Samstag, 21. April 2012 (21:10-22:00 Uhr - nach dem Hörspiel) Deutschlandfunk / Hörspiel Hintergrund Kultur Wider die Horden Allahs Karl Martell und seine Nachfolger von Walter van Rossum Redaktion: Elisabeth Panknin M a n u s k r i p t Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - ggf. unkorrigiertes Exemplar - 1. O-Ton: (Broder) Der Mann telefonierte. Und ich dachte, der man darf kein Telefon haben mit den vier voll verschleierten Frauen, die hinter ihm her trotteten. Der soll sich doch eine Trommel holen und damit kommunizieren. Autor: Hendryk M. Broder, Publizist 1. Zit.: Das Schwert Mohameds und der Koran sind die beiden schlimmsten Feinde der Zivilisation, der Freiheit und der Wahrheit, welche die Welt je gesehen hat. Autor: William Muirs, Orientalist. 1. O-Ton: (Sarrazin) Viele Türken und Araber in Berlin haben keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel. Autor: Thilo Sarrazin, Politiker, SPD. 2. Zit.: Wir werden uns in Zukunft daran gewöhnen müssen, niemandem zu vertrauen. Weder dem braven Asyl-Studenten, dem Döner-Koch und dem Kellner mit den arabischen Augen. Autor: F.J. Wagner, Kolumnist der BILD-Zeitung 2. Zit.: Haben sie zwei Gesichter? Ich habe Angst vor ihren Augen. Ich weiß nicht, wo sie nachts hingehen und beten. Ich weiß überhaupt nichts von meinen muselmanischen Mitbürgern. Musik: Ansage: Wider die Horden Allahs. Karl Martell und seine Nachfolger. Feature über den Antiislamismus von Walter van Rossum. Musik: Autor: Hier kommt die Geschichte vom weißen Mann - umzingelt von Barbaren, die ihm seine Überlegenheit neiden und ihn vernichten wollen. 1. Zit.: ‚Machen Sie den Fernseher an. In New York ist etwas Schreckliches passiert", rief die Sekretärin noch in der Tür des Konferenzraums, in dem der Vorstand der Axel Springer AG tagte (...). Wir sahen die Bilder des rauchenden World Trade Centers. Allen war klar: Das ist kein Unfall, das ist ein Terrorakt von ungekanntem Ausmaß, das ist ein Angriff auf das Symbol des westlichen Lebensstils schlechthin - ein Angriff auf die Freiheit. Autor: Nur wenige konnten und wollten so schnell begreifen wie Mathias Döpfner. Doch schließlich war und ist der Mann der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG und damit einer der mächtigsten deutschen Medienfürsten. "Bedrohung der Freiheit - 11. September 2001" heißt der Text, abgedruckt in seinem Buch Die Freiheitsfalle. 1. Zit.: Am Ende des Tages würde die Welt nicht mehr so sein wie vorher. (...) Dem Terrornetzwerk al-Qaida war ein beispielloser Erfolg gelungen. Am Vormittag des 11. September war das Zentrum des freien Westens an den wichtigsten Symbolen seiner wirtschaftlichen, militärischen und politischen Macht angriffen und mit dem World Trade Center sogar vernichtend getroffen worden. De facto war die wichtigste Weltmacht paralysiert - mit der außerordentlichen Schließung der Börsen war klar: Das System steht still. Ausnahmezustand. Autor: Allerdings nicht für die Chefetage der Axel-Springer AG. Die Konferenz ging weiter. Döpfner: 1. Zit.: Es ging um die Essensbezuschussungsrichtlinie für unsere Kantinen, um Fünfmarksechzig oder Fünfmarkachtzig. Autor: Trotzdem raunt Döpfner von Paralyse, vom Ausnahmezustand, von der Weltmacht USA am Rande der Handlungsfähigkeit. In Wahrheit war das glatte Gegenteil der Fall. In Windeseile waren die Täter ermittelt, der Kriegsfall ausgerufen und es lief jene gewaltige Kriegsmaschine an, die den Rest des Jahrzehnts vergiften würde. 2. O-Ton: (Bush) Our war on terror VO: Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit al-Quaida, aber er hört damit nicht auf. Er wird nicht enden, bevor jede Terrorgruppe von globaler Bedeutung aufgespürt, festgesetzt und vernichtet ist. Autor: Verkündete Präsident Bush II. die neue Weltordnung. Es gibt allerdings nicht wenige Zeithistoriker, die schlüssig belegen können, dass der 11. September nicht der Tag war, der die Welt veränderte, sondern der Tag war, der erlaubte, längst vorhandene Pläne, endlich zu realisieren: besonders die Kriege gegen Afghanistan und den Irak. 9/11 ermächtigte nicht allein die Vereinigten Staaten zu diesen Kriegen, sondern zog die gesamte westliche Welt ins Kanonenboot. 3. O-Ton: (Bush) VO: Die zivilisierte Welt steht auf Amerikas Seite. Sie hat verstanden, wenn dieser Terror ungestraft bleibt, dann werden ihre eigenen Städte, ihre eigenen Bürger die nächsten sein. Autor: Mittlerweile glauben neunzig Prozent der Deutschen nicht mehr daran, dass die Ereignisse des 11. September so stattgefunden haben, wie sie offiziell dargestellt werden. Tatsächlich ist die Geschichte von Osama bin Laden und seinen 19 Räubern, die von den Bora Tora Höhlen in Afghanistan aus den Islam in die westlichen Länder bomben wollen, außerordentlich schlicht gestrickt. 