COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio / Funkhaus Berlin benutzt werden. O-Ton & Sprecher 2 When one celebrate the birthday of 60... "Wenn jemand seinen 60. Geburtstag feiert, steht nicht immer alles zum besten. Manche leiden schon mit 60 an Altersschwäche. Bei Israel scheint das der Fall zu sein." Autor: Israel Harel. O-Ton & Sprecher 1 I think that one of the most important things is... "Ein großes Problem ist, dass Israel nicht anständig geführt und gemanagt wird. Es ist eines der am schlechtesten regierten Länder der Welt." ...and it's not managed. Autor: Tsur Shezaf. O-Ton & Sprecherin I am not optimistic too much... "Ich bin nicht zu optimistisch. Aber ich gebe der Geschichte eine faire Chance, wenigstens das, denn ich möchte mich nicht gegen die Hoffnung sperren." ...block myself against hope. Autor: Nava Semel. Musik (Nehama Reuben, "Psaume 23") dazu Atmo (Versammlungsgemurmel in einem Saal, Türenschlagen) Autor: August 1897. In Basel findet der erste Zionistenkongreß statt. Eingeladen hatte der Wiener Journalist und Schriftsteller Theodor Herzl. Im Jahr zuvor war seine programmatische Broschüre "Der Judenstaat" erschienen. Sie wurde das Gründungsmanifest der zionistischen Bewegung. Theodor Herzl propagierte darin einen uralten Traum: die Schaffungung eines jüdischen Gemeinwesens, eines unabhängigen, modernen jüdischen Staates. Musik (Nehama Reuben, "Psaume 23") Autor: Der Architekt und Geburtshelfer der neuen nationalen Bewegung war zuversichtlich, dass sein Traum, jüdische Identität in einem nationalen Rahmen zu rekonstruieren, Realität werden würde. Er notierte in sein Tagebuch: Sprecher 0 "Fasse ich den Baseler Congress in ein Wort zusammen - das ich mich hüten werde öffentlich auszusprechen - so ist es dies: in Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universelles Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in fünzig, wird es jeder einsehen." Autor : Herzls prophetische Selbsteinschätzung war präzise. Genau fünfzig Jahre später, im November 1947, beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York, Palästina in zwei unabhängige Staaten, einen arabischen und einen jüdischen, zu teilen. Ein halbes Jahr darauf, am 14. Mai 1948, proklamierte David Ben Gurion in Tel Aviv den Staat Israel. Atmo (Rede David Ben Gurion) dazu mischen Musik ( Hatikva) ausblenden, dann Atmo (Verkehrsgeräusche ) übergehen zu Atmo (Marktatmosphäre, hebräische Gesprächsfetzen, Musik im Hintergrund) Autor : Israel heute. Ein sonniger Tag auf dem Markt von Tel Aviv. Geschäftiges Treiben, Händler preisen ihre Waren an. Das Wochenende steht bevor. Ein paar Ecken weiter erstreckt sich zwischen Meer und hoch aufschießenden Hotelbauten die Strandpromenade. Alte und junge Großstaädter treffen sich hier. Sie flanieren und flirten. Die Jungen und diejenigen, die sich dafür halten, joggen. Die Älteren machen gymnastische Übungen. Andere genießen Schischa rauchend den Blick auf das Wasser oder spielen Beachball. Atmo (Meeresrauschen, einzelne Stimmen, das trockene "Ploppen" des kleinen Gummiballs, den man sich mit Holzschlägern zuspielt) Autor: Weder Theodor Herzl, noch Israels erster Ministerpräsident David Ben Gurion, konnten sich wirklich vorstellen, wie Israels Alltag 2008 aussehen würde. Das Land ist erfolgreich. Seine Wirtschaft boomt, es hat Hunderttausende Einwanderer aus aller Welt integriert. Gleichzeitig scheint Israel in einem anhaltenden Kampf mit seinen Nachbarn gefangen zu sein. Teile der arabischen Welt betrachten den jüdischen Staat als Feind, als postkoloniales Vermächtnis der Europäer, die Juden als Eindringlinge. Denn vierzig Jahre schon ist Israel auch Besatzungsmacht im Nahen Osten - ohne große Hoffnung auf einen haltbaren Frieden mit den Palästinensern. Einer, der zwischen beiden Parteien hin- und hergerissen ist, ist Sayed Kashua: Schriftsteller, Drehbuchautor, Israeli und Araber. Auf Hebräisch schreibt er jede Woche eine Kolumne für die angesehene Tageszeitung "Ha'aretz". Mit seiner Familie spricht er Arabisch. Von über sieben Millionen Israelis sind ein Fünftel Araber. Sie leben im israelischen Kernland, besitzen einen israelischen Pass und stellen Abgeordnete in der Knesset. Sayed Kashua gehört zu dieser ethnischen und politischen Minderheit. Er ist Anfang Dreißig. Ein schöner Mann mit traurigen Augen.Zumindest auf dem Papier hat er dieselben Rechte wie jeder jüdische Israeli. Der Moslem mit Vorliebe für Whisky und Wein wurde 1975 in einem kleinen arabischen Dorf im Norden des jüdischen Staates geboren. Die Problematik ambivalenter Existenz ist zentraler Ausgangspunkt seines literarischen Schaffens. Atmo (Baulärm,Verkehr) Autor: Kashua schildert eindringlich das Dilemma der palästinensischen Israelis zwischen Loyalität, Enttäuschung und Angst. Er erzählt vom anstrengenden Dasein im Spagat, von einem Balanceakt zwischen zwei wackeligen Stühlen. Der Autor hat im Westteil Jerusalems, unweit der großen Synagoge, seinen Arbeitsraum. Kahle Wände, zwei Stühle, ein Schreibtisch. Darauf ein Laptop, eine leere Tasse, in der noch ein ausgequetschter Teebeutel hängt, ein voller Aschenbecher. Die Fenster des Raumes sind geöffnet, draußen fahren Autos über die belebte King George Straße. "Bat Shalom", eine israelische feministisch-jüdisch-palästinensische Friedensorganisation hat hier ihr Büro. Alle Stühle - bis auf die beiden in Kashuas Zimmer - sind lila. O-Ton & Sprecher 1 They love my writings and they agreed to give me this room for writing... " Sie mögen halt meine Sachen und haben mir diesen Raum zum Schreiben gegeben. Ich bin auch ab und an zu den Parties hier eingeladen und gehe da auch hin, aber, glaube mir, es ist nicht ganz einfach, Teil einer linken, feministischen Bewegung zu sein." ... but I enjoy it very much. Autor: Den Unabhängigkeitstag, Israels sechzigsten Geburtstag, wird Sayed Kashua nicht groß feiern. Zu stark ist seine Abneigung gegen Nationalismus jeglicher Art. O-Ton & Sprecher 1 I can't escape