Zeitreise vom 22.08.2012 Grenzgängerfigur zwischen Kultur und Natur 100 Jahre Tarzan Autoren: Wiebke Porombka und Ulrich Rüdenauer Redakteurin: Kim Kindermann COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. ___________________________________________________________ Atmo Tarzan-Schrei Atmo Jane: "Was war das?" Mann: "Das war ein menschlicher Schrei." Jane: "Menschlich?" (Trommelmusik) Sprecherin Mit der Menschlichkeit dieses vermutlich berühmtesten Schreis der Filmgeschichte ist es so eine Sache: Auf Johnny Weissmüllers Organ allein vertrauten die Filmemacher in den 1930er Jahren nicht. Tarzans Schrei musste durchdringender sein, sollte nicht nur den Dschungel wachrütteln, sondern auch noch den letzten Kinobesucher im Mittleren Westen der USA oder in einem Lichtspieltheater in Berlin in Aufregung versetzen. Deshalb mischte man Weissmüllers jodelndes Gebrüll mit verschiedenen Tierstimmen und reicherte diese Mixtur noch mit diversen Special Effects aus dem Studio der Filmproduktionsfirma Metro-Goldwyn-Mayer an. Zum ersten Mal ertönte der Schrei allerdings schon zwanzig Jahre zuvor - auf Papier. 1912 veröffentlichte Edgar Rice Burroughs, Tarzans Schöpfer, die erste Folge seiner Geschichten um den König des Dschungels. Zunächst in einem jener damals populären Pulp Magazine, Zeitschriften mit reißerischen, trivialen Kurzgeschichten; zwei Jahre später dann in Buchform. Atmo Tarzan-Schrei Musik Zitator 1 (aus: Burroughs: Tarzan von den Affen, S. 68) "Als er zu Boden gefallen war, setzte Tarzan von den Affen seinem Todfeind, der ihn sein Leben lang verfolgt hatte, den Fuß ins Genick, blickte zum Vollmond empor und stieß den wilden und furchteinflößenden Ruf seines Volkes aus. 'Ich bin Tarzan', rief er. 'Ich bin ein großer Töter. Mögen alle Tarzan von den Affen und Kala, seiner Mutter, mit Achtung begegnen. Es soll niemanden unter euch geben, der so mächtig wie Tarzan ist. Mögen seine Feinde sich in Acht nehmen.' Der junge Lord Greystoke blickte Kerchak gerade in die bösen, roten Augen, hämmerte sich mit den Fäusten auf die mächtige Brust und stieß noch einmal den schrillen, herausfordernden Schrei aus." O-Ton 1 Luig Der Urschrei, finde ich, ist ja das Interessanteste bei ihm, dass er so der Beginn seines Seins ist. Sprecherin Judith Luig, Kulturjournalistin. O-Ton 2 Kalka Und wenn er - das ist ein zentraler Teil der Mythologie - wenn er ein Tier getötet hat oder auch einen Menschen in den Staub geschmettert hat, dann stößt er "the victory cry of the bull ape" aus. Sprecherin Joachim Kalka, Übersetzer und Literaturwissenschaftler, der sich in Büchern und Aufsätzen ausführlich mit Trivialgenres, mit Comics und Kolportageliteratur beschäftigt hat. Musik Sprecherin Tarzan gehört zu den großen Populärmythen des 20. Jahrhunderts. Man muss weder einen der Romane noch einen der Filme gesehen haben, um sich eine relativ genaue Vorstellung von Tarzan zu machen. Tarzan, das ist das Findelkind, das im afrikanischen Dschungel, fernab von aller Zivilisation, von einer Äffin aufgezogen wird, um bald zum Herrscher dieses Dschungels zu werden. Tarzan, das ist der muskulöse Held, der sich an Lianen von Baum zu Baum schwingt, es problemlos mit Krokodilen und anderen Gefahren des Urwalds aufnimmt. Tarzan ist der einfältige Liebhaber, der mit seinem spröden Charme das Herz von Jane gewinnt, einer distinguierten Ostküstenschönheit