehmigt werden muss, erklärt Andreas Tietz vom bundeseigenen Johann Heinrich von Thünen-Institut. In einer Studie für das Landwirtschaftsministerium untersuchte der Agraringenieur die Auswirkungen nichtlandwirtschaftlicher und überregional ausgerichteter Investoren auf den Bodenmarkt. O-Ton 6 Andreas Tietz Der Kauf von ?Boden hinter den Kulissen? ? so haben wir es in der Studie genannt ? das heißt, der Kauf von Anteilen an landwirtschaftlichen GmbHs zum Beispiel, um dann sozusagen auf lange Sicht das ganze Unternehmen in die Hand zu bekommen. Und damit auch den Zugriff auf den Boden. Wir haben manchmal mit Landwirten gesprochen, die gesagt haben: Da wird plötzlich in dem Betrieb investiert, da steht plötzlich der neue Schlepper, da wird das Dach neu gedeckt ? da muss dann wohl ein externer Geldgeber reingekommen sein. Aber wer das ist, das ist vor Ort meist nicht bekannt. Sprecher Im Gegensatz zum Grundstückserwerb fällt der Kauf von Anteilen an einer GmbH nämlich unter Handelsrecht, im Grundbuch ändert sich schließlich nichts durch eine sogenannte ?stille? Beteiligung. Damit können Investoren ? vollkommen legal ? das Verfahren umgehen, das sonst dem Erwerb von Äckern und Wiesen vorgeschaltet ist. O-Ton 7 Andreas Tietz Der landwirtschaftliche Bodenmarkt ist ja gesetzlich geregelt. Es kann nicht einfach jeder Nicht-Landwirt kaufen, so wie er gern möchte. Sondern der Kauf landwirtschaftlicher Nutzfläche muss genehmigt werden von einer Behörde, in der auch Landwirte in einem so genannten Grundstücksverkehrsausschuss zusammensitzen und darüber entscheiden: Ist das jetzt ein Kauf von einem Nicht-Landwirt? Und ist dieser Kauf eine sogenannte ?ungesunde Bodenverteilung?? Und kann das genehmigt werden? Oder kann der Genehmigung auch widersprochen werden. Sprecher Widerspricht dieser Ausschuss dem Kauf, kann die Landgesellschaft ihr Vorkaufsrecht ausüben und die Äcker zwischenerwerben, um sie dann an einen ortsansässigen Landwirt weiter zu veräußern. So sieht es das Grundstücksverkehrsgesetz vor. Aber auch das, meint Andreas Tietz, lässt sich von Investoren umgehen. O-Ton 8 Andreas Tietz Die andere Möglichkeit ist natürlich, dass sie schlicht einen sehr hohen Preis bieten, den kein Landwirt vor Ort bereit ist zu zahlen. Und auch die Landgesellschaft wird bei solchen Flächen dann nicht das Vorkaufsrecht ausüben, weil sie wird sie nicht los und hat dann selbst ein hohes betriebswirtschaftliches Risiko, das sie nicht eingehen wird. Sprecher Angesichts dieser zahlungsfähigen Konkurrenz haben Junglandwirte, Hofgründer und kleine Pächter ziemlich schlechte Karten, an Land zu kommen. Musik Sprecher Kürzlich übernahm der Heizungshersteller Viessmann aus Hessen Geschäftsanteile der Ducherower Agrar GmbH in Vorpommern ? Kaufpreis unbekannt. Nach der Wende hatte deren Geschäftsführer Eckhard Schröder, zu DDR-Zeiten LPG-Vorsitzender und SED-Parteisekretär, die Produktionsgenossenschaft in Privateigentum überführt, heute ist er 67 ? und weder die Kinder noch einer der anderen sechs Gesellschafter wollen den Betrieb mit 40 Mitarbeitern und rund 5.000 Hektar übernehmen. Also übernimmt ein Investor aus dem Westen. Was der Milliardär Martin Viessmann mit Land und Leuten vorhat, das lässt sich jedoch nicht herausfinden. Der Pressesprecher des Unternehmens bittet um Verständnis: Bei der Investition handle es sich um ein rein privates Engagement. Und selbst das soll bitte nicht zitiert werden. Musik Ende Sprecher Wieso? Ist es derart ehrenrührig, über Investitionen in den ostdeutschen Bodenmarkt zu sprechen? Tatsächlich war bis auf die KTG Agrar AG keines der Unternehmen bereit zu einem Interview: Von der Steinhoff GmbH kam überhaupt keine Antwort, die JLW Holding sagte den