COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Miami in Meppen - und andere Angebote fürs Alter - Autoren Selzer, Christina (Beitrag 1 - 6'02") Arlt, Susanne (Beitrag 2 - 5'53") Gehring, Christoph (Beitrag 3 - 5'04") Mod. Julius Stucke Red. Stucke Sendung 15.02.2010 - 13.07 Uhr Länge 19.37 Minuten Manuskript Sendung MOD Die Lebenserwartung steigt, die Geburtenrate sinkt - das Resultat: die Gesellschaft wird älter. Stichwort: demographischer Wandel. Während die einen noch über die Ursachen sinkender Geburtenraten nachdenken wird andernorts bereits daran gearbeitet, sich auf die steigende Zahl alter Menschen einzustellen. Am Rand der niedersächsischen Stadt Meppen entsteht ein komplettes Dorf für Senioren. Mit allem was man so zum Leben im Alter benötigt. Supermarkt, Café, Pflege, Betreuung...Ist das die Zukunft des Alterns? Eine friedliche Rentneroase? Oder beginnen wir mit solchen Angeboten die Älteren abzuschieben - in abgeschottete Bereiche, abseits des Lebens und der Stadt? Gibt es dort wirklich alles zum Leben - oder fehlt vielleicht gerade der Kontakt zu Jüngeren, die gesunde Mischung? Christina Selzer hat den Seniorenpark besucht: Beitrag Seniorenpark Meppen / Selzer - 6'02" ATMO (Küche) AUTORIN Kaffeekränzchen im Haus von Christa Springfeld. Ihre Küche ist ein Treffpunkt für die Nachbarn, aber auch ihr eigenes Büro. Hier laufen alle Drähte zusammen. Christa Springfeld ist die gute Seele der Wohnanlage. Auf Emsländisch heißt sie: Die Kümmerin. OT 01 (Springfeld) Das ist eine Person, die sich um alles kümmert, was hier so anfällt. Pflege besorgen, Essen auf Rädern, Arztbesuche, Fußpflege, Garten, Einkäufe, das meiste wird Vermittlung sein und einiges will ich auch selber machen. AUTORIN Die 56-jährige ist Altenpflegerin und gelernte Sekretärin. Gartenarbeit macht ihr großen Spaß. Und deswegen wird sie auch die kleinen Vorgärten der Häuser mitbetreuen. Im Moment wohnen hier erst 8 Parteien. Es ist also noch nicht so viel los. Christa Springfeld betreut ein krankes Ehepaar. Schaut ab und zu vorbei. Organisiert das Essen auf Rädern für sie. Ist 24 Stunden bereit. Sie kennt sich damit aus: Ihr Mann ist pflegebedürftig und sitzt im Rollstuhl. Weil es in ihrem eigenen Haus nicht mehr ging, entschieden sie sich zuerst, für ein Seniorenwohnheim mit betreutem Wohnen: OT 02 (Springfeld) Da haben wir es genau ein Jahr lang ausgehalten. Dann habe ich gesagt: Ich muss hier weg. Das war ganz furchtbar. Sehr viele demente Leute die da wohnten und die einen den ganzen Tag belästigt haben. Und Vorteile habe ich nie gesehen. Man hätte eine Woche lang tot im Bett liegen können, das hätte keiner gemerkt. AUTORIN Als sie vom Seniorenwohnpark in Meppen erfuhr, klang das wie die ideale Lösung: Freistehende Eigenheime, alle ohne Treppen und barrierefrei gebaut. In die Badezimmer kann man leicht den Rollstuhl hinein schieben. Hier hat jeder sein eigenes Reich - kann aber auch mal bei den Nachbarn vorbeischauen. OT 03 (Springfeld) Ich denke, das werden viele sein, die keine Familie haben, keine Kinder und für die ist das ideal. AUTORIN Die Idee für den Seniorenwohnpark hatte der Meppener Architekt Josef Wulf. Er wird bald 65 Jahre alt und stellte