COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Das Jahr in Bonn -1989/90 und das politische Geschehen in der provisorischen Bundeshauptstadt- Autor Peter Zudeick Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 27.09.2010 - 13.07 Uhr Länge 18.59 Minuten Moderation Oft und schnell ist die Rede von einer Zäsur, die doch keine ist. Die Geschichte ist mit Zäsuren sparsamer als es die Politiker und die Medien sind. Und Zäsuren ist es eigen, dass sie etwas dauern können. Und doch gibt es Momente die sie beschreiben. In der jüngeren deutschen Geschichte waren es die Wende und die Vereinigung. Zwei deutsche November, zwei geographische Hauptakteure. Heute: Bonn. Die provisorische Bundeshauptstadt wurde aus ihrem rheinischen Alltag gerissen, erlebte das politisch turbulenteste Jahr ihrer Geschichte. Politiker kamen und gingen, Verhandlungen wurden eröffnet und beendet, hinter der Kulissen Fäden gezogen, Pressekonferenzen jagten einander, Politik und Medien im Dauerwachzustand. Das Jahr in Bonn. Peter Zudeick erinnert sich und uns an das Geschehen im deutschen Jahr 1989/90. -folgt Script Beitrag Script Beitrag AUT Für einen hauptstädtischen Korrespondenten ist es fast unmöglich, am falschen Ort zu sein. Entweder man ist in der Hauptstadt oder bei einem Parteitag, oder man begleitet einen wichtigen Politiker auf einer wichtigen Reise. Man hätte Anfang November natürlich auch in Leipzig oder einem anderen Ort der DDR sein können, um über die ständigen Demonstrationen und Kundgebungen zu berichten, über die anhaltende Massenflucht, der die DDR-Regierung kaum noch etwas entgegensetzte. Aber am Abend des 9. November in Ostberlin einem gewissen Günter Schabowski zu lauschen, der drei Tage vorher "Sekretär des ZK der SED für Informationswesen" geworden war, das lag nun wirklich nicht nahe. Macht aber nichts, in Bonn wurde es auch ein denkwürdiger Abend. 20 Uhr 15, es ist ein bisschen langweilig im Deutschen Bundestag, es geht um das neue Vereinsförderungsgesetz. Das Thema ist nicht unbedingt emotionsgeladen. Parlamentsroutine. E 01 (Cronenberg) "Das Wort hat der Abgeordnete Spilker." AUT Karl-Heinz Spilker von der CDU hat allerdings anderes auf dem Herzen. E 02 (Spilker) "Bevor zu meinem Thema komme, möchte ich Ihnen eine Meldung vorlesen, die ich im Moment erhalten habe. Von sofort an können DDR-Bürger direkt über alle Grenzstellen zwischen der DDR und der Bundesrepublik ausreisen. (9.11.1989) AUT Diese Meldung läuft seit kurz nach 19 Uhr über die Nachrichtenagenturen, einige kannten sie schon, jetzt aber macht sich Unruhe breit. Die Sitzung wird unterbrochen, 30 Minuten später tritt Kanzleramtsminister Seiters ans Mikrofon. E 03 (Seiters) "Ich habe gerade noch einmal mit dem Bundeskanzler telefoniert. Lassen Sie mich Folgendes sagen: Die vorläufige Freigabe von Besuchsreisen und Ausreisen aus der DDR ist ein Schritt von überragender Bedeutung. Damit wird praktisch erstmals Freizügigkeit für die Deutschen in der DDR hergestellt." AUT Noch weiß niemand so recht, was er mit dieser Sensation anfangen soll. Was den geübten Parlamentarier aber nicht daran hindert, sogleich Erklärungen abzugeben. Das ist das Amt der Fraktionsvorsitzenden. Für die SPD spricht Hans-Jochen Vogel. E 04 (Vogel) "Diese Entscheidung bedeutet, dass die Mauer nach 28 Jahren ihre Funktion verloren hat." AUT Auch Wolfgang Mischnick von der FDP das etwas zu sagen. E 05 (Mischnick) Ich hoffe, dass aus dieser vorläufigen Regelung eine endgültige Regelung nicht für Reisen aus der DDR hierher, sondern auch zu einer freizügigeren Regelung der Reisen aus der Bundesrepublik in die DDR werden wird. AUT Nach Mischnicks Rede erheben sich drei Unionsabgeordnete und stimmen die Nationalhymne an. Nach und nach stehen auch die anderen Abgeordneten auf und singen mit. M 