1. Zit.: (Döpfner) Der 11. September 2001 war das Menetekel eines Heiligen Krieges gegen unsere westlich-freiheitliche Lebensform. Autor: Wie kommt es eigentlich, dass Interpreten vom Typus Mathias Döpfner auf Anhieb verstanden haben wollen, es ginge um einen Angriff auf unsere Freiheit im Zeichen eines Heiligen Krieges? Wo war die Kriegserklärung. Vom Heiligen Krieg schwärmen einstweilen andere. Besonders George W. Bush: 4. O-Ton: (Bush) VO: Das ist ein Weltkrieg. Das ist ein Zivilisationskrieg. Das ist der Kampf aller, die an Fortschritt, an Pluralismus, Toleranz und Freiheit glauben. Autor: Am 7. Oktober strahlt der arabische Sender al-Dschasira eine Video-Botschaft von Osama Bin Laden aus: 5. O-Ton: (Bin Laden) Autor: Bis dahin hatte Bin Laden jede Beteiligung an den Anschlägen energisch bestritten. Und auch hier bekennt er sich nicht als Urheber. Allerdings erklärt er: 6. O-Ton: (Bin Laden) VO: Die Schlacht zwischen dem Glauben und dem Unglauben hat begonnen. Autor: Das mag man so sehen. An jenem 7. Oktober haben die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten begonnen, Afghanistan zu bombardieren. Davon ist natürlich bei Mathias Döpfner keine Rede. 7. O-Ton: (Bin Laden) VO: Ich schwöre beim mächtigen Gott, der den Himmel ohne Säulen geschaffen hat, dass die USA und die Leute, die in den USA leben, niemals von Sicherheit träumen können oder diese erleben, bevor alle ungläubigen Truppen vom Boden Mohameds verschwunden sind. Autor: Bin Laden fordert also nichts anderes als den Abzug sämtlicher westlicher Truppen aus der islamischen Welt. Doch Döpfner zieht stellvertretend für die westliche Nomenklatura und die Branche der Leitartikler stattdessen folgenden Schluss aus Bin Ladens Erklärung: 1. Zit.: Vordergründig geht es um die Vernichtung Amerikas und Israels. Das eigentliche Ziel wird aber durchaus deutlich: Der Kampf gilt den "Ungläubigen" dieser Welt, namentlich allen Christen und Juden - auch in Europa, auch bei uns. Autor: In Wahrheit hatte Bin Laden dergleichen weder in dieser noch in anderen Botschaften erklärt. Man erkennt in Döpfners Text sehr genau den Vorsatz, einen totalen und heiligen Vernichtungskrieg des Islam gegen die Ungläubigen zu konstruieren. Das ist der Kern der einigermaßen irren Verschwörungstheorie, die seitdem pausenlos wiederholt wird: Mitten im tiefsten Frieden wurde die freie Welt von religiösen Barbaren angegriffen - und diese Fanatiker werden nicht ruhen, bis die Scharia weltweit herrscht und unsere Frauen in Burkas gehüllt sind. Doch diesen Krieg gibt es nicht. Musik: Autor: Es genügte, Bin Ladens Botschaft nüchtern zu analysieren. 8. O-Ton: (Bin Laden) VO: Amerika zittert, und Gott sei Dank. Was Amerika heute erlebt, erleben wir seit Jahrzehnten. Autor: So könnte man die Anschläge vom 11. September auch verstehen. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben nach dem Zweiten Weltkrieg weit über hundert Angriffskriege gegen den Rest der Welt geführt - natürlich im Namen der Freiheit und anderer höherer Tugenden. Diese Kriege haben Millionen Menschenleben gekostet, sie haben ganze Länder verwüstet und ausnahmslos korrupte und autoritäre Regimes hinterlassen. Und natürlich hat diese Politik Hass erzeugt. So gesehen könnte man auch vermuten: Am 11. September wurde vielleicht einfach zurückgeschossen, wurde der Krieg auf das Territorium seiner Urheber zurückgetragen. 9. O-Ton: (Video, Hubschrauber) Autor: Darüber ließe sich diskutieren. Doch genau darüber durfte nie diskutiert werden. Denn dann ginge es um eine politische Lesart der Konflikte. Dann allerdings stände die USA nicht bloß als Opfer eines ruchlosen Terroranschlags da, sondern als eine Angriffskriege führende Militärmacht. Insofern war es entscheidend, die Anschläge umgehend und vollständig zu entpolitisieren und als religiös-zivilisatorischen Konflikt zu deuten. Das ist bis heute eine Zentralaufgabe des Antiislamismus: nämlich politische Konflikte zu entpolitisieren und auf Heilige Kriege umzuschreiben. Musik: Autor: Für Döpfner und seinesgleichen droht der islamische Angriff von allen Seiten. 1. Zit.: Zum finalen atomaren Schlag rüstet sich derweil der Iran. Autor: Seit neun Jahren lancieren interessierte Kreise beständig den Verdacht, Iran arbeite an einem heimlichen Atomwaffenprogramm. Meistens genügt schon der Hinweis auf die Urananreicherung. Nur geschieht die weder illegal noch heimlich - wie gerne unterschlagen wird. Noch Ende 2009 erklärt der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde el-Baradei klipp und klar, dass es keinerlei Beweise für ein solches geheimes Atomprogramm gebe. Döpfner weiß mehr. Er weiß sogar, dass der iranische Präsident den finalen atomaren Schlag vorbereitet. Nun wüsste man gerne, wie der aussehen soll. Mal kurz eine Bombe auf Jerusalem werfen und dann schnell die palästinensischen Freunde befreien? 10. O-Ton: Meldung Invasion Kuwait Autor: Ortswechsel. Irak, Sommer 1990. Der irakische Diktator Saddam Hussein annektiert das kleine Nachbarland Kuwait. Die freie Welt gerät in hellste Aufregung. Im Handumdrehen verwandelt sich Saddam Hussein jetzt in eine blutrünstige Bestie. Er hatte tatsächlich zuvor acht Jahre lang einen grausamen Krieg gegen den Nachbarstaat Iran geführt. Über 1,5 Millionen Menschen ließen dabei ihr Leben. 