Deutschlandradio Kultur Länderreport COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Wie hieß das doch gleich? - Was von der Sprache in der DDR noch so übrig geblieben ist. Oder auch nicht. - Autor Claus Stephan Rehfeld Red. Claudia Perez Sdg. 01.09.2010 - 13.07 Uhr gek. Wdhlg. vom 22.08.2005 - 13.07 Uhr Länge 19.32 Minuten Spr. Frank Arnold Moderation Wenn es um den Osten geht, versteht der Wessi heute mehr denn je und der Ossi immer häufiger nur Bahnhof. Beispiele MMM, NAW, Sprelacart, Silberpapier. Beider Hang zur Onomasiologie ist nicht sehr ausgeprägt. Auch nicht beim Ossi, der mit der Bezeichnungslehre zunehmend weniger am Hut hat. Er stockt immer häufiger im Redefluß, geht es um seine Sprache in der DDR. Ein Blick ins Internet reicht aus, um sich verwundert die Augen zu reiben, was da jetzt alles als "Ostdeutsch" oder gar "Sprache in der DDR" serviert wird. Wurde ihm, dem Ossi, mit der Wende auf´s Maul gehaut? Oder was! Da jetzt vielerorten wieder häufiger von der Wende die Rede ist, reichen wir gerne die Kleine Sprachhilfe, die so aktuell geblieben ist wie vor Jahren schon, und wenden dies und jenes Wörtlein. - folgt Script Beitrag - Vorspiel mit jradem Jang G 01 Hund bellt E 01 (Frau) "Ach, so eine Nachbarin sagte dann mal: Euch Westler erkennt man am jraden Jang." (lacht) Sprecher Danach hatten wir nun wirklich nicht gefragt. E 02 (Frau) "Ja, wenn sie vielleicht in einer halben Stunde noch mal wiederkommen, dann würde ich nachforschen, aber sonst so." So viel Sendezeit haben wir nicht mehr. E 03 (Frau) "Aber ich fand, das war eigentlich schon ganz gut." Wir auch. Danke. Ostdeutsch? G 01 Schritte auf der Straße Sprecher Wir sind bekümmert zu nennen, ja, irgendwie bekümmert. Uns treibt eine schlichte Frage um. Wie war die Alltagssprache in der DDR? Wir nennen sie kurz Ostdeutsch. Das scheint uns verständlicher. Dennoch werden wir nicht verstanden. Hier, in Berlin, in Ostberlin! Die einen haben nur Westdeutsch drauf, wir hörten es gerade; die anderen, die Ostdeutschen ... eigenartig, sehr eigenartig ... E 01 (Mann) "Ach Gott, wie wat det? Wir haben eijentlich jenauso gesprochen wie alle anderen auch." (lacht) Wirklich? E 02 (Mann) "Ja, nehm ick an." Keine eigenen Begriffe, Bezeichnungen, Parolen? Nein?! E 03 (Mann) "Jab's die überhaupt in de DDR? Ja doch, jab's och, ja." Na also! Und? E 04 (Mann) "Ach, ja, Moment, ph, ja weeß ick jetzt och nich mehr. Weeß ick nich mehr!" Verzweifelte Suche G 01 Kaufhalle Sprecher K-a-u-f-h-a-l-l-e. Wir haben Ostdeutsch gebimst, also Alltagssprache in der DDR: Bilanz, MMM, Plaste; Bückware, Kännchen Kaffee komplett, Juice; Kaufhalle, Zielstellung, Sättigungsbeilage. Wir warnen vor voreiligen Lachern, die Sprache spaßt nicht. "Auseinanderdividieren" - ein Wessi-Politiker machte diesen Begriff gleich weltweit salonfähig! "Weiter fortfahren" ist dem gesamtdeutschen Sprachmüll zuzurechnen. Und der Begriff "Obstdispatcher" - unsere Feder spreizt sich: "O-b-s-t-d-i-s-p-a-t-c-h-e-r" - ist der westdeutschen