Melancholie, Stolz und Aufbegehren Eine Lange Nacht zur sizilianischen Literatur Autorin: Regine Igel Regie: Rita Höhne und Thomas Wolfertz Redaktion: Dr. Monika Künzel Sprecher: Frank Arnold Joachim Schönfeld Für das Feature: Wolf Aniol Michael Rotschopf Anne Müller Andreas Meidinger Sendetermine: 22. Februar 2020 Deutschlandfunk Kultur 22./23. Februar 2020 Deutschlandfunk __________________________________________________________________________ Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - unkorrigiertes Exemplar - insofern zutreffend. 1.Stunde Verga, Capuana, de Roberto und Brancati - Ostzilien und Catania MUSIK Erzähler Was hat Sizilien, diese Insel im Mittelmeer literarisch zu bieten? - Das zeigen wir Ihnen in den nächsten drei Stunden. Bei dieser literarischen Entdeckungsreise begleiten uns die Literaturkritikerin und Buchautorin Maike Albath. Und Peter Peter, Universitätsdozent und Autor von Büchern zur sizilianischen Literatur und zur Kulturgeschichte der italienischen, französischen und österreichischen Küche. Von ihm stammt auch das erste deutschsprachige Sizilien- Kochbuch. Maike Albath hat nach Büchern über Turin und Rom 2019 ein Buch über sizilianische Literatur veröffentlicht: „Trauer und Licht“ . MUSIK hochziehen und hinter folgendem Text langsam abblenden Erzähler Die ersten bedeutenden Erzähler Siziliens zeigen sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Osten der Insel, in und um Catania. Die frühen Sizilien Reisenden aus Europas Norden, wie Goethe und Johann Gottfried Seume haben sich überschwänglich über die kunsthistorischen Reichtümer der Insel ausgelassen. Wenig Positives hatten sie jedoch über die - wie man heute sagen würde – touristische Infrastruktur zu berichten. Sie beklagen wenig einladende Hotels, schlechte Straßen, die ungeheure Armut, Schmutz und Ungeziefer. Im Vergleich zu den sizilianischen Bettlern seien die römischen wohlhabend. Seume kann Catania etwas abgewinnen, er nimmt eine besondere Wachheit, einen „griechischen Geist“ wahr. Auch in der Entwicklung Siziliens – und seiner Literatur - im Laufe des 19. Jahrhunderts hat das Risorgimento, die von Norditalien ausgehende patriotische Einigungsbewegung, eine bestimmende Bedeutung. Doch die Gründung des italienischen Nationalstaates 1860/61 bringt nur dem entwickelteren Norden Impulse für wirtschaftliche Entwicklung. Die Einigung Italiens bietet auch für die Intellektuellen im rückständigen Sizilien wenig neue Betätigungsfelder, viele von ihnen ziehen als Literatur- oder Theaterkritiker in die großen Städte des Nordens. In Mailand, Rom und Florenz erleben sie eine kulturelle Anbindung an Frankreich und lesen Gustave Flaubert und Emile Zola, die in ihren großen Romanen die harten Realitäten des sich herausbildenden Kapitalismus in Frankreich darstellen. Sie bekommen Anstoß ihrerseits, die sozialen und ökonomischen Folgen der ausbleibenden Reformen auf dem Lande und in ihren Städten genauer unter die Lupe zu nehmen. Wir schauen uns zunächst Leben und Werk der drei bekanntesten Vertreter der damaligen Schriftsteller genauer an, interessanterweise kommen alle aus Catania, der an der Ostküste gelegenen, zweitgrößten Stadt Siziliens nach Palermo. Da wäre Giovanni Verga, auch heute noch in ganz Italien Schullektüre und in allen Buchhandlungen zu finden. Er wird 1840 in eine Großgrundbesitzerfamilie geboren und verlässt 32-jährig seine Heimat in Richtung Norden. Dank seines wohlhabenden Elternhauses kann er sich ganz seinen literarischen Interessen und als glühender Anhänger Giuseppe Garibaldis seinen politischen Aktivitäten widmen. Giovanni Verga fragt, was die Einigung wirklich gebracht hat, will wie die Vorbilder unter den französischen Schriftstellern Leben und Leid der einfachen Leute, vor allem der Sizilianer aufzeigen. Damit begründet er den literarischen Stil des Verismus, womit eine in der Literatur unverfälschte, wahre Darstellung der beobachteten Realität gemeint ist. O-Ton 1 Peter Peter Der Verismus ist sozusagen die italienische Spielart des Naturalismus. Man muss dazu sagen, dass im 19. Jahrhundert, wer konnte, zu einer Art literarischem Exil nach Mailand gegangen ist. Das galt auch für Giovanni Verga. Es war in der gehobenen Bourgeoisie Norditaliens sehr schick, dieses wilde, triebgeführte Sizilien gegenüber zu stellen. Bei Verga lässt sich das sehr schön verfolgen. Er schreibt am Anfang Gesellschaftsromane, dann schreibt er einen Roman, der heißt „Der Gatte Elenas“, und dieser Gatte ist eben ein Süditaliener, der letzten Endes seine norditalienische Frau umbringt, also durchaus heftigste Affekte. MUSIK Mascagni - Cavalleria Rusticana - Addio alla madre - Giuseppe di Stefano O-Ton Peter Peter Das kommt ja dann auch in der berühmten Oper Cavalleria rusticana zu der er das Textbuch schrieb, sehr gut heraus. Sie endet mit einem Duell und dem Aufschrei Ah, hanno ammazzata padre Turiddu, sie haben Gevatter Turiddu abgemurkst. Musik hochziehen, eine Weile klar stehen lassen. Dann die folgenden Informationen einspielen Erzähler Sie hören Giuseppe di Stefano mit einer Arie aus der wichtigsten Oper des Verismus, der „Cavalleria rusticana“, Er ist einer der vielen großen Söhne Siziliens, 1923 in Catania geboren. Diese Oper des eher unbekannten Komponisten Pietro Mascagni wird bis heute von Opernhäusern in aller Welt gespielt und hat damit seinerzeit das inzwischen eher überholte Bild des italienischen Südens mitgeprägt. Die Oper hat gleich bei Erscheinen auch in Deutschland großen Erfolg, 24 Opernbühnen führen sie auf. Allein in Berlin gibt es 100 Vorstellungen. In der internationalen Opernwelt ist es die Zeit des Siegeszuges von Richard Wagner mit seinen geschichtsträchtigen, langen und ernsten Stücken. Dagegen bietet Italien nun Kurzopern mit mitreißenden Chören, Liebeslust und Liebesleid im einfachen Volk in der Oper und wie bei Giovanni Verga in der literarischen Welt. O-Ton 2 Peter Peter Das ist natürlich auch ein großes Thema, weg von diesen klassischen Traditionen, dass nur die Edlen und Oberschichten große Gefühle haben, sondern die einfachen Menschen in ihrer Armut, ihren sozialen Nöten zu Protagonisten von Büchern zu machen. Ein berühmtes Buch ist Die Malavoglia, das in Acitrezza spielt, einem kleinen Fischerort in der Nähe von Catania und das den Verfall einer Fischerfamilie und damit aber im Grunde auch den Verfall der gesamten süditalienischen Gesellschaft angesichts der norditalienischen Einigung darstellt. Sie verlieren das Schiff und dann stellt sich das Problem, dass die Söhne zum Wehrdienst eingezogen werden. Das gab es vorher nicht und dass damit die Arbeitskräfte wegfallen. Also ein Roman des sozialen Leidens, des sozialen Verfalls. Im Grunde eine indirekte Anklage. Erzähler Giovanni Verga will aufklären. Die vielversprechende Vereinigung von Italiens Norden mit dem Süden erbringt für Sizilien keinen Aufschwung. Die Literatur des Verismus klagt an und Verga findet hierfür sogar auch neue stilistische Formen. O-Ton 3 Maike Albath Genau, also bei I Malavoglia kann man das sehr schön sehen. Das ist ein deprimierender und bestürzender Roman großartig erzählt, dieses chorale Erzählen, dieses Kollektiv, das spricht, das sich immer wieder wiederholt. Und die Geschicke dieser Familie von N`Toni, dem Familienpatriarchen, werden ja über den Umweg der Stimmen aus dem Dorf vermittelt Ein großartiger Einfall von Verga und auch wirklich neu, das ist sehr innovativ, wie erlebte Rede und dieses Kollektiv zum Tragen kommt. Und dort ist auch dieser Großvater N`Toni, der selber herumtricksen will und ein Geschäft machen will und mit diesen Lupinensamen dann ja ein Unglück erleidet, weil sein Boot untergeht, Und für den Enkel ist es, der wiederum ein Unglück erleidet und im Grunde genommen dabei drauf geht und ins Gefängnis kommt und alles Mögliche erlebt. Und es hat dennoch etwas Emanzipatorisches. Denn er findet das Leben in der Stadt ja viel attraktiver. Und die Schwester, die zur Prostituierten wird. Also es passieren alle möglichen schlimmen Dinge. Ich finde daran sehr faszinierend, das man hier sieht, wie dieser Patriarch für eine bestimmte Ordnung steht, die kann despotisch sein, sie ist aber die Ordnung des Kollektivs. Es ist die Ordnung, die er verantwortet. Er sagt, du hast diese Rolle, du hast jenen Platz in der Familie, du musst den heiraten und du musst jenen Beruf ergreifen. Und in dem Moment, wo das nicht mehr respektiert wird, aber keine weitere Ordnung über die Existenz von Arbeitsplätzen, über die Möglichkeit Land zu erwerben, besteht, gibt es einen Ruin, da zerbricht die Familie. Und es ist natürlich eine unfassbare Armut, die dort herrscht. Die Familie muss sich herumschlagen mit allen möglichen Herausforderungen. Was jetzt das Leben als Fischer und Bauer angeht, das ist ja in mehreren Romanen der Fall, aber die gehen dann ja auch einem Kreditgeber auf den Leim. Also auch da tun sie etwas, was eine bäuerliche Familie nie tun darf. Es gibt ja in Italien, in Sizilien eine sehr starke Bindung an das Haus, das Land. Und das verliert er dann ja am Ende. Erzähler 1860 guckt ganz Europa nach Italien und speziell nach Sizilien. Einer der Beobachter ist auch Karl Marx. Er notiert: Zitator „In der bisherigen Geschichte der Menschheit hat wohl kein Land und kein Volk so entsetzlich unter Sklaverei, fremden Eroberungen und Unterdrückungen gelitten und so leidenschaftlich um seine Freiheit gekämpft, wie Sizilien und die Sizilianer.“ Erzähler Der Glaube von Marx an den Fortschritt und die feste Überzeugung, dass für die armen Schichten auch gerade in Sizilien Veränderung möglich ist, trifft allerdings nicht die Gedankenwelt Giovanni Vergas. Er hat keinen Glauben in die Zukunft. Und tatsächlich bleibt Sizilien über Jahrzehnte, bis nach dem Zweiten Weltkrieg in tiefer Armut stecken. Im Rückblick ist die alle Romane Vergas durchziehende Melancholie, gut zu verstehen. Selbst die Landschaft um Acitrezza strahlt mit ihrem dunklen Vulkangestein einen düsteren Ernst aus. Dies ist bis heute so geblieben. Lohnt es sich, heute so einen Roman vom Ende des 19. Jahrhunderts zu lesen? O-Ton 4 Maike Albath Ich finde, man sollte historische Romane auch von vor der Jahrhundertwende immer lesen, weil sie einem ja auch einen Spiegel vorhalten. Und gerade Verga ist nach meinem Eindruck nicht gealtert, weil er literarisch so großartig ist. Man kann daran ablesen, was es bedeutet, wenn politische Prozesse keine Konsequenzen haben, wenn es sich nicht übersetzt, z.B. in eine neue kommunale Politik, in Einrichtungen, wenn es keine Repräsentanten gibt dieses neuen Staates, die dafür sorgen, dass bestimmte Mechanismen sich auch durchsetzen lassen. Erzähler Der Roman Die Malavoglia verstörte die Italiener zunächst und ein Verkaufserfolg ließ auf sich warten. Doch er kam, auch über die Landesgrenzen hinaus. Auch Vergas zweites Werk Mastro Don Gesualdo(phonet. Dschesualdo), 1889 veröffentlicht, gehört bis heute zum italienischen Kanon großer Literatur. Hier löst sich Verga von der Beschreibung des Lebens der Armen und nimmt nach genauer Beobachtung seiner städtischen Umwelt die Geschichte eines Aufsteigers unter die veristische Lupe. Zitator Der Bauarbeiter Gesualdo Motta kommt durch unermüdlichen Fleiß zu Besitz und Reichtum. Er opfert seine Liebe, um in ein altes Adelsgeschlecht einzuheiraten. Alten Freunden gilt er bald als Abtrünniger, den aristokratischen Verwandten als proletarischer Emporkömmling. Die eigene Familie nutzt ihn aus und erst kurz vor seinem Tod erkennt der sozial heimatlos gewordene Mastro Don Gesualdo, dass es noch andere Werte gibt als Geld und Besitz. Erzähler Immerhin, im Norden Italiens zeigt sich Fortschritt. Doch um welchen Preis? Was von diesem Roman bleibt, ist auch hier Pessimismus. Ist schon das Leben auf dem Land meist unerträglich, auch in der Stadt findet sich im Zuge der Industrialisierung für viele Menschen keine Geborgenheit bietende Heimat. O-Ton 5 Peter Peter Diese Geschichten zeigen, dass dieser Nationalstaat für die sizilianische Gesellschaft eher zerstörerisch ist. Dass er Existenzen vernichtet, dass er diese in sich ruhende, vorher dörfliche oder kleinstädtische Gesellschaft kaputt macht. Insofern eine faszinierende Sozialanalyse. O-Ton 6 Maike Albath Ich muss sagen, dass mir die Lektüre dieser veristischen Romane sehr viel erklärt hat auch von Sizilien. Auch von der Langsamkeit dieser Prozesse, gerade auch was die Rolle der Familie, des Clans angeht. Das eben auch hier das Kollektiv immer nur der Clan ist, und da ist - was diese kleine überschaubare Gruppe angeht - eben kein Gedanke davon, dass man auch für ein ganzes Dorf oder einen ganzen Landstrich etwas erreichen könnte, was dann besser wäre für alle. Diese Abstraktionsleistung oder dieser Schritt in eine nächste größere Einheit, der wird nicht vollzogen. Erzähler Vergas Romane sind bis heute Standardwerke der italienischen Literatur, die ins Deutsche übersetzte Literatur ist allerdings meist vergriffen. Man kann in ihnen auch zu einem tieferen Verständnis der übermäßig großen Bedeutung der Familie insbesondere in Sizilien aber auch in ganz Italien kommen. Der neue Staat ist bereits seit der Einigung 1860/61 im Süden wenig präsent für seine Bürger. Das Denken der Menschen kreist für Schutz und Beistand mehr um die überschaubare Familie oder die auch Clan genannte Großfamilie, und entschieden weniger um größere soziale, staatliche Strukturen und Institutionen, die auch vom Volk nicht wirklich gefordert und von den Regierenden nicht geboten werden. Das ist in den Grundzügen noch bis heute so und doch recht anders als es bei uns in Deutschland ist, einem starken Sozial- und Rechtsstaat. In diese Beziehungslosigkeit zwischen dem Einzelnen und den unterentwickelten staatlichen Institutionen und ihren Repräsentanten nistet sich dann nach und nach immer stärker die Mafia ein. O-Ton 7 Peter Peter Typisch an Verga, und das ist sehr gut angekommen, ist auch eine neue Sprache. Man muss sich das vorstellen, das Italienische und es war ja lange Zeit in der Diskussion: was ist eigentlich Hochitalienisch? Ist das Toskanisch? Ist es die Sprache Manzonis? In Norditalien hat sich diese Idee dann sehr stark herausgebildet. Aber die Süditaliener, die ja im geeinigten Staat lebten, waren damit nicht unbedingt einverstanden. Neapolitanisch, Sizilianisch sind nicht nur Dialekte, das sind Schriftsprachen. Und Verga hat angefangen, seine Personen im Dialekt, das heißt in einer Art Kunstdialekt sprechen zu lassen. Was natürlich sehr authentisch wirkte. Es gibt übrigens einen Schriftsteller, der die Methode Vergas bis heute nachahmt, das ist Andrea Camilleri, der seine Figuren in einer Art Salondialekt, im Sizilianischen reden lässt. Das heißt der Verismo schildert das Leben der nicht-aufgeklärten Menschen in Süditalien. Und ein Nachleben dieses Verismo haben wir ja dann im italienischen Film in den 1950er Jahren, Verga-Verfilmungen wie La Terra trema oder diese ganzen Filme auf den äolischen Inseln, Stromboli und Vulcano. Das sind ja alles im Grunde spät veristische Darstellungen. Also wenn man so will das Staunen der Norditaliener über diese Affekt geladenen Menschen im Süden. Erzähler Nach einem turbulenten Leben in Mailand kommt Verga nach zwanzig Jahren zurück nach Catania, - und bodenständig wie die Sizilianer sind - genau in das Haus, wo er seine Kindheit verbracht hat und lebt dort noch dreißig Jahre in Ruhm und Ansehen. Doch für die Sizilianer dringt die unternehmerische Modernisierung und Industrialisierung des Nordens nicht durch, es bildet sich kein initiativreiches Bürgertum, Landreformen lassen auf sich warten, am Latifundiensystem des Adels mit seinen großen Landgütern wird festgehalten. So ist die Agrarkrise von 1880 ein harter Einbruch und lässt die Bevölkerung in Sizilien wie nie zuvor Hunger erleiden. Die erste große Auswanderungswelle erfasst die Insel. Der Verismus hat viele Seiten, wie wir gleich sehen werden. Aus der Tradition Giovanni Vergas und seines fast dokumentarischen Schreibens sind eine Reihe sizilianischer Schriftsteller hervorgegangen, natürlich jeweils mit ihren eigenen Prägungen, aber alle mit nationaler Bedeutung. Wir werden auf diese Schriftsteller im Laufe der Sendung noch genauer eingehen. Den sezierenden Blick gerade auf die Armen in Sizilien und dort vor allem in Palermo setzte in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts der ausgebildete Soziologe und aus dem Norden zugereiste Sohn eines sizilianischen Eisenbahners, Danilo Dolci, fort. Wegen seiner Anti-Mafia-Initiativen und dem Aufbau einer gewaltfreien sozialen Bewegung wurde er der „Gandhi Siziliens“ genannt. Dolci ging in die Wohnungen der Ärmsten der Armen und zeichnete mit ihnen Interviews auf. Schon bald wurden seine Bücher sowohl in der BRD als auch in der DDR herausgebracht. Heute findet man sie nur noch antiquarisch. Über den Ort Palma di Montechiaro, südöstlich von Agrigent, ausgerechnet dem Stammsitz des Adelsgeschlechts der Tomasi di Lampedusa wurde das folgende Elend berichtet: Zitator „Die Bevölkerung setzt sich im Wesentlichen aus Tagelöhnern in der Landwirtschaft zusammen. Wenig Land und wenig Arbeit. Fast die gesamte Bevölkerung befindet sich in einem Zustand schwerer Entbehrungen. Praktisch keine Straße ist ordentlich gepflastert, das Abwassersystem gibt es de facto nicht und wird durch Rinnsteinbäche sogenannten schwarzen Wassers ersetzt. Das Fehlen jeglicher sanitärer Anlagen - und vielfach von Fenstern - , die feuchten Böden und schadhaften Dächer bewirken, dass die Häuser als menschliche Behausungen ungeeignet sind. Wer beim Anbruch der Nacht diese Häuser betreten würde, sähe unglaubliche Szenen: fünf, zehn oder auch mehr Personen drängen sich in einem Raum mit Maultieren, Eseln, Ziegen und Hühnern zusammen, mit ansteckenden Krankheiten leben sie neben den Kindern, alle auf Behelfsbetten oder sogar auf dem Boden.