11. O-Ton: (William Hartung, 7'30) Das Stockholmer Institut für Friedensforschung hat festgestellt, dass 52 Länder Iran und Irak mit Waffen beliefert haben, und 29 Staaten beide Länder unterstützt haben. - Dieselben Länder, die sagten, wie schrecklich der Krieg sei, benutzten diesen Krieg um ihre Rüstungsindustrie anzukurbeln und einige ihrer neu entwickelten Waffen auszuprobieren. Autor: William Hartung, Rüstungsexperte. Niemals hat der humanistische Westen auch nur bescheidene Anstrengungen unternommen, diesen Krieg zu unterbinden. Wie man überhaupt daran erinnern darf: Der irakische Staatspräsident wäre niemals ohne seine westlichen Freunde an die Macht gekommen. Das war der Dank der freien Welt dafür, dass Hussein seinerzeit die Kommunisten fast völlig liquidiert hatte. Nun aber bedroht er in Kuwait den Weltfrieden. Dringender Handlungsbedarf. Niemand hat den damals so eindringlich dargelegt wie der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger. Im Februar 1991, wenige Tage nach Beginn der militärischen Operationen gegen den Irak, schrieb er im Spiegel einen großen Essay mit dem Titel. "Hitlers Wiedergänger". 2. Zit.: Saddam Hussein ist Hitlers genuiner Nachfolger. Er kämpft nicht gegen den einen oder anderen innen- oder außenpolitischen Gegner; sein Feind ist die Welt. Die Entschlossenheit zur Aggression ist der primäre Antrieb; Objekte, Anlässe, Gründe werden gesucht, wo sie sich finden." Autor: Schreibt Enzensberger. Schreibt er wohlgemerkt nicht anlässlich des irakischen Krieges gegen den Iran, sondern anlässlich einer weitgehend unblutigen Besetzung Kuwaits. Dass Enzensberger sich über den ersten Golfkrieg gegen den Iran und schon gar die westliche Beteiligung je erregt hätte, ist nicht überliefert. Übrigens lag der Annexion Kuwaits keineswegs blinde Mordlust zugrunde, sondern es ging um handfeste, leicht nachvollziehbare Interessen. Doch Enzensberger wandelt auf den Pfaden der großen Mythologie und verwandelt erst die historische Figur Hitlers in einen archaischen Dämonen, um dann Saddam Hussein in diesem alttestamentarischen Teufel zu entdecken. Durch diesen verblüffenden Zaubertrick wurde die Annexion Kuwaits zu einem deutschen Problem: 2. Zit.: Die Deutschen waren die Irakis von 1938 bis 1945. (...) Von seinen Erfahrungen her dürfte kein Volk so qualifiziert sein wie das deutsche, das zu verstehen, was heute in der arabischen Welt geschieht. Jedes zweite Interview, das zwischen Rabat und Bagdad gemacht wird, müsste ihm wie ein Echo seiner eigenen Stimme in den Ohren dröhnen. (...) Endkampf, Endsieg: Wer erinnert sich nicht an den frenetischen Jubel, mit dem diese Parolen aufgenommen worden sind und mit dem Tausende die berühmte Frage beantwortet haben: 'Wollt ihr den totalen Krieg?' Autor: Nur zur Erinnerung: Kein arabischer Führer hat die Frage gestellt: Wollt ihr den totalen Krieg? Und in all seiner mythologischen Aufregung scheint Enzensberger entgangen zu sein, dass Kuwait ein arabisches Land ist und dass ein Großteil der arabischen Staaten die Annexion Kuwaits streng verurteilt hat. Schließlich wurde der Aufmarsch der amerikanischen und alliierten Truppen im Rahmen der Operation "Desert Storm" weitgehend von arabischem Boden aus organisiert. Doch Enzensberger fabuliert weiter: 2. Zit.: Was die Deutschen begeisterte, war nicht allein die Lizenz zum Töten, sondern mehr noch die Aussicht darauf, selbst getötet zu werden. Ebenso inbrünstig äußern heute Millionen von Arabern den Wunsch, für Saddam zu sterben. Autor: Tatsächlich sind Millionen von Arabern wegen Saddam gestorben, aber gewiss nicht gerade inbrünstig und gewiss nicht so inbrünstig wie Enzensberger seine absurde Propaganda verkündet. 12. O-Ton: (Ramsey Clark, 22'50) Eine typische Aussage der US-Militärs war z. B., dass die Bombardierung des Irak auf den Punkt gewesen sei. Nichts entspricht weniger der Wahrheit. 11000 Lufteinsätze, 88500 Bomben, siebeneinhalb mal so viel wie in Hiroshima in 42 Tagen. Die Wahllosigkeit der Bombardements war offensichtlich. Die Bombardierungen belegen ohne jeden Zweifel, dass die Vereinigten Staaten die Zerstörung der wirtschaftlichen Versorgung des Irak vorsätzlich planten. Autor: Ramsey Clark, ehemaliger US-Justizminister. Als die High-Tech-Armeen der Vereinigten Staaten den Irak zu bombardieren begannen, trat ihnen nichts entgegen, was auch nur von weitem der deutschen Wehrmacht ähnelte. 13. O-Ton: (R. Clark, 1'30) Der Angriff hatte absolut nichts mit Freiheit und Demokratie zu tun. (...) Es gab keinen Krieg. Der Irak war wehrlos. Autor: Die angeblich fanatischen Horden Allahs kamen heulend aus Erdlöchern gekrochen und waren keineswegs bereit, in einem absurden Krieg bis zum letzten Mann zu kämpfen. Das nützte übrigens weit über 100.000 von ihnen nichts. Sie wurden fast wehrlos zusammengeschossen. Dazu kommen mindestens 40.000 tote Zivilisten. 14. O-Ton: (Veteran, 24'50) Als wir in Kuwait einmarschierten, rechneten wir mit dieser 5 Millionen Mann starken Armee. Doch was wir antrafen, sah eher wie ein Rudel Zwergpinscher aus. Moskitos leisten härteren Widerstand als die. Autor: Erinnert sich ein Veteran der US-Armee. - Bleibt die Frage: Worauf will Enzensberger mit seiner fundamentalistischen Predigt eigentlich hinaus? Wir schreiben das Jahr 1991. Die Mauer ist gefallen, Deutschland ist "wiedervereint". Das Land sieht sich voller Skepsis als neue Großmacht damit konfrontiert, gleich wieder Kriege zu führen. Enzensberger weist Wege in eine gloriose Zukunft. Deutschland kann endlich aus dem Schatten seiner Vergangenheit treten, wenn es jetzt am Golf den tätigen Widerstand gegen Saddam leistet, den es gegen Hitler versäumt hat. Wenn es in der Arena der irakischen Wüste die eigene Vergangenheit bewältigt, darf es glühend geläutert dem Kreis der Großmächte beitreten. So kam es: 15. O-Ton: Merkel Ich bin der Meinung, dass Deutschland in solcher Situation