Die neuen Mandelas: Kaderschmiede für Afrikas künftige Führungselite Von Leonie March DLR, Die Reportage, 11.1.2015 (Prod. 29.11.2014) Autorin: Ein ganzer Kontinent in einer Schule? Schüler, die Afrika auf den Kopf stellen wollen? Das hat mich neugierig gemacht. Und so war ich in diesem Jahr gleich zweimal zu Besuch bei der "African Leadership Academy" in Johannesburg. Von den Schülern dort wird nicht weniger erwartet, als dass sie Afrika in eine bessere Zukunft führen. Anmoderation: Ebola in Westafrika. Terror in Nigeria. Hunger im Sudan. Massenvergewaltigungen im Kongo. Viele afrikanische Staaten machen durch Krankheiten und Konflikte, Hunger und Armut, Misswirtschaft und Korruption Schlagzeilen. Dabei verfügt der Kontinent über ein enormes Potenzial. Doch dieses Potenzial kann Afrika vor allem deshalb nicht ausschöpfen, weil visionäre Führungspersönlichkeiten fehlen - das ist die Überzeugung des Ghanaers Fred Swaniker. Um das zu ändern hat der ehemalige Unternehmensberater die "African Leadership Academy" gegründet - eine Schule für Jugendliche vom ganzen Kontinent - nach Swaniker die künftige politische, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Elite. Die neuen Mandelas - Kaderschmiede für Afrikas künftige Führungselite. Eine Reportage von Leonie March Atmo 1: Kantine, Stimmengewirr, Teller klappern Autorin: Yannick Yehe schnappt sich ein Tablett und stellt sich in die Schlange vor der Essenausgabe. Die Auswahl ist groß: Vegetarisch oder Fleisch, halal oder koscher. Schon die Vielfalt der Mahlzeiten habe ihn zu Beginn seiner Schullaufbahn in der "African Leadership Academy" überwältigt, sagt der 18-Jährige. O-Ton 1: My country is Ivory Coast ... Übersetzer: Ich komme aus der Elfenbeinküste. Dort hatte ich ein paar Freunde, die aus den Nachbarländern stammten; aus Ghana, Burkina Faso oder anderen westafrikanischen Ländern. Aber die kulturellen Unterschiede waren nicht gravierend. Das ist hier anders: Ich lebe und lerne hier gemeinsam mit Schülern aus ganz Afrika. Die Vielfalt unseres Kontinents ist mir erst hier bewusst geworden. Für mich ist das eine sehr wertvolle Erfahrung. Ich habe viel über die anderen Kulturen und Traditionen erfahren. ... .within the continent. Atmo kurz hoch Autorin: Die Vielfalt des Kontinents ist tatsächlich unübersehbar. An den langen Holztischen der Kantine sitzt ein Mädchen mit Kopftuch neben einer Mitschülerin, die ein goldenes Kreuz um den Hals trägt. Ein hellhäutiger Junge neben einem dunkelhäutigen. Viele tragen die Schuluniform - schwarze Hosen und bordeauxrote Hemden - einige aber auch traditionelle Kleidung - buntgemusterte Stoffe und bestickte Gewänder - denn jeder soll seine Kultur und Religion hier frei praktizieren können. Das Herkunftsland gehört zur Begrüßung. O-Ton 2: (im Original frei stehen lassen) Hi good morning, I am Peter, I am Nigerian from descent.; from Kenya; from Lesotho; from Egypt; from Zambia; from Cameroon. Atmo 2: Kantine Autorin: Der etwas schüchtern wirkende Yannick setzt sich zu seinen Mitschülern. Einige haben in ihren Heimatländern Bürgerkrieg, Vertreibung, Hunger, Armut und die Willkürlichkeit korrupter Eliten erlebt. Andere kommen aus Mittelschichtsfamilien. Aber trotz aller Unterschiede haben wir viel gemeinsam, betont Yannick zwischen zwei Bissen. Jeder hier am Tisch will Afrika verändern. Jeder hat sich gegen mehrere