Jede Oma zählt Aidswaisen und ihre Großmütter in Südafrika Eine Reportage von Leonie March COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Atmo 1: Enkel baden Autorin: Zalelephi Khwela badet den jüngsten ihrer acht Enkel. Vorn über gebeugt hält die korpulente Frau das Baby über einer Plastikwanne, seift es routiniert von Kopf bis Fuß ein. Die körperliche Anstrengung ist der 67-Jährigen mit dem verschlissenen Rock und dem weißen T-Shirt anzusehen. Schwer atmend wischt sie sich ein paar Schweißperlen von der Stirn. O-Ton 1: Original auf Zulu... Ich sorge für 15 Familienmitglieder. Sieben meiner Kinder und acht Enkel leben hier bei mir. Einige von ihnen sind Waisenkinder, ihre Eltern sind gestorben. Seit HIV und Aids hier in dieser Gegend grassieren ist das Leben sehr, sehr schwierig geworden. ....Original auf Zulu. Atmo kurz hoch Autorin: Breitbeinig steht sie mitten in ihrem Haus, einer traditionellen Rundhütte, gebaut aus Lehm, mit Blechdach. Ein karger, schummriger Raum ohne Fenster: Auf jeder Seite steht ein durchgelegenes Bett, darüber hängen ein paar abgetragene Kleider an einer Schnur. Eine geblümte Kittelschürze, zwei Röcke, ein Kleid. Rechts neben der Tür eine niedrige Holzbank für Besucher, gegenüber ein windschiefer Schrank und ein kleiner Tisch mit drei Stühlen. Darüber hängt ein vergilbtes Jesus-Bild. Atmo kurz hoch Autorin: Mühsam richtet sich Zalelephi Khwela auf, trocknet ihren Enkel ab, cremt ihn ein, wickelt ihn in ein hellblaues Handtuch und küsst ihn liebevoll auf die Stirn bevor sie ihn auf ihr Bett legt. Dann setzt sie sich daneben. Kurze Verschnaufpause. O-Ton 2: Original auf Zulu... Jeder Tag verläuft gleich. Bei Sonnenaufgang stehe ich auf, wecke die anderen und bereite das Frühstück vor. Es gibt Tee und Maisbrei. Vier meiner Enkelkinder gehen zur Schule. Ich achte darauf, dass sie pünktlich losgehen. Dann kümmere ich mich um die Kleineren und den Haushalt. Nachmittags, wenn die Kinder spielen, arbeite ich im Garten. Manchmal hilft mir meine älteste Tochter dabei. ....Original auf Zulu. Atmo 2: Aufstehen, Schritte Autorin: Die 67-Jährige steht auf, geht ein paar Schritte um ihr Bett herum, öffnet den Deckel einer Holztruhe. Hier bewahrt sie ihre Habseeligkeiten auf: Ein Glas mit Münzen, Maismehl, Reis und Bohnen, Töpfe und Teller. Seife und Creme legt sie dazu. Danach zieht sie einen kleinen Schlüssel aus ihrem BH, schließt die Truhe ab. O-Ton 3: Original auf Zulu... Ich muss alles wegschließen. Es gibt viele Diebe in dieser Gegend. Jemand könnte uns beklauen, wenn ich nicht da bin. ...Original auf Zulu. Atmo 3: Schritte, Wasser, draußen Autorin: Die alte Frau geht wieder zurück zu ihrem Bett, versichert sich, dass ihr frisch gebadeter Enkel schläft. Mühsam hebt sie die Plastikwanne mit dem Badewasser hoch, trägt sie durch den niedrigen Eingang in ihre Rundhütte nach draußen, schüttet das Badewasser in ihren Garten. Ein paar Kohlköpfe, Mais und Süßkartoffeln baut sie hier an. Sie ist auf dem Land geboren, in einer abgeschiedenen Region nördlich von Durban. Eine kleinere Rundhütte dient als Küche, eine weitere als Schlafzimmer für die Kinder. Drei Jungen spielen auf dem sauber gefegten Hof Murmeln. Atmo 4: Jungs spielen Murmeln Autorin: Die Kinder sind es gewohnt, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Aber wenn sie sich streiten oder Hunger haben, kommen sie direkt zu mir gerannt, meint ihre Großmutter, geht lächelnd an ihnen vorbei, zu einer kleinen