Forschung und Gesellschaft: Eiskalt in die Zukunft Autor: Georg Gruber Sendedatum: 20.11.2014 Intro, Collage Nahm: "Man kann Kryonik verstehen als einen Krankentransport in die Zukunft, wo sozusagen die Zeit solange angehalten wird, bis die Medizin sich so weit entwickelt hat, dass sie die Krankheiten heilen kann, die ja für uns jetzt noch tödlich sind." Sames: "Wenn der Schaden behoben sein wird, dann würde das Leben spontan zurückkehren." Nagel: "Ausgeschlossen ist nichts, aber dass das sich tatsächlich so realisiert, wie man sich das heute vorstellt, ist auch sehr unwahrscheinlich." Nahm: "Die Chance ist auf jeden Fall größer als null und aus meiner Sicht ein gutes Stück größer als null und damit lohnt es sich dann schon, weil die Alternative, wenn ich mich beerdigen lasse, da ist die Chance nämlich genau null Prozent, dass ich ein weiteres Leben haben kann." Musik Autor "Haus der Zeit" - so heißt ein Bestattungsunternehmen in Geislingen, einem Städtchen am Rand der Schwäbischen Alb. Im "Haus der Zeit" gibt es einen Andachtsraum, ein Café für Trauernde und Räume, in denen die Körper der Verstorbenen gewaschen und vorbereitet werden für ihre letzte Reise. Musikakzent Autor Wenn es nach Klaus Sames geht, entsteht genau hier im "Haus der Zeit" die deutsche Kryonik-Zentrale. Klaus Sames, 75, langes weißes Haar ist der Kryonik- Vordenker hierzulande. Bis zu seiner Emeritierung hatte sich der Mediziner als Anatom und Gerontologe lange damit beschäftigt, wie Alterungsprozesse rückgängig gemacht werden könnten. Ohne Erfolg, deswegen auch sein Interesse an der Kryonik. "Kryos" ist altgriechisch und heißt "Frost, Eis". Hier in Geislingen sollen die "Patienten", so nennen die Kryoniker die Verstorbenen, präpariert werden, für ihre Reise in die Zukunft. Tiefgekühlt bei Minus 196 Grad in flüssigem Stickstoff überdauern sie die Zeit. Damit der menschliche Körper durch die Kühlung keinen Schaden nimmt, muss das Blut gegen Forstschutzmittel ausgetauscht werden. 5 O-Ton Sames Diese Zentrale würde für ganz Deutschland die Frostschutzperfusion übernehmen und die Patienten würden dann sehr schnell nach ihrem Tod in Eis gelegt und nach Geislingen befördert werden. So ist im Moment die Planung. Musikakzent Autor Geistiger Vater der Kryonik ist der Amerikaner Robert Ettinger. 1918 geboren, interessierte er sich schon als Jugendlicher für Science Fiction. Eine erste Fassung seiner Vision von einem Leben über den Tod hinaus veröffentlichte Ettinger Ende der 1940er Jahre als Kurzgeschichte. Größere Resonanz erhielt er aber erst 1964 mit "The prospect of immortality", seinem Buch, das unter dem Titel "Aussicht auf Unsterblichkeit?" auch auf Deutsch erschien. Der zentrale Gedanke darin: Zitator Robert Ettinger, aus "Aussicht auf Unsterblichkeit?" "Was immer uns heute tötet, sei es das Alter oder eine Krankheit, und auch wenn die Gefriertechniken zur Zeit unseres Todes noch sehr primitiv sein sollten, früher oder später werden unsere Freunde in der Zukunft der Aufgabe gewachsen sein, uns wiederzubeleben und zu heilen." Autor Ettingers Vision vom ewigen Leben fand Anklang - auch bei der amerikanischen Prominenz: Walt Disney war so fasziniert davon, dass jahrzehntelang viele glaubten, er habe sich 1966 nach seinem Tod tatsächlich einfrieren lassen. Eine Legende. 1967 ließ sich der amerikanische Psychologieprofessor James Bedford als erster Mensch unter kontrollierten Bedingungen einfrieren. Sein Körper lagert bis heute in dem 1972 gegründeten, ersten amerikanischen Institut zur Lagerung der präparierten Leichen: Alcor. 