tausend Bewerber durchgesetzt. Atmo kurz hoch Autorin: Wer träumt nicht davon, auf eine solch elitäre Schule zu gehen, wirft ein Mitschüler ein. Doch für die wenigsten geht dieser Traum in Erfüllung. Nur einhundert Stipendien vergibt die "African Leadership Academy" jedes Jahr, zur Hälfte an Mädchen und Jungen, mit Blick auf den regionalen Proporz. Jeder einzelne von uns wurde handverlesen, sagt Yannick stolz. Er war schon immer ein Musterschüler, doch gute Noten allein reichen nicht, um hier aufgenommen zu werden. O-Ton 3: In two days you do some ... Übersetzer: Zwei Tage lang mussten wir viele interaktive und sehr anspruchsvolle Aufgaben meistern. Ich habe wohl vor allem mit meinen Essays überzeugt. Ich erinnere mich noch, dass ich mir damit sehr viel Mühe gegeben habe, denn ich wollte unbedingt hier aufgenommen werden. Wir mussten erklären, warum wir auf diese Schule gehen wollen und was wir zu einer besseren Zukunft in Afrika beitragen könnten. Ich habe damals meinen Traum aufgeschrieben, eine afrikanische Investmentbank aufzubauen, die sich ganz auf afrikanische Unternehmensgründungen konzentriert. Denn eines der Probleme unseres Kontinents besteht darin, dass die meisten Konzerne in ausländischer Hand sind und die Gewinne dementsprechend auch nicht uns zu Gute kommen. Dabei gibt es viele Afrikaner mit großartigen Ideen, ihnen fehlt oft nur das Kapital, um sie umzusetzen. ... to create that. Atmo 3: von Kantine nach draußen Autorin: Die dunklen Augen des Ivorers strahlen, ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Dann wird seine Mine wieder ernst. Die Pflicht ruft. Er steht auf, bringt sein Tablett weg und geht aus der Kantine nach draußen; einen überdachten Weg entlang, der rund um eine großzügige Rasenfläche an den nach Mädchen und Jungen getrennten Wohnblocks des Internats vorbei führt. Jeweils zwei Schüler teilen sich ein Zimmer, erzählt Yannick. Sein Mitbewohner stammt aus Lesotho und hat ihm unter anderem dabei geholfen, die anfängliche Sprachbarriere zu überwinden. O-Ton 4: I am not from an English speaking ... Übersetzer: Ich komme nicht aus einem englisch- sondern aus einem französischsprachigen Land. Ich hatte zwar Englisch in meiner alten Schule, aber es ist etwas ganz anderes den Alltag und den Unterricht in Englisch zu bewältigen. Das war nicht ganz leicht. Auch das gesamte Umfeld war neu. Ich musste Freundschaften über die kulturellen Grenzen hinweg schließen. Die dritte Herausforderung war die enorme Arbeitsbelastung. Wir haben wenig Freizeit, dafür viele Projekte, Unterrichtsstunden und Diskussionen. Ich musste mich also besser organisieren, um so produktiv wie möglich zu sein. ... as much as I could. Autorin: Etwas gehetzt schaut Yannick auf seine Armbanduhr und entschuldigt sich höflich. Er muss in den Unterricht. Auf Pünktlichkeit wird hier viel Wert gelegt. Keine Spur von der berühmten "African time", dem flexiblen Zeitverständnis vieler Afrikaner. Atmo 4: Büro, Stimmen Autorin: Nebenan, im ersten Stock des Verwaltungsgebäudes, sitzt der Gründer der Akademie, Fred Swaniker, in seinem minimalistisch eingerichteten Büro, auf dem Schreibtisch ein aufgeklappter Laptop. Sorgfältig gebügeltes Hemd, kahlgeschorener Kopf, erstaunlich jung. Mit 38 hat der Ghanaer einen beindruckenden Lebenslauf: Studium in den USA, Karriere bei der Unternehmensberatung McKinsey in mehreren