DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 30.11.2010 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 ? 20.00 Uhr Vorwärts in die Arbeiterselbstverwaltung Notizen aus der serbischen Provinz Von Ursula Rütten URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo: (Laibach, Siemens, Auftakt) Atmo: (VIP) Europe is still waiting to be discovered. With a spot on the old continent with new energy, new prospects. It's a meeting spot of the east and west of business and markets. A spot, which will exete your expectations, and where ideas easily become reality ? a hot spot for profit. Musik: (BG Coffeeshop2, Auftakt) O-Ton Deuri? Jugoslavija je bila socialisti?ka zemlja ... Zovem se Deuri? Zdravko Übersetzer (Deuri?): Jugoslawien war ja einmal ein sozialistisches Land mit einem Selbstverwaltungssystem. Wir hatten also völlig andere Produktions- und Vermarktungsverhältnisse als unter den heutigen Bedingungen der kapitalistischen Marktwirtschaft ? mit fatalen Konsequenzen für unsere Arbeiter. Ich heiße Zdravko Deuri?. Direktor von Jugoremedija in Zrenjanin. Zu diesem Posten bin ich gekommen nach der Privatisierung unseres Betriebes 2002. O-Ton Marku? Ja li?no mislim, da socijalizam ne mo?e se vratiti ... Ja sam B. Marku? Übersetzer (Marku?): Ich persönlich glaube nicht, dass der Sozialismus wieder zurückkehren kann, aber das Beispiel von Jugoremedija zeigt, dass es einer Betriebsleitung gemeinsam mit der Belegschaft möglich ist, eine Fabrik zu führen, auch nach kapitalistischen Kriterien. Es wurde bewiesen, dass sie die Produktion selbstverantwortlich erweitern und den Wert ihres Betriebes und damit dessen Aktien und die Dividende steigern können. Ich bin Branislav Marku?. Bei Jugoremedija arbeite ich schon seit 18 Jahren, als Chemietechniker im Bereich der Qualitätssicherung. O-Ton Pächnatz Man geht in ein Land, weil man die Arbeitskräfte braucht und um dort preiswert zu produzieren, durch die vielen Menschen, die wir einstellen. Ansonsten gibt's keine Vorteile. Auch keine Nachteile. Mein Name ist Jörg Pächnatz. Ich bin Standortleiter hier am Dräxlmaier-Standort in Zrenjanin. Atmo: (VIP) Vojvodina, the northern province of the Republic of Serbia, is one of the richest regions of the Balkans, with more than 2.15 million ha of the most fertile soil in Europe. It's the ideal place for the growth and success of every new initiative. Ansage: Vorwärts in die Arbeiterselbstverwaltung Notizen aus der serbischen Provinz Ein Feature von Ursula Rütten Musik: (Allstars8, sound für Vojvodina) Sprecherin: Die Vojvodina. A hot spot for profit. Der ideale Raum für Wachstum und Erfolg. So wirbt VIP, die Vojvodina Investment Promotion-Agentur in Novi Sad um ausländische Investoren für diese geostrategisch günstig gelegene Region im westlichen Balkan. Die Agentur konnte zum Beispiel den weltweit produzierenden niederbayerischen KFZ-Zulieferer Dräxlmaier von den Vorteilen Serbiens für einen weiteren Standort überzeugen, in Zrenjanin, nordöstlich von Belgrad, auf halbem Wege zur ungarischen oder zur rumänischen Grenze. Dräxlmaier ist inzwischen der größte Arbeitgeber in der Stadt mit rund 80 000 Einwohnern. O-Ton Bugarski Wir entwickeln für unsere Kunden maßgeschneiderte Lösungen, .. wie man in der Vojvodina tätig sein könnte, ..also wenn man die Produktion erweitern oder umlagern möchte oder umsiedeln, besser gesagt. Mein Name ist Branislav Bugarski. Ich bin der Direktor von Vojvodina Investment Promotion. Das ist eine Investitionsförderungsagentur, gegründet vom Parlament der Provinz Vojvodina, im Norden Serbiens. Die Einheimischen und ausländischen Investoren haben gleichen Status. Wir sind praktisch nur dafür da, ausländische Investoren zu beraten. Die Provinz fördert im Moment mit 1300 Euro jeden neu geschaffenen Arbeitsplatz, und die Republik fördert zwischen 2- und 10 000 Euro je neu geschaffenem Arbeitsplatz. Was wichtig dazu zu sagen ist, dass der Investor die Leute drei Jahre lang beschäftigen muss, also die Anzahl der Mitarbeiter, nicht die Mitarbeiter beim Namen, und das ist wichtig, weil es kann durchaus sein, dass jemand nicht die Produktivitätsanforderungen erfüllen kann. Dazu: die Körperschaftssteuer in Serbien beträgt nur 10 Prozent. Sprecherin: Und ist damit die niedrigste in ganz Europa. O-Ton Bugarski Und für all die Firmen, die mehr wie 8 Millionen Euro ins Anlagevermögen investieren, wird diese Körperschaftssteuer für 10 Jahre aufgehoben. Bedeutet: 10 Jahre lang zahlen sie gar keine Steuer, wenn sie in Serbien arbeiten. Dazu sind Anlagevermögen, also was man nach Serbien importiert, sind befreit vom Zoll. Atmo: (VIP) The Danube, Europe's