Zunge entsprungen. Nun, was war die Sprache in der DDR? Die Linguistik hat sich, so erfahren wir, vornehmlich dem offiziellen Sprachgebrauch zugewandt. Mit und nach der Wende beäugte sie auftragsgemäß vor allem die Anpassung der ostdeutschen Zunge an den Zungenschlag des westdeutschen Vorgesetzten. Nun suchen Sprachwissenschaftler händeringend Ostdeutsche, die noch Ostdeutsch beherrschen. Wir auch! Kleiner Lauschangriff G 01 Café E 01 (Prof. Reiher) "Das ist das, was wir eben gleich nach der Wende gemacht haben, ja. Wirklich ins Café gegangen, ja ..." Sprecher Sozusagen wissenschaftlicher Lauschangriff, IM Sprache. E 02 (Prof. Reiher) "Ein Bruch lässt sich überhaupt nicht feststellen, ist so ein allmähliches Verschwinden. Am meisten merke ich dann das noch an solcher Lexik wie *Flugzeug* und *Flieger*. Nach der Wende war klar, im Westen flog man mit einem Flieger und im Osten flog man mit einem Flugzeug, ja." Ibiza statt Budapest. E 03 (Prof. Reiher) "Inzwischen fliegt kaum noch jemand im Osten mit einem Flugzeug." Ups, das haben wir nun wirklich nicht gewollt E 04 (Prof. Reiher) "Die fliegen alle mit einem Flieger, ja." Neue Füllsel G 01 Kaufhalle Sprecher Wir gönnen es ihm, aber es hilft uns nur bedingt weiter. Denn wir sind nicht mehr nur "bekümmert" zu nennen, nein, "bestürzt" scheint uns jetzt der angemessene Ausdruck zu sein. In den meisten Fällen werden wir nicht mehr verstanden. Von Ostdeutschen! In Ostberlin! Wir fassen es nicht. Tagelanges pauken griffiger DDR-Vokabeln - umsonst. Nächtelanges wälzen des Körpers und einschlägiger Wörterbücher im Bett - zwecklos. Leicht wirre Blicke, höhnisches Gelächter, zerfurchte Gesichter, verzweifelte Gesten - dabei hatten wir nur nach ostdeutschen Begriffen gefragt. Am 26.August 1995 starb der letzte Sprecher der australischen Sprache Martuthunira. Mit der Wende - so unser Eindruck - hackte sich fast ein ganzer Volksstamm die Zunge ab. Puffmais war nicht mehr im Angebot, Popcorn füllt jetzt den Hohlraum. Richtige DDR-Bürger G 01 Raum E 01 (Mann 1) "Na ick bin doch, hahaha, der ist ein Witzbold. Wir sind richtige DDR-Bürger noch, Mensch." Sprecher Wir schöpfen Hoffnung, lassen elegant den Begriff "Stuntman" fallen. Ja, wie wurde "Stuntman" in der DDR genannt? Na? E 02 (Mann 2) "Stuntman, det waren, äh, Moment, wat waren Stuntman." (Mann 1) "Mensch, von DEFA, wat waren Stuntman?" (Mann 2) "Stuntman? Wat war ´n Stuntman?" Ja, "Stuntman" auf DDRersch! E 03 (Mann 2) "Oh Gott! Kannst mal sehen? Ach, wat war denn bloß ein Stuntman? Da jabs ein richtigen deutschen Begriff. Sagen Sie mal!" Wir schweigen. E 04 (Mann 2) "Da jabs och ne Bezeichnung für. Ne richtige deutsche Bezeichnung. Siehste, so schlimm ist det schon, dass man ja nich mehr weeß, wiet in Deutsch heißt." Wir haben eine mittlere Sinnkrise ausgelöst. E 05 (Mann 2) "Mensch, wie heißt denn, wie hießen denn die? Ach, wie hießen denn die?" (genüsslich) Formulierung für "Stuntman" in der DDR? E 06 (Mann 1) "Wissen wa nich. Ist schon ein paar Tage