from beeing an Arab and minority... "Ich werde das Gefühl, Araber zu sein und zu einer Minorität zu gehören nicht los. Ich kann bestimmte Dinge nicht so auf die leichte Schulter nehmen wie die meisten Leute hier. Ich kann nicht verstehen, warum es Menschen gibt, die eine Fahne brauchen, um sich damit zu bedecken. Ich weiß nicht, welche Art Freude jemand am Unabhängigkeitstag empfindet. Und ich möchte niemals den Unabhängigkeitstag irgendeines Landes feiern, zu dem ich gehöre. Das ist einfach zu bescheuert. Ich brauche solche Sachen nicht. Was ich brauche sind ein paar Freunde und ein Leben, das nicht so gefährlich ist." ...and a not dangerous life. That's it. Musik ( The Yuval Ron Ensemble "Hanoded") Autor: Herzls Traum vor mehr als hundert Jahren war gewaltig. Oder vielleicht vermessen - denn Araber kamen nicht darin vor. Obwohl die ersten zionistischen Pioniere ein Land betraten, dass von Arabern bewohnt war. Der Traum des arabischen Israelis Sayed Kashua, nimmt sich recht bescheiden aus O-Ton & Sprecher 1 Maybe I have this dream that one day... "Vielleicht träume ich nur davon, dass eines Tages ein israelischer Führer kommt und sagt: Erstmal entschuldigen wir uns. Das wäre der Politiker mit dem Zauberwort. Es ist ein bisschen wie nach einem Streit bei Kindern. Man entschuldigt sich, dass man Mist gebaut hat. Ich glaube, das magische Wort ist: Sorry. Es tut uns leid." ...sorry about what happened. Musik ( The Yuval Ron Ensemble "Hanoded") Autor: Israel ist nach sechzig Jahren zutiefst widersprüchlich und zum Teil tief gespalten. Interessenskonflikte ethnischer Gruppen, religiöser und säkularer Bevölkerungsschichten, die Verrohung einer Gesellschaft, die seit vierzig Jahren Besatzungsmacht ist, der Verlust eines ideologischen Zusammenhalts im Zeitalter von Individualismus und Globalisierung gefährden seine Einheit, stellen seine jüdische Identität infrage. Der verbindende Schwung und das Ethos der Gründerjahre sind dahin. Dieser Zustand beschäftigt Israel Harel. Er ist der Vorsitzende des "Instituts für zionistische Strategien". Es liegt im 11. Stock eines Hochhauses am Stadtrand von Jerusalem. Atmo (Verkehr & Taxifahrt innen, Fahrer spricht Hebräisch) Autor: Um vom Arbeitsplatz Sayed Kashuas bei der Friedensorganisation "Bat Shalom" zu Harel zu kommen, braucht es nur eine Taxifahrt von ungefähr einer Viertelstunde. Und doch liegen Welten zwischen den beiden Israelis, die als Kolumnisten für dieselbe Zeitung arbeiten. Sayed Kashua ist für Israel Harel in erster Linie ein Araber. Als junger Fallschirmspringer hatte der heute 65 jährige Harel im 6-Tage-Krieg Ost-Jerusalem erobert. Das Feindbild von damals hat sich nicht verändert. O-Ton & Sprecher 2 They are a special group. They are not part and they don't want to be part. They belong to a different nation... "Sie sind eine besondere Gruppe. Sie gehören nicht dazu und wollen das auch gar nicht. Diese Minorität von 20 Prozent ist mit Hunderten von Millionen verbunden, die uns umgeben. Natürlicherweise werden sie sich nicht mit uns vermischen. Obwohl in Israel selbst eine Minderheit, fühlen sie sich psychologisch und kulturell als Teil einer Mehrheit. Und wir, die 80 Prozent sind die Minderheit. Manchmal beteiligen sie sich auch an Terrorakten. Würden sie nicht mit unseren Feinden zusammenarbeiten, könnte man ihnen trauen. Aber weil sie es tun, trauen wir ihnen nicht." ...they are not trusted... Autor: Harel ist ein kleiner, kräftiger Mann, dem das Wohl seines Landes erkennbar am Herzen liegt. Er ist nationalreligiöser Parlamentsabgeordneter und prominenter Vertreter der israelischen Siedlerbewegung. In seinem spartanisch eingerichteten Büro entwerfen er und seine Mitarbeiter Szenarien für die Zukunft der Juden in Israel. O-Ton & Sprecher 2 An end can only come from within... "Ein Ende des Staates kann nur von innen her kommen. Dadurch, dass wir unsere nationale Solidarität verlieren. Denn unser Lebensstil und unser ökonomisches Verhalten erzeugen eine große Kluft zwischen Arm und Reich. Israel ist immer noch ein Land vieler Einwandererminoritäten. Und diejenigen, die zuletzt kommen, haben nie die Mittel und Möglichkeiten derjenigen, die vor ihnen schon da sind. Wenn es also schon aufgrund wirtschaftlicher Verhältnisse an Solidarität mangelt, ist man auch nicht entschlossen genug so für sein Land zu kämpfen wie man es immer noch tun sollte. Wir sehen das beim obligatorischen Militärdienst. Mit jeder Menge Tricks findet eine große Anzahl von Wehrpflichtigen Möglichkeiten nicht zu dienen. Denn sie haben kein Gefühl mehr für Solidarität. So etwas lässt das Land kaputtgehen." ...this can bring to the collapse. Autor: Harel beschwört die Ideale der zionistischen Pioniere. Ihre Anspruchslosigkeit, ihr Gemeinschaftsgefühl, ihre Moral. Das moderne, säkulare, kapitalistische Israel ist sein Land nicht. O-Ton & Sprecher 2 Israel should take care more of itself... "Israel sollte besser mit sich umgehen und darauf achten wie es seinen Alltag gestaltet. Mit anderen Worten, es sollte als erstes eine Diät machen. Ich glaube, das würde unserem nationalen Leben sehr gut tun. Manchmal möchten wir in kürzester Zeit etwas aufholen, was wir für lange Zeit über die Jahre der Verbannung hinweg entbehrt haben. Aber das geht nicht. Wenn man zu viel isst, zuviel konsumiert, ruiniert das nicht nur den Körper, sondern auch die Seele." ..it ruins your soul too and not only your body. Musik (Tova Porat "Raboty Hahistoria Chozeret") Autor: Kaum ein Schriftsteller in Israel teilt die Einstellung Harels. Dessen Betonung des Nationalen in Verbindung mit religiös begründeter Spiritualität unter Ausgrenzung der Araber würde Israel zu einem Eiland in einer säkularen und globalisierten Welt machen. Wenn man es weniger lyrisch ausdrücken möchte: zu einem Schtettl, einem Ghetto - aus dem die ersten Zionisten ja gerade ausbrechen wollten. Atmo (Verkehr) O-Ton & Sprecherin I think the dream of our forefathers... "Der Traum unserer Vorväter, die