longest navigable river flows through Vojvodina, connecting all the markets in the Danube base. Sprecherin: Ein ganzes Stück weit, im Westen, scheidet die Donau die auch serbische Kornkammer genannte autonome Provinz Vojvodina von Kroatien. Fischer und, auf serbischer Seite, Ölraffinerien an ihren seichten Ufern. Und wieder trägt sie, nach der Rekonstruktion der durch Nato-Bomber vor elf Jahren zerstörten Brücken, manch kostbare Schiffsfracht an der Provinzhauptstadt Novi Sad vorbei und weiter über den verrottenden Belgrader Hafen hinaus nach Rumänien, in Richtung Schwarzes Meer. Längst stehen viele Räder still in Serbien. Auch in den Industriezonen der ökonomisch seit jeher vergleichsweise höher entwickelten Vojvodina. Musik (Allstars) Sprecherin: Seit Beginn der 1990er-Jahre ist Serbien einer beispiellosen De-Industrialisierung und Verarmung ausgesetzt. Erst durch Krieg und internationales Embargo, dann durch den forcierten Systemwandel nach dem Sturz von Slobodan Milo?evi? im Oktober 2000. Die neoliberalen Kräfte um Zoran ?in?i? setzten sich durch. Die Politik der radikalen Umwandlung von Wirtschaft und Gesellschaft, die diese Verelendung weiter Teile der Bevölkerung in Serbien besiegelte, hat einen Namen: Enteignung durch Privatisierung. Das 2001 erlassene Privatisierungsgesetz revidierte ein früheres von 1997 in entscheidenden Punkten: Es entmachtete die bis dahin selbstverwalteten Belegschaftsversammlungen, ohne deren Zustimmung keine Privatisierung des Betriebs erfolgen durfte. Und es stufte sie ins letzte Glied zurück in ihrem Anrecht auf Aktienanteile am Firmenkapital. Die Privatisierung wurde zwingend und musste bis 2008 abgeschlossen sein. Nunmehr konnten private Investoren bis zu 70 Prozent eines Betriebes über Auktionen erwerben. Der Rest wurde den Arbeiterkollektiven zwar umsonst übergeben, ihr Mitbestimmungsrecht war jedoch de facto beendet. Auch aus der Wertschöpfung wurden sie verdrängt. Leidvolle Konsequenzen hatte das vor allem für größere Unternehmen mit vielen Beschäftigten. Fabriken und Warenhäuser, zum Beispiel. Tausende Betriebe wurden verscherbelt, in den Bankrott geführt oder versteigert. Und keineswegs waren der Hauptgrund dafür immer nur veraltete Produktionsanlagen und technologischer Rückstand oder ausbleibende Nachfrage. Ein Blick auf das Bruttoinlandsprodukt dieses Landes zeigt, dass Serbien 2009 gerade mal 2/3 des Niveaus von 1989 erwirtschaften konnte. Schätzungen gehen von aktuell einer Million Erwerbslosen in Serbien aus ? bei rund 7 1/2 Millionen Einwohnern insgesamt. Atmo: Musik (wound 1) Atmo: Halle Sprecherin: Da mögen, wenn die Menschen denn schon dort an ihrem Lebensmittelpunkt keine sicheren Zukunftsperspektiven mehr haben, seriöse ausländische Investoren geradezu als Heilsbringer aufscheinen. Auch sie wollen zwar möglichst billig und profitabel produzieren, aber sie schaffen tatsächlich Arbeitsplätze und sie zahlen die Löhne pünktlich und zuverlässig aus. Wie zum Beispiel der BMW beliefernde Kabelbaumhersteller Dräxlmaier in Zrenjanin. Der mit diesem Werk keinen alteingesessenen Betrieb aufgekauft und damit womöglich einen Interessenkonflikt mit der Belegschaft provoziert hat, sondern eine völlig neue Produktionskette auf der grünen Wiese hat entstehen lassen. In einem gemieteten modernen Fertigbau-Hallenkomplex auf dem Gelände eines ehemaligen Flughafens, weit draußen am Stadtrand von Zrenjanin. Gecharterte Busse transportieren jeweils einige hundert Angestellte aus der Stadt und dem weiten dörflichen Umkreis Schicht für Schicht an die Montagebänder für die Verkabelung von Autoelektrik und Navigation. Gearbeitet wird rund um die Uhr. Nach einem mit der Industriegewerkschaft ausgehandelten Kollektivvertrag. Einem garantierten Mindestlohn von umgerechnet rund 160 Euro, der sich aber im Rahmen des Bonuspunktesystems der Firma nach Auskunft ihres Chefs auf gut über 200 Euro monatlich steigern ließe. O-Ton Bugarski Bei uns gibt es, leider aus unserer Sicht, gut für die Investoren, nach wie vor ein gutes Angebot an verfügbaren Arbeitskräften. Aus dieser Sicht sind auch die Gewerkschaften etwas vorsichtiger, wie sie mit den Investoren umgehen. Es ist auch wichtig, dass die Investoren gewisse fair play-Konditionen erfüllen. In dem Sinne wir hatten mit den Gewerkschaften keine Schwierigkeiten, vor allem nicht mit den großen repräsentativen. Atmo: (VIP) Vojvodina is an open environment, in which everything is taken care of to make your work and your business easier and more efficient. Musik: (Allstars) Atmo: (Halle) O-Ton Pächnatz Unser Geschäftsbereich ist sehr menschenintensiv. Daraufhin hat man einen Standort