eine konstruktive Rolle hätte spielen müssen, d. h. die westliche Welt, also die Amerikaner unterstützen müssen. Und zwar nicht weil wir dies aus Dankbarkeit tun müssen, sondern weil ich es für das vornehmliche deutsche Interesse halte, nach der Wiedervereinigung Deutschlands auch eine führende Rolle in Europa und in der Welt zu spielen. Autor: In Enzensbergers wildem Pamphlet entdecken wir einige Grundmotive des aktuellen Antiislamismus. Etwa die Phantasie, dass fanatisierte islamische Horden bereitstehen, gegen den Rest der Welt in den Krieg zu ziehen, um ihn zu bekehren. Wer sich die militärische und ökonomische Machtverteilung auf Erden anschaut, kann über einen so offensichtlich absurden Plan nur lächeln. Schließlich zeigt uns Enzensberger die systematische Verdeckungsarbeit, die dieser Antiislamismus leistet. Der Krieg des Westens wird zur Antwort auf eine zivilisatorische Bedrohung durch die Barbaren umgedeutet. Bedroht von einem Monster erwehrt das Abendland sich nicht nur seiner Auslöschung, sondern es bringt den Barbaren obendrein Demokratie und überhaupt: - Zivilisation. 16. O-Ton: (Video, Hubschrauber) 17. O-Ton: (Trojanow) Der Antiislamismus lebt von seiner Nützlichkeit (...) und ist aus drei Gründen im Moment ein gutes Instrument. Erstens, nach dem Ende des Kalten Krieges, der Sowjetunion und des Ostblocks ist uns der Feind abhandengekommen. (...) Das hat man dann schnell unterbunden, indem man eine neuen Gefahr entdeckt hat, die Gefahr heißt: asymmetrische Kriege. D. h. ein Krieg, der niemals verkündet wird. Und weil er überall und nirgendwo stattfindet, ist ein Krieg, den wir jederzeit aus dem Zauberhut hervorholen können. Dafür brauchen wir einen Gegner. Den haben wir gefunden. Autor: Der Schriftsteller und Weltreisende Ilija Trojanow 18. O-Ton: (Trojanow, Forts.) Das Zweite ist, dass zufällig der Islam in Gegenden zuhause ist, die geostrategisch wegen ihrer Erdöl- und Erdgasvorkommen so enorm wichtig sind. Und der dritte Grund ist natürlich, dass wir in Zeiten zunehmender sozialer Konflikte reinrutschen. (...) Und wenn man diese wachsenden und mit Sicherheit noch zunehmenden sozialen Spannungen auf sich zukommen sieht, dann ist natürlich nichts nützlicher als ein Ablenkungsmanöver - mit dem man den Schwarzen Peter einer bestimmten Minderheit zuschreibt. Autor: In Deutschland erschien 2007 eine Studie der Universität Hamburg zum Thema Muslime in Deutschland - in Auftrag gegeben vom Bundesinnenministerium. Mathias Döpfner zitiert sie ausgiebig: 1. Zit.: Dabei kam heraus, dass etwa 40 Prozent der Muslime hierzulande "fundamental orientiert" sind. Merkmale dafür sind eine starke Ausrichtung an religiösen Regeln und Ritualen verbunden mit der Tendenz, Muslime auszugrenzen, die dem nicht folgen, sowie den Islam pauschal auf- und westlich geprägte Kulturen abzuwerten. 14 Prozent aller Befragten haben "problematische Einstellungsmuster" - das bedeutet nach der Studie, dass sie entweder eine hohe Distanz zur Demokratie und/oder eine hohe Akzeptanz politisch-religiös motivierter Gewalt zeigen. Sechs Prozent aller befragten Muslime sind der Studie zufolge "gewaltaffin". Knapp vierzig Prozent halten "physische Gewalt als Bedrohung des Islam durch den Westen für legitim". Autor: Man muss sich einfach vorstellen, in Rabat oder Kairo würde eine entsprechende Studie über Christen bzw. Westler gemacht, die in diesen Ländern leben. Würde man nicht unweigerlich eine starke Ausrichtung auf ihre religiösen oder parareligiösen Regeln und Rituale feststellen? Und wissen wir nicht längst, dass große Teile unserer Bevölkerung den Glauben an die Demokratie in ihrer gegenwärtigen Gestalt verloren haben? Haben wir keinen zuverlässigen Bodensatz von 20 Prozent Antisemiten? Und wie "gewaltaffin" muss man dann Menschen nennen, die 200 Jahre lang dem Terror des Kolonialismus huldigten, um ihn am Ende voller Nachsicht aus ihrem Gedächtnis zu tilgen? 2. Zit.: Wir töten, wir erwürgen. Die Schreie der Verzweifelten, der Sterbenden mischen sich mit dem Lärm des brüllenden, blökenden Viehs. Ihr fragt mich, was wir mit den Frauen machen. Nun, wir behalten einige als Geiseln, andere tauschen wir gegen Pferde, der Rest wird wie Vieh versteigert. Autor: Oberst Lucien-Francois de Montagnac. Brief aus Algerien 1842. - Wie "gewaltaffin" muss man die freie Welt nennen, die den militärischen Überfall auf den Irak oder die Bombardierung Afghanistans mehr oder weniger achselzuckend hinnimmt - als Durchsetzung ihrer angeblichen Sicherheitsinteressen? Musik: Autor: Natürlich ist diese - milde gesagt - einseitige Sicht der Dinge nicht gerade neu. Im Gegenteil: Sie kann sich auf uralte und tief verinnerte europäische Ängste verlassen. 19. O-Ton: (Weidner) Man könnte sogar so weit gehen, und es gibt diese These auch von dem italienischen Historiker Cardini, dass man sagt: Ein europäisches Bewusstsein hat sich erst dank der Konfrontation mit dem Islam gebildet. Es gab vorher kein europäisches Bewusstsein." Autor: Stefan Weidner, Orientalist und Schriftsteller. Dieses europäische Selbstbewusstsein brauchte die Schauergeschichten von anstürmenden arabischen Horden, um sich zu formen. Jedes Kind lernt bis heute in der Schule, dass der fränkische Hausmeier, eine Art Kanzler, Karl Martell 732 bei Poitiers die arabischen Invasoren geschlagen und aus Frankreich vertrieben habe und damit die Islamisierung Europas verhindert habe. In Wahrheit handelte es sich nur um ein Scharmützel mit einem kleinen arabischen Erkundungstrupp. Nirgends ist ein islamischer Expansionsauftrag belegt. In der gesamten arabischen Historiographie wird der Vorfall nur einmal ganz beiläufig erwähnt. Er hat auch in dem noch kaum formierten Europa kaum jemanden interessiert. 