“ Erzähler Danilo Dolci erreicht viel, vor allem, dass sizilianische Politiker und Gesamtitalien endlich die unerträgliche Armutslage zur Kenntnis nehmen und zu handeln beginnen. Bevor wir zu weiteren Veristen in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts zurückkehren und uns von den verblüffend-aufklärerischen und deshalb modernen Romanen von Luigi Capuana und Federico de Roberto überraschen lassen, hören wir Musik von Vincenzo Bellini, einem anderen großen Sohn der Stadt Catania, geboren 1801 und schon 34-jährig gestorben. MUSIK Erzähler Sie hören die wunderbare Maria Callas mit der Arie „Casta diva“ aus „Norma“, der berühmtesten Oper Bellinis MUSIK stehenlassen und dann langsam unter dem folgenden Text abblenden O-Ton 8 Peter Peter Eine der faszinierenden Sachen in Catania ist das Opernhaus, das Teatro Bellini, ein prächtiges Opernhaus. Mit roten Samtsesseln, bis vor einiger Zeit noch ganz altmodisch. Man konnte keine Einzelplätze in den Logen kaufen, sondern man musste den Eintritt ins Parkett bezahlen und konnte sich dann in eine Loge einladen lassen, also wirklich ganz feudal. Und dieses Theater erinnert eben an die sizilianische Musikschule und vor allem an Vincenzo Bellini der in Catania geboren ist. Bellini hat sehr viel für die Oper getan, das erkennt man schon daran, dass so unterschiedliche Musiker-Charaktere wie Verdi und Wagner ihn bewundert haben. Was ist das Besondere an Bellini? Einer der schönsten und perlendsten Belcantodarstellungen von Bellini, da sind mehrere Noten übereinander, es sind Koloraturarien, extrem schwer zu singen, die Callas konnte das und es gibt einige berühmte Nachfolger. Das zweite ist aber auch die große Sangigkeit, diese Chöre, die erinnern an die frühen Chöre Verdis. Die sind wirklich mitreißend. Das wichtigste an Bellini scheint mir allerdings, dass er der erste Komponist ist, der in aller Klarheit keine musikalischen Tragödien mehr verfasst, wie das z.B. Alessandro Scarlatti oder auch Mozart mit seinen opera seria gemacht hat, sondern dass er auf die Theaterentwicklung seiner Zeit eingeht. Seine Opern sind Dramen, das heißt es geht um Psychologie, es geht um verzweifelnde Frauen, immer diese Wahnsinnsarien, es geht um Eifersucht, Leidenschaft. Und das hat ja die ganze Entwicklung der Oper entschieden. So eine traditionelle Oper, da sind die Charaktere vorhersehbar, dass man auch gar nicht von Anfang an in die Oper gehen muss. Eine Bellini-Oper ist vom ersten bis zum letzten Moment spannend Musik noch einmal voll hochziehen und unter dem Folgenden langsam abblenden Erzähler Luigi Capuana - auch er ein Vertreter des Verismus - ist 1839 in Mineo bei Catania als Sohn eines wohlhabenden Gutsherrn geboren. Auch er zieht in den Norden, lebt lange zwischen Rom, Mailand und Florenz, arbeitet als Literatur- und Theaterkritiker bei der großen Tageszeitung „Corriere della Sera“. Nach einigen Jahren findet man ihn wieder in seinem Städtchen, wo er sich als Schulinspektor, dann als Bürgermeister engagiert. Dann zieht es ihn wieder in den Norden, um schließlich mit einem Ruf an die Universität Catania für immer nach Sizilien zurückzukehren. Auch er erfährt wie die anderen seiner Generation und wie alle zu nationaler Größe gereiften sizilianischen Schriftsteller Abschied, Rückkehr und Distanz zu Sizilien. Sie bleiben eng mit ihrer Heimat verbunden, verwurzeln sich aber auch gleichsam im Norden. Das wird ein Grund dafür sein, dass ihr Blick auf neue Entwicklungen sich schärft und sie Gegensätze wahrnehmen, die andere ohne Standortwechsel nicht zur Kenntnis nehmen. So etwa der Ende des 19. Jahrhunderts sich deutlicher offenbarende Gegensatz zwischen Stadt und Land, zwischen arm und reich, zwischen den Geschlechtern, zwischen dem Leben im Norden und dem Leben im Süden. O-Ton 9 Peter Peter Man spricht ja regelrecht von einer Schule von Catania. Luigi Capuana hat ein berühmtes Buch geschrieben, das heißt Der Marchese von Roccaverdina, Das sind Bücher, die auch den Verfall der Adelsgesellschaft darstellen. Ein Adliger, der sich in sein Dienstmädchen verliebt, das aus einer Olivenpflücker-Familie stammt, zehn Jahre mit ihr eine Affäre hat. Dann gibt er dem Druck seiner Familie nach, verheiratet das Mädchen mit seinem Verwalter, ist aber wahnsinnig eifersüchtig, tötet den Verwalter. Dann wird ein armer Hirte ins Gefängnis geworfen und stirbt im Gefängnis. Der Graf heiratet dann doch eine Adlige aber geht letzten Endes an seinen Schuldgefühlen und auch an der Einengung durch den Adel zu Grunde und wird wahnsinnig, ruiniert seine Familie. Erzähler Die Geschichte lehnt sich in gewisser Weise an eine von Capuana selbst erlebte Liebesgeschichte an. Viele Jahre unterhält er eine Liebesbeziehung mit dem Dienstmädchen seiner Familie. Zahlreich sollen die Kinder aus dieser Verbindung gewesen sein. Alle werden sie in ein Waisenhaus gegeben, und das Dienstmädchen schließlich anderweitig verheiratet. Luigi Capuana schreibt, anders als Giovanni Verga, von der Welt, in die er geboren ist, die er durchschaut und mit ihrem engen Moralkodex anprangert. Er ist der theoretische Kopf der Gruppe. Herausragend ist Capuana mit seinem außergewöhnlichen Interesse für die weibliche Psyche. Schon in seiner ersten Sammlung von Erzählungen widmet er sich Frauenfiguren, was nicht nur für Sizilien, sondern für ganz Italien eine Neuheit ist. Wir stellen hier das Erstlingswerk Capuanas, Giacinta, vor, das im Jahr 1879 ein Skandalerfolg wurde. Erst 2017 wird der Roman ins Deutsche übersetzt. Begleitet mit dem Kommentar, dass es „ein Meisterwerk der Literaturgeschichte“ sei. O-Ton 10 Maike Albath Giacinta hat mich auch sehr fasziniert. Weil er so eine feinsinnige gut ausgeleuchtete Psychologie seiner Figuren entwirft. Man sieht da, dass so ein bürgerlicher Haushalt im Grunde genommen die dekadenten Seiten des Adels kopiert. Also die Mutter ist ja ein fürchterliches Geschöpf, sie ist komplett manipulativ. Die Tochter wird missbraucht, das wird vollkommen unterschätzt in der Familie, das ist Missgeschick. Statt sie zu schützen, versucht man das Ganze eigentlich zu bemänteln und ihr den richtigen Ehemann zuzuschustern und das hat etwas ganz Ungutes. Also die Art und Weise wie mit Wertschätzung und der Unversehrtheit des weiblichen Körpers umgegangen wird. Das hat auch etwas Modernes. Damit ist Capuana, finde ich, ganz nah dran an den Schriftstellern der zweiten Hälfte des 20ten Jahrhunderts. Auch die Tatsache, dass Giacinta im Grunde genommen nicht vertrauen kann auf ihre eigenen Gefühle und sie sich immer wieder manipulieren lässt. Und gar nicht daran glaubt, was ihr Kern auch sein könnte. Das ist es ja. Und die Mutter, die unfassbar selbstsüchtig ist und sich in ihre eigenen Liebschaften verwickelt, die eigentlich nur auf das Wert legt, was nach außen gespiegelt wird. Das wird alles sehr gut geschildert. Oder auch wie sexuelle Gewalt geschildert wird, was in diesem Roman auf eine sehr offene Art und Weise geschieht. Das fand ich sehr eindrucksvoll und auch verblüffend für die Zeit. Erzähler Bis heute gehen Rezensenten des Romans davon aus, dass das zehnjährige Mädchen Giacinta vom vier Jahre älteren Hausburschen Beppe vergewaltigt wird und dass dieses Ereignis den Lebensweg von Giacinta prägt und letztlich ihr Scheitern erklärt. Am Schluss des Buches, als ihr langjähriger Geliebter sich von ihr abwendet, sieht sie nur im Selbstmord eine Lösung ihres Leidensweges. Der Roman weist allerdings - genau hingeschaut -, keineswegs auf eine Vergewaltigung. Capuana schildert vielmehr die sich entfaltende Sexualität der zehnjährigen Giacinta im erotisch aufgeladenen Spiel mit dem Spielkameraden Giacintas und im Buch als „etwa 14-jährigen Hausburschen“ bezeichneten Beppe. Er ist wohl der Verführende, zieht sie mit sich in eine am Gartenende gelegene Höhle und sie versucht auch, sich seinem festen Zugriff im gemeinsamen Spiel zu entziehen. Doch schließlich überhäuft auch sie ihn mit Küssen und fühlt sich von einer, wie es der Erzähler beschreibt, „unsagbar süßen Empfindung durchdrungen“. Sie befreit sich von dieser ihr zu festen Umarmung, um gleich danach aber das neckend-lockende Fangspiel wieder aufzunehmen. Und einige Tage später ist sie es, die erneut erotische Nähe sucht. Der Erzähler kommentiert, dass sie durch (in Anführungszeichen) „die Berührung seiner Küsse, seiner Liebkosungen in ihrem zarten Organismus allzu früh die reine Sinnlichkeit der Frau aufkeimen“ spürt. Der Hausbursche weiß sehr wohl, dass es sich bei dem Liebesspiel mit dem Kind um Tabuisiertes, Verbotenes handelt und fürchtet, dem mit ihr geteilten (in Anführungszeichen) „Geheimnis“ könne jemand - wie er es benennt - „auf die Schliche“ kommen. Giacinta genießt derweil die (in Anführungszeichen) „Aura des Geheimnisvollen, der verbotenen Früchte“. Auch die Sicht des Dienstmädchens Camilla , das die beiden „aufgewühlt“ – so der Erzähler - aus der Höhle kommen sieht, weist nicht auf eine Vergewaltigung. Der Erzähler stellt heraus, dass Camilla sich ihren Teil denkt und vor sich hin murmelt (in Anführungsstriche) „Donnerwetter! Die fängt ja ganz schön früh an!“, sieht also eher die aktive Rolle Giacintas. Was im Verborgenen geschah, wird uns nicht mitgeteilt. Die Verführung und das Erwachen des erotischen Begehrens eines zehnjährigen Kindes ist damals wie heute ein Tabu. Um sich nicht an dieses Tabu zu wagen, wird umgedeutet und von einer einseitig schuldhaften Vergewaltigung gesprochen. Das ausschlaggebende traumatische Geschehen für Giacintas späteres unerfülltes Leben als Frau scheint eher ihre gänzliche Vernachlässigung während ihrer Kindheit durch die Mutter, die ihre einzige Tochter seelisch verwahrlosen lässt und sie schon die ersten fünf Jahre ohne klaren Grund einer Amme auf dem Land überlässt. Das grenzüberschreitende Verhalten zwischen Giacinta und dem Hausburschen Beppe wird von der Mutter dann mit einer Unterbringung Giacintas über vier Jahre in einem fern von Zuhause gelegenen Pensionat beantwortet. Die Mutter lebt für ihr eigenes Ansehen, Liebe vermag sie ihrer Tochter nicht zu geben. Die kluge Giacinta offenbart Jahre später ihrem Geliebten, nicht lieben und nicht glücklich sein zu können. Indem Capuana Giacinta diese Zusammenhänge erkennen lässt, zeigt er für seine Zeit und das ist die Zeit v o r Sigmund Freud mit seinen tiefenpsychologischen Erkenntnissen, ein verblüffend starkes Verständnis für diese Figur. MUSIK 4 Canti populari siciliani Canzuna di li carritteri Erzähler Kommen wir zu Federico de Roberto, dem Dritten des Veristen-Trios aus Catania. 1861 in Neapel von sizilianischen Eltern geboren, - der Vater ist Staatsbeamter, die Mutter kommt aus einer Adelsfamilie, - verbringt er nach dem frühen Tod des Vaters seine Kindheit und Jugend in Catania, unter den Fittichen seiner Mutter. Auch er übersiedelt zeitweise nach Mailand, lebt aber doch meistenteils bis zu seinem Tod 1927 bei seiner Mutter in Catania. Anders als bei seinen Veristen-Freunden spielen seine Romane ausschließlich in der Oberschicht mit ihrem provinziellen Adel. Seine Suche und Darstellung der Wahrheit dringt in das Innere seiner Figuren und deren moralischen Verfall ein. So auch in De Robertos Hauptwerk I Viceré(phonet. I Vischeré)/Die Vizekönige, wo es um den Niedergang eines Adelsgeschlechts in der Zeit vor der Einheit Italiens geht. In seiner Schilderung des Lebens dreier Generationen der über Sizilien die Macht ausübenden spanisch stämmigen Adelsfamilie der Uzeda (phonet.: weiches Z) entzaubert De Roberto alle Hoffnungen, die es mit der Einigungsbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts gerade für Sizilien gab, als Illusionen. Viele Neuerungen hatte man im Volk erwartet, doch kaum etwas geschah. So ein Thema stieß im Jahr des Erscheinens des Buches 1894, in einer Zeit des aufkommenden Nationalstolzes in Gesamtitalien auf wenig Anklang. Erst der Schriftsteller Leonardo Sciascia, auch er scharfer Analytiker der Gesellschaft, bewertet den Roman in den 1960er Jahren neu und charakterisiert ihn - des Lobes voll - als (in Anführungzeichen) „den größten Roman der italienischen Literatur nach `I promessi sposi´ übersetzt „Die Verlobten“) von Alessandro Manzoni aus dem Jahr 1827. In Deutschland ist das Buch Die Vizekönige leider schon lange vergriffen. O-Ton 11 Maike Albath Das ist immer so, dass bestimmte historische Perioden aus dem Blick rücken. Das sind so ein bißchen die Zyklen der Literaturgeschichte. Oft greift man dann ja auch wieder zurück auf Romane aus dem 19. Jahrhundert und sieht, dass sie uns sehr viel vermitteln. In Italien sind aber die veristischen Romane sehr präsent und auch Federico de Roberto Die Vizekönige ist ein unglaublich begeisternder Roman für mich, weil hier am Beispiel dieser Sippe der Uzeda gezeigt wird, wie Macht und Besitz alle Mitglieder nach und nach korrumpiert. Das finde ich äußerst verblüffend. Man kann gerade dieses Buch Die Vizekönige auch lesen als einen Kommentar auf das, was in Italien sich in den letzten Jahren abgespielt hat. In dem Moment, in dem eine bestimmte Gruppe Macht gewinnt, ist sie nicht mehr in der Lage über irgendetwas, was jenseits dieses Erhalts der Macht liegt, nachzudenken. O-Ton 12 Peter Peter Die Vizekönige. Auch das ist so eine Familiensaga, die eigentlich vom allmählichen Niedergang des sizilianischen Adels erzählt. Ich möchte dazu noch mal sagen, dieser sizilianische Adel hat schon was Besonderes an sich, weil er im Grunde stärker ein Fremdkörper ist, als zum Beispiel der preußische oder bayerische Adel. Die meisten dieser Adelsfamilien tragen spanische Namen, also dieser koloniale Adel, der von weither gekommen ist und teilweise sehr isoliert von der sizilianischen politischen Wirklichkeit gelebt hat. Es geht um eine Familie, die die Vizekönige gestellt hat, immer korrupter und schwächlicher auch wird und die verzweifelt versucht, dadurch, dass sie sich zu Deputierten wählen lässt, in der Entwicklung zum Nationalstaat mitzuhalten, aber letzten Endes einer absterbenden Vergangenheit angehört. MUSIK Erzähler Interessant ist bei der Gruppe der Veristen aus Catania auch, dass sie sich in der Ferne anfreunden und eng untereinander austauschen, ihre Romane und Novellen sich einander vorlegen und auch in Briefen gegenseitig Kritik oder Ermunterungen verteilen. Bemerkenswert auch, dass sich alle drei vom so genannten „Ehegefängnis“ fernhalten. Nur Capuana heiratet erst im hohen Alter von 69 Jahren. Alle drei legen wert, auf ein gepflegtes Äußere, sind mit ihren gestriegelten Bärten, wie man damals sagte „fesche Kerle“ und halten sich gerne adelige Geliebte. Sie frequentieren die Salons der feineren oder literarischen Kreise in Mailand, Rom und Florenz, auch wenn sie sich als Süditaliener dort als Außenseiter fühlen. Lassen wir uns noch mehr über Catania erzählen, auch um zu verstehen, warum gerade dort so viele Schriftsteller groß wurden, von denen hier lediglich die drei wichtigsten genannt werden. O-Ton 13 Peter Peter Ja, Catania ist wirklich ein Literatur- und Kulturzentrum vor allem um 1900 herum. Das hängt glaube ich damit zusammen, dass Catania auch das intellektuelle Zentrum Siziliens ist. Eine der ältesten Universitäten Italiens, findet sich dort, das Siculorum Gymnasium, das etwa zur gleichen Zeit wie Heidelberg Universität geworden ist. Dazu kommt dann auch, so sagen einige, dieser griechische Esprit , da kann man auch ein wenig skeptisch sein, aber es gibt eine Schule, die sagt, Palermo ist halt punisch-arabisch, während Catania eine alte griechische Vergangenheit hat, also eine Freude am Disputieren, am Überlegen usw. Dann könnte man natürlich sagen, diese permanente vulkanische Unsicherheit, Catania ist eine Stadt der Erdbeben, der drohenden Vulkanausbrüche und dazu die flirrende Hitze, die elegant angezogenen Damen, das alles führt dazu, dass diese Barockstadt, eine der schönsten Barockjuwele in Europa ist, es gibt wenig Städte, die so ein einheitliches barockes Stadtbild haben, eine wichtige Literaturstadt geworden ist. Erzähler Peter Peter ist schon unzählige Male in Sizilien gewesen, führt anspruchsvolle Bildungsreisen durch. Und er hat einen guten Draht zum Alltagsleben des Volks. Und wir Sizilienreisende lernen, dass das uns kaum richtig bekannte Catania nicht nur geschätzt ist wegen seiner Kulturgeschichte und seiner Schriftsteller, sondern auch wegen seines reichen kulinarischen Angebots. In alten Zeiten waren die Köche aus Catania in ganz Europa hoch gelobt und gesucht. O-Ton 14 Peter Peter Catania ist auch noch eine kulinarische Metropole. Ich darf vielleicht auch noch die Stadt Syrakus erwähnen, die antike Hauptstadt Siziliens, die in der griechischen und römischen Antike einfach als das Paris der Feinschmecker galt. In keiner Stadt wurde luxuriöser gespeist. Heute gilt das für weite Teile Siziliens immer noch. Gerade Catania hat aus meiner Sicht nach wie vor den prächtigsten aller Märkte Europas. Dieser wahnsinnige Fischmarkt, die ganzen Gemüse- und seltensten Obstsorten vom Ätna, die dort verkauft werden, die Marktschreier - eine Ästhetik, die jeden Morgen aufs Neue aufgebaut wird. Es gibt dort auch sehr traditionelle Gerichte, die teils auch noch an arabische Küche erinnern. Zum Beispiel Thunfisch mit süß geschmorten Zwiebeln, dann auch Gerichte, die mit Pinienkernen und Wildfenchel angemacht werden, teilweise mit Rosinen. Und dann finde ich natürlich spannend auch noch die ganz arme Küche. Wenn wir heute bei uns zum Italiener gehen, dann sagen wir, wir möchten ein bisschen Parmesan drauf haben. Tatsächlich ist Parma bis 1860 aber Ausland und es lagen hohe Steuern auf dem Parmesan. Viele arme Leute in Sizilien haben überhaupt keinen Käse drauf getan, sondern mollica, einfach Semmelbrösel statt Reibekäse. Das sind Gerichte der cucina povera. Es gibt ein Gericht aus Catania, das berühmt geworden ist. In Erinnerung an den Schwan von Catania, den berühmten Komponisten Vincenzo Bellini, dessen berühmteste Oper ja die Norma ist. Und Spaghetti oder Maccaroni alla Norma sind mit Auberginen. Die Aubergine ist seit der Araber- Zeit typisch für die sizilianische Küche. Ja, Catania ist ein toller Geheimtipp, muss man nach wie vor sagen, diese Barockzentren. Für die meisten von uns ist Catania ein Billigflughafen, von dem aus es dann nach Taormina geht, an die Strände. Wenig Menschen machen Urlaub in dieser Stadt. Musik Franco Battiato Erzähler Sie hören Franco Battiato, in Catania geboren und lebend, ein experimentierfreudiger Musiker, Sänger und Komponist, einer der großen Cantautori, der italienischen Chansoniers. Hier nicht zufällig mit arabischen Klängen. Sein Name klingt ähnlich, wie der von Vitaliano Brancati, unser nächster wieder ganz eigener Schriftsteller. Auch er aus Catania. O-Ton 15 Maike Albath Brancati war für mich eigentlich die große Entdeckung. Ich hatte ihn auch gelesen als Studentin und kannte zum Beispiel Don Giovanni in Sizilien. Brancati ist derjenige, der die privaten Verhältnisse gut durchleuchtet. Er hat auch wunderbare Essays geschrieben. Er ist auch derjenige Schriftsteller, der sich kritisch mit Mussolini auseinandergesetzt hat. Er war als 17-jähriger, – wie er es selbst ausgedrückt hat – bis in die Haarwurzeln Faschist. Und er hat es in Essays großartig analysiert und auch sehr selbstkritisch, weil er gezeigt hat, dass es damals diese Ideologie der Tat gab. Etwas, was man heute wieder beobachten kann. Statt der sehr viel sinnvolleren Ideologie des Zweifelns. Und er hat das auch an seinem eigenen Beispiel geschildert, weil er ja schwächlicher Konstitution war und sagt dabei auch sehr ironisch, dass er damals für einen Bizeps alles gegeben hätte, seinen ganzen Verstand. Und das finde ich, macht er auf sehr eindrucksvolle Weise. Dass er da zeigt, welches die Konsequenzen sind dieses Faschismus und wie er als junger Mann darauf reingefallen ist. Erzähler Vitaliano Brancati wird 1907 in Pachino bei Syrakus, ganz im Süden Siziliens geboren. Er kommt mit seiner Familie, der Vater ist Rechtsanwalt, noch als Kind nach Catania, wo alle seine Bücher spielen. Er nimmt auf sehr intelligente und komische Weise den sizilianischen Mann auf die Schippe. Und damit sicher auch viele Italiener und manch anderen Mann in der Welt. Brancati hat ein starkes Gespür für den Wandel der Geschlechterrollen. Seine Helden geraten regelmäßig in Beischlafstress. Gibt es doch in der Gesellschaft soviel Schein darum, wie ein ganzer Kerl zu sein hat und wie er im Nu die vielen Frauen in der Welt erfolgreich zu erobern hat, dass das Sein hinter dem Schein schwierig zu leben ist. So die konzentrierte Kernaussage von Brancatis Romanen. Vor allem auch dann, wenn man gar nicht so stark und autonom ist, sondern immer Mammas Liebling war und selbst über die Heirat hinaus auch bleiben wird. Auch dies ist ein besonderes sizilianisches - und italienisches - Thema, auf das wir noch zurückkommen werden. Das provinzielle Catania verlässt Brancati bald nach dem Universitätsabschluss, er geht erst nach Rom, wo er als Journalist arbeitet, und dann auch er nach Mailand. O-Ton 16 Maike Albath Seine Romane, auch Don Giovanni in Sizilien werfen auf dieses Männlichkeitsideal einen sehr witzigen Blick. Diese Virilität und auch das ist wieder ein Kerngedanke des Faschismus. Ein Mann der Tat, bis in den ganzen körperlichen Habitus, die Angewohnheit sich in eine Uniform zu schmeißen. Mussolini ist ja mit nacktem Oberkörper bei der Weizenernte aufgetreten. Und darüber macht sich Brancati dann ja sehr lustig. Er zeigt in seinem großartigen Roman Don Giovanni in Sizilien wie die Schwestern von ihm dafür sorgen, wie Giovanni plötzlich regrediert und in so ein Stadium eines Säuglings zurück gleitet und dann eigentlich nur noch Mittagsschlaf halten will. Er ist ja in Mailand so ganz aktiv, in Catania aber wird er zu einem überdimensionierten Baby. Und ist auch später wieder in der Hand seiner Frau und wird dann eigentlich immer nur in bestimmte Richtungen von Frauen gedrängt, das ist auch etwas sehr Wichtiges, die immer irgendwas mit ihm vorhaben. Er ist eigentlich immer Opfer seiner vollkommen triebhaften Existenz. MUSIK Mamma von Giacomo Rondinella Erzähler Sie hören den 1923 in Messina auf Sizilien geborenen Giacomo Rondinella. Dieser Song machte ihn weltberühmt. Erzähler Die Helden in Brancatis Romanen wären vielleicht geeignet gewesen, um lebensfähiger zu werden, bei einem gewissen Ernst Bernhard in die Therapie zu gehen. Dieser deutsch-jüdische Psychoanalytiker Bernhard hatte in der Nachkriegszeit in Rom sehr erfolgreich Künstler und Schriftsteller wie Natalia Ginzburg und Federico Fellini therapiert und auch einen Aufsatz zur Bedeutung der „großen mediterranen Mutter“ geschrieben. Vincenzo Consolo, Sizilianer, Schriftsteller und enger Freund Leonardo Sciascias führte zur Bedeutung der Mutter gerade in Sizilien aus: Zitator „Bei Brancati geht es darum, wie jemand in diesem brenzligen Stadium des Heranwachsens stecken bleibt, was typisch für Sizilianer ist. Denn die Gesellschaft verschließt sich einem, sie gibt einem keine Sicherheit, also reagiert man mit der Flucht in den Schoß der Familie, wo die Mutter das Sagen hat. Und die Mutter droht die Kinder aufzufressen, das ist die große Gefahr der mediterranen Mutter.