sich die Frage: Wie möchten ältere Menschen leben? Er kam zu dem Schluss, dass diese große Zielgruppe in Deutschland vernachlässigt wird. Für Rentner mit mittlerem Einkommen gibt es zu wenig Angebote. OT 04 (Josef Wulf) Viele hatten ein Haus, oder Wohnungen, die ja früher ganz selten behindertengerecht und seniorengerecht gebaut wurden. Die sprechen wir jetzt an, hier einen Seniorenwohnsitz zu bekommen, wo sie komplett unabhängig bleiben. Sie entscheiden, wie sie leben, ihren Garten pflegen. Wie sie ihren Tag verbringen. Nur wenn Hilfe erforderlich ist, dann ist jemand da, der sich um diese Personen kümmert. AUTORIN Wulf ließ sich zwar von den Seniorenwohnparks in den USA inspirieren. Doch Meppen ist nicht Miami und so erinnert das norddeutsche Neubaugebiet mit den Häusern aus Klinkersteinen eher an kleine Feriensiedlungen in den Niederlanden als an große Seniorenstädte im sonnigen Süden der USA. In den nächsten Jahren sollen hier mehr als 40 Häuser gebaut werden. Auf dem fast 2 Hektar großen Gebiet werden dann rund 80 ältere Menschen wohnen. Die Straßen werden verkehrsberuhigt sein und keine hohen Bordsteine haben. Keine Stolperfallen entstehen. Mit dem Rollator geht es ohne Hürden durch die Anlage. Schön viel Grün, direkt nebenan Wald und der Dortmund-Ems-Kanal. Zwischen zwei Wohngebieten, aber immerhin anderthalb Kilometer vom Zentrum der Stadt Meppen entfernt, wirkt die Anlage zurzeit noch etwas verlassen. Für Marliese Tennbusch genau das richtige: OT 05 (Marliese Tennbusch) Ruhe! Hier fährt kein Bus, hier fährt kein LKW. AUTORIN Die 75-jährige und ihr Mann zogen vor einem halben Jahr hierher und tauschten ihr Haus in Meppen gegen ein Haus im Seniorenwohnpark am Heideweg. OT 06 (Tennbusch) Das war nix. Wenn man nicht mehr hochkommt, in die Schlafräume oder Keller. Treppe konnte ich nicht hochgehen. Ich habe Arthrose. AUTORIN Es ist ihr überhaupt nicht schwergefallen wegzuziehen. Und aufs Abstellgleis gestellt fühlt sie sich auch nicht. Ihre erwachsenen Kinder wohnen in der Nähe und können sie jederzeit besuchen. Von der Alltags-Hektik hat Marliese Tennbusch jedenfalls genug. OT 07 (Tennbusch) Wo wir wohnten, da hatten wir ein Eckhaus. Das war ganz schlimm und die LKWs und Busse haben da abgekürzt. Das war laut! Und so viele Betrunkene, die kamen um 4 Uhr morgens nach Hause. Und da lag alles voller Flaschen, und Geschrei morgens um sieben. AUTORIN Ältere Menschen möchten sich nicht mehr über betrunkene Jugendliche, Müll oder Lärm ärgern - sie wollen ihre Ruhe haben, meint die Kümmerin Christa Springfeld. Häufig werde behauptet, dass Senioren lieber am normalen Leben teilnehmen möchten. Doch das stimme nicht, sagt Frau Springfeld. Sie hat nämlich beobachtet, dass ganz andere Bedürfnisse herrschen: Langsamkeit, Ruhe, und jemand, der sich kümmert. OT 08 (Springfeld) Das haben sie in einer normalen Siedlung nicht. Da wohnen nebenan Leute mit kleinen Kindern, da wohnen Alleinstehende, da wohnen mittel alte Leute, die morgens zur Arbeit gehen. Da haben sie eine völlig andere Struktur. AUTORIN Im Sommer soll ein kleines Cafe eröffnen, und auch ein Kiosk, wo die Bewohner des Seniorenwohnparks das nötigste einkaufen können. Außerdem wollen sie auf dem Gelände Gymnastikkurse anbieten. Wer hier wohnt, soll alles direkt vor der Tür haben. Einschließlich Betreuung. 