DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Dossier Das Wohnhaus als Kraftwerk. Wie der Klimawandel die Architektur verändert Ein Feature von Dirk Meyhöfer Spr 1: Philipp Schepmann Spr 2: Marietta Bürger Produktion 25. und 26. Mai /M2 Sprachaufnahmen: ab 16.40 Uhr Redaktion/Regie: Ulrike Bajohr Ton und Technik: Hanns Martin Renz und Petra Pelloth URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? DeutschlandRadio Sendung: 19. Juni 2009 (auf Musik: 17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212,Track 01/1´10) 01 Hellweg Ich glaube, wir sind am Anfang, nicht mehr davor, aber am Anfang eines ganz dramatischen Paradigmenwechsels? 02 Brenne Die großen Immobiliengesellschaften denken nicht daran, dass diese Langzeitfolge das Entscheidende ist. 04 Tiefensee Das Haus der Zukunft verbraucht nicht Energie, sondern es speist Energie ein. 05 Hegger Wenn ich von guter Architektur spreche, dann meine ich ein hohes Maß an Ästhetik? 06 Hipp Denkmalschutz, wenn er die alten Lösungen uns vergegenwärtigen will, muss sich häufig gegen effiziente klimatechnische Lösungen stellen. SPR 2 Das Wohnhaus als Kraftwerk. Wie der Klimawandel die Architektur verändert Ein Feature von Dirk Meyhöfer SPR 1 Nachhaltigkeit ist kein neues Prinzip. Der römische Baumeister Vitruv hat es vor zwei Jahrtausenden mit drei Werten beschrieben: Utilitas, Firmitas und Venustas ? SPR 2 Nützlichkeit, Festigkeit, Schönheit. SPR 1 Auch ein Haus, das heute als klimagerecht und effizient gebaut gilt, wird durch wenige Dinge gekennzeichnet: Es trotzt Wind und Wetter, beschützt seine Bewohner, und wenn der Baumeister anständig gearbeitet hat, dann wird es in Harmonie glänzen. Vitruvs Prinzip ist ein Ewiges. In welcher Gestalt es uns begegnet, haben bisher die technischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten der jeweiligen Zeit bestimmt. Was in der Zukunft fest, nützlich und schön ist, hängt nicht nur vom Stand der Technik ab. SPR 2 Sondern auch vom Stand der globalen Durchschnittstemperaturen. SPR 1 Die Kernenergie bleibt umstritten - und Kohle, Öl und Gas beschleunigen auch noch den Klimawandel durch unkontrollierten Co2-Ausstoß. Auto und Flugzeug stehen dabei immer im Fokus der Anklage. Doch woanders drückt der Schuh noch viel ärger: SPR 2 80 Prozent des CO2-Ausstoßes haben direkt oder indirekt mit dem Bauen zu tun. SPR 1 Die Architektur unserer Städte und Landschaften wird sich dem nachfossilen Zeitalter anpassen müssen. (Zäsur: Musik: 17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212, Track 05/ 0`30) SPR 2 Erstens: die Jahrhundertaufgabe als Manifest A2: Präsentation Klimamanifest Berlin SPR 1 Berlin, 27. März 2009. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, ein Gebäude, das - passend zum Thema - Ende des 19. Jahrhunderts als "Geologische Landesanstalt und Bergakademie? erbaut wurde. Hier beschäftigte man sich schon immer mit natürlichen Ressourcen. Im penibel restaurierten Lichthof treffen heute Architekten, Bauingenieure und Stadtplaner aus ganz Deutschland zusammen - und sie unterschreiben ein Manifest zur Baukultur im Klimawandel... SPR 2 ?Vernunft für die Welt? A2 Präsentation Klimamanifest Berlin/ 1`14 SPR 1 Das Manifest fordert eine konzeptionelle Herangehensweise, die Standortfragen, Materialauswahl, Technikeinsatz, Mobilitätsaspekte, Kreislaufanforderungen und Energieeinsatz gleichermaßen betrachtet. A2 Präsentation Klimamanifest Berlin SPR 2 ?Mit einer intelligenten und zukunftsweisenden Gestaltung unserer Städte und Bauwerke kann und will der Berufsstand entscheidend zur ökologischen Wende beitragen.? A3 Präsentation Klimamanifest Berlin/47? SPR 1 Der Hausherr des historischen Gemäuers in der Berliner Invalidenstraße, Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee, ist auch anwesend. Er demonstriert seinerseits den Willen, es nicht bei freundlichem Schulterklopfen zu belassen. Er habe, sagt er, ein Haus aufgestellt. Spr 2 Ein Haus der Zukunft. 07 Tiefensee Im letzen Jahr hat Deutschland mit einem Energieeffizienzhaus, einem Plusenergiehaus, einen internationalen Wettbewerb gewonnen. A4 Hausbesuch Der Zugang des Hauses ist von Norden, wir haben auch hier die Lamellen zur Herstellung von Privatheit und zur? SPR 2 auf A4 Man konnte dieses Haus bis vor kurzem in München besichtigen. A4 Hausbesuch ?Tageslichtsteuerung und zur Absicherung des Hauses, man kann damit das Haus schließen, wenn man nicht da ist, kann man es damit abschließen... Überlappend 07a: Tiefensee Dort habe ich es auf die Marienwiese gestellt, damit man es in einer Großstadt besuchen kann. Das Haus der Zukunft verbraucht nicht Energie, sondern es speist Energie ein. Oder wenn es darum geht, einen Stadtteil so zu planen, dass er der Stadtteil der kurzen Wege ist, dass wir mit der C02-Gebäudesanierung die Gebäude nicht bloß in Watte packen, sondern darüber nachdenken, Solarzellen und Geothermie