Israel tatsächlich gegründet haben, war es doch gerade, eine Nation unter anderen Nationen zu sein, akzeptiert vom Rest der Welt." Autor: ... sagt Nava Semel. Die quirlige Lyrikerin, Roman-und Kinderbuchautorin wurde in den 50er Jahren in Israel geboren und liebt gerade Israels Vielfalt. Sie frühstückt in einem Cafe an einer belebten Straßenecke im Norden Tel Avis, bevor sie ins Theater muss. Einer ihrer Romane wird dort gerade auf die Bühne gebracht. Für Nava Semel prägt die hebräische Sprache mehr als der Staat an sich das israelische Gemeinschaftsgefühl. O-Ton & Sprecherin There is definetely something which can be called israeli identity... "Es gibt eine israelische Identität und ich bin fest davon überzeugt, dass das der größte Erfolg ist. Sie ist ein Wunder und möglich durch die erfolgreiche Wiederbelebung der hebräischen Sprache. Denn Hebräisch war ja die Sprache der Bibel und über 2000 Jahre lang ein Schneewitchen. Es wurde aber nicht durch den süßen Kuss eines Prinzen aufgeweckt, sondern durch die brutalen Schläge der Geschichte." ...by brutal blows of history... Autor: Israelische Identität zeichnet sich für Nava Semel, Tochter mitteleuropäischer Holocaustüberlebender, durch zwei - scheinbar widersprüchliche - Komponenten aus. Eine nennt sie "jüdische Gene". O-Ton & Sprecherin It has to do with the feeling which I specifially identify in myself... "Das hat mit einem Gefühl zu tun, das ich besonders auch in mir finde. Dass die Welt ein gefährlicher Platz ist. Dass alles, was man in Händen hält, einem jederzeit weggerissen werden kann. Dass man sich auf einer dünnen Eisschicht bewegt und einen die Erde urplötzlichverschlucken kann. Auf der anderen Seite gibt es das "israelische Ethos". Das hat uns zu einem unabhängigen Volk gemacht, zu Kämpfern, Kriegern, aufmerksam, clever, in gewisser Weise auch paranoid: "schön aufpassen, da könnte was passieren, sitz nicht in deinem Wolkenkuckucksheim." ...and think that everything is fine. Atmo (Handy läutet, Semel spricht Ivrit) Autor: Vertrauen in Israels Zukunft nimmt Nava Semel aus der multikulturellen Alltagsrealität des Landes. Ganz pragmatisch, auch im Hinblick auf den Konflikt mit den Palästinensern. Juden und Araber gehören für sie zur selben Familie. O-Ton & Sprecherin We have so many different kinds of families... "Es gibt hier so viele unterschiedliche Familienmodelle: Zwei Schwule ziehen ein Kind groß, zwei Lesben haben zusammen eins, zwei andere Frauen erziehen gemeinsam vier Kinder.... ich habe keinen Ahnung, was für Konstellationen es noch alles gibt. Lasst uns das einfach als Modell des Zusammenlebens und des Teilens nehmen. Wir müssen dabei nicht irgendwelchen Klischees folgen, wie gute Nachbarn oder Brüder sich zu verhalten haben. Lasst uns eine neue Art von Beziehung finden. Wobei die natürlich darauf basieren sollte, dass wir teilen müssen. Was zurück geht auf Ben Gurion, den frühen Zionismus, die Gründungsväter des Staates und ebenso auf die UN-Resolution." ...and of course the UN resolution, the original resolution. Musik (The Idan Raichel Project "Im Tachpetza") Autor: Die UN-Resolution vom November 1967 fordert Israels Rückzug aus den Gebieten, die es während des Sechs-Tage- Krieges besetzt hatte. Da war der jüdische Staat gerade einmal zwanzig Jahre alt. Inzwischen hat er Land annektiert, Hunderte von Siedlungen, Straßen und eine über siebenhundert Kilometer lange Sperranlage errichtet. Als Arbeitskräfte sind Palästinernser dabei willkommen, ansonsten ausgegrenzt. Wen wundert es, dass Israel in seinem sechzigsten Jahr Nach einer Umfrage der BBC auf der Liste der beliebtesten Länder der Welt den vorletzten Platz einnimmt. Nur Pakistan ist noch weniger gut angesehen. Ausgelassene Feierstimmung kommt da zum sechzigsten Geburtstag nicht auf. Musik (Chava Alberstein "End of the holiday") Autor: Abraham B. Yehoshua will trotzdem feiern. Er ist, wie die israelische Tageszeitung "Ha'aretz" unlängst spöttelte, neben Amos Oz und David Grosman, einer der "drei Tenöre" der hebräischen Gegenwartsliteratur. Mit Preisen hoch dekoriert, international bekannt, in 28 Sprachen übersetzt. Mit seinen über siebzig Jahren ist Yehoshua immer noch voller Energie. Das B. in seinem Namen steht für "Bully". Atmo (Quietschen & Zischen einer anhaltenden Lok) Autor: Bahnstation Tel Aviv. Zwischen zwei fünfspurigen Stadtautobahnen hält hier der Zug nach Haifa. In der Hafenstadt im Norden des Landes lebt der als Sohn sephardischer Juden in Jerusalem geborene Yehoshua seit gut vierzig Jahren. Atmo (Stationsansage auf Hebräisch, Abfahrt Zug) Atmo (Vogelgezwitscher, Wind, ein einsames Auto fährt vorbei) Autor: Abraham B.Yehoshua wohnt mit seiner Frau über der Stadt, auf dem Carmel. Von diesem Berg aus kann man die Bucht von Haifa sehen und bei gutem Wetter bis in den Libanon. Haifa ist eine gemischte Stadt. Hier leben jüdische und arabische Israelis seit je her friedlich zusammen. O-Ton & Sprecher 2 Haifa in the beginning forty years ago when we started, this was really a place... "Als wir vor vierzig Jahren hierher kamen, haben wir uns gleich wohl gefühlt. Das Meer und die Berge, die beiden Charakteristika von Tel Aviv und Jerusalem sind vereint, die vielfältige Atmosphäre von Haifa - das ist wunderbar. Araber leben hier und religiöse Juden. Das ist die normalste Stadt im ganzen Land. Ich wünschte Israel wäre wie Haifa." ...this is what I wish that Israel will be... Autor: Jehoschua hat die hebräische Gegenwartsliteratur entscheidend mitgeprägt. Er gehört zur Generation der Schriftsteller, die, im Land geboren, in den frühen 60-er Jahren auf Distanz zur zionistischen Bewegung gingen. Das Innenleben ihrer Protagonisten interessierte sie mehr als die ideologischen Vorgaben des Kollektivs. Jehoschua nahm Einflüsse westeuropäischer Literatur auf, von Kafka, Camus, auch von den amerikanischen Autoren. Die "New York Times" nannte ihn einen "israelischen Faulkner". Keine zionistischen Heldenstereotypen bevölkern