13 Grundstücke sind schon verkauft, einige reserviert. Und der Architekt Josef Wulf hofft trotz Finanzkrise, dass er im Frühjahr die Hälfte der 43 Grundstücke verkauft hat. OT 09 (Wulf) Das ganze ist schon auf eine gewisse Gemeinschaft aufgebaut. Nach dem Motto, ich mache deinen Garten, du gehst für mich einkaufen und dafür gehen wir am Abend gemeinsam essen oder grillen auf der Terrasse, je nachdem was man da möchte. . AUTORIN Ob diese Idealvorstellung in Erfüllung geht, wird sich herausstellen, wenn hier mehr Menschen wohnen. Ein bisschen ist es ja auch ein Experiment. -ENDE Meppen- MOD Vom niedersächsischen Meppen - nach Sachsen-Anhalt. Ein Land, das besonders stark von Bevölkerungsschwund betroffen ist. Viele ziehen weg aus Sachsen-Anhalt - besonders aus ländlichen Regionen - zurück bleiben vor allem ältere Menschen. Und für sie gibt es in den Dörfern oft nicht mehr die notwendige Infrastruktur: Einkaufsmöglichkeiten und Betreuungsangebote werden weniger, Busse fahren seltener... Diesem Problem will die dünn besiedelte Region Jessen mit sogenannten Einkaufsbussen begegnen. Seit Dezember läuft, vorerst auf zwei Jahre angelegt, das Modellprojekt Einkaufsbus - Susanne Arlt ist mitgefahren: Beitrag Einkaufsbus in Sachsen-Anhalt / Arlt - 5'53" ATMO (Busfahrt) AUTORIN Busfahrer Jörg Warneck ist auf dem Weg nach Rehain. Das 200 Einwohner Dorf nördlich der Stadt Jessen ist der erste Stopp auf seiner Route. Einkaufsbus steht in grauen Lettern draußen am Display. Warneck lenkt den 12-Meter-langen Koloss geschickt durch schmale Gassen und über holpriges Kopfsteinpflaster. Dienstags und freitags fährt er diese Tour. Auf drei unterschiedlichen Strecken sollen die Einkaufsbusse vor allem ältere Menschen in den Dörfern abholen und ihnen den Weg in die Stadtmitte erleichtern. Die Fahrten sind so geregelt, dass ein zweistündiger Aufenthalt in Jessen möglich ist. Acht Uhr früh: am hölzernen Wartehäuschen in Rehain steht noch keine Menschenseele. Der Busfahrer zuckt mit den Schultern, harrt ein paar Sekunden aus, macht dann eine scharfe Wendung. Bislang seien auf jeder seiner Einkaufs-Tour Fahrgäste eingestiegen, sagt er. OT 01 (Jörg Warneck) Also die älteren Leute begrüßen es eigentlich schon deswegen, weil sie da ein bisschen unabhängiger sind, Arztbesuche, Einkauf, das sind die Sachen, die eigentlich genutzt werden. Ich denke, es ist auf jeden Fall eine gute Idee gewesen. ATMO (Bus) AUTORIN Auch im Nachbarort Ruhlsdorf hat Jörg Warneck kein Glück. Der Bus mit 44 Sitzplätzen bleibt leer. Immerhin, sagt Warneck, fahren wir mit Gas. Das sei umweltfreundlicher als mit Diesel. Jörg Warneck drückt aufs Pedal - auf zum nächsten Halt. Seit Dezember rollt der Einkaufsbus durch die Dörfer - soll an den Markttagen immer vormittags die Menschen ins Stadtzentrum von Jessen bringen. Dort sitzt Bürgermeister Dietmar Brettschneider in seinem Büro, schaut ein bisschen nachdenklich. OT 02 (Dietmar Brettschneider) Die Auslastung ist im Moment nicht ganz so, wie wir uns das vorstellen, da müssen wir auch ganz ehrlich sein. AUTORIN Schuld daran