afrikanischen Ländern. Kein Träumer, sondern ein Macher. O-Ton 5: Everywhere I went ... Übersetzer: Überall habe ich enormes Potenzial und die reichen Ressourcen des Kontinents gesehen. Eigentlich sollten wir also nicht in Armut leben. Für mich besteht das größte Problem in der mangelnden Qualität unserer Führungselite. Ich überlegte mir also ein System, wie wir bessere Führungspersönlichkeiten formen könnten, statt weiter darauf zu hoffen, dass sie irgendwann von selbst auftauchen. Diese Vision hat zur Gründung dieser Akademie geführt. ... . leaders for Africa. Atmo kurz hoch Autorin: 2008 zogen die ersten einhundert Schüler auf dem Campus am Rande der südafrikanischen Wirtschaftsmetropole Johannesburg ein. Alle haben schon in frühen Jahren Mut, Hartnäckigkeit und Leidenschaft für den Kontinent bewiesen, sagt Swaniker. Sie sind zwischen 15 und 20 Jahre alt und machen nach zwei Jahren Stipendium hier ihren internationalen Schulabschluss. O-Ton 6: We believe that ... Übersetzer: Wir sind davon überzeugt, dass es ein Leben lang dauert, eine gute Führungspersönlichkeit zu werden. Je früher man also anfängt, desto besser. Jugendliche sind noch nicht so festgefahren, wie Erwachsene. Wir können ihre Art zu denken und ihre Werte noch formen und bringen sie mit Vorbildern und hervorragenden Mentoren in Kontakt. Dadurch bauen wir ein solides Fundament, auf das wir später aufbauen können. ... .become leaders later in life. Atmo 5: Schritte in die Empfangshalle Autorin: Fred Swaniker steht auf und geht ein paar Schritte aus seinem Büro, die Treppe runter in die Empfangshalle. Dort sind die Werte seiner Akademie sozusagen in Stein gemeißelt: An den Backsteinpfeilern hängen Tafeln mit der Aufschrift: Exzellenz, Demut und Integrität, Neugier, Mitgefühl und Vielfalt. Werte, die den Führungsspitzen vieler afrikanischer Länder fehlen, fügt der Akademiegründer hinzu. Das will er ändern. Er erzählt gern von seiner Vision, in der spürbar etwas von seiner Vergangenheit bei McKinsey mitschwingt. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm ebenso wenig wie an ehrgeizigen Zielen für seine Schützlinge. O-Ton 7: No one is going to develop Africa ... Übersetzer: Eine Entwicklung Afrikas ist nur möglich, wenn wir Afrikaner sie selbst in die Hand nehmen. Entwicklungshilfe und ausländische Investitionen können zwar helfen, aber am Ende geht es darum, was wir selbst tun. Um Afrika grundlegend zu verändern, brauchen wir Führungspersönlichkeiten in allen Bereichen. Wissenschaftler und Forscher, die innovative Lösungen im Kampf gegen Malaria oder für unsere Infrastrukturprobleme entwickeln. Politiker, die als die neuen Nelson Mandelas und Desmond Tutus für Frieden, Stabilität, Demokratie und Menschenrechte sorgen. Unternehmer, die erfolgreiche Konzerne gründen, afrikanische Googles und Microsofts, die Arbeitsplätze schaffen und zum Wohlstandswachstum beitragen. Um unsere Vision zu erfüllen, sind also nicht nur politische Führungskräfte nötig. ... .not just political leaders. Autorin: Fred Swaniker verabschiedet sich für den Moment. Er hat eine Skype-Konferenz mit potenziellen Geldgebern. Spenden von Unternehmern und Privatleuten, die in eine Stiftung fließen, sind das finanzielle Fundament der Akademie. Von einer Vision allein kann man keine Stipendien bezahlen. Atmo 6: Unterricht: Lehrerin Autorin: Ein Gebäude weiter sitzen