1976 gründete Robert Ettinger selbst dann ein eigenes, das "Cryonics Institut" in Detroit. . Die beiden Institute sind bis heute die größten und am professionellsten organisierten Zentren ihrer Art. In Tanks mit flüssigem Stickstoff eingelagert, warten so, mit dem Kopf nach unten, mehr als 250 Kryonik-Anhänger darauf, wieder aufgetaut zu werden. Auch in Russland gibt es eine Firma, die diese Dienste anbietet. 6 O-Ton Atmo (055mp2, bei 1'40) Atmo Autotüren, Geräusche, Klacken Autor An diesem Nachmittag hat Klaus Sames mit zwei Helfern eine Herz-Lungen- Maschine in das "Haus der Zeit" gebracht. Einer der Helfer arbeitet als Kardiotechniker in einem Krankenhaus in der Herzchirurgie, der andere ist Medizintechniker. 7 O-Ton Kardiotechniker Matthias Erber, 557mp2, bei 19.30 Ich denke mal, wenn die gepflegt wird und aufgearbeitet wird, dann ist die noch gut zu benutzen. Autor Aber noch ist die Herz-Lungen-Maschine defekt, dabei ist sie einer der wichtigsten Bausteine im großen Plan. 8 O-Ton Szene 557mp2 bei 0'40'' (Gespräch über Maschine, mit Hall, mit Geräuschen) Jetzt müssen wir mal gucken, das Wichtigste ... 9 O-Ton Sames Wenn der Patient dann hier ankäme, müssen auch mehrere Sachen gleichzeitig gemacht werden, man spritzt Zellschutzmittel, man spritzt gerinnungshemmende Mittel, zum Beispiel Heparin, damit der Kreislauf frei bleibt, keine Blutgerinnsel entstehen, die Amerikaner machen noch eine Beatmung, darauf verzichten wir im Allgemeinen. Und gleichzeitig wird aber mit der Medikamentengabe der künstliche Kreislauf angelegt und in Betrieb gesetzt. Autor Und für diesen künstlichen Kreislauf braucht es eben jene noch defekte Herz- Lungen-Maschine. 10 O-Ton Jetzt untendrunter ne Schraube .. Autor Wenn die Maschine funktioniert, wird sie das Frostschutzmittel in die toten Körper pumpen, während gleichzeitig das Blut abgelassen wird. Eine rasche Kühlung ist notwendig, um die natürlichen Abbauprozesse zu stoppen. Beim Einfrieren des menschlichen Körpers würde das Blut Eiskristalle bilden und so Zellen und Gewebe schädigen - deswegen muss das Blut raus und das Frostschutzmittel rein. Wobei die Konzentration des Frostschutzmittels langsam erhöht wird - auch das eine Vorsichtsmaßnahme zum Schutz der Zellen und des menschlichen Körpers: 11 O-Ton Sames Wir lassen zunächst verdünntes Frostschutzmittel, weil das ja giftig ist, durch den Körper kreisen, erhöhen aber ständig die Konzentration dieses Frostschutzmittels, in dem wir auf der einen Seite Frostschutzmittel reinlaufen lassen und auf der anderen Seite etwas raus nehmen, so dass die Konzentration immer höher wird und während dem kühlt der Körper, sodass die giftigste Frostschutzlösung von 75 Prozent erst zustande kommt, wenn die Kühlung bei etwa 0 Grad ist. 12 O-Ton So Charlie, probierste mal ... Autor Gelagert würden die Körper dann aber nicht in Geislingen in Baden-Württemberg, sondern in der Regel in den USA, in einem der beiden amerikanischen Institute, auch weil die tiefgekühlte Lagerung toter Körper in Deutschland zumindest bislang nicht erlaubt ist. Klaus Sames hat einen Vertrag mit dem Cryonics-Institut abgeschlossen, das Robert Ettinger gegründet hat. Die Kosten seien vertretbar: 13 O-Ton Sames Ich hätte jetzt fast gesagt, das ist ein Klacks, das sind 28.000 Dollar, also 21.000 Euro etwa, ich fahre zum Beispiel keinen Wagen und damit ist das bereits finanziert. Autor Es kommen allerdings, noch einmal 10. bis-12.000 Euro dazu, für die Präparierung in Deutschland und die Überführung in die USA. 14 O-Ton Sames: Wenn wir jetzt da puren Schrott angeschafft hätten, das wäre traurig Techniker: Das wär schlecht, das wär schlecht Musikakzent Autor In Deutschland ist die Zahl der Kryoniker noch überschaubar. 