COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport Deutschlandfunk Kultur 28.4.2017, 13.07 Uhr Pflastersteinromantik & Revolutionsmythos Erinnerungen an den 1. Mai 1987 in Kreuzberg Von Julius Stucke MUSIK 01: Einstürzende Neubauten "Maifestspiele" (Mischung aus atmosphärischen Sounds und Original Atmo von damals) kurz frei - dann drunter & zwischendurch frei OT 01 (Michael Prütz, Kreuzberger, in einigen Jahren Demo-Mitorganisator) Der 1. Mai 1987 war ja eigentlich ein ganz normaler Tag. Es war ein Familienfest. Es herrschte eine absolut ruhige und friedliche Stimmung. OT 02 (Ausschnitt RIAS 1) Jingle: Rias 1 Abendreport Sprecherin: Die Innenverwaltung meldete am Nachmittag, dass 42 Personen festgenommen und 10 Verletzte Polizisten ins Krankenhaus gebracht wurden. Eine U- Bahn-Linie wurde teilweise lahmgelegt OT 04 (Tine Hauser-Jabs, damals Kreuzbergerin, AL, heute Grüne in Berlin) Das fühlte sich schon sehr ernsthaft an. Die Menschen waren wütend. OT 05 (Berliner Polizist) Wer nen Stein schmeißt, schmeißt nen Stein. Ob das einen politischen Gedanken dahinter hat oder nicht, ist für uns unerheblich. Es gibt Punkte wo ich sage: ja, da haben sie Recht, das muss angesprochen werden. Aber bitte friedlich. OT 06 (Tagesschau) Guten Abend meine Damen und Herren. Zu den schwersten Krawallen seit Jahren ist es gestern Abend in Berlin Kreuzberg gekommen. Sie waren gestern Abend am Rande eines Straßenfestes ausgebrochen und dauerten bis zum frühen Morgen an. Zahlreiche Geschäfte wurden geplündert und zum Teil in Brand gesetzt. (...) MUSIK TRENNER 02 30 Sek. (Ton Steine Scherben, Macht Kaputt was...) Radios laufen, Platten laufen, Filme laufen, TV's laufen, Autos laufen, Häuser kaufen, Möbel kaufen, Reisen kaufen Wofür? Macht kaputt was Euch kaputt macht! Sprecherin Am Anfang der Geschichte ist der 1. Mai 1987 ein ganz normaler Tag. Am Ende...ist er ein Mythos! OT 07 (Michael Prütz) Das war der Mythos, nämlich der: die Linke ist nicht allein... Sprecherin Michael Prütz. Kreuzberger. Linker. (Prütz mit langem Ü) OT 07 (Michael Prütz, fortgesetzt) ...die Bevölkerung wehrt sich und sie lässt sich nicht alles gefallen. Sprecherin Warum eskalierte es damals? Auf die Frage gibt es viele Antworten. OT 08 (Michael Prütz) Man kann Kreuzberg damals nicht mehr mit heute vergleichen es war ein total runtergekommener, armer Bezirk. Es war eine arme Bevölkerung, die eh schon sich provoziert fühlte durch die bombastischen Feiern zum 750. Jahrestag Berlin. OT 09 (Walter Momper, SPD, in Abgeordnetenhaus-Debatte) Die Menschen dort sind Arm, weil arbeitslos. (...) Ein Normal-Einkommens-Bezieher kann wohl kaum nachvollziehen, was es für einen Sozialhilfeempfänger heißt, wenn die Brennstoffhilfe nicht reicht. Dann muss er frieren! Buchstäblich!... Sprecherin Walter Momper, SPD, damals Opposition - in einer Debatte im Abgeordnetenhaus. MUSIK 03 (Ton Steine Scherben, Einheitsfrontlied) - 10 Sek instrumental unterlegen, dann Song-Text frei OT 09 (fortgesetzt)...Soziale Not, soziale Spannungen bleiben auf Dauer nicht unter der Decke. Sie brechen aus. MUSIK 03 (fortgesetzt) Und weil der Mensch ein Mensch ist, d'rum braucht er was zu fressen, bitte sehr Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt, das schafft kein Fressen her. OT 