anzuwenden, wie wir mit modernen Dämmstoffen im Inneren, mit architektonisch schönen Lösungen, die Gebäude energieeffizienter gestalten. Oder wenn es darum geht, dass wir neue Formen des Zusammenlebens kreieren, mehrere Generationen unter einem Dach, die sich entsprechend ihren Anforderungen auch ökologisch vernünftig verhalten. Wenn wir den Regionalverkehr, den Nahverkehr denken, neu organisieren, sodass wir dem Fahrrad, dem wasserstoffgetriebenen Bus zum Durchbruch helfen, usw.... Über 07a SPR1 Begeistert spricht der Bauminister von ökologischen Formen des Zusammenlebens, von Nahverkehr mit Fahrrad und Wasserstoffbus: Neu nachdenken, neu organisieren, konkrete Projekte? Weiter 07a Tiefensee Das sind alles ganz konkrete Projekte, die übrigens auch aus meinem Hause kommen, bzw. gefördert werden, mit denen wir den Nachweis erbringen, dass es möglich ist. Auf Ende 07a SPR 1 Die dazu passenden politischen Beschlüsse kennen die Verantwortlichen in Deutschland unter der Formel 3 x 20. Spr 2 20 Prozent weniger Energie verbrauchen, 20 Prozent erneuerbare Energien anwenden, Mindestens 20 Prozent CO2-Ausstoß reduzieren. Zäsur :Musik:17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212, Track 05, 0`30) Spr 1 Diese Formel hat auch in der Krise der Autoindustrie niemand offiziell aufgehoben. SPR 2 Zweitens: Es ändert sich eigentlich wenig... oder: Ein Altbau ist kein Kraftwerk. (auf Musik:17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212,Track 11, SPR 1 Zwei Vorschläge ? zwei Ausflüge. Der Erste ist kurz - vom Ministerium in eine Hinterhof-Loftetage in Berlin- Schöneberg. Heute arbeiten hier Architekten und Planer. Spr 2 Ganz früher, als noch niemand wusste, was ein Loft ist, wurden hier Kamerateile für Zeiss Ikon gefertigt, in Kriegszeiten war hier ein Rüstungsbetrieb. Spr 1 Zweitens: 250 Kilometer weiter nordwestlich, in Hamburg-Rahlstedt, steht eine gediegene Backsteinvilla. Hier wohnt ein Architekt. SPR 1 Beide Objekte sind Altbauten mit guter Substanz und gutem Standard. SPR 2 Stabil, nützlich und schön. SPR 1 Bewahren, Sanieren und sinnvoll Ergänzen ist häufig schwierig und sehr aufwendig, manchmal erscheint es unmöglich. Trotzdem - oder vielleicht deshalb - lieben wir unsere Altbauten. Die aus Mittelalter und Barock, die klassizistischen, jene aus den prächtigen Gründerjahren SPR 2 - und auch die aus der Zeit der Moderne, besonders des Bauhauses, die oft bautechnisch am problematischsten sind. Sie erzählen davon, wo wir herkommen. Sie bilden unsere Stadt- und Landesgeschichte in Stein ab, sie wärmen unser Herz. SPR 1 Professor Winfried Brenne, Prinzipal des Büros Brenne Architekten, das in der lichten Berliner Loftetage Platz gefunden hat, gehört zu den Unterzeichnern des Manifests ?Vernunft für die Welt?. Sein Herz schlägt vor allem für das Alte, SPR 2 Für das Bauen im Bestand, wie die Architekten sagen. SPR 1 Allerdings ist es im Angesicht der üblichen Kosten-Nutzen-Berechnungen am Immobilienmarkt immer lukrativer einen Neubau hinzustellen. Ein unsanierter Altbau verbraucht mehr als 400 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr - SPR 2 Nur für das Heizen, SPR 1 Ein Durchschnittsbauwerk aus den 1980er Jahren immerhin noch über 200. SPR 1 Ein Passivhaus mit dem staatlich geförderten Status KfW 40 SPR 2 KFW für: Kreditanstalt für Wiederaufbau ? SPR 1 ?mit dem Status KfW 40 eben nur 40 Kilowattstunden. Ein Nullenergiehaus verbraucht nichts, (Musik weg) SPR 2 Wenn man Elektrizität für Licht und Warmwasser außer Acht lässt. SPR 1 Vernünftig neu zu bauen ist heute also kein Problem. Die größere Schwierigkeit besteht darin, die alten Häuser energetisch fit zu machen und ihnen dabei denkmalpflegerisch noch ihren Charakter zu lassen. Wie es gehen könnte? Vor allem, sagt Wilfried Brenne,... 08a Brenne Denken statt dämmen! SPR 2 Sonst sehen die Häuser alle gleich verpackt aus! 08 Brenne ...was wirklich nicht die Qualität erreicht, die wir Architekten den Menschen mitgeben müssen. Da verlangt es von uns einen neuen Erkenntnisprozess. Wir müssen lernen, mit diesen neuen Stoffen umzugehen, wir müssen lernen, ihnen einen architektonischen Impetus zu geben dann. SPR 1 Die Forderung nach der Wiederentdeckung architektonischer Qualität kommt zu einem Zeitpunkt, an dem es häufig nur noch um die rechnerisch ultimative Wärmedämmung geht, SPR 2 Um energiepass-gerechte Systeme, SPR 1 Deren Außenhaut nach traditionellem Putz aussieht und in Wahrheit ein Konvolut aus vielen Kunststoffen ist. Es überlagert häufig alle Feinheiten der ursprünglichen Architektur, es täuscht Massivität vor, was sich als Hohlheit entlarvt. 09 Brenne Wie gehe ich mit dem Baustoff um... Die Ressource Baustoff... SPR 1 Holz als natürliches und nachwachsendes Material steht im Ranking der Vernunft ganz oben. Mineralische Baustoffe wie Stein und Beton gelten als nachhaltig - SPR 2 - wenn man sie für ein langes Hausleben einsetzt. 