her." (Mann 2) "Aba sach mal, wie hieß denn der Stuntman?" Zwischenbilanz G 01: Flaschenautomat Sprecher Na! Und Sie da am Lautsprecher? Wie war denn nun die in der DDR übliche Bezeichnung für "Stuntman"? "Gabs in der DDR nich" - lautete eine Auskunft, die wir mit leicht ironischem Lächeln quittierten. Es handelte sich um eine Einzelmeinung, ebenso der kecke Ausruf "Det is beim Film ein Double, der hieß in der DDR Stuntman." Minderheitenvoten. Die gängigste Antwort, die wir erfuhren, endete mit einem Fragezeichen: "Keene Ahnung! Stuntman?" Nun, mit der Wende wurden offensichtlich nicht nur Sprelacart-Tische entsorgt. Auch das Sprachhirn wurde neu eingerichtet. Mit einer Geschwindigkeit, die einen Kaskadeur schwindlig werden ließe. Kaufhalle erst ab 1999 E 01 (Prof. Reiher) "Einiges davon ist natürlich immer noch da. Sie brauchen sich nur vor den Supermarkt stellen und die Leute fragen, wo sie Einkaufen gehen. Sie gehen natürlich noch in die Kaufhalle einkaufen." Professor Ruth Reiher, Sprachwissenschaftlerin. E 02 (Prof. Reiher) "Ja, ich gehe auch noch nach wie vor in die Kaufhalle." Und zum Bücherregal. E 03 (Prof. Reiher) "Das ist auch wieder interessant, das habe ich dann in den Wörterbüchern verfolgt, dass war für mich immer so, wenn es hieß, ein Wörterbuch, das den gesamtdeutschen Sprachstand wiedergibt nach 1990 ..." ... mit westdeutschem Know how erstellt ... E 04 (Prof. Reiher) " ... dann habe ich immer unter *Kaufhalle* nachgeguckt. Und stellte da fest, dass es in dem ersten Duden nach 1990 überhaupt nicht erschienen ist, das Wort *Kaufhalle*. Und dann war es, glaube ich, weiß ich jetzt nicht, Moment, da gucke ich mal nach. Das kann ich genau sagen ..." Wir nippen derweil am Westkaffee und hören die Uhr laut schlagen. E 05 (Prof. Reiher) (Buchgeräusch) "Hm, ach hier, hier ist die *Kaufhalle*, ja, also *Kaufhalle*, ich habe wirklich nur die Duden angeguckt." "Kaufhalle" - wir sind gespannt. E 06 (Prof. Reiher) "Fehlt in dem Einheits- Duden von 1991, der ist ja mit viel Reklame als der große Einheits-Duden herausgestellt, da fehlts ganz. 96 fehlts auch ganz. 99, und zwar ist das so ein zehnbändiger Duden, erscheint *Kaufhalle*, aber nicht im Sinne einer *supermarktähnlichen Selbstbedienungseinrichtung*, sondern als *eingeschossiges Kaufhaus*." Endlich drin und doch nicht so ganz richtig. Duden. E 07 (Prof. Reiher) "Da gucke ich öfter nach, da gucke ich öfter nach, ja." Bei Birgit Wolf, "Sprache in der DDR. Ein Wörterbuch", Verlag de Gruyter. E 08 (Prof. Reiher) (blättert) "*Kaufhalle - von der HO oder vom KONSUM geführte große supermarktähnliche Selbstbedienungseinrichtung.