die künftigen Führungskräfte Afrikas im Kreis: Siebzehn Schüler, darunter auch Yannik Yehe. Afrikanische Philosophie steht auf dem Stundenplan. Alle Fächer sind auf das Ziel der Akademie zugeschnitten: Die Schüler sollen ihren Kontinent besser kennenlernen, ihre Führungsqualitäten entwickeln und ihren Unternehmergeist schüren. In der Mitte des Klassenzimmers steht eine Lehrerin, die so jung ist, dass man sie fast für eine Schülerin halten könnte. Shoki Mapokgole ist erst 23, frisch vom "Trinity College", einer der ältesten Universitäten der USA. Nachdem sie in ihrer Klasse für Ruhe gesorgt hat, hält sie einen kopierten Text in Höhe; die Hausaufgabe. Die Schüler sollen ihre Gedanken und Kommentare dazu an die Tafel schreiben. Atmo 7: Schüler gehen an die Tafel Autorin: Ein Schüler nach dem anderen steht auf, einige eher schwerfällig, andere, wie Yannick, hochmotiviert. Ihrer Lehrerin beobachtet sie liebevoll. Ich weiß genau, wie es ihnen geht, sagt sie lächelnd. Denn die Südafrikanerin ist vor ein paar Jahren selbst noch hier zur Schule gegangen. Sie ist eine Absolventin des allerersten Jahrgangs der "African Leadership Academy". O-Ton 8: I see parts of myself ... Übersetzerin: Ich erkenne mich vor allem in den schüchternen Schülern wieder, die Angst davor haben, etwas zu sagen. Denn so war ich in meinem ersten Jahr an der Akademie auch. Viele sind es von ihrer alten Schule gewohnt, zu den Schlausten zu gehören. Hier jedoch sitzen sie gemeinsam mit vielen anderen schlauen Schülern in der Klasse. Sie bekommen zu Beginn also Selbstzweifel und ziehen sich zurück. Ich denke es ist wichtig, dass ich ihnen sagen kann: Mir ging es genauso. Das bestärkt sie und sie fühlen sich nicht mehr wie Außenseiter. ... . like I don't fit in. Atmo 8: Unterricht; Shoki beginnt Diskussion Autorin: Feminismus im afrikanischen Kontext ist das Thema der Stunde. Es geht um patriarchalische Strukturen, aber auch um den Einfluss der Kolonialzeit. Schwerverdaulicher Stoff. Shoki hat diese Themenreihe selbst entwickelt. Denn der Lehrplan ist flexibel. Er bietet Lehrern und Schülern viel Spielraum. Atmo kurz hoch Autorin: Die junge Lehrerin doziert nicht einfach. Stattdessen animiert sie ihre Schüler geschickt dazu, miteinander zu diskutieren. O-Ton 9: ALA seeks to have this ... . Übersetzerin: Wir orientieren uns an der Sokratischen Methode, die darauf basiert, Fragen zu stellen und die Schüler zum kritischen Denken anzuregen. Wenn ich daran zurückdenke, was ich hier gelernt habe und was mir heute wichtig ist, dann sind das alles Dinge, auf die ich selbst gekommen bin. Die Lehrer haben mir nur dabei geholfen, in diese Richtung zu denken. Mit ihrer eigenen Meinung haben sie sich zurückgehalten. Denn sobald sie sagen, was sie für richtig halten, orientieren sich auch die Schüler daran. Sie bemühen sich dann nicht mehr, eine eigene Überzeugung zu entwickeln. Mir ist diese Zurückhaltung in der Rolle der Lehrerin zuerst nicht leicht gefallen. Aber es ist wichtig, dass die Schüler diese Aha-Momente erleben und am besten erzielt man sie, indem man miteinander diskutiert. ... . having a discussion. Atmo 9: Yannik zeigt auf Autorin: Yannik Yehe hat sich in der ersten Hälfte der Stunde mit Wortmeldungen zurückgehalten. Er hat aufmerksam zugehört und sich Notizen gemacht. Jetzt hebt der 18-Jährige seine Hand und zieht eine Parallele zwischen