“ MUSIK Mamma wieder hochziehen O-Ton 17 Peter Peter Vitaliano Brancati, war ein absoluter Star auch bei uns in den 1960er Jahren. Einige seiner Romane sind auch verfilmt worden, vor allem Don Giovanni in Sicilia - Don Giovanni in Sizilien. Das passte auch sehr gut zum Zeitgeist. Also Brancati beschreibt eigentlich diese typische Kultur des sizilianischen Macismo, der Papagalli. Das, was bei Brancati immer wieder durchkommt, ist, dass das Ganze durch den Kakao gezogen ist, dass die Rolle des sizilianischen Mannes sehr lustig, aber auch sehr scharf analysierend dargestellt wird. Man hat im Gespräch immer das Gefühl, das viele Sizilianer oversext sind und das es auch zum guten Ton gehört. Auch das habe ich erlebt mit Sizilianern aller Klassen. Dass die Männer die Frauen erst einmal durch beschreiben. Wie sie aussehen und was sie gerne mit ihnen anstellen würden. Umgekehrt ist es dann aber so, und das kommt bei Brancati auch sehr stark heraus, dass die Männer mit ihrer permanenten Fixierung auf die Frau als erotisches Wesen häufig im gelebten Alltag dann eher versagen oder sehr wenig entspricht, d.h. diese Männer sind - ich sag es mal dramatisch - eher arme Schweine, die sich wohl dauernd in sexuellen Phantasien ergehen, aber dann nicht in der Lage sind, wirklich zum Zug zu kommen. Wenn man so will, ist Brancati schon jemand, der noch modern ist, weil er eine bestimmte Art des sizilianischen Macismo als schauspielerhaft und als nicht realisierbare Träume entlarvt. Ich kann mich daran erinnern, in einem Film sitzt da so eine Männergruppe von Papagalli in einem Café, kommt einer und ruft: es kommt wieder ein Flugzeug mit Schwedinnen und alle fahren mit ihren Vespas zum Flughafen und versuchen die anzuflirten. Aber es klappt wieder alles so gar nicht. Man muss sagen, Brancati ist der Schriftsteller, der Catania in Italien bekannt gemacht. Nach wie vor lesenswert. MUSIK ciuriciuri Erzähler Sie hören ein altes sizilianisches Volkslied. Als 1949, vor gut 70 Jahren, in Catania Brancatis neues Buch „Il bell` Antonio“ (Der schöne Antonio) herauskommt, wird es zum Skandal-Bestseller des Jahres. Hier dazu der zusammengefasste Bericht des Wochenmagazins der SPIEGEL aus dem Jahr. Zitator Der 39jährige Sizilianer gilt als Italiens bester satirischer Schriftsteller. In Catania kennt jeder den mittelgroßen Mann mit dem kleinen Schnurrbart und den schwarzen Augen, der genau so aussieht, wie man sich einen Sizilianer vorstellt. Abends sieht man ihn und seine Frau unter duftendem Oleander in der Via Etnea Aperitif trinken. Dort in der Gegend spielt auch der "Schöne Antonio", durch den Sizilien in Italien noch mehr in Mode als ohnehin schon kommt. Zahlreiche Filme werden von den großen Regisseuren des Neorealismus in den Jahren in Sizilien gedreht, immer in schwarz weiß. Der Protagonist von „Der schöne Antonio“ ist in den 1930er Jahren, also zu Mussolini-Zeiten, der schönste und begehrteste Junge von Catanía, faul aber vergöttert wie eine Primadonna. Er gilt als unwiderstehlicher Frauenheld, beliebt und geliebt bis in höchste Kreise. Aus Jahren in Rom zurück heiratet Antonio in Catania die bildschöne Barbara. Doch drei Jahre Ehe vergehen, und kein Erbe stellt sich ein. Die ganze Stadt beginnt zu tuscheln. Antonio vertraut einem alten Onkel die verzwickt-psychologischen Gründe seiner Lage an. Sein Glück bei den Frauen bewahrt er sich nur mit einer langen Kette von Lügen, Vorwänden und Entschuldigungen. Antonios Ehe wird als nicht vollzogen annulliert. Der ganze Farbenreichtum des sizilianischen Menschen ist in diesem Buch. Sinnlichkeit und Gläubigkeit, Liebe zur Heimat und Ablehnung alles Neuen und Fremden, das glühende Temperament der Männer und die Unfreiheit der Mädchen und Frauen, patriarchalische Gefühle und politische Ambitionen. Antonios Vater, von der Scham über den Sohn zermürbt, beichtet seiner Frau die lange Reihe seiner unehelichen Kinder. Das Leitmotiv aber bleibt die sexistisch aufgeladene Männlichkeit. Was Antonio zustößt, wäre für jeden Mann in jedem anderen Land nur ein Missgeschick. In einer sizilianischen Stadt ist es eine Tragödie. Erzähler Die Verfilmung seines so erfolgreichen Buches 1961 durch Mauro Bolognini (phonet.: Bolonjini) mit Claudia Cardinale und Marcello Mastroianni erlebt Brancati nicht mehr. Er stirbt 1954, erst 47-jährig, überraschend nach einer Operation. MUSIK 8 Etta Scollo Cantu d`a curuna Erzähler Sie hören Etta Scollo mit ihrer kraftvollen Stimme, in Palermo geboren und schon seit Jahren in Hamburg lebend. Wir kommen zu Elio Vittorini, der 1901 bei Syrakus als Sohn eines Eisenbahners geboren wird Er ist einer der wichtigen italienischen Nachkriegsautoren und -Intellektuellen. Mehrere Male unternimmt er schon als Jugendlicher ernsthafte Fluchtversuche aus der Enge seines familiären und provinziellen Lebens. Als 20-Jähriger flieht er nach Gorizia im Norden Italiens, zusammen mit seiner Verlobten, der Schwester des Lyrikers und späteren, zweiten sizilianischen Nobelpreisträgers Salvatore Quasimodo. Er arbeitet zunächst als Schriftsetzer und wird nach Mussolinis Sieg als Linksfaschist Anhänger der Partei Mussolinis. Anfang der 40er Jahre wechselt er zum antifaschistischen Widerstand der verbotenen Kommunistischen Partei und leitet in Mailand für einige Zeit die zentrale Parteizeitung „Unità“, um aber 1947 wegen eines Streits mit dem Parteivorsitzenden Palmiro Togliatti über die Frage der Unterordnung der Kunst unter die Zielsetzungen der Partei wieder auszutreten. Bis zu seinem Tod nach langer Krankheit im Jahr 1966 ist er neben seiner eigenen schriftstellerischen Arbeit als Übersetzer und beim Verlag Einaudi (phonet.:Enodi)als Leiter einer Buchreihe tätig. Sein wichtigstes Buch „Gespräch in Sizilien“ erscheint 1941 und schildert die Reise des Ich-Erzählers aus dem italienischen Norden in das zurückgebliebene Sizilien zu seiner Mutter. Zitator Der Ich-Erzähler lebt in Mailand als Schriftsetzer. Als er von seinem Vater aus Sizilien einen Brief erhält, in dem ihm dieser mitteilt, dass er seine Frau verlassen habe, und den Sohn bittet, sich um die Mutter zu kümmern, begibt er sich unmittelbar mit dem nächsten Zug nach Sizilien. Auf der Fahrt dorthin begegnen ihm verschiedene Reisende. Angekommen bei der Mutter, der Heilpraktikerin des Dorfes, lässt sie sich von ihm zu ihren Hausbesuchen bei verschiedenen Frauen begleiten. Danach, am Abend, trifft er alte Bekannte, einen Sattler, einen Scherenschleifer und einen Tuchhändler und sitzt mit diesen die ganze Nacht zusammen. Dann hat er lange Gespräche mit seiner Mutter, währenddessen, der Vater, fast unbemerkt, wieder in das Haus zurückkehrt. Am dritten Tag fährt er zurück. O-Ton 18 Peter Peter Elio Vittorini, Conversazione in Sicilia, ist einer der vielen Sizilianer, die nach Norditalien ausgewandert sind und als Cheflektor erfolgreich war. Er beschreibt sich als Jemanden, der seit 20 Jahren im Norden lebt, in diesem ganz anders modernisierten Norden und dann wieder zurückfährt in seine sizilianische Heimat. Für mich eine wunderschöne Szene, wo er auf diesem Schiff ist, wo lauter so kleine Sizilianer mit den Schiebermützen rumstehen, er sucht mit ihnen das Gespräch, versucht den Käse zu loben, endlich wieder sizilianischen Käse, er isst auch ein bisschen was, und er wird gefragt, ob er denn Sizilianer sei, er sagt ja, die meinen dann aber: kein Sizilianer frühstückt und ihr seid Amerikaner, sagen sie zu ihm. Das zeigt sehr schön diese Entfremdung, wenn man ausgewandert ist und zwanzig Jahre weg ist, dann hat man manchmal die Sehnsucht, doch wieder dazu zu gehören, aber diesem Mann gelingt es eigentlich hinten und vorne nicht. Er gehört mittlerweile zu einer anderen Klasse, er ist ein Intellektueller. Was dann sehr spannend ist, sind die tiefen Gespräche mit seiner Mutter, wo es auch um intimste Fragen, auch um sexuelle Fragen geht. Die Mutter erdet ihn wieder, hier sind wir ja im Land der großen Mütter. Letzten Endes geht es hier wieder um das große Thema, was die Norditaliener so fasziniert hat, in dieses fremde archaische Sizilien, da Einblicke zu gewinnen. Aber auch die Emanzipation von der Heimat. Ich meine, Auswanderung ist nicht nur ein Fluch, es ist für viele auch eine große Chance der Selbstverwirklichung. Auch bei Vittorini das Lob der sizilianischen Küche, das Brot, das wie in Arabien mit Sesam bestreut ist und der Schafskäse, das ist natürlich wieder die Cucina povera, und diese sizilianischen Blutorangen, billig und gut. Das sind wunderbare schlichte Produkte. Vielleicht auch mal ganz aktuell, dass das heute ein großer Vorteil von Sizilien ist. Sizilien ist eine der führenden europäischen Regionen in der EU für Bioprodukte. Es gibt so viele kleine Bauern, die nie modernisiert haben, aber bei den Bioprodukten geblieben sind. O-Ton 19 Maike Albath Elio Vittorini ist in Italien immer noch sehr wichtig. Sie finden ihn in allen Buchhandlungen. Das ist ja ein Roman, der im Unterschied zu vielen der sizilianischen Romane dem Helden erlaubt, sich zu lösen. Also es gibt die Rückkehr zu diesem mütterlichen Sizilien, das ist aber eine Kraft, die ihm gespendet wird und dann kann er wieder abfahren. Es ist auch einer der wenigen Romane, in denen der Held, es wird ja auch die Reise sehr ausführlich beschrieben und die Überfahrt mit dem Schiff auf die Insel und die Sizilianer den Helden sofort identifizieren als jemanden der in Norditalien zu Hause sein muss, weil er am Morgen isst, also etwas zu sich nimmt, was ein Sizilianer nie täte. Und hier kann dann, das passt natürlich auch zu Vittorini, seinen politischen Überzeugungen, die Zeit damals, in den 40er Jahren sein Leben in die Hand nehmen. Also er wird zu einem verantwortungsbewussten, autonom handelnden Ich und kann für Italien und für seine Geschicke eintreten. Das ist die Pointe dieses Romans. Und auch die sehr spröde Sprache, die er hat, die ist natürlich auch nicht Zeit verhaftet. MUSIK Etta Scollo 2. Stunde Pirandello, Camilleri Lampedusa u.a. – Innersizilien + Palermo Musik Erzähler Bevor Sizilien in den Jahren 1860/61 Teil des vereinigten Königreichs Italien wird, war es permanent, tatsächlich ohne Unterbrechung, immer und immer wieder von vom Meer einfallenden, wechselnden Eroberern kolonialisiert, besetzt. Den Grund für diese nicht enden wollenden Machtgelüste gegenüber Sizilien hat Leonardo Sciascia, zu dem wir die dritte Stunde dieser Langen Nacht hören, am deutlichsten herausgearbeitet: Die zentrale Lage der Insel mitten im Mittelmeer, im Schnittpunkt aller Handelswege der Seefahrer, und kriegerischer Seeflotten, die bizarre geografische Schönheit der Insel, lange Zeit auch ihr Reichtum durch den Anbau des begehrten Weizen und das überall geschätzte Olivenöl. Nie gab es einen eigenen sizilianischen Staat, der eine Militärmacht hätte werden können und zur Gegenwehr hätte antreten können. So kommt es, dass nicht die vereinzelt auf dem Land ansässigen Sizilianer selbst ihre Geschicke bestimmt haben, sondern diese wechselnden Machthaber. Und diese plünderten das Land aus, was die Bauern bearbeiteten. Die lange Liste der Eroberer in der Geschichte Siziliens sei hier genannt: Im Altertum kommen nach den Phöniziern die Griechen, die kolonisieren einige Jahrhunderte vor Christus mit ihrer Kultur Sizilien als einen Teil Griechenlands. Die großen griechischen Städtenamen sind Syrakus, Agrigento (phonet: Agridschento) und Selinunte, wo heute noch Tempel und andere alte Bauwerke zu besichtigen sind. Danach herrschen die Römer. Hannibal, die Punischen Kriege und große Sklavenaufstände haben wir aus dem Geschichtsunterricht in Erinnerung. Kein Sizilianer geht in jenen Zeiten allerdings in die Hauptstadt Rom, um im großen römischen Reich mitzuregieren. Im Jahr 535 nach Christus fallen die Byzantiner ein. Ihre Hauptstadt wird Syrakus und löst damit Konstantinopel ab. Auch hier leisten die Sizilianer keinen Widerstand. Sie erhoffen nichts sehnlicher als Frieden und Milde nach der unterdrückerischen Herrschaft der Römer. Syrakus wird die reichste und mächtigste Stadt ganz Europas. Um 800 nach Christus rücken die Araber an. Fünfzig Jahre Eroberungskrieg gegen die byzantinischen Streitkräfte verwüsten die Insel, schaffen Hungersnot und Seuchen. Den Sizilianern bleibt nichts anderes übrig als zu erdulden. Doch als ihre Herrschaft konsolidiert ist, sorgen die Araber für Ordnung und Wohlstand, kurbeln den Handel an und führen Bewässerung auf dem Land ein. In zweihundert Jahren Besetzung durch die Araber übernehmen die Sizilianer viel von der arabischen Kultur. Im 11. Jahrhundert fallen die Normannen aus Nordfrankreich mit dem Segen des Papstes ein. Unter ihnen gelangt das feudale System zum Durchbruch und den vielen über die Jahrhunderte übrig gebliebenen Volksgruppen auf der Insel wird erlaubt, die eigene Kultur zu praktizieren. Sizilien wird unter den normannischen Königen ein friedliches, kulturell blühendes und wohlhabendes Reich. Schrifttum als Zeugnis der Zeit ist jedoch kaum erhalten. Und – kaum anders zu erwarten – diese Zeit währt nicht lange. Es kommen andere Eroberer und für Sizilien erneut eine lange Zeit des Niedergangs eigener Macht, Wohlstand und Sicherheit. Es folgen die Staufer, danach die französischen Herrscher von Anjou und Aragon. Herausragt der Aufstand aus dem Jahr 1282 gegen den verhassten Karl den Ersten, König von Sizilien aus dem Haus der Anjou. Der in Palermo beginnende Aufstand verbreitet sich schnell auf andere Orte Siziliens und endet mit einem Gemetzel tausender Franzosen und der Vertreibung Karls von Anjou von der Insel. Erinnert wird dieser Aufstand als die Sizilianische Vesper, brach der Aufstand doch zur Zeit des Abendessens an Ostermontag aus. Danach wird die Insel spanische Kolonie. Doch nichts hat sich wirklich geändert. MUSIK: Verdi: I Vespri Siciliani by Maria Callas Erzähler Eine der berühmten Arien aus der Verdi-Oper „Die sizilianische Vesper“, die an diesen Aufstand erinnert, gesungen von Maria Callas. Erzähler Spanische Herrscher verschiedener Herrscherlinien halten die Insel nach den Arabern für Jahrhunderte besetzt. Dann hat mal Neapel, Turin oder Wien gewisse Rechte. Reformen, die unternommen werden, sind nicht wirklich zum Wohl der armen Landbevölkerung oder der Bewohner der sich herausbildenden Städte. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts herrschen die berüchtigten spanischen Vizekönige aus dem Herrscherhaus der Bourbonen, über die Federico de Roberto seinen großen Roman verfasst hat. Die Rückständigkeit der sizilianischen Aristokratie ist bis ins 19. Jahrhundert hinein bestimmend. In den 1848er Jahren gibt es wie in anderen Ländern Erhebungen, Sizilien soll sogar initiativ gewesen sein. Es folgen Aufstände über Aufstände der Armen und Rechtlosen. Unter den Bourbonen wird Sizilien zur ärmsten Region des 1861 vereinigten Italien. Eine Modernisierung Siziliens wird mit der nationalen Einigung wohl in Aussicht gestellt, doch erst nach dem 2. Weltkrieg überhaupt erst in Angriff genommen. An Sizilien und dem gesamten südlichen Italien war man im Norden nicht weiter interessiert, auf die Bewohner blickte man herab. Zur 150- Jahrfeier des vereinigten Italien im Jahr 2011 hörte man Stimmen, die die Piemonteser, unter deren Führung die Einigung stattgefunden hatte, als die letzten Eroberer bezeichneten, die den Mezzogiorno, wie das gesamte Süditalien genannt wird, kolonialisiert haben. Das heißt, eine wirkliche Freiheit Siziliens scheint für viele immer noch nicht zu herrschen. Immer wieder hatte es in der Vergangenheit Aufstände gegeben. Warum nur wurden fast alle niedergeschlagen und blieben folgenlos? O-Ton 20 Maike Albath Es gab keine Elite dieser kleinen Gruppen. Es gab keine bürgerlichen Kräfte. Es gab kein aufgeklärtes Bürgertum, das sich an die Spitze dieser Aufstände gestellt hätte. Dadurch verpufften die sehr schnell. Und, das ist ja auch ein altes sizilianisches Rezept, man hat sich dann vermutlich immer wieder irgendwie arrangiert. Und wenn es eben auf Seiten der Macht kein großes Interesse gibt, dass sich die Verhältnisse wirklich änderten und auf der Seite derjenigen, die keine Macht haben, die Fähigkeit nicht besteht, dass so weiterzuführen, dass es wirklich zu einem Umsturz kommt, dann kann sich eben auch nichts ändern. Man kann es mit diesen alten Begrifflichkeiten benennen und sagen: Wenn sich nur die Machtverhältnisse ändern, ohne dass sich die Besitzverhältnisse ändern, dann bleibt die Entwicklung stecken. MUSIK 10 fratelli Mancuso hochziehen, wenn Gesang beginnt Cumu è sula la strata Flötenteil ab 3.30 mit hören lassen Erzähler Musik im Hintergrund lassen Sie hörten die Brüder Enzo und Lorenzo Mancuso, gebürtig in der Provinz Caltanisetta im innersizilianischen Schwefelabbaugebiet. Mitte der 70er Jahre emigrieren sie nach London und überleben als Arbeiter in der dortigen Metallindustrie. Nach 8 Jahren kehren sie in einen kleinen Ort in Umbrien als Musiklehrer an einer Grundschule zurück. Seit Ende der 80er Jahre werden sie schließlich als Sängerduo, als Ikonen sizilianischer Kultur auf Musikfestivals in aller Herren Länder gefeiert. Musik hoch und aus Erzähler Die Geschichte von Kolonialisierungen ist beispiellos und prägt einen National- bzw. Regionalcharakter, hier den Charakter einer Inselbevölkerung, und jedes einzelnen Menschen. Für die sizilianischen Schriftsteller ist diese Prägung bis heute ein großes Thema. Wer sind wir? Was ist unsere gemeinsame Identität? Da die Herausbildung moderner Staaten derartige Fragen deutlicher als vorher aufkommen lässt, konnte die sizilianische Literatur nach der Vereinigung Italiens über die eigenen Grenzen hinaus so ein bedeutsames Echo erhalten. Das ist das literarische Feld von Luigi Pirandello. Musik noch einmal hoch, dann klar Schluss, da neues Thema O-Ton 21 Maike Albath Pirandello ist für mich ein Schriftsteller, den ich an der Universität in Padua entdeckt habe, und der mich gleich in seinen Bann geschlagen hat. Und das lag an seinen Romanen damals. I fu Mattia Pascal oder auch Uno nessuno centomilla. Es gibt etliche, auch die Erzählungen, auch L`Esclusa Weil er ganz stark diese Erfahrung der Zerrissenheit des Ichs in der Moderne auf den Punkt gebracht hat und das habe ich in den späten 80er Jahren als etwas ganz Aufregendes wahrgenommen. Weil er die Zersplitterung des Ichs sehr genau erzählt. Er erzählt auch in seinen Geschichten, in der Kurzprosa, immer wieder von Zuschreibungen, die von außen an dieses Ich herangetragen werden. Damit zusammen hängt zum Beispiel, dass die Ehefrau oder die Schwiegermutter jemandem eine ganz bestimmte Rolle zugedacht hat und dass diese Kräfte dann auch immer beherrschend werden. Während diese zarten Ichs, meistens sind es ja Männer, darunter zerbrechen. Sie können eigentlich gar nicht mit diesen vielen Bildern, die ihnen gespiegelt werden, zurechtkommen. Und sie wissen nicht mehr, wer sie sind. Das ist eine ganz typische Erfahrung der Jahrhundertwende, der Moderne, die aber Pirandello auf ganz besondere Art und Weise ins Bild gesetzt hat, in seinen Romanen vermittelt hat. Und ich glaube, es hängt auch damit zusammen, dass er ja so etwas wie den Durchschnittsmenschen durchleuchtet. Es sind keine exorbitanten Helden, sondern eigentlich eher alltägliche Figuren. Und vielleicht ist tatsächlich ein zentraler Roman Mattia Pascal, in dem der Held durch Glücksspiel plötzlich reich wird und die Möglichkeit hat, sich aus seiner alten angepassten Identität zu verabschieden und diese Chance dann ergreift und dann ja sogar entdeckt, und das ist natürlich etwas sehr Unheimliches, es gibt eine Todesanzeige und dass ein Leichnam, der angespült wurde, für ihn gehalten wird. Er hat aber die Chance auf einmal in die Freiheit auszubrechen und sein Leben neu zu gestalten. Und der Umschlagspunkt, und das ist für mich das, was ich sehr faszinierend finde, ist dann, als er merkt, auch mit einer neuen Identität erreicht er keine Freiheit.Er kann nicht so leben, wie er will. Er braucht auch bestimmte Dokumente, das Angewiesensein auf die Bürokratie, auch ein sehr sizilianisches Thema, die immer undurchschaubar ist. Und in dem Moment, in dem er dann sieht, er kann auch mit einem neuen Namen nicht die Frau heiraten, die er eigentlich liebt. Er muss sich in irgendeiner Form abfinden mit diesen Erwartungen, die immer wieder an ihn gestellt werden. Mit den Notwendigkeiten der modernen Gesellschaft, da resigniert er ja dann und sagt, na gut, dann bin ich eben der, der ich einmal war und begießt dann sogar die Blumen auf seinem Grab. Also das ist doch grandios wie P. das macht. Erzähler Ein „Roman voll von Abenteuern, von sanfter Philosophie und von Humor“, lobt ein zeitgenössischer Kritiker „Mattia Pascal“. Das im Roman behandelte Thema wird Pirandello sein Leben lang begleiten. Luigi Pirandello wurde 1867 auf einem Landgut in einer Caos genannten Lokalität bei Agrigent geboren, mit Blick zum Meer, doch immer noch zum Schwefelabbaugebiet im Inneren Siziliens gehörend und nicht weit entfernt von den Geburtsorten Leonardo Sciascias und Andrea Camilleris und den eben gehörten Brüdern Mancuso. Sein Vater verdiente gutes Geld mit dem Schwefelhandel und hätte gerne auch seinen Sohn dort untergebracht. Doch der ist da schon entschlossen, Schriftsteller zu werden und geht zum Studium der Literaturwissenschaft erst nach Palermo, dann nach Rom. Vor seinem Weggang aus der Familie arrangiert der Vater ein Verlöbnis mit einer Kusine. Doch diese begreift bald über die Briefe, die der zwanzigjährige Luigi ihr schreibt und seine allzu seltenen Besuche, dass sein Sinn nicht nach Heirat steht. Von Rom geht Luigi schließlich nach Bonn, um dort mit einer Doktorarbeit über den sizilianischen Dialekt abzuschließen und ersten schriftstellerischen Versuchen nachzugehen. In Bonn arbeitet Luigi eine Zeit lang als Lektor für Italienisch an der Universität und nimmt rege am sozialen Leben teil. Er beginnt eine Liebschaft mit einer schönen Jenny, die er beim Karneval kennengelernt hat und der es sogar gelingt ihren Luigi in einem der Zimmer, die die Mutter an Studenten vermietet, unterzubringen. Doch Unruhe treibt ihn erst zurück nach Rom, dann für ein paar Monate nach Sizilien. Für ihn steht an zu klären, wie er sich unabhängig vom monatlichen Wechsel des Vaters machen kann. Und der hat, auf hergebrachte sizilianische Art schon eine Lösung parat, ausgehandelt mit einem wohlhabenden Besitzer eines Schwefelbergwerks und Vater einer heiratsfähigen Tochter. Und jetzt, unter finanziellem Druck, zeigt Luigi sich bereit zu einer Ehe, schließlich müsse diese - so schreibt er in einem Brief - ja nicht unbedingt aus Liebe geschlossen werden. Derartige sogenannte „Schwefelehen“ sind zu Ende des 19. Jahrhunderts in Sizilien immer noch üblich. Auch Andrea Camilleris Eltern wurden auf diese Weise verheiratet und er bestätigt: es sei eine wunderbare Ehe gewesen. Bei Pirandello klappt das leider nicht so. Seine Antonietta kommt zwar mit nach Rom – das war ein Punkt des zwischen den Vätern ausgehandelten Ehevertrags - scheint sich aber - ganz ungeplant - in ihren Mann zu verlieben. Und das bekommt ihr leider überhaupt nicht. O-Ton 22 Maike Albath Für mich hat Pirandello etwas, was verblüffend ist. Pirandello schreibt über das moderne Ich, die Zersplitterung des Ichs, was ja auch zu tun hat mit der Vielfalt der Einflüsse Siziliens, gleichzeitig konstruiert er sich selber ein Gefängnis. Er schreibt über Zuschreibungen, die von außen an ein Ich herangetragen werden und ist in einem Familiengefängnis, weil er eine Frau heiratet, die ihm von dem Vater vorgeschlagen wird aus wirtschaftlichen Gründen. Und diese Antonella war psychisch krank, das stellt sich ja sehr früh heraus. Er ist auch sogar loyal, kümmert sich und sorgt sich. Aber es wurde eine unerträgliche Situation und das sind die Fallstricke einer sizilianischen Ehe. Also er hat das in erster Person erlitten, wenn jemand verrückt wird, wenn man durch Beziehungen auch wirtschaftlicher Natur aneinander gebunden ist. Als dann die Familie von Antonella ruiniert war durch eine falsche Geschäftsentscheidung, - es gab dann eine Überschwemmung -, es war dann der Reichtum weg. Es war für diese Frau, die sicherlich sehr gequält war und sehr gelitten hat, auch die Existenzberechtigung abhandengekommen. Sie wurde immer verrückter, hat unter Eifersuchtsattacken gelitten und muss unerträglich gewesen sein. Es ist sicher kein Zufall, dass er über diese Art von Abhängigkeiten, von Qualen, von Ansprüchen, die von außen gestellt werden, auch immer geschrieben hat. Er hat sich von Antonella gelöst und mit seinen Kindern dafür gesorgt, dass sie in eine Unterbringung kam. Sie war dann in einer Art Psychiatrie in einem kleinen Heim und er selbst hat dann für die Schauspielerin Marta Abba geschwärmt und alles getan, ihr Rollen auf den Leib zu schreiben und ist ihr dann hinterher gereist oder hat sie umworben, mit nicht sehr großem Erfolg. MUSIK Etta Scollo Erzähler Sie hörten noch einmal Etta Scollo. Nach dem familiären Ruin fällt nun für den Sohn in Rom der monatliche Wechsel für seine Familie mit inzwischen drei Kindern weg. Pirandello muss jetzt nicht nur mehr und schneller schreiben, vor allem Novellen, die in Zeitungen abgedruckt werden, sondern auch in einem Institut für Lehrerausbildung in Rom eine Stelle als Italienisch-Lehrer annehmen. 1904 kommt der erste Durchbruch zu Anerkennung, Ruhm und bedeutenden Einnahmen mit seinem erfolgreichsten Roman „Mattia Pascal“. Der Bestseller wird mehrmals verfilmt, das letzte Mal 1985 ohne großen Erfolg mit Marcello Mastroianni. 1921wird sein Stück „Sechs Personen suchen einen Autor“ in Rom uraufgeführt und krönt Pirandello zu dem Theaterautor seiner Zeit. O-Ton 23 Maike Albath Sechs Personen suchen einen Autor hatte ja für einen ungeheuren Theaterskandal gesorgt. Da war in Rom soviel los, wie wir uns das heute gar nicht mehr vorstellen können. Er musste dann mit seiner Tochter durch einen Hinterausgang das Theater verlassen. Und der Grund war, dass er diese Stück-im- Stück-Geschichte auf die Bühne gebracht hat, dass es Figuren gab, die eben den Autor selbst und den Theaterdirektor, immer wieder kommentiert haben. Das war, glaube ich, das Aufregende, was man damals einfach so nicht kannte. Und Sechs Personen suchen einen Autor hat diese Doppelung, dass es ja eigentlich ganz melodramatische Schicksale sind, die da auf der Bühne aufgeführt werden. Dieser Schrei der Mutter, der ja so ganz zentral ist, weil sie nicht mehr ein noch aus weiß, da ist man sich nie sicher, auf welcher Realitätsebene spielt denn das eigentlich. Diese Schicksale mit der Mutter und ihren unehelichen Kindern, die sind eher noch in der veristischen naturalistischen Phase der Literatur zu verordnen. Aber dadurch, das er das dann alles so bricht und dann aber denjenigen, der das aufführen lässt, die Schauspieler sind mit dabei und kommentieren das immer wieder alles – also es gibt ja sehr viele Metaebenen, das macht glaube ich, das Schockierende dieses Stückes aus. Erzähler Sechs Personen suchen einen Autor wird sein wichtigstes Theaterstück und nicht nur in Rom wird es von Tumulten begleitet, auch in Berlin, wo Pirandello sich 1928 für drei Jahre niederlässt und die großen Namen des experimentellen Theaters wie Max Reinhardt, Erwin Piscator und Bert Brecht trifft. Berlin wird zudem die Hauptstadt des europäischen Films, Pirandello schreibt Drehbücher für Stummfilme, dreht einen Tonfilm mit Greta Garbo. O-Ton 24 Peter Peter Pirandello war ein Star in Berlin. Natürlich auch, weil er fließend Deutsch konnte. Italienische Zeitgenossen sagen auch immer, Pirandello wirkte wie ein zerstreuter deutscher Professor. Sah auch so aus. Er war befreundet mit Marlene Dietrich, mit Einstein usw. und eben dieser experimentelle Schauplatz Berlin der 1920er Jahre, der hat natürlich diese provozierenden Stücke Pirandellos geliebt. Ich würde zur Lektüre immer noch die Novelle per un anno, also die Novellen für ein Jahr empfehlen. Das sind kleine psychologisch fein ziselierte Kurzgeschichten, die immer wieder eine tiefe Sympathie für die oft schwachen und leidenden Helden zum Ausdruck bringen, oft auch gewürzt mit einem feinen Humor sind. Musik aus dem Film Kaos (Verfilmung von Pirandello-Novellen) 3:43 Erzähler Vier der Novellen Pirandellos haben die Brüder Taviani 1986 für den melancholischen Film Kaos verfilmt - mit dem Zauber ihrer filmischen Sprache und in der bizarren sizilianischen Landschaft. Sie hören den Soundtrack für diesen Film. Man lernt mit diesen verfilmten Pirandello-Geschichten Einiges über den sizilianischen Charakter am Beginn des 20. Jahrhunderts: die Starrheit der sozialen Regeln und der Gesetzlosigkeiten im alltäglichen feudalen System; über die mit tief empfundenem Schmerz des Heimatverlustes verbundenen Emigrations- Erfahrungen, die Unfreiheit und Unterdrücktheit des Lebens. Wie überall bei Pirandello tauchen auch hier Personen auf, die mit Wahn auf ihr Schicksal, auf ihre Schicksalsergebenheit reagieren. Pirandello lotet auch in seinen Theaterstücken das Verhältnis zwischen Normal-Sein und Wahnsinn aus, thematisiert das zwischenmenschliche Leben um die Begriffe Maske, Entfremdung, Rollenspiel, Persönlichkeitszerfall – und rückt damit auf seine Art in die Nähe seiner Zeitgenossen Franz Kafka und Sigmund Freud. MUSIK noch einmal hochziehen, dann langsam ausblenden O-Ton 25 Maike Albath Die Sizilianer zeichnen sich ja dadurch aus, und zwar alle sizilianischen Schriftsteller, dass sie sich immer wieder gegenseitig lesen quer durch die Geschichte. Das macht es für mich auch hoch interessant. Ich denke, dass die sizilianischen Schriftsteller zugleich aber sehr kritisch waren, was die Hinwendung Pirandellos zum Faschismus anging. Da ist mein Eindruck, muss man wirklich mitdenken, 1. dass Pirandello natürlich die ganze Phase des Krieges gar nicht mehr miterlebt hat, weil er zuvor schon gestorben ist. Er hat 1934 den Nobelpreis erhalten, das war dann der letzte Triumph. Und er hat glaube ich damals einfach gedacht, dass der Faschismus so etwas spendet wie eine neue Kraft für dieses zerborstene, zersplitterte Ich. Bei Pirandello ist ja auch das Erschütternde, dass er sich auch noch nach dem Mord an Matteotti noch weiter zu Mussolini bekennt und um die Aufnahme in die Partei bittet. Und das ist schon katastrophal. Und wenn man sich sein Leben anschaut, da hat er einen entsetzlichen Fehler begangen und er hat überhaupt nicht gesehen, welches die Konsequenzen sein können, dieser Ideologie. Das hatte er nicht begriffen. Gleichzeitig ist er früh genug gestorben, als dass sein Werk nicht davon berührt gewesen wäre. Erzähler Trotz seiner Nähe zum italienischen Faschismus zählt Pirandello zu den bedeutendsten Dramatikern des 20. Jahrhunderts. Zu seinem Werk werden in Agrigent jährlich Tagungen mit ca. 1000 Literaturwissenschaftlern und Pirandello-Anhängern zu immer wieder neuen Facetten seines Werks und seines Denkens veranstaltet. Obwohl auch in Deutschland seine Aktualität und Modernität immer wieder bekräftigt wird, bleibt insbesondere sein erzählerisches Werk bei uns über den Rahmen der Romanisten hinaus erstaunlicherweise wenig bekannt. Nach der großen Ehrung mit der Verleihung des Nobelpreises im Jahr 1934 wird es ruhiger im Leben Pirandellos. Schon zwei Jahre später stirbt er 69-jährig an einem Herzinfarkt. Kurz vorher bekundet er nicht ohne Melancholie: „Das Leben schreibt man, oder man lebt es, ich habe es geschrieben". Dass er so erfolgreich in der ganzen Welt wurde, und es bis heute ist, zeigt, dass seine Themen menschliche Tiefe haben, universell sind, zur Natur des Menschen gehören. Auf die Fragen der Identitätssuche: Wer bin ich? Wer sind wir? Wie viele bin ich? Was ist mein Sein hinter dem Schein? zeigen sich seine Einsichten, sein Erleben durch die spezifisch sizilianische Prägung. O-TON 26 Peter Peter Ja, das finde ich auch eine sehr schöne Fragestellung, die Identitätssuche. Durch diese vielen Eroberungen Siziliens, die ja letzten Endes in der Küche, in der Architektur, in der Musik usw. nebeneinander fortbestehen über Jahrhunderte, Jahrtausende und dann noch dieses Gefühl immer unterdrückt zu sein, ist es ein einheitliches Sizilien? Ein Sizilien der Dominationen? das führt natürlich dazu, dass in gewisser Weise jede neue Generation in Sizilien sich fragt: wer sind wir eigentlich? sind wir Italiener, sind wir Sizilianer, was ist an uns anders? Ist unser maurisch-arabisches Erbe vielleicht das, was uns von den eher germanischen Norditalienern unterscheidet? Sollen wir auf die Spanier doch stolz sein wegen ihres Gepränges oder sind wir einfach die wahren Erben der griechischen Antike. MUSIK Etta Scollo I pirati a Palermo Erzähler Auch Andrea Camilleri hat sich in seinem intensiven schriftstellerischen Leben - ähnlich wie Leonardo Sciascia und andere Kollegen - viel mit sizilianischer Geschichte beschäftigt. 2019 ist er – immer noch voll von neuen Projekten -, 95-jährig gestorben. Bis zu seiner Pensionierung war er Theater- und Fernseh-Regisseur. Erst danach hat er so richtig mit Schreiben losgelegt. Durch die Fernseh-Verfilmungen seiner Montalbano-Krimis ist er in Deutschland heute beinahe so beliebt wie in Italien und hierzulande der wohl bekannteste italienische Schriftsteller. Weniger bekannt sind seine vielen historischen Romane. O-Ton 27 Maike Albath Also Andrea Camilleri ist ja eigentlich schon zu sehen als einer der anknüpft an Sciascia, der ihn entdeckt hat, weil er diese historischen Rekonstruktionen unternimmt und sich Fälle aus der Geschichte heraussucht, zum Beispiel in seinem Roman „Die Revolution des Mondes“, - das ist einer seiner besten - und die dann neu erzählt und da denke ich, ist er auch bei uns unterschätzt. Er ist aber auch noch aus einem zweiten Grund bei uns unterschätzt, weil er ja eine neue Sprache entwickelt. Also auch auf ästhetischer Ebene hat er etwas zu bieten, das in den Übersetzungen komplett verloren geht. Auch die Krimis sind auf Sizilianisch verfasst, das also die Norditaliener und die aus Zentralitalien, nach und nach lernen, wenn sie seine Krimis lesen. Das hat auch seinen Erfolg in Italien mit ausgemacht. Da kann man sich ja reinfinden, man muss die Sprache manchmal aussprechen, wenn man sie verstehen will. Und das macht den Charme ja dieser Bücher aus. Leonardo Sciascia hat gesagt, einen Kriminalroman zu schreiben, ist auch eine formale Herausforderung, man schreibt ihn von A nach Z. Und genauso hat Camilleri das gemacht, wie Sciascia das gesagt hat. Also sie haben immer die selbe Länge, dieselbe Anzahl Kapitel und er konnte über den Kanal der politischen Romane seine Überzeugungen vermitteln. Und das war auch sein Verdienst, weil er schon sehr früh von Flüchtlingen gesprochen hat, er hat die Arbeit der Polizei sehr kritisch beleuchtet und wurde dann ja auch eingeladen zu Gewerkschaftsversammlungen der Polizei. Also da hatte er eine ganz bestimmte Mission. Er hat auch immer wieder gegen politische Strömungen Front gemacht und hat gewarnt vor der Verwahrlosung der Demokratie. Das steht ja in bester sciascianischer Tradition, dass man sich um die Institutionen kümmert und sie pflegt. Es gibt von Camilleri auch noch diesen großartigen Roman „Der unschickliche Antrag“ wie er auf Deutsch heißt. Da hat er auch so eine ganz barocke Sprache und erfindet etwas Neues. Und zeigt eine ganz verrückte tatsächliche Geschichte, für die er Dokumente von seinem Großvater dazu gehabt hat, und zeigt wie verworren es ist, ein Telefon irgendwann zu bekommen. Also da hat er schon einiges geleistet, was diese historischen Romane angeht. O-Ton 28 Peter Peter Camilleri ist der große Vermittler Siziliens, er ist auch der der uns sozusagen mit seinem Comissario Montalbano menschlich sympathische Einblicke vermittelt. Ich persönlich mag die Geschichten von Camilleri sehr gerne, es ist sehr sehr viel Atmosphäre, auch wenn seine Stadt Vigata eine Phantasiestadt ist, aber er beschreibt letzten Endes die Gegend um Porto Empedocle, aber auch diesen schönen barocken Osten Siziliens gut. Camilleri hat eine literarische Grundidee drauf, die ich sehr sinnvoll finde, wenn man über Sizilien schreibt, nämlich dass natürlich häufig die Idee, dass die Mafia das Land bedroht, drin steckt. Aber dass letztens der Mörder kaum einer mafiösen Verschwörung entspringt, sondern dass sich herausstellt, dass es ganz klassisch es um ein Eifersuchts- oder Beziehungsdelikt oder Raubdelikt geht. Das heißt diese Gesamtsituation Siziliens