DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 13.11.2007 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr Im Gleichschritt Halleluja Die Seelenlage einer Bundeswehr im Umbruch von Frank Domhan, Matthias Zuber und Klaus Kranewitter Co-Produktion DLF/WDR URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Gitarrenspiel, Zeltlagerstimmung O-Ton Vitt Man hat ja mit daran geholfen, Menschen zu töten, und das ist mir danach noch ein paar Mal hochgekommen, die Frage. Sprecher Seit 14 Jahren ist Thorsten Vitt bei der Luftwaffe. Mit Glauben hat er eigentlich nichts am Hut. O-Ton Vitt Da habe ich mir erstmals die Frage gestellt: Jetzt ist da ein Tornado geflogen, der ist mit Bomben weg und ohne wieder. Und dann hat man doch ein bisschen Angst. Sprecherin Oberfeldwebel Vitt hat Kampfflugzeuge mit Bomben bestückt, die über Ex- Jugoslawien abgeworfen wurden. Seine Erinnerungen an den Kosovo-Krieg lassen ihn bis heute nicht los. Deswegen ist er hier, im Wallfahrtsort Lourdes, wo der Schäferin Bernadette Soubirous 1858 die heilige Jungfrau Maria erschienen sein soll. Stechschritte (Straße-Stechschritt) Sprecher Im Gleichschritt Halleluja. Die Seelenlage einer Bundeswehr im Umbruch. Ein Feature von Frank Domhan, Matthias Zuber und Jessika Knauer LKW-Fahrgeräusche Sprecherin Das Unterstützungskommando ist seit zwei Tagen unterwegs. Die tarnfarbenen 40- Tonner quälen sich die letzten Kilometer hoch bis zu dem 15.000-Seelenort in Südwestfrankreich. Lourdes liegt am Eingang der Pyrenäen. Die Straße dorthin ist eng und kurvig. Fahrgeräusche wechseln Sprecherin Schweigend fahren die deutschen Soldaten durch die Nacht. Sie sind die Vorhut für den einzig wirklich friedlichen Auslandseinsatz der Bundeswehr: Die internationale Soldatenwallfahrt nach Lourdes. Jedes Jahr im Mai pilgern rund 14.000 Soldaten aus aller Welt hierher und verwandeln die "heilige" Kleinstadt in eine überdimensionale, internationale Kaserne aus Zelten. Unter ihnen rund 800 Soldaten aus Deutschland, die mit Sonderzügen aus Kiel, Berlin und Nürnberg anreisen. Zeltlagerstimmung O-Ton Ilseberg Das Einzige, wo mir ein bisschen mulmig ist oder war, wo ich mich ein bisschen schwer getan hab, ist, mein persönlches Testament vorher zu schreiben. Das ist natürlich eine Sache, wo man halt nicht dran denkt. Sprecher Zweimal schon war Tim Ilseberg in Afghanistan. Zunächst als Militärkraftfahrer, dann als Bodyguard seines Zugführers. Auf ihn sollte er aufpassen, während der mit der afghanischen Bevölkerung verhandelte. O-Ton Ilseberg Irgendwann muss man sein Testament schreiben. Aber dass man selber mit 23 Jahren dann das handschriftliche Testament mit seiner Unterschrift schreibt oder verfasst? Sprecher Ilseberg steht am Kreuzweg und blickt auf eine der riesigen, goldenen Figuren. Es ist die vorletzte Station: Josef aus Arimathäa nimmt den Leichnam Jesu vom Kreuz und legt ihn in den Schoß seiner Mutter. Der Stabsgefreite aus Berlin ist bereits zum vierten Mal bei der Wallfahrt dabei. Vor wenigen Tagen noch war er in Afghanistan, wo er im Camp am Sonntagsgottesdienst teilnahm, wann immer das der Dienstplan zuließ. Streng religiös ist Ilseberg nicht, sein Glaube ist ihm dennoch wichtig. Hier in Lourdes will er sich sammeln, um wieder im Leben jenseits des Militäreinsatzes anzukommen. O-Ton Ilseberg Also auf jeden Fall ist es wie eine Erfrischung, ist fast - könnte man sagen - wie eine neue Taufe, wenn man hierher kommt. Man geht zur Grotte, man trinkt das Quellwasser hier, man läuft den Kreuzweg ab. Und man kann sich halt Sachen noch mal vor Augen führen, die man vielleicht schon wieder ein bisschen vergessen hat. Man kriegt die ganze Sache noch mal geschildert, den ganzen Leidensweg von Jesus, (...) und frischt halt alles wieder ein bisschen auf, so dass man wieder öfters drüber nachdenkt, wenn man sich mit Fragen auseinandersetzt wie zum Beispiel auf dem Kreuzweg. Ob man sich wirklich immer beschweren sollte, wenn es einem ein bisschen schlecht geht? Ob es nicht auch noch andere Leute gibt, denen es schlechter geht? O-Ton Sanitätsoffizier Packen wir's [Glocken] Es geht los. Erste Trage anheben. Hebt an! Und hoch, ganz hoch, ganz hoch. Nicht kippen. Hebt an! So, und dann im Gleichschritt. Linksschwenk. Marsch! Sprecherin Soldaten in Uniform tragen einen gelähmten Kameraden zur Freiluftmesse an der Grotte. Andere Kranke und Verletzte werden in blauen Rikschas zum Hauptheiligtum der Stadt geschoben und direkt vor der Marienfigur platziert. Mit einer Transall hat die Bundeswehr die Invaliden nach Lourdes geflogen, wo sie in einem Hospital im Heiligen Bezirk untergebracht sind. Sie sind die eifrigsten Besucher der Messen, lassen sich in die Grotte tragen, wo sie immer wieder die Felswände berühren. Manch einer packt sogar ein Taschentuch aus und versucht, die Feuchtigkeit des Steins aufzusaugen. Gitarrenspiel Sprecher Vor einem der Zelte plaudert Thorsten Vitt mit einigen Rekruten. Es ist Nachmittag. Zeit, sich mit einem ersten Bierchen vom straff organisierten Wallfahrtsprogramm zu