10 Brenne Über Langlebigkeit nachdenken, dass sie sich nicht nur in einer Unterhaltungsphase von zehn Jahren befinden, sondern es gibt Unterhaltungsrhythmen, die über 20 bis 25 Jahre hinausgehen. SPR 1 Das heißt: dass alles, was heute gebaut wird, für die Dauer gedacht sein soll? SPR 2 Für die Dauer von ? Altbauten? SPR 1 Denn die Gewinnung von Bausteinen und Beton verschlingt erst einmal Energie. 11 Brenne Ich habe zwar am Anfang eine erheblich höhere Investition, erreiche dann aber bei der Unterhaltung des Gebäudes eine erhebliche Reduzierung der Unterhaltungskosten und des Rohstoffverbrauchs. Das ist ein wichtiger Punkt, wir sind noch nicht so weit. Weil die großen Immobiliengesellschaften das nur unter markttechnischen Gesichtspunkten sehen. Wie können sie in einem kurzen Zeitraum der Aktienberichterstattung von wenigen Quartalen das optimieren? Sie denken nicht daran, dass diese Langzeitfolge das Entscheidende ist. Spr 2 Und deswegen überleben viele Immobiliengesellschaften die Gebäude nicht, in die sie investieren. (auf Musik:17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212,Track 110) SPR 1 Im Hamburg-Rahlstedt sitzt der Architekt und Stadtplaner Hans-Günter Burkhardt in einer sonnendurchfluten Backsteinvilla aus den 1930er Jahren. Dunkelblauroter Backstein korrespondiert mit weiß gestrichenem Holz an Giebel und Traufe und Fenstern. Sprossenfenster, alle tipptopp saniert, mit ausgezeichneter Wärmeschutzbilanz. Hans Günther Burkhardt lebt hier seit über 25 Jahren. SPR 2 Damals wollte außer ihm keiner die Rottbude kaufen und schon gar nicht sanieren. SPR 1 Architekt Burkhardt ist inzwischen emeritierter Professor und Vorsitzender der Hamburger Fritz-Schumacher-Gesellschaft e.V.. SPR 2 Fritz Schumacher: Architekt, bis 1933 Oberbaudirektor in Hamburg, geschult an Werkbund und Bauhaus. SPR 1 Die Gesellschaft verharrt nicht darin, Schumachers Erbe zu pflegen, sie kümmert sich nicht allein um den Hochadel der Hamburger Backsteinarchitektur, etwa im Kontorhausviertel. Das ist solide genug geplant und gebaut; hier kann sich die Sanierung auf die Fugen im Mauerwerk und erneuerte Fenster beschränken. Es geht der Schumacher-Gesellschaft auch um das allgemeine Bild Hamburgs, SPR 2 das ?rote Gesicht? der Stadt, SPR 1 das durch normale Mietshäuser in Ziegelbauweise geprägt wird. 12 Burkhardt Es gibt leider keine Karte von Hamburg, wo man jetzt mal feststellen könnte, wo wie viel Energie quartiersweise verbraucht wird. Dann wird man zu dem Ergebnis kommen, dass diese Siedlungen sicherlich gar nicht so schlecht dastehen. SPR 1 Viele diese Häuser waren kriegszerstört und wurden schnell wieder aufgebaut, oft fahrlässig schnell. Diese Nachkriegsaufbauten vor allem müssen saniert werden, ihnen steht eine deutliche Veränderung bevor. 13 Burkhardt Die Nachbesserungspotenziale sind da. Die sind erst mal da im Keller und im Dach, das sind alles Flachdächer, die kann man wunderbar regeln. Man könnte sich über die Hofseiten Gedanken machen, die städtebaulich nicht so wirksam sind... SPR1 Burkhardt empfiehlt - wie sein Berliner Kollege Winfried Brenne - Fenster in guter Wärmedämmqualität, in diesen Fällen natürlich in alter Sprossenoptik, SPR 2 was ja möglich ist, vielleicht ein bisschen teurer. SPR 1 Und natürlich müsse man innen in den Bestand eingreifen: 14 Burkhardt ... und man muss hauptsächlich an der Haustechnik arbeiten. Man muss sich klar machen, viele dieser Häuser sind im Krieg zerstört bzw. ausgebrannt und die damalige Haustechnik, die ursprüngliche Haustechnik, nämlich Zentralheizung, hat man nicht wieder hergestellt. Man hat einzeln Ofenheizung, also das Primitivste, was es nach dem Krieg gab, eingebaut. Zum Teil bis zum heutigen Tag noch existierend. SPR 1 Neue Heizungen bauen, am Übergang vom Fenster zur Wand eingreifen, sich nicht scheuen, Grundrisse zu verändern. Und man könne, sagt Burkhardt, durchaus innen zusätzliche Dämmung anbringen. SPR 2 Generationen von Architekturstudenten haben gelernt: Das geht nicht. Doch, das geht. SPR 1 Dies alles behindert den Denkmal- und Ensembleschutz wenig. Was aber macht man mit den das Stadtbild prägenden Hausgesichtern? 