gesucht, wo das Potenzial an Arbeitskräften vorhanden ist. Angefangen haben wir mit 80 Mann. Augenblicklich haben wir 1270. Man ist in Zukunft auch gesetzt für weitere Produkte und hat dann noch vor, diesen Standort produktionsmäßig und personalmäßig zu erweitern. Musik: (Allstars) Sprecherin: Bevor Jörg Pächnatz den Standort in Zrenjanin 2007 aufbaute, war er Leiter einer Dräxlmaier-Niederlassung in Rumänien. O-Ton Pächnatz Dieses Wachstum, was wir vorgelegt haben an diesem Standort, das war enorm. Das gab es noch nie in der Dräxlmaier-Geschichte. Voriges Jahr im Oktober hatten wir eine sehr kritische Situation hinsichtlich der Produktion, wo wir Überstunden machen mussten, was eigentlich nicht gewollt ist von uns, aber das war notwendig. Viel Feldarbeit hier, was wir unterschätzt hatten. Da bin ich halt runtergegangen und hab drum gebeten, dass sie kommen, weil wir diese Produkte rausbringen müssen. Wir brauchen den Samstag, Sonntag hier auf Arbeit und hab ihnen auch gesagt, dass sie an ihrer Zukunft arbeiten, und sie waren auch am Samstag, Sonntag da. Wir haben dann voriges Jahr die Leistungsentlohnung eingeführt, haben ein halbes Jahr vorher angefangen über das Thema zu sprechen, was es bedeutet. Hat man nicht verstanden. Bis wir dann im August die Gruppen, die schon auf Leistung waren, hat man dann diesen Leistungsbonus gezahlt, dann hat man gedacht, Dräxlmaier hat sich verrechnet. Dann haben sie es begriffen, was ich meine. Wo wir hinwollen, dass man für eine ordentliche Mehrarbeit auch mehr Geld bekommen kann. Sprecherin: Anders und besonders prekär ist die Lage dort, wo ein Investor im Zuge der Privatisierung bestehender Betriebe mit Produktionsmitteln und Produktivkräften spekulieren und schachern konnte. Um schierer persönlicher Profitmaximierung willen. Wo sich nicht nur die Schwäche oder gar Ohnmacht der Belegschaften, sondern auch die des serbischen Staates, der Gesetze und ihrer Kontrollinstanzen und damit auch die der Demokratie in diesem Land erweist. In diesem Zusammenhang fällt in Serbien besonders ein Begriff, aus dem Englischen entlehnt, aber zwei Handvoll Exemplare der einheimischen Spezies meinend: die Tycoons. So kontrolliert etwa die Delta-Holding von Miroslav Mi?kovi? allein 70 Prozent der Belgrader Supermärkte. Atmo: Werbung Sprecherin: Das Wirtschaftsimperium des ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten unter Slobodan Milo?evi? ist nahezu in allen Branchen aktiv, vom Lebensmittelhandel über Autohäuser bis zum Tourismus. Er gilt als reichster Mann des Landes mit einem auf etwa zwei Milliarden Euro geschätzten Vermögen. Ausländische Firmen wie Nike, Nivea, Zara oder auch BMW, Fiat und Honda haben diesen Tycoon als ihren Haupt-Vertriebspartner gewählt. In der Vojvodina erwarb Mi?kovi? 20 000 Hektar Ackerland. Damit ist er der größte Landbesitzer in Serbien. In einer Studie des Belgrader Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung vom August 2010 heißt es: Zitator: Das Problem, das sich in Serbien am Beispiel der Tycoons stellt, stellt sich in allen Transformationsgesellschaften: Es ist das Problem der Legitimität des Reichtums. In Gesellschaften, in denen seit Jahrhunderten kapitalistische Eigentumsverhältnisse herrschen, wird dieses Problem durch die Illusion einer manchmal viele Generationen übergreifenden Meritokratie entschärft. Der Reichtum legitimiert sich zumindest zum Teil durch die in der Vergangenheit erworbenen Verdienste und getätigten Investitionen. In Gesellschaften dagegen, in denen das ehemals staatliche oder ? wie in Ex-Jugoslawien ? gesellschaftliche Eigentum in private Verfügung übergeht, kann die meritokratische Legitimation durch Dauer nicht zum Zuge kommen, da jede Verbindung zwischen Leistung und Verdienst zerschnitten ist. Atmo: Film Sprecherin: Für Arbeiter und Angestellte in der Tradition betrieblicher und gesellschaftlicher Selbstverwaltung war es folglich selbstverständlich, landesweit und ausdauernd zu protestieren, wenn sie mit dieser kontraproduktiven Praxis konfrontiert wurden. Mit Arbeitsniederlegungen und Betriebsbesetzungen, mit Straßendemonstrationen bis vor die kommunalen Rathäuser, mit Hungerstreiks und sogar mit Selbstverstümmelungen, wie 2009 im Textilkombinat im südserbischen Novi Pazar. Schließlich mit Sternmärschen vor den Sitz der Regierung und der Privatisierungsagentur in Belgrad. Bei all diesen Aktionen wurden vordergründig ähnliche Forderungen laut: Die Auszahlung der seit Monaten, zum Teil seit Jahren von den neuen Eigentümern zurückgehaltenen Löhne und die Wiederaufnahme der eingestellten Produktion. Atmo: Film Sprecherin: Vergeblich kämpfte beispielsweise