seine Romane, vielmehr rücken oft melancholische, gebrochene Charaktere in den Mittelpunkt. Sie führen einsame Existenzen, sind Außenseiter, repräsentieren Randgruppen. Sie bilden die zunehmend disparate israelische Gesellschaft ab und die Heterogenität ihrer Kultur. So war Yehoshua auch einer der ersten Schriftsteller, der in seinen Romanen Palästinensern eine Stimme gab. In dem Roman "Der Liebhaber" versetzt sich Yehoshua in die Psyche eines Arabers. Der offiziellen Politik Israels steht der Autor skeptisch gegenüber. Seit langem schon unterstützt er die Friedensbewegung und plädiert für eine Zwei-Staaten-Lösung, einen israelischen, einen palästinensischen Staat. O-Ton & Sprecher 2 But it seems that become more and more difficult to execute it... "Aber es scheint immer schwieriger zu werden, diese Lösung umzusetzen. Wir spüren das und auch die Palästinenser. Zum ersten Mal haben alle wieder das Gefühl, dass nur eine externe Macht beiden Seiten diese Lösung aufdrängen kann. Aber das muss äußerst behutsam geschehen, wie die Trennung von siamesischen Zwillingen.Und wir haben Angst vor einem Bürgerkrieg, wenn es soweit sein sollte, diese Trennung zwischen uns und den Palästinensern zu vollziehen. Wenn man die Leute auf der Straße fragt, werden sie nicht viel dazu sagen. Sie beschäftigen sich immer weniger mit Politik. Niemand weiß mehr, was politisch rechts, was links ist. In gewisser Hinsicht vermischt sich alles. Das ist die Situation, wie ich sie zu Israels sechzigstem Geburtstag sehe."...on the 60th anniversary of Israel. Autor: Yehoshua, der auch als Professor an der Universität von Haifa lehrt ist überzeugt von seinen Ansichten und lässt sich manchmal vom eigenen rhetorischen Temperament mitreißen. Obwohl er die Gründung des Staates für ein Wunder und eine Erfolgsgeschichte hält, beklagt er dessen heutigen Zustand: O-Ton & Sprecher 2 The fact that here were two systems here. .. "Es gibt hier zwei verschiedene Werte-Systeme. Das eine gilt für das demokratische Israel, das andere für die besetzten Palästinensergebiete. Es gibt bestimmte Verhaltenskriterien auf der einen und der anderen Seite. Wir haben gedacht, man könnte einfach trennen zwischen dem was hier und dem was dort geschieht. Aber Korruption und Ungerechtigkeit, die in den Palästinensergebieten stattfinden, haben unsere Gesellschaft infiltriert."...have infiltrated to the society. Autor: Yehoshua glaubt nicht mehr, dass die USA den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern lösen können. Auch nicht, dass man sich noch lange Zeit lassen sollte. Kommt es nicht bald zu einer Zwei-Staaten-Lösung, wird es irgendwann einen binationalen Staat mit mehrheitlich nichtjüdischer Bevölkerung geben. Trotz Sympathie für die Palästinenser - für Yehoshua ein Alptraum. O-Ton & Sprecher 2 Who can imagine that these two people who are different... "Wer kann sich vorstellen, dass diese beiden Völker, unterschiedlich von ihrer Religion her, ihrer Geschichte, völlig verschieden hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Lage, einen einzigen Staat bilden? Und dann sind die Palästinenser mit der arabischen Welt verbunden und wir mit der jüdischen. Die palästinensischen Flüchtlinge kommen auch alle zurück - das ist tatsächlich eine Eintrittskarte in die Hölle."...and all it is a recipe for really hell. Autor: Yehoshua, der auch im Ausland, einige Jahre davon in Paris, an Hochschulen gelehrt hat, setzt seine Hoffnungen auf die Europäer. Von ihnen erwartet er Unterstützung. Nicht in Form von Geburtstagsreden, sondern als konkretes Eingreifen. O-Ton & Sprecher 2 "Frau Merkel muss das nicht allein machen. Es muss ein gemeinsamer Plan der Europäer sein. Zusammen mit Sarkozy soll sie Israel zuerst klarmachen, dass die Siedlungen illegal sind. Viele hier wären glücklich, wenn Europa uns sagen würde: Tut das nicht. Tut dies nicht. Baut nicht in Ost-Jerusalem, baut nicht weiter in den besetzten Palästinensergebieten." ...don't continue to build in the territorries. Musik ( Bach, Musikalisches Opfer) dazu Atmo (elektr. Säge, Baulärm) Autor: Yehoshuas Vorstellung, die Europäer könnten den Nahen Osten in eine friedliche Zukunft führen, würde bei seinem Kollegen Yitzhak Laor vermutlich höhnisches Gelächter auslösen. Der findetYehoshuas Haltung gegenüber den Palästinensern chauvinistisch. Laor, Sohn eines aus Bielefeld vertriebenen jüdischen Sozialdemokraten wurde im Jahr der Staatsgründung geboren. Auch er wird in diesem Jahr sechzig. Musik ( Bach, Musikalisches Opfer, Nr. 3) Autor: In seiner Wohnung im Tel Aviver Norden hört Yitzhak Laor Bach, während im Nachbarhaus Renovierungsarbeiten vorgenommen werden. Laor ist bekannt als Lyriker, Essayist und Herausgeber des politischen Magazins "Mita'am", in dem der Zionismus radikal infrage gestellt wird. In Deutschland sind zwei Romane Laors erschienen. "Gitter, Steine, Stimmen" und Ecce homo". Der Autor, humanistisch gebildet und provozierend, ist einer der eigenwilligsten der hebräischen Gegenwartsliteratur. Ein ätzender Kritiker seines Landes, entschiedener Gegner der israelischen Besatzungspolitik. Er kommentiert sie in seinen Artikeln. In seinen Romanen bildet er israelische Gegenwart kaleidoskopisch ab. Laor, der Moralist, zeigt Israel als Farce, über die niemand mehr lachen mag. In den Augen mancher Israelis macht ihn das zu einer Persona non grata. O-Ton & Sprecher 2 Look: my writing is very oppositional, very contradictory... "Mein Schreiben ist ausgesprochen widerständig, es widerspricht. Ironischerweise habe ich eine Menge von der deutschen Literatur gelernt: Kleist, Brecht, Fassbinder. Sie alle haben mich mehr beeinflusst, als die israelische Literatur. Die Ironie ist nur, dass bei Lesungen in Deutschland, für die mein Schweizer Verleger Passagen ausgesucht hatte, die komisch waren, niemand lachen konnte." Autor: Laor selbst lacht gerne. Es ist ein bitteres, sardonisches Lachen. Wenn man ihn über die Zukunft seines Landes befragt, vergeht selbst das. O-Ton & Sprecher 2 Always time is open, so there is a future... "Es gibt eine Zukunft, denn die Zeit selbst hat ja kein Ende. Aber die Zukunft dieses Landes, egal was auch passieren mag, ist so unmoralisch, zutiefst unmoralisch, dass mir das schlimmste Szenario vorschwebt. Ohne irgendeine Hoffnung auf Veränderung. Wenn ich etwas tu, dann nur, um mich nicht von dieser abgrundtief unmoralischen Situation kleinkriegen zu lassen."