15 Burkhardt Eine der ersten richtigen wärmedämmenden Maßnahmen wäre eigentlich die Herstellung einer trockenen Außenwand. Das kostet sehr viel Geld. Und wird nicht gefördert und ist wahrscheinlich teurer als das Bekleben mit einer Styroporfassade. Da muss man aber ran, wenn es einem das wert ist. Und davor scheuen sich im Allgemeinen die Gesellschaften, weil die alle gut vermietet sind. SPR 1 Die Rede ist von der ? SPR 2 auch nicht billigen ? SPR 1 klimagerechten Sanierung von Gebäuden, die eher die unteren Plätze der Denkmalschutz-Ranglisten besetzen. Vom Normalfall also, von Hamburgs ?roten? Ziegelbauten, von Berliner Mietskasernen. Von Mehrgeschossern und Einfamilienhäusern, die oft private Eigentümer haben. Die befinden sich mitunter im Zwiespalt: SPR 2 Klimaschutz oder Denkmalschutz? SPR 1 Beides zugleich ist nach Meinung des Bauhistorikers Hermann Hipp, langjähriger Hamburger Denkmalschützer, nicht ohne Weiteres zu haben: 16 Hipp (Raumatmo Uni) Denkmalschutz, wenn er die alten Lösungen uns vergegenwärtigen will, muss sich häufig gegen effiziente klimatechnische Lösungen stellen. Wenn überhaupt eine Verträglichkeit mit aktuellen Bedürfnissen hergestellt wird, wird das häufig sehr teuer, denn sie sollen unsichtbar sein oder bescheiden zurücktreten hinter der historischen Substanz. Und so möchte ich doch eigentlich darauf hinweisen, dass Denkmalschutz und Nachhaltigkeit nicht in bautechnischer Hinsicht zusammengehören, sondern in kultureller Hinsicht. SPR 1 Baukulturell überzeugen denkmalgeschützte Häuser durch ihr ursprünglich nachhaltiges Konzept: SPR 2 Dicke Mauern, kleine Fenster schützten vor Jahrhunderten am besten gegen Hitze und Kälte.... Lehm auf Flechtwerk war in den Fachwerkstädten des Mittelalters preiswert und nachhaltig. Aber nicht alle Schlösser, Kirchen, Klöster waren vernünftig gebaut, feuchte Wände und verfaulte Holzbalken zeugen oft davon: 17 Hipp (Raumatmo Uni) Der Denkmalschutz, der sich ja mit Bauwerken aller Zeiten beschäftigt, ist konfrontiert mit den Lösungen aller Zeiten und hat deshalb zu verwalten höchst problematische Bausubstanz, höchst problematische Lösungen, die unter heutigen Gesichtspunkten nicht funktionieren. Insofern ist es grober ein Irrtum zu glauben, Denkmalschutz und Nachhaltigkeit in der Baukultur hätten direkt miteinander zu tun. Denkmalschutz hat die Aufgabe, die Kultur zu erhalten, kulturelle Werte der Nachwelt zu tradieren, und das muss etwas kosten dürfen. SPR 1 Umso mehr dann, wenn der Gesetzgeber Klimaschutzmaßstäbe von heute an Baudenkmäler von gestern legt. (auf Musik:17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212,Track 11) Solange es sich um kulturelle Bausubstanz in öffentlicher Hand handelt, wird die Erhaltung ?irgendwie ? finanziert. Aber wer in einem eigenen alten Haus wohnt, SPR 2 und das muss gar nicht uralt sein, 100 Jahre reichen, SPR 1 muss in die ideale Verbindung von Denkmal- und Klimaschutz immer mehr investieren. In der Praxis wird das historische Gesicht eines Gebäudes dann doch dem Energiepass geopfert. SPR 2 Wenn seine Eigentümer nicht vernünftig beraten werden. SPR 1 Die Unterzeichner des Manifests ?Vernunft für die Welt? haben das versprochen. Aber ob sie sich im Zweifel für ein schönes Detail und gegen die Wärmedämmung entscheiden? Initiierte wurde das Manifest von Architekten, Landschaftsgestaltern, Bauingenieuren und Städteplanern. SPR 2 Noch steht kein amtlicher Denkmalschützer auf der eindrucksvollen Unterschriftenliste. SPR 1 Ein Altbau ist kein Kraftwerk. (Zäsur :Musik:17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212, Track 05) SPR 2 Drittens: Das Haus wird zum Kraftwerk... SPR 1 Technische Universität Darmstadt, weit draußen vor der Stadt auf der Lichtwiese. Ein Seminarraum im Erdgeschoss eines typischen Betonklotzes der 1970er-Jahre, ein Universitätscampus wie er damals in vielen deutschen Städten entstand. (auf Musik:17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212,Track 13 SPR 1 Hier sind sie keine Fremdwörter oder Verwirrstücke, hier gehören sie zum Inventar: Begriffe wie Passivhaus, SPR 2 Nullenergiehaus, SPR 1 KfW 40 Standard, SPR 2 regenerative Energien. SPR 1 Wie auch EnEV ? also die Verordnung über energiesparenden Wärmeschutz und energiesparende Anlagentechnik bei Gebäuden, die seit 2002 alles regelt, was mit Energiesparen, Wärmedämmung, Heizung und Klimaanlagen beim Bauen zu tun hat. A4a Studentenseminar Welches Material ist das? Also, es ist in Edelstahl gerahmt..... SPR 1 Die Architekturstudenten wissen genau, welche Firmen die passenden Materialien und Module für nachhaltiges Bauen liefern können. Sie reden von Anfang an mit allen, mit Ingenieuren, Bauphysikern und Lieferanten. SPR 2 Eine solch praxisnahe Ausbildung war vor wenigen Jahren in Deutschland noch fremd. (auf Musik:17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212,Track 13 SPR 1 Dem Seminarraum gegenüber steht jetzt eine ausgesprochen charmante, niedrige Holzbox mit Holzlamellenfassade. Vor einiger Zeit stand sie noch in Washington, danach in München auf der Marienwiese, SPR 2 wo sie Minister Tiefensee zum allgemeinen Staunen präsentierte. SPR 1 Jetzt ist sie wieder in Darmstadt, da wurde sie erdacht. Vor zwei Jahren haben Prof. Manfred Hegger und sein Team einen internationalen Studentenwettbewerb gewonnen haben: den ?Solar Decathlon 2007?. A5 Hausbesuch Der Zugang des Hauses ist von Norden, wir haben auch hier die Lamellen zur Herstellung von Privatheit und zur Tageslichtsteuerung und zur Absicherung des Hauses, man kann damit das Haus schließen, wenn man nicht da ist, kann man es damit abschließen. Vor das Haus zieht sich die Lamellenschicht, die das ganze Haus umschließt? SPR 1 Der Architekt Manfred Hegger steht mit seinem Institut an der Weltspitze im energieeffizienten Bauen - er unterbietet die Energieeinsparverordnung deutlich. SPR 2 Hegger will mindestens den Passivhausstandard. 