COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Thorsten Poppe für DLR-Kultur - Nachspiel 19.10.2014 Die Tour de France der Lüfte Jeden Sommer starten auf 14 Etappen mehrere tausend Tauben aus Frankreich zurück ins rheinische Braunkohlenrevier. Wegstrecken von bis zu 650 Kilometer legen sie dabei zurück, ihre Taubenväter kämpfen mit allen Mitteln um den Sieg. Anmoderation: Die "Tour de France" der Taubenzüchter startet im April, immer samstags gehen die Tauben dann auf die Reise. 14 Etappen insgesamt, die Woche für Woche länger werden, und überwiegend wegen dem vorherrschenden Südwestwind in Frankreich starten. Sieger ist am Ende derjenige Züchter, der die besten fünf Tauben stellt. Dabei treibt der Kampf um den Sieg auch bei Taubenzüchtern seltsame Blüten, die alles daran setzen, um den Wettbewerb zu gewinnen. Nicht nur die richtige Mischung des Futters, sondern auch Ablösesummen von mehreren tausend Euro gehören dazu. Aber auch die richtige medizinische Versorgung. So existiert im Ruhrgebiet Europas einzige Taubenklinik seit über 40 Jahren. Sie ist spezialisiert auf die Behandlung der Luftsportler. Deshalb schicken Züchter aus ganz Deutschland ihre Tiere hierher, um vom Know-how der Tierärzte zu profitieren. In ganz Deutschland gibt es noch etwa 20.000 "Taubenväter", mehr als die Hälfte davon in Nordrhein-Westfalen - nahe der Grenze zu Belgien, dem Ursprungsland des Brieftaubensports. Von dort breitete sich das Hobby des Taubenzüchtens im 19. Jahrhundert vor allem in den Arbeitersiedlungen des Ruhrgebiets aus. Denn wer gute Tauben besaß, konnte bei Wettflügen lukrative Preisgelder einstreichen, höher als der Lohn für die harte Arbeit in den Kohlebergwerken. So bekam die Brieftaube in Deutschland das Etikett Rennpferd des Bergmanns. Das "Nachspiel" über einen Nischensport, der seit Jahrzehnten Menschen und ihre Tiere bewegt am Beispiel eines Marathon-Wettbewerbes. Manuskript "Die Tour de France der Tauben": OT 1 Wilhelm Josef Becker (Reisevereinigung Mittelerft) auf Atmo 1: "Die Brieftaube ist ja das am schnellsten wachsende Wirbeltier. Die werden zum Beispiel im April geboren, und im August, September fliegen die schon über 500 Kilometer, werden die schon eingesetzt. Also ich meine, das gibt es bei keinem Tier diese schnelle Entwicklung. Und wenn die in der Nestschale liegen, und werden dann älter, und gehen danach aufs Dach, und die ersten Flugversuche finden statt, das ist ja so faszinierend, wie elegant die Kleinen schon durch die Lüfte fliegen. Und mit wie viel Übermut, also da muss man fasziniert sein." Autor auf AT 1 "Tauben einsetzen": Eine alte Scheune am Ende des Dorfes Pütz mitten im rheinischen Braunkohlerevier. Hier, wo in Sichtweite riesige Bagger für die umstehenden Kraftwerke Braunkohle abbauen, lebt Wilhelm Josef Becker seinen Sport. Er ist einer von rund 20.000 Taubenvätern in Deutschland, und Vorsitzender der 1925 gegründeten Reisevereinigung namens "Mittelerft". Reisevereinigungen nennen sich die Vereine im Taubensport. Es ist Donnerstag. Rund 30 Brieftaubenväter sind gerade mit dem sogenannten Einsetzen beschäftigt. Dabei registriert zuerst ein Computer die Nummer des Tieres über einen Chip am Bein der Taube. Danach kommt sie direkt in den Transportkäfig: OT 2 Wilhelm Josef Becker (Reisevereinigung Mittelerft): "Wir sind froh, dass wir unseren Sport hier durchführen können bzw. einsetzen dürfen hier in dieser Halle. Es ist eine landwirtschaftliche