*" Gestatten: Damals. G 01: Kaufhalle Sprecher Wir grübeln. In Vorbereitung und Durchführung des Beschlusses des Sendevorhabens des Redakteurs, unter Berücksichtigung des engen und vertrauensvollen Zusammenwirkens mit dem Volk, sind wir Genitivtreppen rauf und runter gestiegen. Das fiel uns nicht leicht. Gelegentlich fuhren wir auch Fahrstuhl. Zum Beispiel in einem großen Kaufhaus. Unauffällig belauschten wir Kundengespräche, die Videokamera ist unser Zeuge. Sprachforschung. Vergeblich. Nichts. Nur das übliche: Die Frau entscheidet, was gekauft wird. Der Mann geht nur mit. Wir investierten 1.10 Euro in ein "ND". Uns blieb die Spucke weg. Das Zentralorgan der Sozialistischen Tageszeitung spricht voll Westdeutsch. Auf 24 Seiten sprangen uns nur zwei Begriffe ins Auge: "Datsche" und "DHfK". Beide Artikel hatten einen geschichtlichen Hintergrund. Genusssüchtig verschlangen wir 303 Seiten eines Buches, das nicht mal mehr als Bückware zu bekommen ist. Wir aber haben Beziehungen, äh Kontakte: "Mit sozialistischen und anderen Grüßen. Porträt einer untergegangenen Republik in Alltagstexten." Ruth Reiher, Aufbau-Verlag. Damals wars - und heute? Ham wa nich G 01 Straße, Schritte E 01 (Mann) "Ja, wir haben keine DDR mehr." Sprecher Das hat sich inzwischen rumgesprochen. E 02 (Mann) "Wir haben keine DDR mehr." Gut, gut, aber da wurde doch gesprochen. E 03 (Mann) "Ja." Damals. E 04 (Mann) "Ja." Ostdeutsch? E 05 (Mann) "Ja." Oder wie wurde das genannt? E 06 (Mann) "Ick weiß jetz nicht. Deutsch." Deutsch? E 07 (Mann) "Deutsch." Nun ja. Und wie lautete in der DDR die übliche Bezeichnung für fotokopieren? E 08 (Mann) "Nee, Fotokopien jabs nich. Kann ick mich nich erinnern." Betrieblicher Organisator und Verteiler? E 09 (Mann) "Kenn ick nich." Was war eine Komplexannahmestelle? E 10 (Mann) "Kenn ick och nich den Begriff." Konnte man da seine Komplexe abgeben? Sozusagen psychologische Beratung? E 11 (Mann) "Nee, kenn ick nich den Begriff." Aha. E 12 (Mann) "Kenn ick nich, weiß ick nich, kenn ick nich, nee." (zögerlich) Sie sprechen nicht mehr Ostdeutsch? DDRersch? E 13 (Mann) "Ick kenn nur Vokabeln, mit denen ick mich beschäftige." Altes und neues Deutsch G 01 Kaufhalle Sprecher Plaste, Broiler, Zimmer; Lehrling, Kollektiv, Betrieb. Nicht so schnell? (langsamer) Vita-Cola, Kosmonaut, Bevölkerung. (kurze Pause) Komplexannahmestelle, Komplexbrigade, Komplexbauten. (kurz Pause) KIM-Eier, Ketwurst, Kartoffeleinsatz. (kurze Pause) Kollege kommt gleich. Wir haben Zeit. Und wir erinnern uns. 2.000 bis 3.000 westdeutsche Vokabeln mussten die Ostdeutschen nach der Wende büffeln. Das schätzten westdeutsche Sprachforscher. Mehr als 800 Begriffe aus dem DDR- Deutsch landeten im Plastik(!)-Sack der Sprachentsorgungs GmbH. Diese Zahl zweifeln wir an, anderes nicht. Der Wessi hat die Mülltüte gehalten und wenig dazugelernt. Ein lächerliches Dutzend Ost-Vokabeln sollen es sein. "Trabi, Broiler, Eiapopeia" - wir zitieren eine hübsche Ostdeutsche, die uns in die Augen blickte. Der Ostdeutsche hat seine Lektion gelernt. Sein Zungenschlag ist verständlich und trendy. Der Ruf nach Einführung der D-Mark war eine versteckte Forderung nach landesweiter Dominanz des westDeutschen. Sprachliche Brosamen E 01 (Prof. Reiher) "Herr Rehfeld sucht nämlich immer nach Spuren der DDR-Sprache und wir finden natürlich nichts, ja." Sprecher Sie erinnern sich: Professor