2006 gründete Klaus Sames mit einer Handvoll Mitstreiter die "Deutsche Gesellschaft für angewandte Biostase". Inzwischen hat der Verein über 70 Mitglieder in mehreren Ortsgruppen. Klaus Sames ist Ehrenvorsitzender. Auch Thorsten Nahm ist seit der Gründung Vereinsmitglied und heute im Vorstand aktiv. Der 37jährige lebt in München und arbeitet als Risikomanager bei einem großen Versicherungskonzern. 15 O-Ton Nahm Kryonik ist jetzt erst mal ganz praktisch für mich eine Möglichkeit, hoffentlich ein deutlich längeres Leben zu führen. Zweitens ist es für mich auch eine Art Statement: Ich bin der festen Überzeugung, dass kein Mensch unfreiwillig sterben sollte und Kryonik ist im Moment die einzige Möglichkeit, wie wir, jenseits von dem was uns die Medizin schon bietet, dem Tod ein Schnippchen schlagen können. Autor Schon 2004 hat Thorsten Nahm einen Vertrag mit dem amerikanischen Institut "Alcor" abgeschlossen. Jährlich zahlt er seitdem an die 500 Euro Mitgliedsgebühren plus weiterer 260 Euro für eine Lebensversicherung, die im Todesfall an "Alcor" ausgeschüttet wird. Sein Vertrag beinhaltet auch den Transport in die USA. 16 O-Ton Nahm Wenn man tot auf der Straße umkippt, wird es schwierig, dann müsste ein lokales Team oder ein Mediziner vor Ort vielleicht schon mal mit einer Kühlung anfangen. Oft ist es aber natürlich so, dass sich der Tod ankündigt, dass es da eine Vorlaufzeit gibt. Ganz wenige Personen sterben wirklich plötzlich, sondern bei vielen gibt es eine längere Krankheitsgeschichte, oder sie werden halt mit schweren Verletzungen in die Intensivmedizin eingeliefert und man weiß, die Situation ist kritisch und es entscheidet sich in den nächsten Tagen. Autor Auch deshalb hat Thorsten Nahm für den Notfall immer ein Kärtchen dabei, auf dem sich die Kontaktnummer des amerikanischen Instituts findet sowie Hinweise, wie mit ihm im Todesfall zu verfahren ist. Musikakzent Autor Irgendwann in ferner Zukunft wollen die Kryoniker ihr Leben fortsetzen, wenn die Medizin soweit ist, dass sie die Todesursachen der Tiefgefrorenen beheben können. Dann werden ihre Körper aufgetaut. Aus heutiger Sicht kein einfaches Unterfangen, muss auch Klaus Sames zugeben. 17 O-Ton Sames Das Problem ist, dass der Mensch so groß ist, dass man nicht gleichzeitig alle Bereiche erwischt. Wenn sie einen Körper, der knochenhart ist, verglast, erwärmen wollen, dann können sie das nur von außen nach innen, das heißt: Sie haben außen schon aufgetaut und sind in der Gefahr, dass das Gewebe eben, weil es kein Blut hat, zugrunde geht, und innen ist es noch knochenhart. Diesen Vorgang haben wir einfach noch nicht im Griff, was den Menschen betrifft, obwohl es im Prinzip funktioniert. Autor Und dann stellt sich ja auch die Frage, wie das Leben in den aufgetauten Körper zurückkehren soll. 18 O-Ton Thorsten Nahm Ja, das ist eine gute Frage, aber schon fast die falsche Frage, weil die Patienten, die Kryoniker, sind nicht tot, also der Tod ist kein Zeitpunkt, sondern ein Prozess. Nehmen wir mal an, vor 100 Jahren hätte jemand einen Herzstillstand erlitten, der wäre sofort für tot erklärt worden. Heutzutage weiß man, dass man mit einem Defibrillatorviele von den Patienten zurückgeholt werden können, wenn das Herz durch elektrische Stimulationen wieder gestartet wird. Das heißt, waren diese Patienten tot? Nein, sie waren im Zustand, wo das Herz stehen geblieben war, aber ein Zustand, der reversibel war. Und Kryonik geht davon aus, dass auch dieser Zustand der Kryokonservierung reversibel ist, und in den besten Fällen ist es, dass die Kryonik schon zu dem Zeitpunkt einsetzt, wo sie zum Beispiel noch durch einen Defibrillator ganz klassisch wieder belebt werden könnten. 