der Unterdrückung der Frauen und der während der Kolonialzeit. Atmo kurz hoch Autorin: Ein intelligenter Kommentar. Der Junge aus der Elfenbeinküste blüht an dieser Schule sichtlich auf. Atmo 10: Unterrichtsende Autorin: Zuhause habe er sich oft unterfordert gefühlt, erzählt Yannick als er am Ende der Stunde seinen Rucksack packt. Dort war Frontalunterricht an der Tagesordnung und ein Null-acht-fünfzehn Lehrplan. Vieles was mich heute interessiert, meint er, hätte ich dort nie erfahren. O-Ton 10: I remember last year ... Übersetzer: Letztes Jahr haben wir beispielsweise alte afrikanische Zivilisationen durchgenommen. Etwa das Königreich von Aksum oder Groß-Simbabwe, die teilweise schon vor Jesu Geburt existiert haben und ziemlich erfolgreich waren. Das war mir neu. Dadurch habe ich verstanden, dass das weitverbreitete Bild Afrikas als schwarzem Kontinent, in dem es vor der Ankunft der Europäer keine Zivilisationen gab, schlicht nicht stimmt. Es herrschten nicht nur Dunkelheit, Mysterien und andere seltsame Kräfte, sondern durchaus intelligente Zivilisationen. ... ..continent in the past. Atmo kurz hoch Autorin: Gemeinsam mit den anderen Schülern verlässt Yannik den Klassenraum. Lehrerin Shoki Mapokgole hat seine letzten Worte aufgeschnappt. Auch für mich war genau das auch eine der wichtigsten Erkenntnisse meiner Schulzeit hier, sagt die junge Südafrikanerin. O-Ton 11: I had always thought ... . Übersetzerin: Ich habe lange daran geglaubt, dass die Geschichte Südafrikas erst 1652 mit der Ankunft der weißen Siedler beginnt. Stellen Sie sich mal vor, was das für das Selbstverständnis eines jungen Menschen bedeutet. Die Erkenntnis, dass auf dem Kontinent schon viel früher unterschiedliche Zivilisationen existiert haben, hat meine Sicht von Afrika und auf mich selbst als schwarzer Afrikanerin grundlegend verändert. ... it was very transformative. Atmo 11: Schritte nach draußen Autorin: Shoki klemmt sich ihren Laptop unter den Arm und macht sich auf den Weg zum Lehrerzimmer. Hochmotiviert und mit neuem Selbstbewusstsein ausgestattet hat sie nach ihrem Schulabschluss ihr Studium in den USA begonnen. Eine durchwachsene Erfahrung. Denn dort waren viele der alten Vorteile über Afrika noch sehr lebendig. O-Ton 12: When you study in the States ... . Übersetzerin: In den Staaten wirst Du einfach als Afrikanerin abgestempelt, da spielt es keine Rolle ob Du aus Südafrika oder aus einem anderen Land stammst. Und Afrikaner sind dort diese armen, hungernden Kinder. Ich habe immer wieder versucht diese Klischees aufzubrechen. Einmal habe ich im Spaß gesagt, ich hätte einen Löwen daheim. Und die Leute haben mir geglaubt! Sie sagten: Echt, wie heißt der denn? Ist er nicht gefährlich? Ein anderes Mal zeigte ich Fotos von meinem Zuhause und meine Kommilitonen waren total erstaunt, dass ich nicht in einer Lehmhütte, sondern einem normalen Haus aufgewachsen bin. Diese Mischung aus Ignoranz und Arroganz ist wirklich furchtbar. Denn die Leute sind auch noch überzeugt davon, dass sie genau wissen, was hier in Afrika vor sich geht. ... .happening in Africa. Atmo kurz hoch Autorin: Viele meiner ehemaligen Mitschüler haben Ähnliches erlebt, sagt Shoki, während sie den Korridor entlanggeht. Fast alle Absolventen der "African Leadership Academy" studieren jenseits des Kontinents, viele an Unis in den USA. Spätestens wenn wir 25 