die Belegschaft des großen Eisenbahnbauers ?invoz in Zrenjanin darum, dass die reichlich anfallenden Arbeiten auch weiterhin ebendort ausgeführt werden. Wie schon seit Generationen. Anstatt dass die Aufträge nunmehr ins benachbarte Rumänien gehen, weil dem neuen privaten, einheimischen Eigentümer Provisionen durch einen solchen Deal offenbar wichtiger sind als der Erhalt von Wirtschaftskraft in der Region und die Sicherung des Überlebens zahlreicher von diesen Arbeitsplätzen abhängigen Familien. Mehr als 1/3 der erwerbsfähigen Menschen im Raum Zrenjanin sind inzwischen arbeitslos. O-Ton Popov To je jedan podatak u javnosti ... Pratili smo ?trajkovi u Kragujevcu... Übersetzer Popov: Es ist eine Tatsache, dass mindestens 1/3 solcher Privatisierungsverträge nicht unter gesetzlichen Bedingungen zustande gekommen ist. Woraus aber nicht geschlossen werden kann, dass es überall dort, wo solche Unstimmigkeiten bekannt werden, auch Widerstand dagegen gibt. Wir haben die Streiks in Kragujevac begleitet, in Aran?elovac, und in Vrbas, und für uns ist ganz klar, dass dieser Arbeitskampf von Jugoremedija in Zrenjanin der hartnäckigste und erfolgreichste von allen war. Und damit der gefährlichste für all diejenigen, die diese Art des Zustandekommens von Privatisierungsverträgen und die Folgen daraus für den Betrieb und überhaupt für das gesamte wirtschaftliche Umfeld vertuschen wollen. Den Schaden hat nicht nur die Belegschaft sondern letztlich ja auch der Staat. Sprecherin: Neboj?a Popov ist heute Chefredakteur der monatlich in Belgrad erscheinenden "Republika". "Stimme der bürgerlichen Selbstbefreiung ? gegen Existenzangst, Hass und Gewalt" heißt es über ihrem titelgebenden Schriftzug auf der ersten Seite. Neboj?a Popov, einst Professor für Philosophie und Soziologie, ist einer der wenigen noch lebenden Mitglieder der jugoslawischen Philosophengruppe "Praxis". Damit ist er ein ausgewiesener und profunder Kenner der Theorie und Praxis der Selbstverwaltung und des auch hier zu Lande seinerzeit so apostrophierten "Modells Jugoslawien". Ebenso wie die Büros von Jugoremedija wurden auch die Redaktionsräume der "Republika" noch in diesem Sommer von der Polizei durchsucht. O-Ton Popov Pojam ne znam ?ta misliju da na?e ... Ra?una se za jedinim iskustvo .. i onoliko koliko vi?e se razvije svest da Übersetzer Popov: Ich habe keine Ahnung, was sie sich erhofft haben zu finden, aber ich weiß, wonach sie suchen. Sie suchen nach irgendwelchen Beweisen, dass kritische Positionen gegenüber der Regierung mit Spionage verbunden sind oder auch mit solidarischem Widerstand, der für sie ja nicht zu einem normalen Leben gehört. Unter einem normalen Leben versteht diese Seite, dass die Menschen, nach all dem, was in jüngster Zeit passiert ist, nur ja zufrieden und dankbar sein sollten, dass sie überhaupt noch am Leben sind, dass sie nicht verkrüppelt sind usw. Dabei zählt man auf die furchtbaren Erfahrungen mit politischer Repression. Weil in erster Linie die aggressiven Formen des Nationalismus, die Kriegsverbrechen und die Folgen davon die Menschen so nachhaltig in Angststarre versetzt haben, dass dies alle anderen Gemütslagen überdeckt. Und je mehr Menschen sich bewusst werden, dass nicht alle Probleme Serbiens mit dem Kosovo verbunden sind, wächst die Angst in Kreisen der Machthaber, dass in den Köpfen und Herzen der Menschen eben auch andere Sorgen Raum greifen und damit auch das Potenzial von Unzufriedenheit und Ungehorsam wächst. O-Ton Markus Ja li?no mislim da ima su imali hrabrosti Übersetzer Marku?: Unser Staat hätte nur etwas mehr Mut aufbringen müssen, den Belegschaften, die jetzt auf der Verliererseite stehen, die Weiterführung ihrer Betriebe zuzugestehen, um die sie gekämpft haben. Vielleicht hätte dadurch weit mehr Volksvermögen erhalten oder überhaupt erst gebildet werden können, statt nun diese Situation zu haben mit stillgelegten Betrieben und dieser hohen Arbeitslosenrate und mit Eigentümern, von denen man überhaupt nicht weiß, wer wirklich dahinter steckt oder auch solchen mit bekanntem kriminellem Hintergrund. Ich bin Branislav Marku?. Zur Zeit bin ich Abgeordneter im Stadtrat von Zrenjanin als Vertreter von Ravnopravnost, das heißt Gleichberechtigung. Eine regionale Arbeiterorganisation, die im Dezember 2007 gegründet wurde und die bei den Kommunalwahlen 2008 auf Anhieb die 5- Prozent-Hürde geschafft hat. Musik (Allstars) Sprecherin: Bevor er sich zu diesem Marsch durch die Institutionen entschloss, war Branislav Marku? einer der Wortführer im Kampf um die Pharmafabrik Jugoremedija wie auch in einem inzwischen gegründeten Koordinationskomitee weiterer vom