rechteckigen Lehmhütte mit einer selbstgebauten Holztür. Hier ist ihr bettlägeriger Sohn untergebracht. O-Ton 4: Original auf Zulu.... Er ist sehr krank. Er hat Aids. Ich pflege ihn hier zuhause. Ein Arzt in der Klinik hat mir erklärt, worauf ich dabei achten muss. ....Original auf Zulu. Autorin: Die 67-Jährige geht allein hinein. Besucher sind nicht willkommen. Gerade in ländlichen Gegenden wie dieser werden die Kranken von der Außenwelt abgeschirmt. Vielleicht aus Scham, vielleicht aus Furcht. Atmo kurz hoch Autorin: Nach kurzer Zeit tritt Zalelephi Khwela wieder nach draußen in den Hof, geht an ihren Enkeln vorbei, die mit ihren Murmeln spielen. Sie wirkt nachdenklich, erschöpft, jeder Schritt scheint ihr schwer zu fallen. Schweigend nimmt sie ein paar Kleidungsstücke von der Wäscheleine im Hof, kehrt etwas außer Puste in ihre Rundhütte zurück. Atmo 5: Frauen kommen herein, Begrüßung, Stimmen Autorin: Während die alte Frau die Wäsche zusammenfaltet und auf's Bett neben ihren schlafenden Enkel legt, kommen drei junge Frauen herein. Sie begrüßen Zalelphi herzlich. Ihre älteste Tochter - ein schlafendes Kleinkind im Tragetuch auf ihren Rücken gebunden - ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft und eine Frau im modern geschnittenen, blauen Kleid. Sie hebt sich deutlich von der bitterarmen Umgebung ab. Zandile Mngoma, 31 Jahre alt, Sozialarbeiterin der gemeinnützigen Organisation "Muthande Society for the Aged", die sich um alte Menschen in der Gegend kümmert. Regelmäßig macht sie Hausbesuche. O-Ton 5: It is something new... Durch HIV/Aids ist gerade für die Alten eine neue Situation entstanden. Sie müssen noch einmal Eltern sein und für ihre Enkel sorgen, da ihre Kinder zu früh sterben. Sie opfern sich für ihre Enkel auf. Es fällt ihnen enorm schwer sich auch mal um sich selbst zu kümmern. ...look after themselves. Atmo kurz hoch Autorin: Die Sozialarbeiterin sitzt neben den beiden anderen Frauen auf der schmalen Besucherbank neben dem Eingang, Zalelephi Khwela gegenüber auf ihrem Bett. Sie ist froh, dass jemand vorbeikommt, um sich ihre Sorgen anzuhören. Normalerweise ist sie damit allein. O-Ton 6: Original auf Zulu... Ich wünsche mir, dass meine Tochter endlich Arbeit findet. Nur zwei unserer Familienmitglieder haben ab und zu Arbeit. Vier Kinder gehen zur Schule. Aber neben meiner kleinen Rente bekomme ich nur für eines der verwaisten Enkelkinder Unterstützung vom Staat. Das Geld reicht also hinten und vorne nicht für uns alle. Manchmal frage ich mich, was aus meiner Familie wird, wenn ich einmal nicht mehr da bin, um sie durchzubringen. ...Original auf Zulu. Atmo 6: Stimmen, in der Rundhütte Autorin: Sozialarbeiterin Zandile Mngoma lächelt verständnisvoll. Ich kann dabei helfen weitere Unterstützung vom Staat zu beantragen und den Schuldirektor darum bitten, das Schulgeld für die vier Kinder zu erlassen, erklärt sie, macht sich Notizen auf einem kleinen Schreibblock. O-Ton 7: They need to have... Sie brauchen natürlich genug Geld um sich und die Kinder zu ernähren. Daher gehören Anträge für Sozialleistungen zu meinen Hauptaufgaben. Ich erkläre ihnen, an welche Stellen sie sich wenden müssen. Manchmal begleite ich sie auch dorthin. Denn leider werden alte Menschen von den Behörden nicht immer ernst genommen. Meine zweite Aufgabe ist die psychosoziale Beratung. Oft nehmen sich die Großmütter nach dem Tod eines Kindes nicht genügend Zeit zum trauern, da sie sich ja um die verwaisten