20. O-Ton: (Weidner) Am Anfang der Beschäftigung mit dem Islam steht eigentlich der Antiislamismus. Autor: Stefan Weidner, Orientalist. 21. O-Ton: (Weidner, Forts.) Also diesen eigentlichen Antiislamismus, wie wir ihn bis heute verfolgen können, würde ich ansetzen im Spanien der Reconquista, also im mittelalterlichen Spanien des 12., 13. 14. Jahrhunderts. Wo es einfach im Interesse der militärischen Gegebenheiten lag, den Feind nicht nur kennenzulernen, sondern auch zu diskreditieren. Autor: Der Süden und die Mitte Spaniens waren im 8. Jahrhundert von den Arabern erobert worden. Im 11. Jahrhundert entdeckte man im nordspanischen Santiago di Compostela das angebliche Grab des Apostels Jakob. Fortan pilgerten Hundertausende Christen nach Santiago. Da wurden Sünden im großen Stil erlassen. In Wahrheit hatte die Pilgerei vor allem einen Sinn: nämlich die Eroberung ganz Spaniens. 22. O-Ton: (Weidner, Forts.) Also da, wo die erste richtige ausgewachsene Konfrontation stattfand zwischen einem sich dezidiert als christlich begreifenden Block und einem klar islamischen Block, da hat sich dieser Antiislamismus herausgebildet und lässt sich so verfolgen in allen Konflikten, die es seitdem bis heute gab. 23. O-Ton: (Film I, 23') Einen Ungläubigen zu töten, ist kein Mord. Einen Ungläubigen zu töten, ist kein Mord. Autor: Das war die Grundmelodie jener bewaffneten Pilgerfahrten, die man später Kreuzzüge nannte. Vom Ende des 11. bis zum Ende des 14. Jahrhunderts fielen christliche Gott-, Sinn- und Beutesucher im Orient ein und schlachteten ab, wer ihnen gerade über den Weg lief. 24. O-Ton: (Film, II, 15') "Gottes Wille" 1. Zit.: Sofort nach dem Überwinden der Mauer durchzogen der Herzog und die Seinen, die Schwerter gezückt, mit Schild und Helm bedeckt, die Gassen und Plätze der Stadt. Alle Feinde, die sie finden konnten, streckten sie mit der Schärfe ihres Schwertes nieder ... ohne jemanden zu schonen, und erfüllten alles mit Blut. 25. O-Ton: (Film II, 56') Gott will es Autor: Während Europäer sich im Orient als Krieger, Pilger oder Kaufleute tummelten, galt in den vielen europäischen Staaten schlicht und einfach ein Einreiseverbot für Muslime. Das westliche Bewusstsein vergisst auch gerne die Rolle, die der Westen bei der Entstehung des modernen Islamismus gespielt hat. Stefan Weidner: 25. 26. O-Ton: (Weidner) Der ideologische und kämpferische Islamismus ist erst mal und ursprünglich eine Bewegung, die aus sehr spezifischen Gründen in speziellen Ländern der arabischen Welt, aus lokalen Gründen entstanden ist. Das ist eine Bewegung, das ist natürlich auch eine Reaktion auf westliche Einflüsse, auf Globalisierungselemente, auf Probleme, mit denen die Länder der arabisch-islamischen oder der Dritten Welt konfrontiert sind. Weil sie natürlich einer wirtschaftlich-politischen Übermacht des Westens gegenüberstehen. Aber das ist vor allem eine Bewegung, die sich auf Umstürze, auf Reformen, auf Regimewechsel in den islamischen Ländern selbst stützt, und die erst mal im Inland gewirkt haben und dabei natürlich gemerkt haben, dass ihre Regimes vom Westen gestützt werden - bis heute. Autor: Nur ein Beispiel. Noch am 11. Januar 2011, drei Tage bevor der tunesische Diktator Ben Ali sein Land verlassen musste, bot die französische Außenministerin Alliot-Marie ihm die Entsendung französischer Polizeitruppen an - "um die Sicherheitslage zu regeln". 27. O-Ton: (Weidner) Sodass für die Leute klar war, der Feind sind nicht nur die eigenen Leute, die eigenen Politiker, die uns nicht an die Macht lassen, sondern ist auch der Westen, der das Ganze stützt. Autor: 1953 haben der britische und der amerikanische Geheimdienst die demokratische Regierung des iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh weggeputscht, um den Schah und sein grausames Regime zu installieren. Seitdem hat der Westen fast jeden arabischen Diktator als Statthalter seiner Interessen blind unterstützt. Den Untertanen dieser Despoten ist das kaum entgangen. Dass der Westen Friede, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte bringe, hatten sie nie den geringsten Anlass zu glauben. So gesehen ist die antiwestliche Rhetorik des Islamismus verständlich. Aber sie richtet sich vor allem auf den Westen in den eigenen Ländern. 