Ruth Reiher. Im Gespräch mit einer Kollegin, gleichfalls Sprachwissenschaftlerin. E 02 (Prof. Reiher) "Es sei denn, die Super-Illu, ne, die war natürlich ..." Sie hat sich eine "SUPER illu" gekauft. West-Zeitschrift für Ossis. Wie der Chefredakteur in seinem "Guten Tag, liebe Leser!" schreibt, er soll übrigens auch ein Wessi sein, habe er seit 1991 mit seinem ganzen Redaktionsteam "dafür gekämpft, dass Ost und West zusammenfinden." Sozusagen Völkerverständigung als Kampfauftrag. E 03 (Prof. Reiher) "Und hier war natürlich durchweg DDR-Terminologie drin." Nicht im "ND"! In der "SUPER illu"! "Von Ampelmännchen bis Zentralkomitee" - wir können das bestätigen. Nur: E 04 (Prof. Reiher) "Hm, es wird vieles falsch gemacht. Zum Beispiel "Ausbauwohnungen", gab es in jedem DDR-Lexikon, nannte sich bei denen Reko-Wohnung. War aber nicht der gängige Terminus, ja." War aber nicht das einzige. E 06 (Prof. Reiher) "Tiefkühlbox". Tiefkühlbox - wir sind alle mit "Kühltaschen" losgezogen, keiner mit ne Tiefkühlbox, ne." Sprach-Einkauf G 01 Kaufhaus Sprecher Trotz Kaufhalle und - wir haben den Standort kurzzeitig gewechselt - und Kaufhaus: die Deutsche Einheit ist wesentlich und sprachlich vollzogen. Wer heute in den blühenden Landschaften mit der Botanisiertrommel auf der Suche nach Ostdeutsch ist, muß lange suchen. E 01 (1/Frau) "Müsstest du doch wissen." (Mann) "Weeß ick nich." (Frau) "Du warst doch so wat." (Mann) "Naja, betrieblicher Organisator. Als Organisator." Wir hatten nach dem in der DDR üblichen Begriff für Organisator gefragt. Na? (versöhnlich) Ja, Dispatcher. Richtig! Na klar, sie wussten auch sonst immer die richtige Antwort! Alu-Folie gabs, auch wenn viele Befragte das verneinten, und sie hieß Silberpapier. Für fotokopieren sagte man abziehen oder ablichten. Und eine Komplexannahmestelle war weniger eine Annahmestelle für persönliche Komplexe, sondern - stimmt - eine Einrichtung, wo so ziemlich alles angenommen wurde, was repariert werden konnte. Sie erinnern sich: Haushaltsgeräte, Schirme, Strümpfe mit Laufmaschen. Wenige verweigerten sich einer Befragung. Richtige Antworten waren eher die Ausnahme. Die Regel war ein äußerst hoher Unterhaltungswert. Zum Beispiel bei diesem Kollektiv, auf das wir an einem Stammtisch stießen. Also: Stuntman. E 02 (1/Frau) "Die haben wir ja nich jehabt." (Mann) "Die jabs nich." (Frau) "Det haben wir allet alleene jemacht." (Gelächter / Mann) "Wir waren alle Stuntmänner." (Frau) "Das haben wir alles alleine gemacht." Kurzer Besuch im Sprach-Shop G 01 Straße Sprecher D e r Frau laufen wir gerne nach. In einem Nobel-Café verlangte sie einen "Kaffee komplett". Der Herr hinter dem Tresen übersetzte das mit "Café after day oder wie meinen Sie jetzt?" Als sie wissen wollte, wo die Bohne herkommt, "ob det Rondo is?", verschwand die Bedienung für einige Zeit. Nun steuert die Dame eine Wechselstube in Ostberlin an. G 02 Tür / rein E 01 (Frau) "Guten Tag! Nehmen Sie auch, tauschen Sie Forum-Checks um?" (Mann) "Nee, sind keine