...not be chanced by this deeply immoral situation. Autor: Unmoralisch ist für Yitzhak Laor Israels Politik gegenüber den Palästinensern. Für ihn purer Kolonialismus. Er spricht vom "Ghetto" Gaza und vom Hunger in den besetzten Gebieten. Er prangert das Wegschauen der Europäer an, die in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem betroffen Kränze niederlegen, über Demokratie reden, doch nicht hinsehen, was hinter der Mauer geschieht, mit der sich Israel von den Palästinensern abgrenzt. O-Ton & Sprecher 2 Europe has been always a cynical place... "Europa war immer schon zynisch. Das hat sich nicht geändert. Wir, die hier aufgewachsen sind und großgezogen wurden von Eltern, die aus Europa fliehen mussten, wir haben gelernt, wie zynisch Europa ist. So wie man dort vor achtzig, neunzig Jahren den Juden die kalte Schulter gezeigt hat, so zeigt man sie heute den Palästinensern. Die Israelis haben die gleiche Einstellung, denn sie entspringt derselben Quelle: der mitteleuropäischen Idee von Demokratie, die immer mit ethnischer Einheitlichkeit zu tun hat, mit einer Definition von Volk, das ethnisch homogen zu sein hat." ...with homogenous ethnicity. Atmo ( Handyklingeln = Melodie "Die Internationale", Laor spricht Ivrit) Autor: Bach auf dem CD-Player und "Die Internationale" als Erkennungsmelodie auf dem mobilen Telefon - die Persönlichkeit des Autors Yitzhak Laor ist kaum passender zu beschreiben als im Zusammentreffen dieser beiden musikalischen Welten. Metaphysik verbindet sich da mit der Tugend der Solidarität, Moral mit kämpferischen Willen. Eigentlich trägt Laor die Ideale der zionistischen Pioniere in sich. Musik (Bach, Adagio, Sonata Nr. 1 g-moll) gemischt mit Musik (Die Internationale) O-Ton & Sprecher 2 My father, he taught me this song. In German... " Mein Vater hat mir dieses Lied beigebracht. Auf Deutsch. Es war Deutsch wie man gehört hat. Mein Vater hatte noch die Möglichkeit, Zionist und Patriot zu sein. Und mir zugleich auch den Hass auf jeglichen Rassismus einzupflanzen. Ich will zusammenfassen: in erster Linie möchte ich verhindern, das mein Sohn hier aufwächst. Das ist das einzige was mich an der Zukunft interessiert und was es darüber zu sagen gibt. Meine Literatur ist mir egal. Aber ich möchte meinem Sohn eine Chance geben, sich moralisch zu verhalten, empfindsam auf andere einzugehen, sensibel zu sein für die Rechte eines anderen Volkes und sein Leben zu genießen. Da das hier zusammen nicht geht, muss ich ihm die Möglichkeit geben, diesen Ort zu verlassen. Er hat einen europäischen Pass. Er lernt Französisch. Ich bete jede Nacht, dass er eines Tages dieses Experiment hier hinter sich lässt. Ich bleibe. Ich kann nicht anders. Ich weiß nicht, wohin ich gehen sollte. Was kann ich schon tun? Hebräisch unterrichten an irgendeinem deutschen Gymnasium? Da wird man lieber irgendeinen Amos Oz nehmen, so jemand, der sagt, alles läuft prima, die Vergangenheit ist schief gelaufen, die Gegenwart läuft schief, aber die Zukunft: super. Ich bin da nicht ganz so sicher." ... so I am not sure Musik (Nurit Galron "Acharenu ha mabul" ) Sprecherin (ZITAT) "Nein, erzähl mir nichts über ein Mädchen, das sein Auge verloren hat, da komme ich nur schlecht drauf.... Ich habe keine Zeit für Leute, die unterdrückt und eingesperrt werden, und ich will mich auch nicht darum kümmern, was in den Gebieten da passiert... Lass uns Liebe machen, lass uns das Leben leben, Tel Aviv, Tel Aviv, das ist Leben..." Musik (Nurit Galron "Acharenu ha mabul" Nr. 7) Autor:...singt Nurit Galron in ihrem populären Lied "Acharenu ha mabul". Es ist schon einige Jahre alt und könnte doch die Hymmne sein für jene junge Generation von Israelis, zu der Ron Leshem gehört. Während Yitzhak Laor das Wegschauen und Nicht- wissen-wollen der Euopäer angesichts der Ungerechtigkeit gegenüber den Palästinensern beklagt, macht der einundreißigjährige Autor Leshem deutlich, wie sehr diese Mischung aus Ignoranz, Verdrängung und Selbstherrlichkeit auch jungen Israelis zu eigen ist. O-Ton & Sprecher 1 So the young generation over the last ten years... "Die ganze junge Generation hat in den letzten zehn Jahren, ich glaube, seit Zusammenbruch des Osloer Friedensprozesses, jeden Glauben verloren, dass es eine Lösung für die Situation hier gibt. Und damit jegliches Interesse an der Situation selbst. Sie leben in einer Seifenblase. Sind von der Außenwelt völlig abgetrennt, sitzen im Cafe in Tel Aviv und denken einfach nicht daran, dass zwanzig Minuten entfernt von ihnen Raketen einschlagen. Sie scheren sich nicht um Leute, denen es anders geht und die leiden. Das ist ein weit verbreitetes Übel."...is a huge sickness. Autor: Ron Leshem wuchs wohlbehütet in Tel Aviv auf, der Stadt, die von ihren Einwohnern auch "Die Blase" genannt wird. Seinen Armeedienst absolvierte er in einem Büro in Tel Aviv, am Tag seiner Entlassung hatte er bereits einen Arbeitsplatz als Nachrichtenredakteur. Autor: Vor wenigen Jahren bekam er zufällig die Chance, sein Land mit anderen Augen zu sehen. Es war wie ein abruptes Erwachen aus dem Schlaf, eine schockierende Erfahrung. O-Ton & Sprecher 1 In the first week of the second Intifada my chief editor told me... "In der ersten Woche der Zweiten Intifada sagte mein Chefredakteur: "Geh mal für einen Tag raus. Guck Dir ruhig an, wie die Frontlinien verlaufen. Wenn Du Journalist sein willst, musst Du wissen, wie da draußen abgeht. Ich bin raus - und konnte nicht mehr zurück. Ich habe meinen Job als Nachrichtenredakteur hingeschmissen, denn ich stand unter