Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio Nach uns die Sintflut? Wie der demografische Wandel den Wahlkampf verändert Von Mirko Heinemann Musik: The Zimmers: My Generation O-Ton: Gisa Roland Dieser demografische Schwund ist gar nicht so dramatisch, wie uns immer eingeredet wird. Es müssen nicht drei oder fünf junge Leute einen Alten subventionieren. Die Produktivität ist höher und dadurch auch mehr Geld da für die Alten. O-Ton: Berner Es wird ja auch immer wieder Wahlkampf mit dem Thema Rente gemacht. Das haben wir ja immer wieder gehabt. In der Vergangenheit wurde das noch viel mehr. In den 70er Jahren wurden ja richtig Rentenversprechen gemacht im Wahlkampf, die dann auch mit dazu beigetragen haben, dass die Finanzierung irgendwann schwierig wurde. Damit wird immer noch gespielt. O-Ton: Hermann Der Generationenvertrag lautet: Ihr Jungen, ihr arbeitet für unsere Rente, und wir Alten gehen demonstrieren für eure und eure Kinder und Kindeskinder Zukunft. O-Ton: Sauerbaum Ich kenne viele Leute in meiner Umgebung, die auch politisch arbeiten und aus der 68er Bewegung auch sind, und ich glaube, dass die Generation ganz viel bewegen kann. O-Ton: Altun Aktürk Gehen Sie mal abends nach dem Marktfeierabend und gucken sie mal die Leute da. Die haben alle gearbeitet und kommen sie mit ihrer Rente nicht aus und wühlen sie im Müll und holen ein paar Salate und paar grüne Bohnen und so weiter. Die Leute holen sich von Nachbarn die U-Bahn-Karte. Damit fahren sie. Weil selber haben sie kein Geld, um eine U-Bahn Karte zu kaufen. O-Ton: Priesmeier Mein Sohn hat mir gesagt: Ihr habt die Party gefeiert, und wir sollen dann irgendwann aufräumen kommen. Sprecher/in vom Dienst Nach uns die Sintflut? Wie der demografische Wandel den Wahlkampf verändert. Von Mirko Heinemann. (Musik Ausblende) Atmo Aufblende: Stadtfest/ Gerede/Musik Sprecherin In Osterode am Harz werden die ?drei freundlichen Tage? gefeiert. Es ist eines der letzten großen Feste in der Region, die noch in einem Stadtzentrum stattfinden dürfen. Viele Feste mussten wegen Beschwerden der meist betagten Anwohner auf die grüne Wiese verlegt werden. Wer jung ist, wer es laut mag, hat es schwer. Sprecher Denn die Alten werden immer mehr. Und sie bestimmen immer mehr. Bei der kommenden Bundestagswahl wird ein Drittel aller Wahlberechtigten über 60 Jahre alt sein - doppelt so viele wie die jüngere Generation unter 30 Jahren. Kurz vor der Bundestagswahl umwerben die Wahlkämpfer ihre Wähler mit großen Versprechungen. Es geht meist um aktuelle Probleme: bezahlbare Mieten, höhere Renten, einen stabilen Euro. Bleiben die großen gesellschaftlichen Herausforderungen für die künftigen Generationen, bleiben die Themen der Zukunft außen vor? O-Ton: Priesmeier Ich glaube, gerade die älteren Menschen nehmen Rücksicht auf das, was die jüngeren Menschen brauchen. Sind ja im Regelfalle auch alles Eltern. Sprecherin Wilhelm Priesmeier ist Bundestagsabgeordneter der SPD. Der bullige Mann mit den grauen, vollen Haaren und dem dichten Schnauzbart besucht seinen Wahlkreis. Er umfasst den gesamten Westharz bis hinein in die niedersächsische Tiefebene. Dazu gehört auch der Landkreis Osterode. Das Durchschnittsalter beträgt hier 43,7 Jahre, jeder Fünfte ist über 65. Es ist der Landkreis mit der ältesten Bevölkerung Deutschlands. O-Ton: : Witzelei Sowas Grünes