wird sehr gut beschrieben. Dann hat er natürlich so ein paar gelungene Klischees drauf, da drunter dieses Nord-Süd-Gefälle. Es gibt natürlich immer irgendwelche Kriminalbeamte, die aus dem Norden kommen und sich ein bisschen komisch anstellen, es gibt auch so ein paar bisschen trottelige, aber liebenswerte Sizilianer, dann gibt’s den eifrigen Ermittler, also den übereifrigen. Er hat klischeehafte Figuren, die aber sehr lebendig beschrieben werden. Dann ist Camilleri natürlich einer der großen kulinarischen Krimischriftsteller. Montalbano geht in verschiedene Trattorien und Restaurants, unterhält sich über die Rezepte, kocht auch mal selber etwas. Es haben sich ja inzwischen auch richtige Montalbano-Straßen in Sizilien gebildet und man kann also reisen auf den Spuren von Montalbano. Von wegen der Realität des Fiktiven. Was ich jetzt so gesagt habe, klingt eigentlich alles so nach literarischem Geschick.Was ich zugleich aber sehr schätze an Camilleri ist, dass immer eine immense Gelehrsamkeit aufblitzt. Wenn man sich vielleicht ein wenig von der Gefälligkeit dieser Romane einlullen lässt, kommt dann dazwischen immer wieder etwas, wo man sagt: Wow, was für ein Bildungshintergrund, was für komplizierte Gedanken. Ich darf da an einen Krimi erinnern, wo es um die christliche Legende der Siebenschläfer geht. Die ja eine Grotte in Ephesus haben. Die in dieser Grotte schlafend überlebt haben. Und es geht eigentlich nur darum, dass es auch eine islamische Version der Geschichte gibt, wo nicht nur die Siebenschläfer überlebt haben, sondern auch ein Hund dreihundert Jahre überlebt hat und das muss man erstmal wissen und mit dieser Sache wird ein Kriminalfall aufgeklärt. Also da zappt man dann plötzlich in hochintellektuellen Regionen und das ist schon spannend. So schreibt man gute Krimis. Musik Inno di garibaldi Bis zum Ende des folgenden Erzähler-Text leise lassen, dann noch mal klar hochziehen und dann abblenden Erzähler Das war die Garbaldi-Hymne. Giuseppe Garbaldi ging mit seinen tausend kampfesmutigen Mannen zur Vertreibung der Bourbonen ebendort im Hafen von Marsala an Land. General Garibaldi sollte für unseren nächsten Großen der sizilianischen u n d italienischen Literatur: Giuseppe Tomasi di Lampedusa eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Sein Roman „Der Leopard“ (mit der neuen Übersetzung heißt der Titel „Der Gattopardo“) beginnt im für ganz Italien bedeutenden Jahr 1860. Da beginnt die Einigung Italiens, angeführt vom Königreich Piemont-Sardinien mit seiner Hauptstadt Turin, der bis dahin einzige unabhängige Teil Italiens. Giuseppe Garibaldi, General und Freiheitskämpfer oder auch Berufsrevolutionär, setzt von Genua aus mit vollen Schiffen ab. Die Sizilianer begrüßen ihn und sein Heer stürmisch und tausende, abertausende zum Kampf bereite Sizilianer stellen sich in den bürgerkriegsähnlichen Aufständen auf seine Seite. So sind die verhassten Bourbonen schnell vertrieben. Doch den Sizilianern geht es weniger um ein Gesamtitalien, als endlich um ein eigenes Stück Land, das Garibaldi ihnen verspricht. Musik hochziehen Inno di garibaldi Erzähler Der Held des Jahrhunderts ist Giuseppe Garibaldi. Mit Entschlossenheit und Wagemut hat er am Ende Italien geeint. Doch es gibt nicht nur Sieg, sondern auch Scheitern. Den sizilianischen Bauern macht er sich zum Feind, als er ihre Tumulte gegen die Bourbonen wie in dem kleinen Ätna-nahen Ort Bronte auf Grund einer Fehleinschätzung – wie es heißt - schon mal niederschießen lässt. Bis heute sind sich italienische Politiker und Historiker uneins in der Einschätzung Garibaldis. Musik Inno di garibaldi noch mal hochziehen dann langsam abblenden O-Ton 29 Peter Peter Ja, Der Leopard von Tomasi di Lampedusa ist ein Klassiker. Ich glaube, wenn wir ehrlich sind, jeder der die Verfilmung von Visconti gesehen hat mit Alain Delon, Claudia Cardinale und Burt Lancaster hat diese Bilder so im Kopf eingebrannt, dass er den Roman, wenn er ihn schon einmal gelesen hat, eigentlich noch einmal neu entdecken muss. Ich glaube, der Roman ist nach wie vor lesenswert. Es ist der Stil, der poetische Stil, diese fast Thomas Mann-hafte Versessenheit auf elegante Details. Also ich denke zum Beispiel an die Szene, wo Angelica und Tancredi in diesem riesigen verlassenen Palast Donna Fugata, der wie ein Liebeslabyrinth ist, durchstreifen. Das sind einfach wunderbar geschilderte Impressionen. Das zweite ist natürlich, das wenige Schriftsteller solche Insider einer vergangenen Epoche sind. Tomasi di Lampedusa stammt aus dem sizilianischen Hochadel. Er fängt hier eine gesellschaftliche Schicht in ihren Verfallserscheinungen ein und drittens glaube ich, ist es eben auch eine allgemeine Lebensweisheit, die aus diesem Roman spricht. Ein Konflikt, dem eigentlich jeder Konservativer gegenüber steht, wenn die Zeit moderner wird. Er kann sich verweigern, aber dann wird er auch starr und altmodisch oder er muss eben einen Weg finden, sich der Moderne anzupassen ohne sich selber zu stark zu verleugnen. O-Ton 30 Maike Albath Ich würde sagen, dass Tomasi di Lampedusa mit seinem Roman Gattopardo, ein herausragendes Werk geschaffen hat, ein großartiges Panorama der Insel. Und er zählt zu d e n Schriftstellern, die auch in Deutschland besonders bekannt sind. Es ist auf jedem Fall ein ganz herausragender Roman, ein zentrales Buch, weil es diese Epochenwende 1860 in den Blick nimmt, weil er auf eine besondere Art und Weise die Figuren einführt. Und auch seine Typologie etabliert verschiedene Reaktionsweisen auf politische Herausforderungen. Das macht ihn ja auch glaube ich heute so interessant und es ist natürlich auch ein Roman, der tief im 19. Jahrhundert noch steckt. Und das ist überraschend in einem Italien, das in den 50er Jahren im Umbruch war, weshalb er dann ja auch zwei Mal abgelehnt wurde, von Elio Vittorini für die Verlage Einaudi und zuvor noch für Mondadori und dann war es aber der ganz große Erfolg für Feltrinelli. Erzähler Warum wird solch ein Roman, der im 19. Jahrhundert in Sizilien spielt, weltweit immer noch gelesen? O-Ton 31 Maike Albath Mein Eindruck ist, dass man aus dem Roman sehr viel begreifen kann, was die Möglichkeiten in politischen Umbruchzeiten angeht. Und es ist ja auch eine sehr scharfe Kritik am sizilianischen Adel. Er zeigt, wie zum Beispiel jemand wie Tancredi, der Neffe von Don Fabrizio, als Opportunist sich die Verhältnisse zunutze macht und es schafft, darauf eine Karriere aufzubauen. Und zwar auf eine sehr zynische Art und Weise, denn er ist jemand, der von den Verhältnissen profitiert. Der nicht eine Idee, einen Gedanken des Gemeinwohls hat, sondern der vor allem Erfolg haben will. Während dann jemand wie Don Calogero Sedara, sein Schwiegervater, der Vater von Angelica, seiner Braut und seiner Frau, die eigentlich nicht die geeignete Ehefrau für ihn ist, sondern unter seinem Stand , in dieses Vakuum vorstößt, dass die Elite, die Adligen hinterlassen haben. ………Und auch das ist heute noch genauso spannend wie 1958, als der Roman dann posthum erschien, weil er hier auf der einen Seite den Typus des Opportunisten ausleuchtet, auf der anderen Seite zeigt, wie jemand der sehr skrupellos ist, wie Don Calogero, es schafft, die Verhältnisse so umzudeuten, dass es ihm nutzt. Ihm geht es nur um das Materielle, um den persönlichen Reichtum, ihm geht es nur um den Clan, um die Familie. Es ist fast eine Fortsetzung der Dinge, wie wir sie aus dem Verismus kennen, also das eben nur die Familie im Vordergrund steht, nicht das Kollektiv. Es gibt niemanden, der eine Verantwortung spürt für Sizilien an sich. Und Don Fabrizio ist der Patriarch, der sich resigniert zurücklehnt und die Dinge laufen lässt. Also, das ist so interessant, finde ich, dass wir es heute wieder lesen können, auch als ein Panorama der sizilianischen Verhältnisse. Erzähler Genau dieses Panorama fächert Don Fabrizio im Buch auf, als er nach dem erfolgten Anschluss Süditaliens an das Königreich Sardinien-Piemont in seiner sizilianischen Sommerresidenz Besuch aus Turin bekommt. Der Abgesandte der Regierung will ihn als zukünftigen Senator im Parlament des vereinigten Italien gewinnen. Die lange abschlägige Antwort des Fürsten ist das ideologische Kernstück des Romans. Zitator „Seit fünfundzwanzig Jahrhunderten tragen wir die Last großartiger heterogener Kulturen auf unseren Schultern, in keiner einzigen haben wir den Ton angegeben. Es ist zum großen Teil unsere Schuld, trotzdem sind wir müde und ausgelaugt. Wir wollen Schlaf. Und unsere Wesensart wird vielleicht noch stärker geprägt durch die Grausamkeit des Klimas und die Monumente aus der Vergangenheit, die wohl herrlich sind, doch nicht von uns gebaut und uns umgeben wie prachtvolle stumme Gespenster, die uns unverständlich sind. Die Sizilianer werden nie den Wunsch haben, sich und ihr Land zu verbessern, sie fühlen sich selbst vollkommen. Und sind nicht auch deshalb, wegen der Schönheiten unserer sizilianischen Welt die vielen Eroberer zu uns gekommen?198 Der Abgesandte beschwichtigt, es gäbe nun kein Ausgeliefertsein mehr, Sizilien sei ein freier Teil eines freien Staates.“ Musik Erzähler Giuseppe Tomasi di Lampedusa thematisiert den Abstieg seines eigenen Adelsgeschlechts, eines der ältesten in der sizilianischen Geschichte. Der Roman wurde zum Abgesang auf die aristokratische Welt Siziliens. Tomasi ist ein Zeuge der Auflösung der aristokratischen Gesellschaft. Fürst Fabrizio im Roman ist inspiriert vom Urgroßvater des Autors. Der Niedergang zog sich dann hin über den Großvater und den Vater bis zu seinen eigenen Lebzeiten bis nach dem 2. Weltkrieg. Warum hat er diesen einzigen Roman, sein Lebenswerk, im durch Bomben halbzerstörten Palermo und erst im Alter von fast 60 Jahren geschrieben? O-Ton 32 Maike Albath Das ist natürlich schwierig zu rekonstruieren. Es gab einerseits bei ihm auf einmal einen großen literarischen Ehrgeiz. Er hat ja selbst in seinem ganzen Leben nichts getan, vor allem den Müßiggang gepflegt und viel gelesen, ungeheuer viel gelesen. Er war ja unfassbar gebildet. Er kannte sich sehr gut aus auch in der englischen und französischen Literatur. Und dort hat er dann begriffen, dass er etwas besitzt, nämlich die Geschichte seiner Familie, die Erinnerungen auch an die Gepflogenheiten der Aristokratie, die er sehr bewundert hat. Er mochte dieses ziselierte, ornamentale Spiel, diese Möbel, die Mahlzeiten, die Art und Weise wie man den Alltag und die Feste begangen hat. Und das wollte er erinnern. Ich glaube, das war ein Impuls. Sicherlich gibt es auch einen historischen. Er gibt den sizilianischen Adligen zu wenig Verantwortung, macht sie zu wenig verantwortlich auch für die gesellschaftliche Erstarrung. Das denke ich schon. Das ist ja auch etwas, was der Schriftsteller Vincenzo Consolo sehr an ihm bemängelt. Aber es ist ein faszinierender und vielschichtiger Roman, für mich gehört er zu den großen des 20. Jahrhunderts. Das ist gar keine Frage. Wie aber auch viele andere sizilianische Romane. Erzähler Wie hat der 1896 in Palermo geborene Tomasi di Lampedusa gelebt? O-Ton 33 Maike Albath In seinem Privatleben ist Tomasi di Lampedusa, denke ich, eher jemand der ja nicht festhält an den repräsentativen Pflichten der Familie. Er ist, würde ich sagen, vor allem der Sohn seiner Mutter über Jahrzehnte, er ist derjenige, der ihr Gesellschaft leistet. Er schafft es nicht wirklich, sich von seinem Elternhaus zu lösen. Der Vater hält sich bedeckt, er ist ja auch an der Front im 1. Weltkrieg. Er bekommt nach dort auch eine Tennisausrüstung geschickt. Er ist dann viele Jahre lang im Sommer mit seiner Mutter in die Kur gefahren. Es gab auch immer mal Liebschaften. Er hat denke ich kein typisches Leben geführt, weil er ja auch immer gelesen hat, gerade Bildung so hoch gehalten hat. Er ist zu den einschlägigen Gesellschaften gegangen. Es war wichtig für ihn, dass er Mitglied wurde in diesem Bellini-Club, das war der Club der Honoratioren der palermitanischen Adligen. Und das ist vielleicht auch wieder typisch für einen sizil. Adligen ist, dass er ungeheuer großen Wert gelegt hat auf seine Herkunft. Vor allen war für Lampedusa auch typisch, dass er es für unter seiner Würde erachtet hat, zu arbeiten. Also es kam ihm ja nicht in den Sinn, er hat eine Zeitlang das Rote Kreuz geführt, nach dem zweiten Weltkrieg, einen Beruf zu ergreifen. Da waren seine Eltern auch ein wenig enttäuscht, es gab in der Familie der Mutter die Tradition, wie typisch für den Adel, in die Diplomatie zu gehen. Erzähler Typisch ist auch, dass Tomasi seine 1894 geborene Ehefrau Alexandra in seinen Adelskreisen kennen lernt. Sie stammt als Baroness von Wolff aus dem Hause Stomersee aus dem Lettland im Baltikum und hatte ihre Kindheit und Jugend in St. Petersburg in Russland verbracht, wo ihr Vater ein hochrangiger Hofbeamter des russischen Zaren Nikolaus des Zweiten war. Ihre Mutter war die bekannte italienische Mezzosopranistin Alice Barbi. Die zukünftige Fürstin Tomasi di Lampedusa war also in ihrem Lebensweg geprägt durch starke kulturelle Gegensätze und Brüche. Über das Eheleben von ihr und Tomasi ist vieles erst durch den vor nicht langer Zeit freigegebenen Briefwechsel bekannt geworden. Nachdem die Beiden sich 1925 in London kennenlernen, führen sie für Jahre eine Fernbeziehung, besuchen sich nur gelegentlich, doch dann für Monate. Sie schreiben sich oft Liebesbriefe, in denen sich ihre Geistesverwandtschaft und seelische Nähe ausdrückt. Beide lieben Hunde. Tomasi zögert, seine Verlobte den Eltern in Palermo vorzustellen. So schaffen sie kurzerhand Fakten und heiraten 1932 in aller Verschwiegenheit in Riga. Der Versuch später in Palermo im selben Palazzo mit den Eltern zusammenzuleben, scheitert. Mutter wie Ehefrau sind zu dominante Charaktere und Tomasi schafft es nicht zu vermitteln. Licy, wie Alexandra genannt wird, geht derweil ihren Weg und beendet in Rom und Berlin die Ausbildung zur Psychoanalytikerin. O-Ton 34 Maike Albath Diese Briefe, die vorliegen, sind wunderbar, so ausdrucksstark, man merkt auch wie gebildet beide waren. Es ist privat, ja, aber das macht Briefe ja gerade so ausdrucksstark, sie vermitteln uns ja auch etwas über den Geist, der Atmosphäre einer Epoche. Wie sie dauernd die Sprachen wechseln, hin und her. Und dadurch auch verschiedene Schattierungen haben. Tomasi ist sehr zugewandt auf der einen Seite, aber es wird auch sehr deutlich in den Briefen, wie eng die Beziehung zu seiner Mutter ist. Und da gibt es dann ja auch harsche Briefe im Verlauf der Ehe, die sowieso für beide erst spät geschlossen wird. Sie war damals schon zu alt, um noch Kinder zu bekommen und der Sinn und Zweck einer Ehe unter Aristokraten immer ist für Nachkommen zu sorgen. Deswegen wurde dann Gioachino Lanza später adoptiert, damit der Name, der Titel erhalten bleibt. Also sie war eine ganz ungewöhnliche Frau für einen sizilianischen Adligen. Und das, finde ich, spricht ja dann auch wieder sehr für Tomasi, dass er sich diese imposante und auch sehr korpulente Ehefrau ausgesucht hat und mit ihr dann ja auch eine zumindest sehr turbulente Beziehung geführt hat. Es gibt Briefe von Licy, in denen sie protestiert und sagt, ich kann nicht mit dir und deiner Mutter so nahe zusammenleben. Sie hatte eigentlich gar nicht besondere Ansprüche, sie wollte nur in einer Wohnung über den Eltern wohnen, aber es war nur vorstellbar, dass man Wand an Wand lebt in dem Palazzo Lampedusa. Tomasi di Lampedusa hat im Grunde genommen, und das ist auch die These meines Buches, den Verlust seines Palastes di Lampedusa, der von einer amerikanischen Bombe zerstört worden war, nicht verwinden können. Ohne diesen Verlust hätte er sicher auch nicht das Buch Der Leopard geschrieben. Denn das war eine Möglichkeit diese Erinnerungen wieder aufleben zu lassen MUSIK 15 Etta Scollo U Pumu Erzähler Wir wissen über Tomasi, dass er zu seinem Lebensende kein vermögender Mann mehr ist. Ja, bei bescheidener Lebensführung für Jahre geradezu am Rande des Existenzminimums lebt. Auch der demütigende Weg zum Pfandleiher bleibt ihm nicht erspart. Ländereien und Paläste mussten schon seit der Jahrhundertwende nach und nach verkauft werden, unzerstörte Teile seines Palazzo in Palermo sogar vermietet. Von dem vielen Personal, das die Familie sich in Blütezeiten hielt, bleibt ihm zum Schluss nur noch ein einziger Diener. Als Licy 1943 endgültig nach Palermo kommt, gelingt nun in der Schwere der Zeit und den Umständen von Krieg und Nachkrieg das Zusammenleben. Die Schwiegermutter stirbt 1946. Licy überlebt Tomasi, der 1957 an Lungenkrebs stirbt, um 25 Jahre, kümmert sich um die Veröffentlichung seines Romans, die er nicht mehr erleben kann. Bis zu ihrem Tod 1982 spielt Licy eine Schlüsselrolle innerhalb der Psychoanalyse in Italien. Interessant zu erfahren, was aus dem gesamten sizilianischen Adel geworden ist? O-TON 35 Peter Peter Schauen Sie, Sie müssen einfach nur durch Sizilien reisen oder vor 20 Jahren durch Sizilien gereist sein, es fällt einfach auf, diese riesigen barocken Paläste, die zum Teil malerisch verfallen sind, wo die Feigenbäume aus den Balkons herauswuchern, wo die Scheiben blind sind, das hängt damit zusammen, dass der sizilianische Adel der Adel ist, der am frühesten seine politische Macht eingebüßt hat. Übrigens sagt man ja - und das kommt im „Gattopardo“ sehr schön heraus -, dass die Schicht, die sozusagen den Adel beerbt hat, ihm gefolgt ist, die Schicht der Verwalter auf den Landgütern war. Und aus dieser Schicht entsteht dann auch in gewisser Weise, in einer Art feudaler Nachahmung, die Mafia. Ja, wie häufig nach solchen gesellschaftlichen Umbrüchen hat sich der sizilianische Adel erstmal mürrisch zurückgezogen, ein/ zwei Generationen hat sich der Adel sozusagen der Moderne verweigert. Heute muss ich sagen, ist einer der ganz wichtigen Räume des sizilianischen Adels, der Tourismus geworden. Durch diesen Roman Il Gattopardo ist ja eine wahnsinnige Sizilienwerbung in Gang gesetzt worden. Auf einmal ist Sizilien nicht mehr das Land der armen Ausgebeuteten, sondern auch das Land des Prunks und des Lifestyles. Es gibt zahlreiche Adelshotels mittlerweile, Boutique-Hotels in Sizilien. Ich organisiere ja hin und wieder kulinarische Reisen und werde z.B. auch jetzt im Herbst wieder in einem Palazzo schlafen, der einem Nachfahren T. di L. gehört, in Palermo. Ansonsten hat der sizilianische Adel natürlich nach wie vor in der Diplomatie eine Bedeutung. Vor einiger Zeit hatten wir einen Adligen vom Ätna aus einer sizilianischen Winzerfamilie, der Generalkonsul hier in München war. Musik Battiato und Giuni Russo Erzähler Franco Battiato aus Catania und Giuni (phonet. Dschuni) Russo aus Palermo. MUSIK hochziehen, stehen lassen und hinter dem folgenden Text langsam abblenden Erzähler Anders als Catania gilt das historische Palermo eher als die Stadt der Dekadenz, des übermäßigen Reichtums, des Verrücktseins, des Aberglaubens und religiöser Zügellosigkeit. Die Mafia spielt - wie auch in Catania - im Alltagsleben heute eine weitaus geringere Rolle als vor einigen Jahrzehnten, ist aber keineswegs verschwunden. Geschäftsleute werden immer noch mit dem Pizzo, den sogenannten Schutzgeldern gedemütigt und geschröpft. Tatsache ist allerdings auch, dass die Kultur in Palermo seither eine Blütezeit erlebt. O-TON 36 Peter Peter Es fällt natürlich auf, dass Verga, Tomasi und Camilleri nicht so eine Breite