01 Hymne der Bundesrepublik AUT Danach soll es eigentlich weitergehen in der geplanten Tagesordnung. E 06 (Renger) "Ja, meine Damen und Herren, fällt schwer, jetzt einfach wieder in die normale Tagesordnung einzutreten, aber so ist das nun mal. Wir werden jetzt wohl ... nein, ich glaube nicht, dass wir Schluss machen werden. AUT Da irrte Annemarie Renger aber gewaltig. Mit Vereinsförderung und anderen Kostbarkeiten des parlamentarischen Alltags mochte sich an diesem Abend keiner mehr beschäftigen. E 07 RENGER 2: Dieses Haus ist damit einverstanden, mit diesem großen Ereignis ist heute dieser große Tag, der Sitzungstag geschlossen. REGIE weiter Gesang Hymne AUT Wie gesagt, ein denkwürdiger Abend in der Hauptstadt der Bundesrepublik. Nur: Weder Helmut Kohl noch Hans-Dietrich Genscher waren in Bonn, ich auch nicht. Wir drei - und noch ein paar andere - waren in Warschau. E 08 (Kohl) Sie haben ja wahrscheinlich gehört, dass gestern am Abend nach einer Regierungserklärung, die der Kanzleramtsminister Seiters abgegeben hat, zum ersten Mal spontan - und das find ich sehr gut - im Deutschen Bundestag unsere Nationalhymne gesungen worden ist. AUT 23 Uhr 50 an diesem 9. November in Warschau. An einem falscheren Ort konnte man an diesem Abend nicht sein. Bei Kohl war Außenminister Genscher, die übliche Regierungsdelegation und ein Tross Journalisten. Alles wie immer bei einem Staatsbesuch. Abends saß man beim Staatsbankett im ehemaligen Palais der Fürsten von Radzivill zusammen, die Journalisten lungerten draußen herum und warteten auf Statements - denn die Meldung über Günter Schabowskis Pressekonferenz hatte schon die Runde gemacht. Drinnen wurde es immer unruhiger, ein Grundraunen ging durch den Saal, das die Grußworte hörbar störte. Und allen war klar: Der Mantel der Geschichte, den Helmut Kohl immer und überall flattern sah und hörte, war an diesem Abend mit Sicherheit nicht in Warschau unterwegs. Dabei hatte man sich von diesem Polen-Besuch einiges versprochen. Kohl war im Herbst 1989 innenpolitisch ziemlich am Ende, die Kritik aus der eigenen Partei war so laut geworden, dass einige Beobachter mit offener Rebellion rechneten. Eine Gruppe um Heiner Geißler, Ernst Albrecht, Lothar Späth, Kurt Biedenkopf und Rita Süssmuth plante angeblich einen Putsch beim Bremer Parteitag am 11. September. Aber Kohl begeisterte den Parteitag mit einer aggressiven Rede, die vermeintlichen Putschisten zogen die Köpfe ein. Allerdings rechnete kaum jemand damit, dass Kohl sich noch lange halten könnte. Und von diesem Polen-Besuch erwarteten viele - vor allem Parteifreunde und Journalisten - ein paar neue Ungeschicklichkeiten und Peinlichkeiten. Und dann diese Nachricht! Was würde Kohl jetzt tun? Den Besuch abbrechen? Das wäre ein weiterer Affront. Einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen? Völlig unmöglich. Der Kanzler weiß an diesem Abernd, dass der Grenzübergang Bornholmer Straße in Berlin offen ist, dass Ostberliner nach Westberlin strömen. Kohl erklärt, was für ein einschneidendes Ereignis die Reisefreiheit für DDR-Bürger sei, dass er eine "schwierige Güterabwägung" zu treffen habe, den Besuch aber keineswegs abbrechen wolle. Am anderen Morgen dann, nachdem er am Mahnmal im Warschauer Getto einen Kranz niedergelegt hatte, klingt das anders. E 08 (Kohl) Das sind ja unglaubliche Szenen im guten Sinne des Wortes, die sich in der vergangenen Nacht abgespielt haben, mein Platz ist jetzt in diesem Augenblick natürlich in Bonn. AUT Das sehen die meisten Journalisten ähnlich. E 09 (Kohl) Deswegen habe ich mich entschlossen, dass ich heute um 17 Uhr den Besuch unterbreche, ich will ausdrücklich sagen unterbreche, und morgen am Abend wieder zurückkomme, aber alle anderen bitte ich wirklich, hierzubleiben, ich will morgen früh eine