Schock. Ich hatte das wahre Israel nie gekannt. Ich hatte einfach nicht gewusst, was draußen los ist. Ich war so schockiert, dass ich monatelang nicht zuhause schlafen konnte. Jede Nacht war ich woanders, in einem Palästinenserhaus, in einem Armeecamp. Immer unterwegs, in einer Siedlung, einem Kibbuz. Ich musste einfach verstehen, mußte begreifen, was um mich herum vor sich geht." ...what is going on out there. Autor: Leshems neue Erfahrungen führten zu seinem ersten Roman "Wenn es ein Paradies gibt". Mit ihm wurde er zum literarischen Shootingstar in Israel. Er beschreibt eine kleine Gruppe junger Soldaten im Libanon. Zeigt ihre Ängste, ihre Lebenslust, ihre Traumata. Schildert die Frustration über einen als völlig sinnlos erlebten Krieg und Erfahrungen, über die vor ihm niemand in der israelischen Literatur so deutlich gesprochen hat. O-Ton & Sprecher 1 This is what writing is all about for me... "Beim Schreiben geht es mir darum, Menschen zu berühren und ihnen die Realität zu zeigen. Okay, ich schreibe, weil ich diese Tätigkeit liebe und ich mir beim Schreiben nahe bin. Aber am meisten versuche ich doch, die Menschen zu erreichen. Sie sind hier so abgekapselt, nicht offen für Ideen von anderen, für andere Lösungen als ihre eigenen , nicht offen für das Leid anderer Menschen. Schreiben und Geschichtenerzählen ist die einzige Möglichkeit, sie zu erreichen, ihnen die Haut abzuziehen und sie vor dir sitzen zu haben, mit ungeschützten Nervenenden darum bittend, berührt zu werden. Und wenn du das dann tust, brennt jede Berührung umso mehr." ...every touch burns much more. Musik (David Broza "Hachel Rash") Autor: Der Erfolg von Ron Leshems Roman in Israel überrascht. Im Gegensatz beispielsweise zu Amerika, das mit der Verarbeitung seines Vietnam-Traumas ein eigenes literarisches Genre geschaffen hat, gibt es in Israel nichts Vergleichbares. Lange wollte auch Ron Leshem vom Krieg nichts wissen. Er gehörte in seiner Familie einfach zum Alltag. O-Ton & Sprecher 1 My uncle, the brother of my mother was killed when I was six years old... "Der Bruder meiner Mutter wurde zu Beginn des Libanon Krieges getötet. Da war ich sechs Jahre alt. Meine Familie wird nie mehr dieselbe sein. Der Friedhof wurde ein zweites Zuhause für uns. Während ich aufwuchs, war ich total isoliert von Worten wie "Libanon" oder "Armee" oder "Krieg". Denn in unserer Familie herrschte die Ansicht, dass wir genug gegeben, genug bezahlt, zu viel verloren hatten während der ersten Jahrzehnte Israels." Autor: Jede israelische Familie hat Freunde oder Verwandte zu beklagen, die bei gewalttätigen Auseinandersetzungen ums Leben kamen. Das Gedenken an die eigenen Opfer spielt eine große Rolle in der israelischen Gesellschaft. Doch die Allgegenwärtigkeit von Gewalt und Tod wird brutal verdrängt. Es gibt einen unausgesprochenen Zwang zu Ausgelassenheit und Kraftmeierei. Dahinter stecken oft Angst und Unsicherheit. O-Ton & Sprecher 1 In many ways Israel is a huge mental institution... " In vielerlei Hinsicht ist Israel eine überdimensionale Nervenheilanstalt. Wir alle leiden und jeder kommt aus seiner eigenen kaputten Welt. Jeder hat eine Menge Schreckliches hinter sich und insofern sind wir alle Flüchtlinge. Wir sind seelisch krank. Und die Ärzte hier sind wirklich mies, und alles ist zu extrem. Ich bin pessimistisch. Aber ich bin immer pessimistisch und habe erst vor kurzem begriffen, das ich keinen Humor habe. Eigentlich habe ich nur Humor, wenn ich traurige Geschichten erzählen kann. Das ist halt eine sehr israelische Eigenschaft." ...is also very israeli characteristic. Musik (John Zorn, "End titles") Atmo (Verkehrsgeräusche ) Autor: Im Süden von Tel Aviv liegt das Redaktionsgebäude der ältesten und angesehensten Tageszeitung Israels, "Ha'aretz". Der deutsche Kaufmann und Verleger Salman Schocken, der 1934 nach Palästina emigriert war, hatte sie 1939 erworben und modernisiert. Streitbare Liberalität zeichnet die Zeitung bis heute aus. Salmans Sohn, Amos Schocken, leitet das Blatt, in dem Israels Politik immer wieder an seinem demokratischen Selbstverständnis gemessen wird. Kunst hängt an den Wänden, das europäische Erbe ist deutlich sichtbar. Atmo ( Redaktion "Haaretz" innen, einzelne Stimmen, Treppensteigen) Autor: Mitherausgeberin und Kolumnistin von "Ha'aretz" ist die agile und attraktive Journalistin Avirama Golan. Die Muttersprache ihres Vaters war Deutsch. Ihre Mutter stammte aus der Ukraine. Golan wuchs in einem zionistischen und sozialistischen Elternhaus auf. Bücher und Musik waren wichtig, obwohl die äußeren Lebensbedingungen im Israel der 50er Jahre keinen Luxus zuließen. 2007 erschien in Deutschland Avirama Golans Romandebüt "Die Raben". Darin geht die Autorin noch einmal zurück in die Zeit kurz nach Staatsgründung und spannt von dort aus einen Bogen in die Gegenwart. Familie erscheint in ihrem Roman generationsübergreifend als Brutstätte zahlreicher Neurosen. Als Ort, an dem Eltern wie auch Ideologien nachhaltig Schaden anrichten. Im familienbezogenen Israel, wo jede Frau im Durchschnitt drei Kinder bekommt, ist solch prononciert kritische Sichtweise familiärer Gemeinschaft von erheblicher Brisanz. Avirama Golans Roman wurde in Israel ein preisgekrönter Bestseller und von Amos Oz als "einer der besten israelischen Romane der letzten Jahre" gelobt. Wohl auch, weil die Autorin - wie Oz selbst in seinem Opus magnum "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" - über das Medium Familiengeschichte von Israel selbst erzählt. O-Ton & Sprecherin I think that literature is yet another success, yet another victory... "Meiner Ansicht nach ist Literatur ein weiterer Erfolg, ein weiterer Sieg des Zionismus oder des neuen Israel. Wirklich spannend ist, dass wir Leute mit ganz unterschiedlichem Background haben, die ganz unterschiedliche Geschichten erzählen. Reichtum und Vielfalt der israelischen Gesellschaft spiegeln sich in unserer Literatur. Ich bin mir nur nicht sicher, ob Literatur