Bank. Sie müssen in eine Bank gehen." (Frau) "Ach, in eine Bank? Ok. Danke schön. Wo ist eine?" (Mann) "Berliner Volksbank die Richtung, Commerzbank, Citybank, Hypovereinsbank in die Richtung." (Frau) "Aha. Und die haben ganz sicher Forum-Checks?" (flüsternd) "Forum-Check - Umgangssprachlich für das von der Forum-Außenhandelsgesellschaft mbH ausgegebene banknotenähnliche Zahlungsmittel, das man bei der Staatsbank der DDR für westliche Währungen im Gegenwert eintauschen musste, bevor man im Intershop einkaufen durfte." "Sprache in der DDR. Ein Wörterbuch", S. 71, Verlag de Gruyter. Der Herr hinter dem Glas ist ein Wessi. E 02 (Frau) "Hier war mal ein Intershop oder ist noch. Wissen Sie, wo der ist?" (Mann) "Intershop?" (Frau) "Intershop." (Mann) "Da ist ein paar Läden, müssen sie weiter gehen." (Frau) "Ach so. Okay. Vielen Dank." G 03 Tür / raus - Straße Nun steuert die Dame aus der DDR einen Jeans-Laden an. Sie hängt so an Niethosen. Wir ahnen, was kommt. Extra so jemacht G 01 Straße / Laden Sprecher Unsere Reise in eine Zeit, da hierorts Ausreiseformulare ein echter Engpaß waren, neigt sich dem Ende zu. Da der Grundsatz gilt, dass Sprache lebt, hatten wir es mit einer toten Sprache zu tun. Im Rechenschaftsbericht notieren wir: "Nur noch rudimentäre Kenntnisse des Ostdeutschen anzutreffen. Sprachträger haben sich der Wirklichkeit angepasst. Sie gehen heute nicht mehr auf die Toilette, sondern aufs WC- Center." Als das Institut für deutsche Sprache und Linguistik der Humboldt-Universität nur mal so aus Spaß nach DDR- Vokabular fragte, führte das zu erstaunlichen Ergebnissen. Keiner der Befragten, es handelte sich laut Einladung um "ausgewiesene Sprach- und Sozialwissenschaftler aus Ost und West", erreichte die volle Punktzahl. Wir verstehen das. Ein Ostberliner brachte es uns auf eine griffige Formel: E 01 (Mann) "Hab´ extra viel verjessen. Und det hab ick extra so jemacht." Wir unterstützen vollinhaltlich und einstimmig die Feststellung besagter Experten, wonach "es auch heute (...) nicht möglich ist, die sprachliche Situation in der DDR angemessen zu beurteilen." In der Verpflichtungserklärung verpflichten wir uns daher, weiter zu recherchieren. Sie hören also von uns. Und bis dahin gewöhnen Sie sich bitte Formulierungen ab wie "e-h-e-m-a-l-i-g-e DDR" - unsere Feder spreizt sich schon wieder - und "e-h-e-m-a-l-i-g-e DDR-Bürger". Es gibt sie wirklich nicht mehr (!) - die DDR. G 02 Schritte auf Straße -ENDE Sendung- -folgt Literaturhinweis- Literatur zum Thema + Birgit Wolf: "Sprache in der DDR. Ein Wörterbuch" Verlag de Gruyter Berlin / 1.Auflage / 2000 + Ernst Röhl: "Wörtliche Betäubung - Neudeutscher Mindeswortschatz" Eulenspiegel Verlag Berlin / 1.Auflage / 1986 + Ruth Reiher (Hrg): "Mit sozialistischen und anderen Grüßen. Porträt einer untergegangenen Republik in Alltagstexten" Aufbau-Verlag Berlin / 1.Auflage / 1995 + Sabina Schroeter: "Die Sprache der DDR im Spiegel der Literatur" Verlag de Gruyter Berlin / 1994 -ENDE Literaturliste & Script-