vereinbarten Termin keine 24 Stunden vorher ab. Die Begründung: Man sei mit einem Zeitungsbericht nicht einverstanden und gebe daher bis auf weiteres keine Interviews. Atmo Krähe Sprecher Dass überhaupt Anteile an solch großen Landwirtschaftsbetrieben mit ihren riesigen Flächen zum Verkauf stehen, erklärt Helmut Klüter von der Uni Greifswald, liegt an der Privatisierungspraxis nach der Wende: Oft wurden die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in GmbHs umgewandelt, viele Genossenschaftler stiegen aus, wurden abgefunden oder ausgekauft, manchmal auch rausgedrängt. Andere wollten keine Verantwortung übernehmen oder sahen für sich einfach keine Zukunft in der Landwirtschaft. O-Ton 11 Helmut Klüter Wir haben aus dem Einigungsvertrag die Auflage, das Unrecht, das zu DDR-Zeiten den einzelnen Landwirten geschehen ist, möglichst wieder rückgängig zu machen. Die Realpolitik hat sich dann allerdings dahin entwickelt, dass die damaligen LPG-Vorsitzenden durchaus in der Lage waren, sich auf die neuen, marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen einzustellen und ihr Organisationswissen dazu genutzt haben, die anderen LPG-Anteilsbesitzer auszumanövrieren. Und das hat dann auch dazu geführt, dass deren Kinder auch kein Auskommen im ländlichen Raum mehr sahen und sich dann in Richtung Westen oder in Richtung Stadt aufgemacht haben. O-Ton 12a Andreas Tietz Und das andere große Problem ist, wenn die Wertschöpfung, die ja eigentlich vor Ort in den Dörfern stattfinden soll und dort auch bleiben soll, wenn die abfließt, Sprecher sagt Andreas Tietz vom bundeseigenen Thünen-Institut für ländliche Räume, O-Ton 12b Andreas Tietz indem Gewinne abgezogen werden zur Vergütung der Aktionäre. Oder wenn die lokalen Handwerker auf solchen Betrieben gar nicht mehr tätig werden können, weil das alles zentral gesteuert wird. Sprecherin Mit der Folge, dass die Dörfer verarmen, Handwerksbetriebe vor Ort aussterben und die Menschen abwandern. Atmo Ankündigung/Klatschen im Bundestag O-Ton 13 Hans-Georg von der Marwitz In Brandenburg erlebe ich Betriebskonzentrationen in bisher nicht vorstellbaren Ausmaßen. Außerlandwirtschaftliche Investoren kaufen einen Landwirtschaftsbetrieb nach dem anderen, meist die wirtschaftlich schwachen Nachfolger ehemaliger LPGen. Die Firmensitze dieser Investoren befinden sich oft weit entfernt von den Betrieben. Die Gewinne werden zumeist nicht in der Region investiert, sondern fließen ab an Eigentümer, Gesellschafter oder Aktionäre, die persönlich oft keinen Bezug zur Landwirtschaft und zu den Dörfern haben. Die systematische Konzentration der Landwirtschaft in den Händen weniger Holdings bzw. Konzerne kann nicht Ziel unserer Agrarpolitik sein. Sprecherin Hans-Georg von der Marwitz sitzt für die CDU im Bundestag. Der Landwirt stammt aus dem Allgäu, kurz nach der Wende gab er seinen Betrieb dort auf und zog nach Brandenburg, um hier ? in der Heimat seiner Vorfahren ? neu anzufangen. Heute bewirtschaftet er 900 Hektar in Friedersdorf bei Seelow, betreibt einen Hofladen samt Restaurant und eine kleine Biogasanlage. Auch hier, im östlichen Brandenburg, hat sich in den vergangenen Jahren ein gravierender Strukturwandel vollzogen. O-Ton 14 Hans-Georg von der Marwitz (im Bundestag) Die Zahl landwirtschaftlicher Betriebe nimmt ständig ab. Natürlich gibt es immer einen Strukturwandel, der unter anderem mit dem Generationswechsel, auch mit der Technisierung zusammenhängt. Aber eines steht fest: Je weniger Betriebe, desto weniger Selbstständige, desto weniger Vielfalt, desto weniger Engagement im ländlichen Raum. Atmo Krähen/Musik Sprecherin Hans-Georg von der Marwitz beobachtet diesen Konzentrationsprozess mit wachsender Sorge. In seinem Wahlkreis