sind, müssen wir aber nach Afrika zurückkehren und mindestens zehn Jahre bleiben, erklärt die junge Lehrerin. Das ist eine Bedingung für das Stipendium an der "African Leadership Academy". Wer sich nicht daran hält, muss die rund 40.000 Dollar Schulgebühren zurückzahlen. Schließlich soll diese Investition dem Kontinent zu Gute kommen. Zu viele gut ausgebildete Afrikaner haben ihrer Heimat bereits den Rücken gekehrt, fügt Shoki mit einem Lächeln hinzu und verschwindet im Lehrerzimmer. Atmo 12: Aufzug, Gang ins Büro Autorin: Rund eine halbe Stunde Fahrzeit entfernt, mitten in Johannesburg. Ziggy Yeni fährt im Aufzug hoch in den 13. Stock eines schicken Bürogebäudes. Der smarte 22- Jährige in dem makellos gebügelten Hemd war in Shokis Klasse. Auch er hat nach dem Abschluss an der "African Leadership Academy" in den USA studiert. O-Ton 13: In terms of university ... Übersetzer: Die Akademie hat uns damals geholfen einen Studienplatz zu finden. Ohne diese Unterstützung hätte ich sicherlich nicht in Yale studieren können. Das Gleiche gilt für meine erste Arbeitsstelle hier beim Beratungsunternehmen Dalberg. Die Akademie hat ein großartiges Karriere-Netzwerk aufgebaut, das uns dabei hilft, eine passende Stelle zu finden. ... . amazing job, I think. Atmo 13: aus dem Aufzug ins Büro Autorin: Ziggy Yeni geht aus dem Aufzug auf eine Glastür zu, öffnet sie mit seiner Chipkarte und begrüßt die Rezeptionistin. Durch eine weitere Tür betritt er das Großraumbüro in dem er seit dem Sommer arbeitet. Ein riesiger, unpersönlicher Raum. An den Schreibtischen scheint jeder nur im Dialog mit seinem Laptop zu stehen. Schwer vorstellbar, dass hier die Weichen für Afrikas Zukunft neu gestellt werden. Der junge Politikwissenschaftler lächelt. Der Schein trügt, sagt er, als er seinen Rucksack neben seinen Schreibtisch plumpsen lässt. Das Unternehmen berät Regierungen, Unternehmen, Investoren und internationale Organisationen in Afrika und Asien. Mit dem Ziel, die Lebensbedingungen in Entwicklungsländern zu verbessern. Ziggy erzählt so euphorisch von seiner neuen Aufgabe, dass es ein wenig nach einer Hochglanzbroschüre des Unternehmens klingt. O-Ton 14: I think the values that you find ... Übersetzer: Die Werte dieser Beratungsfirma sind denen der "African Leadership Academy" sehr ähnlich. Es geht darum eine gute Führungspersönlichkeit zu sein, indem man den Menschen dient. Hier arbeiten ein paar der intelligentesten Leute, die ich je getroffen habe. Sie alle zeichnen sich durch eine gewisse Demut aus und stellen die Bedürfnisse anderer vor ihre eignen. Das macht einen guten Berater ja aus. Vor allem wenn es um Entwicklungsfragen geht. Die Arbeit unterscheidet sich also von einem gewöhnlichen Job. Viele Leute, die ich kenne, arbeiten von 9 bis 5, bekommen am Ende des Monats ihr Gehalt und das war's. Wir dagegen werden von einem gemeinsamen Ziel angetrieben, von der Leidenschaft den Kontinent zu entwickeln. ... . about development. Atmo 14: Büro, entfernte Stimmen, Tippen Autorin: Kein Wunder, dass diese Überzeugungstäter nicht um Punkt fünf das Büro verlassen. Lange Arbeitszeiten gehören einfach dazu, meint Ziggy, während er schon die erste Email tippt. O-Ton 15: You know like before ALA ... Übersetzer: Bevor ich in der Akademie aufgenommen wurde, hätte ich mir nie vorstellen können, nach Mitternacht noch an einer Hausaufgabe zu