19 O-Ton Sames Ich würde da gar nicht über einen Defibrillator reden. Wenn sie ein Auto repariert haben, dann fährt das wieder. Und genauso ist es beim menschlichen Organismus. Wenn das Hirn voll funktionsfähig wieder hergestellt ist, dann wird es auch wieder arbeiten, wenn es Blut bekommt, das ist einfach so gebaut, dass es anspringt, sie brauchen nicht mal einen Zündschlüssel dafür. Musik Autor Klingt alles sehr nach Science Fiction. Dabei werden schon heute menschliche Körper gekühlt, wenn auch nicht tiefgefroren, aber abgekühlt, auf 32 bis 34 Grad, bei Herzoperationen beispielsweise. "Künstliche Hypothermie" nennt sich das Verfahren, durch das der Stoffwechsel verlangsamt und der Sauerstoffbedarf reduziert wird. Auch bei plötzlichem Herzstillstand kann eine Kühlung hilfreich sein, um die durch einen Sauerstoffmangel verursachten Schäden zu minimieren genauso wie bei deutlich zu früh geborenen Kindern. Und schon jetzt werden Organe für Transplantationen gekühlt aufbewahrt und transportiert, die Zeitspanne beträgt aber je nach Organ noch wenige Stunden. Außerdem liegt bei einigen Tierarten die Körpertemperatur im Winterschlaf oft nur wenige Grad über Null. Für die "Hibernation", so der Fachausdruck für den Winterschlaf, interessieren sich auch die NASA und die europäische Raumfahrtorganisation ESA, um ihre Astronauten so im Tiefschlaf auf weite Reisen schicken zu können. Kryoniker verweisen auch gerne auf die winzigen Bärtierchen, die monatelang in Polarregionen im Wintereis eingefroren sind und nach dem Auftauen ganz normal weiterleben. Und sie berufen sich auf Versuche mit Kaninchennieren, die tiefgefroren wurden und später noch funktionsfähig transplantiert worden seien. Musik Autor Mit ihrer Vision vom Leben aus dem Eis sind die Kryoniker also nicht allein, wenngleich sie in der Wissenschaftscommunity zumindest in Deutschland weitgehend isoliert sind. Mit Forschungseinrichtungen wie dem Fraunhofer Institut, wo sich Wissenschaftler mit den Möglichkeiten der Kryokonservierung von Zellen in flüssigem Stickstoff beschäftigen, gibt es keine Zusammenarbeit. 20 O-Ton Sames Ein tiefer Graben, wir haben mehrere Forscher, die under cover forschen, weil sie zum Teil die Methoden in kryonischen Instituten bei Kryonikgegnern lernen, weil die gut ausgerüstet und anerkannt sind. Und da gibt es welche, die wirklich under cover fahren, ohne dass ihr Chef erfährt, dass sie Kryonik machen. Ein ganz hartes Brot für uns, aber wir kriegen diese Leute durch und die werden irgendwann ihre eigenen Institute haben. Autor Und noch ein neuer Trend, der die Kryoniker bestärken könnte: Schon heute werden menschliche Eizellen, Spermien und Embryonen tiefgefroren. Eine Methode, die inzwischen Firmen wie Apple und Facebook ihren Mitarbeiterinnen finanzieren, bekannt auch unter dem Schlagwort "Social Freezing". Damit die Frauen in jungen Jahren Karriere machen können und trotzdem nicht auf Nachwuchs verzichten müssen, werden die Eizellen der Frau bei minus 196 Grad aufgehoben - bei der gleichen Temperatur wie die menschlichen Körper in den Kryonik-Instituten. Bei diesen Temperaturen finden praktisch keine Alterungsprozesse mehr statt, die Eizellen bleiben jung und befruchtungsfähig. Rund 1500 Babys weltweit sind nach diesem Verfahren durch spätere künstliche Befruchtung bereits geboren worden, bis jetzt ohne Auffälligkeiten. 21 O-Ton Nagel Man muss immer überlegen, was kann aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen eigentlich abgeleitet werden und jede Ableitung sollte für sich dann reflektieren, ob tatsächlich eine Realisierungsmöglichkeit besteht oder nicht. Autor Professor Eckhard Nagel ist Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Essen und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Der Transplantationsmediziner steht der Kryonik kritisch gegenüber. 