Märkisch-Oderland sind fast 30 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Hand von vier großen Unternehmen. O-Ton 15 Hans-Georg von der Marwitz Ich möchte, dass die Landwirtschaft in den ländlichen Räumen eben vielschichtig aufgestellt ist und möglichst mit ihren Ressourcen entsprechend arbeitet. Sprecherin Schon deshalb, weil er selbst hier wohnt und arbeitet. Und darauf hofft, dass seine Kinder eines Tages zurückkehren werden nach Brandenburg, um sich hier niederzulassen und den Hof weiterzuführen. Dann darf sich das Leben auf dem Land aber auch nicht wie in einer Agrarfabrik anfühlen, sagt Hans-Georg von der Marwitz. O-Ton 16 Hans-Georg von der Marwitz Die Attraktivität im ländlichen Raum nimmt mit dem Größerwerden der Betriebe ab. Und das ist meine große Sorge, dass eben die Landwirtschaft die Vernetzung mit den Dörfern verliert. Atmo in Lagerhalle/Kartoffeln aussortieren Sprecherin Bert Wigger betritt eine zugige Lagerhalle auf dem Betriebsgelände in Putlitz und grüßt freundlich. Auf Fließbändern werden hier Kartoffeln in Container befördert und von einem Gabelstapler verladen. Zehn, zwölf Saisonarbeiterinnen kommen gerade aus der Mittagspause und steigen die Treppe hinauf zu einer kleinen Kammer. Unter Heizpilzen sortieren sie hier per Hand die Kartoffeln nach Größe und Qualität. Die Mitarbeiterinnen stammen alle aus der Region, betont der KTG Agrar-Vorstand Wigger, und selbstverständlich lebt der Betriebsleiter mit seiner Familie vor Ort. O-Ton 19 Bert Wigger Da haben wir auch ein ganz deutliches Konzept, das sagt: Landwirtschaft braucht Heimat. Also wir sind keine ? es kursiert manchmal der Begriff - Tiefladerbauern. Also wir sind niemand, der Maschinen auf LKWs packt, heute in Schleswig-Holstein tätig, morgen in Mecklenburg und übermorgen in Sachsen. Sondern wir haben unsere Standorte, dort haben wir unsere Mitarbeiter, unseren Maschinenpark vor Ort. Wir beziehen das örtliche Umfeld in unsere Wachstumsschritte mit ein und sind da eben auch bemüht, mit den Parteien, mit den Bürgern, mit den Amtsverwaltungen vor Ort das, was wir als Entwicklungspotential sehen, zu besprechen, abzustimmen und gemeinsam zu entwickeln. Sprecher Dem Agraringenieur Andreas Tietz sind im Rahmen seiner Studie jedoch auch andere Fälle begegnet. ?Wanderzirkus?, nennen die ortsansässigen Landwirte das Phänomen. O-Ton 20 Andreas Tietz Wo tatsächlich über Nacht irgendjemand mit dem Trecker kommt, die große Fläche dann umpflügt und am nächsten Morgen wieder verschwunden ist. Oder wo tatsächlich nach Witterungsverlauf im Süden der Republik angefangen wird zu ernten ? und die Kolonne zieht dann Richtung Ostsee, wenn das Getreide dann dort auch reif ist. Und das sind dann Fälle, wo wir sagen, da hat dann das Leben vor Ort nur noch einen sehr geringen Stellenwert. Und das sind problematische Entwicklungen. Aber das ist nur ein kleiner Teil der Investoren, die wir vor Ort gefunden haben. Sprecher Die Studie des Thünen-Instituts kommt zu keinem eindeutigen Ergebnis, was die Auswirkungen von nichtlandwirtschaftlichen und überregional aktiven Investoren auf den Bodenmarkt betrifft. Andreas Tietz plädiert deshalb dafür, keine Pauschalurteile zu fällen, sondern sich die Art der Bewirtschaftung und Betriebsführung vor Ort im Detail anzuschauen. O-Ton 21 Andreas Tietz Es ist dann ein Problem, wenn die Leute vor Ort nicht mehr wissen: Wer wirtschaftet da eigentlich? Wer ist verantwortlich für die und die Fläche? Wen können wir bei Problemen ansprechen? Ein besonders großes Problem ist es, wenn die Arbeitskräfte gar nicht mehr aus der Region selbst kommen, sondern in der Saison einfach reingesetzt werden und dann wieder verschwinden. Und ein weiteres großes Problem ist, wenn