Enkel kümmern müssen. ...to be taken care of. Atmo 7: in der Rundhütte, Schritte Autorin: Zalelephi Khwela lächelt dankbar und steht auf. Sie muss nach dem Essen sehen, das in der kleineren Rundhütte nebenan in einem schweren gusseisernen Topf auf dem Holzfeuer köchelt. Ihre Tochter folgt ihr. Die Sozialarbeiterin bleibt mit der Nachbarstochter zurück. Auch ich lebe mit meinen drei Geschwistern bei meiner Oma, erzählt die 18-Jährige Busi nach einer Weile. O-Ton 8: Original auf Zulu.... Zuerst ist unsere Mutter gestorben, kurz darauf auch unser Vater. Direkt nach der Beerdigung mussten wir unser Elternhaus verlassen und sind zu unserer Großmutter gezogen. Es ist wirklich nicht leicht für sie, uns alle durchzubringen. Zuerst bekamen wir kein Geld vom Staat. Manchmal gab es nicht genug zu Essen. Die Nachbarschaft hat uns zunächst ausgegrenzt, vor allem als sich herumsprach, dass auch ich HIV- positiv bin. Sie hatten Angst sich anzustecken. Irgendwie müssen wir damit zurechtkommen. ...Original auf Zulu. Autorin: Geduldig hört die Sozialarbeiterin der 18-Jährigen zu. Die beiden unterhalten sich noch etwas, bevor sich das Mädchen höflich verabschiedet. Atmo kurz hoch Autorin: Zandile Mngoma kennt die Familie. Die Kinder haben hautnah miterlebt, wie die Eltern immer kränker wurden und schließlich starben, erzählt sie. Ein Trauma, das sie mit vielen teilen. Zwei Millionen Aids-Waisen sollen bereits heute in Südafrika leben, Tendenz steigend. Nicht immer hält die Familie nach einem solchen Schicksalsschlag zusammen, meint sie nachdenklich. O-Ton 9: When we help older persons... Wenn wir den alten Menschen dabei helfen Sozialleistungen zu bekommen, dann ist dieses Geld eigentlich für Lebensmittel und andere Dinge gedacht, die die Familie dringend braucht. Manchmal aber kommt es vor, dass die Enkel das Geld an sich nehmen. Einige schüchtern ihre Großeltern sogar mit Gewalt ein. Oft sind dann Drogen im Spiel. Alte Menschen werden von ihren eigenen Enkeln auch beklaut, sie verkaufen alles vom Fernseher bis zum Herd. ....and sell them. Autorin: Die Sozialarbeiterin steht auf, streicht ihr blaues Kleid glatt und geht aus der Rundhütte nach draußen auf den Hof, vorbei an den spielenden Kindern. Atmo 8: Kinder spielen Autorin: In der Zwischenzeit hat Großmutter Zalelephi Khwela das Mittagessen vorbereitet und sich umgezogen. Sie trägt einen schwarzen Rock, Sandalen und eine rosa Bluse. Sie hat sich schick gemacht, denn sie hat noch etwas vor. Zweimal in der Woche besucht sie ein Gemeindezentrum für alte Menschen, gegründet von der "Muthande Society for the Aged". Ihre älteste Tochter wird in den nächsten Stunden auf die Enkel Acht geben. Atmo 9: Zentrum, Stimmen Autorin: Eine halbe Stunde später trifft die Großmutter im Gemeindezentrum ein, zu Fuß und etwas außer Atem. In einem großen Raum haben sich neun Frauen und fünf grauhaarige Männer versammelt. Die Frauen sitzen auf Strohmatten auf der linken Seite, die Männer an einem Tisch auf der rechten Seite. So verlangt es die Zulu- Tradition in ländlichen Regionen wie dieser. Atmo 10: Schritte, lachen, Lied Autorin: Als alle da sind, stellen sich die Frauen und Männer in der Mitte des Raumes in zwei Reihen auf, stimmen ein Lied an. Heute ist ein besonderer Tag, denn Thembekile Hlubi, Gründungsmitglied und Direktorin der "Muthande Society for the Aged" ist zu Besuch. Mit 68 Jahren ist die füllige Südafrikanerin mit dem schwarzen Spitzenoberteil selbst bereits