Sondersitzung des Kabinetts halten, die Berichte entgegennehmen und die notwendigen Maßnahmen einleiten und will aber am Abend zurück. (10.11.1989) AUT Kohl flog natürlich nicht nach Bonn, sondern über Hamburg nach Berlin, nur eine handverlesene Schar vertrauter Journalisten durfte in der Kanzlermaschine mitfliegen, die anderen bekamen gar keinen Rückflug mehr und mussten bis zum nächsten Tag warten. Und auch dann gab's keine Chance, direkt nach Berlin zu fliegen. Wir mussten zurück nach Köln/ Bonn und konnten dann erst dahin, wo die Musik spielte. M 02 (Gesang/Berlin) So ein Tag, so wunderschön wie heute. AUT Zehntausende Ostberliner hatten in der Nacht zum 10. November in Westberlin die neue Freiheit gefeiert, am nächsten Tag wollen auch die bundesdeutschen Politiker von der geschichtlichen Stunde profitieren. Am Abend sind rund 20 000 Menschen vor dem Schöneberger Rathaus, die Politiker sprechen große Worte fürs Zitatenbuch der Geschichte. Krönender Abschluss der Veranstaltung: Das Deutschlandlied, angestimmt vom Berliner Parlamentspräsidenten Jürgen Wohlrabe. M 03 (Gesang + Pfiffe / Schönberg Rathaus) AUT Die Bonner Politik stand natürlich zunächst massiv unter dem Eindruck der Geschehnisse in Berlin. Genau eine Woche nach dem 9. November debattiert der Bundestag darüber, was nun zu tun sei. Der Tenor ist: Trotz aller Freude, trotz aller Begeisterung gelassen bleiben, nichts überstürzen. E 10 (Kohl) Wir müssen bei aller Freude, und dies will ich betonen, weiter besonnen bleiben, und mit kühlem Verstand überlegen handeln. Gefragt ist jetzt Augenmaß und auch politische Phantasie. (16.11.1989) AUT Einigkeit herrscht auch in der Überzeugung, dass es zum einen das Recht, aber auch die Aufgabe der DDR-Bürger sei, ihr Land in Ordnung zu bringen. E 11 (Kohl) Es gilt auch, in der vor uns liegenden Zeit unseren Landsleuten in der DDR die dringend benötigte Unterstützung für die Neugestaltung ihrer Heimat zu geben. (16.11.1989) AUT Großzügigkeit ist angesagt, Solidarität. E 12 (Genscher) Wir in der Bundesrepublik Deutschland werden im Respekt vor der freien Entscheidung der Bürger in der DDR ihnen nichts aufdrängen von unseren Erfahrungen, die wir gemacht haben. Unser Beispiel ist ein Angebot. Ob es angenommen wird, ist die freie Entscheidung der Deutschen in der DDR. (16.11.) AUT Die meisten Bonner Politiker haben eins verstanden: Der Reformprozess in Osteuropa, ausgelöst durch Michael Gorbatschow, hat die Kräfte freigesetzt, die dann gegen die letzte Bastion des Stalinismus mobil gemacht haben, nämlich die DDR. Das waren Menschen, die alles mögliche wollten: Eine andere, eine bessere DDR, einen anderen, endlich mal den richtigen Sozialismus möglicherweise, aber keine deutsche Einheit. Darauf weist Berlins Regierender Bürgermeister Momper in dieser Debatte hin. E 13 (Momper) Die Demokratiebewegung in der DDR hat ihre Freiheit nicht durchgesetzt, um unter das Patronat eines gesamtdeutschen Staates gestellt zu werden. Die kritischen und oppositionellen Gruppen wollen vielmehr soziale Demokratie und den dritten Weg eines demokratischen Sozialismus, der den Vorbildern, der den Vorbildern von Ungarn und Prag 1968 sehr nahe kommt. AUT Bei Helmut Kohl hört sich das schon ein bisschen anders an. E 14 (Kohl) Wir wollen niemandem unsere Vorstellungen aufdrängen, aber niemand kann bestreiten, dass sich der Sozialismus als ein einziger Fehlschlag erwiesen hat (Beifall). (16.11.1989) AUT Dem muss Willy Brandt natürlich energisch widersprechen. E 15 (Brandt) Gescheitert, Herr Bundeskanzler, gescheitert ist übrigens in meinem Verständnis und im Verständnis vieler meiner Freunde, im bisherigen östlichen Machtblock nicht die Vision, nicht die Grundwerte einer freiheitlichen Sozialdemokratie, sondern das kommunistische Herrschaftssystem und