erholen. O-Ton Vitt Also, es gab gute Einsätze, es gab schlechte Einsätze. Ich hab' in Kosovo die heiße Phase mitgemacht, wo bombardiert wurde. Das war nicht immer so einfach, weil doch viel Stress da war. Und da war man auch froh, wie man wieder zurück war. Also die Anspannung da war schon sehr groß. Gut, ist vorbei gegangen und hat einen Sinn gehabt und war okay. Sprecher Vitt hat sich inzwischen von seinen Rekruten abgesetzt und sich vom Camp auf den Kreuzweg gemacht. Wie eine halbe Stunde vorher Tim Ilseberg, der junge Fahrer und Bodyguard aus dem Afghanistaneinsatz, verharrt auch der Oberfeldwebel und zweifache Vater vor der Figurengruppe mit der Kreuzabnahme. O-Ton Vitt Zu der Zeit gab es den Krieg in Kosovo, es gab Frauenvergewaltigungslager, es gab ethnische Säuberungen, und wir haben diesen Job gemacht, damit das ein Ende hat. Damit da wieder Frieden reinkommt, und das haben wir im Endeffekt geschafft. Sprecher Für Thorsten Vitt ist es der erste Besuch in Lourdes. O-Ton Vitt Man muss sich schon darüber klar sein, dass man mit dem Beruf eventuell auch Menschen töten kann. Das ist natürlich eine harte Nummer. Marsch (Klingonenmarsch) Sprecher Am Stadtbahnhof hat ein Musikkorps Stellung bezogen und spielt nun für die Soldaten, die mit dem Sonderzug aus Nürnberg angereist sind. Nach über 30 Stunden Fahrt und reichlich Bier sieht dabei so mancher Ankömmling abgekämpft aus. Nicht nur Soldaten der Bundeswehr, sondern auch aus Litauen, Norwegen und England, die im deutschen Sonderzug mitfahren durften. Wie bei jedem anderen Einsatz, kommt es auch in Lourdes auf eine gut funktionierende Logistik an. Erst nach dem Appell, bei dem kontrolliert wird, ob alle Pilger angekommen und einsatzfähig sind, kann der von der Kapelle angeführte Fußmarsch zum Zeltlager beginnen. Sprecherin Im Jahr 1944 pilgerten französische Soldaten erstmals zu dem Wallfahrtsort, um für ihre Kameraden an der Front zu beten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die internationalen Söldner der französischen Fremdenlegion hinzu. Auf Initiative französischer Militärgeistlicher wurde die nationale Soldatenwallfahrt schließlich zur internationalen ausgeweitet. Seit 1958 strömen alljährlich Tausende Soldaten aus aller Herrenländer nach Lourdes. Atmo Französische Messe Sprecherin Einige kommen direkt aus dem Krieg, andere kennen das Schlachtfeld nur aus Manövern. Einige kommen traumatisiert, suchen Ruhe und Trost, andere suchen eine spirituelle Erfahrung, die ihnen hilft, das Erlebte zu ertragen. Manche uniformierte Pilger wollen einfach nur Spaß und meinen damit Saufen. 2007 steht die Wallfahrt unter dem Motto: "Lasst Euch mit Gott versöhnen". Atmo Französische Messe, Gesang Sprecher Für Oberfeldwebel Vitt stand die Versöhnung mit den Mitmenschen am Anfang: O-Ton Vitt Ich habe zum Beispiel im Internet Kontakt gesucht, hab dann da geschrieben, hab versucht, mich zu entschuldigen. Und das waren aber jüngere Mädchen, die wussten gar nicht, was ich von denen wollte, und ich wollte mich nur entschuldigen. Ich habe viele Tränen vergossen deswegen, weil jemanden umzubringen für eine Aufgabe, das ist schon eine harte Nummer. (...) Das passiert einfach. Das ist der Job. Und den machst du! Sprecherin Angst und Zweifel kommen in Lourdes, anders als im Einsatz, schneller zur Sprache. Werde ich töten? Muss ich sterben? Kann ich meine Familie alleine lassen? Wofür lohnt es sich zu kämpfen? - Fragen, die inzwischen auch wieder jeder deutsche Soldat für sich beantworten muss. Denn die Bundeswehr ändert sich. Vom Bereitschaftsheer entwickelt sie sich zu einer Einsatzarmee. Ende Mai diskutierten Politiker, Militärs, Theologen und Vertreter von Hilfswerken über die neue Bundeswehr. Auf der von der katholischen Militärseelsorge organisierten Tagung standen vor allem Sinn, Zweck und Folgen der sich mehrenden Auslandseinsätze zur Debatte. Unterschiedlichste Visionen von der Armee der Zukunft wurden hierbei präsentiert, nur selten aber hörte man die Frage, wie die Soldaten selbst mit der Transformation ihres Arbeitgebers zurecht kommen. Der Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei von Bündnis 90/Die Grünen gehörte zu den Wenigen, die versuchten, die neuen Aufgaben der Bundeswehr aus der Sicht der Betroffenen zu sehen. O-Ton Nachtwei Ständig wachsam zu sein, gegebenenfalls militärisch reaktionsfähig. Und das heißt Tötungstabus überschreiten, schießen, gegebenenfalls tödlich schießen. Aber bei dieser Wachsamkeit gleichzeitig, zumindest überwiegend offen zu sein, gesprächsbereit zu sein, verhandlungsbereit zu sein, zu respektieren, wie anders sich Menschen in anderen Kulturkreisen verhalten. Also das alles auf die Reihe zu kriegen, gegebenenfalls rechtzeitig zu schießen, aber ja nicht zu früh zu schießen. Was setzt das also an Eigenständigkeit voraus? Sprecher Je stressiger und gefährlicher der Alltag der Soldaten, desto wichtiger wird für sie psychologische Betreuung, für manche auch religiöser Beistand. Für den sorgen die Militärpfarrer der evangelischen und