für die Infrastruktur vor Ort keine Sorge getragen wird: Wenn die Wege kaputt gefahren werden, wenn die Naturdenkmäler schlecht behandelt werden und praktisch die vielen, kleinen Befindlichkeiten der Menschen vor Ort überhaupt nicht mehr berücksichtigt werden. Atmo Sprecherin In Putlitz ist die KTG Agrar AG der Hauptsponsor des Sportvereins, engagiert sich bei der alljährlichen Burgfräuleinwahl und hat ein altes Herrenhaus im Ortskern restauriert und zum eigenen Tagungshaus ausgebaut. Trotzdem murrt man in Putlitz darüber, dass hier tags wie nachts die LKW durch den Ort donnern. Der Vorstand Bert Wigger nickt verständnisvoll, er kennt das Problem. O-Ton 22 Bert Wigger Wir sind bemüht, dem vorzugreifen, indem wir eben ein Logistikkonzept entwickelt haben, was möglichst wenig Transporte für die Straße betrifft. Aber auch das können wir nicht ganz verhindern. Wir haben zum Beispiel hier am Standort Putlitz als große Investition 2013 gemeinsam mit der Stadtverwaltung und der Amtsverwaltung die Planung einer kleinen Umgehungsstraße aufgenommen. Die wollen wir gemeinsam entwickeln, um einen Teil unseres Verkehrs aus der Stadt wieder herauszubekommen, damit die Bürger möglichst wenig gestört werden durch unsere Transportwege. Sprecherin Der ehrenamtliche Bürgermeister Bernd Dannemann lobt das kooperative Engagement des Unternehmens, Landwirt Bert Schwarzer findet es selbstverständlich. O-Ton 23 Bert Schwarzer Sie fassen einige Sachen an, die teilweise aus der Bewirtschaftung ihrer Anlagen zwingend notwendig sind. Dass eine Umgehungsstraße gebaut werden soll, um Putlitz den landwirtschaftlichen Verkehr etwas abzunehmen. Ist ja auch durch diese Großinvestition entstanden. Die wäre sonst vielleicht gar nicht nötig. Sprecherin Auch sonst versteht Bert Schwarzer nicht, warum die KTG Agrar AG vom Bürgermeister als Allheilmittel gepriesen wird. O-Ton 24 Bert Schwarzer Wir haben es ja gar nicht nötig. Warum müssen da solche großen Strukturen sein? Die brauchen wir eigentlich nicht. Es ist ja nicht tatsächlich was besser geworden. Eigentlich sind es Fabriken ? in meinen Augen. Sprecherin Offenbar hat es die Stadt Putlitz bitter nötig. Sie liegt in einer strukturschwachen Region in Brandenburg mit einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit von 12 Prozent. Mithilfe der KTG Agrar AG kann Putlitz das dritte Jahr in Folge einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen, die Gewerbe- und Grundsteuereinnahmen liegen laut Bürgermeister im sechsstelligen Bereich. Auch die Putlitzer Einwohner profitieren unmittelbar: Sie können ihre Energie zu einem vergünstigten Preis aus den Biogasanlagen vor Ort beziehen. Das Unternehmen wiederum muss keine Leitungsgebühren für das Wärmenetz bezahlen. Offenbar eine lukrative Lösung für alle Seiten. O-Ton 25 Bert Schwarzer Augenscheinlich läuft es alles nach Recht und Gesetz, so nimmt man es jedenfalls an. Aber so ein richtig gutes Gefühl habe ich dabei nicht. Es sieht eher so aus, als wenn es der letzte Strohhalm ist. Sprecherin Ein Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Putlitz trat zurück, will aber vor dem Mikrofon nichts mehr sagen. Auch viele andere Landwirte schweigen lieber, meint der Geschäftsführer eines Land- und Baumaschinenvertriebs, weil es sich niemand mit dem größten Pächter vor Ort verscherzen will. Dabei sind die Biogasanlagen hier nicht gerne gesehen. Für deren jährliche Anschlussleistung von 5 Megawatt pro Jahr bedarf es knapp 4.000 Hektar Anbaufläche. Und obwohl sich die KTG Agrar AG darum bemüht, die Anlagen zu mindestens fünfzig Prozent mit Zweitfrüchten zu füttern, kommt sie um den Maisanbau nicht herum. Musik/Krähe Sprecher Die Folgen dieser ausgedehnten Monokulturen für die