Halle, die haben wir ein bisschen umgebaut mit Computerraum und Schankraum und dergleichen. Jetzt wird mir angezeigt, dass ich meine Tauben einsetzen soll. 6 Weibchen." Autor auf AT 1: Konzentriert geht es in der Halle zur Sache. Schließlich steht eine Königsetappe an, eine von 14 insgesamt auf der Tour de France der Lüfte. Dieses Mal haben die Tauben mehr als 500 Kilometer im LKW vor sich. Nahe Orleans an der Loire wird am Samstagmorgen die Etappe aufgelassen, wie es heißt, also gestartet. Dafür müssen die Tauben für jeden Abschnitt neu elektronisch erfasst werden, bevor sie in ihre tierschutzgerechten Sammelboxen für den Transport kommen. Freiwillige Helfer aus der Reisevereinigung registrieren dafür jedes der mitgebrachten Tiere, egal ob Männchen oder Weibchen: OT 3 Freiwilliger Helfer (Reisevereinigung Mittelerft): "Die Taube läuft dann hier über den Sensor, und dann piepst die, und die wird dann erfasst. Jetzt können sie genau die Taube auf dem Display erkennen, welche Ringnummer und welche Chipnummer die hat. Und danach wird die dann eingesetzt." Autor auf AT 1: Veranstaltet wird diese Tour jährlich von mehreren Reisevereinigungen im Städtedreieck Aachen, Neuss, und Köln. Dafür werden zu jeder Etappe mehrere tausend Tauben eingesammelt, allein Wilhelm Josef Beckers Vereinigung kommt locker auf ein paar hundert Tiere: OT 4 Wilhelm Josef Becker (Reisevereinigung Mittelerft): "Ich schätze mal um die 500 Tauben. Die Zahl ist reduziert, weil die letzten drei Flüge waren sehr schwer. Es waren Gegenwindflüge, und auch heute wird einiges an Tauben geschont. Nicht wahr, dass die erst wieder beim nächsten Flug auftauchen. Loire ist ein weiter Flug, das sind 520, 530 Kilometer für uns." Autor auf AT 3 "LKW fährt rein": Damit der Sport überhaupt ausgeübt werden kann, ist eine riesige Logistik erforderlich. Gebraucht wird einmal ein entsprechender LKW, der einzig und alleine Tauben transportieren kann - und eben nichts anderes. Um das finanzieren zu können, leisten sich immer mehrere Vereine solche speziellen Taubentransporter. Und richten halt ihre Wettbewerbe wie bei der Tour de France der Lüfte zusammen aus. Dadurch wird das Einsammeln der Tiere eigentlich schon zu einer Rundfahrt, die es zu koordinieren gilt: OT 5 "Gespräch Wilhelm Josef Becker mit LKW-Fahrer": "Neuss haben ihr Einsatzgeschäft erledigt, wir schieben jetzt die Boxen ein. Dann fährt der LKW nach Jülich. Moment nach Horrem sagt unser Fahrer. Du fährst jetzt von hier aus nach Horrem, dann weiter...?" "Von Horrem fahre ich nach Birkesdorf, und von Birkesdorf fahre ich anschließend nach Höngen, und von Höngen fahre ich dann nach Jülich, das ist der Endpunkt. Von da aus geht es auf Strecke nach Frankreich, nach Loire. Man muss immer gucken, weil die Züchter sind sehr empfindlich. Normalerweise wenn es ein guter Flug ist, dann waren die Fahrer gut. Und wenn der Flug nicht gut ist, dann heißt es, der Fahrer war es schuld, dann wird die immer beim Fahrer gesucht." Autor auf AT 4 "Boxen in den LKW einschieben ": Von Jülich geht es dann noch in der Nacht mit zwei Fahrern Richtung Paris. Dort angekommen müssen sich die Tauben erst einmal von der Reise erholen. Deshalb beginnen die entsprechenden Vorbereitungen für diese lange Etappe schon am Donnerstag, und nicht wie üblich erst am Freitag. Denn so haben die Tauben vor Ort bis zum Start der Etappe noch einmal Ruhe, und können dort von den Fahrern versorgt werden. Bis es dann endlich