18 Hegger Der Passivhausstandard bezieht sich im Wesentlichen auf den Heizwärmebedarf, das heißt also den größten Kostenanteil und auch den Energieanteil, den wir brauchen für unsere Häuser, das ist Heizen in unseren Breiten, und geht davon aus, dass wir nicht mehr 1,5 Liter pro Quadratmeter und Jahr brauchen dürfen. SPR 1 Das ist Passivhausstandard. 19 Hegger Und sobald wir einen Passivhausstandard haben, werden dann die Energieaufwendungen für Warmwasser und für Elektrizität plötzlich viel bedeutsamer, weil das Warmwasser dann ähnlich viel Energie braucht im Wohnzusammenhang, wie die Heizung. Immer bedeutet Passivhausstandard auch, dass das Passivhaus keine konventionelle Heizung mehr hat, sondern eine Lüftungsanlage, die Wärmerückgewinnung hat und vielleicht noch ein kleines Heizregister und das praktisch die Kostenersparnis für die Heizung in die Lüftungsanlage geht. SPR 1 Dieses Nullenergiehaus ist heute im Einfamilienhausbau das Ziel, auf das alles hinausläuft. Manfred Hegger will noch weiter: SPR 2 Plusenergiehäuser, die mehr Energie erzeugen, als sie für ihren Betrieb verbrauchen: 20 Hegger Und wenn ich Betrieb sage, ist das nicht nur Heizen, Kühlen, Lüften, sondern auch der gesamte elektrische Bedarf, der für einen Haushalt erforderlich ist, das heißt für die Beleuchtung, für die Haushaltsgeräte, und es ist dann erforderlich, dass das Haus eben diese Energie für sich selbst gewinnt. SPR 2 Wir sollten in Zukunft in Richtung ?Plusenergiehaus? gehen, 21 Hegger ? weil wir feststellen, dass die Energieangebote, die wir heute auf einem Grundstück haben, in Verbindung mit einem Passivhausstandard immer völlig ausreichend sind, um das Haus mit der notwendigen Energie zu versorgen, die wir fürs Wohnen und auch für viele andere Verrichtungen, also zum Beispiel für Büros benötigen. SPR 1 Manfred Hegger fordert das Wohnhaus als Kraftwerk! (auf Musik:17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212,Track 13 SPR 2 Das nun ist prinzipiell gar nicht mehr umstritten. Es kommt auf das Wie an. SPR 1 Hegger und seine Kollegen sehen die Industrie als einen großen Verbündeten, denn sie könne darüber nicht nur neue Märkte erschließen, sondern eine wichtige gesellschaftliche Funktion übernehmen. Im Ergebnis hat Hegger ganze Städte vor Augen, die ihre Energie selbst erzeugen ? sicher und umweltfreundlich. SPR 2 Und schön? Oder handelt es sich um eine Maschinenästhetik? SPR 2 Als in den 1980er Jahren die zweite Wärmeschutzverordnung kam, haben die Architekten schon mal vom Tod der Architektur gesprochen. 22 Hegger Die gleichen Architekten bauen heute weiter, und sie bauen mit erheblich höheren Standards. Die Industrie hat sich auf diese Bedarfe eingestellt einerseits, andererseits haben die Architekten auch zunehmend ihr Werkzeug verändert, und in dieser Verbindung können wir heute sehr viel energieeffizienter bauen und trotzdem gute Architektur machen. Und wenn ich von guter Architektur spreche, dann meine ich natürlich ein hohes Maß an Ästhetik, ich meine aber auch einen hohen Wohn- und Aufenthaltswert in den Gebäuden, der insbesondere durch den erhöhten thermischen Komfort entsteht, den ich automatisch erzeuge, wenn ich gute Energiestandards von Häusern habe. SPR 1 Man wird allerdings zwei Fälle unterscheiden müssen. Arbeitet der Architekt in einem engbebauten Umfeld, kann er wie ein Zauberer die Maschinenelemente verschwinden lassen... SPR 2 - auf den Dächern, in den Fundamenten, in der Fassade und natürlich ganz besonders in guten Dämmstoffen. SPR 1 Hegger beschreibt einen zweiten Weg: 23 Hegger Dass ich die Thematik der Energiegewinnung praktisch zu einem konstituierten Element der Ästhetik des Gebäudes mache, das heißt, ich lasse die energieerzeugenden Elemente in den Vordergrund treten, zeige sie bewusst und zeige damit, dass das Haus auf andere Weise mit der Umwelt umgeht, als wir es normalerweise tun. (auf Musik:17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212,Track 13- 14) SPR 1 Schon vor zehn Jahren wurde die Akademie Mont-Cenis in Herne-Sodingen zum frühen Leuchtturm der Bewegung. Mit einer Gesamtfläche von 100x400m und 12 Metern Höhe sieht diese Box der französischen Architekten Jourdan und Perridon, wie ein UFO aus. Ein sympatisches, aus Holz und Glas. Manfred Hegger hat das Projekt energietechnisch beraten. SPR 2 Es enthält eine autarke kleine Stadt, mit einer Bücherei, mit Restaurants, einem Hotel und eine Fortbildungsstätte der Landesregierung. Und das Wichtigste: SPR 1 Das Bauwerk produziert doppelt soviel Sonnenenergie wie es selbst verbraucht. 