fünffache Urgroßmutter. "Muthande", das bedeutet Liebe auf Zulu, erklärt sie, schaut ihren Altersgenossen von einem Stuhl in der Mitte des Raums lächelnd zu. Atmo kurz hoch Autorin: Acht dieser Zentren hat Thembekile Hlubi seit Ende der 70er Jahre mit aufgebaut. Die Last, die vor allem die Großmütter heute tragen müssen, ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich schwerer geworden, erklärt sie. O-Ton 10: When I loose my children ... Wenn meine Kinder an Aids sterben und ich auf einmal für alle Enkelkinder sorgen muss, dann bedeutet das, dass der gesamte Prozess wieder von vorne beginnt: Wenn die Kinder zur Schule gehen, muss Oma für sie da sein und ihnen auch bei den Hausaufgaben helfen. Für viele, die selbst nie eine Schule besucht haben, ist das ein Riesenproblem. Das gilt auch für den Umgang mit Teenagern, die heutzutage in einer ganz anderen Gesellschaft aufwachsen. Dazu kommt, dass einige der Enkel vielleicht HIV-positiv sind und Medikamente benötigen. Auch damit muss sich die Großmutter auskennen. Unsere alten Leute stehen also vor ständig neuen Herausforderungen, von denen sie bislang keine Ahnung hatten. ....really know about. Atmo kurz hoch Autorin: Die Atmosphäre wirkt gelöst, als sie sich nach dem Lied erschöpft auf die Stühle am Tisch fallen lassen. Atmo 11: Lied Ende, hinsetzen, Stimmen Autorin: Eine der Großmütter, eine nur etwa 1,50 Meter kleine Frau mit herzhaftem Lachen trägt ein T-Shirt mit roter Aids-Schleife und der Aufschrift "Ich bin eine ausgebildete traditionelle Heilerin und achte darauf, dass sicher praktiziert wird". Vor ein paar Jahren habe ich hier im Zentrum an einem Kurs teilgenommen, erzählt sie. O-Ton 11: Some teachers from Muthande.... Mitarbeiter von "Muthande" kamen hierher um uns darüber aufzuklären, wie wir uns und unsere Patienten vor Aids schützen können. Sie haben uns gesagt, dass wir uns die Hände waschen und Handschuhe anziehen müssen bevor wir einen Patienten behandeln. Außerdem, dass wir Rasierklingen nur einmal benutzen dürfen. Denn wenn wir die Haut des Patienten anritzen, um unsere traditionelle Medizin aufzutragen, fließt natürlich etwas Blut. Ich habe auch gelernt Symptome einer HIV- Infektion zu erkennen: Wenn sich ein Patient zum Beispiel kraftlos fühlt, Bluthochdruck hat, ständigen Durchfall oder Tuberkulose, dann schicke ich ihn direkt zum Test in die Klinik. ...to the clinic. Atmo 12: Schritte, draußen, Hühner Autorin: Die Heilerin steht auf, geht aus der offenen Tür des Aufenthaltsraums nach draußen auf eine kleine Rasenfläche. Schweigend blickt sie auf die weite grüne Hügellandschaft mit den verstreuten Rundhütten. Ein paar Hühner picken direkt hinter dem Zaun zum Gemeindezentrum im Gras. Zwei Hunde dösen in der Sonne. Die sonst eher selbstbewusst wirkende Witwe holt tief Luft. Sie hat etwas auf dem Herzen, das die anderen Großmütter nicht hören sollen. O-Ton 12: The mobile clinic came here... 2009 kam die mobile Klinik hier ins Zentrum. Sie untersuchten mich und fanden heraus, dass ich HIV-positiv bin. Sie schickten mich zur Behandlung ins Krankenhaus. Seit ich die Medikamente einnehme geht es mir viel besser. Die Diagnose war ein Schock für mich. Eine meiner Enkeltöchter war gerade an der Krankheit gestorben. Ich wusste, dass mein Mann mich angesteckt hatte. Seine ersten beiden Frauen sind tot. Ich war die dritte. Er war selbst sehr krank, aber er weigerte sich ins Krankenhaus zu gehen und ist deshalb gestorben. ...and so