Deutschlandrundfahrt Deutschland, Deine Zelte Von der Kunst, den richtigen Platz zu finden Eine Deutschlandrundfahrt von Irina Grabowski Sendung: 24. Juni 2016, 11.05 Uhr Ton: Peter Seyffert Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2016 O-Ton1 „Ich kann mir auch sehr schöne Urlaube mit dem Wohnwagen vorstellen, solange man mobil bleibt, solange man sich nicht einmauert. Aber das wahre Campen ist Zeltcampen, denn da schläft man wirklich in der Natur, macht nicht die Tür zu und hört nicht mehr viel um sich rum. Sondern im Zelt höre ich die Bäume rauschen und ich hör die Vögel morgens früh um 5, wenn die meinen, schon aufstehen zu müssen, ich merke, dass die Sonne aufgeht. Also Zelten ist schon, find ich, die Essenz von draußen schlafen.“ Kennmelodie Sprecher Deutschland, Deine Zelte Von der Kunst den richtigen Platz zu finden Eine Deutschlandrundfahrt von Irina Grabowski. Kennmelodie Es gibt mehr als 2800 Campingplätze in Deutschland. Wo fang ich an? Es sind viele dabei, auf denen man sich mit einem einfachen Zelt völlig deplatziert vorkommt. Ein Freund erzählt mir von Harriersand, das ist eine der größten Flussinseln Europas. In der Weser. Der Zeltplatz dort am Weserstrand mit dem Blick auf die Hafenanlage der Stadt Brake sei total abgefahren. Atmo 1 Fähre Die Gunsiet hält Kurs auf Harriersand. Vorfreudekribbeln im Bauch. Man sieht den Strand vor dem Zeltplatz leuchten, man sieht viel Grün. Auch Carsten Renken und seine Frau setzen an diesem Freitag mit der Fähre über. Er war Rettungsschwimmer auf Harriersand als er Petra mit 18 kennenlernte. Für sie war die Insel schon als Kind wie ein zweites Zuhause: O-Ton 2 „Bei uns heißt das immer noch Strand, fahren wir am Wochenende an den Strand. Und wir hatten auch kein Ferienhaus, sondern eine Bude. Und es ist immer noch mit der Fähre rüberfahren, wie Urlaub. Und es ist immer noch Inselgefühl.“ Sie haben den Zeltplatz ehrenamtlich übernommen, als der von der Schließung bedroht war. Der Verein „Inselfreunde Harriersand“ konnte den Zeltplatzwart und die Putzfrau nicht mehr bezahlen. Carsten Renken hat hier als Jugendlicher mit einem Zelt angefangen. Seine Frau ist mit den Campern großgeworden. Den Platz gibt es genau wie die kleinen Buden schon ewig. Sie wollen, dass das so bleibt. Atmo 3 Fähre Aussteigen Von der Fähre aus kommt man an der Strandhalle vorbei, einem Restaurant. Verhungern wird man auf der Insel schon mal nicht. Dann geht es durch ein Spalier hübscher Ferienhäuser. Und schon liegt es vor einem: das Paradies mit seinen rauschenden Bäumen. Atmo 4 Zeltplatz Carsten Renken holt aus: O-Ton 3 „Die drei markantesten Punkte, die wir haben, ist, dass wir ein reiner Rasenzeltplatz sind ohne Schotter, dass wir keine Blechbüchsen – sprich Wohnmobile oder Wohnanhänger - hier haben, und dass man sein Zelt hier so aufschlagen darf, wie man möchte, als Einzelzelter oder als Gruppe, so dass man keine Parzellierung hat, weil das noch nie so war und weil wir darauf setzen, dass man die größtmögliche Freiheit hier genießen kann.“ Der Zeltplatz ist einladend: Man möchte sofort seinen Kram auspacken und sich einrichten. Am besten gleich vorn am Rondell, wie Carsten Renken die Wiese rund um einen großen, alten Baum nennt. Geschützt von Sträuchern. Wie ein Dorfplatz. Atmo 5 Siloblick vom Strand Zur Weser hin ist ein Deich. Dahinter liegen die Düne und der schmale Strand. Der Blick rüber nach Brake ist auch - markant. Hohe Silos reihen sich aneinander. Carsten Renken, der in der Schifffahrt arbeitet, weiß, wozu die da stehen: O-Ton 4 „Hier wird Schüttgut umgeschlagen. Weizen, Mais und Soja wird hier angeliefert, der größte Teil für die Futtermittelversorgung im Cloppenburger Land.“ Zwei Seelen wohnen in seiner Brust: Als Seefahrer und guter Braker Bürger sagt er: O-Ton 5 „Wir haben eine Industriekultur, Brake ist eine Seehafenstadt und dazu gehören natürlich die entsprechenden Hafenanlagen. Als Bewahrer des Zeltplatzes Harriersand stört ihn, dass die graue Wand der Silos immer mehr wird: O-Ton 6 „Was ja spannend ist, dass man Schiffsmanöver mitbekommt, und die überwiegende Zahl findet das ganz toll hier zu zelten. Aber wenn es mal einen Kritikpunkt gibt, dann ist es der Krach, der von drüben rüber weht, nachts, dass man nicht schlafen kann, weil die Kräne heulen oder es permanentes Brummen der Entladeanlagen gibt. Ja.“ Atmo 6 Siloblick Unter den Campern hat die Hafenanlage viele Fans. Die sitzen mit dem Bier auf ihren Stühlen an der Düne: O-Ton 7 „Ist nicht schlimm das Graue. Vor allen Dingen nachts ist alles wunderschön beleuchtet. Das sieht gigantisch aus. Nachts ist es ein ganz anderes Bild als tagsüber. Wenn Sie da hochlaufen, das ist richtig romantisch, das ist alles beleuchtet, das ist der Hammer, wenn es dann noch windstill ist und sternenklar besser geht’s nicht.“ Kerstin Jansen und Fritzi Otten kommen mit ihren Familien von der Nordseeküste. 