aus den USA, die es in den Dschungel verschlägt. All das macht das Bild von Tarzan aus - und Tarzan selbst zu einer Ikone. Filmausschnitt 3 Jane: Who are you? Tarzan: I'm Tarzan. Jane: Tarzan? Sprecherin Die erste Begegnung zwischen Tarzan und Jane ist legendär. Der Filmklassiker aus dem Jahr 1932 mit Johnny Weissmüller und Maureen O'Hara in den Hauptrollen wurde von Metro-Goldwyn-Mayer mit folgendem Slogan beworben: "Die Sehnsucht des Kinopublikums nach der großen Romantik primitiven Lebens und uneingeschränkter Liebe ist nun erfüllt worden." Wie Tarzan aber überhaupt in den Dschungel geraten ist, handeln die Filme, wenn überhaupt, meist eher knapp ab. Tarzans Eltern, ein hoher britischer Beamter und seine schwangere Frau, die auf einer Schiffsreise nach Westafrika sind, werden nach einer Meuterei an einem Küstenstreifen ausgesetzt. Der Vater baut eine Hütte, um seiner kleinen Familie Schutz zu bieten. Aber die Gefahren des Dschungels sind zu groß. Die Mutter verliert den Verstand, nachdem sie ihren Mann mit einem Revolver gegen einen riesigen Affen verteidigt hat. Sie stirbt. Auch Tarzans Vater überlebt nicht: Er wird vom Anführer einer Gorillahorde getötet. Seinem kleinen, nackten Sohn nimmt sich die Äffin Kala an. Sie ist es, die dem Jungen den Namen Tarzan, weiße Haut, gibt. Tarzan wächst bei den Affen auf. Aber irgendwann merkt er, dass er anders ist als sie. O-Ton 3 Krüger Tarzan erkennt im Spiegel sein Gesicht. Er erkennt die Differenz zu den Affen, dass er anders aussieht, hässlich, wie er findet. Und ja, eine merkwürdige Unruhe erfasst ihn, und in der Hütte seiner Eltern findet er zwei zentrale Gegenstände, und zwar den Stift und das Messer. Sprecherin Die Kulturwissenschaftlerin Gesine Krüger hat einen Sammelband zu Tarzan mit herausgegeben und selbst über den Urwaldhelden geschrieben. O-Ton 4 Krüger Und was jetzt passiert ist, dass Tarzan zum Menschen wird, indem er töten und schreiben lernt. Und das ist wirklich absolut faszinierend. Die Vorstellung von Rice Burroughs, dass man sich selber schreiben beibringen könnte, und wie das auch im Roman beschrieben wird, das ist absurd, das geht natürlich nicht. Interessant aber die Vorstellung, dass Tarzan vor der Sprache die Schrift sich aneignet. Zitator 2 (Burroughs: Tarzan von den Affen, S. 49) "Tarzans kleiner, kluger Verstand entwickelte viele Gedanken, und Grundlage dafür war die ihm von Gott verliehene Gabe des Verstands." Musik Sprecherin Tatsächlich entziffert Tarzan das Geheimnis der Buchstaben - und er begreift deren Funktion: eine geniale, wenngleich eben ganz unwahrscheinliche Leistung. Erst über die Schrift erlernt Tarzan später das Sprechen. Auf diese Weise erhebt er sich über die Tiere, und die Überlegenheit, seine zivilisatorische Seite, entwickelt er ganz aus sich selbst heraus. O-Ton 5 Krüger Das Entscheidende ist natürlich, dass eine spezifische Zivilisationskritik zu dieser Zeit vor allem in Amerika herrschte und dass "Tarzan" eben auch insofern ein antiurbaner, antizivilisatorischer Roman ist. Interessanterweise ist Tarzan ja auch ein Lord Greystoke, ein Engländer, sogar ein Schotte, wenn man sich den Nachnamen anschaut, und ich glaube, hier verbirgt sich auch so eine Art Sehnsucht nach einem alten adeligen Europa, das gegen das proletarische, gegen das raue und grobe Amerika gestellt wird. Sprecherin Die Erfolgsgeschichte Tarzans, die mit einer Sehnsucht nach einem nicht von Zwängen und Konventionen eingeschränkten, unkorrumpierbaren, selbstbewussten Vorbild zu tun hat, war rasant: Schon die ersten 1912 veröffentlichten Tarzan- Geschichten stießen auf Begeisterung. Zwei Jahre später die Buchpremiere: "Tarzan of the Apes". 