28. O-Ton: (Weidner) Der Terrorismus ist ja trotz aller medialer Aufmerksamkeit ein Phänomen, das uns praktisch nicht betrifft - ein Phänomen, das vor allem die Muslime betrifft. Erstens, weil es ein schlechtes Licht auf sie wirft und dann sind die Muslime die ersten Opfer der Terroristen. Und zwar im Irak selbst, in den islamischen Ländern selbst. Denken wir nur an Algerien: 100.000 Tote im Bürgerkrieg zwischen Islamisten und Armee. Im Irak sehen wir ja alle Tage: Opfer des Terrorismus sind nicht primär die Amerikaner, sondern die Iraker selber. Autor: Den größten Dschihad aller Zeiten organisierten Amerikaner, Briten und Pakistani in den 80er Jahren in Afghanistan mit dem muslimischen Aufstand gegen die sowjetische Besatzung in Afghanistan. Ilija Trojanow: 29. O-Ton: (Trojanow) Man muss nur Brzezinski lesen, den damaligen Sicherheitsberater von Präsident Carter. Der hat ganz klar gesagt: wir werden Afghanistan in ein Flammenmeer verwandeln, damit die Sowjets wissen, was wir anstellen können mit all ihren muslimischen Provinzen im Süden, wenn sie nicht klein beigeben. D. h. das war eine ganz absichtliche und durchaus - zynisch und machtpolitisch betrachtet - erfolgreiche Strategie, die Sowjetunion an ihrer sicherheitsmäßig seit jeher extrem instabilen Südseite zu bedrängen. Die USA hat ja mit enormen Mitteln den Mudschahedin-Widerstand finanziert. Und es gab damals ja auch eine berühmte Konferenz, bei der Schewardnadse, der letzte Außenminister der Sowjetunion war, Frieden angeboten hat, der ausgeschlagen wurde. D. h. die Amerikaner wollten den Krieg. (GUW 31'10) Autor: So gesehen ist die grausame Herrschaft der Taliban ein Kollateralschaden der westlichen Geostrategie. Erst bedient man sich der Fundamentalisten und rüstet sie auf, heute müssen wir angeblich unsere Sicherheit im Kampf gegen die Taliban am Hindukusch erkämpfen. Sonderbar - kein Afghane stand je im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September auf den Fahndungslisten des FBI. Doch angeblich sollte Osama Bin Laden in Afghanistan residieren. George Bush II. verlangte die Auslieferung. Die Taliban verlangten Beweise. Doch mit den Vereinigten Staaten von Amerika diskutiert man nicht. Übrigens stand nicht einmal Osama Bin Laden im Zusammenhang mit den Anschlägen von New York und Washington auf den Fahndungslisten. 2006 erklärte Rex Tomb, Sprecher des FBI, dazu: 1. Zit.: Die Ermittlungen des FBI haben keine konkreten Indizien für Bin Ladens Beteiligung an 9/11 ergeben. Autor: Man erklärt der Welt, der islamistische Terrorismus braucht Afghanistan als Trainingslager und Rückzugsraum. Doch wer ernsthaft glaubt, Anschläge wie die von 2001 bedürften entlegener Höhlen zur Vorbereitung, der hat wohl einfach nichts verstanden oder will nichts verstehen. Selbst begabten Konformisten dämmerte im Laufe der Zeit, dass die Operation mit dem unerträglichen Namen "enduring freedom" frischerer Begründungen bedürfe, um die skeptische Heimatfront bei Laune zu halten. Sprecher (=VO Bush): (Jauch, Einspieler) Die Erfolge: 2010 gehen über 7 Millionen Kinder zur Schule, davon 1/3 Mädchen. Im Jahr 2001 war es nur eine Million und fast nur Jungen. Die medizinische Grundversorgung hat sich verbessert, die Kindersterblichkeit hat sich um mehr als 1/3 reduziert. Die Kosten: 4,8 Milliarden Euro hat der Bundeswehreinsatz Deutschland bislang gekostet. 52 deutsche Soldaten verloren ihr Leben. Autor: So wurde kürzlich in einem Einspieler der Talkrunde von Günther Jauch beispielhaft der Überfall auf Afghanistan zum humanitären Caritas-Einsatz umdefiniert. Nur am Rande: Keine einzige Zahl in diesem Katalog der Wohltaten stimmt. Und eine entscheidende Zahl fehlt: die der nach Zehntausenden zählenden toten Zivilisten. Frauen und Kinder, die es doch angeblich zu retten gilt. Versteht sich von selbst, dass damit die militärische Operation endgültig das Terrain des Völkerrechts verlässt, auf dem sie bis dahin nur von juristischen Akrobaten angesiedelt wurde. 30. O-Ton: (Bundestag) Ich bitte Sie herzlich, sich diese Ausstellung anzuschauen. Die Bilder, die Sie dort sehen können, zeigen Menschen aus Afghanistan, die, wenn wir mit Nein stimmen würden, ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft verlieren würden. Autor: So der SPD Abgeordnete Gert Weisskirchen in einer Bundestagsdebatte über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. 31. O-Ton: (Forts.) Schauen Sie sich das eindrucksvolle Bild an, das eine Witwe zeigt! Sie heißt Sakina. Dort steht in der Dokumentation, dass sie mit ihren drei Kindern in einer Felshöhle lebt. Sie hat eine ganz kleine Tür, die sie vor Eindringlingen schützt. Diese Tür hat aber nicht vor den Taliban geschützt, die gekommen sind und ihren Mann vor ihren Augen erschossen haben. Sakina sagt - auch das können Sie in der Dokumentation lesen -: Alle Tränen habe ich schon vergossen. Ich hoffe sehr, dass wir alle bei unseren Entscheidungen, die wir hier treffen, genau solche Menschen vor Augen haben, die ihre Hoffnung darauf setzen, dass sie von dieser Schreckensherrschaft befreit werden Autor: Es wäre fast schon komisch, wenn es nicht so traurig wäre: Regierungen, die Saudi-Arabien nach Kräften aufrüsten, behaupten, sie dürften ein Land bombardieren, ganze Dörfer ausradieren zum Behufe der Gleichstellung von Frauen und zur Ausbildung von Kindern. Mit anderen Worten: Wir dürften im Namen unserer Ideale den Rest der Welt wegsprengen. Musik: Autor: Es scheint, der erbitterte Kampf vieler Jahre gegen ein Stück Stoff trägt endlich blutige Früchte. Schließlich ist es in unseren Gesellschaften gelungen, unter das Kopftuch einer Muslima eine Art vormodernes Monster zu projizieren. Und unter den wildesten Kriegerinnen gegen die Gotteskrieger trifft man selbstverständlich auch Alice Schwarzer: Zit.