130 Kilometer, um auf einer Flussinsel zu zelten. Warum? O-Ton 8 „An der Nordseeküste ist das alles schon mehr bling-bling. Sehen und gesehen werden. Das wird auch immer schlimmer. Ich kann Ihnen ganz ehrlich sagen: An die Küste fahr ich nicht im Sommer. Das ist einfach zu überfüllt, kommerziell, es ist teuer… und ich würde da auch so mit dem Zelt…“ Nicht hinpassen! Zwischen den Wohnwagen, die alles ausgefahren haben. Kerstin Jansen mag den Zeltplatz auf Harriersand, weil er so anders ist als zu Hause. Auch das Publikum: O-Ton 9 „Alle die hier zelten, dass sind so Normalos, da kann man sagen, haste du noch ein Bieröffner, oder haste mal dies oder haste mal das. Oder die kommen im billigen Küstengold-Zelt, und haben genauso ihren Spaß wie andere, die schon voll ausgestattet sind. Und die Kinder sind hier zufrieden, weil sie Wasser haben.“ Atmo 7 Siloblick Man kann in der Weser baden. Vom Wasser her kein Problem, meint Carsten Renken: O-Ton 10 „Das Einzige, wo jeder glaubt, oh das ist aber ein bisschen dreckig, sind die Sedimente hier. Das ist halt kein Ostseewasser, wo man auf den Grund gucken kann, aber biologisch, chemisch ist das eine Top-Wasserqualität.“ Rausschwimmen sollte man nur soweit, wie man noch stehen kann, um die Strömung zu beherrschen. Und nicht den Ehrgeiz haben an den roten Tonnen anzuschlagen, die die Fahrrinne markieren. Zum Baden braucht man das richtige Wetter. Carsten Renken lächelt: O-Ton 11 „Wenn Bremen-Euten oder Berne oder Overgönne oder Bremerhaven absaufen, sitzen wir hier immer noch auf unsere Insel, gucken in die Sonne, und denken uns, was ist eigentlich rundherum los. Das ist kein Witz.“ Atmo 9 Zeltplatz Das ändert sich ab Herbst manchmal schlagartig, denn sie sind hier an der Weser im Sturmflutgebiet. O-Ton 12 „Der Zeltplatz wird regelmässig in der Wintersaison überflutet, hier wo Sie stehen würden Sie bei einer mittelprächtigen Sturmflut überspült sein“ Am 30.September ist deswegen die Saison vorbei. Dann werden die Stromkästen abgeklemmt, die Miet- und Dauerzelte abgebaut. Atmo 10 Zeltplatz Harriersand – das ist die Ferienkolonie und der Zeltplatz und das sind die Landwirte, die auf der Insel leben. Man trifft sich auf der einzigen Straße. Geräusch Trecker auf Landstraße Die ist einspurig und eigentlich nur für die Landwirtschaft gedacht. Das birgt Konflikte. Carsten Renken erklärt das so: O-Ton 14 „Wenn wir am Wochenende starken Autoverkehr haben, haben wir a) keine Parkplätze dafür, und b) sie behindern auch die Landwirte bei ihrer Arbeit. Und dann gibt es auf einer einspurigen Straße dann auch Begegnungen, wo ich Ihnen sage, dass der Landwirt gewinnt. Von daher: Hier mit dem Auto herkommen, technisch geht das, empfehlenswert ist das nicht... Atmo 11 Fähre Dann lieber von Brake mit der Guntsiet für 1,50 € übersetzen, mit dem Zelt im Gepäck. Der kürzeste Weg zur Insel. Vielleicht ja auch zum Inselgefühl. Petra Renken beobachtet an den Wochenenden immer wieder aufs Neue: O-Ton 15 „Dass die Zelter freitags noch ganz aufgeregt ankommen: ‚Wir brauchen Strom, wir haben kein Parkplatz, und das ist überhaupt hier alles nicht richtig! ‘ Und dann merken wir: ‚Gut, kommt erst mal an und sucht Euch einen Platz, dann merkt Ihr ganz schnell, dass hier die Bäume rauschen und die Wellen schlagen, und nächsten Tag zum Brötchenabholen ist alles viel entspannter.“ Frische Brötchen. Ein Service, der sie und ihren Mann am Wochenende früher, als sie vielleicht wollen, aus dem Bett treibt. Danach putzen sie noch Duschen und Toiletten. Wie gesagt ehrenamtlich. Ihre Freunde springen ein, wenn sie mal weg sind. Atmo 12 Kinder O-Ton 16 „Alle Braker Kinder kennen Harriersand und sie lieben es, eine Nacht hier am Strand zu verbringen, am Lagerfeuer mit einer Bratwurst und Spielerei. Das mögen alle Kinder gern!“ Jan Köhnemann wird heute Nacht mit der Klasse seiner Tochter hier zelten. Schweiß steht ihm auf der Stirn. O-Ton 17 „15 Kinder ist wie Läuse hüten (lacht)“ Die meisten Gäste kommen über’s Wochenende, ein, zwei Nächte, im Sommer auch mal mehr. Pfingsten ist es richtig voll. Zwei schöne Plätze für Dauerzelter sind noch zu haben, zwei Mietzelte wurden aufgebaut. Carsten und Petra Renken wollen ehrenamtlich so lange durchhalten, bis genug Gäste kommen, damit sich der Platz trägt und wieder ein fester Zeltplatzwart ihren Job übernimmt. O-Ton 18 Carsten Renken „Natürlich können wir das als Gesellschaft alle machen: überall wird ausoptimiert, überall wird geguckt, was sich nicht rechnet wird abgeschafft, aber was macht dann eine Gesellschaft lebenswert? Paar schöne Ecken müssen wir erhalten und das, finde ich, ist eine erhaltenswerte Ecke in Deutschland.“ Musik 1 „Sunken Waltz“ Interpret: Calexico Komponist: Joey Burns, John Convertino Label: City Slang, LC-Nr. 06853 O-Ton 19 Björn Staschen „Ich such nach Plätzen, auf denen ich Freiheit spüre. Und Freiheit heißt, dass ich mir aussuchen kann, wo mein Zelt steht, dass ich Platz habe zum Nachbarn, dass es nicht so unendlich viele Regeln gibt. Dass nicht die Dauercamper alles mit Jägerzäunen abgesteckt haben, dass ich `nen Lagerfeuer anmachen kann und dass die Atmosphäre stimmt.