24 Hegger Diese Glashülle erzeugt Passivenergie, indem sie praktisch die Einstrahlung direkt nutzt. Gleichzeitig ist auf dem Dach und in Teilen der Fassade Photovoltaik eingebaut und damit erzeugen wir auch aktiv elektrische Energie und zwar mehr, als das Gebäude insgesamt an Energie verbraucht. SPR 1 Und die Technik wurde gleichzeitig zum ästhetischen Element des Gebäudes. 24a Hegger Die Lichtwirkung im Haus, in dieser großen Glashalle, in der viele Gebäude stehen, ist durch die Photovoltaik sehr stark geprägt. Wir haben also Schattenbilder von der Photovoltaik, wir haben unterschiedliche Lichtdichten in diesem Glashaus. Es entsteht dadurch auch eine räumliche Spannung, die ich in einem normalen Glashaus oder in einem normalen Atriumgebäude niemals herstellen könnte. SPR 1 Die Bewohner des ehemaligen Zechenvororts Herne-Sodingen haben das ungewöhnliche Haus lieb gewonnen: Früher hat man hier Kohle gefördert, heute deckt das Haus seinen Energiebedarf selbst und könnte das Grubengas aus den Tiefen des Bergwerks noch nutzen. -- Trenner (auf Musik:17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212,Track 14 SPR 2 Und jetzt zurück nach Darmstadt. SPR 1 Hier steht mit dem Haus, das den internationalen Studentenwettbewerb ?Solar Decathlon House 2007? gewann, ein zwar im Umfang und Größe sehr viel bescheideneres Beispiel als das in Herne, aber weil der technische Fortschritt gewaltig ist, ist es im Detail noch effizienter. Manfred Hegger und Mike Hampel führen durchs Haus: A 6 Wir befinden uns eher im Wohnbereich des Gebäudes mit der Wohnkuhle, eine der Ideen war eine Technikplattform, in der neben Technik auch Wohnmöbel integriert werden, um höchstmögliche Synergieeffekte zu erzielen. Wir haben eine komplette Fläche von 74 Quadratmeter gebaut. Im Innenraum haben wir eine Fläche von 54 Quadratmeter. darüber: SPR 1 Das Haus hat übrigens eine komplett eingerichtete Küche mit ausschließlich energieeffizienten Geräten und kann vielen Zwecken dienen. SPR2 Als Ferienhaus? als Apartment? SPR 1 Oder eben als Labor eines Universitätsinstituts, in dem Mitarbeiter messen und vergleichen und herausfinden wollen, ob das Haus so gut wie auf dem Papier ist. unter Spr beginnen A7 (Hegger)Aufmerksam möchte ich machen auf etwas, was man nicht sieht, man sieht keine Heizung und keine Lüftungsauslässe oder Ähnliches. Das ist darauf zurückzuführen, dass das Haus so gut gedämmt ist und so gut mit dem Außenklima arbeitet, sodass wir mit einer sehr kleinen Wärmepumpe, einer Luft-Luftwärmepumpe arbeiten, die mit geringem Lufwärmeumsatz arbeitet, den wir in den Schlitzen in den Schränke herstellen können und die Luftführung ist dennoch optimal.. SPR 1 Das Haus des ?Teams Hegger? gewann 2007 wegen seiner Energieeffizienz, seiner Helligkeit und seiner Eleganz. Und besonders freut die Sieger der erste Platz im ?Engineering?, SPR 2 ?in der Verarbeitung. Das gute alte ?Made in Germany?. (Zäsur :Musik:17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212, Track 05/ 0`30) SPR 2 Viertens: Stadt, Land, Energiefluss SPR 1 Unsere letzte Verabredung gilt Uli Hellweg, SPR 2 Chef der internationalen Bauausstellung in Hamburg. SPR 1 Das Gespräch findet einem aufgegebenen Supermarkt statt, zwischen funktionalen Schachteln aus Waschbeton und anderen Rohheiten der 1970er Jahre. (Auf Musik: 17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212, Track 19 Dort ist seitdem kaum etwas investiert worden ist. SPR 2 Man weiß nicht, was mehr nervt ? der Sanierungsstau oder die bewusste Vernachlässigung des öffentlichen Raums. Wilhelmsburg gehört zu Hamburgs sozialen Brennpunkten. SPR 1 Hamburg versucht, die Probleme mit den Mitteln einer internationalen Bauausstellung zu lösen, also mit Architekturwettbewerben, Experimenten und wissenschaftlicher Hintergrundarbeit. SPR 2 Der Supermarkt hat Karriere gemacht, ist zum Showroom dieser internationalen Bauausstellung aufgestiegen. SPR 1 Die Mitarbeiter der IBA gehen in Wilhelmsburg nicht den spektakulären Weg mit Stararchitekten, sondern suchen hart am Leben nach Möglichkeiten, einem geschundenen Stadtteil mit außerordentlich hohem Migrationsanteil wieder eine Zukunft geben. Dazu gehört es auch zu überprüfen, wie die Elbinsel Wilhelmsburg einen Klimawandel überlebt - SPR 2 - der gerade hier irgendwann für Hochwasser sorgen könnte. Die Flutkatastrophe von 1962 hatte Wilhelmsburg stigmatisiert, die so genannten besseren Schichten zogen weg. (Musik weg) SPR 1 Im letzten Sommer hat die IBA auf einem ihrer Workshops ein Papier mit 15 Hamburger Thesen zum klimagerechten Bauen veröffentlicht. Darin geht es um Klimafolgenmanagement, die soziale Akzeptanz neuer Strategien und rechtliche Rahmen. Man bemüht sich um Zertifizierungsverfahren, um Qualitätssicherung und Monitoring, SPR 2 Das heißt man überwacht, ob und wie all die schönen Strategien und Vorschläge umgesetzt werden. SPR 1 Ein Programm, das ein praktisches Beispiel für die Verwirklichung des Klimamanifests sein kann. SPR 2 Vernunft für die Welt SPR 1 Dass Architektur im Klimawandel eben nicht nur Architekten angeht, sondern auch Bauherren und Stadtplaner, ist für IBA-Chef Uli Hellweg Arbeitsgrundlage: SPR 2 Schon in den Wohnquartieren könne, nein - müsse man viel intelligenter zusammenarbeiten. 