katholischen Kirchen. Sie betreuen die Einheiten in den Kasernen und begleiten sie bei ihren Auslandseinsätzen. O-Ton Ottersbach Ja, ich spüre schon, dass eine ganze Menge Soldaten gerade im Einsatz diese Frage stellen - nach Gott, nach dem Glauben. Es gibt durchaus auch den ein oder anderen, der fragt nach der Taufe, wenn er nicht getauft ist. Sprecher Gregor Ottersbach ist katholischer Standortpfarrer in Köln und arbeit seit zehn Jahren als Militärseelsorger. O-Ton Ottersbach Spätestens dann, wenn dieser Ruf kommt - also: "Jetzt musst du nach Afghanistan!" - (..) Ich habe das oft gemerkt, dass ich gerade in solchen Situationen angefragt worden bin ( ... ): "Meinen Sie Herr Pfarrer, ich könnte mit meiner Frau über mein Testament sprechen? Wie wird die wohl dann regieren? Dann denkt die doch, ich komme gar nicht mehr zurück." Da sind natürlich schon auch Ängste da. Sprecherin Die deutschen Streitkräfte wurden gegründet, um nicht eingesetzt zu werden. Im Kalten Krieg zwischen Ost und West herrschte das Gleichgewicht der atomaren Abschreckung. Einsätze der Bundeswehr wie auch der Nationalen Volksarmee waren daher relativ unwahrscheinlich. Und anders als etwa die Armeen von Großbritannien, Frankreich oder den USA wurden deutsche Soldaten nie ins Gefecht geschickt. Bis zum Fall der Mauer, der die Welt nachhaltig verändert hat. Auch die der Bundeswehr, die mit der Wiedervereinigung etwa 20.000 Soldaten der ehemaligen NVA übernahm und seit 1990 sich immer häufiger an Auslands- Einsätzen beteiligt. O-Ton Pauer Als die ersten Auslandseinsätze in Somalia und dann '95 in Bosnien-Herzegowina bestritten werden mussten, da merkte man, dass man von der Struktur her keine geschlossenen Truppenteile irgendwie rausschicken konnte. Man musste die Leute sich praktisch zusammensammeln aus dem ganzen Bundesgebiet, um eben dann ein geeignetes Kontingent in diese Auslandseinsätze schicken zu können. Die Folge war, Sprecher Herbert Pauer war bis Ende April Präsident der Wehrbereichsverwaltung Nord, jetzt ist er im Vorruhestand. Musik O-Ton Pauer dass man so genannte Krisenreaktionskräfte damals schon plante - eigentlich mit dem Ziel, dass Verbände relativ schnell und auch geschlossen in Auslandseinsätze gehen können sollten, wie es bei Alliierten schon der Fall war - besonders bei denen, die keine Wehrpflicht mehr hatten - bei den Briten zum Beispiel, bei den Holländern. Die konnten praktisch eine Kaserne zumachen und geschlossen im Verband in Auslandseinsätze gehen. Das war bei uns bis dahin nicht möglich. Da setzte ab '95 die Umstrukturierung der Bundeswehr hin zu einer Einsatzarmee ein. Sprecherin Ein Wandel, der Töten, aber auch die Gefahr, selbst getötet zu werden, wieder zu einem Teil des Berufsbilds eines jeden Soldaten gemacht hat. O-Ton Reil Sie können schon davon ausgehen, dass viele von diesen Einsatzsoldaten sich dessen bewusst sind, dass sie sich eines Risikos aussetzen, aber auch eine gewisse Risikobereitschaft in sich tragen, sonst würden sie den Soldatenberuf gar nicht ausüben wollen. Sprecher Carsten Reil ist leitender Psychologe des Berliner Bundeswehrkrankenhauses. Er hat Einheiten in Bosnien und Afghanistan begleitet. Musik O-Ton Reil Es gehört auch ein Stück weit Naivität dazu oder Unerfahrenheit, dass ich mich mit dem Tod noch nicht so auseinandergesetzt habe. Das ist auch genau das Problem, was wir häufig sehen, wenn wir posttraumatische Belastungsstörungen behandeln, nämlich dass jemand, der eigentlich super ausgebildet war in seinem Beruf als Soldat, plötzlich etwas erlebt, was ihn in seinem Weltbild erschüttern lässt und er dann zusammenbricht. Das kennt der gar nicht von sich. Der hat eigentlich gedacht: Ich bin Soldat. Ich hab keine Angst, und ich bin vor allen Dinge unverwundbar. Trauerfeier Eröffnungslied O-Ton Brates Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes Amen. So spricht der Herr. Den Frieden lasse ich Euch. Meinen Frieden gebe ich Euch. Sprecher 23. Mai. 2007. Trauerfeier auf dem militärischen Teil des Flughafens Köln/Wahn. Ulrich Brates, der evangelische Militärdekan, spricht. O-Ton Brates Liebe Angehörige, liebe Kameraden, verehrte Trauergemeinde. Der Weg von Michael Giebel, Michael Neumann und Matthias Standfuß zu den Menschen in diesem geschundenen Land führte sie mit ihren Kameraden am 19. Mai auf den Markt von Kundus. Dorthin hatte sich an diesem Tag auch der Attentäter mit bösen Gedanken und schließlich mit mörderischer Tat auf den Weg gemacht. Das für uns Unfassbare geschah. Der irdische Weg dreier Söhne, Partner, Väter und Kameraden nahm ein gewaltsames Ende. Sprecherin Bis heute sind 69 Deutsche bei Auslandseinsätzen umgekommen. 