sei das schlechte Wetter, sagt der Bürgermeister, darüber hinaus, so vermutet er, wisse noch nicht jeder Bürger von der Existenz der Einkaufsbusse. Immerhin, im Dezember hätten 150 Menschen von dem Angebot Gebrauch gemacht. Die Stadt Jessen hat 41 Ortsteile. Flächenmäßig ist sie eine der größten Gemeinden in Sachsen-Anhalt - und besonders dünn besiedelt: mit 46 Einwohnern pro Quadratkilometer. Der demographische Wandel mache auch vor Jessen nicht halt, sagt Dietmar Brettschneider. OT 03 (Dietmar Brettschneider) Der Wandel, vor allem in den dörflichen Bereichen, ist schon sehr prekär und dort gucken wir auch mit großer Sorge hin, denn wir stellen dass ja daran fest, dass heute in den Dörfern immer mehr Gebäude und Wirtschaften leer stehen. Das ist für uns schon gravierend und wir müssen eben schauen, dass wir diese Dörfer nicht noch weiter vom Leben abhängen. AUTORIN Tante-Emma-Läden sind auf den Dörfern in Sachsen-Anhalt inzwischen eine Seltenheit. Um die Versorgung der älteren Menschen kümmern sich meistens die Kinder oder Enkel, sagt der Bürgermeister. Besonders schwer hätten es alleinstehende Frauen, zumal diese oft keinen Führerschein besäßen. OT 04 (Dietmar Brettschneider) Diese Frauen sind heute oftmals in den Familien übrig geblieben, weil die Ehemänner weggestorben sind. Und sind jetzt natürlich an ihr Dorf gebunden, und wir wollten erreichen, dass die natürlich auch diese Geschäfte nutzen können, um ne Kommunikation zu haben und da halte ich dann solche Dinge für sehr sehr gut. ATMO (Bus) AUTORIN Zurück im Einkaufsbus - Jörg Warneck ist inzwischen auf seiner zweiten Tour. Auch die führt ihn durch verschneite Landschaften und abgelegene Ortsteile der Stadt Jessen. In Düßnitz sieht er zwei Frauen am Straßenrand stehen. Jörg Warneck grinst, die Tour war doch nicht ganz umsonst, sagt er leise. Die beiden Frauen warten dick eingemummelt: warme Jacken, Fäustlinge an den Händen, Wollmützen auf dem Kopf. ATMO (Bus hält an, Tür auf, "zum Markt?" - "Hält er am Markt und zurück?" ... Tür wieder zu) AUTORIN Die beiden Frauen laufen bis zur Mitte des Busses, setzen sich. Ingrid Weber nimmt die Mütze vom Kopf. Fast jede Woche fahre sie mit dem Bus zum Einkaufen, erzählt sie. Die normalen Linienbusse würden zu unmöglichen Zeiten fahren und die Schulbusse seien ihr einfach zu voll und zu laut. OT 05 (Ingrid Weber) Und wenn Ferien sind, dann fährt der zehn nach neune gar nicht, ganz schlecht ist das, das ist gut hier. AUTORIN Ins Zentrum von Jessen möchte Ingrid Weber aber nicht ziehen. Die 70- jährige ist in Düßnitz geboren, ihr Mann liegt auf dem Dorffriedhof begraben. Der Konsum habe Anfang der 90er Jahre geschlossen, erinnert sie sich. Die Versorgung im Dorf wird seitdem von Jahr zu Jahr schlechter. Ihre Freundin Waltraut Heidenreich pflichtet ihr bei. Zweimal in der Woche kommen ein Bäcker und ein Fleischer ins Dorf. Mit dem Angebot sind die beiden Frauen aber alles andere als zufrieden. OT 06 (Ingrid Weber/Waltraut Heidenreich) Und die paar Einkaufswagen, die kommen, da hat man immer das Gleiche. Und in den Verkaufseinrichtungen kann man sich mal was Anderes aussuchen. ... Ja und freitags, wenn der Bäcker kommt, der hat manchmal keine