24 weitere Romane aus der Feder von Edgar Rice Burroughs, der 1875 in Chicago als Sohn eines Fabrikanten und einer Lehrerin geboren wurde und 1950 im kalifornischen Encino starb, sollten folgen. Daneben entstanden über 100 Filme, etliche Comics und sogar ein Musical. Die Figur verselbständigte sich dabei, entfernte sich von ihrem Erfinder. Tarzan erzählt die Geschichte der Menschwerdung, immer wieder aufs Neue, immer wieder in neuen Variationen. Und immer wieder mit anderen, mitunter wahrlich abenteuerlichen Zutaten. Ist dieser schreibende Lord, der von Affen aufgezogen wurde, ein utopisches Gegenbild zur Zivilisation? Ist er das Ideal, in dem sich nur die guten Seiten der Zivilisation entfaltet haben? Oder ist die Zivilisationskritik eher etwas, das dem Tarzan-Schöpfer mehr oder minder unbewusst - und womöglich gegen seine eigene Intention - unterlaufen ist? Joachim Kalka: O-Ton 6 Kalka Die Zivilisationskritik könnte man höchstens vermittelt und unbewusst in dem Umstand sehen, dass er einen vollkommen imperialen Gestus annimmt gegenüber der ihn umgebenden Naturwelt, den Tieren und den Menschen. Sie müssen sich ihm alle unterwerfen, sonst wird es böse enden. Sprecherin In der so genannten Zivilisation bewegt sich Tarzan zunächst noch als Fremder. Obwohl er das Erbe seiner adeligen Herkunft mit sich trägt, stößt er an seine Grenzen und muss verschiedene Lernprozesse und Entwicklungen durchlaufen, sich Sprache und Verhaltenscodes aneignen. Der natürliche Herrscher, der er im Dschungel längst ist, muss er in der zivilisierten, das bedeutet zugleich der westlichen Welt erst noch werden. Aber auch bei diesem Aneignungsprozess zeigt sich seine Überlegenheit. O-Ton 7 Krüger Die Wildnis ist weder als harmonisches Rückzugsgebiet konzipiert noch als zu überwindendes Chaos. Und das ist faszinierend, und das hält sich in gewisser Weise eine Waage, das heißt Tarzan kann hin und her wechseln zwischen der Zivilisation und der Wildnis. Das wird im Film natürlich nicht dargestellt. Tarzan trägt weiße Anzüge, er spricht fließend französisch und einige andere Sprachen. Er hat den Führerschein, er ist sozusagen auch äußerlich zum Gentleman geworden, das sind Dinge, die im Film nicht dargestellt werden, die im Roman aber ganz zentral sind. Und dieser Gentleman im weißen Anzug, der mordet eben, und das ist Teil seines Menschseins und nicht seines Affenseins. Sprecherin Vermutlich liegt das Geheimnis von Tarzan gerade darin, dass er die Widersprüche von Natur und Kultur in sich vereint und auf gewisse Weise aufhebt. Der Filmwissenschaftler Georg Seeßlen erkennt darin eine Verwandtschaft zum Donald- Duck-Syndrom, wie Adorno es nannte: Donald muss auf der Leinwand immerzu Prügel einstecken, damit das Publikum sich an die Prügel gewöhnt, die es selber im wahren Leben immerzu bekommt. Ganz ähnlich werde durch Tarzan die Zivilisation nicht kritisiert, sondern in einem höheren Sinne versöhnt mit der Natur. Der Dschungelheld, der sich sowohl in der Wildnis als auch in der Großstadt zu bewegen weiß, ist ein Wunder der Anpassung. Man sollte sich an