22 O-Ton Nagel In diesem Fall ist es so, dass wir wissen, dass man menschliche Stammzellen einfrieren kann, dass man sie nach einer gewissen Zeit, bei bestimmten Zellen auch über Jahre, wieder auftauen kann und dass dann eine Funktionsfähigkeit besteht. Das bedeutet aber, dass man sie in ihrem normalen Lebenszyklus hält ohne dass zusätzliche von außen notwendige Aktivierungen bestehen. Daraus zu schlussfolgern, dass man ein hochkomplexes System wie den menschlichen Körper, der ja auf verschiedenste Funktionen angewiesen ist, einfach mit ich sag jetzt mal Kühlflüssigkeit, Frostschutzmittel, infundieren kann und dieses Frostschutzmittel dann irgendwann gegen Blut wieder austauscht und alle Organe wieder funktionieren, das ist eine aus meiner Sicht unerlaubte Schlussfolgerung, für die es überhaupt keine naturwissenschaftliche Grunddaten gibt und die Schlussfolgerung ist meiner Ansicht nach dementsprechend viel zu weit und unseriös. Autor Es gibt auch Kryoniker, die nur ihren Kopf einfrieren lassen wollen, weil das billiger ist, und weil sie darauf setzen, dass in der Zukunft menschliche Körper geklont werden können. 23 O-Ton Thorsten Nahm Ich find es grundsätzlich eine völlig legitime Idee, das wirkt erst mal sehr befremdlich, von den Leuten sind welche, die sagen, gut ich will dann eh einen neuen jungen Körper haben, das gehört für mich dazu und das was mich ausmacht, meine Persönlichkeit und meine Erinnerung, die sind ja nachweislich im Gehirn gespeichert. 24 O-Ton Nagel Das würde voraussetzen, dass wir nicht nur den Vorgang des Auftauens eingefrorenen Gewebes lösen könnten, sondern das würde zugleich auch noch voraussetzen, dass wir im Hinblick auf das Klonieren von menschlichen Lebewesen wesentliche Fortschritte machen und auch das wird ja zurecht, wie ich glaube, immer noch grundsätzlich in Frage gestellt, ob der Mensch überhaupt in seiner Komplexität geklont werden könnte, wenn man das dürfte, auch mal wieder ein Konjunktiv. Aber dann müsste daneben noch die Frage gelöst werden, wie gelingt es, hier Verbindungen herzustellen zwischen diesem hochkomplexen Gehirn und den ja ausdifferenzierten Nervenbahnen inklusive dem Rückenmark, was für uns heute noch eine Todesschwelle ist, wenn das gekappt wird. Und diese Problematik, die müsste man dann auch noch gelöst haben, um am Ende einen eingefrorenen Kopf auf einen wie auch immer gearteten Körper aufpflanzen zu können. Also das halte ich nicht nur für Fiktion, das halte ich für vollständigen Blödsinn. Musikakzent 25 O-Ton Szene Geislingen Also Fehler haben wir gefunden. Antriebsriemen ist gerissen und den müssen wir erneuern. Autor Der Medizintechniker Peter Poch ist zufrieden, dieser Fehler ist leicht behebbar. Die Herz-Lungen-Maschine ist nach knapp zwei Stunden wieder einsatzbereit und wartet nun "im Haus der Zeit" auf den ersten "Patienten". Auch der Bestatter Markus Maichle ist darauf vorbereitet. Er hat eine spezielle Ausbildung als Thanatopraktiker gemacht, bei der er gelernt hat, wie man zur Konservierung der Leichen das Blut austauscht. 26 O-Ton Maichle Es gibt Wünsche von Angehörigen, von Verstorbenen, die gelten, respektiert zu werden. Und ob die einen jetzt sagen, "Das sind nette Verrückte" oder "Das sind Menschen mit Visionen" - wir können in der Geschichte viele Leute aufzählen, die sind als verrückt bezeichnet worden, und heute nutzen wir Möglichkeiten durch ihr Wissen und sagen, das waren Visionäre. Wer weiß, wie das in 100 oder 200 Jahren ausschaut. Autor Der Bestatter würde sich selbst aber nicht einfrieren lassen. 