Brötchen mehr oder hat kein Brot mehr. ... Ach dann sind wir mal unterwegs und von zuhause weg, auf dem Dorf haben wir sowieso nichts und da treffen wir mal Bekannte in Jessen, ganz prima. AUTORIN 20 Minuten dauert die Fahrt. Vor seinem Ziel legt Busfahrer Jörg Warneck noch einen Zwischenstopp ein - am Stadtfriedhof. Eine gute Idee, findet Waltraut Heidenreich. Freunde liegen dort begraben. Die will die 69-jährige heute aber lieber nicht besuchen. Heute möchte sie mit ihrer Freundin zum Einkaufen auf den Markt. OT 07 (Waltraut Heidenreich) Ja ist gut, dass der auf dem Markt hält. Man kann noch essen gehen, ja, der Imbiss ist gleich am Markt, das bietet sich an, wenn man einmal in Jessen ist. Ich finde das schön. - ENDE Sachsen-Anhalt - MOD Abschließend kehren wir noch einmal an den Ausgangsgedanken zurück. Steigende Lebenserwartung, sinkende Geburtenrate, eine alternde Gesellschaft. Wir haben unseren Autoren Christoph Gehring gebeten zu suchen - nach einem Ort, einem Dorf wo diese Entwicklung bereits auf dem Höhepunkt ist. Und es scheint - als habe er einen solchen gefunden. Das Altendorf - von heute. Und wo er schon mal unterwegs war - hat er sich gleich noch der Zukunft gewidmet: dem Altendorf - von morgen. Beitrag Altendorf: Die Zukunft / Gehring - 5'04" Autor Altendorf. Der Name ist Programm. Das Dorf der Alten. Zum Beispiel 45143 Altendorf, Stadt Essen, Ruhrgebiet. Schön ist es nicht hier, im Schatten der Brachen der, naja: alten Krupp-Werke. Hier bist du entweder jugendlich und hast einen Migrationshintergrund - oder du bist alt und zurückgezogen. Musik (Herz-Schmerz-Polka) Autor Dann sitzt du auf deinem beigen Plüschsofa, stellst deine Füße in braunbeige gewürfelten Filzpantoffeln auf den braunen Teppichboden und hörst Musik vom Plattenspieler, der in der Schrankwand steht. Eiche, klar. Rustikal. Du bist alt. Und du bleibst alleine. Denn du hattest nie eine eigene Familie und jetzt ist der Arbeitsmarkt für Pflegekräfte leergefegt. Bald bist du so alt, dass du vom Altendorf ins Altenghetto umziehen musst. Ins Heim. Die letzte Hoffnung für deinen Herzschmerz ist jünger als du, aber auch nicht mehr jung: Martin Becker. Martin Becker hat einen Doktortitel der Ingenieurwissenschaft, eine Anstellung beim Fraunhofer-Institut für experimentelles Software-Engineering und eine Idee. OT 01 (Martin Becker) Das ist ja die Hauptidee, die wir verfolgen, nämlich dass die Leute länger in ihren eigenen vier Wänden wohnen bleiben. Autor Ach ja, das wäre schön. Länger dort wohnen zu bleiben, wo du schon immer gewohnt hast. Zuhause. Mit Unterstützung. Assistenz. Es mag sein, dass du alt bist - deine Assistenten der Zukunft sind digital und funktionieren mit Strom und sie fragen nicht nach Mindestlohn, sondern nach deinem Wohlbefinden. OT 02 (Computer) Geht es Ihnen gut? Geht es Ihnen gut? Geht es Ihnen gut? Geht es Ihnen gut? Musik (Star Trek) Autor Wenn es dir nicht gut geht, weil du zum Beispiel hingefallen bist und nicht mehr aufstehen kannst, dann sendet dein Gehstock, der mit umgefallen ist, ein Signal an deine digitale Chefassistentin. OT 03 (Computer) Bitte stellen Sie den Stock schnell wieder auf, sonst hole ich Hilfe. Autor Und das tut