ihm ein Beispiel nehmen: Die enormen Modernisierungsschübe des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurden durch Tarzan erträglich gemacht. Tarzan, ein Wunder der Evolution, versöhnt uns mit den Kehrseiten der Moderne. Atmo Tarzan-Schrei Musik Zitator 3 (Burroughs: Tarzan von den Affen, 85) "Er wusste nur, dass er das Fleisch dieses dunkelhäutigen Mannes nicht essen konnte, und so übernahm ein ihm in Jahrhunderten vererbter Instinkt die Funktionen seines unausgebildeten Denkens und bewahrte ihn davor, ein in der ganzen Welt gültiges Gesetz zu verletzen, von dessen Existenz er keine Ahnung hatte. Schnell ließ er Kulongas Körper zu Boden gleiten, nahm ihm die Schlinge ab und kletterte wieder in die Baumwipfel." O-Ton 8 Krüger Interessant ist, dass die ersten Menschen, die Tarzan trifft, sind Menschen im Urwald, es sind Afrikaner, die er beobachtet, die er faszinierend findet. Das Interessante ist, dass seine erste Begegnung mit einem anderen Menschen die Begegnung mit einem Prinzen ist. Das heißt, Adelige begegnen sich hier sozusagen von gleich zu gleich. Aber es muss eine entscheidende Differenz geben, und da führt Rice Burroughs den Kannibalismus ein. Er behauptet also, dieser afrikanische Prinz würde einem Kannibalenstamm angehören. Aber, und das ist wiederum hoch interessant, Edgar Rice Burroughs erklärt das: Warum sind diese Afrikaner Kannibalen geworden. Sie werden, das sind so verschiedene Anspielungen im Roman, vertrieben aus ihren angestammten Gebieten. Sie sind einer furchtbaren kolonialen Gewalt, und zwar durch die Belgier, ausgesetzt, und in diesem Prozess verwildern sie. Hier haben wir auch wieder dieses Spiel mit der Frage: Was ist wild, was ist zivilisiert, was ist kultiviert? Sprecherin Erstaunlich ist, wie Edgar Rice Burroughs es verstand, zeitspezifische Moden, Diskurse und Themen immerzu in seinen Geschichten unterzubringen. O-Ton 9 Kalka Der Mann hatte eine lebhafte, auch so sich überall bedienende Fantasie. Der Begriff des Plagiats wäre schon viel zu ernsthaft. Der hat einfach alles osmotisch in sich eingesogen, was in dem großen Kontinuum der Kolportage-Literatur herum flottierte und hat das für seine Zwecke verwendet. Sprecherin Edgar Rice Burroughs war ein begnadeter Eklektiker. Er schöpfte aus allen möglichen Quellen: Ob es das "Dschungelbuch" von Kipling ist oder Arthur Conan Doyles "The Lost World", ob Jules Verne oder Rousseau, ob populärwissenschaftliche Zeitschriften oder Tageszeitungen. O-Ton 10 Krüger Das Problem ist so ein bisschen, dass der Rice Burroughs sich einfach für jeden Mist interessiert und tausend Themen anspricht. Sprecherin Der Autor interessierte sich aber nicht nur für alles; von den meisten Dingen verstand er auch nicht allzu viel. So lässt er einmal Tarzan einen Tiger töten - und muss erst von einem Leser darauf hingewiesen werden, dass Tiger im afrikanischen Dschungel nicht zu Hause sind. Das aber spielte letztlich keine Rolle. Denn Edgar Rice Burroughs' Afrika ist ohnehin ein fiktives. Wie Karl May niemals in der amerikanischen Prärie unterwegs war, so war auch Edgar Rice Burroughs nie in Afrika. Die Amerikanistin Ruth Mayer hat in einem Aufsatz herausgearbeitet, dass - wenn von Afrika gesprochen wird - eigentlich immer Amerika gemeint sei. In den Tarzan-Büchern würden eigentlich Fragen behandelt, die Amerikaner beschäftigten. Es gehe letztlich um