10 (Ausschnitt RIAS, Interview mit Innensenator Kewenig) Interviewer: Nun wird behauptet, die schlechte soziale Situation in Kreuzberg sei die Ursache für die Krawalle. Trifft das so zu? Kewenig: So ganz sicher nicht. Es gibt überhaupt keine soziale Situation, die es rechtfertigen würde, dass Dinge passieren, wie sie am Freitag passiert sind.... Sprecherin Wilhelm Kewenig, CDU, damals Berliner Innensenator. OT 10 (fortgesetzt) ...Außerdem muss man sehen, das mindestens die Hälfte derjenigen, die da mitgemacht und mitgeplündert und mitgebrandschatzt haben, in gar keiner Weise irgendetwas mit den sozialen Problemen in Kreuzberg zu tun haben. Die kommen nämlich aus Westdeutschland oder aus Zehlendorf oder Lichtenrade und kennen soziale Probleme gar nicht. MUSIK 04: Einstürzende Neubauten "Maifestspiele" (Mischung aus atmosphärischen Sounds und Original Atmo von damals) kurz frei - dann drunter Sprecherin Warum eskalierte es? Vermutlich ist die Antwort ein Pflaster aus vielen Steinen. Die Situation der Bevölkerung. Eine linke Szene, die alles andere als ein homogener Block war. Manche nah an der Politik, andere ganz weit entfernt. Manche organisiert, andere anarchistisch. Einige zerstritten. Alternative Liste. Autonome unterschiedlichster Ausprägung. Hausbesetzer die verhandeln und solche, die das ausschließen. Erste Yuppies im Bezirk. Ein im Vergleich zu heute: repressiverer Staat. Einer, der in jenem Jahr sein Volk zählen will. Nicht alle im Volk wollen sich zählen lassen. Ein Büro im Mehringhof, das den Volkszählungsboykott organisiert, wird ausgerechnet am Morgen des 1. Mai von der Polizei durchsucht. Es ist eine explosive Mischung. Die an jenem Abend am Lausitzer Platz in Kreuzberg entzündet wird. OT 11 (Ausschnitt SFB - Bericht) Reporter: Am Rande eines friedlichen Straßenfestes am Freitagabend werden ein Bauwagen und ein Polizei-Bulli umgekippt, Einsatzkommandos der Polizei treten auf den Plan, blitzartig ist das Straßenfest in eine Bürgerkriegsartige Szene verwandelt. (...) Geräusche: lautes Knallen, splittern Polizist: was machen sie da? Reporter: was machen sie da? Damit war ich gemeint und mit diesen Worten riss mir der Leiter des Trupps das Kabel aus dem Mikrofon. Die weiteren Aufnahmen musste ich mit einem Ersatzmikro machen. OT 12 (Tine Hauser-Jabs, damals Kreuzbergerin, AL, heute Grüne in Berlin) Die Leute waren gut drauf, es war voll mit Familien, auch meine Tochter war da, die WGs, Freunde, es war gerammelt voll.... Sprecherin Tine Hauser-Jabs. Damals Kreuzbergerin. Links. Politisch aktiv. Heute bei den Berliner Grünen. OT 12 (fortgesetzt) ...Und wir hatten auch einen Keks gegessen, Marihuana Keks, und dann kam der Moment, da dachte ich: ist der Keks so stark oder geht es hier so ab? Das war der Moment wo alles kippte und wo Massenpanikartig die Leute sich bewegt haben ATMO 01 (Archivmaterial, Polizei rückt vor, Tränengas-"Schüsse", Schreie, Glas - frei dann drunter, evtl. nochmal hoch und Schluss) OT 13 (Michael Prütz) Ich stand auf dem Fest, unterhielt mich mit Freunden - und auf einmal flogen Tränengasgranaten. In dieses Fest rein. Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass wohl am Rande kleinere Provokationen gab gegen die Polizei und so. Jedenfalls gab es einen massivsten Tränengaseinsatz gegen dieses Fest. Eine riesige Panik brach aus. Aber es gab eben auch einen großen Teil von Leuten, die sich dann zusammengerissen haben und mit Steinen auf die Polizei losgegangen sind, Barrikaden gebaut haben und so. OT 14 (Tine Hauser-Jabs) Alles rannte. Und ich hab zeitgleich geguckt, wo ist meine Tochter. Die war 12. Und dann haben wir uns getroffen und zwar an der U-Bahn... ATMO 02 (Archivmaterial von dem was sie gleich anspricht, Rhythmisches Schlagen, erst eine Weile frei, dann drunter) ...die läuft da ja über der Erde und steht auf so einem industriellen Eisengerippe und dieses Eisengerippe wurde dann Musikinstrument. Überall waren Menschen, die schlugen rhythmisch an dieses Eisen, das war total wahnsinniger Sound, das brachte nochmal so einen Klangteppich über das Ganze. ATMO 02 (noch mal frei und Schluss) MUSIK TRENNER 05 30 Sek. (Ton Steine Scherben, Macht Kaputt was...) Bomber fliegen, Panzer rollen, Polizisten schlagen, Soldaten fallen, die Chefs schützen, die Aktien schützen, das Recht schützen, den Staat schützen Vor uns! Macht kaputt was Euch kaputt macht! OT 15 (Berliner Polizist) 1. Mai '87 war ganz normal, täglicher Dienst, Nachmittags auf der Dienststelle, gerade mit Sport betätigt. Und dann kam die Vorabinformation, dass sich in Kreuzberg was zusammenbraut. Sprecherin Auch für diesen Berliner Polizisten beginnt der Tag also normal. Aber auch für ihn, auch für die Polizei: endet er ganz anders. OT 16 (Funkspruch Berliner Polizei 1. Mai, schwer zu verstehen, aber atmosphärisch stark) Süd301, Süd301, maskierte, ca. 20 Personen stürmen auf uns zu. Die schmeißen Steine! Die schmeißen Steine! Wo? Manteuffel 92. Hilfe! (...) Alle Verfügbaren Kräften brechen Einsätze ab und fahren zur Manteuffel 92. (...) Ich selbst bin verletzt und möchte mit der Feuerwehr ins Krankenhaus ATMO 03 (Archivmaterial, Steine und Menschen) - frei dann drunter, evtl. nochmal hoch und Schluss) OT 17 (Berliner Polizist) Kann mich noch genau erinnern, sind am Lausitzer Platz angekommen. Haben ne riesige Menschenmasse Vermummte vor uns gesehen, ich war der erste, der vom Wagen abgestiegen ist und hab sofort nen Stein in die Stelle wo nen Mann det am liebsten nicht haben möchte - knapp daneben - abbekommen und dann einen am Daumen. Sind dann raus. Ja. Ich sag mal: relativ chancenlos. Wir waren mit einem Zug da, rund 20 Beamte, bis dann die anderen Kräfte nachgezogen wurden, War schon eine beängstigende Situation. OT 18 (Tine Hauser-Jabs) Es war einfach eine unglaubliche Brutalität mit der die Polizei dann in dieses fröhliche Fest eingedrungen ist - es war jetzt sicher so, dass da nicht alle mit Blumen im Knopfloch waren, oder friedfertig, sondern wir hatten natürlich immer auch eine Hardcoreszene. Aber in ein Fest reinzugehen in so einer Art und Weise, das war vollkommen unverhältnismäßig. OT 19 (Ausschnitt SF Beat, Interview telefonisch mit Innensenator Wilhelm Kewenig) Nach unseren Informationen ist keineswegs provoziert worden. Aber selbstverständlich ist es so, dass man hinterher immer einen Schuldigen und möglichst die Polizei sucht. Sprecherin Innensenator Kewenig. Und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, CDU: OT 20 (Diepgen, Regierender Bürgermeister) Das war pure, nackte Gewalt