27 O-Ton Maichle Mein Leben macht meine Familie aus, meine Kinder, meine Freunde. Die leben jetzt, heute und hier. Musik Autor Irgendwann in ferner Zukunft werden die tiefgekühlten Körper dann wieder aus dem flüssigen Stickstoff geholt und aufgetaut. Wann wird das sein? Klaus Sames überlegt: 28 O-Ton Sames Ich würde so ... nein, man kann es nicht sagen, wir wissen heute nicht, ob die entsprechenden Techniken in dreißig Jahren entwickelt sein werden oder in 1000 Jahren, denn man wird uns nicht wieder aufwecken, bevor man uns wirklich reparieren kann. Und ein heutiger Mensch stirbt meistens alt - es wäre viel einfacher, wenn wir junge Menschen lebend tiefkühlen könnten, was sich ja die Raumfahrt zum Beispiel vorstellt, aber soweit sind wir noch nicht. Wenn wir heute jemand tiefkühlen, können wir ihn nicht wieder aufwecken, und deswegen warten wir auf den Tod. Autor Klaus Sames glaubt, dass irgendwann die Nanotechnologie so weit fortgeschritten sein wird, dass man die durch Alter, Krankheit und möglicherweise auch durch den Gefriervorgang geschädigten Zellen wieder reparieren kann und zwar mit Hilfe winzig kleiner Roboter. 29 O-Ton Sames Die Nanotechnologie beispielsweise ist im Stande, Moleküle zu ersetzen, Molekülstrukturen abzubauen und anders zusammen zusetzen. Und wir stellen uns vor, dass sie kontrollieren könnte, mit Hilfe winziger Computer, ob irgendwo ein Fehler ist im Aufbau, und den reparieren könnte, das heißt theoretisch kann man mit dieser Technik alles heilen, ob das praktisch so werden wird, wissen wir nicht, deswegen sagen wir auch, die Zeit bis wir reparieren könnten, ist völlig unbestimmt. Autor Die Kryoniker diskutieren, dass der Körper auch noch auf einem anderen Weg repariert werden könnte, durch den Einsatz von Stammzellen. 30 O-ton Sames Aber es ist immer noch das Problem, wir müssten die Stammzellen in Organzellen differenzieren, zum Beispiel Leberzellen, Herzzellen, und dann auch genau dorthin bringen, wo sie sein sollten. Da gibt es schon erstaunliche Sachen, aber dass Stammzellen nun so intelligent sind, dass sie den ganzen Körper reparieren, das liegt noch in weiter Ferne, und ich könne mir vorstellen, dass die Nanotechnologie, obwohl sie viel komplizierter ist, sich doch schneller entwickelt. Musikakzent Autor Doch jenseits der Machbarkeit stellen sich weitere auch ethische Fragen, zum Beispiel die nach der Seele - wo bleibt sie, wenn ein Mensch tiefgefroren wird? Thorsten Nahm. 31 O-Ton Nahm Das ist vielleicht eine Frage, auf die die Medizin keine Antwort geben kann. Es gibt kein naturwissenschaftliches Konzept der Seele und die Seele kommt auch in der Medizin nicht vor. Die Frage ist natürlich schon viel gestellt worden, also zum Beispiel bei der künstlichen Befruchtung, ich hatte gesagt Embryonen werden eingefroren, was passiert mit deren Seele? Was ist bei einer Herztransplantation, das waren ja auch große Fragen, als das das erste Mal passiert ist. Aber die Verfahren funktionieren, die Menschen scheinen nachher genauso zu sein wie vorher, das heißt, wenn es so etwas wie eine Seele gibt, dass es eine Funktion unseres Körpers ist. Und wenn der Körper wieder hergestellt wird, dann auch die Seele. Autor Auf einer Erde, die von wiederbelebten unsterblichen Kryonikern bevölkert wäre, wären die Menschen mit noch ganz anderen Problemen konfrontiert, etwa mit Überbevölkerung und Ressourcenknappheit. 32 O-Ton Sames Ich denke, das braucht so viel Zeit, dass wir bis dahin den Mars besiedeln können. Außerdem müssen Sie bedenken, wir sind gelagert, es ist egal, ob sie uns heute ernähren müssen oder uns noch tausend Jahre liegen lassen, das trägt in der Form nicht zur Weltbevölkerung bei. Musikakzent Autor Die amerikanischen Tiefkühllager sind, so sagen Thorsten Nahm und Klaus Sames, und so heißt es auch auf den Internetseiten der Institute, gemeinnützige Einrichtungen, die nicht profitorientiert arbeiten. Angst um ihre Investitionen haben die beiden Männer daher nicht. Dürfen sie auch nicht, für die Umsetzung ihres Traumes brauchen sie Amerika, denn in Deutschland ist es bisher gesetzlich nicht erlaubt, menschliche Körper tiefgefroren aufzubewahren. Eckhard Nagel. 