Umwelt sind schon jetzt offenkundig: Der Mais verdrängt viele Ackerwildkräuter, Vögel und Bienen finden keine Nahrung mehr, die Artenvielfalt nimmt ab, und der Boden ist aufgrund des langsamen Wachstums erosionsgefährdet. Hinzu kommt, dass die Maisfelder mit mineralischem Dünger vollgepumpt werden. Das vergiftet das Grundwasser und setzt Lachgas frei ? was rund 310-mal schädlicher ist als CO2. Die Klimabilanz von Bioenergie, auch das ist bereits nachgewiesen, lässt also mehr als zu wünschen übrig. Sprecherin Dennoch ist der ländliche Raum zunehmend von Monokultur geprägt ? in den Besitzverhältnissen ebenso wie auf dem Acker. Hans-Georg von der Marwitz: O-Ton 26 Hans-Georg von der Marwitz Die ganze Biodiversität nimmt natürlich ab. Wenn ich ein Unternehmen über viele Dörfer organisiere, dann fange ich eben an, ?die Ecken rund? zu pflügen. Dann überlege ich mir, wo welche Pflanzen angebaut werden. Da findet dann eben eine Fruchtfolge in einer ganz anderen Größenordnung statt. Da ist dann plötzlich einer Ortslage 400, 500 Hektar Mais oder noch mehr. Oder Getreide. Er hält dann sicher noch die Fruchtfolge ein. Aber für denjenigen, der in den ländlichen Räumen lebt, stellt sich das als solches nicht mehr dar. Der hat also das Gefühl: Also in diesem Jahr lebe ich im Maisfeld, im nächsten vielleicht im Weizenfeld, und das Jahr darauf im Gerstenfeld. Sprecherin Der Anbau dieser Monokulturen wird jedoch im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes weiter gefördert. So ist es nicht verwunderlich, dass sich überregional agierende Investoren darauf ausrichten. Und auf diese Weise in der Lage sind, Pachtpreise zu bezahlen, die klassische Landwirte nicht erwirtschaften können. Musik Sprecher Letztlich greift es also zu kurz, einzelne Investoren an den Pranger zu stellen. Die Gesellschaft müsste sich vielmehr fragen, welche Form der Landwirtschaft sie haben ? und subventionieren ? will: Ausgeräumte Landschaften oder ein dörfliches Leben von und mit der Landwirtschaft. Denn die EU-Subventionen sind in erster Linie Flächenprämien, die die Großbetriebe begünstigen. So bekommt die KTG Agrar AG allein für ihre 6.500 Hektar Flächen rund um Putlitz jedes Jahr schätzungsweise rund 2,3 Millionen Euro von der EU überwiesen, will die Höhe der Subventionen aber nicht der Öffentlichkeit preisgeben. Diese Direktzahlungen sollte man zurückfahren ? oder am besten: komplett streichen, fordert Hans-Georg von der Marwitz. Und das, obwohl er selbst Landwirt ist. O-Ton 27 Hans-Georg von der Marwitz Die Subventionen sind Brandbeschleuniger dieses Prozesses. Und wenn wir diesen Prozess verlangsamen ? wir werden ihn nicht mal stoppen können ? aber verlangsamen werden wir ihn können, weil die Rentabilität mit fehlender oder geringerer Subvention sehr viel niedriger wird. Auch für uns. Aber ich gehe davon aus, wenn wir Landwirte mit Leib und Seele sind, nicht gleich, aber in sieben Jahren auf einen Ausgleich kommen können. Sprecher Die BVVG hat mittlerweile 80 Prozent ihrer ostdeutschen Agrarflächen verkauft. Die historisch einmalige Gelegenheit, auf diesem Weg für mehr klassische Landwirtschaft zu sorgen, ist also vertan. O-Ton 28 Hans-Georg von der Marwitz Man mag es drehen und wenden, wie man will: Wir werden es nicht verhindern können, dass außerlandwirtschaftliche Investoren in die Landwirtschaft reindrängen. Aber es bleibt die Frage im Raum: Muss diese ungute Entwicklung auch noch mit Subventionen unterstützt werden? Musik, darauf Absage Sprecher v. Dienst Kein Land in Sicht Über die Konsequenzen deutscher Bodenpolitik Ein Feature von Stefanie Müller-Frank Es sprachen Eva Kryll und Markus Hoffmann Ton: Andreas Krause Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 13 1