an jüngeren Autoren mit europaweiter Prominenz haben. Das heißt aber nicht, dass es nicht sehr spannend ist, sich aktuellen Autoren zuzuwenden. Ich finde vor allem, dass in letzter Zeit Palermo sich zu einem literarischen Zentrum entwickelt, was es bisher nicht so war. Das passt ja auch sehr gut zu Palermo, diese Stadt ist ja extrem zerrissen. Sie hat riesige Bombenschäden noch aus dem zweiten Weltkrieg, Elendsquartiere wo Artischocken auf dem Hof gekocht werden und dann daneben wieder ein bröckelnder Adelspalast. Das Ganze ist nun aber wiederum, seit Palermo italienische Kulturhauptstadt war, also eine absolute Aufbruchsstimmung. Es wird renoviert, manche sagen gentrifiziert. Da ist eine Jugendszene, nachts und abends, die vorher praktisch nicht da war. Also Palermo ist eine sehr lebendige Stadt geworden, die viele Schichten hat. In Palermo werden diese unterschiedlichen Schichten der sizilianischen Kultur viel deutlicher als in dem recht geschlossenen, barocken Catania. In Catania gabs das Riesenerdbeben, damit war alles weg. In Palermo stehen Reste arabischer Moscheen, wenn man so will, arabische Paläste, es sind byzantinische Kirchen da, maurische Kuppeln, Riesenbarockpaläste. Es gibt das Altstadtviertel Kalsa, - ungewöhlich im Italienischen mit K geschrieben - es ist eine chaotisch zerrissene Stadt mit sehr vielen Identitäten und das mögen Schriftsteller natürlich auch. Einen Autor zum Beispiel, der mehrere Palermo-Romane veröffentlicht hat, wenig übersetzt ist, ist Santo Piazzese, den könnte man sich durchaus einmal anschauen und dann eben Roberto Alajmo, der auch ein Palermo-Buch geschrieben hat und sagt, Palermo ist wie eine Zwiebel, man schält die einzelnen Schalen und entdeckt die unterschiedlichsten Identitäten und wenn man ein sehr – wie soll ich sagen – zu Herzen gehendes, aber auch ein psychologisch bedrückendes Werk von ihm lesen will, das ein Meisterwerk ist, ist dieses Buch, das auf Deutsch Mamaherz heißt. Es schildert ein kleines sizilianisches Dorf und einen Außenseiter, der sich kümmerlich mit einer Fahrradreparatur durchschlägt und von dem alle glauben, er habe den bösen Blick und von allen geschnitten wird und von unbekannten Leuten wird ihm – man ahnt schon: die Mafia – ein Kind in seine Wohnung gebracht, er soll da auf dieses Kind aufpassen und er muss natürlich aufpassen, dass das Kind nicht flieht. Es entwickelt sich eine sehr ambivalente Beziehung zu diesem Kind. Er glaubt, das Kind ist nach vier Tagen weg. Aber diese mafiösen Typen tauchen nicht wieder auf, er denkt, die werden ihn vielleicht umbringen . Dann führt das aber dazu, dass er befürchtet, dass seine Mutter, zu der er sowieso ein wahnsinnigr enges Verhältnis hat, er ist ein mammone, ein psychopathisches Muttersöhnchen, bei ihm einzieht, Jetzt wird’s wieder sehr kulinarisch – diese Mutter versucht dieses kränkelnde Kind – man erfährt nicht mal den Namen dieser Geisel – wieder aufzupäppeln. Es ist eine kafkaeske Psychose. Der Sohn hat irgendwie Angst und überlegt, ob dieses Kind nicht am besten verschwindet. Aber die Mamma wird tätig, der Sohn hat eigentlich noch nie etwas selbster entschieden, alles hat immer die Mutter entschieden, vom Essen bis zur Wohnungseinrichtung. Und letzten Endes nimmt ihm dann die Mamma auch den Mord ab und bringt dieses Kind einfach um. Also eine beklemmende Situation. Der Gedanke sich an andere Menschen zu wenden oder aus der all präsenten Anonymität der Mafia herauszukommen, kommt den beiden nicht. Es sind zwei Menschen, die in einer ganz engen, fatalsten Familiensituation miteinander verbunden sind. Musik hochziehen und im Hintergrund lassen Erzähler Frauen kommen erst in den letzten Jahrzehnten deutlicher zu Wort. An der traditionellen Geschlechtertrennung ist in Süditalien lange und besonders starr festgehalten worden und überwunden ist sie keineswegs. Dacia Maraini, die mütterlicherseits adlige Wurzeln in Sizilien hat und ihre Jugend in der Stadt Bagheria verbringt, schreibt darüber, wie die dort immer stärker werdende Mafia im Baugeschäft der Stadt mitmischt. So müssen schöne alte Villen und Parkanlagen zugunsten hässlicher moderner Mietkasernen weichen: „Bagheria. Eine Kindheit auf Sizilien“ ist der Titel dieses empfehlenswerten Buches. Wer verstehen will, warum sich die Mafia in der Nachkriegszeit auch in den sizilianischen Bergen so entwickeln konnte, findet Aufschlussreiches in den Büchern von Giuseppe Fava, auch als Pippo bekannt. 1984 wurde er in Catania von der Mafia umgebracht. Die Decke der Zivilisation erscheint dort besonders dünn. Unter den vielen Sizilien- bzw. Palermo-Krimis sei noch auf die drei Kriminal-Romane der seit dreißig Jahren in Venedig lebenden und in Sizilien immer wieder recherchierenden Petra Reski hingewiesen. Sie schreibt in der Tradition Leonardo Sciascias mit dem aufklärerischen Blickwinkel zur fatalen Verbindung zwischen Mafia und Politik. Und damit sind wir bei der dritten Stunde dieser Langen Nacht. Sie ist Leonardo Sciascia gewidmet. Viele sehen in ihm den klügsten und mutigsten Schriftsteller und Aufklärer nicht nur Siziliens, sondern ganz Italiens. Seine Bücher stellen ihn in eine Reihe mit Italo Calvino und Pier Paolo Pasolini. MUSIK Tarantella (instrumentell) Erzähler Hören Sie jetzt eine sizilianische Tarantella, ein schneller, im 17. Jahrhundert erstmals dokumentierter Volkstanz, der das Gift nach einem Spinnenbiss aus dem Blut treiben soll. Die typischen Instrumente sind eine kleine Bambusflöte, die Maultrommel und das Tamburin. Musik 3. Stunde Der Schriftsteller Leonardo Sciascia Aufklären über Mafia Mitwirkende: Strafrichter De Cataldo Universitätsprofessor Di Antonio Atmo Gesang Rosa Balistreri – führt in die melancholische Stimmungslage Siziliens und des Themas ein, mehrere Lieder, immer mal hochziehen, sonst im Hintergrund lassen. 1 O-Ton De Cataldo: Sono dei grandi romanzi. …. Sciascia era un grande scrittore. Übersetzer Es sind große Romane. Es sind großartige Kriminalromane, klar durchdacht, ausgezeichnet geschrieben. Sie haben ähnliche Handlung, sie sind gebunden an die Realität Italiens, haben aber eine universelle Bedeutung und können durch die ganze Welt reisen. In einem Wort: Sciascia (phonet. Schascha) war ein großer Schriftsteller. 2 O-Ton Di Grado: I meriti di Sciascia sono questa ……….consente di scavare la realtà Übersetzer Die Verdienste Sciascias sind, uns eine Lektion kritischer Intelligenz, Moral und Stil erteilt zu haben. Kritische Intelligenz und Moral formen sich zu einem Stil, einem Schreibstil. Es ist diese besondere Art die Realität darzustellen. Das hat große Schriftsteller immer ausgezeichnet. Sciascia meinte, dass die Literatur es erlaubt in tiefere Schichten der Realität einzudringen. Dass demgegenüber die Werkzeuge des Soziologen, des Historikers oder des Journalisten nur die Oberfläche der Wirklichkeit analysieren. Erzählerin Leonardo Sciacias erster Roman „Der Tag der Eule“ erschien 1961 und hatte in Italien und international mit fast einer Million verkaufter Exemplare einen durchschlagenden Erfolg. Das hatte noch kein Schriftsteller zuvor gewagt: einen Roman über die Sizilien immer stärker dominierende organisierte Kriminalität zu schreiben und mit dem Wort MAFIA deutlich zu benennen. Ausschnitt Hörspiel „Der Tag der Eule“1 Der Autobus sollte gerade losfahren. Er brummte erst, ratterte und heulte dann plötzlich auf. Schweigend lag der Platz im Grau der Morgendämmerung. Nebelstreifen hingen an den Türmen der Pfarrkirche. Nur der Autobus brummte. Dazwischen, flehend und ironisch, die Stimme des Pastetenverkäufers: «Pasteten, heiße Pasteten.» Der Schaffner schloss die Wagentür. Mit einem scheppernden Geräusch setzte der Autobus sich in Bewegung. Der letzte Blick des Schaffners fiel auf den Mann in Schwarz, der herbei rannte. «Einen Augenblick», sagte der Schaffner zu dem Fahrer und öffnete noch während des Fahrens die Wagentür. Da knallten zwei Schüsse. Der Mann in Schwarz, der gerade auf das Trittbrett springen wollte, schwebte einen Augenblick lang in der Luft, als halte eine unsichtbare Hand ihn empor. Die Mappe entglitt seiner Hand. Langsam sank er über ihr zusammen. Erzählerin Kein Zweifel, das Geschehen spielt sich im Inneren Siziliens ab. Und wie es Sciascia seinen Commissario sagen lässt, nur im Inneren lernt man das wirkliche Sizilien kennen. Fünfzig Jahre später hat sich hier nur wenig verändert. Das entscheidende öffentliche Verkehrsmittel in Innersizilien ist immer noch der Autobus, betrieben, wohl gemerkt, von einem privaten Unternehmen. Zuverlässig durchquert er alle zwei Stunden auf die Minute genau die karge und trockene Insel von Catania an der Küste im Osten nach Palermo im Nordwesten. Nur brummt, scheppert und rattert der Bus heute nicht mehr. Er ist modern, fast geräuschlos und mit einer Klimaanlage versehen. Mit der Eisenbahn von Catania ins Landesinnere zum Geburtsort von Leonardo Sciascia zu reisen, wird der Besucherin aus dem Ausland allseits beharrlich abgeraten, die habe nicht das enge Netz, sei unzuverlässig, ohne Klimaanlage. Die Eisenbahn ist staatlich betrieben und wir wissen: der Sizilianer liebt seinen Staat nicht sonderlich, weniger noch als der Italiener vom Festland. Forts. Hörspiel Der Schaffner fluchte. Sein Gesicht war schwefelfarben geworden. Er zitterte. Der Pastetenverkäufer, der drei Meter von dem Gestürzten entfernt stand, begann im Krebsgang auf die Kirchentür zuzugehen. Im Autobus rührte sich niemand. Der Fahrer war wie versteinert, die Rechte an der Handbremse, die Linke auf dem Lenkrad. Der Schaffner betrachtete alle diese Gesichter, die blicklos waren wie die Gesichter von Blinden. «Den haben sie umgebracht», sagte er, setzte seine Mütze ab und begann sich wie verrückt mit der Hand durch die Haare zu fahren. Dabei fluchte er noch immer. „Die Carabinieri“ sagte der Fahrer, „wir müssen die Carabinieri holen“ Er stand auf und öffnete die Wagentür. „Ich gehe“; sagte er zum Schaffner. Der Schaffner schaute auf den Toten und dann auf die Fahrgäste. Im Autobus saßen auch Frauen, alte Frauen, die jeden Morgen schwere, weiße Leinensäcke bei sich hatten und Körbe voller Eier. Ihren Röcken entströmte der Geruch von Steinklee, Mist und verbranntem Holz. Gewöhnlich schimpften und zeterten sie. Jetzt waren sie stumm. Jahrhundertealtes Schweigen schien auf ihren Gesichtern eingegraben. Erzählerin Schwarz ist hier auch heute noch eine bevorzugte Kleiderfarbe vor allem bei den alten Frauen. Dass der Autor die Farbe des Gesichts des Schaffners als schwefelfarben beschreibt, weist auf die Provinz Agrigent mit ihren Land und Leute seit der Antike prägenden Schwefelgruben und –Bergwerken. Der Steinklee, nach dem die Schürzen der Frauen riechen, wuchert immer noch, verträgt ausgetrockneten Boden. Auch blicklose Gesichter gehören zu Innersizilien, sie drücken aus, mit einer Sache nichts zu tun haben zu wollen. Das Fluchen, um sich Scherereien fern zu halten, ist wie schimpfen und zetern ein zutiefst sizilianischer Gefühlsausdruck. Und natürlich, das Wichtigste am Ende dieser Passage: Die Businsassen bleiben angesichts des Geschehenen stumm. Evtl Sprecher Text eindringlich „Jahrhundertealtes Schweigen schien auf ihren Gesichtern eingegraben.“ Sprecher Schon der Romananfang signalisiert: Wer in dieser Region ein Delikt aufklären will, wird es schwer haben. Und in der Tat: Der aus dem norditalienischen Parma kommende Carabiniere- Kommissar Bellodi /phon.:offenes O/ findet zwar Spuren. Aber es braucht Zeugen und niemand steht als Zeuge zur Verfügung. Der Ermordete war Vorsitzender einer Baugenossenschaft, der sich der Praxis widersetzt hatte, dass bei Auftragsvergabe immer die gleichen Leute mit den gleichen Beziehungen bevorzugt werden. Im Baugewerbe, das hat Bellodi schnell begriffen, übt eine Organisation die Kontrolle aus, die es eigentlich gar nicht gibt. Das Wort „Mafia,“ obwohl als Phänomen wie als Begriff seit mehr als 200 Jahren bekannt, - auf der Insel fällt es nicht. Bellodi wird in seinen Ermittlungen massiv behindert: auch der wichtigste Zeuge wird noch ermordet, Aussagen werden widerrufen, Alibis gefälscht. Der Kommissar führt ein geistreiches Gespräch mit Don Mariano, dem Mafia-Boss vom Ort, erhält sogar Hinweise auf dessen Vertrauensleute in der hohen Politik und schließlich gelingt ihm sogar dessen zeitweilige Verhaftung. Im Parlament in Rom löst die sizilianische Angelegenheit Tumulte aus. Doch es fehlen Beweise und ohne Beweise kein Vorankommen. Schließlich wird Bellodi zurück nach Norditalien abgerufen und unten im Süden alles geglättet: Es habe sich um ein Delikt aus Leidenschaft gehandelt. Wie Bellodi bleibt auch der Leser mit dem Ende der Geschichte ganz und gar unbefriedigt. Erzählerin Der „Tag der Eule“ gilt als Urform des Mafia-Romans. Ein Buch, mit dem eigentlich schon alles gesagt ist. Sciascia klärt auf, über die Schattenseiten der sizilianischen und italienischen Gesellschaft, über die wenig sichtbare Welt der kleinen und großen Gefälligkeiten, der stillen Arrangements zwischen den feinen Honoratioren in der Stadt mit den weniger feinen der Parallelwelt der organisierten Kriminalität. Nicht der interessiert in Sciascias Kriminalromanen, sondern die Machenschaften hinter der Tat. Auch wenn sich das Phänomen der Mafia verändert hat, werden Sciascias raffinierte Romane weiter gelesen. Das staatliche Fernsehen RAI ehrt ihn als großen europäischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Staatspräsident Giorgio Napolitano, einstiger hochrangiger Kommunist, reist zum 20. Todestag Sciascias im Jahr 2009 in dessen Geburtsort Racalmuto. In Rom regierte Silvio Berlusconi, weniger für die Nähe zur Kultur als zu den Praktiken einer ehrenwerten Gesellschaft bekannt. 3 O-Ton Di Grado Era certamente una rivoluzione di irrompere nel salotto buono ……. Tendeva quindi attraverso la letteratura a scoprire cose che nella realta apparente a cui si ferma il giornalismo, la cronoca. Übersetzer Di Grado: / Teil 1 Der Roman war eine Revolution, die in den gesitteten Salons der schönen Literatur mit diesem Blut beschmierten Gespenst, das die Mafia darstellt, einbrach. Eine Revolution, die eine schockierende Wirkung haben musste. Damiano Damiani drehte über das Buch einen Spielfilm wie ein Western. Leider mit Konzessionen an das Publikum, kommerziell wie ein Krimi. Erzählerin Auch Antonio Di Grado ist Sizilianer. Er ist nicht nur als Professor für italienische Literatur an der Universität Catania in Ost-Sizilien tätig, sondern hat sich immer wieder im kulturellen Leben seiner Stadt engagiert. In den 80er Jahren war er - bis zu dessen Tod durch ein Krebsleiden 1989 - ein enger Vertrauter des Schriftstellers und ist auf dessen Wunsch seither der literarische Leiter der international aktiven Sciascia-Stiftung in dem in Innersizilien gelegenen Racalmuto. Übersetzer di Grado / Teil 2 Sciascia wollte nicht über die Mafia sprechen wie in einem Western, der auf einer Seite der Straße den Guten und auf der anderen den Bösen zeigt und sich damit das Gute und das Böse gegenüberstehen. Die Wirklichkeit ist immer sehr viel komplexer, verzwickter. Denn auf der Seite der Guten in Anführungszeichen findet man eben auch das Böse. Es war Sciascia wichtig mittels der Literatur Dinge zu entdecken, an die der Journalismus, die Berichterstattung des Zeitgeschehens nicht heran kommt. 4 O-Ton Giancarlo De Cataldo Intanto, con Il giorno della civetta l `Italia riscropre la mafia……è necessario parlare della mafia, assolutamente necessario. Übersetzer De Cataldo: Mit dem „Tag der Eule“ entdeckt Italien die Mafia wieder. In Italien herrscht ein eigenartiges Verhältnis zur Mafia. Wir waren es, die sie erfunden haben. Aber danach haben wir so getan, als existiere sie nicht. In regelmäßigen Abständen verschwindet sie: Man spricht nicht mehr über sie, man diskutiert nicht mehr über sie. Und doch von Zeit zu Zeit kommt irgendwer, ein Intellektueller, ein Schriftsteller, ein Richter, ein Politiker und erinnert uns an sie. Erzählerin Giancarlo De Cataldo betont, aus Tarent in Apulien, also auch aus Süditalien zu stammen. Er ist Richter am Schwurgericht in Rom und damit ein erfahrener Kenner schwerer Kriminalität im römischen Untergrund. Über diese Welt schreibt er erfolgreich auch ins Deutsche übersetzte und verfilmte Kriminalromane. Anders als in Deutschland ist es Strafrichtern wie De Cataldo möglich, als Intellektueller öffentlich präsent zu sein, Fernseh-Journalisten holen gern seine Meinung ein. In seinen spannenden Geschichten paktieren Politiker, Unternehmer, Mafiosi und hohe Würdenträger des Vatikans, da geht es schnell, laut, brutal und überbordend kriminell zu, geradezu apokalyptisch – und auch ein wenig genial. Sciascia bewundert er und sieht ihn als seinen Lehrer an. Übersetzer de Cataldo Sciascia hat uns 1961 an die Mafia erinnert und tat dies in einem Moment, als der italienische Staat in Rom die erste parlamentarische Anti-Mafia-Kommission gründete. Einige Sizilianer fühlten sich beleidigt und erklärten, dass die Mafia eine Erfindung des Nordens sei. Sciascia nimmt einen Wasserschlauch, begießt sie alle und sagt: Es gibt die Mafia. Es ist die Art und Weise eines Verhaltenskodexes, aber auch einer kriminellen Organisation. Er erzählt also von Sizilien, von der Geschichte Siziliens, wie er es immer gemacht hat. Und landet bei Erzählungen über die conditio humana, die menschliche Natur. Es ist absolut notwendig von der Mafia zu sprechen, absolut notwendig. 5 O-Ton Antonio Di Grado Quando escono romanzi come Il giorno della civetta …..che la mafia non esiste. Übersetzer Als die Romane „Der Tag der Eule“ oder danach „Jedem das Seine“ erscheinen, leugnen die Politiker und die Kirchenoberen wie Kardinal Ruffini in Palermo noch die Existenz der Mafia. Und als die Bühnenfassung von „Der Tag der Eule“ vom Teatro Stabile aus Catania in Rom aufgeführt wird, geht ein Politiker aus der ersten Riege der christdemokratischen Partei in die Garderoben der Schauspieler, beglückwünscht sie, lobt die Aufführung und fügt hinzu: Aber natürlich ist das alles reine Erfindung, denn wir wissen ja, dass es gar keine Mafia gibt. Atmo Film-Musik aus Il Giorno della Civetta im Hintergrund lassen und nach dem O-Ton hochziehen. Erzählerin Viele der Romane Sciascias wurden verfilmt, von den großen Regisseuren jener Jahre wie Damiano Damiani, Francesco Rosi, Elio Petri und Gianni Amelio mit Schauspielern wie Marcello Mastroianni, Franco Nero, Lino Ventura, Gianmaria Volontè und Claudia Cardinale. Mit manchen Regisseuren muss Sciascia sich auseinandersetzen, er will die Schärfe und die aufgezeigte Komplexität des Phänomens Mafia auch in den Filmen erhalten haben und erklärt Text Sprecher Sciascia Ich schreibe nur um Politik zu machen. Atmo Musik Rosa Balistreri Lied zu Caltanisetta “Caltanissetta fa quattru quarteri” https://www.youtube.com/watch?v=RgyRA4fNZlE einspielen: Erzählerin: Das Lied der Schwefelarbeiter gesungen von Rosa Balistreri 6 O-Ton Sciascia (von website der Sciascia-Stiftung) “Mio padre lavorava ……non era saggio per niente.” Übersetzer Sciascia Mein Vater arbeitete in einem Schwefelbergwerk als Buchhalter, mein Großvater war als Polier in einer Schwefelgrube, auch mein Urgroßvater. Der Schwefelarbeiter war gegenüber dem Bauer ein anderer Menschenschlag. Er war noch kein Arbeiter, wie sie sich im industriellen Norden herausbildeten, aber er war auch kein Bauer mehr. Er hatte eine ganz andere Lebenseinstellung als der Bauer, er war waghalsig, verschwenderisch, auch ein wenig gewalttätig. Die Schwefelarbeiter waren rauflustig, sie riskierten täglich ihr Leben, arbeiteten sie doch unter schrecklichen Bedingungen. Wenn sie aus den Schwefelgruben kamen, hatten sie einen Lebenshunger, den der Bauer nicht hatte. Der Bauer ist eher geizig, kleingeistig, auch sehr weise. Der Schwefelarbeiter war überhaupt nicht weise. Erzählerin Sciascias Vorfahren lebten in der Provinz Agrigent im inneren Siziliens und hatten ihren auch für Italiener ungewöhnlichen Namen Sciascia von den Arabern erhalten, die die Insel vor tausend Jahren für über zwei Jahrhunderte kolonisiert hatten. Industrie gab es hier nicht, man lebte von jeher von der Landwirtschaft oder - vom Schwefelabbau. Schwefel war früher in der ganzen Welt vorrangig für Schießpulver gefragt. Es ist erstaunlich, wie viele italienische Schriftsteller von nationalem und internationalem Rang aus den innersizilianischen Provinzen stammen. Sprecher Text Sciascia Der Schwefelabbau repräsentierte eine große Öffnung zur Welt. Eine große Gelegenheit der Bewusstwerdung für den Sizilianer. Außer Tommasi di Lampedusa kommen alle Schriftsteller wie Giovanni Verga, Luigi Pirandello, Vitaliano Brancati, Elio Vittorini, Vincenzo Consolo und Gesualdo Bufalino aus der Welt des Schwefelabbaus. 