-in: Ist es noch fünf vor zwölf - oder schon später? Sind die Kreuzzügler auf dem Weg zur islamistischen Weltherrschaft überhaupt noch zu stoppen - und ist die aufgeklärte Welt überhaupt noch zu retten? Autor: Die aufgeklärte Welt kann sich nur dadurch retten, dass sie sich auf die schlichtesten Standards der Aufklärung besinnt. Im Falle von Alice Schwarzer hieße das, einfach zur Kenntnis zu nehmen, dass in den islamischen Ländern Millionen von Frauen teilweise in drei Sprachen und mit von exquisiter Bildung gefütterter Plausibilität erklären könnten, dass sie, erstens, nicht von Alice Schwarzer und ihren Mannen zu ihrem Glück gebombt werden wollen, zweitens sich unter ihrem Kopftuch ein freier und luzider Wille verbirgt und, drittens, dass eine Aufklärung, die sich mit Hilfe von US-Truppen und Streubomben ihren Weg sucht, keine sein kann. Musik: Autor: Es stimmt: Die Stellung der Frau in den meisten muslimischen Ländern entspricht nicht unseren modernen Idealen. Sie entspricht weitgehend den Vorstellungen, die in weiten Teilen der westlichen Welt noch bis vor wenigen Jahrzehnten galten. Nur zur Erinnerung: In Frankreich gibt es ein Wahlrecht für Frauen erst seit 1945, und in der Schweiz erst 1971. Bis vor wenigen Jahren war in Deutschland Vergewaltigung in der Ehe nicht strafbar. Obwohl die Moderne seit 200 Jahren von Gleichheit schwärmt, hat sie 200 Jahre gebraucht, um sie immer noch nicht zu vollenden. Doch diese unvollendete und mühsame Moderne will man jetzt in Gesellschaften imperativ durchsetzen, die auf völlig anderen Voraussetzungen beruhen. 32. O-Ton: (Demo Casablanca 2000, 33'30) Autor: Casablanca im Jahre 2000. Hundertausende - vor allem Frauen - protestieren auf den Straßen von Casablanca gegen die geplante Reform des Familienrechts - die Moudawana. Es geht vor allem um die rechtliche Gleichstellung der Frau, es geht um ein neues Scheidungsrecht, es geht darum, das Alter der Braut auf 18 Jahre anzuheben, es geht um das Verbot der Polygamie. Wohlgemerkt: Frauen protestieren gegen die Reform. Nadia Yassine, Führerin der islamistischen Bewegung "Al-Adl Wal-Ihssan", Gerechtigkeit und Wohlfahrt, erklärt warum: 33. O-Ton: (N. Yassine, 34'00) VO: Die Reform der Moudawana war Teil eines internationalen Projekts: Die Integration der Frau in die Entwicklung - so etwa. Angestoßen von der Weltbank und der Konferenz von Peking. (...) Unser Problem war nicht die Moudawana. Wir wollten die Verhältnisse ändern. Wir wollten die Frau befreien. Aber es ist keinesfalls die Angelegenheit der Weltbank oder ähnlicher Institutionen, uns das zu diktieren. Autor: Noch erstaunlicher ist die grandios selektive Wahrnehmung von Alice Schwarzer. Die Stellung der Frauen ist im Allgemeinen in fast allen nicht hochmodernen Kulturen problematisch. Das orthodoxe Judentum beispielsweise hegt beängstigende Ansichten über Frauen. In Asien werden Mädchen millionenfach verkauft und der Prostitution mit aufgeklärten weißen Männern zugeführt. Und wie modern ist das Frauenbild in Japan? Doch, das alles interessiert unsere verwegenen Frauenrechtler nicht. Sie interessieren sich auch nicht wirklich für das Schicksal von Frauen, sondern nur für ihre böse muslimische Kultur. Und so viel Aufklärung muss sein: Gesellschaften, die keine komplexen Sozialsysteme ausgebildet haben, können nicht einfach mal kurz ihre familiären oder tribalen Zusammenhänge kündigen, um sich den Wonnen des modernen Individualismus zu ergeben. In all diesen Ländern findet eine ungeheuer mühsame und schmerzhafte Modernisierungsarbeit statt. Das Dümmste, was man machen kann, ist diesen Gesellschaften unsere Ideale zu diktieren. Musik: Autor: Kürzlich hat der renommierte Antisemitismusforscher Wolfgang Benz auf die Parallelen von Antiislamismus und Antisemitismus hingewiesen: 34. O-Ton: (Benz) Es geht um die globale Zuweisung von schlechten Eigenschaften an eine Gruppe. Das waren im 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Juden, die angeblich nur schlechte Eigenschaften hatten. Denen man dann auch nachwies, dass wohl ihre Religion daran schuld sei. Und seit einem Jahrzehnt hat sich die Islamfeindschaft so gesteigert, dass selbsternannte Experten aus allen möglichen kulturellen, kulturalistischen Ansätzen heraus zu beweisen versuchen, dass der Islam an sich eine bösartige Religion sei. Hierin liegt die Parallele. Autor: Tatsächlich erinnern die geläufigen Parolen haarfein an das Weltbild, das der Nazi-Propagandafilm Der ewige Jude so erfolgreich vertrat: 35. O-Ton: (Film, 12'20) 1. Zit.: Das Schwert Mohameds und der Koran sind die beiden schlimmsten Feinde der Zivilisation, der Freiheit und der Wahrheit, welche die Welt je gesehen hat. 36. O-Ton: (Film, 1.01'00) 37. O-Ton: (Sarrazin) Viele Türken und Araber in Berlin haben keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel. 38. O-Ton: (Film, 5'40 u. 6'20) 2. Zit.: Wir werden uns in Zukunft daran gewöhnen müssen, niemandem zu vertrauen. Weder dem braven Asyl-Studenten, dem Döner-Koch und dem Kellner mit den arabischen Augen. 39. O-Ton: (Film,20'45) 40. O-Ton: (Broder) Der Mann telefonierte. Und ich dachte, der man darf kein Telefon haben mit den vier voll verschleierten Frauen, die hinter ihm her trotteten. Der soll sich doch eine Trommel holen und damit kommunizieren. 41. O-Ton: (Film) Musik: 42. O-Ton: (Bahners) Der Antisemitismus war auch eine wissenschaftliche Ideologie, das war ein Glaube von Leuten, die sich für aufgeklärt hielten. Autor: Patrick Bahners, Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Autor des Buchs Die Panikmacher. 