dessen Entsprechung in Form bürokratischer Misswirtschaft. Stalin noch nachträglich einen Sozialisten nennen zu wollen, wäre ähnlich absurd, wie aus Hitler einen verirrten deutschen Freiheitskämpfer zu machen (Beifall). (16.11.1989) AUT Es ist schon in dieser Debatte völlig klar, dass die Bundesregierung überhaupt nicht daran denkt, eine offene Neuentwicklung in der DDR zu stützen und zu finanzieren. Am deutlichsten sagt das Finanzminister Waigel. E 16 (Waigel) Wenn dieser Prozess in Richtung Marktwirtschaft läuft, werden wir dies im Rahmen unserer Möglichkeiten unterstützen. Wir werden aber nicht die bisherige oder eine neue Spielart der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR finanzieren. (16.11.1989) AUT Was Waigel ganz klar formuliert, kommt bei anderen Unions- Politikern eher verklausuliert heraus. Jedenfalls hat Antje Vollmer von den Grünen kein gutes Gefühl. Ê 16 (Volllmer) Ich habe heute an konkreten Vorschlägen sehr wenig, ich habe aber an konkreten Bedingungen an die DDR sehr viel gehört. Auf alle diese arroganten Anmaßungen sage ich: Hände weg vom Selbstbestimmungsrecht der DDR. Schluss mit der Bevormundung. AUT Wer sich freilich vorstellt, dass von nun an Bonner Politik und Bonner Berichterstattung ausschließlich oder auch nur überwiegend unter dem Stern des Vereinigungsprozesses gestanden hätte, der täuscht sich. Gerade in solch bewegten Zeiten gelten die gröbsten Plattheiten: Das Leben geht weiter. Ich habe mich nach dem 9. November 1989 zum Beispiel mit dem Prozess gegen Gabriele Tiedemann beschäftigt, die beim Überfall auf die Opec-Konferenz 1975 in Wien zwei Menschen erschossen haben soll. Der U-Boot-Skandal, der seit drei Jahren einen Untersuchungs- Ausschuss beschäftigte, bekam neuen Schwung durch ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kiel. Ende 89 musste ein Jahr Gesundheitsreform gewürdigt werden. Damals war Norbert Blüm der Unglücksrabe. Umweltminister Klaus Töpfer bereitet mal wieder eine Naturschutznovelle und damit einen weitere Blamage vor. Darüber wird monatelang diskutiert, genauso wie über das Gentechnik-Gesetz, das ein großer Wurf werden sollte und ein geradezu jämmerliches Ergebnis bringt. Am 30. November wird Alfred Herrhausen, Chef der Deutschen Bank, bei einem Bombenattentat getötet. Herbert Wehner stirbt im Januar 1990. Die Bundesregierung höhlt das Asylrecht weiter aus. Die fast schon vergessene Partei-Spendenaffäre holt Bonner Politiker und Korrespondenten wieder ein mit dem Prozess gegen Walther Leisler Kiep, den ehemaligen CDU-Schatzmeister. April 1990: Messer-Attentat auf Oskar Lafontaine in Köln - es ist also nicht alles Einheit, was den Bonner Korrespondenten im Einheits- Jahr zwischen dem 9. November 89 und dem 3. Oktober 90 beschäftigt. Aber nach und nach macht sich ein merkwürdige Stimmung in Bonn breit: Wer als Abgeordneter oder Journalist oder in einer ähnlich bedeutsamen Position arbeitet, hat mehr und mehr den Eindruck, auf der falschen Hochzeit zu tanzen. Der Film spielt in Berlin Ost und West, die Scheinwerfer im Bundesdorf sind zwar nicht abgeschaltet, aber doch stark gedimmt, Bonn ist zur Hauptstadt auf Abruf geworden. Zwar rechnet niemand mit einem baldigen Umzug nach Berlin, aber das Bauen in Bonn soll doch erstmal gestoppt werden, so der Vorschlag eines CDU-Abgeordneten. Aus Berlin, versteht sich. In Ost-Berlin geht das immer rasantere Ende der DDR über die Bühne, in Moskau und auf der Krim holen Kohl und Genscher sich das Plazet Gorbatschows für die deutsche Einheit. Immerhin: Noch ist Bonn Regierungszentrale, und die politischen Schritte zur deutschen Einheit werden hier geplant und veröffentlicht. Am 28. November 89 hatte Kohl einen "Zehn-Punkte-Plan" zur deutschen Einheit vorgelegt, der großzügige Finanzierung des Neuaufbaus der