Privatisierungskahlschlag betroffener Betriebe in ganz Serbien. O-Ton Deuri? Su?tina je, politika prolazka socijalizma u kapitalismu Übersetzer Deuri?: Tatsache ist, dass die Politik des Übergangs vom Sozialismus in den Kapitalismus nur darauf ausgerichtet war und ist, das Eigentum der Arbeiter auf brutale Weise zu enteignen, ihnen ihre angestammten Produktionsmittel zu nehmen und sie irgendwelchen serbischen Tycoons zu überlassen, die keine Ahnung davon haben, wie man eine Firma managed und betriebswirtschaftlich führt, die keine Ahnung haben von der Produktion und auch kein Interesse daran haben, wie der Wert der ohnehin geringeren Anteile der Belegschaft gehalten oder gar gesteigert werden könnte. Im Gegenteil, ihre Aktien werden heruntergehandelt, oft noch unter Wert von irgendjemandem aufgekauft, auch im Auftrag Dritter. Dann kann wieder ein anderer bieten und die Firma für billiges Geld erwerben. 10 Jahre später ist man dazu übergegangen, mit einzelnen dieser Typen abzurechnen, aber die haben ja längst ihre schmutzige Arbeit erledigt. Der Preis der meisten Unternehmen ist dramatisch gefallen, man hat ja alles gelassen wie es ist, die Arbeiter entlassen, sie unter das Existenzminimum gedrückt. Derjenige, der sich damals, 2002, für unseren Betrieb die Aktienmehrheit von 58 Prozent sichern konnte, Nini, hat Brauereien, Zuckerfabriken, Tabakfabriken und Unternehmen der Chemo- und Pharmaindustrie aufgekauft. Sprecherin Jovica Stefanovi? Nini aus Ni? ist ein berüchtigter Großindustrieller aus der Milo?evi?-Ära, nach dem Interpol seinerzeit wegen Zigarettenschmuggels fahndete. Atmo: (FutureSound) Sprecherin: Zdravko Deuri?, geschätzte Mitte vierzig, hat als langjähriger Mitarbeiter mehr als nur eine Ahnung von der Produktion im Pharmabetrieb Jugoremedija. Er kennt auch die real existierenden guten Expansionschancen dieses Unternehmens, das gegenwärtig mit knapp 8 Prozent Marktanteil den 5. Platz in der serbischen Pharmaindustrie belegt. Und das den in der Region üblichen Durchschnittslohn von 270 Euro zahlt. Als die Firma 1973 ihren heutigen Namen annahm, produzierte sie noch ausschließlich Lizenzprodukte des Frankfurter Pharmaherstellers Hoechst. In ihren modernisierten, klinisch sterilen und gleichsam atmosphärisch freundlichen Produktionsräumen laufen 120 verschiedene Präparate, Tabletten, Dragees, Salben und zum Beispiel die automatisierte Füllung und Verpackung von Ampullen durch bewährte Maschinen Made in Germany, von Henschel, Richard Walther, Uhlmann. Seit wenigen Jahren hat Deuri? den weißen Kittel als Techniker im Bereich der Klimaversorgung gegen Anzug, Krawatte und blütenweißes Hemd getauscht. Der charismatische Streikführer und Stratege eines der längsten Arbeitskämpfe in Serbien gegen einen jener berüchtigten Tycoons ist heute der von der Belegschaft gewählte Direktor und Vorsitzender des Verwaltungsrates von über 4000 Kleinaktionären von Jugoremedija. Zitator: Die serbischen Tycoons verbündeten sich weder mit dem internationalen Kapital, noch setzten sie selbst auf den internationalen Wettbewerb, von gelegentlichen Geschäften in den Nachbarländern abgesehen. ... Stattdessen konzentrierten sie sich auf die Wirtschaftsbereiche, die dem Wettbewerb nicht ausgesetzt sind: Den Einzelhandel, geschützte Teile des Finanzwesens, die Bauindustrie und die Telekommunikation. Ihre Gewinne basieren zu einem hohen Anteil auf Monopolpositionen ? in erster Linie Importlizenzen -, die Milo?evi? ihnen gegen politische und wirtschaftliche Unterstützung überlassen hatte. ... Die Tycoons sind daher auch keine Protagonisten der Re-Industrialisierung des Landes. Der De-Industrialisierungsprozess, der in den ersten Jahren der Transformation nicht nur Ex-Jugoslawien, sondern auch Zentraleuropa erfasst hatte, hier jedoch ? in erster Linie dank ausländischer Investitionen ? in eine modernisierende Re-Industrialisierung überführt werden konnte, hält in Serbien bis heute an. Zwischen 1989 und 2004 büßte Serbien 58 Prozent seines industriellen Outputs ein. In Zentraleuropa dagegen lag er 2004 um 24 Prozent über dem Niveau von 1989. Damit ist nicht nur der Ursprung, sondern auch das Ergebnis privater Kapitalakkumulation fragwürdig: Private Bereicherung führte nicht zu nachhaltiger Entwicklung und gesellschaftlichem Wohlstand. Michael Ehrke: "Unanständiger Reichtum": Die Tycoons und die serbische Politik. Friedrich-Ebert-Stiftung, Belgrad 2010 Musik: (Allstars) O-Ton Markus Treba re?i da je nastao pokret ravnopravnost Übersetzer Marku?: Als sich unsere Bewegung für Gleichberechtigung organisierte, haben sich 90 Prozent der Leute nie für Politik interessiert oder Erfahrungen