“ Björn Staschen ist in Hamburg Journalist beim Fernsehen, aber mit seiner Familie auch leidenschaftlicher Bulli-Camper. Schon wegen seiner drei Jungs ist der VW-Bus hilfreich. Als Korrespondent in London hat er einen wunderschönen Zelturlaub verbracht, dank eines Buches, dessen Idee er dann für Deutschland übernommen hat: „Cool Camping“. Eine Auswahl allerschönster Plätze, die man weder in Online-Portalen, noch beim ADAC geboten bekommt. Keiner der Betreiber zahlt Geld dafür, dass sein Platz in dem Buch auftaucht. O-Ton 20 „Anna Fleuth – den wollt ich dann auch als letzten Platz am Abend besuchen, mit meinem Bulli, und der Daniel sagte am Telefon: ‚Nö, kannste vergessen, hier kommt kein Bulli rauf, wir sind eine Wiese! ‘. Na super, ist ja sehr praktisch. Dann bin ich dann erst den nächsten Tag hingefahren“ Aus der ersten Enttäuschung wurde große Begeisterung, als er Daniel Wouters und dessen Familie in Winnekendonk, im Landkreis Kleve am Niederrhein, kennenlernte. O-Ton 21 „Ist aber auch so‘ n Platz, den man sofort ins Herz schließt. Weil der sehr klein ist, wirklich nur eine Wiese, da sind keine Autos drauf, nur ein paar schöne Bäume. Der Daniel und seine Familie sind eben auch Leute, die wissen was man sucht, wenn man campen geht.“ Das ist der coolste Campingplatz Deutschlands, findet Björn Staschen. Der Beste der Besten in seinem Buch. Ganz klar, den will ich sehen! Geräusch Fahrrad Erster Pluspunkt auf der Strecke nach Winnekendonk: gleich am Bahnhof in Kevelaer, das dem Marienbildnis als „Trösterin der Betrübten“ seine Bedeutung als Wallfahrtsort verdankt, kann ich ein Fahrrad ausleihen. Auf einer ruhigen Straße parallel zur Niers, die gerade wieder Hochwasser führt, geht es vorbei an Feldern und einzelnen Höfen. Bis am Rand von Winnekendonk ein Schild sagt, wo es lang geht. Atmo 14 Zeltplatz Anna Fleuth Hinter Hecken und Bäumen sieht man das Haus der Familie Wouters. Der Zeltplatz liegt an einem Nebenfluss der Niers - an der Fleuth. Oder wie Daniels Vater sagt: O-Ton 22 „Anna Flöth“ An na Flöth, an der Flöth – Ja! Zeltplatz Anna Flöth! Das mit dem Namen wär geklärt. Ein Stück weiter sagen die Leute auch mal Fleuth, mit e u, mit eu, weil der Flussname so geschrieben wird, aber wir sind jetzt bei Anna Flöth. O-Ton 23 „Also, eigentlich seit 30 Jahren sagen uns Freunde, Verwandte, Bekannte: ‚Habt Ihr’s schön hier in Winnikendonk (lacht), auf der Niersstraße! Hier könnte man Urlaub machen‘. “ Maria Wouters ist offiziell die Betreiberin und Chefin des Platzes, ihr Sohn Daniel so etwas wie der Zeltplatzwart. Die Idee für „Anna Fleuth“ hat die Familie gemeinsam geboren. Daniel ist nach dem Abi anderthalb Jahre durch die Weltgeschichte gereist: Australien, Südostasien, Indien, Bangladesch. O-Ton 24 „Ich bin eher so mit dieser Backpacker-Idee zurückgekommen, ein junges Hotel in Kevelaer, hätte aber am liebsten auch hier stattfinden sollen.“ Aber ein Hostel ging nicht. Die Pferdewiese am Haus, das wusste sein Vater als Bauamtsleiter, war Fläche für die Landwirtschaft. Über einen Zeltplatz könnte man reden. Sie waren darauf vorbereitet, dass es dauern würde, bis das bei den Behörden durch ist, meint Ludger Wouters: O-Ton 25 „Ja, wir hatten drei Jahre Zeit von der Idee bis zum Flächennutzungsplan. In diesen drei Jahren ist das Ding gewachsen und es ist gemeinsam gewachsen. Wir haben uns viel darüber unterhalten, ne…“ Das Ding: Die Idee von einem Zeltplatz bei sich zu Hause. Ein Familienplatz nur mit Zelten. Anna Fleuth. Ludger Wouters ist als Vater von 4 Kindern einiges gewöhnt. Aber Camper als Nachbarn sind noch einmal anders. O-Ton 26 „Am Anfang, als wir gerade eröffnet hatten, war’s schwierig zu sortieren, welches Klientel kommt jetzt. Ich musste mehrmals nachts raus, um für Ruhe zu sorgen. Das hat sich alles eingespielt. Die halten sich an die Hausordnung und akzeptieren das.“ Bei der Nachtruhe gibt es eine Ausnahme: O-Ton 27 „Wir würden sofort Leute darum bitten ruhig zu sein, wenn sie sich um 11 Uhr noch lautstark unterhalten, aber wir würden um 11 Uhr niemanden, der noch ein Lied am Lagerfeuer singt, davon abhalten.“ Daniel Wouters ist Musiker und hat Musikethnologie studiert. Jeder der hat, kann Instrumente mitbringen: O-Ton 28 „Hier hat auch schon mal jemand seinen Bass ausgepackt oder ein Saxophon und abends hier für die Kinder ein Biene-Maja-Solo gespielt. Oder Oberton-Gesang war einer hier, der konnte richtig gut Oberton-Gesang.“ Daniel organisiert auch regelmäßig ein eigenes Anna-Fleuth-Festival, mit Bands aus der Umgebung. Atmo 15 Zeltplatz Keine Ausnahme gibt es beim Feuermachen: O-Ton 29 „Grillen am Zelt. Das möchten gern die meisten. Da sagen wir: geht einfach nicht, liebe Leute, weil dann hätten wir hier überall Grills stehen und es ist dafür einfach zu eng.“ Die grüne Wiese wäre bald dahin. Und so gibt es vier Grills, die sich alle teilen. O-Ton 30 „Das ist schon, glaube ich, ein Teil der Atmosphäre hier auf dem Platz, das man sich sehr nahe kommt.“ Die Wouters haben lange am Sanitärgebäude getüftelt, denn das ist wichtig für den Platz. Genauso wie der Unterstand mit Bierbänken und Tischen: O-Ton 31 „Hab ich auch von den Reisen mitgebracht, dass man irgendwo einen Raum hatte, wo man sich unterstellen konnte, kochen konnte, wo man sich wettergeschützt aufhalten konnte, ohne im Zelt sein zu müssen.“ Ja, ja, das Wetter! Wir sind hier in Nordrhein-Westfalen, am Niederrhein, die Niers und die Stadt Xanten in der Nähe - alles schon wegen Überflutung in den Schlagzeilen gewesen. O-Ton 32 „Wir merken natürlich schon, das Wetter spielt schon irgendwie verrückt. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass in den Sommermonaten wirklich Sommer ist. Man kann im Juni Pech haben, dass man von Gewittern und gänseeiergroßen Hagelkörnern überrascht wird.“ Das mit dem Hagel war im Juni. Ein Zelt hat es erwischt, eine Autoscheibe, die Äpfel und Kirschen an den Bäumen und Marias Gewächshaus. Mit den Gästen saßen sie sicher unterm Dach und sahen sich das Schauspiel an. O-Ton 33 „Die Bäume stehen waagerecht. Durch die ganzen Blätter ist es auch ein ohrenbetäubender Lärm. Im Sommer sind die Sachen aber meistens nach 10 bis 15 Minuten gegessen und dann… “ Kommt die Sonne wieder raus. O-Ton 34 (auf O-Ton) Daniel und seine Mutter begrüßen Stefan und Michael aus Duisburg. Die sind mit ihren Söhnen nicht zum ersten Mal hier. Ohne Frauen. O-Ton 35 „Damit wir mal alleine sind und die Frauen auch Ruhe haben. Man muss denen die Ruhe mal aufzwingen.“(lacht) (auf Atmo aus O-Ton 34) Sie nehmen den Platz vom letzten Mal, schön geschützt, in einer grünen Ecke. Gegenüber steht der Pizzaofen. O-Ton 36 „Das ist das Schöne hier. Hier hat man Tische, kann sich hinsetzen, kriegt ja Frühstück, deswegen genießen wir den Luxus hier als Camper.“ Oh ja das Frühstück. Noch ein Pluspunkt. Maria Wouters Domäne. Genau wie das Dekorative am Platz. Und der Spaziergang mit dem Maskottchen: Geräusch Dogge O-Ton 37 „Das ist Tyson, unser Haus- und Hofhund Tyson, seines Zeichens Bordeaux-Dogge und sehr beliebt.“ Trotz seines beindruckenden Ausmaßes. Ein Scheidungshund aus Winnekendonk. Die Wouters haben ihn sozusagen adoptiert. Tyson darf nicht auf den Zeltplatz. Es gibt ihn als Postkarte. Für alle Kinder, die ihn gern anfassen würden, sich aber nicht trauen. O-Ton 38 „Will den nicht streicheln aber der ist so süß‘. Aber viele Kinder, wenn sie ihn dann einmal gestreichelt haben, wenn ich dann mit ihm rausgehe, dann habe ich immer eine ganze Traube von Kindern hinter mir und wir gehen alle zusammen aufs Feld und dann ist die Welt im Döschen...“ Atmo 16 Zeltplatz Drei Familienzelte kann man auf dem Zeltplatz Anna Fleuth mieten. Das ist ein Angebot für Anfänger und Leute auf Durchreise. Außerdem gibt es zwei Gruppenzelte. Die sind vor allem an den Wochenenden vergeben: an Schulklassen, Glaubensgemeinschaften, Pfadfinder, Paddler, Großfamilien. Wer kommt noch so auf den Platz? Herr-der-Ringe-Fans zum Beispiel, die wegen des Tolkien-Tags in Geldern-Pont zu Pfingsten anreisen: O-Ton 39 „Und dann kommen die hier und bauen ihre Banner auf. Die laufen dann hier als Elben und Waldläufer und Feen durch die Gegend.“ Nur alles was mit Alkohol und Feierei zu tun hat, passt nicht auf den Platz. Die Wouters habe schlechte Erfahrungen gemacht mit Festivalbesuchern des Parookaville vom nahen Gelände in Weeze, die sich nicht zu benehmen wussten. O-Ton 40 „Es ist warm, dann wird mit voller Montur geduscht, alles ist matschig und alles ist nass. Mittags werden die Penneken getrunken, obwohl man gerade halbkotzend aus dem Zelt gekrochen ist. Wirklich das komplette Festivalprogramm, was im Rahmen eines Festivals, auf dem Festival-Campingplatz kann man’s gerne machen, ne.“ Atmo 17 Zeltplatz Chris aus Holland hat sich einen romantischen Platz hinterm Haus gesucht, mit Blick zur Fleuth. In der Woche gab es außer ihm kaum Gäste und er hat die Ruhe genossen. O-Ton 41 „Das ist der beste Campingplatz, den ich in diesen Ferien gesehen habe. Ich kenn das nicht, dass einen Platz gibt, die nur für Zelte bestimmt sind. Es gibt auch in Holland, man nennt das ‚naturcampiertering‘. Das ist auch ein bisschen diese Idee, aber nicht so gut wie diese. Man geht natürlich mit dem Rhythmus der Natur, früh ins Bett und früh wieder auf. Man hört die Stille der Natur, die Geräusche der Tiere, das ist sehr schön. Ich habe mich keinen Moment gelangweilt.“ Atmo 18 Zeltplatz Die Wouters haben den großen Luxus, dass der Platz sie nicht ernähren muss. Er ist auf eine andere Art für sie wichtig O-Ton 42 „Also, wir sehen den Zeltplatz mittlerweile auch so ein bisschen als Gesamtkunstwerk, weil wir eben auch viel Leidenschaft und Arbeit reinstecken, die man normalerweise nicht in ein Unternehmen stecken würde. Also, das ist einfach ein Teil von uns.“ 02 Musik „Gala Mix“ Interpret+ Komponist: Daniel Wouters Eigenproduktion Daniel Wouters Zelten beim Musik-Festival. Das ist eine eigene Kategorie. Es geht den Besuchern nicht um den ruhevollen Genuss der Natur. Das ist auch beim Immergut-Festival in Neustrelitz nicht anders. Selbst wenn das, wie einer der Künstler meint, die Biene Maja unter den Rockfestivals ist. Atmo 19 Hafenbahn „Fahrt ins Grüne“ ist diesmal das Festival-Motto (Atmo hochziehen) Treue Eisenbahner bringen mit einer kleinen Hafenbahn die Festivalgäste vom Bahnhof Neustrelitz ans Ziel. O-Ton 43 „Ick mach dit seit 13 Jahren und wenn ich lügen wollte, würde ich sagen, mir ist mal einer dumm gekommen, aber ist bisher nicht passiert. Also wirklich, dit is’ne janz saubere Sache hier.