trinkst du? Wie sieht denn dann dein Bauch aus? Wird der auch grün? Nein, der wird nicht grün! Mensch Meier. Sprecherin Priesmeier ist mitten im Wahlkampf. Begleitet wird er von seiner Mitarbeiterin und Mitgliedern des Stadtrats von Osterode am Harz. Sprecher Als Deutschland noch geteilt war, lag die Grenze zur DDR nur wenige Kilometer entfernt. Osterode war Randgebiet. Bis zur Wiedervereinigung. O-Ton: Priesmeier Anfang der 90er Jahre waren wir hier alle euphorisch und haben gesagt: Jetzt liegen wir im Zentrum Europas und im Zentrum Deutschlands. Und jetzt geht?s hier steil bergauf. Aber dann hat uns die Realität eingeholt. Und dann sind zum Beispiel Unternehmen, die hier vor Ort ansässig waren, durch Konkurrenzförderung ein paar Kilometer gezogen und haben die Arbeitsplätze nach Thüringen verlegt. Einmal wegen der Förderung und zum anderen auch wegen des noch niedrigeren Lohnniveaus, und das drückt natürlich in die Region rein. Sprecherin Osterode ist ein Fachwerkstädtchen mit etwa 30.000 Einwohnern, eingebettet in sanfte Hügel. Die Luft ist frisch und duftet nach Wald. Nur Arbeitsplätze fehlen. O-Ton: Priesmeier Lebensqualität ist natürlich auch was Entscheidendes. Die Mieten sind hier nicht so besonders hoch. Man kann hier auch preiswert wohnen. Also für Familien ist das an sich ideal. Und mit Sicherheit günstiger hier vergleichsweise zu anderen Städten und Ballungsregionen. O-Ton: Geplänkel Eberhardt, der braucht noch bisschen Schmiere für gleich....(wetter) Sprecherin Wilhelm Priesmeier ist mit seinen 59 Jahren selbst nicht mehr der Jüngste. Um seine Wiederwahl muss sich der gelernte Tierarzt keine großen Sorgen machen. Seine SPD ist hier im Landkreis Osterode traditionell stark. Dreimal wurde Priesmeier bereits direkt gewählt. O-Ton: Berner Menschen wählen nicht anders, wenn sie älter werden. Die Menschen sind politisch sozialisiert zu einer bestimmten Zeit. Die wählen sozusagen dann immer, was sie schon immer gewählt haben. Und das ändert sich nicht, wenn sie älter werden. Sprecher Frank Berner arbeitet für die so genannte Altenberichtskommission. Die Gruppe von Wissenschaftlern erforscht für die Bundesregierung die Lebensumstände der älteren Generation. Ein wichtiger Job: 2060 wird jeder dritte Deutsche über 65 Jahre alt sein.Die Forscher wissen: Ältere wählen traditionell eher die beiden großen Volksparteien. Allerdings kommt neuerdings Bewegung in das Wahlverhalten. Mit den Grünen ist ein neuer Typus aufgetaucht. Ein großer Teil der Grünen-Wähler, die aus der 68er-Bewegung stammen, kommt jetzt ins Rentenalter. Und: Mit neu gegründeten Parteien tun sich Ältere schwer. Die Piraten etwa wurden von Über-60-Jahrigen gar nicht gewählt. Selbst Parteien, die von Senioren für Senioren gegründet wurden, bleiben Randphänomene. Atmo Osterode Sprecherin Der Landkreis Osterode ist besonders stark vom demografischen Wandel betroffen. Bis 2030 wird er ein Viertel seiner Einwohner verlieren. Um die Verwaltungskosten zu senken, ist eine Fusion mit dem Landkreis Göttingen geplant. Ende 2016 soll aus den beiden Landkreisen einer werden. Ziel: Weniger Kosten, mehr Förderung durch den Bund. O-Ton: Priesmeier Die Kommunen hier vor Ort brauchen ganz einfach mehr Geld, um ihre Funktionen und Aufgaben zu erfüllen. Und man braucht auch die entsprechenden Investitionen. Nichts anderes. (Atmo