losgeht, ist es für die Taubenväter eine Tortur: OT 6 "Taubenvater": "Das ist der schlimmste Tag von der ganzen Woche. Ich kann so von Freitagnacht auf Samstag, da kann ich schon nachts nicht mehr schlafen. Ja, dann heißt das im Endeffekt nur Tauben, Tauben, Tauben." "Eine noch, ja. Allet zu...? Gut." Autor: Bevor die Etappe am Samstag gestartet wird, und die Taubenväter gespannt auf ihre Schützlinge warten, lohnt sich ein Abstecher nach Essen ins Ruhrgebiet. Nicht weit entfernt vom Weltkulturerbe "Zeche Zollverein", kurz vor der Stadtgrenze nach Gelsenkirchen, liegt idyllisch auf einem alten Industriegebiet die Geschäftsstelle des Brieftaubenverbandes. Mittlerweile blickt er auf eine 130jährige Geschichte zurück. Hier geht es nicht nur um die Belange der Sportart, sondern auch um das Wohl der Tiere: In der Taubenklinik, einer weltweit einmaligen Einrichtung. AT 5 "Rundgang Taubenklinik": "Unser Wartezimmer haben Sie ja schon gesehen, dann gehen wir mal zur Taubenstation". Modern und hell präsentieren sich die Räumlichkeiten, in denen jährlich über 10.000 Tauben untersucht werden. Dr. Elisabeth Peus nimmt uns mit auf einen Rundgang: OT 7 Dr. Elisabeth Peus, Taubenklinik des Verbandes (Essen): "Das hier ist unsere Taubenstation, hier haben wir die Tauben einzeln untergebracht, dass wir sehen können, wie die Futter- und Wasseraufnahme der Tiere ist. Dass wir gezielt Medikamente verabreichen können, dass wir uns die Ausscheidungen ansehen können. Also den Kot beurteilen können, um Kotproben auch zu untersuchen. Um vor allem Dingen auch Übertragungen von einer Taube zur anderen zu vermeiden." Autor: Im letzten Jahr feierte die Einrichtung 40jähriges Jubiläum. Sie ist voll ausgestattet, den Tieren fehlt es an Nichts. Mit ihrer langjährigen Erfahrung ist die Klinik mittlerweile ein anerkanntes Kompetenzzentrum im weltweiten Taubensport. So bilden sich beispielsweise auch aus Belgien nach den Wochenenden immer Fahrgemeinschaften, um die verletzten Tiere nach Essen zu bringen. Denn hier gibt es sogar eine Röntgenstation, da es bei den Wettflügen sehr häufig zu Knochenbrüchen kommt. OT 8 Dr. Elisabeth Peus, Taubenklinik des Verbandes (Essen): "Ganz häufig lassen die Tauben die Beine ein bisschen hängen, die Jungtauben, und dann brechen sie sich im Bereich der Beine einzelne oder auch mehrere Knochen. Die werden dann mit Verbänden oder mit Marknagelungen entsprechend versorgt die Tiere. Ganz große Probleme haben wir natürlich, wenn im Bereich der Schulter Knochen gebrochen sind, weil man an den Stellen kaum so wieder fixieren kann, dass die Flugfähigkeit voll erreicht werden kann. Oder wenn im Flügelbereich sehr gelenksnah ein Knochen gebrochen ist." Autor: Elisabeth Peus zeigt noch das Labor, in dem täglich Kotproben genommen und untersucht werden. Denn die Vögel haben bei ihren Flügen sehr viel Kontakt zur Umwelt, und fangen sich so leicht Wurminfektionen ein. Und da das zu ganz deutlichen Leistungseinbußen führen kann, wird hier der Kot regelmäßig kontrolliert. Im Behandlungszimmer angekommen, geht es um einen alten Fall. Die zu behandelnde Jungtaube hatte sich vor ein paar Tagen auf einem Flug die Brust aufgerissen und blutet jetzt wieder stark aus der genähten Wunde, wie ihr Taubenvater berichtet: OT 9 Taubenvater mit Dr. Elisabeth Peus, Taubenklinik des Verbandes: "Die Taube ist wahrscheinlich irgendwo gegengeflogen und hängengeblieben, an einer scharfen Kante, an einem Draht, vielleicht