“ (Atmo Hafenbahn wieder hochziehen) Man hört die Vögel zwitschern, wenn man aussteigt. Atmo 20 Vogelgezwitscher Welche Idylle! Das Festivalgelände liegt tatsächlich im Grünen. Die meisten Leute kommen aber mit dem Auto. Das gehört zur Wahrheit dazu. Das erste, was man vom Immergut sieht, ist ein großer Parkplatz, schön staubiger Schotter. Atmo 21 Festivalgelände (evtl. Text immer wieder auf Atmo) Was das Gelände dahinter angeht, gibt es ein Vorher und ein Nachher: O-Ton 44 „ Zuerst wird Rasen gemäht, dann kommen die Bühnen, dann kommen die Toiletten, dann wird Infrastruktur gelegt, die Wasserleitungen, wirklich alles von Grund auf hier rauf. Und dann wird nach dem Festival alles wieder abgebaut, als wäre hier nichts geschehen.“ (Atmo hochziehen) Stefanie Rogoll gehört zum Immergut-Team. Schön, dass wieder Gras drüber wächst, wenn das Festival vorbei ist. Man ist hier ja auch nicht bei Rock am Ring oder der Fusion oder dem Hurricane, wo die Besucherzahlen in die zehntausende gehen und der Platz danach hin ist. O-Ton 45 „Das Immergut ist ein sehr familiäres Festival. Dadurch dass hier wirklich nur 5000 Leute sind. Wenn man sich die größeren Festivals anguckt, dann sind da oft die 16 bis 18-Jährigen, die zum ersten Mal von zu Hause weg frei zelten dürfen. Bei uns sind die Festivalbesucher mit gealtert. Das ist eine kleine eingeschworene Gemeinde.“ (Atmo hochziehen) Kleine eingeschworene Gemeinde von 5000(!) Besuchern, Durchschnittsalter 26. Die einen schlafen im Zelt. Die anderen, mit etwas mehr Komfort, im Bulli oder Wohnmobil. Stefanie gehörte schon als Festivalgast immer zur Zeltfraktion. Auch jetzt noch, aber eben backstage: O-Ton 46 „Sobald ein bisschen Ruhe dahinten einkehrt, legen wir uns für ein paar Minütchen hin und dann geht es am nächsten Tag weiter.“ O-Ton 47 „‘50 Cent pro Benutzung oder wir haben eine Klo-Flatrate, für fünf Euro das Bändchen. Ja, ich hätt‘ gern die Scheißflatrate.‘ ‚Die gute Scheiß-Flatrate? Na klar! Kacken für eine bessere Welt. Sehr gut!“ (auf O-Ton 47 ab 0’14) Christian Rippel sitzt vor einer Reihe schmucker Toilettenhäuschen, die Alternative zum Dixie-Klo. O-Ton 48 „Das Geschäftsmodell ist, dass es ökologische Toiletten sind, die ohne Wasser und ohne Chemie funktionieren…“ (Auf O-Ton 48 ab 0‘05) Eine Handvoll Streu tut es auch. O-Ton 49 „Am Ende kompostieren wir alles, um entweder daraus Energie zu gewinnen oder es zu Düngererde zu machen. Die Idee ist eigentlich daraus entstanden, das es vor allem in Entwicklungsländern große sanitäre Probleme gibt, und da haben sich die Leute, die das Projekt ins Leben gerufen haben, gedacht, bevor man in die großen Länder geht, hier erst das Problem auf den Festivals lösen könnte, wo sich halt viele Leute davor ekeln auf Klos zu gehen, weil die teilweise randvoll sind, stinken und teilweise nicht so gut gepflegt werden.“ Eco-Toiletten - ein Social-Business, entstanden in einer Studentengemeinschaft in Greifswald und Berlin. Weit mehr als 40 Festivals gehören zur Kundschaft. Atmo 22 Zeltplatz mit Musik Auf dem Zeltareal nebenan lungern Oliver und seine Freunde unter einem Pavillondach. Dosen, Flaschen, Essensreste kugeln durch die Gegend. O-Ton 50 „Man ist hier so ein paar Tage um sich, ich nenne das, zu reasozialisieren, dass man mal ein bisschen die Kontrolle verliert für ein paar Tage, und danach ist wieder gut, und dann kann man auch wieder aufräumen.“ Grünschimmernde Käfer fallen im Dutzend über die Unordnung her - kleine Rache der Natur. O-Ton 51 „Hier ist so eine Käferplage, die sind hier überall die Käfer.“ Aufräumen lohnt sich. Nicht nur wegen des Viehzeugs. Auf das Festivalticket ist ein Müllpfand von 5 Euro aufgeschlagen. Es werden Säcke verteilt. Wer die dann voll abgibt, bekommt das Pfandgeld zurück. Oliver ist zum ersten Mal beim Immergut. O-Ton 52 „Das ist ja hier ein Independent-Festival, das ist humaner hier, nicht so stressig, nicht so riesig. Ich war mal auf dem Hurricane. Man lebt eine Woche im Müll. So würde ich das Hurricane beschreiben.“ Atmo 23 Festivalgelände Oliver Ganz ist mit seiner Security-Firma auf Festivals spezialisiert und seit Anfang an beim Immergut dabei. Er lobt die Friedfertigkeit der Besucher O-Ton 53 „Hier wird auch im freundlichen Ton auf uns gehört.(…)aber ich privat möchte hier nicht im Zelt übernachten, weil’s tatsächlich auch unglaublich laut ist,(…)wobei bemerkenswert ist, was die hier alles aufbauen, die bringen halbe Wohnzimmer mit, um ihr Wochenende zu verbringen, das ist schon spektakulär.“ O-Ton 54 „Mein Name ist Karl. Deine Name ist Karl. Ja Karl. Moin“ (auf O-Ton 54) Karl Rabe aus Nordfriesland hat zwar nicht sein halbes Wohnzimmer mit. Dafür sitzt er in einer Wagenburg. Das typische Festivalding: Mit jedem Jahr versammelt man mehr Leute um sich, es bilden sich Camps. Auf andere Festivals fährt er schon gar nicht mehr: O-Ton 55 „… Wir haben mit zwei Bussen angefangen, und jedes Jahr unsere Nachbarn dazu geholt und kennengelernt. Das ist eigentlich das einzige Festival, das sich in dem Sinne lohnt, menschlich, musikalisch auch, aber für uns stehen die Menschen im Vordergrund. Das Camp wird immer größer und es kommen noch sieben Busse. So’ne Wagenburg zu bauen, mit den Leuten rumhängen und Spaß haben, das ist extrem angenehm.“ Dass viele mit dem Auto anreisen hat seine Vorteile, wenn, wie es jetzt öfter geschieht, heftige Gewitter bei Festivals niedergehen. Oliver Ganz als Security-Chef weiß, was dann zu tun ist: Vor allem, Raus aus dem Zelt! O-Ton 56 „Die Leute sollen sich in ihre Autos setzen, aus Sicherheit keine Metallstangen anfassen. Die meisten die wir hier reinlassen, kommen zu dritt, zu viert im PKW, oder mit ihren Bullys, wo man ja locker mal 5 bis 8 Leute unterkriegt, wenn es stürmt. Wir würden dann aber auch durchfahren und gucken das alle tatsächlich verschwunden sind und nichts anfassen.