16 davon haben dem psychischen Druck nicht mehr standhalten können und nahmen sich selbst das Leben. Hallenatmo O-Ton Brates Dass Gottes Wege mit uns höher sind als wir begreifen können, das lässt uns manchmal schier verzweifeln. Dass seine Wege unseren Horizont überschreiten, das gibt uns aber auch Trost und Hoffnung. Trost und Hoffnung auf Wegen, die weiter gehen, als unsere endlichen Wege hier reichen. Auf Horizonte, die unsere Grenzen überwinden. O-Ton Befehl Augen gerade aus, Gewehr ab. Gitarrenspiel O-Ton Mixa Im Übrigen ist das hier ein Ort, meine lieben Soldatinnen und Soldaten, als ganz entscheidender Beitrag zu Frieden und Versöhnung unter den Völkern. Und deshalb ist es auch gut, dass Sie da sind. Und ich wünsche Ihnen gesegnete Tage. Sprecherin Auch der katholische Militärbischof Walter Mixa war von Augsburg nach Köln gekommen. Bekannt geworden ist er vor allem wegen seiner Abneigung gegenüber berufstätigen Frauen und seiner konservativen und polarisierenden Statements zur Familienpolitik. Bischof Mixa zählte zu den Ersten, die sich für ein nationales Ehrenmal für die gefallenen Soldaten stark machten. Sprecher Wie jedes Jahr begleitet Mixa seine Schützlinge nach Lourdes und wird nicht müde, das Besondere der Wallfahrt zu betonen. Nicht nur während der vielen Andachten, auch in persönlichen Gesprächen. Er gibt sich jovial, sagt, dass Bernadette in Lourdes "keine Show abgezogen habe" und dass auch er "nicht rumschleimen wolle", wenn er die Arbeit der Bundeswehr lobe. Ganz anders ist der Tonfall des Bischofs, wenn er den Wandel der Bundeswehr aus seiner Sicht darstellt, wenn er Rede und Antwort steht, wie die Militärseelsorge mit den sich mehrenden Auslandseinsätzen umgeht. O-Ton Mixa Darauf sind wir vorbereitet, das kann ich mit gutem Gewissen sagen - und zwar in der Weise vorbereitet: Wie gehen wir mit plötzlichen Todesfällen um, und zwar in der Begleitung der Betroffenen? Ich sag jetzt einfach mal Familienbegleitung. Und auch wie gestaltet sich dann gegebenenfalls die Überführung solcher getöteter Soldaten, und welche Möglichkeiten sehen wir dann eben für den Trauergottesdienst und auch für eine Weg weisende Ansprache? Also damit beschäftigen wir uns gegenwärtig durchaus. Weil wir die Sorge haben, dass das eventuell bei Zuspitzung der Verhältnisse vorkommen könnte. Also dem sehen wir schon ganz klar ins Auge. Schritte von Gruppe, Gesang O-Ton Stahlhacke Ich bin der Zeltlagerpfarrer, das heißt ich begleite das Unterstützungskommando, das (...) hier oben alles aufgebaut hat, damit die Pilger eine unbeschwerte Wallfahrt machen können. Und die begleite ich und versuche auch, das ein oder andere zu erklären, weil Lourdes ist einfach eine andere Welt, auch eine andere katholische Welt. Wir haben sehr viele Soldaten hier aus den östlichen Bundesländern, die mit Christentum überhaupt wenig zu tun haben. Und da versuche ich dann, so Brücken zu bauen, denen zu erklären, warum das hier so ist und wie es ist. Sprecher Rainer Stahlhacke, der Standortpfarrer aus dem niedersächsischen Munster, trägt wie seine Männer Uniform. Anstelle des Rangabzeichens ist auf seinem linken Ärmel allerdings ein Kreuz genäht, dunkelgrün auf hellgrün. Jeden Morgen hält er im Zeltlager einen Gottesdienst. Die Teilnahme ist freiwillig und eher durchwachsen. Weitaus größer ist das Interesse hingegen, wenn Stahlhacke als religiöser Touristenführer durch die Stadt führt. Sprecherin Im heiligen Bezirk - kurz vor der "Basilika der unbefleckten Empfängnis" - erzählt der Militärpfarrer die Legende von Bernadette und ihren Erscheinungen. Ihretwegen wurde wenig später die Quelle entdeckt, zu der heute die Gläubigen strömen. Wasserabfüllen, Straßenszene Sprecherin 67 spontane Heilungen hat die Kirche seitdem als Wunder anerkannt. Die letzte soll 1992 stattgefunden haben. O-Ton Stahlhacke Ich habe das erzählt mit dem Bad. Und hab gesagt. "Ich biete an - wer möchte, kann mitkommen." Und das dauert ja dann, bis man dann reinkommt in das Bad für die Kranken oder auch für die Nichtkranken. Und die Jungs und Mädels haben schlicht und ergreifend sich eineinhalb Stunden in eine Schlange wie jeder andere rein begeben und haben einfach gesehen: Es gibt Menschen, denen geht es bedeutend schlechter als mir, die sind krank, die sind behindert, und die kommen mit einer Zufriedenheit dahin, dass sie selbst sagen: "Herr Pfarrer, mit welchen Problemen schlagen wir uns eigentlich rum? Da sind unsere Probleme so fitzelklein mit dem, was wir da gesehen haben." Das macht sie nachdenklich. Also es bleibt was hängen. Der Grundsatz ist: Es geht kein Soldat von Lourdes wieder weg, der nicht irgendwie berührt ist und eine neue Sichtweise mitbekommen hat. Sprecherin In der Geschichte hat es bislang nur selten Berührungsängste zwischen Kirche und Militär gegeben. Schon im sechsten Jahrhundert erlaubte Papst Pelagius I. einigen Geistlichen, sich ausschließlich mit der Seelsorge von Soldaten zu befassen. Besonders eng waren die Bande zwischen Militär und Kirche bekanntlich während der mittelalterlichen Kreuzzüge, mit denen das "Heilige Land" aus der Hand der Muslime zurückerobert werden sollte. Aber auch während des Zweiten Weltkrieges begleiteten Geistliche Hitlers Wehrmacht auf ihrem Vernichtungskrieg, beteten bei ihren Feldgottesdiensten für Führer, Volk und Vaterland und beteiligten sich an der Aufrüstung der Seelen. O-Ton Stahlhacke Wir sind nicht in die