he died. Atmo kurz hoch Autorin: Einige der anderen Großmütter kennen mein Geheimnis, fügt die Witwe hinzu. Aber sie möchte es nicht an die große Glocke hängen, aus Angst ausgegrenzt zu werden. Dabei wäre es wichtig, offen darüber sprechen zu können, fügt sie nachdenklich hinzu, dreht sich um und geht wieder in den Aufenthaltsraum. Atmo 13: Küche, klappern, Stimmen Autorin: Während sich die alte Frau wieder zu den anderen setzt, bereiten die "Muthande"- Gründerin und eine ihrer Mitarbeiterinnen Brote mit Erdnussbutter und Marmelade vor, kochen Tee und richten alles auf einem großen Tablett an. Gerade in ländlich geprägten Regionen wie dieser ist eine HIV-Infektion noch immer ein Stigma, betont Thembekile Hlubi. Obwohl in jeder Familie mindestens einer betroffen ist. Dazu kommt, dass die Krankheit eher mit jüngeren Erwachsenen assoziiert wird und nicht mit Rentnern. O-Ton 13: It is because of the stereotypes.... Das liegt zum einen an dem Klischee, dass man die Krankheit nur durch Sex bekommen kann. Andere Übertragungswege werden häufig einfach ausgeklammert. Zum anderen ist ja auch nichts falsch daran, wenn ein 60- oder 80-Jähriger noch Sex hat. Warum nicht? Wer sagt uns, wann man damit aufhören muss? Aber selbst Leute aus der Gesundheitsbranche haben uns zu Beginn schief angeguckt. Viele Alte erzählen uns, dass sie in den Kliniken noch immer ausgelacht werden, wenn sie sich testen lassen wollen. Dort sieht man das oft als Zeitverschwendung an. ....waste their time with. Atmo kurz hoch Autorin: Viele der Großmütter hier ziehen nicht nur ihre verwaisten Enkel auf, sondern pflegen auch ihre Aids-Kranken Kinder bis zum Tod, sagt Thembekile Hlubi. So wie Zalelephi Khwela, die ihre Sorgen gerade vergisst und herzhaft in das Brot mit Erdnussbutter beißt. Um die alten Menschen über die Ansteckungsgefahren aufzuklären führt "Muthande" regelmäßig Workshops durch, auch heute, wenige Kilometer entfernt. Atmo 14: Workshop: Stimmen, Papier raschelt, Chor im Hintergrund Autorin: In einem kleinen Klassenraum sitzen sechs Großmütter und ein älterer Mann um einen großen Tisch. Vor ihnen liegen aufgeschlagene Schulhefte, angespitzte Bleistifte und Radiergummis. Die Kursleiterin verteilt gerade die neuen Arbeitsblätter und erklärt worum es geht. Auf Zulu steht da zum Beispiel: "Wenn man Sex mit einer Witwe hat", oder "wenn man immer ein Kondom überzieht". Die Kursteilnehmer sollen zuordnen ob ein hohes, ein geringes oder gar kein Risiko besteht, sich dabei anzustecken. Alle nicken, bilden drei Gruppen und beginnen miteinander zu diskutieren. Atmo 15: Diskussion Autorin: Der einzige Mann in der Runde, der 70-jährige Sibusiso Mzolo, geht die Fragen gemeinsam mit seiner Tischnachbarin durch. Wenn man immer ein Kondom benutzt, dann geht man kein Risiko ein, meint er. Sie nickt zustimmend. Zufrieden notieren beide die Antwort. Was hier ganz entspannt wirkt, ist keine Selbstverständlichkeit, meint der zehnfache Großvater lächelnd. Denn in der Zulu-Kultur ist es nicht üblich, dass Frauen und Männer über Sex reden. Gerade für die ältere Generation kostet ein solcher Workshop also Überwindung. O-Ton 14: I was taken as a shame... Es wurde als Schande gesehen. Es war einfach unmöglich über Sex zu sprechen, geschweige denn darüber wie man Geschlechtsverkehr praktiziert. Aber durch "Muthande" konnten wir uns diesen Dingen mental öffnen. Es ist keine Schande. Die Krankheit existiert, und wir müssen Maßnahmen ergreifen um sie