an einer Hochspannungsleitung. Die Gefahr besteht ja leider immer. Die ist jetzt operiert worden, und die hat sich dann im Schlag wohl am Gitter oder am Futtertrog die Naht wieder aufgerissen." Dr. Peus: "Wir werden jetzt die Haut wieder miteinander verbinden, und die Stelle an der die Taube sich die Fäden herausgerissen hat, wieder miteinander verschließen." "Schmerzempfindlich ist die Brieftaubenhaut nicht, da braucht man nicht ganz so vorsichtig zu sein, also eine Narkose ist da nicht notwendig." Autor: Doch damit nicht genug, jetzt fängt die eigentliche Untersuchung erst an. Da das Tier momentan erheblich angeschlagen wirkt, sucht die Tierärtzin nach weiteren Problemen. Sie entschließt sich, die Jungtaube gründlich zu untersuchen, um zu sehen, wie der Bakterienbefall aussieht: OT 10 Dr. Elisabeth Peus, Taubenklinik des Verbandes (Essen): "Dann kommen Sie doch mal bitte mit der Taube zu mir hierüber. Ich werde jetzt mit dem feuchten Tupfer Abstriche direkt aus der Taube entnehmen. Und dann werden wir uns das gleich zusammen auf dem Objektträger unter Mikroskop ansehen. Die Probleme der Taube rühren jetzt daher, dass wir im Kloakenabstrich ganz geringgradig Hexamithen haben, das sind Parasiten. Die führen dazu, dass der Darm ein klein bisschen gereizt ist. Und die Taube die Nahrung nicht ganz so optimal verdaut, und sie entsprechend weniger Leistung bringt. Da gebe ich Ihnen ein Medikament mit, und dann ist die zum Wochenende wieder fit. Dann wünsche ich Ihnen Gut Flug fürs Wochenende." "Vielen Dank Frau Doktor." Autor: Zurück zum Wettbewerb der Tour de France der Lüfte. Bei Gerd Zillekens, dem Flugleiter der Etappe, brennt schon früh am Samstagmorgen das Licht: OT 11 Gerd Zillekens, Flugleiter: "Also Albert, wie sieht es aus am Auflassplatz? Gut? Sonne ist noch nicht durch, ah okay, alles klar. Wir warten noch eine Viertelstunde, kannste den anderen schon sagen, sollen sich vorbereiten, ich denke gegen 6.30 Uhr geht das." Autor: Seit 04.30 Uhr sondiert er die Wetterlage, hält telefonischen Kontakt zu den beiden Fahrern nach Frankreich an der Loire, an der heute die Königsetappe losgeht. Er will mit den ersten Sonnenstrahlen die Tauben auflassen, also starten lassen. Dann herrscht freie Sicht, denn für ihn müssen die Tiere richtig weit sehen können: OT 12 Gerd Zillekens, Flugleiter: "Ich habs immer gerne, wenn die Sichtweiten mindestens 10.000 Meter sind. Die ersten Kilometer fliegen die Tauben auf Sicht. Und wenn keine Sicht vorhanden ist, dann wird es schwierig. Die gucken ja viel weiter, als wir denken können. Ich denke mal, 50 Kilometer ist für die wahrscheinlich überhaupt kein Problem zu sehen. Und deswegen je größer die Sichtweite ist, desto besser ist die Orientierung, dann fliegen die frei. Und dann nach einer gewissen Zeit klickt irgendwo das Navi an, dann fliegen die nicht mehr auf Sicht, sondern fliegen auf Navigation: Aachen, oder Neuss, oder Bedburg." Autor: Je früher der Start erfolgt, umso besser ist der Ablauf für die später folgende Auswertung. Denn die Tauben müssen ja nicht nur im Schlag ankommen, sondern danach werden die über die Chipringe der Tiere erfassten Zeiten registriert. Dafür kommen die Taubenväter wieder zum Sitz der Reisevereinigung, wo die entsprechenden Geräte elektronisch ausgelesen werden können. Da es sich heute um eine Königsetappe handelt, und das Wetter es zulässt, setzt er den Start für halb sieben morgens fest. Dann, so rechnet Gerd