amerikanische Geschichtsschreibung. O-Ton 11 Krüger Ich glaube, das ist eben auch das Interessante, wenn man sich das vorstellt, 1912 Chicago, ja, das ist einfach absolut vibrierend: es gibt die Zeitung, es gibt die Kolportageromane, der Film, es ist auch so eine Atmosphäre für unglaublich viele technische, mediale Entdeckungen, und der Rice Burroughs, der war einfach aufmerksam, glaub ich, ja, und der hat das alles in sich gesogen, verarbeitet und dann in seinen Romanen wieder ausgespuckt. Musik Sprecherin Edgar Rice Burroughs war nicht nur ein Seismograph für die Stimmungen seiner Zeit, er war zudem besessen von dem Gedanken, möglichst schnell zu viel Geld zu kommen. Aber dafür sollte er einige Anläufe brauchen. Nachdem er als Eisenbahnpolizist, Vertreter für Glühbirnen und Buchhalter angestellt war, zwischenzeitlich sein Glück mit Goldsuchen erprobt hatte, gründete er eine Agentur für Bleistiftspitzer. Nebenher er fand ausreichend Zeit, Abenteuer- Geschichten in Magazinen zu lesen. Vom Lesen zum Schreiben ist es manchmal ein kleiner Schritt und an Selbstvertrauen mangelte es Burroughs auch nicht - also schickte er seine erste selbst verfasste Erzählung, eine Science-Fiction-Geschichte, an das All-Story- Magazin. O-Ton 12 Kalka Bei Burroughs kann man ja wirklich sagen, der Fall ist insofern erstaunlich, als das alles von Anfang bis Ende wirklich unglaublich schlecht geschrieben ist. Sprecherin 1912 wurde es trotzdem noch die hollywoodreife Karriere: der mittlerweile fast 40jährige Autor sollte sich nun als äußerst findiger Geschäftsmann erweisen, der es verstand, seine Figur weit über die Bücher hinaus zu vermarkten. Zehn Jahre, nachdem er Tarzan in die Welt gesetzt hatte, war Edgar Rice Burroughs, der ehemalige Vertreter für Bleistifte, reich. Er kaufte sich sogar eine Ranch, die er "Tarzana" nannte. O-Ton 13 Graf Ich weiß nur, dass er da sehr geschickt war und einer der ersten, die es geschafft haben, halt alle Rechte an dieser Figur zu behalten. Und es gab eben nicht nur Comics und Filme und alle möglichen Adaptionen, sondern es gab Tarzan-Benzin und Tarzan-Turnschuhe und ich weiß nicht was. Und er hat das halt alles vermarktet. Und es gab eine Radiosendung, das war vielleicht noch wichtiger als der Film am Anfang, das wurde landesweit ausgestrahlt. Also, es gab da richtig viel Geld zu verdienen. Und das hat er alles eben selbst eingestrichen. Sprecherin Peter Graf hat als Verleger drei der Tarzan-Romane in neuer Übersetzung herausgegeben. "Tarzan bei den Affen", den ersten von insgesamt 24 Romanen von Edgar Rice Burroughs, in denen der Urwald-Held die Hauptrolle spielt. "Tarzan und die Schiffbrüchigen" - hier kämpft Tarzan gegen die Nazis. Und schließlich "Tarzan und der Verrückte", der erstmals in voller Länge auf Deutsch erscheint. Wenn man sich die abstruse Geschichte um den durchgedrehten Doppelgänger anschaut, mit dem Tarzan sich hier herumzuschlagen hat, verwundert es allerdings nicht, dass die deutschen Verlage bislang ein wenig skeptisch gewesen sind. Peter Graf aber ist gerade an diesen Abseitigkeiten interessiert. O-Ton 14 Graf Ich glaube, dass man eigentlich in diesen Romanen den wahren Tarzan entdecken kann, weil durch all die Adaptionen, egal ob Film oder Comic oder Musical, eigentlich Tarzan als Figur immer weicher gekocht worden ist. Der harte, der wirkliche Tarzan, den findet man eigentlich