unter Kontrolle zu bringen. ...to control it. Atmo kurz hoch Autorin: Seine Tischnachbarin Thandi Mbatha nickt mit dem Kopf, rückt ihre blaue Baskenmütze zurecht. Mit Mitte sechzig ist sie zum ersten Mal hier ins Altenzentrum gekommen. Seitdem hat sich ihr Leben grundlegend verändert. O-Ton 15: Original auf Zulu... Ich habe hier wirklich viel gelernt. Zu Beginn konnte ich nicht einmal lesen und schreiben. Denn in unserer Generation war es nicht selbstverständlich, dass Mädchen die Schule besuchen durften. Dank "Muthande" bin ich heute keine Analphabetin mehr. Endlich verstehe ich, was auf den Aufklärungsplakaten in den Kliniken steht und möchte nun selbst dazu beitragen, dass Menschen in meinem Alter mehr Informationen über HIV und Aids bekommen. Diese Krankheit stellt für uns heutzutage schließlich die größte von allen Gefahren dar. ...Original auf Zulu. Atmo 16: Auflösung der Fragen in der Gruppe Autorin: Nach etwa zwanzig Minuten intensiver Beratung haben alle Gruppen das Arbeitsblatt fertig. Die Kursleiterin geht jeden einzelnen Punkt durch. Es ist wichtig, dass wir als Familienoberhäupter genau Bescheid wissen, meint die 67-Jährige Thandi Mbhele, während sie eine falsche Antwort ausradiert. Auch sie ist Witwe und trägt die Verantwortung für mehrere arbeitslose Kinder und verwaiste Enkel. O-Ton 16: Original auf Zulu.... Ich habe bereits damit begonnen mit meiner Familie über HIV und Aids zu sprechen. Früher fehlte mir dazu sowohl der Mut als auch die Information. Aber heute kann ich meine Kinder vor den Ansteckungsgefahren warnen. Zwei sind leider bereits HIV- positiv. Ihnen sage ich, dass sie jetzt besonders auf ihre und die Gesundheit anderer achten müssen. Nicht nur indem sie Kondome benutzen, sondern auch indem sie ihre Lebensweise ändern, also beispielsweise gesünder essen und natürlich keine Drogen nehmen. Auch mit meinen Nachbarn habe ich schon gesprochen. Ich rede mit jedem, der die Information meiner Meinung nach benötigt. Heute habe ich keine Angst mehr meinen Mund aufzumachen. ....Original auf Zulu. Atmo 17: Essen, Stimmen Autorin: Nach zwei Stunden geht der Workshop mit einem Mittagessen zu Ende. Die Kursleiterin bringt Teller mit Reis und Hühnchen herein. Schließlich kommen alle hier aus armen Verhältnissen, erklärt sie. Viele verzichten eher auf eine Mahlzeit als ihre Enkel mit leerem Magen ins Bett zu schicken. Atmo 18: Stimmen Zentrum Autorin: Auch das Treffen der Großmütter auf dem Land geht gegen Mittag zu Ende. Schade, denn Zalelephi Khwela unterhält sich angeregt mit den anderen Großmüttern. Sie genießt die paar Stunden Freizeit in der Woche, nur für sich selbst, ganz ohne Enkelkinder. O-Ton 17: Original auf Zulu.... Was mir hier besonders gefällt ist, dass wir miteinander lachen können. Wir können einfach mal unbeschwert sein, singen und tanzen, manchmal spielen wir sogar Fußball. Die Gemeinschaft mit anderen gleichaltrigen Frauen tut mir sehr gut. Vorher hatte ich niemanden, mit dem ich über die Sorgen des Alltags sprechen konnte. ....Original auf Zulu. Atmo 19: Schritte, vor Zalelephis Haus, Gogo! Autorin: Fröhlich macht sich die Großmutter kurz nach Mittag wieder auf den Heimweg, folgt einem Trampelpfad, der sich durch die weite Graslandschaft bis hoch zu ihrer Rundhütte auf dem Hügel schlängelt. Sie wird schon sehnlich erwartet. Die Kinder sind gerade aus der Schule zurückgekommen. "Gogo", Großmutter ruft einer ihrer acht Enkel und läuft ihr entgegen. Atmo blenden 15