Zillekens vor, werden die Tauben spätestens gegen 14.30 Uhr in den Schlägen zurück sein. Damit das klappt, muss aber einiges von ihm als Flugleiter beachtet werden. Auch um die Verletzungsgefahr für die Tiere so gering wie möglich zu halten und etwaige Hindernisse wie Strommasten oder Windräder von vornerein zu umgehen: OT 13 Gerd Zillekens, Flugleiter: "Man muss wissen über welche Hindernisse unsere Tauben hinweg fliegen. Wälder, Wasser, wenn man das nicht kennt, das muss man im Kopf haben. Das kann man nicht jede Woche nachgucken, ist da irgendwo ein Teich oder sonst was. Und da wo ich meine Tauben auflasse, ist da in der Nähe Wasser? Wer das nicht kennt, wird nie ein guter Flugleiter. Man muss den Tauben z. B. beibringen, wenn sie rechtsrheinisch wohnen, dass sie über den Rhein hinüber auf die linke Seite, oder von der linken Seite auf die Schäl Sick kommen. Das sind Hindernisse. Tauben meiden im Grunde genommen Wasser." Autor: Dabei wird für jede Taube eine Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt: Gemessen in Meter pro Minute. Sie fliegt zwischen 1150 bis 1200 Meter pro Minute. Das wiederum ergibt eine Geschwindigkeit von ca. 70 Kilometern pro Stunde. Welches Tier dabei dann die schnellste Fluggeschwindigkeit erreicht, macht seinen Taubenvater zum Gewinner eines Wettfluges. Somit ist es egal, ob eine Taube beispielsweise 40 Kilometer weiter zu ihrem Schlag fliegen muss als andere. Wenn sie während des Rennens in einer Minute die meisten Meter von allen Tauben zurückgelegt hat, gewinnt sie. Dass sie überhaupt den Weg nach Hause findet, ist selbst für Flugleiter Gerd Zillekens immer wieder ein Wunder. Dabei gilt es für den sportbegeisterten Taubenfreund auch eigene Wettbewerbsvorteile zu nutzen: OT 14 Gerd Zillekens, Flugleiter: "Man weiß ja auch nicht, wie die Taube überhaupt den Weg nach Hause findet. Wo ist dieses Organ, das die leitet. Viele sagen, das sitzt auf der Nase irgendwo. Der eine sagt rechter Nasenflügel, das sind alle Spekulationen, das weiß keiner. Aber dass sie sich orientieren an Objekten, davon bin ich von überzeugt. In Weisweiler steht zum Beispiel ein Kraftwerk. Heutzutage trainieren die Taubenzüchter ihre Tauben nicht mehr am Haus, die fahren mit denen bis Lüttich, und die können von da aus bei gutem Wetter sowieso das Kraftwerk sehen. Und die fliegen exakt auf dieses Kraftwerk zu. Und die Züchter in der Umgebung von dem Kraftwerk sind den anderen im Moment etwas überlegen." Autor auf AT 6 "Garten": Wilhelm Josef Becker wohnt weit weg von einem Kraftwerk. In seinem idyllischen Garten sitzt er am Samstagmittag auf der Terrasse in der Nähe seiner Taubenschläge, und schaut in den Himmel. Er wartet gespannt auf seine Schützlinge. OT 15 Wilhelm Josef Becker (Reisevereinigung Mittelerft): "Aussterbender Sport ist der völlig falsche Begriff. Es ist kein aussterbender Sport, aber der reduziert sich stark. Der Brieftaubensport, der wird später mal nur für wohlhabende Leute da sein, weil er ist mittlerweile so arbeitsintensiv geworden, und auch so teuer, dass sich das nicht jeder leisten kann. Da kommt der Erste. Das hätte ich nicht gedacht, jetzt um diese Zeit. Ich kann jetzt nicht sehen, welcher das ist. Das muss aber jetzt so weitergehen." Autor auf AT 7 "Ankommen Tauben": Wilhelm Josef Becker lässt plötzlich alles stehen und liegen, seine Tauben sind zurück. Anscheinend sehr erschöpft von den mehr als 500 Kilometern, die sie zurückgelegt haben. Kein