schreiben. Geschweige denn an etwas zu arbeiten, das nichts mit der Schule zu tun hat. Erst dort habe ich gelernt mich selbst zu motivieren, diszipliniert und hart für meine Ziele zu arbeiten. Damals haben wir für den Unterricht gepaukt, gleichzeitig kleine Unternehmen geführt und soziale Projekte gegründet. All das wurde von der Schule ebenso unterstützt wie bewertet. Wir standen natürlich ganz schön unter Druck - äußerlich und innerlich. Aber das hilft mir heute dabei, mich selbst zu managen, Deadlines einzuhalten und gute Ergebnisse abzuliefern. Der Arbeitsethos, den ich von dort mitgenommen habe, ist großartig. ... . absorb ist great. Atmo kurz hoch Autorin: Das klingt wieder ein bisschen nach McKinsey und Akademie-Gründer Fred Swaniker. Doch für Ziggy Yeni bedeutet dies vor allem Fortschritt. Wie viele Schüler der Akademie kommt der Südafrikaner aus ärmeren Verhältnissen. Mit acht war er Vollwaise, wuchs bei seiner Großmutter in einem Township auf. Das Stipendium war für ihn ein Lichtblick. Bildung der Ausweg aus der Armut. O-Ton 16: I have known people who are brilliant ... . Übersetzer: Ich kenne brillante Leute, die viel Potenzial haben, aber es nie entfalten können. Wegen der Umstände, in die sie geboren wurden und weil sie nicht so viel Glück hatten wie ich. Das ist eine Tragödie, die mir einfach nicht in den Kopf gehen will. Südafrika beispielsweise hat gute Lehrer und Bildungsinstitutionen. Aber sie bleiben für viele unbezahlbar und damit unerreichbar. Es ist beängstigend darüber nachzudenken, wie viel Potenzial wir deshalb jeden Tag vergeuden, was es bedeutet, unsere Kinder nicht optimal auszubilden und sie nicht dazu zu befähigen, das Beste aus sich rauszuholen. Für mich ist das offensichtlich, aber wir bekommen es immer noch nicht hin. ... . we are getting right. Autorin: Wortlos schüttelt der 22-Jährige Kopf, lässt den Blick kurz aus dem Fenster über die Straßenschluchten der Wirtschaftsmetropole Johannesburg schweifen; einer Stadt in der die Kluft zwischen Arm und Reich riesig ist. Dann wendet er seine Augen wieder auf seinen Bildschirm. Er steht kurz vor einem Abschluss einer Studie für ein Bildungsprojekt. Mehr kann er darüber nicht sagen. Alles noch geheim, meint er. Meistens jedoch geht es bei dieser Arbeit um Empfehlungen, um Lösungsansätze und neue Strategien. Die praktische Durchführung bleibt den Auftraggebern überlassen. Doch Ziggy findet nicht, dass er damit im Elfenbeinturm angekommen ist. Für ihn ist dieser Job ein erster Schritt in die richtige Richtung. Atmo 15: Assembly Autorin: Zurück auf dem Campus der "African Leadership Academy". Es ist Nachmittag und alle haben sich in einer Art Hörsaal versammelt. Schüler und Lehrer, sogar Akademie-Gründer Fred Swaniker ist gekommen. Die wöchentliche Versammlung bietet den Schülern die Chance, sich öffentlich zu präsentieren, erklärt er. Außerdem stärkt sie das Gemeinschaftsgefühl. Auch das soll letztlich dem Kontinent zu Gute kommen. O-Ton 17: 50 years from now ... Übersetzer: In 50 Jahren wird es ein Netzwerk von über 6000 Führungspersönlichkeiten geben, die einmal hier zur Schule gegangen sind. Wir haben sie begleitet, durch das Studium bis zu wichtigen Positionen in Wirtschaft und Politik. Dieses Netzwerk brauchen wir, wenn Afrika sich weiterentwickeln soll. Die Länder des Kontinents müssen grenzüberschreitend zusammenarbeiten, ähnlich