in den Romanen. Und die ganze Editionsgeschichte ist insofern interessant, dass eine Zeitspanne von fast 45 Jahren durchlaufen wird. Und der allererste Tarzan von 1912 ist noch so ganz im Duktus des viktorianischen Abenteuerromans und den ganzen Idealen auch geschrieben und spätere Romane haben ganz andere Funktionen auf der zweiten Ebene. Das sind zum Teil Propaganda-Schriften auch gegen Nazi-Deutschland, gegen den Kommunismus, irgendwann bekommen sie auch so eine Trash-Pulp-Ebene, wo Fantasy-Elemente einfließen. Es tauchen auf einmal Dinosaurier auf und irgendwelche Fabelwesen oder Zwergvölker, irgendein Mischvolk, das aus Majas und portugiesischen Eroberern entstanden ist und aus irgendwelchen nicht erklärten Gründen auf einmal in Afrika auftaucht statt in Südamerika. Musik Zitator 4 (Burroughs: Die Schiffbrüchigen, S. 113) "'Dieser verdammte Wilde!', stieß Schmidt aus und brach in einen Schwall entsetzlicher Obszönitäten aus. ,Ich kriege ihn! Ich kriege ihn!', schrie er, hob sein Gewehr und ballerte in den Wald, in die Richtung, aus der Tarzans Stimme gekommen war. Wieder surrte die Sehne des Bogens und Schmidt griff sich an einen Pfeil in seiner Brust, fiel auf die Knie und dann auf die Seite - etwa zur gleichen Zeit, als Janette beim Wald angekommen war und sich Tarzan neben sie auf den Boden fallen ließ." Musik O-Ton 15 Graf Ja, es gibt natürlich immer wiederkehrende Erzählmuster, das ist alles sehr einfach gestrickt auch, das ist so. Und das ist natürlich so, dass es immer die Bösen und die Guten gibt und Tarzan - und das macht vielleicht den Unterschied zu anderen sehr einfach erzählten Geschichten aus - Tarzan ist nicht per se der Gute, sondern er ist eben auch der Wilde oder das Tier. Und er reagiert, wie er halt reagieren muss in der Situation, und das ist nicht immer moralisch. Und er tötet halt irgendwie ohne mit der Wimper zu zucken, wenn das halt gerade nötig ist. Und das ist anders als bei anderen Helden. Atmo Tarzan-Schrei Musik Sprecherin Aber dann gibt es noch das Gegenstück zu Tarzan, die schöne, begehrenswerte, gebildete Jane. Atmo Jane: Ich bin Jane Parker, verstehst Du das? Jane, Jane!! Tarzan: Jane. Jane. Jane: Ja, Jane. Und Du? Tarzan: Jane. Jane: Und Du? Tarzan: Tarzan, Tarzan. Jane: Tarzan. Tarzan: Jane. Tarzan. Jane. Tarzan. Jane: Ganz recht. O-Ton 16 Luig Ich hab auch die Johnny Weismüller-Filme gesehen, und trotzdem erinnere ich mich komischerweise an nichts anderes als an diese Dichotomie der Geschlechter: "Ich Tarzan, du Jane". Und Tarzan sagt halt irgendwie, so teile ich die Welt ein. Ich würde sagen, er hat eine große Tradition großer Männer begründet. Musik Zitator 5 (Burroughs: Tarzan von den Affen) "Mit ihm in ihrer Nähe. wer hätte da Furcht empfunden? Und sie fragte sich, ob es noch einen Menschen auf Erden gab, in dessen Gegenwart sich eine Frau so sicher fühlen würde, hier im wilden afrikanischen Dschungel. Selbst Löwen und Panther stellten in ihren Augen keine Bedrohung mehr dar." Sprecherin Für die Kulturwissenschaftlerin Gesine Krüger ist es vor allem der schreibende Tarzan, der das Herz von Jane erobert. O-Ton 17 Krüger Die Liebe gehört natürlich zur Vervollständigung von Tarzan. Also, ich würde sagen, Jane ist eine ganz zentrale Figur, weil die Liebe zur Vervollständigung des Menschseins gehört. Tarzan liebt selbstverständlich aus reinstem Herzen. Das Interessante