damit gehabt. Ich auch nicht. Wir waren apolitische Leute und haben uns aus dem einen Grund zusammengetan: Wir wollten ein Forum schaffen, um die schlechten Bedingungen der Privatisierung und auch unseren politischen Kampf dagegen auf lokaler Ebene in die Diskussion zu bringen und Einfluss auf die Politik der Gemeinde nehmen zu können. So haben wir 4 Sitze in den kommunalen Ausschüssen bekommen und können einen von 11 Mitgliedern des Stadtrates stellen, und der bin ich. Mir tut es sehr leid, dass all die Arbeiter, so auch von ?invoz oder BEK und anderer Betriebe in Zrenjanin, die in die Partei eingetreten sind, natürlich mehr von uns erwartet haben. Auch ich habe mehr erwartet, zumal der Aufkäufer von ?invoz inzwischen im Gefängnis sitzt. Aber leider ist Jugoremedija als Beispiel eines erfolgreichen Kampfes um den Erhalt und die Zukunft eines Betriebes bisher tatsächlich eine einsame Insel im Meer von planloser Privatisierung. Sprecherin: Weder Deuri? noch Marku? verstehen sich als proletarische Maschinenstürmer. Erst recht wollen sie nicht als jugonostalgische Selbstverwaltungsromantiker missverstanden werden. Als sie um die Rechte und für den Fortbestand ihrer Firma stritten, trugen sie kein rotes Sternenbanner auf der Straße vor sich her, sondern Argumente dafür in die Gerichtssäle. Mit der gleichen Überzeugungskraft scharten sie sowohl eine große Zahl von außerbetrieblichen Kleinaktionären hinter sich als auch die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen in Produktion und Verwaltung. Damit blieb das fachliche Know how im Betrieb und die Fähigkeit, denselben weiter zu führen. Der Konflikt mit dem übermächtigen Gegner entzündete sich 2003, ein Jahr nach dem Verkauf an Nini, daran, dass der neue private Investor Belegschaft und Kleinaktionäre im Hauruckverfahren über den Tisch gezogen hatte. Zuvor hatte sich der Staat der Verantwortung entzogen und seine Anteile gegen Investitionsauflagen an eben diesen Spekulanten verkauft. Und damit eine Vorlage für die Manipulation der rechtlich anfechtbar veränderten Mehrheitsverhältnisse geschaffen: O-Ton Deuri? ?to se ti?e samo Jugoremedija, ideja za borbi Übersetzer Deuri?: Der Grund für diesen Arbeitskampf um Jugoremedija ist Jovan Stefanovi? Nini. Eigentlich sollte er einen Anteil von 42 Prozent von Jugoremedija erhalten. Der Kaufpreis betrug 3,6 Millionen Euro. Die hat er auch bezahlt, natürlich mit der Verpflichtung, in Produktion und Rekonstruktion zu investieren. Wir wussten aber nichts von dem Deal mit der Privatisierungsagentur, dass nach der Sanierung eine Rekapitalisierung des Betriebs erfolgen sollte, welche die Anteile Stefanovics am Unternehmen erhöhen und er somit der Mehrheitseigentümer werden würde. Der aber führte sich von Anfang an wie der Boss auf und tat so, als besäße er bereits eine über 50 Prozent-Mehrheit. Auf der Aktionärsversammlung im März 2003 stellte Stefanovic Nini sein Investitionsvorhaben vor. Das beschränkte sich aber auf den Kauf von Rohmaterial. Die Sanierung des Unternehmens wurde nicht einmal erwähnt. Allein das brachte uns gegen ihn auf. Außerdem: Wir hatten im Magazin noch Waren im Wert von über 12 Millionen Euro. Die hat Stefanovi? gleich abgezogen und verkauft. Es war sehr bald klar, dass er aus dieser Firma für sich soviel wie möglich an Grundkapital herausziehen wollte. Oder dass die Firma zerstückelt werden sollte. Die große Frage ist, wer hat solchen Leute solche Geschäfte erlaubt, ohne zu prüfen, wo das Geld herkommt, das sie dafür einbringen wollen. Musik: Allstars, Auftakt O- Ton Popov I otvorena je pitanje .. Srbija je jedina zemlja u Evropi .. Tako da tokovi novce iz Evropske Unije Übersetzer Popov: Noch ist die Frage offen, wie die Regierung in Belgrad und die Kommune dazu stehen und was sie zu tun gedenken. Die Zentralregierung schweigt, und die Kommune sagt, sie hätte überhaupt keine Entscheidungsbefugnisse für solche Wirtschaftsfragen. Was teilweise stimmt. Serbien ist das einzige Land in Europa, wo die Kommunen kein Eigentum mehr besitzen. Die diversen europäischen Institutionen haben auf dieses Problem hingewiesen und darauf gedrängt, dass die Kommunen mehr Handlungsmöglichkeiten nach eigenem Ermessen erlangen, dass ihnen ihr Eigentum wieder zugesprochen wird, damit sie aktiv an der Lösung ihrer wirtschaftlichen Probleme teilnehmen können. Was geschah? Einer unserer erfolgreichsten Politiker, Dinki?, gründete eine neue Partei namens Ujedinjeni Regioni Srbije, Vereinigte Regionen Serbiens. Das ist auch so ein Phänomen: er ist Vorsitzender zweier Parteien. Und jetzt wird es interessant: Da wird etwas konstruiert, was nicht existiert, nämlich