Ende) Sprecher Im Generationenvertrag, jener viel beschworenen Übereinkunft, die von niemandem je unterschrieben wurde, heißt es: Die aktuellen Renten werden durch die Beiträge finanziert, die die Arbeitnehmer und Arbeitgeber aktuell in die staatliche Rentenkasse einzahlen. Im Gegenzug darf die jetzt arbeitende Generation erwarten, dass das auch für sie getan wird. O-Ton: Berner Wenn für die Alterssicherung mehr bezahlt werden muss oder mehr Geld ausgegeben werden muss, dann müssen das erst mal die bezahlen, die was erwirtschaften. Sprecher Obwohl eine der wichtigsten Zukunftsfragen, ist die Rente ein heikles Wahlkampfthema und sehr dazu geeignet die eigene Wählerschaft zu beunruhigen. Zwar versprechen alle Parteien eine Mindestrente. Doch CDU und FDP wollen private Vorsorge dabei zur Pflicht machen. Linke und Grüne wollen sie über Steuererhöhungen finanzieren, die SPD glaubt, dass es auch ohne geht. Die für die Mindestrente angepeilten Beträge sollen zwischen 850 bis 1050 Euro pro Monat liegen. Musik: The Zimmers: ?Fight für your Right? (to Party) Sprecherin Von solchen Beträgen können die Aktivisten der ?Initiative 60 plus? in Köln jetzt schon nicht leben. Um ihre Rente aufzustocken, müssen die Ruheständler rund um Gisa Roland, Peter Ziegler und Hans-Werner Löckmann wieder arbeiten gehen. O-Ton: Roland Einige haben schon einen Job gefunden über unsere Vermittlung. Vieles ist auch sehr unseriös, was wir angeboten bekommen haben an Arbeiten. Direktmarketing-Geschichten, schlecht bezahlte Sachen. O-Ton: Löckmann Ich bin jahrzehntelang selbstständig gewesen, und dann habe ich die Firma in den Sand gesetzt und habe erst dann einige Jahre ins Rentensystem einzahlen können. Bin froh, dass ich überhaupt eine Rente bekommen, aber das ist ne Sache, die gar nicht ausreicht. O-Ton: Roland Ich bin mir ganz sicher, dass in den nächsten Jahren, wenn jetzt die neue Rentnergenerationen kommen, die dann auf den Rücken fallen, wenn die ihre Rentenbescheide sehen, das Problem virulent wird. Dass die Leute Jobs finden müssen. (Musik weg) Sprecher Bisher sind die Aktivisten in der Minderheit. Doch sie bilden die Speerspitze einer Bewegung, die in Zukunft massiv anwachsen wird. Bis 2030 wird das Niveau der Renten von derzeit 50 auf bis zu 43 Prozent der durchschnittlichen Netto-Bezüge sinken. Gleichzeitig wird das Rentenalter auf 67 Jahre steigen. O-Ton: Priesmeier Der Wert eines Facharbeiters, selbst wenn er schon ein bisschen älter ist, steigt ja. Da muss ich mir auch Gedanken machen wie kann ich die Arbeitsbedingungen, das Arbeitsumfeld so gestalten, dass er auch möglichst lange im Arbeitsprozess bleiben kann, ohne dass ihm das Probleme macht? Sprecher Was das für die Jungen bedeutet, ist kein Thema im Wahlkampf. Arbeit für alle, heißt es quer durch die Wahlprogramme aller Parteien. Aber wie Arbeit organisiert werden muss, wenn in Zukunft immer mehr Ältere in den Arbeitsmarkt drängen, darauf gibt es keine Antwort. Was geschehen kann, wenn die Jugend politisch abgehängt wird, hat sich in den 1970er und 80er Jahren gezeigt. Die Kinder der Wirtschaftswunder-Generation rebellierten gegen ihre Eltern. Gegen Umweltverschmutzung, Atomkraft und gegen die Lagerung von radioaktivem Müll, den sie als unzumutbares Erbe empfanden. Die Älteren, so fanden viele, erkauften sich ihren Wohlstand auf Kosten der zukünftigen