wie in Europa. Unter anderen müssen Handelsschranken fallen und Visaformalitäten gelockert werden. Zur Überwindung aller bestehenden wirtschaftlichen und politischen Barrieren können unsere Absolventen beitragen. Sie kennen sich untereinander und im Endeffekt trägt das auch zum Frieden auf dem Kontinent bei: Denn man führt keinen Krieg mit seinem Nachbarn, wenn man ihn noch aus der Schule kennt. Bei Konflikten können sich die Staatspräsidenten einfach anrufen und das Problem beilegen, statt in den Krieg zu ziehen. ... .going to war. Atmo kurz hoch Autorin: Eine schöne, fast romantische Vision, die man angesichts der Harmonie im Saal gern glauben möchte. Ähnlich wie im Unterricht ist die Stimmung konzentriert aber gleichzeitig fröhlich, als eine Schülergruppe von einer Konferenz an der Harvard- Universität berichtet. Zwischendurch wird immer wieder gelacht. Atmo kurz hoch Autorin: Danach stellen Schüler ihre Unternehmen oder Organisationen vor, die sie auf dem Campus gegründet haben. Auch das wird an der Akademie erwartet, erzählt Yannick Yehe, der gut gelaunt zwischen seinen Mitschülern sitzt. Einige haben sogar Werbefilme gedreht. Atmo 16: Werbefilm Autorin: Auf der Leinwand erscheint auch ein kurzes Video über den Kiosk, den Yannick gemeinsam mit ein paar anderen führt. Der 18-Jährige schaut gespannt auf die Reaktionen des Publikums. O-Ton 18: I am in an enterprise ... Übersetzer: Mein Unternehmen heißt "Duka Bora". Das ist Swahili und bedeutet: Der beste Laden. Wir verkaufen Getränke und Snacks, wie Kekse, Süßigkeiten und Chips. Hier können sich alle eindecken, denn die meisten von uns können den Campus nicht so oft verlassen. Ich bin dafür verantwortlich, dass der Laden läuft, dass immer genug Vorräte da sind, dass alles sauber ist und die Preise stimmen. Das ist eine tolle Erfahrung, die mir später helfen wird. Ich kann herausfinden, was es heißt ein Manager zu sein. Schließlich will ich demnächst Wirtschaft studieren. ... business in college. Atmo kurz hoch Autorin: Ein halbes Jahr vor seinem Schulabschluss hat Yannick die ersten Bewerbungen schon längst abgeschickt. An amerikanische Universitäten. Hätte mir das jemand noch vor zwei Jahren erzählt, fügt er in einer Mischung aus Stolz und Verwunderung hinzu, ich hätte ihn für verrückt erklärt. O-Ton 19: I have five brothers ... . Übersetzer: Ich habe fünf Brüder und drei Schwestern. In meiner Familie bin ich momentan derjenige mit dem höchsten Bildungsstand. Denn ich komme aus bescheidenen Verhältnissen. Alle sind sehr stolz auf mich und froh, dass ich studieren kann. Ich glaube, es gibt ihnen Hoffnung für die Zukunft. Sie hoffen, dass ich dabei helfen werde, meine Heimat weiterzuentwickeln, dass ich Großartiges leisten und ein erfolgreiches Leben führen werde. Als ein wichtiger Bürger meines Landes und ein wichtiges Mitglied meiner Familie. ... . for my family. Autorin: Ganz schön viel Druck für einen 18-Jährigen. Atmo 17: Schülerin singt Autorin: Eine Schülerin tritt aufs Podium und stimmt ein Lied an, von dem sie sagt, dass es ihr selbst immer wieder Kraft und Mut gegeben hat. Yannick lehnt sich zurück und scheint zum ersten Mal an diesem Tag für einen kurzen Moment abzuschalten und aufzutanken. Atmo kurz hoch Autorin: Kraft und Mut. Beides kann er angesichts der geballten Erwartungen an ihn gut gebrauchen. Atmo blenden (Lied Ende) 1