heutzutage die Kraft hat, die Politik und die Realität zu verändern. Aber wir müssen uns einmischen und dürfen nicht, was für einen Schriftsteller sehr gefährlich ist, Teil des Establisments werden. Wir müssen das Establishment bekämpfen. Nicht nur für den Frieden müssen wir kämpfen, auch für die Gesellschaft. Literatur selbst kann sehr wenig tun. Aber Literatur hat ein Eigenleben. Sie gibt eine anderes und tiefer gehendes Bild von Israel....deeper image of Israel. Autor: Das Israel, das Avirama Golan in ihrem Roman zeichnet, ist bunt, tolerant und heterogen, das Gegenteil eines durch religiöse Vorschriften geprägten Staates. Den sieht sie als zukünftige Bedrohung. O-Ton & Sprecherin Lately you hear more and more of Judaism... " In letzter Zeit hört man in Israel mehr und mehr vom Judaismus. Und immer weniger darüber, was es heißt, Israeli zu sein. Das israelische Konzept eines weltlichen Staates löst sich in Luft auf. Schrittchenweise geht es über in eine Art ethnozentrischen Judaismus. Und das ist für unsere Gesellschaft ausgesprochen gefährlich. Atmo (Schofar Blasen) O-Ton & Sprecherin "Und dann gibt es diese kleinen Gruppen von Siedlern, die glauben, dass der israelische Staat ein religiöser Staat werden muss, in dem das jüdische Gesetz gilt. Sie werden imme religiöser, fanatischer und fundamentalistischer. Der hat nichts zu tun mit der Vorstellung meines Vaters, der mit 25 aus Wien hierher kam. Nichts mit der Idee eines modernen Nationalstaates. Sondern mit dem, was wir im Kosovo und anderen Orten gesehen haben. Und wir wissen sehr gut, wohin das führt." Musik 15 (The Klezmatics "Bilovi" , Nr. 5) O-Ton & Sprecherin Unfortunately I always thought that every nation has to pass a kind of faith... "Unglückseliger Weise habe ich immer schon angenommen, dass jede Nation eine Art Kulturkampf durchmachen muss. Wir haben das bislang nicht getan. Aber wir müssen es tun. Ich hoffe, dass es dabei kein Blutbad gibt. Wir müssen diese Dominanz der Religion hinter unter lassen. Sonst wird unterschwellig etwas bleiben, dass unsere Chance, eine wirklich gesunde und normale Gesellschaft aufzubauen, ruiniert." ...to build a real healthy society, normal society... Musik (Izhar Ashdot) dazu Atmo (Stimmen arabisch, skandieren, Megaphon) Autor: Jaffa. Eine ursprünglich arabische Stadt im Süden von Tel Aviv, heute mit jüdischer und muslimer Bevölkerung. Vertreter beider Ethnien demonstrieren gegen eine Verfügung der Stadtverwaltung, die eine Zwangsausweisung mehrerer arabischer Familien vorsieht. Der Demonstrationszug, von israelischen Elitepolizisten in privaten Pkws begleitet, zieht am Haus des Reiseschriftstellers Tsur Shezaf vorüber. Es ist ein ehemals arabisches Haus, mit gekacheltem Fußboden und hohen Decken. Shezaf hat es mit seiner Familie vor 16 Jahren gekauft, in mühevoller Kleinarbeit renoviert, Wasser-und Stromleitungen installiert. Dass er alles selber machen musste, erscheint ihm symptomatisch. Israel werde einfach schlecht gemanagt. O-Ton & Sprecher 1 It's a misconception of the place, mismanagement of the place... " Planlosigkeit und Missmanagement zeichnen diesen Staat aus. Alles wird verpennt. Es ist ein Land der Schlafmützen. Die Straßen sind in einem erbärmlichen Zustand, die Züge, die Bahnhöfe. Wasser wird verschwendet, mit Energie nicht anständig umgegangen. Es gibt zu viele Siedlungen überall. Ja, "weil wir unsere Grenzen schützen müssen...." Aber überall ist ein Grenze. Wir bauen zu schnell und zu viel. Alles machen wir zu viel. Das ist sehr israelisch." ...This is very israeli. Autor: Den chaotischen Zustand Israels erklärt sich Tsur Shezaf aus der Geschichte seiner Entstehung. O-Ton & Sprecher 1 This is a country of children... "Das ist ein Land von Kindern. Als die ersten Zionisten her kamen, Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, waren sie zwischen sienzehn und zwanzig Jahre alt. Hatten ihre Eltern und Familien verlassen. Sie hatten niemanden, keinen Erwachsenen, keinen der verantwortungsvoll sagen konnte, was zu tun sei. Sie haben sich vor dem Licht gefürchtet, vor der Wüste, dem Arabischen, dem Land selbst. Und es gab keinen Vater und keine Mutter. Niemand war da, der ihnen Sanftheit geben konnte.Und Kinder haben nun mal Angst. Und deswegen machen sie so einen Riesenkrach. Deswegen sind sie die ganze Zeit so aktiv. Wenn man Israel heute anschaut, ist es immer noch so. Es sieht aus wie ein Kinderspielplatz. Einerseits ist das toll, sehr kreativ, sehr lebendig. Andererseits schaut man sich das an und denkt sich: das sind nicht allein sechzig Jahre Israel - nein, das sind hundert Jahre Zionismus. Was haben wir bloß gemacht? ...100 years of Zionism. What did we do? Autor: So klar und pointiert Shezafs Blick auf die Vergangenheit ist, so wenig möchte er die Zukunft prognostizieren. O-Ton & Sprecher 1 It's hard to say what will happen in the future... "Ich könnte mutmaßen, dass Israel überleben wird, wenn es so weitermacht. Aber es wird dann kein Ort sein, an dem es sich angenehm leben lässt. Ich bin fast fünfzig und bezweifle, dass ich noch woanders leben könnte. Deshalb versuche ich mit harter Arbeit, diesen Ort hier zu einem menschlichen Ort zu machen, der allen seinen Bürgern Gleichheit garantiert. Aber ich bin nicht sicher, dass das möglich ist. Ich bin nicht sicher, dass ich Vorurteile, Rassismus, und Anti-Arabisches in diesem Land stoppen kann." ...I am not really sure... "Ich möchte nicht ohne die Araber leben. Ich will mich nicht in einer rein jüdischen Gesellschaft abkapseln. Denn dann müsste ich auf Demokratie, Gleichheit und Vielfalt verzichten. ...like it diverse as possible. Musik (Noemi Shemer "Yerushalayim") Atmo (Vogelgezwitscher, Wind, ein einsames Auto fährt vorbei) Autor: Jerusalem war der Beginn und ist nun letzte Station der Reise zu den israelischen Autoren. In einem der gepflegtesten und europäischsten Viertel der Stadt, in Rechavia, wohnt in einem zweistöckigen Haus das Schriftstellerehepaar Megged-Shalev. Am