Generationen. O-Ton: Berner Man war einfach weniger bekümmert, was die weitere wirtschaftliche Großwetterlage angeht. Anfang der 70er Jahre gingen viele Leute davon aus, dass das mit dem Wirtschaftswachstum immer schön so weiterlaufen wird. Erst Mitte der 70er Jahre kam dann die Wirtschaftskrise, da kam dann der Einbruch. Aber bis das durchgesickert ist in praktische Politik, das dauerte dann noch ne Zeit. Sprecher Trau keinem über 30, so lautete einer der Schlachtrufe der Generation, die vor rund 30 Jahren die grüne Partei gründete. Heute kommt sie selbst ins Rentenalter, erhebt aber immer noch den Anspruch auch die Jungend zu vertreten. Die Grünen fordern in ihrem Wahlprogramm einen neuen Generationenvertrag, wollen mehr Mitspracherechte von Kindern und Jugendlichen und mehr Orte, an denen Jung und Alt zusammenkommen. Eine Partei der Jungen sind die Grünen dennoch nicht: Die größte Wählergruppe ist um die 50 Jahre alt. Musik: The Zimmers: O-Ton: Egbert Hermann Und so als alter Mensch, da sage ich mir: Ich kann nicht gekündigt werden, in der Beziehung ist meine Rente sicher, und ich kann es mir auch leisten Aktionen mitzumachen, die am Rande der Legalität sind. Sprecherin Vor 35 Jahren schloss sich der Berliner Egbert Herrmann einer Bürgerinitiative an, um gegen Atomkraft und Umweltverschmutzung zu demonstrieren. Zur selben Zeit engagierte sich Elke Sauerbaum, ebenfalls in Berlin, für die Integration von behinderten Kindern in Schulen. O-Ton: Elke Sauerbaum Ich mach das nicht für meine Generation, sondern für meine Kinder und meine Enkelkinder. Sprecherin Egbert Herrmann und Elke Sauerbaum sammeln gemeinsam Unterschriften für ein Volksbegehren. Sie wollen mit dem Volksbegehren erreichen, dass das Land Berlin sein Stromnetz vom privaten Betreiber zurückkauft und den Strom künftig aus umweltfreundlichen Quellen bezieht. O-Ton: Elke Sauerbaum Ich finde, die Menschen können nicht nur alle vier Jahre zur Wahl gehen, das reicht heute nicht mehr aus. Ich finde, wir sollte heute solche Volksbegehren - das ist ein demokratisches Mittel ? aufgreifen. Und deshalb brauchen wir eben so viele Menschen, die in Rente sind und zu Hause sitzen und manchmal sich auch ein bisschen langweilen. O-Ton: Egbert Hermann Meine Enkelin ist 21 und sie ist politisch nicht aktiv, aber wenn ich sie dann frage am Infotisch mitzumachen, dann macht sie auch mit, obwohl sie dann nicht so genau weiß, worum es geht. Sie braucht dann ne Schnellschulung. O-Ton: Elke Sauerbaum Ich hab zum Beispiel als Mutter mit zwei Kindern und noch politisch gearbeitet, hab mich verausgabt. Und das machen die jungen Leute nicht mehr. Sondern die achten genau auf ihre Energien, sie geben auch mehr in ihre Familien rein. Das ist auch gut so, das finde ich gut so. Wir arbeiten für die jungen Leute. Wir haben die Zeit dafür, wir können das machen. Und sie sollen sich um ihre Familien kümmern. Es ist schon in Ordnung. Aber sie sollen auch auf uns gucken und sollen uns unterstützen. Atmo Stadtfest Musik Sprecherin Zurück in Osterode am Harz. Das Stadtfest nimmt langsam Fahrt auf. Priesmeier und seine Entourage stehen am Grill und essen Bratwurst. O-Ton: Geplänkel: Zwanzig vor vor zwei müssen wir hier los. Termin 15.30 Uhr... Sprecherin Nach einer überalterten Stadt sieht es hier eigentlich nicht aus. Viele Familien spazieren durch die Fußgängerzone , ältere Menschen sind eher in der Minderzahl. An den Karussells stehen die Kinder Schlange. Der Eindruck täuscht. O-Ton: Priesmeier Uns werden ja die Facharbeiter hier aussterben. Wenn man die Bevölkerungsentwicklung sieht, dann kann man sich ungefähr ausrechnen, welche Probleme die Unternehmen hier am Standort in einigen Jahren haben werden. Da nützt die gute Auftragslage nichts. Sprecherin Ein älterer Bürger verwickelt den Bundestagsabgeordneten in ein Gespräch. O-Ton: Bürger/Priesmeier Bürger: Ich war nach vielen Jahren erstmalig wieder in Bochum, wo ich positiv überrascht war, dass in einem Ortsteil, wo ich gewohnt und gelebt habe, 70 Prozent Ausländeranteil ist. Und da kriegt man ja zunächst mal immer das Große ?Hoffentlich geht das gut?. Es funktioniert. Das ist ja auch mal was Positives, was man dort vermelden kann. Dass nicht automatisch, wo viele Ausländer sind, alles den Bach runtergeht. Priesmeier: Zugang ist ja das Wichtigste auch zu dem, was in der Gesellschaft angeboten wird. Auch für diejenigen, die zunächst als Gäste und dann als dauernde Mitbürger gekommen sind. Da hat man vor 30 Jahren ja noch ganz anders gedacht. Sprecher Die Deutschen haben sich stets der Erkenntnis verweigert, dass sie auf Einwanderung angewiesen sind, um den demografischen Wandel zu bewältigen. Zum Thema wird Zuwanderung dann, wenn sie Probleme macht. Politiker, die mit einer positiven Willkommenskultur werben, die gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland anziehen könnte ? die gibt es in Deutschland offenbar nicht. Atmo: Türkische Bäckerin erzählt... Sprecherin An einem Marktstand verkauft eine türkische Familie selbstgemachte Spezialitäten. Über einem kleinen Ladenlokal auf der anderen Straßenseite steht ?Rückenwind ? Jugendbüro? eine Beratungsstelle für Jugendliche, vor allem für solche mit Migrationshintergrund. 20 Stunden pro Woche stehe ihnen hier eine fest angestellte Sozialpädagogin zur Seite, erzählt der stellvertretende Bürgermeister von Osterode, Peter Wendlandt, der ebenfalls im Tross von Priesmeier unterwegs ist. Ehrenamtliche böten zudem Sport- und Musikkurse an - und hälfen den Jugendlichen, ihre künstlerischen Ambitionen zu verwirklichen. O-Ton: Wendlandt Wildsprayen ist ja ein Problem. Da haben sie sich überlegt, wie kann man da machen, da haben sie hier eine Spraymauer installiert, wo man sprayen kann was auch beseitigt werden kann wieder neu besprayt werden kann. Mit dem Ergebnis, dass wir in der Stadt ganz gut dastehen und dass da dieses Problem in den Griff gekommen ist. Sprecher Problem Jugend. Kein Wunder, dass die Distanz der Jugend zur Politik so groß ist wie noch nie. Zwar sinkt seit Gründung der Bundesrepublik die Wahlbeteiligung stetig. Doch während etwa bei der letzten Bundestagswahl mehr als 80 Prozent der über 60-jährigen zur Wahl gingen, waren es bei den jungen Leuten nur noch 60 Prozent. Sie werden nicht nur immer weniger ? auch ihr Interesse an der Politik nimmt ab. O-Ton: Priesmeier Ich hatte letzte Woche ne Schulklasse aus dem Landkreis Goslar, da waren ja vor zwei Wochen Landratswahlen. Ich hatte da gefragt: Wie viele waren denn von Ihnen bei der Landratswahl? Zwei hatten sich gemeldet. Von 30. Die waren alle wahlberechtigt. Atmowechsel Seniorenresidenz (Springbrunnen, dann Stimmen) Sprecherin Wilhelm Priesmeier ist in der benachbarten