25 Hellweg Ich will das an einem Beispiel deutlich machen: Wir haben dort ein Schwimmbad, was unablässig Wärme das ganze Jahr über verbraucht für Warmwasser. Wir haben einen Industriebetrieb, der Abwärme produziert. All solche Faktoren werden heute noch viel zu wenig genutzt, um über intelligente Verbünde die Abwärme aus dem Betrieb zum Beispiel ins Schwimmbad zu leiten. Oder wir haben eine Verwaltung, die um 15 oder um 17 Uhr so langsam die Tore schließt. Daneben haben wir ein Hotel, was dann seinen Hochbetrieb erlebt. Auch hier können wir Spitzen des Energieverbrauchs harmonisieren. Wir können gemeinsame Aggregate fahren. Der erste wichtige Schritt ist ein planerischer, noch kein architektonischer aber ein planerischer, nämlich, dass wir in unseren Neubau- und Altbaugebieten intelligente Effizienzverbünde herstellen. Da muss man auch über den Horizont des eigenen Grundstücks und der eigenen Eigentumsgrenze hinausdenken, und das bedeutet, dass wir eine völlig neue Ebene der Stadtplanung bekommen. SPR 1 Die IBA könnte in Wilhelmsburg Stadtentwicklung im Klimawandel beispielhaft demonstrieren: (Auf Musik: 17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212, Track 19) SPR 2 Da wäre das sogenannte ?Weltquartier?: SPR 1 Eine Backsteinsiedlung aus den 1930er Jahren, die gerade saniert wird. Innen mit zeitgemäßer Haustechnik, außen mit neuen architektonischen Zutaten wie Wintergärten. Vorn an der Straße bleibt der Charakter der typischen Hamburger Vorstadtsiedlung mit Ziegel und geneigtem Dach erhalten. SPR 2 Ganz wie die altbauliebenden Architekten Winfried Brenne und Hans-Günter Burkhardt es fordern. Neue Wohnviertel entstehen in Wilhelmsburg-Mitte: SPR 1 Dichter und vor allem experimentell, mit Häusern die ?smart? und ?smart price? heißen - SPR 2 - intelligenter Fertighausbau. SPR 1 Dazu kommen hybride Häuser, die gemischte Wohn- und Gewerbenutzung zulassen. SPR 2 Zusammenrücken? Wie gesagt: Es wird viel experimentiert. SPR 1 Das Einfamilienhaus, von vielen Menschen innig geliebt, verbraucht zu viel Fläche, zu viel Primärenergie, zu viel von allem. Klimagerechte Städte und Stadteile werden dichter besiedelt sein. Planer und Architekten mögen das ja? 27 Hellweg ... aber in den Bestandsgebieten, wo wir zum Beispiel größere Einfamilienhausgebiete haben, bringt es überhaupt nichts, an irgendwelche Zwangsumsiedlungen zu denken, sondern dort muss man eben gucken, was sind hier die lokalen Ressourcen. SPR 2 Die Ressourcen von Eigenheimgebieten, die es auch in Wilhelmsburg gibt. 28 Hellweg Hier ist es erforderlich, dass man zum Beispiel die Biomasse sammelt, dass man die Mahd sammelt, aus den Gärten, und dass man hier zum Beispiel mit Biogasanlagen arbeitet oder dass man diese relativ großen Grundstücke nutzt für oberflächennahe Geothermie, was Sie in der Weise in einer dicht bebauten Stadt gar nicht können. Versuchen Sie mal am Prenzlauer Berg oder in Ottensen Geothermie, da werden Sie scheitern. Aber im Wilhelmsburger Osten, wo Sie, ich sage mal, 600 Quadratmeter Grundstück haben, da können Sie ohne Weiteres Ihre geothermische Schlange in den Garten legen, können trotzdem noch Ihre Radieschen ziehen und oben auf dem Dach haben Sie eine Photovoltaikanlage, die Ihnen den Strom liefert, um die Wärmepumpe für die Geothermie zu betreiben. SPR 1 Mit anderen Worten: Adaption, adaptive Strategien. SPR 2 Sich den jeweiligen urbanen Strukturen und Potenzialen anpassen. SPR 1 Dann ist auch die Chance am größten, dass alle Beteiligten mitziehen. 29 Hellweg Dafür ist Wilhelmsburg ein exzellentes Demonstrationsgebiet, weil wir hier eben alle urbanen Strukturen haben, ich sag mal von der ökologisch einwandfreien Windmühle der vorindustriellen Zeit bis zur Solarsiedlung unserer Tage, und da kann man das eben sehr schön demonstrieren. (Zäsur: Musik: 17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212, Track 16 Fünftens: Ausblick - in welche andere Zukunft? SPR 1 Die IBA Hamburg gestellt haben, zurzeit finden dafür Architektenwettbewerbe statt. Die Entwürfe sind auf den Flachbildschirmen schon zu bewundern, SPR 2 im Showroom, dem einstigen Supermarkt. SPR 1 Und auch die Ergebnisse eines Architekten-Workshops: ?The Plug? , der Anschluss, für die neue Mitte Wilhelmsburg. SPR 2 Häuser, die an Windmaschinen und Aggregate erinnern. Bildwelt einer Architektur, die Aufbruch verheißt. SPR 1 Und sich an Traditionen erinnert: zum Beispiel mit Häusern, deren breite Wandsysteme bewohnbar sind wie die Erker einer alten Burg. SPR 2 Oder ?der gestauchte Wald?: Wohnhäuser hinter Hecken, die