ist, dass die Liebe beim Tarzan-Roman wiederum mit der Schrift verknüpft ist. Denn das erste, was Tarzan schreibt, ist ein Liebesbrief. Und zwar ein Liebesbrief an Jane, und zum anderen aber auch einen Zettel, den er an die Tür seiner Hütte heftet, wo drauf steht, dieses ist Tarzans Eigentum. Das heißt, es geht hier noch mal darum, sein äußeres und inneres Territorium abzugrenzen. Die Hütte gehört ihm, das ist seine kleine Welt. Und Jane betrifft sein Herz, das er ihr eröffnet im Liebesbrief. Jane soll eben zu ihm gehören. Zitator 6 (Burroughs: Tarzan von den Affen) "Ich bin Tarzan von den Affen. Ich brauche dich. Ich gehöre dir. Du bist die Meinige. Wir leben für immer hier zusammen in meinem Haus. Ich werde dir die schönsten Früchte, das zarteste Wildbret, das wohlschmeckendste Fleisch bringen, das der Dschungel bietet. Ich werde für dich jagen. Ich bin der Größte aller Dschungelkämpfer. Ich werde für dich kämpfen. Ich bin der Mächtigste der Dschungelkämpfer. Du bist Jane Porter, ich sah es in deinem Brief. Wenn du das hier siehst, wirst du erkennen, dass es für dich ist, und dass Tarzan von den Affen dich liebt." O-Ton 18 Krüger Er ist eben ein Sportler, ein Kämpfer, er ist zugleich ein Gentleman, er ist das Gegenbild zum Angestellten mit seinen kleinlichen und kleinen Sorgen. Und zugleich ist er jemand, der zum Beispiel tötet und der von seinem Freund D'Arnot abgehalten werden muss, jedes Mal, wenn ihm etwas nicht passt, den andern gleich umzubringen. Sprecherin Zumindest aber im Film - bis vielleicht auf den ersten Teil der Weismüller- Serie aus dem Jahr 1932 - büßt Jane relativ rasch an erotischer Suggestionskraft ein. Und Tarzan wird von ihr domestiziert. Atmo Jane: Warum hat Tarzan das nicht auch schon längst in Ordnung gebracht? Mann: Jetzt kriegt Tarzan aber was zu hören. Jane: Ich hab Dich schon so oft gebeten, die Brause zu machen, und Du sitzt hier und zeichnest. Tarzan: Tarzan denkt nach. O-Ton 19 Luig Tarzan ist der, der sich einfach natürlich geben kann, der rumtanzt wie bescheuert und der dauernd irgendwie vom Baum fällt oder gegen einen Baum donnert. Es ist ein Gegenentwurf zu diesem Mann, einem Karrierist, der alles perfekt machen will. Tarzan der tölpelhafte Romantiker, der trotzdem verdammt gut aussieht. O-Ton 20 Kalka Jane ist eine besonders unglückliche Erfindung eigentlich, weil sie relativ früh schon das ihr zuerst zugeordnete erotische Potential still legt, indem sie zur Frau wird. Es hat offensichtlich irgendwann mal in den dreißiger Jahren einen Eklat in den USA gegeben, wo einer - also auf dem Höhepunkt der Tarzan-Begeisterung - wo einer dieser fanatisch humorlosen evangelikalen Gruppen die öffentlichen Büchereien einzelner Staaten mit militanten Aktionen von den Tarzan-Büchern säubern wollte, weil die beiden nicht verheiratet waren. Sprecherin Die pubertäre Fantasien durchaus anheizende Erotik, die sich in den Tarzan- Romanen findet, muss dann andere Quellen haben, wie Joachim Kalka feststellt. O-Ton 21 Kalka Es gibt natürlich immer diese viktorianischen Stereotypen, dass er Küsse auf ihr empor gewandtes Gesicht hinab regnen lässt. Aber es gibt dann auch so Beschreibungen wie die von der Femme fatale La, der Hohepriesterin von Opar, die zwei goldene Scheiben auf ihren festen Brüsten - wörtlich zitiert - trägt, was so um 1912 rum, wo man noch nicht an jeder Ecke Pornographie