leicht abschüssigen Weg vor dem Haus ist ein pinkfarbenes Geländer angebracht. Eine aufmerksame Geste des Bürgermeisters von Jerusalem. Zeruya Shalev war vor vier Jahren bei einem Selbstmordanschlag auf einen Bus schwer verletzt worden und konnte lange Zeit nur unter Mühen laufen. Eyal Megged, ihr Mann, galt damals als einer der wenigen Intellektuellen, die den nationalistischen Kurs des ehemaligen israelischen Premiers Netanyahu unterstützten. Das war in der Zeit der 2. Intifada, als Israel wöchentlich zivile Verletzte und Tote in seinen Städten zu beklagen hatte. Megged, der als Lyriker in den 70er Jahren bekannt geworden ist und gerade seinen neuen Roman "Das Ehepaar" veröffentlicht hat, vertraut inzwischen keinem Politiker mehr. O-Ton & Sprecher 2 I don't see any leader... "Ich sehe keinen charismatischen Politiker, keine Bewegung. Es ist ein komplettes Desaster. Ich finde niemanden, zu dem ich aufsehen kann. Keine Partei, die zu wählen sich lohnt." Autor: Eyal Megged, der ehemalige Freund Netanyahus, repräsentiert damit eine in Israel weit verbreitet Haltung. Vom linken auf den rechten Flügel des politischen Spektrums geweschselt, hat er inzwischen erneut eine Kehrtwendung vollzogen. Während seine Frau, Zeruya Shalev, in der Wohnküche das Humus auspackt, dass er aus dem arabischen Viertel der Jerusalemer Altstadt mitgebracht hat, sitzt der Sechzigjährige mit dem jugendlichen Gesicht am langen Esstisch und erläutert seine Vorstellung zu Israels Zukunft. O-Ton & Sprecher 2 I go back to the solution I believed in when I was 16... " Ich komme wieder auf die Lösung zurück, an die ich während meiner Schulzeit im Alter von 16 Jahren glaubte. Es war eine ideologische Schule und die Leiterin war eine deutsche Jüdin, die legendäre Toni Halle, eine überzeugte Linke. Wir haben damals Arabisch in der Schule gelernt und gegen die Benachteiligung von Arabern in Israel demonstriert. Das war lange vor dem Sechs-Tage-Krieg. Mein Lehrer glaubte an einen binationalen Staat - für Juden und Araber zusammen. Darauf komme ich zurück, daran glaube ich. Und nicht an die Teilung eines unglücklichen Landes in zwei Hälften. Wer das für richtig hält, benimmt sich wie jemand, der ein Kind zerteilen will. Wie in der alten Geschichte von König Salomon. Wer ein Land teilen will, lässt Zweifel aufkommen, ob er sich dem Land wirklich verbunden fühlt." ...if you believe in cutting the land in two it raises doubts. Autor: Während die offizielle Politik auf eine Zwei-Staaten-Lösung ausgreichtet ist, gibt es immer mehr Israelis, die wie Eyal Megged über das alte Modell eines binationalen Staates nachdenken. Es ist ein pragmatischer Ansatz, der versucht, bislang immer wieder ungelöste Fragen zu beantworten: Kann man die Siedler aus den besetzten Gebieten evakuieren und ist ein palästinensischer Staat überhaupt lebensfähig? Megged träumt nicht mehr von großen Lösungen. O-Ton & Sprecher 2 Yes the main dream was of course realised... "Der entscheidende Traum ist doch realisiert worden. Und ich glaube, man sollte nicht nach noch mehr fragen. Die Hauptsache ist, dass wir einen Staat für die Juden haben. Das ist als surrealistisch angesehen worden und nun Wirklichkeit. Ich bin nicht wirklich glücklich mit dem Zustand dieses jüdischen Staates. Aber manchmal zwinge ich mich, mich selbst daran zu erinnern, das er immer noch eine wirklich große Sache ist." ...that it s a big thing still. Autor: Auch Zeruya Shalev, Israels international erfolgreichste Schriftstellerin, die in ihren vielfach ausgezeichneten Romanen das Innenleben einer ganzen Generation von Männern und Frauen beschreibt, möchte nicht mehr träumen. Unter ihren langen schwarzen Haaren scheint ihr geheimnisvolles Gesicht, wie das einer ägyptischen Katze hervor. Sie spricht langsam, ein wenig zögerlich und doch ganz klar. Seit ihrer Verletzung wirkt sie noch blasser, noch fragiler. Aber das täuscht. Shalev weiß genau, was sie will. O-Ton & Sprecherin I think we don't need dreams. I mean in this area dreams become nightmares... " Ich glaube, dass wir keine Träume mehr brauchen. Wirklich nicht. In dieser Gegend verwandeln sich die Träume in Alpträume. Und deswegen will ich sie nicht. Ich möchte mich nicht den Alpträumen aussetzen. Alles, was ich möchte, ist ein realistischer Mittelweg. Wir, die Israelis und die unsere Nachbarn, die Palästinenser, wir alle müssen nach einem Jahrhundert des Leidens hier unsere Träume aufgeben. Und anfangen, unsere Beziehungen in Übereinstimmung mit der grauen Realität gestalten. Wir müssen ihr ins Gesicht sehen und Kompromisse schließen.Den Hass eindämmen, selbst wenn wir einander niemals lieben werden. Wir müssen miteinander daran arbeiten, irgendwie. Denn wir alle haben zu viel gelitten." ..because we all, we all suffered to much. Musik (Yehuda Poliker "They were dancing barefoot" Nr. 2) Autor: Die Autoren, die "amtlich zugelassenen Narren", wie Nava Semel sie nannte, können nicht in die Zukunft sehen. Sie glauben in Israels sechzigstem Jahr nicht mehr an Träume. Das unterscheidet sie von ihrem alten Kollegen Theodor Herzl, der einst noch träumen konnte. Musik (The Yuval Ron Ensemble "Lo Yira" Nr. 2) O-Ton & Sprecherin There is a big difference... "In Israel gibt es immer einen großen Unterschied zwischen Traum und Realität. Meiner Ansicht nach ist es ein Problem, dass wir unglaublich große Träume haben." ..we have very very big dreams. O-Ton & Sprecher 1 But I have to think.... "Ich muss über diesen sechzigjährigen Knaben nachdenken. Ich weiß nicht, wie's weitergeht.. Ich habe keine kluge Antwort. Keine Ahnung, ich weiß es nicht." ...I don't know. I don't know. O-Ton & Sprecher 2 Let's celebrate 60 years... "Lasst uns den 60. Geburtstag feiern, auch wenn es kein besonderes Datum ist. Aber für ein Kind oder einen alten Menschen macht man die Geburtstagsfeier, um ihn zu ermutigen. Genau so sehe ich die Feier zu Israels 60. Geburtstag." ...in which I feel a celebration of the 60 years of Israel.