DDR versprach. Und einiges mehr. E 17 (Kohl) Wir sind aber auch bereit, noch einen entscheiden Schritt weiterzugehen, nämlich konföderative Strukturen zwischen beiden Staaten Deutschlands zu entwickeln mit dem Ziel, eine Föderation, das heißt ein bundesstaatliche Ordnung in Deutschland zu schaffen. Das aber, meine Damen und Herren, setzt zwingend eine demokratisch legitimierte Regierung in der DDR voraus AUT Als DDR-Ministerpräsident Modrow am 13. Februar 1990 in Bonn ist, sind all diese Pläne und Versprechungen Makulatur. E 18 (Modrow) Bildung eines einheitlichen deutschen Staates in Form einer deutschen Konföderation oder eines deutschen Bundes durch Wahlen in beiden Teilen der Konföderation, zusammentreten eines einheitlichen Parlament, das eine einheitliche Verfassung und eine einheitliche Regierung mit Sitz in Berlin beschließt. AUT Davon will in Bonn niemand mehr etwas wissen. Und auch die eher lyrischen Passagen in Modrows Ausführungen lösen bei den Bonner Mächtigen allenfalls mitleidiges Lächeln aus. E 19 (Modrow) Deutschland soll wieder einig Vaterland aller Bürger deutscher Nation werden, damit von ihm nie wieder Gefahr für Leben und Gut seiner Nachbarn ausgeht sind Verantwortungsbewusstsein, Behutsamkeit und Verständnis für das Machbare und für Europa Ertragbare erforderlich. AUT Zum ersten Mal nach zwanzig Jahren nimmt ein DDR-Offizieller den Begriff "Deutschland einig Vaterland" wieder in den Mund, eine Passage aus der DDR-Hymne, die zu singen zwanzig Jahre lang verboten war. Aber all das interessierte die Bonner Regierenden nicht mehr. Modrows Forderung nach einem Solidarbeitrag von 10 bis 15 Milliarden D-Mark wird barsch zurückgewiesen, Kohl und Waigel fordern eine zügige Einführung der Markwirtschaft und eine Rechtsanglei-chung auf zentralen Feldern der Wirtschaftsordnung. Von Föderation oder Konföderation ist in Bonn schon längst keine Rede mehr, Bonn will die deutsche Einheit nach Bonner Bedingungen. Und er hofft, dass die Volkskammer-Wahlen im März die Kräfte an die Macht bringen, die diesen Weg bereiten. Da helfen auch die Proteste der DDR-Oppositionsgruppen nichts. Der Runde Tisch in Ost-Berlin hat im Februar 1990 keine Bedeutung mehr. Insofern spielt Bonn immer noch die erste Geige, wenn auch der Ort Bonn seine Bedeutung zusehends verliert. Immerhin: Der Deutsche Bundestag zu Bonn am Rhein ist in diesem Jahr der Einheit ein höchst lebendiger Ort höchst intensiver Auseinandersetzungen. Die Regierung kann nicht schnell genug zur Einheit hasten, der Opposition geht alles viel zu schnell. Termin und Modus der gesamtdeutschen Wahl, Gestaltung des Einheitsvertrages, der Tag seines Inkrafttretens - all das war höchst strittig und umkämpft, aber Kohl und die Seinen setzten sich durch. Am 21.Juni 90 passiert der Vertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion Bundestag und Bundesrat und Volkskammer. E 20 (Kohl) Für die Menschen in Deutschland wird damit in wichtigen Bereichen ihres täglichen Lebens Einheit erlebbare Wirklichkeit. AUT 23. August beschließt die DDR-Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, am 12. September werden in Moskau die 2+4- Gespräche abgeschlossen mit der Unterzeichnung des Vertrags über die abschließenden Regelung mit Bezug auf Deutschland. Am 20. September wird die letzte Runde auf dem Weg zur deutschen Einheit eingeläutet - in Bonn. Der Bundestag stimmt über den Einigungsvertrag ab. Bundestagspräsidentin Süssmuth: E 20 (Süßmuth) Gemäß § 48, Absatz 3 unserer Geschäftsordnung stelle ich fest, dass die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit der Mitglieder des Hauses erreicht ist. Das Gesetz ist damit angenommen. (Beifall + Zwischenrufe) AUT Und dann wurde wieder gesungen im Deutschen Bundestag. E 21 Gesang "Deutschlandlied" -ENDE Beitrag- 6