ein Bündnis von Regionen, sodass der Geldfluss aus der EU unter der Kontrolle des Vorsitzenden von zwei Parteien steht, der gleichzeitig der Wirtschaftsminister dieses Landes ist, der vor allem die mitregierende Partei G17 Plus repräsentiert. Und wieder werden die Kommunen dabei übergangen, die, wie in allen Ländern der Welt, auch in unserer Vergangenheit einen wesentlichen Anteil am Aufbau der Bürgergesellschaft hatten, die bei uns das Niveau einer selbstverwalteten Gesellschaft erreicht hatte. Sprecherin: G17 Plus ist eine liberal-konservative Partei mit einer Kerngruppe von 17 Experten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. In einer Wahlallianz mit der Demokratischen Partei stellt sie seit 2008 die Regierung in Belgrad. Ihr gemeinsames Motto "Für ein europäisches Serbien". Michael Ehrke: Musik (Allstars) Zitator: In der serbischen politischen und wissenschaftlichen Szene gilt als sicher, dass die Tycoons alle im Parlament vertretenen Parteien finanzieren und auf diese Weise bewirken, dass das Parlament keine Gesetze verabschiedet, die die Interessen der Tycoons beeinträchtigen, dass ihre Interessen bei öffentlichen Ausschreibungen und Privatisierungen berücksichtigt werden und dass die bestehenden Monopole unangetastet bleiben. Die Belgrader Bürgerrechtlerin und heutige liberaldemokratische Parlamentsabgeordnete Vesna Pe?i? beschreibt das Verhältnis zwischen Tycoons, Parteien und Regierung als state capture, als Kaperung des Staates durch private Interessen, der gegenüber die übliche und immer wieder beklagte "administrative Korruption" ein eher zweitrangiges Phänomen sei. Musik O-Ton Deuri? Tamo smo mi organizovali preko samostalnih sindikata Übersetzer Deuri?: Als der Konflikt offen ausgebrochen war, haben wir uns über die unabhängigen Gewerkschaften organisiert und sind in den Streik getreten. Und was geschah? Der Staat stellte sich hinter Stefanovi? und schickte uns die Polizei aus Belgrad auf den Hals. Alle, die sich an diesem legalen Streik beteiligt hatten, wurden auf die Straße gesetzt. Ich wurde als Vorsitzender des Streikausschusses mit einigen anderen Streikführern verhaftet, unter fadenscheinigen Anschuldigungen. Wir waren drei Tage hinter Gittern, sind in den Hungerstreik getreten, was dann auch publik wurde und öffentliche, sogar internationale Proteste hervorrief. Noam Chomsky, zum Beispiel, hat ein Schreiben publiziert, worin er unsere Forderungen unterstützte. Wir wurden dann auch aus der Haft entlassen, aber diese drei Tage reichten aus, um den Streik durch Polizeigewalt zu beenden und Stefanovi? wieder den Betrieb leiten zu lassen. Alle 150 am Streik Beteiligten blieben ausgesperrt, und neue Arbeiter wurden eingestellt, die die Arbeitslosenvermittlung ins Werk geschickt hatte. Musik s.o. Sprecherin: Bis zu ihrem Sieg Anfang März 2007 kämpften diese 150 Arbeiterinnen und Arbeiter mit solidarischer Rückendeckung auch der außerbetrieblichen Kleinaktionäre um die Aufhebung des Vertrags zwischen Stefanovi? und dem serbischen Staat beziehungsweise dessen Privatisierungsagentur und um die Rückführung von Jugoremedija in die Kontrolle der Belegschaft. Mit Aktienmehrheit und selbstbestimmter Geschäftsführung. Währenddessen dümpelte der Betrieb vor sich hin. Kein Dinar wurde investiert, weder in die Herstellung, noch in die Sanierung. Was aber die Voraussetzung dafür ist, um das sogenannte "Good Manufactoring Practice"-, kurz GMP-Zertifikat zu bekommen und damit EU-Qualitätstandards für die Produktion pharmazeutischer Produkte zu erfüllen. Firmenboss Stefanovi? Nini ließ 2006 sogar die Produktion stoppen. Monatelang zahlte er den verbliebenen Angestellten keine Löhne aus, beglich weder Telefon-, noch Stromrechnungen, weswegen der Staat seinerseits ein Insolvenzverfahren anstrebte. Und draußen im Lande, sozusagen auf dem frisch gepflügten Feld der freien kapitalistischen Marktwirtschaft, ging währenddessen unentwegt die Aufteilung auch des Marktes für Pharmaerzeugnisse vonstatten. Musik s.o. O-Ton Deuri? Zna?i, Jugoremedija ima 4000 akcionara Übersetzer Deuri?: Jugoremedija hat rund 4000 Aktionäre, davon haben uns 3700 die ganzen 7 Jahre unseres Kampfes zur Seite gestanden. 