Wunder: Sie sind eine Stunde früher als erwartet. Jetzt müssen die Tiere nur noch in den Schlag, damit an der Lichtschranke ihr Chip und eben die Zeit erfasst werden kann: OT 16 Wilhelm Josef Becker (Reisevereinigung Mittelerft): "Hier hinter unter dem Einlauf da sind 1, 2, 3 Antennen, und dann wird die registriert, wenn die über die Antenne läuft. Ach da ist ja das Ass, habe ich ja noch gar nicht gesehen. Das ist der Joker, ja was machst Du denn hier, hä. Ich habe dich ja gar nicht gesehen, da wahrste aber schnell. Dann wahrste aber schnell, ziemlich abgeflogen. Ah ja ich weiß, Du bist eine Gute, biste ne Gute, ja (lachen)." Autor auf AT 7 "Ankommen Tauben": Doch wie schnell sie insgesamt geflogen ist, wird sich erst bei der Auswertung im umgebauten Vereinsheim der Reisevereinigung Mittelerft zeigen. In der Scheune werden später die erfassten Zeiten aus den einzelnen Taubenschlägen zusammengeführt und ausgelesen. Dafür bringen die Taubenväter ihre extra dafür installierten elektronischen Geräte mit. Wilhelm Josef Becker als Vorsitzender setzt dafür jetzt noch die genaue Uhrzeit fest, und bespricht dafür den extra geschalteten Anrufbeantworter. Doch bevor er dazu kommt, klingelt schon das Telefon. Auch andere Taubensportler haben schon Rückkehrer in ihren Reihen: OT 17 Wilhelm Josef Becker: "Aha, weißte von sonst jemanden was...? Aha, der Adi der hat als Erster Sechs. Wo der sechs hatte, hatte ich auch sechs. Ja gut, dann muss ich jetzt überlegen, wann ich die Uhrenabgabe mache. Reisevereinigung Mittelerft Uhrenabgabe 16.30 Uhr, Ende der Durchsage. Das wars schon." Autor: Noch 2 Stunden bleiben. Heinz-Willi Ritz kennt die Unruhe in dieser Situation, das gespannte Warten. Er gilt als Tauben-Papst, und wohnt nicht weit von Pütz in Jüchen bei Grevenbroich. Wie es dazu kam ist eine lange Geschichte, aber gerade in Asien wird er als Taubenflüsterer vom Niederrhein verehrt. Seit den 80ziger Jahren suchen vor allem Asiaten seinen Rat, denn dort gilt der Sport als Statussymbol der Reichen. Der Zufall machte Heinz-Willi Ritz dann eben auch dort zu einer Ikone: OT 18 Heinz-Willi Ritz, Taubenpapst: "Da war der Vorsitzende von dem Klub da in Bangkok, ich soll auch mal die Tauben angucken. Und dann ging ich in den Schlag, und da sag ich, die Taube da soll er Geld drauf spielen, die kommt morgen zuerst. Die sah gut aus, die strahlte Gesundheit aus, und dann setzte er auch, und dann machte die tatsächlich den Ersten, und gewinnt weiß ich wie viel Geld, und noch einen Goldbarren. Da war der Mann ganz verrückt, so spricht sich das dann rum. Ist auch viel Glück dabei." Autor auf AT 8 "Rausgehen in Taubenschlag": Heute ist sein Freund Emidio Fernandes zu Gast, und wie immer wird diskutiert, welche Attribute eine Flugtaube mitbringen muss, um erfolgreich zu sein. Heinz-Willi Ritz nimmt schließlich Tauben in seine Hände, die schon einmal 100.000 Euro oder mehr gekostet haben. Sein eigener Rekord für eine Taube hört sich dagegen moderat an: 65.000 DM hat er einmal für ein Tier ausgegeben. Das war seine bisher höchste Investition. Denn die Taube brachte alles mit, was sie haben sollte: 19´15 OT 19 Heinz-Willi Ritz, Taubenpapst: "Ja ich habe gerne bei einer Taube hier die Oberhand vom Flügel schön gepolstert, dick, Muskeln, darf nicht zu lang sein hier dieser Knochen, der muss ganz eng am Körper liegen. Und dann habe ich gerne, wenn man die so packt, dass die die Füße nach hinten streckt. Wie die das