“ Atmo 24 Alles zum Glück nicht notwendig beim Immergut-Festival in diesem Jahr. Biene Maja lebt. 03 Musik Titel: Hope of a lifetime Interpret: The Milk Carton Kids Komponist: Joey Ryan, Kenneth Pattengale Label: Epitaph, LC-Nr. 02576 Atmo 25 Münchner Zeltplatz Was für eine Adresse! In den Kirschen. Das klingt nach ganz weit draußen, ist aber nur eine Viertelstunde mit der Straßenbahn vom Münchner Hauptbahnhof entfernt. In den Kirschen Nr.30 befindet sich das Kapuzinerhölzl. Das war mal der Wald eines Klosters, und ist heute „The Tent“ – „Das Zelt“, Münchens Internationales Jugendübernachtungscamp. Atmo 25 Terrasse O-Ton 57 „1972 ist das entstanden, anlässlich der Olympiade, als einjähriges Projekt geplant, um die Hippie-Szene aus dem Englischen Garten mal rauszubringen, weil die ja dort das Bogenschießen veranstaltet haben, und dann haben die Backpacker aber selbst festgestellt, dass das eine coole Geschichte ist, und dann wurde es zum Selbstläufer.“ (Atmo wieder hochziehen) Olaf Schäfer sitzt auf der schattigen Terrasse der Cafeteria, von der aus man alles im Blick hat: Links das Sanitärgebäude – ein Juwel! Großzügig, öko, optisch ansprechend mit begrüntem Dach. Er ist einer der Chefs von „The Tent“, angestellt beim Kreisjugendring München-Stadt, einem Dachverband verschiedenster Vereine, der das Camp betreibt. O-Ton 58 „Wir sind selber wahnsinnig viel unterwegs gewesen, dass wir nicht lange fantasieren brauchen, was will ein Backpacker. Also, gibt es bei uns warme Duschen. Und zwar halt auch, und das wird in den Foren und auf den einschlägigen Seiten gelobt, wir wienern da rum, es ist sauber!“ In der Mitte des Platzes stehen zwei riesige Zelte – eines für Isomatten und eines mit Doppelstockbetten. Hier zeltet die Welt gemeinsam, hier trifft sie sich am Lagerfeuer. O-Ton 59 „Wenn man hier herkommt und sieht, wie abends die Leute alle zusammensitzen und gemütlich Bier trinken, dann ist das schon mal ein Bild für die Götter.“ Das war Lothar, das Urgestein im Team. Für jeden, der hier eincheckt, gilt: Man muss die Masse mögen. Im Bodenzelt können ca. 90 Leute die Isomatte ausrollen. O-Ton 60 „Wir hatten vor Jahren ganz auf Betten umgestellt, und haben dann gemerkt, die ursprüngliche Geschichte, auf dem Boden für 8 Euro zu übernachten das ist der Renner.“ 8 Euro für den Boden und 12 für das Bett - das ist für München unschlagbar günstig. Im Hostel zahlt man 20 bis 30 Euro pro Nacht. Atmo 26 Zeltplatz Rechts von den Zelten sieht man die Piano-Bar, ein Holzhaus mit Klavier und Sofa auf der Terrasse. Dort hat es sich Smiley aus Israel, eine schwarze Jüdin, in der Marokko-Ecke gemütlich gemacht. Sie verkauft auf Märkten und Festivals Malawach, ein gebratenes Blätterteig-Brot. O-Ton 61 „We have an Afrika-Tage, Afrika-Festival here in Munich, for four days.” Für die vier Tage, die sie in München ist, freut sie sich eine coole Unterkunft gefunden zu haben. Obwohl es eher eine Notlösung war: O-Ton 62 „Usually we do in Airbnb, while we working in festivals, but couldn’t find an apartment…” Als sie nicht wie gewohnt ein Zimmer im Internet fand, gab ihr ein Münchner Freund den Tipp, es mit „The Tent“ zu probieren. Bett oder Boden - Wofür hat sie sich entschieden? O-Ton 63 „Beds, Come one! I’m working 12 hours everyday!” Ja, klar, dumme Frage! Wenn man nicht zum Spaß, sondern zum Arbeiten in München ist, schläft man lieber im Bett. O-Ton 64 „Hundred people, but bed!“ Hundert Leute? Liebe Smiley, 180! Wenn es voll belegt ist. Ohrstöpsel gibt es an der Rezeption. Eine junge Frau aus Kanada muss erst einmal schlucken, als sie nach der Anmeldung ins Zelt kommt. O-Ton 65 In Paris waren sie zu acht in einem Raum. Das ist dann doch ein Unterschied. Atmo 27 Zelt Es ist erstaunlich luftig im Zelt, obwohl die Sonne den ganzen Tag drauf brennt. An der Wand hängt ein Riesenposter mit einer Winterlandschaft, zwei Holzhäuser versinken im Schnee. O-Ton 66 „Hast Du es erkannt? Das ist unsere Cafeteria und unsere Rezeption im Winter“. Die Idylle trügt. Es musste ein Zaun ums Gelände gezogen werden, weil vor allem im Winter viel geklaut und kaputt gemacht wurde. O-Ton 67 „Da wurde Schutt abgeladen, die Außenwasserzähler geklaut, Dächer eingetreten. Strauchdiebe haben mir meine Brombeeren ausgegraben. Irgendwann sagste dir, das Lotteriespiel machste nicht mehr mit, was im Frühjahr steht und was nicht steht“ In der Hauptsaison im Juli und August sind 300 bis 400 Leute jede Nacht auf dem Platz. Dann kommt die Ruhe vor dem Sturm. Und dann das Oktoberfest mit 650 bis 700 Gästen an den Wochenenden. Die Preise für Bett und Boden verdoppeln sich dann. Und sonst? O-Ton 68 „Also wenn die reihern, dann das letzte Mal in der Tram. Hier bei uns: Peace! Glaub mir’s!