mitwachsen oder zurück geschnitten werden können, wenn stark befahrene Straßen verlegt werden. Je höher die Anforderungen, desto fantasievoller können die architektonischen Antworten sein. SPR1 Die bei der IBA eingegangenen Vorschläge werden Maßstäbe setzen oder verändern. Noch ist die Gegenwart von konventionellen Wärmedämmmethoden geprägt, aber auch schon von Hightech - Architektur, SPR 2 von Green Buildings. Einer ihrer Pioniere ist der malaysische Architekturprofessor Ken Yeang. SPR 1 Er hat Hochhäuser und ganze Städte erfunden, die mitten in den Tropen durch natürliche Klimaanlagen wie Pflanzenwälle und Wasserfälle gekühlt werden und mit Solaranlagen und Regenwasserfiltern fast die Hälfte des eigenen Energie- und Wasserbedarfs selbst decken. Und er schuf gleich einen griffigen neuen Brand für seinen Beruf: SPR 2 vegi.tect. Vegitektur. Die Grenzen zwischen Bauen und Ökologie auflösen, natürlich, gut und schön bauen! SPR 1 Yeangs Zauberhäuser, darunter das EDITT-Project in Singapur, wirken futuristisch und schlagen trotzdem buchstäblich Wurzeln, sie sind eine abenteuerliche Mischung aus Wald und Glas, die Ikonen einer neuen Baukultur werden könnten. SPR 2 Das geht nicht nur in den Tropen. (auf Musik:17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212,Track 15) SPR 1 Der Brite Norman Foster will mitten in der Wüste, in Abu Dhabi, mit der Öko-City Masdar zeigen, wie mittels Ökostrom und solarer Meerwasserentsalzung eine schöne neue Welt für 50. 000 Menschen aussehen kann. SPR 2 Wenn es kein Öl mehr gibt. SPR 1 Mit Hochtechnologie den Energiebedarf und damit die Unterhaltskosten von Immobilien senken. Auf diesem Wege die Rendite erhöhen. Immobilien sollen ihren Wert behalten, weil sie für die Ewigkeit gebaut und gedacht sind. SPR 2 Zukunftsfähige Architektur muss in jedem Falle öko sein: ökologisch und ökonomisch. SPR 1 Aus den USA stammt ein Zertifizierungsverfahren zur Bewertung von Gebäuden. Die Immobilienindustrie, Investoren, Berufsverbände, aber auch Planer haben ein ?Qualitätssiegel? erfunden, das sich der Bauherr in Form einer kleinen feinen Urkunde über den Schreibtisch hängt: LEED. SPR 2 Leadership in Energy and Environmental Design. SPR 1 LEED zielt darauf ab, ?gesündere? und ressourcenwirksamere Bauten zu schaffen. Allerdings sind die meisten der rund 1400 Projekte, überwiegend in den USA, aber auch in China, die seit dem Jahr 2000 mit LEED geprüft wurden, nicht wissenschaftlich evaluiert. Es fließen recht willkürliche Kriterien in die Bewertung ein. SPR 2 Hoch bepunktet wird zum Beispiel die Ladestation für Elektroautos vor dem Haus - auch wenn es in der Region solche Autos gar nicht gibt. SPR 1 LEED ist ein Instrument, das den Marktwert eines Gebäudes bestimmen soll, aber objektive Maßstäbe vernachlässigt. Die ?Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen ? DGNB? hat eine alternatives Bewertungsverfahren entwickelt, das gründlicher und strukturierter angelegt ist. Für Planer wie Uli Hellweg SPR 2 - den Chef der IBA in Hamburg-Wilhelmsburg SPR 1 oder Manfred Hegger SPR 2 - den Pionier des energieeffizienten Bauens von der TU Darmstadt. SPR 1 ? für viele Planer sind solche Qualitätssiegel kleine Schritte auf der Suche nach einer Antwort: Was ist heute gute, schöne, nützliche Architektur. Es wird sich noch vieles gewaltig ändern müssen. SPR 2 Ist die Zeit dafür günstig? (auf Musik:17 Hippies, CD: Sexy ambient hippies, Hipster Records; LC04212,Track 19) Schließlich hat die Finanzkrise als Immobilienkrise begonnen? SPR 1 Die hat zumindest verhindert, dass unter grünem Etikett kräftig weiterspekuliert und ohne Nachdenken gebaut wird. Manfred Hegger hält an seinen Grundideen fest. SPR 2 Die Vernunft, meint er, werde sich durch eine Finanzkrise nicht aufhalten lassen. SPR 1 Und Uli Hellweg blickt unverdrossen in die Zukunft: 30 Hellweg Ich glaube, wir stehen am Anfang, nicht mehr davor, aber am Anfang, eines ganz dramatischen Paradigmenwechsels. Das, glaube ich, wird man eines Tages vergleichen mit dem Umbruch zur Industrialisierung, und vielleicht sollten wir uns an eine Tradition der frühen Industriezeit erinnern, nämlich dass die ersten großen Industriebauten alle einen sehr hohen ästhetischen Anspruch hatten, schon im 19. im Jahrhundert. Und ich glaube, wir befinden uns ganz am Anfang eines Umbruches in ein postfossiles Zeitalter, und wir werden neue Landschaftsbilder bekommen, werden neue Architekturen bekommen. Für Architekten und Planer liegt darin natürlich eine riesige Aufgabe, auch eine neue postfossile Ästhetik zu finden. SPR 2 Das Wohnhaus als Kraftwerk. Wie der Klimawandel die Architektur verändert. Sie hörten ein Feature von Dirk Meyhöfer. Es sprachen: Marietta Bürger und Philipp Schepmann. Ton und Technik: Hanns Martin Renz und Petra Pelloth. Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr. SPR 2 Eine Produktion des Deutschlandfunks 2009. 35