7 O-Ton Antonio Di Grado È una caratteristica del siciliano - secondo S. …….. che ha in comune con i scrittori siciliani La capacità di smistificare la realtà, di smascherare gli inganni perche si nascondono dietro la realtà apparente. Übersetzer Di Grado Sciascia war der Auffassung, dass es eine Charakteristik des Sizilianers ist, die sich auch bei allen sizilianischen Schriftstellern findet: Die Fähigkeit, Wirklichkeit zu entmystifizieren, Täuschungen zu enttarnen, die sich hinter der sichtbaren Realität verbergen. Atmo Musik Rosa Balistreri Forts. Lied der Schwefelarbeiter Erzählerin 1921 in Racalmuto geboren, verbringt Sciascia seine Kindheit und Jugend unter dem Faschismus Mussolinis. Sprecher Text Sciascia Ich habe die ersten zwanzig Jahre in meinem Leben in einer doppelt unfreien und doppelt nicht vernunftbezogenen Gesellschaft verbracht. Das ist Sizilien, über das Pirandello die wahrhaftigste und gründlichste Darstellung gegeben hat. Und der Faschismus. Und ich habe versucht, sowohl auf die Tatsache Sizilianer zu sein, als auch auf den Faschismus zu reagieren. Erzählerin Die Angebote der Faschisten für Jugendliche langweilen den jungen Sciascia. Seine Zuflucht wird früh und intensiv die Lektüre europäischer Literatur der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und er entdeckt den großen sizilianischen Schriftsteller Luigi Pirandello, der nicht mal eine halbe Stunde von ihm entfernt, aber einige Jahrzehnte früher geboren wurde. Ein Leben lang wird er sich mit ihm beschäftigen und für seine Zeit erforschen, was das Grundthema Pirandellos ist: das Beziehungsgeflecht der Menschen zwischen Schein und Sein. 8 O-Ton Antonio Di Grado Siascia amava molto Pirandello…. occultata, depistata. Übersetzer Di Grado Sciascia liebte Pirandello sehr. Er liebte an Pirandello diesen tiefgründigen Widerspruchsgeist. Er widerruft in dauerndem Zweifel alles. Sciascia ist kein Nihilist wie Pirandello. Pirandellos Nihilismus ist auf das Sein bezogen, er behauptet, dass es die Wahrheit nicht gibt und sie absolut relativ sei. Sciascia nicht, er glaubt an die Wahrheit und will sie aufdecken. Er weiß, wenn die Wahrheit im politischen Leben nicht erscheint, dann liegt das nicht daran, weil sie nicht existiert, sondern weil sie von der politischen Macht verdunkelt, in eine falsche Richtung geführt wird. Erzählerin Der Repräsentant des italienischen Faschismus in Sizilien war Cesare Morì. In der Geschichtsschreibung heißt es meist, dass Morì gegenüber der Mafia hart durchgriff. 9 O-Ton Antonio Di Grado Mori faceva pulizia …….fortemente nel diritto. Übersetzer Di Grado Die Säuberungen von Mafiosi durch Morì gingen bis zu einem bestimmten Punkt. Natürlich konnte er nicht bis zu den höheren Rängen der politischen Macht gelangen. Sciascia bewunderte Mori, was uns mitten hinein in eines der Gebiete von Sciascias glücklichen Widersprüchen bringt. Sciascia war eigentlich – anders als Morì - ein Verfechter rechtsstaatlicher Prinzipien, einer der fest an das Gesetz glaubt. 10 O-Ton Giancarlo De Cataldo Si parla di alta mafia……– L`onorata società. Übersetzer Man spricht von Hoher Mafia schon in den offiziellen Dokumenten Italiens seit 1873//74. Demnach ist die Hohe Mafia nicht die, die die Coppula, die typisch sizilianische Mütze, trägt und auch nicht die Lupara, mit der man schießt. Denn das ist ja leicht zu erkennen, oder? Sondern die Hohe Mafia ist die, die den Baron mit dem Pfarrer und den Notar und den Politiker mit dem Mafioso verbindet. Die sich ehrenwert gebende Gesellschaft. Erzählerin Und genau das ist es, was Sciascia so wirkungsvoll in seinen Romanen hat deutlich machen können: Die Enttarnung der sich ehrenwert gebenden Teile der bürgerlichen Gesellschaft, die von der Mafia profitieren und sie am Leben halten. Atmo Musik Balistreri Erzählerin Als die Alliierten im Juli 1943 an verschiedenen Punkten Siziliens landen, um die Insel und ganz Italien vom Faschismus zu befreien, beobachtet Sciascia mit wachem Blick, wie mit ihrer Ankunft und dem Ende des Faschismus die bis dato verborgenen Mafiosi, die natürlich Mussolini-Gegner waren, auf der Insel zu neuer Bedeutung gelangen: Sprecher Text Sciascia Die Ankunft der Amerikaner wurde bei uns in Racalmuto wie auch anderswo zu einem großen Fest. Die Leute kamen aus ihren Häusern mit Weinflaschen und -gläsern, um sie der Truppe der Amerikaner anzubieten. Sie hatten eine Division geschaffen, „Texas“ genannt, die zur Gänze aus Söhnen ausgewanderter Sizilianer zusammengesetzt war. Sie sprachen alle sizilianischen Dialekt. Es schien wie ein Klassentreffen, ein Fest von Verwandten. Mit dem Schwarzmarkt zeigte sich die Mafia wieder offen. Die Amerikaner waren gelandet mit Listen der Mafiosi in der Tasche. Die Bürgermeister fast aller Orte wurden unter den Mafiosi ausgewählt. Auch in Racalmuto gab es einen solchen Bürgermeister. 1944 wurde er mysteriöserweise auf dem Platz umgebracht. Es blieb ungeklärt, warum. Fuoco all`anima 35 Erzählerin Zuletzt wurde diese Frage der strategischen Nutzung der Mafia durch die US-Amerikaner im Kampf gegen den Faschismus im Jahr 2017 kontrovers diskutiert. Der Spielfilm „In guerra per l`amore“ bekräftigt die periodisch immer wieder in Zweifel gezogene Zusammenarbeit, wenn auch ein wenig stereotyp und simplifiziert. Prompt wehrt sich die Historikerzunft unüberhörbar. Doch Fakt ist: bereits Anfang der 50er Jahre hat eine Untersuchungskommission des amerikanischen Parlaments unter dem Vorsitz des Demokraten Estes Kefauver die Vorbereitung der Landung der alliierten Truppen mithilfe von in New York und Sizilien ansässigen Mafiosi eingestanden. Wirklich brisant wird der Umgang mit der Mafia dann allerdings für die Zeit danach, im Kalten Krieg. Da wurde sie weiterhin als Verbündete genutzt, nun aber nicht mehr gegen den Faschismus, sondern gegen die starke italienische kommunistische Partei. Strafrichter Giancarlo De Cataldo hat da seine klaren Überzeugungen. 11 O-Ton Giancarlo De Cataldo Ora anche li gli americani hanno ……i propri nemici come serbatoio elettorale. Übersetzer De Cataldo Also hier sind es die Amerikaner, die die Mafia neu erfinden. Die Amerikaner haben damit von einer Situation Kenntnis genommen, die bereits existierte und haben die Mafia, die auf ihrem Hoheitsgebiet geblieben war, benutzt. Genau so, wie es alle italienischen Regierungen, seit der Einheit Italiens gemacht haben: Sie als Speichertank für die Wahlen gegen die eigenen politischen Gegner im Land genutzt. Atmo Musik Balistreri 12 O-Ton Sciascia RAI storia 50 Sek. Io sono uno che si è trovato ……fenomeno rurale a fenomeno cittadino. Übersetzer Sciascia Ich bin zu einem geworden, der über die Mafia schreibt. Und zwar deshalb, weil ich sie in den Jahren meiner Kindheit erlebt habe. Ich war Beobachter ihrer Unterdrückung durch Mori. Kindlicher Beobachter, aber genau deshalb habe ich unauslöschliche Erinnerungen. Und dann habe ich gesehen wie sie in der Nachkriegszeit wieder auferstand. Und da die sizilianische Literatur arm an Beispielen über die Mafia ist, fühlte ich mich verpflichtet die Erzählung „Der Tag der Eule“ zu schreiben, ein erzählerisches Beispiel darüber, was die Mafia bedeutete im Übergang von einem ländlichen zu einem städtischen Phänomen. Atmo Musik Sängerin Balistreri (wie vorher) Erzählerin Noch vor Ende des Faschismus arbeitet Sciascia für einige Jahre bei der staatlichen Ablieferungsstelle für Getreidevorräte, wo er viel über das Elend der immer noch in Strukturen des Feudalismus lebenden Bauern lernt. Dann entscheidet er sich für den Beruf des Grundschullehrers, den er bis 1957 ausüben wird. Er heiratet eine Kollegin, hat mit ihr zwei Töchter und lebt bis zu seinem Tod mit ihr eng verbunden zusammen. Ab Mitte der 50er Jahre veröffentlicht Sciascia in der in Palermo erscheinenden legendären Zeitung L`ORA, eine einsame Stimme der Anklage gegen die Mafia. Als die Zeitung auf der ersten Seite die Fotos von identifizierten Mafiosi zeigt, fällt die erste Bombe in die Redaktionsräume. Sciascia bleibt der für Sizilien so wichtigen Zeitung L`ORA bis an sein Lebensende treu, auch als er längst ein namhafter Intellektueller für ganz Italien geworden ist, und sich in den großen nationalen Zeitungen wie La Stampa oder Corriere della Sera mit Leitartikeln zu Wort meldet. Atmo Musik Sängerin Balistreri (wie vorher) Erzählerin In den frühen 50er Jahren verfasst Sciascia Gedichte, Erzählungen, Essays, einen ersten über Pirandello. Es sind Zeiten der Gründungen literarischer Zeitschriften, der Debatten, der literarischen Cafés. Sciascia leitet die Zeitschrift Galleria, bei der bald die großen zeitgeschichtlichen Autoren mitarbeiten, wie Italo Calvino, Alberto Moravia und Pier Paolo Pasolini. 1956 erscheint nach Anfragen des Verlegers Laterza Sciascias erster Roman, basierend auf der Geschichte Racalmutos und seinen dortigen Erfahrungen als Grundschullehrer. Neben dem Problem Mafia gehört die massenhafte Emigration dauerhaft zu Sizilien. Sciascia veröffentlicht Ende der 50er Jahre die Erzählung „Die weite Reise“. Da wissen die vor Armut verzweifelnden Sizilianer noch, wohin sie emigrieren können. Sprecher Text Sciascia (Zusammenfassung) An der Nordküste der Insel treffen sich bei Anbruch der Dunkelheit eine Gruppe zur Auswanderung nach Amerika bereiter Leute. Viele von ihnen sehen das erste Mal das Meer, das ungeliebte Meer, kamen von ihm doch über die Jahrhunderte immer und immer neue Invasoren. Ihre Pappkoffer neben sich, stehen sie Schlange um die Hälfte einer großen Summe dem Eigentümer des Schiffes auszuhändigen, er soll sie in das weite Land ihrer Hoffnungen bringen. Alles haben sie verkauft, um bei Ankunft auch die zweite Summe zahlen zu können. Der Eigentümer betont, wie viel er riskiere. Tagsüber sollten sie alle unter Deck bleiben, damit sie bei dieser illegalen Auswanderung von der Küstenwache nicht entdeckt würden. Nach 11 Tagen, als sie abgesetzt werden, die zweite Hälfte ihres Reisegeldes bezahlt haben und das Schiff sich entfernt hat, müssen die Armutsflüchtlinge begreifen: sie sind 11 Tage im Kreis gefahren und an einer anderen Stelle ihrer Insel an Land gegangen. Erzählerin In den 60er Jahren wurde die Erzählung verfilmt, als Drama einer großen Illusion: Atmo Filmausschnitt „Importante barcare in America“1:45 bis „A bordo ragazzi“ 3:36 zwischendurch im Hintergrund Erzählerin Durchquert man Zentralsizilien, sieht man auch heute in der fast waldlosen und ausgedörrten Landschaft verlassene Häuser mit brach liegenden Feldern. Wahrzeichen der Emigration. Auf Nachfragen der ausländischen Besucherin nach der heutigen ökonomischen Lage im Inneren Siziliens, weiß der auf Racalmuto zufahrende Taxifahrer klar zu antworten: Viele hier denken daran auszuwandern, nur wissen sie nicht wohin. Die Schwefelbergwerke sind endgültig geschlossen. Man arbeitet ein wenig in den Weinbergen, für den Nero d`Avola; in den Olivenhainen, im Gemüseanbau, hilft den Eltern. Dann werden tunesische Orangen hier verkauft und wir müssen unsere, die wir nicht so billig verkaufen können, wegwerfen. Und – will man im Baugewerbe arbeiten, da werden immer nur dieselben Leute genommen…. Atmo Musik Balistreri Erzählerin In den 60er Jahren festigt sich mit „Der Tag der Eule“ der Erfolg Sciascias als Schriftsteller. Er veröffentlicht den zweiten seiner insgesamt sechs Kriminalromane, „Jedem das Seine“, der noch im sizilianischen Ambiente der Mafia bleibt, wird aber deutlicher über mächtige Männer im Hintergrund und zeichnet ein brilliantes Gesellschaftsbild der mafiös infizierten Scheinheiligkeiten. Auch dieser Roman wird erfolgreich verfilmt. Als passionierter Geschichtsforscher verfasst Sciascia auch historische Romane, deren Geschichten er in den Annalen sizilianischer Bibliotheken ausgräbt. Sie spielen an auf Parallelen zur Gegenwart, sei es was die auch damals kursierende Korruption betrifft, sei es den Missbrauch politischer Macht durch die damaligen Herrscher. 13 O-Ton Antonio Di Grado Poi Sciascia fece una commedia politica……. perché assomigliava troppo a un onorevole democristiano catanese. Übersetzer Sciascia schrieb auch eine politische Komödie. Das Teatro Stabile in Catania fragte bei Sciascia für eine Theaterfassung von „Der Tag der Eule“ an. Es hatte in ganz Italien einen enormen Erfolg. Dann erschien das Stück „L`Onorevole“, Der Abgeordnete, das aber nicht aufgeführt werden durfte, weil die Hauptfigur zu sehr einem christdemokratischen Abgeordneten aus Catania ähnelte. Atmo kl. Ausschnitt Aufführung L` onorevole in Palermo Teatro Stabile di Palermo Sprecher Text Sciascia Der Abgeordnete in dem gleichnamigen Stück Sciascias macht eine radikale Wandlung durch. Als Gymnasiallehrer lebt er mit seiner Familie ein bescheidenes und ruhiges Leben. Ins Parlament gewählt, kann er jedoch zum Entsetzen seiner Frau den Korruptionsangeboten nicht widerstehen. Erzählerin Sciascias Absicht war es aufzuklären, auch bestehende politische Zustände aus dem Verlauf der Geschichte verständlich zu machen. Text Sprecher Sciascia Der größte Fehler der Sizilianer ist es, nicht an Ideen zu glauben, die die Welt verändern könnten. 14 O-Ton Giancarlo De Cataldo Cioè il credere che non si possa cambiare le ……..e questo ha fatto dal siciliano un caractere un po indolente träge un po rassegnato Übersetzer De Cataldo Das ist der Glaube, man könne die Dinge nicht verändern, weil man nicht die Ärmel hochkrempeln und sein eigenes Schicksal und das eigene Leben in die Hand nehmen kann. Das ist die Konsequenz von über 1000 Jahren Invasionen, von Fremdherrschaft und - sagen wir ruhig ganz Italien betreffend - die Unfähigkeit ein Zivilbewusstsein herauszubilden, das heißt auch, sich als Bürger politisch zu engagieren. Das ist der pessimistische Sciascia und es gibt viele Passagen im Werk von Sciascia die von einem grundlegenden Pessimismus zeugen. Das wird abgemildert von der Anerkennung der Fähigkeit des Süditalieners und speziell des Sizilianers, überraschend Auswege aus einer verzweifelten Situation zu finden. Sciascias Meinung ist es, dass Sizilien von oben verlassen und von der Geschichte gestraft wurde und dies einen ein wenig trägen und resignierten Charakter geschaffen hat. Atmo Musik Balistreri Erzählerin Die seit Jahrhunderten, lange vor Christi sich entwickelnde Liste der Besatzer in Sizilien mit den unterschiedlichsten Religionen und Sitten ist erdrückend lang: die Griechen, die Römer, die Vandalen, die Karthager, die Araber, Normannen, Franzosen, Britten, Spanier und seit 1861 wird auch der unter Führung der Norditaliener vereinigte italienische Staat, wie alle seine Vorgänger, als zu dominant und unfähig angesehen, er rufe Minderwertigkeitskomplexe beim Sizilianer hervor. Die Sizilianer waren kolonialisiert und haben nie ihren eigenen Staat errichtet, auch fehle ihnen Gemeinsinn, heißt es. Die Großfamilie, der Clan, ersetze hier auf eine gewisse Weise den Staat. Und so hat sich neben den vielen fremden Herrschern auf ihrem Territorium etwas ganz Eigenes - ganz organisch will man meinen -, wie die Mafia herausgebildet. 15 O-Ton Antonio Di Grado Era legato come tutti i siciliani in un rapporto amore – odio…..Infatti in una delle raccolte degli ultimi saggi S. gli intitolava: come si puo essere Siciliano! Übersetzer Di Grado Wie alle Sizilianer war Sciascia an Sizilien in einer Liebe-Hass-Beziehung gebunden. Er sagte dazu immer: ne con te ne senza di te - nicht mit dir, nicht ohne dich. Indem er so über seine schwierige Beziehung zu Sizilien sprach, drückte er aus, sein Land wohl zu lieben, aber dass es ihn auch zur Verzweiflung brachte. Dem Band seiner letzten Essays gab er den Titel: Wie nur kann man Sizilianer sein! 16 O-Ton De Cataldo Quasi come una specie di ineluttabilità della Mafia …….e di molti intellettuali siciliani un nucleo di pessimismo che noi dobbiamo combattere. Übersetzer De Cataldo So wird auch die Mafia als eine Unvermeidlichkeit angesehen. Diese Auffassung kritisierte Giovanni Falcone, der legendäre und von der Mafia 1992 umgebrachte Untersuchungsrichter. Er bewunderte Sciascia, schätzte ihn sehr - sagte aber: Achtung in den Gedanken Sciascias und in denen vieler sizilianischer Intellektueller steckt im Kern ein Pessimismus, den wir bekämpfen müssen. Atmo Musik Erzählerin Nachdem die Jahre des ersten Wirtschaftsbooms der Nachkriegszeit vorbei sind, spitzen sich während der 60er Jahre die Widersprüche in der Gesellschaft zu. Zunächst schießen die Mafiosi sich verstärkt untereinander ab, dann beginnen die Mafia-Morde an mutigen Richtern, Politikern und Journalisten und eskalieren. Immer noch aber wird das organisierte Verbrechen national wenig zur Kenntnis genommen. In ganz Italien breiten sich Unruhen unter den Arbeitern aus, Streiks bringen immer wieder ganze Wirtschaftsbereiche zum Stillstand, der Terrorismus erschüttert die Städte, im politischen Untergrund Italiens werden Umsturzpläne gewichtiger rechter Kreise vorbereitet. Die Kommunisten erstarken, erhalten schließlich ein Drittel der Wählerstimmen. Die Mafia beginnt ihren Siegeszug in der Welt des Drogenhandels und versteht es, mit immer größeren Geldmengen in nationale und internationale Wirtschaftsunternehmen zu infiltrieren. Sciascia spricht von der Sizilianisierung Italiens. 17 O-Ton Antonio Di Grado Predisse con questa metafora……., nelle grandi imprese mondiali degli stati piu potenti. Übersetzer Di Grado Sciascia sagt die Expansion der Mafia voraus. Er benutzt die Metapher von der Ausbreitung der Palme –, die ursprünglich nur in den heißen Gebieten wuchs, inzwischen aber in ganz Italien und sogar in der Welt gedeiht. Heute haben sich auch noch andere Organisationen auf die gleiche Weise ausgebreitet: die Camorra und die n`drangheta. Sie haben wahrlich große Bereiche der Wirtschaftsgeschäfte und in weltweit tätigen Unternehmen der reichsten Länder Macht gewonnen. Atmo Hochziehen von Balistreri Erzählerin Der Autor entscheidet in die Politik zu gehen. Er gehört zum linken Lager, hat sich aber nie fest an eine Partei gebunden. Als Unabhängiger auf der Liste der KPI kandidiert er 1975 für das Parlament in Palermo. Doch er ist bald enttäuscht, nicht nur von der Art und Weise des Parlamentarismus, sondern auch von den Kommunisten, deren Verständnis von Wahrheit er nicht teilt. 