“ Der Platz sei einfach nur voller als normal, sagt Olaf Schäfer, aber die Regeln die selben: ab ein Uhr ist Schluss. Und das klappt: O-Ton 69 „Ab 19, 20 Uhr trudeln die hier ein, Die wollen ihre Ruhe haben. Die wollen duschen, die wollen schlafen, die wollen Wasser trinken. Und wollen morgens Unmengen von Vitaminen zu sich nehmen“ Atmo 28 Zeltplatz Ein Zeltplatz in der Stadt bedeutet: Nebenan wird ganz normal gewohnt: O-Ton 70 „1972 war das noch am Stadtrand, da hat uns die Urbanisierung jetzt eingeholt. Wir haben uns natürlich mit den Nachbarn arrangieren müssen.“ Die Nachtruhe musste vorgezogen werden und damit schränkt sich das ein, was für Olaf Schäfer als Jugendkulturarbeit zählt: O-Ton 71 „Früher konnten wir sagen, wenn Ihr Musik machen möchtet, und es ist cool, dann ist so ein Feuer auch mal bis 3 oder 4 Uhr angewesen. Das war schon ein ganz anderer Charakter da.“ Auch Smiley aus Israel findet Nachtruhe ab ein Uhr ziemlich früh: Das Lagerfeuer wird gelöscht, gerade wenn’s am schönsten ist. O-Ton 72 „Sometimes this is not the best option, you want to smoke a cigarette and chill with your new friends.” Keine Zigarette mehr, kein Plausch mit den neuen Bekanntschaften. Aber gut so sind die Regeln. O-Ton 73 Es gab auch Leute, die gegen uns waren, die Unterschriftaktionen gestartet haben, und die gesagt haben, der Bürgermeister soll sich nicht um jugendliche Ausländer kümmern, sondern um die Bedürfnisse der eigenen deutschen Bürger.Da hat uns auch dieser Wind entgegen geweht“ Aber mit den meisten Nachbarn scheint es entspannt zu laufen. Die schauen neugierig vorbei und trinken auch mal ihr Feierabendbier auf dem Platz. O-Ton 74 „Zu einigen haben wir einen engen Kontakt. Vor zwei Jahren als wir am Ende der Saison 200 Flüchtlinge für 14 Tage aufnehmen mussten, da war von denen eine unglaubliche Unterstützung da.“ Das war 2014, also ein Jahr bevor das Wort „Flüchtlingskrise“ überall in den Schlagzeilen auftauchte. Olaf Schäfer und seine Leute waren gerade dabei die Zelte abzubauen, wie immer im Herbst. Aber dann kam die Sache mit der Bayernkaserne. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter hatte sie kurzerhand geschlossen, weil sie völlig überfüllt war und Flüchtlinge im Freien campieren mussten. Ein Teil der Menschen wurde erst einmal im Kapuzinerhölzl untergebracht, bevor man feste Behausungen für sie organisieren konnte. Die meisten waren Kriegsflüchtlinge aus Syrien: O-Ton 75 „Es war wirklich ein Elend, was hier vorbei gekommen ist. Die Leute waren ohne ärztliche Betreuung, ohne Information, wie es mit ihnen weitergeht. das wurde von uns ziemlich schnell organsiert.“ In der Nachbarschaft wurden Spielzeug und Kleidung gesammelt. Die Hälfte des Teams von „The Tent“ blieb an Bord. Das Technische Hilfswerk, das DRK und Kollegen vom Kreisjugendring halfen. Als ich einem Backpacker aus Kanada von den Flüchtlingen erzähle, streicht er über sein Bett und sagt: O-Ton 76 „It’s make this place even better and was useful to these people, makes it even cooler.” 04 Musik Titel: Open Mind Interpret+Komponist: Wilco Label: Epitaph, LC-Nr. 02576 Atmo 29 Elbecamp mit Cafe-Musik Hamburg, am Falkensteiner Ufer. Hier unterhalb des Parks, den Axel Springer in Gedenken an seinen Sohn anlegen ließ, liegt das Elbe-Camp. In einer Zeitungsüberschrift stand: Die Hippies von Blankenese. Garip Yavuz, der Chef des Zeltplatzes, kann wenig damit anfangen: O-Ton 77 „Unsere Klientel ist die Vielfalt. Wir haben sehr liebenswerte, konservative Gäste, die sogenannten Spießer, die sind alle willkommen und nutzen auch dieses Plätzchen.“ Atmo 30 Traktor Garip Yavuz schwingt sich auf einen Traktor und zieht den Wohnwagen eines älteren, vielleicht ja Spießer-Paares über den Elbesand, dorthin, wo sie ihn haben wollen, unter einen Baum. Hippies von Blankenese! Nur weil vorn bei den Dauercampern ein buntbemalter Wohnwagen steht? Und mitten auf dem Platz ein Zirkuszelt? Und am Eingang ein Schild: Besser mit dem Fahrrad an den Strand als mit dem Mercedes zur Arbeit? Oder vielleicht weil das Zeltplatz-Cafe Weltmusik spielt und Lüküs heißt, Luxus? Atmo 31 Elbecamp mit Cafe-Musik Garip Yavuz, mit seinen dunklen Locken, würde von sich, seiner Crew und seinen Gästen nie sagen, sie seien Hippies: O-Ton 78 „Ich bin ein gebürtiger Hesse, direkt am Main geboren, auch aufgewachsen, bin tatsächlich ein Deutschländer mit türkischen Wurzeln…“ Atmo 32 Elbecamp ohne Cafe-Musik Und er ist verantwortlich für diesen großzügigen Zeltplatz. Man läuft durch warmen Sand. Bäume und Sträucher machen den Platz gleichzeitig luftig und intim. Atmo 33 Elbe Und dann die Elbe: ein paar Meter sind es bis dahin, schon sieht man die großen Pötte vorbeifahren. O-Ton 79 „Es fühlt sich an wie Strandurlaub…Als wenn du am Meer bist, und hast noch nette Gelegenheit, dich schön in die Hängematte zu legen, noch was zu essen, und zu relaxen. Es ist sehr, sehr ruhig und entspannt. Gut, viele Kinder und Familien, aber das mag ich total gerne, steh ich drauf, ist cool.“ Thilo Vogel ist Fotograf und gedanklich schon auf dem Weg nach Feuerland. Doch momentan tourt er durch Deutschland: Seine Wohnung in Aachen hat er aufgegeben, und schläft, wo immer es ihm gefällt, im Dachzelt auf seinem Auto. O-Ton 80 „Ich bin selten auf Campingplätzen weil ich die Enge nicht so mag, dann habe ich dasselbe wie in einer Wohnsiedlung wieder, aber hier, wenn es sich verläuft, mag ich es, und ich bin jetzt schon den ganzen Tag hier, da muss es irgendwie was haben.