militärische Struktur hierarchisch eingeordnet. Sondern da sind wir freischaffende Künstler in Anführungsstrichen. Das hat auch einen Vorteil. Wir sind unabhängig von der militärischen Führung in dem Sinne, außer wenn es um die Sicherheit geht, das ist etwas Anderes. Aber wenn es um den Soldaten geht, um das Gespräch, um Zugang zu den Soldaten, bin ich an keine Hierarchie gebunden, sondern da können wir freischaffende Künstler sein. Sprecherin Probleme, mit denen sich der Einzelne an den Militärpfarrer wendet, gibt es so viele wie Soldaten. In vielen Fällen, so Thomas Stolz, Militärdekan aus Ulm, sei es aber gerade das hierarchische System der Armee, über das sich die Soldaten beschwerten, weil es die Arbeit und ihr Leben allzu sehr bestimme - sowohl in den Kasernen wie im Auslandseinsatz. O-Ton Stolz Manche Dinge sind so ganz einfache Sachen wie finanzielle Probleme. Dann Beziehungsprobleme, die es dann gibt, und dann - was unsere jungen Leute oft haben, die Rekruten in der Armee - dass sie ihre Welt mit der Welt Bundeswehr nicht übereinander kriegen. Im normalen Leben darf man mal einen Joint rauchen, ich sag das mal so drastisch, in der Bundeswehr ist das Sakrosankt. Absolut nicht, ne! Da kommt der ein oder andere natürlich damit in Konflikt, das sind auch die Dinge, wie ich lebe, mein normales Leben ist recht frei, ich kann tun und lassen was ich will. Und hier werde ich richtig in eine Tagesform reingepresst, mit der ich vorher nie etwas zu tun hatte. Dass da Konflikte auftauchen, ist ja eine normale Sache. Das sind so die Dinge. Da versteh ich mich mit meinem Chef nicht, oder mit meinem Spieß, oder ich habe Probleme mit den Kameraden weil - ich hatte ja früher mein Einzelzimmer - und jetzt lebe ich da mit sechs Mann auf der Stube, das sind ganz andere Welten. Sprecherin In den meist vier Monate dauernden Auslandseinsätzen kommen in der Regel viele weitere Probleme hinzu. Neben der realen Gefahr und der Angst, selbst getötet zu werden oder töten zu müssen, zerrt die Trennung von zu Hause an den Nerven der Soldaten. O-Ton Stolz Ich denke, jede SEK-Truppe der Länder hat das gleiche Problem oder jede Grenzschutztruppe GSG9, das ist ja identisch. Es gibt ja immer den Unterschied, nehmen wir einmal die Bibel einher. Da steht. "Du sollst nicht morden", und morden ist auch nicht vorgesehen in unseren Gesamtstreitkräften. Und in dieses Dilemma werden auch die Soldaten der Streitkräfte Kommando-Spezialkräfte nicht kommen, sondern wenn, dann müssen sie töten, um einen größeren Schaden abzuwenden - wie auch immer das sein wird. Sprecherin Ob das Gebot mit "Du sollst nicht töten" oder "Du sollst nicht morden" zu übersetzen ist, werde seit Jahrhunderten immer wieder diskutiert, erzählt der Militärdekan. O-Ton Stolz Diese Differenz zwischen Morden und Töten, ich denke, dass das den Soldaten schon sehr bewusst ist. Aus vielen Gesprächen, die ich mit ihnen führen durfte, ist auch keiner dabei, der irgendetwas leichtfertig tun wird. Dafür sind die Männer viel zu gut ausgebildet - nicht nur körperlich und waffentechnisch oder für einen speziellen Auftrag hingesehen, sondern auch moralisch. Sprecherin Bei den weltweiten Einsätzen der Bundeswehr wurde bislang vor allem der humanitäre Aspekt der jeweiligen Mission betont, vor allem, wenn es um Afghanistan geht. Doch mit den seit März 2007 dorthin entsandten Tornados werden auch militärisch verwertbare Aufklärungsbilder an Bündnispartner geliefert, die sich im direkten Kampf mit den Taliban befinden. Die deutschen Piloten fliegen auf Wunsch der NATO-Partner und mit politischer Rückendeckung des Bundestages. Für eine Armee, die im Grundgesetz als reine Verteidigungsarmee definiert ist, ist das eine nicht unproblematische Erweiterung des militärischen Engagements. O-Ton Steglich Da sollte man sich auch sehr gut überlegen, inwiefern sich man in welche Kriege von anderen Nationen angezettelt einmischt. Das sehe ich ganz eindeutig so. Aufklärungsmission okay, hin und her, ist aber schon ein Grenzgebiet. Sprecher Jan Steglich wollte unbedingt nach Lourdes. Einige seiner Kollegen hatten ihm von der Wallfahrt erzählt, an der er nun teilnimmt, bevor er im Herbst sein Studium beginnt. Als Marinesoldat war der Kieler zuvor auf vielen Meeren der Welt unterwegs. In akute Gefahrensituationen, so Steglich, ist er dabei nie gekommen, da er die Krisengebiete nur gestreift hat. O-Ton Steglich Die Deutschen haben einen sehr guten Ruf im Ausland, und das sollte auch so bleiben. Ich war schockiert, als die Diskussion anfing, die Deutschen in den Süden von Afghanistan zu verlegen, wo es ja im Moment richtig brenzlig wird. Dass die Amerikaner sich dazu so geäußert haben, dass die Deutschen feige sind. Und das stand sogar auf der Titelseite von der Bundeswehr-Zeitung im Zitat: "Die Deutschen müssten das Töten lernen." Find ich ein bisschen hart. Also, das find ich nicht richtig. Atmo Krankenstation Sprecherin Im fünften Stock des Krankenhauses von Lourdes kümmert sich rund um die Uhr ein Heer aus weißen Kitteln um die 16 