gegen diese Stadt und ihre Menschen. Ich wüsste nicht, was man daran verteidigen oder verstehend erklären könnte. OT 21 (Michael Prütz) Es gibt da ne Menge Abenteurer die immer denken wir brauchen eine Schlacht mit der Polizei. Aber das ist Kinderkram. Aber hier ging es darum, dass die Bevölkerung sich gegen einen massiven Übergriff der Polizei gewehrt hat. OT 22 (Berliner Polizist) Also gut, ich kann es nur aus meiner Sicht sagen als der, der da mit Steinen beworfen wurde. Hmmm, ja...ob wir da zu aggressiv gegen Unbeteiligte?...ich sag mal: in so einem Bereich, wo es schwerste Ausschreitungen gibt und die Polizei dann agiert: habe ich kein Verständnis für. Weil wer sich da dann aufhält ist entweder solidarisch mit den Straftätern und gibt dem Deckungsraum - und darf sich da nicht wundern, wenn die Polizei dann irgendwann ne Aktion startet. Sprecherin Wer hat wen provoziert? Hat eine, die andere oder haben beide Seiten unverhältnismäßig reagiert? Zwischen Polizisten und Innenpolitikern auf der einen - und ihren Gegnern am 1. Mai '87 auf der anderen Seite, wird man nicht mehr auf einen Nenner kommen. In einem aber sind sich beide Seiten vermutlich einig: die Polizei-Strategie hat nicht wirklich funktioniert. OT 23 (Polizist) Wir haben unsere Einsatzbefehle vom Zug bzw. vom Bereitschaftsführer bekommen. Wir auf der Straße hatten ja kein Funkgerät damals, so dass ick gar nicht sagen kann, was für Befehle von oben kamen. Wir haben nur mitgekriegt, was der Zugführer umgesetzt hat. Pass uff, wir haben jetzt den Auftrag zu sperren oder den Auftrag den Lausitzer Platz zu räumen. Das haben wir an dem Abend unzählige Male gemacht. Raufgerannt, die Menge ist weggerannt, hat sich in den Straßen verteilt, dann war mal 10 Minuten Ruhe - und hat sich wieder versammelt. OT 24 (Tine Hauser-Jabs) Aber man kann nicht praktisch die Gesamtbevölkerung überwalzen und das war auch der Grund, warum es aus dem Ruder gelaufen ist. Hätte sich die Polizei auf einige konzentriert, die gewalttätig waren, wäre es nicht aus dem Ruder gelaufen, das ist unsere Analyse damals gewesen. Dadurch, dass sie der Gesamtbevölkerung gesagt haben, wo der polizeiliche Hammer hängt, gab es auch ne irrsinnige Solidarisierung und ne tierische Wut. OT 25 (Polizist) Heute wird wirklich gezielt geguckt: wo sind die Straftäter, wer wirft Steine, man versucht es beweiskräftig zu dokumentieren, mit Video oder Foto und dann versucht man gezielte Festnahmen zu machen.Gezielte Festnahmen. Und nicht einfach nur rin und allet niederknüppeln. MUSIK TRENNER 06 30 Sek. (Ton Steine Scherben, Macht Kaputt was...) Züge rollen, Dollars rollen, Menschen schuften, Maschinen laufen, Fabriken bauen, Maschinen bauen, Motoren bauen, Kanonen bauen Für wen? Macht kaputt was, Euch kaputt macht! Sprecherin Irgendwann muss sich die Polizei an diesem Abend aus Teilen Kreuzbergs zurückziehen. Auch das macht den Mythos des 1. Mai '87 aus. Man hat die Polizei für ein paar Stunden aus dem Kiez vertrieben. Plünderungen und Zerstörung nehmen in der Nacht einen ziemlich ungezügelten Lauf. Später verspüren manche Katerstimmung: wegen ungezielter Zerstörung und auch Gewalt untereinander. Zitator (Aus: Wildcat Herbst 1987, Seite 28) Bei den "Autonomen" herrschte zunächst Hochstimmung, die öffentlichen