18 O-Ton Antonio Di Grado Sciascia ha una profonda insofferenza …… Non è un partito, è un partito libertario, laico Übersetzer Di Grado Sciascia hatte eine tiefgehende Unduldsamkeit gegenüber der Politik, den Politikern. Es gibt einen Roman, „Candido“, in dem er die Kommunisten gnadenlos auf den Arm nimmt, speziell die sizilianischen Kommunisten. Das sind genau die Jahre, in denen er Erfahrungen als unabhängiger Abgeordneter für die Kommunisten im Parlament in Palermo macht. Einer wie er konnte nicht lange bleiben, nach kurzer Zeit schon zog er sich zurück. Wie jeder Intellektuelle liebte er die in der Politik notwendigen Kompromisse nicht. Aber er liebte nicht einmal banalste Phänomene wie ein um eine oder mehrere Stunden zu spät angefangene Ratssitzung. Das ganze Theaterspiel der Politik irritierte ihn. Nicht zufällig landete Sciascia dann bei der Radikalen Partei. Es ist keine Partei, es ist eine libertäre, konfessionslose Partei. Erzählerin Mitten in die Wirren der 70er Jahre und mit seinen in der Politik gewonnenen Einsichten veröffentlicht Sciascia seinen politischsten Roman, „Il Contesto“, im Deutschen „Der Zusammenhang“ oder auch „Tote Richter reden nicht“. Sciascia hat lange gezögert, diesen Roman zu veröffentlichen, zwei Jahre liegt er in der Schublade. Mit ihm startet er jetzt, ganz ähnlich wie einige Jahre zuvor Pasolini, den Angriff auf den „Palazzo“, die politische Klasse und ihren Staatsapparat. 19 O-Ton De Cataldo Perché si avvicina al palazzo …….E questo lo porta ad allargare il soggetto dei suoi racconti. Übersetzer De Cataldo Sciascia nähert sich den politischen Institutionen, tritt aus Sizilien heraus. Er, der immer ein intensiver Leser von Büchern war, sieht sich nun mit der römischen politischen Realität konfrontiert. Tritt ein in das politische Machtzentrum und damit in diese metaphysische Dimension der Macht, die er immer im Kopf hatte, auch als er von der sizilianischen Mafia sprach. Hier wird das nun konkreter, wirklicher, ist jetzt ein greifbares Objekt. Diese Dynamiken der Macht, die er in Sizilien gesehen hat, findet er in Rom und im italienischen Parlament vervielfältigt. Und das bringt ihn dazu, den Gegenstand seiner Romane zu erweitern. Sprecher Text Sciascia (Zusammenfassung von „Der Zusammenhang“) Es gilt, den Mord an einem Richter aufzuklären. Angeblich begangen von Terroristen, doch Inspektor Rogas hat einen anderen Verdacht. Er wird beschattet. Weitere Richter und Staatsanwälte sterben – Rogas sieht ein Komplott in das Minister und Geheimdienste verwickelt sind. Mehr als ein Kriminalroman liest sich das Buch bald, wie von Sciascia selbst bezeichnet, als bittere Parodie auf die italienische Wirklichkeit; auf ein System, in dem Klientelwirtschaft dominiert und demokratische Prinzipien außer Kraft gesetzt sind. Es wird gelogen, intrigiert, korrumpiert, zum eigenen Vorteil gearbeitet. Selbst die Kommunisten, eine starke Opposition, paktieren mit der politischen Macht. Ermittler Rogas leistet Rapport bei seinen Vorgesetzten. Doch dort werden entscheidende Erkenntnisse unterschlagen. Die Geschichte transformiert sich mehr und mehr zu einer Aufdeckung eines degenerierten politischen Systems. Als Inspektor Rogas sich mit dem kommunistischen Parteisekretär nicht zufällig in der Nationalgalerie trifft, werden beide Opfer eines unbekannten Killers. Erzählerin Der Roman wurde 1976 von Francesco Rosi verfilmt und lief im Deutschen unter dem Titel „Die Macht und ihr Preis“. Die Hauptperson Inspektor Rogas spielt der brilliante Lino Ventura. In keinem anderen seiner Roman zeigt Sciascia so deutlich: Die Mafia ist mit ihrer verkommenen Moral nicht mehr subversiv, sondern im Zentrum der Macht angekommen. In keinem anderen seiner Romane beklagt er deutlicher die moralische Degeneration der staatlichen Institutionen. Und dies nicht nur in Italien: Sprecher Text Sciascia Für mich ist Sizilien wie eine Metapher für die Welt. Es findet sich heutzutage doch überall diese Art von Gerissenheit und die Überzeugung, sie gegenüber einem anderen anzuwenden, überzeugt davon, das Recht dazu zu haben. Und überall gibt es diese Gewalttätigkeit, die Feigheit gegenüber der Macht, das Gewährenlassen, die Gleichgültigkeit. Die große Krankheit unserer Zeit ist die Gleichgültigkeit, das sich nicht Einmischen wollen, nicht Partei ergreifen. Das passiert in Sizilien, aber auch in Rom, Mailand, New York. Panorama 8.11.1973 „Siamo tutti Siciliani“. 20 O-Ton Antonio Di Grado Poi addirittura il processo al palazzo diventa …….che si sono mai fatte nel universo del potere. Vicina a quella di Pasolini Übersetzer Di Grado Dann wird nach „Der Zusammenhang“ in dem Buch „Todo Modo oder das Spiel um die Macht“ der Prozess gegen den Palazzo sogar apokalyptisch. Während spiritueller Sitzungen wird die gesamte Führungsschicht in einem Massaker ausgelöscht. Diese Mordserie dieser Führungsriege, die sich selbst auslöscht, diese Männer, die sich gegenseitig erpressen, ist eine derart erbarmungslose Interpretation, wie sie nie zuvor im Universum der Macht gemacht wurde. Das reicht nah heran an Pasolini. Erzählerin Sciascia hatte viele Freunde unter den Kommunisten. Er machte allerdings keinen Hehl daraus, dass ihm der Historische Kompromiss, die für Ende der 70er Jahre geplante gemeinsame Regierung zwischen den Christdemokraten und den Kommunisten nicht gefiel. Er war überzeugt, dass durch eine Zusammenarbeit der Kommunisten mit den Regierungskräften des Palazzo auch die Linken moralisch verkommen würden. Er wollte eine starke Opposition, die den Staat in seinen dunklen Seiten nicht deckt, sondern bekämpft. 21 O-Ton Antonio Di Grado Con molti litigava estremamente. Cosi con suo amico Renato Guttuso…… e Guttuso per ragion di partito ebbe ragione a Berlinguer, tradi l`amico S. e qui si ruppe una amicizia. ….un uso opportunistico strumentale secondo loro e questo S. attacca. Übersetzer Di Grado Mit vielen Kommunisten stritt Sciascia sich besonders intensiv. So mit seinem Freund, dem Maler Renato Guttuso. In einer Unterredung, die Sciascia mit Guttuso und KPI-Chef Berlinguer hatte, vertraute Berlinguer seinen Gesprächspartnern an, dass die Roten Brigaden wahrscheinlich in militärischen Lagern in der Tschechoslowakei ausgebildet worden seien. Sciascia war sofort von der Sache überzeugt und schrieb darüber. Daraufhin leugnete es Berlinguer aber wieder. Hier sieht man: Für den Schriftsteller ist die Wahrheit heilig, für den Politiker aber nicht. Und Guttuso stellte sich aus Parteidisziplin hinter Berlinguer und gegen Sciascia, verriet damit den Freund und eine Freundschaft zerbrach. Sciascia griff die Kommunisten wegen ihres opportunistisch-instrumentellen Gebrauchs der Wahrheit an. Erzählerin Viele Wahrheiten jener Jahre blieben bis zum Ende des Ost-West -Konfliktes und bleiben bis heute verborgen. Es waren Sciascia und Pasolini, zwei Einzelkämpfer, die mit lauter Stimme Aufklärung forderten. 22 O-Ton Antonio Di Grado Quindi due figure molto diverse e molto vicine ……..l`assassinio di Aldo Moro – sono decine e decine di misteri irrisolti di cui non sapremo nulla. Übersetzer Di Grado Es waren diese beiden Figuren, sehr verschieden, aber sich auch sehr nah in dem wie sie die Missetaten der politischen Klasse anprangerten. Es waren zwei die entmystifizierten, offizielle Wahrheiten in Zweifel stellten. In den 70er Jahren kaufte man den Corriere della Sera und konnte Leitartikel von Sciascia oder Pasolini lesen. Sie stellten die offiziellen Wahrheiten zur Diskussion. Die Wahrheit war einer der Werte, auf die Sciascia am meisten hielt. Deshalb war er ein unbequemer Schriftsteller. Die Wahrheit wird leider verdunkelt, von der politischen Macht verdunkelt. Also die Wahrheit in Italien existiert nicht, die Geschichte der ersten Republik ist eine Geschichte ungeklärter Geheimnisse unter dem Deckmantel des Kalten Krieges. Von dem Anschlag der Portella della ginestra 1947 bis zum Mord an Mattei 1962 , von der Bombe an der Piazza Fontana 1969 und am Bahnhof von Bologna 1980, bis zum Mord an Aldo Moro, dem Vorsitzenden der Christdemokratischen Partei. Es sind aberdutzende ungelöste Geheimnisse, über die wir nichts wissen. Erzählerin Schon während der Entführung Aldo Moros im Jahr 1978 kam Sciascia zu der Überzeugung, dass die Eliten des Landes kein Interesse daran hatten, Moro, als den Befürworter des historischen Kompromisses zu retten und die Tat der Roten Brigaden nur auf dem Hintergrund eines groß angelegten internationalen Komplotts zu erklären sei. Spätere Untersuchungskommissionen klärten, dass die Hereinnahme der Kommunisten in die Regierung weder vom Osten noch vom Westen gewünscht war. Die KPI hätte zuviel Macht erhalten und die Nachkriegsordnung wäre erschüttert worden. Das sollte um jeden Preis verhindert werden. Seine Überlegungen fasst Sciascia einige Wochen nach dem Mord an Aldo Moro in dem kleinen Buch L`affaire Moro zusammen 23 O-Ton De Cataldo Intanto perché c`era… …..– non è una cosa solamente italiana. In democrazie queste cose non sono accettate. Übersetzer Es gab seinerzeit eine sehr starke Verbindung zwischen der Mafia und der internationalen Politik. Das heißt die Mafia ist eine militärische Kraft, die dazu dient staatliches Hoheitsgebiet zu halten. Sie ist eine antikommunistische Kraft, ganz offen gesagt. Im Italien des Kalten Kriegs konnte man sich mit einem Mafioso unterhalten, aber nicht mit einem Kommunisten. Moro sprach mit den Kommunisten und zahlte mit seinem Leben. Es war seine Idee für das Land gewesen, mit dem Historischen Kompromiss die Gegenüberstellung der Blöcke zu überwinden Das nicht zuzulassen nannte sich Staatsräson. Die hat immer existiert. Nicht nur in Italien. Das schmutzige Spiel gehört zur Menschheitsgeschichte. Der Punkt ist, wie verbreitet das alles ist, wie viel Menschen verwickelt sind, wie viel Einfluss es auf unser Leben hat. Eine Diktatur kann alle schmutzigen Dinge der Welt tun, weil es niemand erfährt und weil es eben eine Diktatur ist. Aber in einer Demokratie sind solche Dinge nicht akzeptiert. Erzählerin Leonardo Sciascia verabschiedet sich 1983 von seinen Parlamentsjahren und widmet sich, körperlich bereits angeschlagen, wieder mehr seiner literarischen Tätigkeit in seinen Wohnsitzen in Racalmuto und Palermo. Das Drama Moro bringt für das Land das Ende eines Gleichgewichtsystems. Eine moralische und ökonomische Krise nimmt in den 80er Jahren ihren Lauf, bis hin zur Aufdeckung von Tangentopoli, einer gigantischen Verflechtung von Korruption zwischen Politikern, Mafiosi und Unternehmern. Der Intellektuelle Sciascia hatte in seinen Romanen diese Entwicklung vorhergesehen. 24 O-Ton Antonio di Grado Ormai la figura del intellettuale è stata sostituita dal intrattenitore televisivo …..è rimosso come intellettuale Übersetzer di Grado Inzwischen ist die Figur des Intellektuellen ersetzt worden vom Entertainer oder dem Showmann oder dem Komiker im Fernsehen. Und so kommt es, dass Komiker Politiker werden. Ich bin nicht damit einverstanden, wie Sciascia heute in der Gesellschaft behandelt wird, aus demselben Motiv. Er wird nur noch als Schriftsteller geachtet. Als Intellektueller ist er beiseite geschoben. Atmo wieder Gesang von Balistreri, im weiteren mal lauter hochziehen mal leiser im Hintergrund 25 O-Ton Antonio Di Grado La frequentazione di S. era un rito soprattutto quando ………..dietro un velo di pudore, di silenzio, di apparente scontrosità. Übersetzer Die Besuche bei Sciascia waren ein Ritus, vor allem wenn man sich im Sommer in seinem Landhaus bei Racalmuto traf. Dort kamen Freunde und Bewunderer aus ganz Italien zusammen. In diesen wunderschönen Nachmittagen auf dem Land, in denen man sich der seltenen Worte Sciascias erfreute. Er sprach wenig, aber sehr klar und genau. Und so war auch sein Charakter. Scheinbar verschlossen und mürrisch, aber in Wirklichkeit auf eine grundlegende Weise großzügig. Und er lebte auch Freundschaft sehr intensiv. Großzügig heißt, er war sehr verschwenderisch mit seiner Zuneigung, mit Ratschlägen, Hilfestellungen. Er war in wichtigen Momenten immer gegenwärtig. Es war diese aufrichtige, vom Herzen kommende Großzügigkeit, nicht nur eine nach außen gezeigte. Das ist auch ein wenig diese sizilianische Großzügigkeit, die sich hinter einem Schleier aus Verschämtheit verbirgt, des Schweigens, scheinbarem Mürrischsein. Erzählerin In Palermo spitzen sich in den 80er Jahren die Dinge zu: Tote über Tote. In ganz Italien erhebt sich ein mörderischer Ansturm gegen nicht korrupte Vertreter des Staates, wie in keinem anderen europäischen Land. Aber auch der Mut vieler Ermittler, unter ihnen Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, zeitigt große Erfolge. Bei dem so genannten Maxi-Prozess in den 80 iger Jahren werden 475 Mafiosi angeklagt. Der besonders gewalttätige Clan der Corleonesi wird in die Knie gezwungen. 26 O-Ton Giancarlo de Cataldo Quella mafia è vinta, con quella mafia la battaglia abbiamo vinta. Quell livello del territorio non c`è piu. ......Si spara di meno e si investono piu soldi. Übersetzer De Cataldo Diese Mafia ist besiegt, mit ihr haben wir die Schlacht gewonnen. Dieses Niveau der Beherrschung eines Hoheitsgebietes gibt es nicht mehr. Derzeitig kassieren die Mafien weiterhin riesige Mengen Geld mit dem Drogenhandel, der grundlegend ist, das Fundament. Das Kriegsszenarium mit Bomben, wie zum Beispiel in Mexiko, gibt es im Westen für die Mafia nicht mehr. Erzählerin Wenn es auch immer heißt, in Sizilien bleibe alles gerne beim Alten, so haben sich die Zeiten auch im kulturellen Leben der Gesellschaft doch geändert. Heute spricht man offen über die Mafia. Der Erfolg von Sciascias Romanen gab den Anstoß für eine Anti-Mafia-Kultur mit Fernsehserien, Spielfilmen, Romanen und Veranstaltungen zum Thema. Heute kann man in einem aufgeblühten Palermo ohne Angst flanieren und auch bissige Theaterstücke wie „Der Abgeordnete“ aufführen. Atmo Musik Balisteri Erzählerin Drei Jahre nach Sciascias Tod wird der Mafia-Boß Buscetta zum Kronzeugen Gegenüber den Ermittlern spricht er auch über die Verbindungen der Mafia zu einem der wichtigsten italienischen Spitzenpolitiker der Nachkriegszeit, Giulio Andreotti, über den Sciascia geschrieben hatte: Er vereinige in sich das Schlechteste aus Jahrhunderten italienischer Geschichte, unter ihm habe die Korruption in Italien ihre volle Blüte erreicht. 950 Seiten umfasst die mutige und gründliche Anklageschrift der palermitanischen Staatsanwälte im Fall Andreotti. Dass er in seinem aufsehenerregenden Prozess nicht verurteilt wird, verdankt er keinem Unschuldsnachweis, sondern lediglich den zuvor neu geregelten Verjährungsfristen. Übersetzer De Cataldo Heute sind die Mafien verändert, sie sind intelligente Organisationen. Verändert sich die Welt, verändert sich die Ökonomie, verändern sich auch die Mafien. Sie sind sogar schneller als wir. Wir müssen die Gesetze respektieren, sie nicht. Die Schlacht, der Kampf ist offen. Es wird weniger geschossen, man investiert mehr Geld. Erzählerin 1994, noch während der Prozess gegen Andreotti läuft, zieht ein gewisser Silvio Berlusconi in den Palazzo Chigi, den römischen Regierungspalast, ein. Bis 2011 wird er viermal als italienischer Ministerpräsident amtieren. Auch über ihn hätte Sciascia viel zu sagen gehabt. Absage Musik Musikliste 1. Stunde Titel: aus: Cavalleria rusticana. Melodramma in einem Akt (Sizilianische BauernehreMutter, der Rote war allzu feurig), Mamma, quel vino è generoso. Abschied des Turiddu, Finale Länge: 01:30 Solisten: Giuseppe Di Stefano (Tenor)(Turridu); Giulietta Simionato (Sopran)(Santuzza); Ortensia Beggiato (Alt)(Lucia) Chor: Coro del Teatro alla Scala Orchester: Orchester der Mailänder Scala Dirigent: Antonino Votto Komponist: Pietro Mascagni Label: SPA Best.-Nr: GL 303 Titel: aus: Norma. Melodramma in 2 Akten, Casta Diva: Norma/Chor (1. Akt) Länge: 01:20 Solist: Maria Callas (Sopran)(Norma) Chor: Coro del Teatro alla Scala Orchester: Orchestra del Teatro alla Scala Dirigent: Tullio Serafin Komponist: Vincenzo Bellini Label: EMI CLASSICS Best.-Nr: 5666622 Titel: Voglio vederti danzare Länge: 01:00 Interpret und Komponist: Franco Battiato Label: Ariola Best.-Nr: 82876741632 Plattentitel: Un soffio al cuore di natura elettrica Titel: Acque amare Länge: 02:26 Interpret: Carla Boni Komponist: C. A. Rossi Label: WEA International Best.-Nr: 427849-2 Plattentitel: Bella Italia, Vol. 2: Die 50er Jahre Titel: Ciuri ciuri Länge: 01:26 Interpret: Lillo Alessandro Komponist: Unbekannt Label: RICORDI Best.-Nr: 166163-2 Plattentitel: Itali@n (Italian) horizons - A musical journey through Italy Titel: A curuna Länge: 05:57 Interpret: Etta Scollo Komponist: Profaziom Otello Label: Premium Records Best.-Nr: MON006 Plattentitel: Canta ro - Omaggio a Rosa Balistreri 2. Stunde Titel: aus: Die sizilianische Vesper. Oper Les vêpres siciliennes (ATI: Dank, geliebte Freundinnen, für die zauberhaften Blumen), Mercè, dilette amiche, di quei leggiadri fior. Siciliana der Elena (ohne Chor). 5. Akt Länge: 01:05 Solist: Maria Callas (Sopran)(Elena) Orchester: Orchestra Sinfonica della Radio Italiana Rom Dirigent: Tullio Serafin Komponist: Giuseppe Verdi Label: CANTUS Best.-Nr: 5.00001 F Titel: Accusi va la barca al mari Länge: 01:52 Interpret: Fratelli Mancuso Komponist: Onofrio Mancuso, Lorenzo Mancuso Label: EXIL Best.-Nr: PUT159-2 Plattentitel: Italian musical odyssey Titel: Kaos Länge: 01:00 Interpret und Komponist: Nicola Piovani Label: MILANO B MUSIC ohne Best.-Nr Plattentitel: Kaos, Bande Originale du Film de Paolo et Vittorio Taviani Titel: aus: Der Leopard. Suite, Allegro maestoso - Länge: 02:57 Orchester: Orchestre Philharmonique de Monte Carlo Dirigent: Gianluigi Gelmetti Komponist: Nino Rota Label: EMI CLASSICS Best.-Nr: 077775452822 Titel: Un' estate al mare Länge: 01:10 Interpret: Giuni Russo Komponist: Franco Battiato Label: MINT Records Best.-Nr: 81565-2 Plattentitel: Emozioni 2003 Titel: Tarantella Länge: 02:40 Interpret: Marek & Vacek Komponist: Gioachino Rossini Label: Intercord Best.-Nr: INT 860.200 Plattentitel: Marek & Vacek – Welterfolge 3. Stunde Titel: Umori di una terra Länge: 00:37 Interpret und Komponist: Giovanni Fusco Label: CAM ORIGINAL SOUNDTRACK Best.-Nr: keine Plattentitel: Soundtrack zum Film: Il Giorno Della Civetta (1968) Titel: Fossile Länge: 01:50 Interpret und Komponist: Giovanni Fusco Label: Drammatici E Musici di Tensione Best.-Nr: keine Titel: La Recherche Länge: 03:27 Interpret und Komponist: Francois de Roubaix Label: Emarcy Records Best.-Nr: 017180-2 Titel: Gregg Länge: 01:41 Interpret und Komponist: Francois de Roubaix Label: Emarcy Records Best.-Nr: 017180-2 Titel: Buttana di to ´ma` Länge: 02:15 Interpret: Rosa Balistreri Komponist: Rosa Balistreri, Otello Profazio Label: Lucky Planets S.r.l. Best.-Nr: LKP 520 Titel: Mi votu e mi rivotu (Canto d'amore) Länge: 01:58 Interpret: Rosa Balistrieri (voc,g) Komponist: Traditional Label: Kein Label angegeben Best.-Nr: CDP499 Plattentitel: Amore tu lo sai la vita è amara Titel: Caltanissetta fa quattru quarteri Länge: 02:53 Interpret: Rosa Balistreri Komponist: Rosa Balistreri, Otello Profazio Label: RCA Records Label Best.-Nr: INTI 1552