Kranken, die an der Wallfahrt teilnehmen. Ärzte geben medizinischen Rat, während Pfleger und Angehörige dafür sorgen, dass die Patienten bewirtet, gewaschen und pünktlich zu den Gottesdiensten abgeholt werden. Die meisten Kranken sind Bundeswehrangestellte, nur wenige sind im Einsatz Verwundete. Sprecher Christian Schröter aus Nordhorn ist zum ersten Mal in Lourdes und hat seinen Sohn Markus mitgebracht. Die Bundeswehr war einst sein Leben. Über dreißig Jahre stand Schröter in ihrem Dienst, zunächst als Zeitsoldat, dann als Reserveoffizier. Jetzt ist er Oberst der Reserve. Schröter leidet an Amyotropher Lateralsklerose, kurz ALS. Seine Muskeln gehorchen ihm nicht mehr. Verständigen kann er sich nur noch über einen Sprechcomputer: O-Ton Schröter Mit hat einfach alles sehr gut gefallen. Man hat viel Zeit, über sich, sein Leben und die Zeit danach nachzudenken. (...) Die Tage hier haben mir viel Kraft gegeben, mit meiner Krankheit zu leben und keine Angst vor dem Tod zu haben. Sprecher Der Krankentransport steht seit Minuten bereit. Auf die Logistik ist auch hier Verlass. Zusammen mit einem kranken Kameraden wird Schröter zur Rosenkranzbasilika gefahren, wo einige Soldaten bereits warten. Vier von ihnen hieven Schröter vom Auto auf eine Bahre und tragen ihn in Richtung Kreuzweg. Trage wegbringen, Schritte und Stimmen Sprecher Schröter streckt jedem der Träger seine Hand entgegen. Ganz offensichtlich ist er tief bewegt, noch einmal inmitten seiner ehemaligen Kollegen zu sein, noch einmal einen Moment der so oft beschriebenen Kameradschaft zu erfahren. Für ihn ist Lourdes nicht nur ein religiöses, sondern vor allem ein menschliches Erlebnis. Gesang Sprecher Ähnlich scheint das Rainer Sauer zu gehen. Der überzeugte Atheist ist nach Lourdes gekommen, obwohl er mit dem spirituellen Angebot dort überhaupt nichts anfangen kann. O-Ton Sauer Ja, weil man für 150 Euro günstig nach Frankreich kommt und hier andere Nationen trifft, und es sehr interessant ist. Also, auch mal die Kultur zu sehen, auch mal was anderes zu erleben. Ich bin ja nun weder Protestant noch katholisch, also ich genieß hier einfach nur so ein bisschen Sonnenurlaub. Ja, also ganz normal tagsüber auf Kultur gemacht, abends dann los, auch mal die anderen Nationen treffen, ein zwei Bier trinken, manchmal drei, ja es war nett. Gitarrenspiel Sprecher Hauptfeldwebel Sauer wollte schon immer Soldat werden. Bei der Bundeswehr erwartete er Kameradschaft und Abenteuer sowie einen sicheren Job, eine fundierte Ausbildung und Karrieremöglichkeiten. Gerne hätte der 22-Jährige aus Berlin auch an einem Auslandseinsatz teilgenommen. Um Lebenserfahrung zu sammeln und sich ein eigenes Bild vor Ort zu verschaffen, wie er selbst sagt. Seine Spezialisierung zum IT-Fachmann ließ dies jedoch nicht zu. Lourdes ist somit sein erster Auslandseinsatz. O-Ton Sauer Ich wollte Soldat werden, bloß mittlerweile sehe ich mich nicht mehr als Soldaten, sondern als schießende Fachkraft. Ich mach meinen Job, klar. Ab und zu geh ich auf den Schießplatz. Aber groß' Kontakt irgendwie hab ich nicht. Sprecherin Wie Sauer sind viele seiner Kollegen mit ihrer Arbeit unzufrieden. Einer im April 2007 veröffentlichten Studie, die der Bundeswehrverband bei dem Passauer Politikwissenschaftler Gerd Strohmeier in Auftrag gegeben hatte, ist zu entnehmen, dass drei von vier Soldaten ihren Kindern den eigenen Berufsweg nicht empfehlen würden. Beinahe die Hälfte der 45.000 befragten Soldaten bereut sogar die eigene Berufswahl. Dabei spielt sicher auch das Image der Bundeswehr in der Öffentlichkeit eine Rolle, wie der Psychologe Casten Reil vermutet. O-Ton Reil Und das ist auch das, was die Soldaten natürlich zum Teil auch bemängeln, dass sie vielleicht auch manchmal zu einseitig dargestellt werden, und dass nicht das ganze breite Spektrum herauskommt. Denn wenn sich ein Soldat selbst in einer Helferrolle sieht (...), dann ist natürlich auch schade, wenn dem nicht genügend Rechnung getragen wird, wenn das nicht gewürdigt wird. Das bemängeln die schon. Sprecherin Den Bemühungen der Bundeswehr, qualifizierten Nachwuchs zu rekrutieren, geben die Teilnehmer der Strohmeier Studie lediglich eine Zehn-Prozent-Chance. O-Ton Sauer Mir gefällt zurzeit die Einstellungspolitik der Bundeswehr nicht. Es werden immer mehr Quereinsteiger genommen und auf Posten gesetzt, die sie im Prinzip nicht erfüllen können, weil sie keine Erfahrung haben. Ja, und aus der Truppe kann man halt die Laufbahn nicht mehr wechseln, man kann sich sehr schwer noch weiter verpflichten. Und dann kommt jemand an, man hat 4 Jahre Erfahrung und möchte ganz gerne noch gerne 2 oder 5 Jahre länger machen, und dann wird gesagt: "Nein, tut mir leid, funktioniert so nicht. Wir haben keine Haushaltsmittel oder die Haushaltsmittel kommen aus einem anderen Topf, und deshalb geht das nicht. Sprecherin Die Unterfinanzierung der Bundeswehr ist vermutlich die wichtigste Ursache für die Unzufriedenheit der Soldaten. Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Reinhold Robbe, hat im März 2007 darauf hingewiesen, dass Soldaten mitunter in verschimmelten Kasernen hausen müssen und dass auch das dazu beitrage, dass ihr Vertrauen in den Dienstherrn wie auch ihre Motivation für die Arbeit erschüttert sei. O-Ton Freisfeld Das, was die Soldaten teilweise hinnehmen müssen an Lebensstandart in Kasernen, das ist schon nicht normal. Das kann man definitiv anders machen. Auch wenn das Geld fehlt, muss man da eben sagen, dass vielleicht ein Einsatz wegfällt, so dass man Ressourcen freimacht, um da wieder was ins richtige Licht zu rücken. Sprecher Meint Feldwebel Christian Freisfeld aus Augustdorf, und Jan Steglich von der Marine fügt hinzu. O-Ton Steglich Man sollte meinen, das Bundesministerium der Verteidigung wäre irgendwie so gut ausgerüstet, aber ... Mein Schloss am Schrank hat mal geklemmt, und ich bin in die Mattgruppe gegangen und hab nach Öl gefragt, und die hatten keins. (...) Gibt es einfach nicht. Also nur ein Beispiel. Da fragt man sich: Was machen die da, wenn die am Auto rumschrauben? Sprecherin Eine Untersuchungskommission des Bundestages hat bereits im Jahr 2000 festgestellt, die Bundeswehr sei zu groß, falsch zusammengesetzt und zunehmend unmodern. Musik O-Ton Pauer Soweit ich jetzt weiß, geht die Kritik einmal in Richtung materielle Ausstattung. Man weiß ja, dass manche Geräte für die Auslandseinsätze - so weit weg von Europa - sich nicht mehr eignen. Das gilt insbesondere für den Lufttransport, aber auch für unsere ziemlich alten Hubschrauber, die sehr viel Wartung benötigen, in Afghanistan zum Beispiel, um einsatzfähig zu sein und auch für das Heer, da hat man ja festgestellt, dass die großen Panzer nicht taugen für die Einsatzgebiete. Die zweite Kritik geht ja wohl in die Richtung, dass bei relativ vielen Soldaten die Durchhaltefähigkeit immer noch ein Problem ist. Man weiß ja, dass viele Soldaten gar keine richtige Regenerationszeit gewährt bekommen. Inzwischen ist der Turn ja vier Monate, nachdem sie vier Monate im Einsatz waren, vielleicht ein oder zwei Monate später schon wieder in den Einsatz müssen. ( ... ) Daher weiß man, dass die Zahl der echten Einsatzkräfte wohl zu niedrig bemessen ist. Da wird sich schon noch etwas verändern müssen. Atmo Sauflieder - Lied: Dem Spender sei ein Trulalla Gelächter, Gemurmel Sprecherin Die Soldatenwallfahrt nach Lourdes ist längst nicht nur eine Veranstaltung für Sinn suchende Soldaten. Die Kneipen sind voll, auch wenn das Bier teuer ist. Lourdes, das oftmals das katholische Las Vegas genannt wird, ist ein gutes Geschäft. Für alle. O-Ton Black Market (Gelächter) Ok, ok, it's - we called it change, change, change. (...) It's like a black market. Sprecherin "Change" ist das wichtigste Wort im Camp, wenn sich die Soldaten heimlich hinter den Zelten treffen. Aus Tüten kramen sie Abzeichen und Feldjacken hervor und bieten diese zum Tausch an. Mit dabei ist auch Christian Freisfeld. Er hat es auf ein paar kroatische Raritäten abgesehen. O-Ton Black Market - This is ... - Ok, thank you. O-Ton Ilseberg Also ich steh da hundertprozentig dahinter, und ich such auch immer den Kontakt eigentlich zu irgendwelchen anderen Nationen, um sich ein bisschen zu verständigen, ein bisschen zu feiern, Uniformen zu tauschen, auch wenn man dann vom eigenen Dienstherren manchmal ein bisschen eins auf den Deckel bekommt, wenn man alles vertauscht, aber das passiert halt manchmal. Sprecher Tim Ilseberg, der junge Kraftfahrer, der zweimal in Afghanistan stationiert war, hat sich mit neuen Abzeichen eingedeckt. In seinem Kleiderschrank zu Hause hütet er schon mehrere italienische, britische und irische Monturen. Jetzt sitzt der 22-Jährige mit Freunden am Lagereingang und stößt mit französischen und belgischen Kollegen an. O-Ton Ilseberg Das ganze Beisammensein der Soldaten der verschiedenen Nationen, dass man sieht, dass Nationen, die damals gegeneinander gekämpft haben, fröhlich miteinander Bierchen trinken - und selbst die Briten und die Iren, die sich normalerweise so ein bisschen zanken immer auch abends ihre Uniformen tauschen und eigentlich so ziemlich alles vergessen, was da jemals gewesen ist - das finde ich schon eindrucksvoll und ist auch jedem weiterzuempfehlen. Irische Dudelsäcke O-Ton Ilseberg Jeder will ja sein Land nach außen hin repräsentieren, und jeder will das Beste aus seinem Land präsentieren. Und das versuchen wir natürlich auch. Ist klar. Bei uns ist es zum Beispiel so: Für uns ist es immer schön, wenn wir marschieren, vorne weg die Musik läuft, unser Musikcorps vorne wegläuft und wir unseren Musikcorps und uns selber präsentieren können. Und wenn die ganzen Leute hier rauskommen, die Franzosen, auch die Älteren, auf die Balkone kommen, klatschen, dann läuft es einem schon kalt den Rücken runter, wenn man hier entlang läuft. Es ist schon eine coole Sache. Es ist was sehr Besonderes. Weg zum Zeltfest; Gesang Ankündigung Jung - Guten Tag Soldaten. - Guten Tag Herr Minister. Sprecher Während für einige Rekruten das Beisammensein, bei dem Rang und Nationalität kaum