3000 Bürger aus Zrenjanin, die übrigen sind unsere Mitarbeiter. ... Aber wir haben ja bekanntlich den Prozess gegen Nini gewonnen und damit unsere Anteile zurückerhalten. Woraufhin wir ganz nach kapitalistischem Vorbild eine Aktionärsversammlung gegründet haben, mit 3200 bevollmächtigten Unterzeichnern, was einer Mehrheit von 52 Prozent entsprach. Dieses Organ wählte einen Vorstand, der völlig im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften Nini absetzte . Wir, also die Belegschaft, sind gleichzeitig Eigentümer und Aktionäre dieses Betriebes. Und es ist logisch, dass umso motivierter gearbeitet wird, je mehr man Anteil an seiner Firma und am Gewinn seines Arbeitsproduktes hat. Sprecherin: Vorwärts aus dieser hart erkämpften selbstverantwortlichen Position in den internationalen Wettbewerb! Und damit in die Sicherung der Zukunft dieses Betriebes auf dem gesamteuropäischen Markt, lautet bis heute die oberste Devise der inzwischen 460 Beschäftigten von Jugoremedija. Mit Mitteln aus rückgeführtem Kapital, hohen Bankkrediten und auch persönlichen Geldeinlagen wurden Produktionsanlagen modernisiert und weitere Voraussetzungen geschaffen, um die Produktpalette zu erweitern, vor allem um auch Antibiotika herstellen zu dürfen. O-Ton Deuri? Übersetzer Deuri?: Wir können nicht weiter prosperieren, können nicht über unsere Landesgrenzen hinaus expandieren, mit neu registrierten Produkten. Uns sind bis jetzt die Hände gebunden, auf dem freien Markt mit kapitalistischen Firmen in Konkurrenz zu treten. Man müsste uns nur eine Übergangsperiode einräumen, um in diesen Wettbewerb eintreten zu können. Sprecherin: Eine Frist also für Jugoremedija, um endlich alle Bedingungen für die Zertifizierung nach europäischen Produktionsstandards erfüllen zu können, worauf ja erst seit der kurzen Zeit der Übergabe der Firma in die Eigenverantwortung der Belegschaft hingearbeitet wird. Wozu beispielsweise die logistische Auslagerung der Herstellung von Antibiotika gehört. Allein deshalb haben 45 Vertreter der Versammlung der Kleinaktionäre eine GmbH gegründet, persönliche Kredite aufgenommen und Bauland im Industriegebiet von Zrenjanin aufgekauft. Unterdessen werden immer mehr Kleinaktionäre ungeduldig. O-Ton Markus Kada smo svi borili za povratak u firmu Übersetzer Marku?: Als wir alle um die Rückkehr in unsere Firma kämpften, ging es uns um den Erhalt der Fabrik, um die Arbeitsplätze, wie uns dies als Mehrheitseigentümer von 58 Prozent zugestanden hätte. Während der letzten drei Jahre haben etliche unserer Leute ihre Meinung geändert, vor allem die Professoren und diejenigen, die nicht mehr zur Fabrik gehören, die Pensionäre, die über die Jahre geglaubt haben, ihre Aktien verkaufen zu können. Das ist natürlich ein internes Problem für uns im Betrieb, weil da verschiedene Interessen aufeinanderprallen: die Aktien zu halten bis nach der GMP-Zertifizierung und damit der Wertsteigerung und eben dem Verkauf vorher, weil individuell Geld benötigt wird. Ich persönlich glaube, uns kann da nur ein strategischer Partner aus der eigenen Branche heraushelfen, sonst dürfte Jugoremedija das gleiche Schicksal widerfahren wie allen anderen. Mit der Sanierung der Fabrik als Voraussetzung für die Zertifizierung nach EU-Standard haben wir es immerhin geschafft, genügend Argumente beizubringen, dass die Produktion in Zrenjanin bleibt und damit die Arbeitsplätze auf längere Sicht hin auch. Musik (Allstars) Sprecherin: Jugoremedija ? ein Requiem? Am Ende der Utopie. In einem Staat ohne Eigenschaften und ohne Zukunftsperspektive, wie sie geradezu die Leitkultur war in der Ära des Sozialismus. Als williger Vollstrecker des Abbaus des Wohlfahrtsstaates, als hätte es die Errungenschaften Jahrzehnte langer sozialer und politischer Kämpfe überhaupt nicht gegeben. Kuschend vor dem hegemonialen Bewusstsein des liberaldemokratischen und neoliberalen Kapitalismus. Angststarr vor Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung, die womöglich nicht mehr unter Kontrolle zu halten wäre und in entsprechende Interessenrichtungen kanalisiert werden könnte. Fantasielos im Denken von Alternativen in der postkommunistischen Gegenwart. Die Frage nach der Zukunft bereits abgehakt und beantwortet. Jene nach der Vergangenheit für sinnlos, gar bedrohlich befunden. Als seien auf alle politischen Fragen die richtigen Antworten bereits gegeben. In einem Staat und in einer Gesellschaft mit inzwischen substanzieller Unempfindlichkeit den sogenannten sozialen Fragen gegenüber. Ohne die zum Beispiel eine derart radikale Veränderung der Eigentumsverhältnisse gar nicht möglich wäre. Kein Wunder, dass in diesem trüben Wasser gegen den Strom Schwimmende damit rechnen müssen, unterzugehen. Absage: Vorwärts in die Arbeiterselbstverwaltung. Notizen aus der serbischen Provinz. Ein Feature von Ursula Rütten Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2010. Es sprachen: Isis Krüger, Reinhart Firchow, Volker Niederfahrenhorst, Walter Gontermann und Axel Gottschick Ton und Technik: Hans-Martin Renz und Anne Bartel Regie: Axel Scheibchen Redaktion: Hermann Theißen 24