jetzt hier macht, und auch ein bisschen drückt. Wenn die jetzt so macht, den Schwanz so fächert und so hoch, kann man vergessen, muss man aussortieren. Die hat nicht die Qualität Sonntag für Sonntag gut zu fliegen. Die hat dann keine Chance." Emidio Fernandes: "Man sagt ja auch immer, wenn man die Taube an der Brust hält, und die dich mit dem Schwanz erschlägt, ist das keine Reisetaube (lachen)." Autor auf AT 9 "Taubenschlag": Seine Erfahrung gibt Heinz-Willi Ritz gerne an jeden weiter, der seine Hilfe in Anspruch nimmt. Mit 75 Jahren freut er sich auch darüber, wenn eben Tauben von anderen Züchtern, die seine Expertise in Anspruch genommen haben, "Preis machen" wie es heißt. Also im ersten Drittel landen. Doch auch er merkt, dass der Sport kurz davor ist auszusterben. Das bereitet ihm große Sorge. OT 20 Heinz-Willi Ritz, Taubenpapst: "Viele Züchter hören auf wegen der Raubvogelplage. Da ist der Wanderfalke, der Habicht, und der Sperber. Heute Morgen die hat am Samstag noch Preis die Taube, und heute morgen hat er sie mir weg geholt. Ich lasse sie heraus, und komme aus dem Schlag, da sitzt er schon drauf, und nimmt sie mit. Aber so ist das, wenn man jetzt nicht aufpasst, ist das jeden Tag eine. Und manche Züchter, die dann noch in Gebiete wohnen, wo noch mehr davon sind, die hören auf. Und das ist unser größter Feind, den wir im Moment haben." Autor: Noch versucht Ritz soviel Wissen, wie möglich weiterzugeben. Doch auch er weiß: Tauben sind in Deutschland eben aus der Mode gekommen. Die Zukunft des Sports liegt in Asien. Ab hier auf AT 10 "Vereinsheim": Mittlerweile sind auch die Mitglieder der Reisevereinigung Mittelerft in Pütz in ihrer Scheune, dem Vereinsheim angekommen. Jetzt wird es spannend, die Auswertung läuft. Jeder Taubenvater hat aus seinem Schlag nun das Gerät mit, das die Chips der Tiere registriert, und damit eben die Zeit nimmt. Dieses elektronische Datengerät wird von einem Computer ausgelesen, und die Ergebnisse direkt mit Hilfe eines Beamers nebenan im Schankraum an die Wand geworfen. Darum kümmert sich wie immer ein Freiwilliger aus der Reisevereinigung: OT 21 Helfer: "Das sind die Geräte, die die am Donnerstag beim Einsetzen kommen die ja hierhin. Die Tiere haben ja alle diesen Chip, die werden hier ausgelesen. Und dann gehen die nach Hause und stellen das Gerät auf Konstatieren. Das heißt wenn die Taube kommt, zeigt die die Nummer an: Stunde, Minute, Sekunde, alles komplett an. Und jetzt lese ich die aus. Dann sehen die dann auf dem PC bzw. auf dem Beamer auf dem großen Ding, wann wo ihre Tauben stehen. Vom Ersten bis zum Letzten." Autor auf Atmo 11 "Vereinsheim II": Im Schankraum sitzen jetzt alle zusammen, und diskutieren die Ergebnisse, und wer mit seinen Tauben im ersten Drittel des Teilnehmerfeldes platziert ist. Der ganze Aufwand der Woche wird jetzt an der weißen Wand in nackten Zahlen präsentiert. Aber irgendwie scheint das Ergebnis nicht ganz wichtig. Viel mehr ist schon wieder eine gewisse Sehnsucht zur nächsten Etappe der Tour de France der Lüfte am nächsten Wochenende zu spüren. Verbunden ist damit die Hoffnung auf mehr Erfolg und auf einen guten Flug: OT 22 Wilhelm Josef Becker und Mitstreiter: "Erst einmal ist man hoffnungsfroh, aber dann wird man hier auf die Realität zurückgesetzt. Taubenzüchter sind im Grunde sehr positive Leute, die schon drei Stunden nach dem Flug schon wieder an nächste Woche denken." "Gut Flug, Gut Flug, Gut Flug!" Ende. 1