sie mit digitaler Erbarmungslosigkeit. OT 04 (Computer) Ich baue eine Verbindung mit der Rettungsleitstelle auf. Autor Der Beginn einer wunderbaren, computergestützten, lebensverlängernden Freundschaft aus der Zukunft des Altseins. OT 05 (Martin Becker) Zurzeit heißt unser System "Amica", für Ambient Intelligent Care and Assistance. Also die Amica, die Freundin sozusagen, die um einen rum ist und einem im Alltag über die Schulter schaut und darüber nachdenkt, wie sie vielleicht situationsgerechte Unterstützung anbieten könnte. Autor Dein digitales Altendorf ist von unmenschlicher Freundschaftlichkeit durchweht - und zwischendrin haucht dich sanft der Geist Orwells an. 1984 goes reality. Musik (1984/ Bowie) Autor Die totale Überwachung. Überall. Am Tag und noch mehr in der Nacht. OT 06 (Martin Becker) Also es gibt zum Beispiel Druckmatten, die man ins Bett legen kann und die dann auch feststellen, gab es Aktivitäten im Bett. Also wenn es keine Aktivitäten mehr im Bett gibt und diese Druckmatten belastet sind, dass ist das typischer Weise auch ein recht schlechtes Zeichen. Autor Denn wer im Bett keine Aktivität mehr zeigt, der ist möglicherweise tot. Du willst in deinem Altendorf bleiben? In deinem Wohnzimmer in beigebraungrün? Du willst nicht ins Heim, sondern dann, wenn du nicht mit Jupp von gegenüber zur Kneipe und mit Erna von früher zum Supermarkt schlurfst, zuhause und trotzdem betreut leben? Nimm die Gelegenheit wahr, gib deine Privatsphäre auf und dich deiner intelligenten Umgebung hin. OT 07 (Martin Becker) Generell ist es natürlich schon so, dass man einen gewissen Teil seiner Privatsphäre aufopfert dadurch, dass diese intelligente Umgebung wie eine Art Mitbewohner den Tagesablauf der Person verfolgen kann und auch seine Schlüsse zieht - wie das halt bei einem realen Mitbewohner auch der Fall wäre. Autor Ein realer Mitbewohner würde mit deinen Freunden tratschen - im Altendorf der Zukunft tratschen RFID-Chips mit dem zentralen Steuercomputer. Nichts entgeht ihnen und nichts ist ihnen egal. Nicht mal OT 08 (Computer) In Ihrem Kühlschrank ist Ketchup abgelaufen. Autor Im realen Altendorf, ist die Zukunft noch weit weg. Hier ist alles beim Alten für die Alten. Keine Wachcomputer, keine Warnchips, keine virtuellen Aufpasser. Aber diese Zukunft, deine Altseinszukunft wird kommen. Sie muss kommen mit Ketchup-Bewachung, Umfall-Notruf, Nachtaktivitätssensor und vor allem mit der aufpassenden Trinktasse. Die ist besonders wichtig... OT 09 (Martin Becker) ...weil wir in den Gesprächen mit Pflegekräften feststellen mussten, dass ältere Leute einfach zu wenig trinken. Deshalb war einer der ersten Demonstratoren eine intelligente Tasse, die Trinkaktivitäten misst und dann über die Zeit feststellen kann, ob die Trinkaktivitäten abnehmen. OT 10 (Computer) Sie sollten mehr trinken. Sie haben bisher zu wenig getrunken. Autor Der einzige Trost, der die bleibt, wenn dich die digitale Alterspflege nervt: Du kannst dein Hörgerät abschalten. Der Soundtrack deines Lebens dringt trotzdem durch. Aus dem Plattenspieler in der Eicheschrankwand, die auf dem braunen Teppichboden gleich neben deinem beigen Sofa steht. - ENDE Altendorf - - ENDE SENDUNG - 1