Bekundungen klangen aber eher betreten: die Situation war ihrer Kontrolle entglitten: Alkohol, Sexismus, kleine Läden geplündert.... Sprecherin Schreibt die linke Zeitschrift Wildcat rückblickend im Herbst '87. Zitator (fortgesetzt) ...Die erste Reaktion: Plakate und Flugblätter mit einer politischen Distanzierung von diesen Praktiken und Sammelbüchsen für die kleinen Ladenbesitzer. MUSIK XX NOCH UNKLAR: evtl. Bolle-Bumm-Basta, frei dann unterlegen OT 26 (Archivmaterial, Statements von damals, aus Bericht von Robert Brammer) Also ich fands echt geil, dass Bolle gebrannt hat, ja. OT 27 (Michael Prütz) Die Sache ist komplett aus dem Ruder gelaufen. Es wurden sämtliche Geschäfte geplündert, wo man irgendwie nen Zugriff hatte. Es war die Bevölkerung. Also die Plünderung im Bolle Supermarkt war massiv von der Bevölkerung, die mit Einkaufswagen alles ausgeräumt hat. Ich hab den Bollesupermarkt noch betreten bevor er abgebrannt wurde, da lag noch im ganzen Supermarkt eine Tüte Blumenerde! Das wars. Sprecherin Auch ein Mythos. Der Supermarkt Bolle in der Mitte des alternativen Kreuzbergs wird erst geplündert. Dann brennt Bolle. Jahre später bekennt ein unpolitischer Pyromane - er sei das gewesen. Zufall also - nicht antikapitalistischer Widerstand. OT 28 (Tine Hauser-Jabs) Und es war natürlich Revolutionsromantik, diesen Brand dann dieser Nacht und den Ereignissen zuzuschreiben. Ich finde so ein romantisierender Blick auf Plünderungen - den teile ich überhaupt nicht. Also mein Verhältnis zum Plündern ist so, dass ich sage: niemanden ausnehmen, der seine Arbeit in einen kleinen Laden steckt, seine Familie ernährt, Plündern ist keine Option. Auf der anderen Seite: wenn Leute am Existenzminimum sind... OT 28a (Michael Prütz) Wenn die Leute sich in Bewegung setzen, ist nicht immer alles schön, aber so isses eben. Damit muss man leben. OT 29 (Halis Sönmez, Kreuzberger, Besetzer, myfest-Organisator) In dem Augenblick, wo dieser Angriff von der Polizei da war. Habe ich da noch okay gefunden. Sprecherin Halis Sönmez. Damals wie heute Kreuzberger. Er lebte mit seinen Eltern in einem Haus - das besetzt wurde. OT 30 (Halis Sönmez) Mein Vater fand es komisch, ich hab ihm erzählt: Papa, Du brauchst jetzt keine Miete zu zahlen. Und hat er gesagt, sach mal, bist Du nicht ganz Dings? Ohne Miete kann ich hier nicht wohnen. Du kannst doch Eigentum nicht besetzen und keine Miete zahlen. Und er hat immer Angst gehabt, dass, wenn er die Miete nicht zahlt, dass er dann irgendwie zurückgeschickt wird. Und er hat tatsächlich in diesem Haus die Miete als einziger immer bezahlt. Sprecherin Am 1. Mai '87 war Halis Sönmez Anfang 20 und überzeugt dabei. OT 31 (Halis Sönmez) In dem Augenblick hab ich das okay gefunden. Und ich war mit drin, ich war auch im Bolle drin. Ist einfach so. Was soll ich sagen. In diesem Jahr fand man das noch okay. MUSIK XX NOCH UNKLAR: evtl. Bolle-Bumm-Basta, frei dann unterlegen Sprecherin In diesem Jahr fand Halis Sönmez das noch ok! Später änderte sich das. Da ging ihm der immer wiederkehrende Krawall im Kiez auf die Nerven. Der '89 trotz Deeskalationsstrategie der Polizei sogar noch mehr Schaden anrichtete. Der aber nie wieder diesen besonderen Moment hatte wie 1987. Später eher Spiel und Spektakel mit der