43. O-Ton: (Bahners, Forts.) Und auch Theologen, die sagten: Das Alte Testament - was ist das für ein Dokument! Diese Juden, die hier unter uns leben und studieren und die an das Alte Testament glauben. Und genau die gleichen Vorwürfe bekommen heute die Muslime zu hören. 44. O-Ton: (Film, 59,'50) Autor: Man könnte natürlich auch seitenlang aus dem Traktat des norwegischen Massenmörders Anders Breivik zitieren. 45. O-Ton: (Bahners) Der Zusammenhang besteht in der weitgehendsten inhaltlichen Übereinstimmung bei der Diagnose der Lage Europas. (...) Diese Beschreibung ist identisch. Dieser Mann ist einfach ein eifriger Leser dieser Texte gewesen und hat dann die Konsequenzen aus den Texten gezogen, die in diesen Texten nahegelegt werden. Autor: Die angebliche islamistische Weltverschwörung weist große Ähnlichkeit mit der jüdischen Weltverschwörung früherer Tage auf. In vorderster Front stehen die bärtigen oder schläfenlockigen fanatischen Orthodoxen, Thora oder Koran schwingend, dann haben wir die Schläfer, das sind die Assimilierten, die natürlich nur aus Tarnung sich integriert geben. Und im Hintergrund wirken die Superreichen Drahtzieher vom Schlage der Rothschilds oder Bin Ladens. 46. O-Ton: (Bahners) Was wir als Islamkritik kennen, das ist eine geschlossene Ideologie, eine Welterklärung, die für alle Probleme, die wir in der Moderne haben, den Islam verantwortlich macht. Autor: So gesehen wäre der Antiislamismus auch keine moderne Religionskritik, sondern selbst wieder ein Wahn, der die Wunden der Moderne heilen soll und der sein Feuer aus dem Hass bezieht. 47. O-Ton: (Bahners) Ein blinder Fleck der Islamkritik ist das Fanatische des eigenen Projekts. Das Quasireligiöse. Autor: Antiislamisten verstehen meist vom Islam so viel wie Antisemiten vom Judentum. Gar nichts. Da sie mit Muslimen nicht reden - an wen richten sich eigentlich ihre Botschaften? Patrick Bahners: 48. O-Ton: (Bahners) Islamkritik gibt dem bürgerlichen Publikum noch einmal die Möglichkeit, eine heroische Rolle zu spielen - wie im 18./19. Jahrhundert als Avantgarde der Aufklärung. Der Staat und die christlichen Kirchen sind längst entmachtet, die wirklichen Machthaber in unsrer Gesellschaft sind abstrakt und opak. Jetzt hat man diesen vermeintlichen Fremdkörper des Islam, und der wird mit solchen Etiketten belegt: mittelalterlich, finster, abergläubisch. Autor: Kommen wir auf die Anklageschrift von Mathias Döpfner zurück. Beispielhaft zeigt sie uns, wie der Antiislamismus aus ein paar krude interpretierten Versatzstücken seinen hysterischen Stoff schöpft. Für Döpfner ist der Fall klar: 1. Zit.: Ich möchte nicht in zwei Jahrzehnten von meinen Kindern und Enkelkindern gefragt werden: warum habt ihr nichts getan (...) Ihr wusstest doch, wohin Appeasement führt. Autor: Angesichts der Kriege, die der Westen zur Zeit führt, von einer Politik des Appeasements zu sprechen, sagt eigentlich schon alles über diese Weltwahrnehmung. Umgekehrt hat allerdings seit über 200 Jahren kein islamisches Land den Westen angegriffen. Döpfners Text steht in einem Buch mit dem Titel Die Freiheitsfalle. Und wie in einem Dutzend anderer Bücher von Hendryk M. Broder, Alice Schwarzer oder Thilo Sarrazin geht es um die hysterische Behauptung, dass es mindestens fünf vor zwölf, wenn nicht schon zu spät ist, dass der Rechtsstaat, die Demokratie, die Freiheit, die Toleranz uns daran hindern, uns der Ratten zu erwehren, die längst an unseren Fundamenten nagen. Zit.-in: Die Parallelen zu 1933 drängen sich auf. Autor: Erklärt Alice Schwarzer zum Vormarsch der Islamisten. Die Parallele von Islam und Nationalsozialismus bestehe im Männerbündischen, und Hitler hätte wie Ahmadinedschad erst einmal Frauen als Juristinnen untersagt, behauptet Schwarzer. Sehr viel evidenter scheint da die Beziehung von Alice Schwarzer zur faschistischen Rhetorik, die ununterbrochen davon schwärmte, endlich mit den demokratischen Weicheiern aufzuräumen, mit den parlamentarischen Quasselstrippen, die das Land der undeutschen Subversion geöffnet habe. Hendryk M. Broder zeigt Wege aus der Politik des Appeasements hin zu neuen Schlachten: 2. Zit.: Aus dem Volk ohne Raum wurde ein Volk ohne Rückgrat. Eine WG, in der darüber diskutiert wird, ob man sich über den Tod eines Massenmörders [wie Osama Bin Laden] freuen darf, hat nicht alle Tassen im Schrank. Ein Volk aber, das solchen Schabernack treibt, hat sich politisch und moralisch aufgegeben, ein Club der toten Seelen, getrieben vom Willen zur Ohnmacht. Autor: Wer sich über die erbärmliche Inszenierung der Hinrichtung Bin Ladens freuen kann, der mag vom Willen zur Macht beseelt sein, doch der ist offenkundig von der Moderne überfordert. Der muss noch mal die Mühen der Aufklärung durchlaufen, die Prozeduren des Rechtsstaates von Grund auf erlernen, das Labyrinth der Differenzen, die schwere Schule der Toleranz. Der zerstört, was angeblich islamistische Fundamentalisten zerstören wollen. Der ist bloß ein trauriger Sinnsucher in den Phantasmen des blutigen Ernstes. Musik: Absage: Wider die Horden Allahs. Karl Martell und sein Nachfolger. Ein Feature von Walter van Rossum. Es sprachen: Ton und Technik: Regie: Walter van Rossum. Redaktion: Elisabeth Panknin. Deutschlandfunk 2012. ENDE 26