“ Atmo 34 Elbecamp ohne Cafe-Musik Garip Yavuz, der Chef, weiß um die Magie und Anziehungskraft des Elbecamps. Am liebsten möchte er keine Werbung, weil ganz Hamburg und Umgebung sonst den Platz überrennen. Sie hatten schon grenzwertige Situationen, als parkende Autos die Zufahrtswege blockierten. Der Platz braucht Ruhe und die Akzeptanz der Nachbarschaft. Es ist ein gemeinnütziger Platz. Die Stadt Hamburg hat vor gut zehn Jahren dem hiesigen Kinderschutz- und Jugendwohlfahrtsverein den Zuschlag für das Elbe-Camp gegeben. Für einen symbolischen Euro können sich hier Kinder aus benachteiligten Familien erholen. Zwei große Zelte stehen dafür bereit, etwas abseits: O-Ton 81 „Das Treppenviertel hier in Blankenese, wo die Gutbetuchten, ist auch ein Ghetto. Ghetto ist einfach, wenn man nicht wirklich aus seinem Kiez rauskommt, und es gibt verschiedene Kieze, ob Blankenese oder St.Pauli oder Ost-Hamburg…“ Es sind oft Gruppen oder Klassen aus den verschiedenen Ghettos der Stadt gleichzeitig hier, Kinder und Jugendliche aus sogenannten schwierigen, aber auch gehobenen Familien. Für Garip ist es amüsant, wie das unbändige, lockere Verhalten der einen auf das förmliche Benehmen der anderen trifft. Er findet, es funktioniert. O-Ton 82 Andrea „Ich bin schon mal nachts aus dem Zelt rausgekommen, als das losging, weil ich dachte: huch, haben wir neue Nachbarn, was machen die für einen Krach.“ Mit dem Krach meint Andrea nicht die Jugendgruppen auf dem Platz, sondern die Kreuzfahrtschiffe auf der Elbe, wenn sie Hamburg verlassen und an Deck die Party tobt. Atmo 35 Elbecamp ohne Cafe-Musik Sie wohnt ganz in der Nähe, im Stadtteil Rissen, westlich von Blankenese. Sie kommt ursprünglich aus Mecklenburg mit seinen vielen Seen und mag das Elbecamp. Sie ist Tagesmutter und heute mit ihren Kindern auf dem Spielplatz hier. Andrea wusste nicht, dass Zeltplatz und Jugendwohlfahrtsverein zusammengehören, und dass sie, wenn sie hier zeltet, den Urlaub ärmerer Kinder mitbezahlt. O-Ton 83/84 „Ach, das ist ja schön. Wir kommen immer einfach ganz spontan, mal am Wochenende und buchen mal so zwei Zweierzelte. … Das wußte ich nicht, dass das gefördert wird.“ Atmo 36 Elbecamp mit Cafe-Musik Fotograf Thilo Vogel ist längst aus seiner Hängematte aufgestanden. Er muss noch überlegen, wo er heute sein Auto zum Schlafen abstellt. Am liebsten hat er aus seinem Dachzelt den freien Blick auf’s Meer oder in die Natur. Aber manchmal übernachtet er auch in der Stadt. O-Ton 85 „… Du kannst in jeder Parklücke stehen, du kannst an jeder ex-beliebigen Stelle stehen. Ist nur die Frage, wie laut willst du es haben, und wieviel Leute willst du haben, die dich darauf ansprechen.“ Das macht mich neugierig: Wie kommt er unbeobachtet ins Zelt, oben auf dem Auto, wenn er ins Bett will? O-Ton 86 „Das ist in der Tat am Anfang ein bisschen Überwindung. Aber das gibt sich dann mit der Zeit. Ich versuch jetzt nicht den Mega-Akt davor zu machen und mich schön frisch zu machen. Und wenn mich jemand sieht, dann freuen die sich meistens.“ Atmo 37 Elbecamp ohne Cafe-Musik Vielleicht bleibt er heute hier im ElbeCamp, diesem Ort, der keinem verschlossen bleiben soll. Oder wie Garip Yavuz sagt: O-Ton 87 „Jeder Mensch, der an diesem Ort teilnimmt, oder noch nicht teilnimmt, gehören einfach dazu. Frau Grabowski, das gehört auch Ihnen, das Stück Land. Also es ist ein Ort für jedermann und jede Frau.“ 05 Musik Titel: Bocanegra Interpret+Komponist: Sonido Gallo Negro Label: Glitterbeat Records, LC-Nr. 41276 Deutschland, Deine Zelte – Am Ende der Tour möchte ich mich belohnen. Mit Glamping. Das liegt im Trend und bedeutet im Wesentlichen, dass man zwar draußen, aber doch in einem richtigen Bett schläft. Atmo 38 Bibertours Bei Bibertours am Labussee, oberhalb von Rheinsberg, gibt es nicht nur Kanus aller Art - wir sind hier auf der Mecklenburgischen Seenplatte -, sondern auch Outdoor-Hotels. Das sind ein Floß mit Kochnische und zwei ausgebaute Wagen, der eine mit einem Holz-Turm, wie die Kulisse für einen Märchenfilm. Und das sind drei weiße Baumwollzelte, ein bisschen wie aus der Wüste mit spitzem Dach, jeweils mit Veranda und großem Bett. In einem davon werde ich mich ausstrecken. (Atmo hochziehen) Jochen Rischner hat die Outdoor-Hotels gebaut. Die Idee dazu kam seiner Frau Sonja Borstelmann und ihm gemeinsam. Den Begriff Glamping findet Sonja Borstelmann nicht so richtig gut. O-Ton 88 „Darum geht es gar nicht, dass wir glamouröses Camping anbieten, sondern wir wollen einfach Träume verwirklichen, das ist doch toll“ Atmo 40 Zeltreissverschluss Das Federbett liegt bereit und auch das Kissen. Beides bringt man von zu Hause mit. Ein Moskitonetz als Himmel verspricht eine mückenlose Nacht. Atmo 41 Zeltplatz Man liegt im Bett und doch im Wald. Hört am Morgen die Vögel, blickt durch die Zeltfenster auf die Bäume und freut sich seines Lebens. Kennmelodie Sprecher: Deutschland, deine Zelte Von der Kunst, den richtigen Platz zu finden Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Irina Grabowski. Ton: Peter Seyffert Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2016 Manuskript und das Audio zur Sendung finden Sie im Internet unter Deutschlandradiokultur.de Kennmelodie 0