kaufen konnte, eine relativ gewagte kleine Geste war, die einen also fast schon soft-pornographischen Subtext hier begründet. Musik Sprecherin Dass Tarzan immer wieder etwas Neues und doch immer das Gleiche erzählt, mag auch dazu führen, dass Tarzan in den verschiedenen Comic-Adaptionen stets anders aussieht - ohne dass sich daran jemand stören würde. Dass gerade die Tarzan-Comics ihren ganz eigenen künstlerischen Wert haben, liegt an den prominenten Zeichnern, die sich der Geschichte von Egar Rice Burrougs angenommen haben. Hal Foster war der erste, der Tarzan 1929 noch ohne Sprechblasen ins Bild setzte. Bei Russ Manning trat das Erotische in den Vordergrund, bei Rex Maxon wurde Tarzan wieder zum barbarischen Wilden. Bis heute der bekannteste Tarzan-Zeichner ist Burne Hogarth. Nicht nur durch seine Dschungel-Geschichten gilt er als derjenige, der bewiesen hat, dass Comics Kunst sein können. Im Gegensatz zu den Comics waren es in den Tarzan-Filmen weniger der ästhetische Anspruch als schöne Körper, eine eingedampfte Handlung und ein paar Special-Effects, die über Jahrzehnte ihren Erfolg begründeten. O-Ton 22 Luig Was mich echt interessieren würde, ist tatsächlich, warum es jetzt keine neue Verfilmung mehr gab. Die letzte war wirklich aus den 90ern, und ich glaube, das ist wirklich interessant, sich zu überlegen, wie das Männerbild sich da gewandelt hat, und warum man sich diesem Wilden nicht mehr stellen möchte. Sprecherin Dass sich das Männerbild gewandelt hat, mag ein Grund dafür sein, dass der Tarzan-Mythos lange nicht mehr fürs Kino aufbereitet wurde. Ist die Zeit für Helden, die ihre Männlichkeit unbedarft ausstellen, vorbei? Wohl kaum. Zumindest die Tarzan-Figur hat etwas Offenes, Uneindeutiges, Schwirrendes. Und das vermag auch heute noch Faszination auszuüben. O-Ton 23 Krüger Irgendwie hat Rice Burroughs da einen ganz genialen Kunstgriff gemacht, dass man sich mit Tarzan in gewisser Weise identifizieren kann, die Frage aber, mit was man sich da identifiziert, die ist völlig offen. Es ist so eine Art Projektionsfläche, auf die fast alles projiziert werden kann. Es gibt übrigens eine ganz schöne Anekdote von Franz Fanon, der erzählt, wie er in Algerien im Kino Tarzan geschaut hat und wie alle anderen Jungen natürlich sich mit Tarzan identifiziert hat und dem Helden zugejubelt hat, und als er dann in Paris war und zum ersten Mal im Kino Tarzan gesehen hat, hat er sich plötzlich mit den Afrikanern identifiziert und gemerkt, dass da eben noch was ganz anderes dahintersteckt. Sprecherin 100 Jahre ist diese Projektionsfläche mittlerweile alt. Und ein Ende scheint nicht absehbar. Inzwischen ist Tarzan im digitalen Zeitalter angekommen. In den Bavaria- Studios in München entsteht zur Zeit eine 3-D-Version, in der real mit Schauspielern gedrehte Szenen durch den Computer gejagt und in Animationen umgewandelt werden. 4000 Zeichnungen umfasst allein das Storyboard, und die Hauptdarsteller dürften die mit Vampirfilmen aufgewachsenen Jugendlichen ins Kino locken: Spencer Locke gibt die Jane der 2012er Jahre, "Twilight"-Star Kellan Lutz schwingt sich von Baum zu Baum. Keine Generation muss also auf ihren Tarzan verzichten. Nächstes Jahr soll der Film anlaufen. Spätestens dann dürfte auf allen digitalen Kanälen wieder lautstark daran erinnert werden, dass im Urwald nur einer regiert: Atmo Tarzan-Schrei Musik und ENDE 14