eine Rolle spielen, ein besonders Erlebnis ist, ist es für andere die Kurzvisite des Verteidigungsministers. Vor den Soldaten legt Jung demonstrativ Blazer und Krawatte ab und krempelt energisch die Ärmel hoch. O-Ton Jung Ich freue mich wirklich unglaublich, dass ich heute bei einem solch herrlichen Wetter mitten unter Ihnen sein kann bei dieser 49. Wallfahrt hier in Lourdes. Mir wurde gerade eine Rede vorbereitet von mindestens einer Stunde. Die habe ich aber weggelegt, weil ich der Auffassung bin, dass wir hier das gemeinsame Gespräch pflegen sollten und dass wir hier gemeinsam auch einen schönen Nachmittag verbringen sollten. (...) Ich denke schon, dass Lourdes ein Stück dafür steht, für Frieden, für Aussöhnung, auch für ein Stück Kameradschaft zwischen den Nationen - ein Erlebnis, was man - glaube ich sonst, nicht so unmittelbar erfahren kann. Sprecherin Verteidigungsminister Jung erklärt seinen Soldaten die Grundzüge der neuen Sicherheitspolitik. Die Strategie der Landes- und Bündnisverteidigung sei von einem globalen Sicherheitsverständnis abgelöst werden. Deutschlands Freiheit, so hat es sein Vorgänger einmal gesagt, werde nun auch am Hindukusch verteidigt. O-Ton Jung Wohin die Reise geht, steht im Weißbuch. 35.000 Einsatzkräfte, 70.000 Stabilisierungskräfte und 147.500 Unterstützungskräfte. 14.000 stabilisieren den Auslandseinsatz, und natürlich kommt da Einsatz und Unterstützung hinzu. ( ... ) Sprecherin Ausgerechnet an dem Tag, an dem im letzten Jahr das Weißbuch - also der Leitfaden für den Umbau der Armee - veröffentlicht wurde, erschienen Fotos von Bundeswehrsoldaten, die in Afghanistan fröhlich und obszön mit Totenschädeln posierten. In der öffentlichen Entrüstung, die auf die Fotos folgte, ging das Dokument des Verteidigungsministeriums so gut wie unter. O-Ton Pauer Ich denke, die Auslandseinsätze, die man begonnen hat, die wird man weiter führen müssen. Sprecher Herbert Pauer glaubt darüber hinaus, dass die Bundeswehr obendrein zusätzliche Einsätze schultern muss. O-Ton Pauer Wenn sie erfolgreich verlaufen sollen, zum Beispiel in Afghanistan, dann wird man auch um eine Truppenverstärkung, wie andere Nationen das machen, nicht ganz herumkommen. O-Ton Freisfeld Ich denke, jeder Einsatz, der von der deutschen Armee gemacht wird, ist ein wichtiger Einsatz, und man hilft Leuten dabei. Ich habe aber Zweifel daran, ob man sich so viele Einsätze aufhalsen kann. Sprecher Christian Freisfeld hat die Wallfahrt nach Lourdes offensichtlich besonders tief beeindruckt. Zusammen mit einem Kameraden hat er sich eben firmen lassen, von Bischof Mixa höchstpersönlich. O-Ton Freisfeld Es ist halt eben irgendwann nicht mehr möglich. Das Wehrbudget wird immer kleiner oder wird zumindest nicht mehr größer. Es sind immer größere Erwartungen an die Bundeswehr, es muss umgeändert werden. Atmo Feier im Zeltlager, Musik Sprecher Feldwebel Freisfeld ist aus Überzeugung zur Bundeswehr gegangen. In der Armee will er Karriere machen und hat sich für die nächsten Jahre verpflichtet. Mit Leib und Seele lebt er das Soldatendasein, schließlich sei das, so Freisfeld, ein ehrenwerter Beruf. O-Ton Freisfeld Ich habe ein spezielles Erlebnis gehabt. Ich war dieses Jahr in Amerika und saß da an der Bar mit jemandem. Eine ältere Frau kam zu ihm und umarmte ihn und sagte. 'Danke, danke, dass du das für uns machst. Danke.' Und ich war total perplex und dachte so: 'Hast du ihr irgendwann mal das Leben gerettet oder sonst irgendetwas?' Und er sagte nur: 'Ja, sie hat meine Tätowierung auf dem Unterarm gesehen. Ich bin bei den Marines. Und sie hat sich einfach bedankt, dass ich bereit bin, mein Leben auf's Spiel zu setzen, dass es Amerika gut geht.' Das passiert hier nicht. Atmo Zeltlager, Lied: Muss I denn O-Ton Vitt Ich habe Gottesdienste mitgefeiert, Messen mitgefeiert, wo ich so zu Hause eigentlich nicht mache. Beschäftige mich gerade wieder mit der Religionsfrage, die man sich hier wider neu stellt. Die Frage: Gibt es wirklich einen Gott? Glaube ich daran? Man redet hier viel darüber. Finde ich einfach mal gut, aus seinem normalen Alltag herauszukommen und Zeit zu haben, über die Frage mal zu sprechen. Sprecherin Thorsten Vitt bittet in Lourdes um Vergebung für seine tödliche Arbeit an den Tornado-Kampfflugzeugen und hofft auf die Kraft, sie fortsetzen zu können. O-Ton Vitt Mann muss die Jacke lieben, die man anzieht. Man muss wissen, was man da tut. Man kann hier nicht einfach sagen, ich hab hier nen Job, ich krieg dafür Geld, sondern man muss vom Herzen her auch Soldat sein. Sonst hat man verloren. Sonst kommt man mit dem, was man tut, nicht klar. Soldaten singen: Muss I denn Absage: Im Gleichschritt Halleluja Die Seelenlage einer Bundeswehr im Umbruch Ein Feature von Frank Domhan, Matthias Zuber und Jessika Knauer Sie hörten eine Co-Produktion des Deutschlandfunks mit dem Westdeutschen Rundfunk, 2007. Es sprachen: Ruth Schiefenbusch und Fatih Cevikkollu Ton und Technik: Hans-Martin Renz und Jürgen Hille Regie: Axel Scheibchen Redaktion: Hermann Theißen 25