33 O-Ton Nagel Das ist im Moment die Realität, ich glaube auch deshalb, weil wir hier genau an dieser Grenze, was ist eigentlich erlaubt als Angebot, ein solches Grundgefühl haben, dass ja hier tatsächlich mit Scharlatanerie Geld verdient wird und Menschen ausgenutzt werden, und dass wir deshalb, ein solches Geschäftsmodell nicht erlauben. Autor Allerdings ist fraglich wie lange noch. 34 O-Ton Nagel Nehmen wir mal die Situation der Stammzellbanken, dort wo zum Beispiel Nabelschnurblut eingefroren wird, um vermeintlichen Risiken in Zukunft dann mit diesen Stammzellen medizinisch begegnen zu können. Auch das ist zwar sehr viel weniger Fiktion und sehr viel konkreter, aber eben auch eine Situation, die noch nicht belegt ist durch eindeutige medizinische Fakten, sondern mit mehr Fragezeichen zu versehen ist, als mit Antworten. Das erlauben wir, das gibt es in Deutschland und insofern will ich es nicht abschätzen, dass zu irgendeinem Zeitpunkt auch die jetzt ausschließlich in Amerika und in Russland aktiven Einfrierungsinstitute einen Widerhall oder eine Internationalisierung auch in Deutschland erfahren. Autor Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben ist auch in Deutschland weit verbreitet, das zeigt eine aktuelle Studie der Technischen Hochschule Aachen, der RWTH, die Thorsten Nahm als Argumentationshilfe dient. 35 O-Ton Nahm (Blätterrascheln) So, das ist also eine repräsentative Auswahl von Personen in Deutschland gefragt worden, wie sie sich das Leben vorstellen, was sie möchten, und da haben insgesamt 45 Prozent geantwortet, dass sie entweder ewig leben wollen oder dass sie das Leben genießen und auf unbestimmte Zeit leben wollen. Insofern denke ich, das ist eine ganz natürliche Sache, wo viele Menschen sagen, den Tod so akzeptiere ich nicht, so lange mir das Leben Spaß macht, möchte ich auch weiter leben, und das ist die Kernidee von Kryonik, gut, das wollen wir auch umsetzen. Autor Für Eckhard Nagel ist das Interesse an der Kryonik auch ein Zeichen für den Zustand unserer Gesellschaft, die nur noch im Diesseits lebt und hier individuelle Erfüllung sucht. 36 O-Ton Nagel Er hat die Angst, dass er eben wirklich endlich ist, in seiner Vollständigkeit, in seiner Individualität, in seiner Ichbezogenheit und sieht es als Aufgabe der Wissenschaft, diese Endlichkeit zu besiegen. Wir kennen das alle schon aus dem Mittelalter mit entsprechenden Jungbrunnenzeichnungen, die immer wieder diese Fiktion und diese Hoffnung verbinden. Je stärker eine Gesellschaft leidet, das war ja im Mittelalter so, desto stärker sucht sie solche Fiktionen, also insofern ist die Debatte der Kryonik auch ein Zeichen für das Leiden in und an unserer Gesellschaft. Musik Autor Der Erfinder der Kryonik, Robert Ettinger, ließ sich nach seinem Tod im Jahr 2011 einfrieren und lagert nun in flüssigem Stickstoff nicht weit von seiner Mutter und seinen beiden Frauen entfernt, die schon vor ihm verstarben. Thorsten Nahm konnte seinen Bruder überzeugen, auch einen Vertrag mit einem amerikanischen Kryonik- Institut abzuschließen. Er wäre also in ferner Zukunft nach dem Auftauen nicht auf sich allein gestellt. Klaus Sames hingegen stieß mit seiner Vision bei seiner eigenen Familie nicht auf Widerhall. Angst allein zu sein, hat er deswegen aber noch lange nicht. 37 O-Ton Sames Nein, denn eine Familie ist ja weit verzweigt. Meine Tochter würde nicht mitgehen, meine Exfrau würde nicht mitgehen, meine Eltern sind gestorben, Geschwister würden auch nicht mitgehen. Aber die werden alle Nachkommen haben und diese Nachkommen werden sie nie sehen. Aber ich werde sie treffen und die werden wissen, dass Kryonik keine Spinnerei ist. Musik 2