Polizei war... OT 32 (Halis Sönmez) In dieser Bewegung, im Katz und Maus Spiel, immer auch "unsere" Jugendliche mit drin. Also Kinder, meine Brüder, ich selber (lacht). Und da war es immer nächste Tag: viele Verletzte, Polizei hat mitgenommen und so weiter. Und irgendwann hat Familie auch mal davon genug. Also: wie kann man Kinder daran hindern? Sprecherin Anfang der 00er Jahre - entwickeln Sönmez und andere die Idee für eine Gegenveranstaltung, das "myfest". Von Kreuzbergern - für einen friedlichen ersten Mai. OT 32 (fortgesetzt) Meine Idee war zum Beispiel, wenn eine Familie auf die Straße geht und an dem Tag Köfte oder Grill oder irgendein Essen verkauft - dann wird sein Sohn oder sein Enkel oder Cousin an dem Tag nicht irgendwas machen, damit ein Schaden entsteht. Sprecherin Nicht jeder war und ist begeistert vom myfest. Halis Sönmez und seine Mitstreiter werden von manchen extrem weit Linken angefeindet. Sie hätten den ersten Mai verkauft. OT 33 (Halis Sönmez) Ich demonstriere heute immer noch. Es ist ganz wichtig, dass wir den Politikern sagen: hallo, wir sind damit nicht einverstanden! Macht was, damit es besser wird. Deshalb muss man demonstrieren. Aber keine Plünderungen, keine Brände. Weil das geht nicht nur uns an sondern kleine Betriebe, Gewerbe, was da ist. Die bauen sich was auf und es wird einfach zerstört. Das kann nicht sein. Das ist nicht, was wir damals gewollt haben. OT 34 (Michael Prütz) Natürlich ist das myfest auch ein Instrument gewesen die Lage zu befrieden und so. Und ich würde das erst mal nicht grundsätzlich kritisieren. Es hat dann aber Komponenten bekommen, die unschön sind. Weil es eine Touri Veranstaltung ist, und sie versuchen das immer so ein bisschen zu politisieren. Aber die Leute gehen dahin, um zu saufen. OT 35 (Halis Sönmez) Ja aber gerade in der Randalezeit: gab es Tourismus, das man sich an Randale beteiligt hat. Wenn man irgendwas macht - ob es Randale ist oder ein Fest. Man kann es nie verhindern, wir sind global, dass irgendwie andere Leute die das gut finden dazukommen. OT 36 (Tine Hauser-Jabs) Für mich gibt es überhaupt keinen zu hohen Preis für ne friedliche Gesellschaft. Egal, wie man sie einkauft. Es war ne Weile ziemlich gut - und im Moment ist es halt eine Angebot und Nachfrage Geschichte. Man konsumiert seine Musik, man konsumiert sein Essen. Ich finde schon, dass es viel entpolitisierter ist. MUSIK TRENNER XX 30 Sek. (Ton Steine Scherben, Macht Kaputt was...) Radios laufen, Platten laufen, Filme laufen, TV's laufen, Autos laufen, Häuser kaufen, Möbel kaufen, Reisen kaufen Wofür? Macht kaputt was Euch kaputt macht! (ab hier instrumental unterlegen und am Ende hoch) Sprecherin Der Mythos 30 Jahre her - und der Revolutionäre Geist ...längst verschwunden? OT 37 (Michael Prütz) Na ja, das äußert sich bloß anders. Er äußert sich eben nicht in dem Aufheben eines Steins. Es kann eine Zeit kommen, wo das so ist. Wo die Teile der Bevölkerung das für richtig erachten. Aber im Moment sehe ich das überhaupt nicht. OT 38 (Tine Hauser-Jabs) Man soll kein totes Pferd reiten und man soll die toten Pferde auch nicht beatmen, wenn es woanders Verletzte gibt, um die man sich kümmern könnte. Es gibt so viel zu tun. Und revolutionärer Geist wird nicht verordnet per Rezept. ENDE