Kleinstadt Herzberg angekommen. In der Seniorenresidenz Stiemerling, die einem Berghotel nachempfunden ist leben mehr oder weniger gebrechliche Senioren und Demenzkranke. Geschäftsführer Mark Stiemerling leitet neben dem Wohnheim in Herzberg vier weitere Häuser im näheren Umkreis. Sein Problem: Er findet nicht genügend Pflegekräfte. O-Ton: Mark Stiemerling Es werden zum Teil Wohnbereiche geschlossen in Pflegeheimen, weil nicht mehr genügend Fachkräfte vorhanden sind, um die Menschen vor Ort zu versorgen. Und weil die Frage der Finanzierung immer mitschwingt dabei, tun sich alle Beteiligten schwer. Sprecher Als Mitglied eines lokalen Bündnisses von Pflegeeinrichtungen ist Mark Stiemerling ein wichtiger Ansprechpartner für Wilhelm Priesmeier. Vor 30 Jahren hätte der Abgeordnete im Wahlkampf wohl eher Jugendzentren besucht. Heute muss er sich um die Senioren kümmern. O-Ton: Priesmeier Was Sie vielleicht oder andere die jetzt sozialversichert sind, dafür jeden Monat auf den Tisch legen müssen, egal ob privat krankenversichert oder gesetzlich, das hängt ja in dem Bereich was die Pflegekassen betrifft ja zusammen. Das wird mit einiger Sicherheit, wenn wir höhere Standards haben wollen, und das ist zwangsläufig, dass wir die haben müssen, wird das nicht die nächsten 20 Jahre im Konzept ausreichen. Das wird nicht funktionieren. Sprecher Altenpfleger verdienen im Durchschnitt brutto 2.300 Euro im Monat, über 70 Prozent der Pflegekräfte sind Frauen. Dazu kommt die Belastung durch den Schichtdienst und der ständige Zeitdruck. Ein Platz im Pflegeheim kostet je nach Pflegestufe, bis zu 3.000 Euro im Monat. Die Pflegekasse übernimmt nur etwa die Hälfte der Kosten. Die Patienten müssen 1.000 bis 1.500 Euro zuzahlen. O-Ton: : Stiemerling So wie das System heute ist, ist es unterfinanziert. Sprecher Allein 1,5 Millionen Demenzkranke gibt es heute. Bis 2050 soll sich die Zahl verdoppeln. Wenn die heute 30 bis 50-Jährigen im Alter gut versorgt werden wollen, muss die Pflegeversicherung dringend reformiert werden. Manche warnen bereits vor einem Pflegenotstand. Sprecherin Doch die Reform wird immer wieder verschoben. Es passiert: nichts. Musik: The Zimmers: Sprecherin Mit Altun Aktürk muss man darüber nicht diskutieren. Sie kennt die Verhältnisse in der Pflege genau. Die 70-Jährige kam vor über 40 Jahren mit ihrem Mann als Gastarbeiterin nach Deutschland und arbeitete in einem Berliner Pflegeheim. Seit sie im Ruhestand ist, engagiert sie sich als ehrenamtliche Seniorenvertreterin und setzt sich im Berliner Problembezirk Neukölln für die Belange der älteren Menschen ein. O-Ton: Altun Aktürk Patienten holen, in Bett packen, früh morgen waschen, Frühstück hinstellen, Mittag hinstellen und Abendbrot hinstellen und Betten machen und nach Hause gehen. Das ist für mich keine Pflege. In Pflegeheim muss viel aktiver sein. Das muss aber Politik ändern. Die Patienten liegen da, man findet die Patienten in einem Zustand ? unmöglich. Die Migranten, die kein Deutsch sprechen, natürlich haben sie noch mehr Schwierigkeiten. Und auch die deutschen Patienten trauen sich nicht etwas zu sagen oder zu beschweren, weil das kommt wieder zurück: Du hast dich über uns beschwert. Krankenhaus auch nicht mehr wie früher. Weil, die haben wenig Personal. Die Ärzte verdienen nicht mehr viel Geld, die Schwestern auch nicht. Und zweitens: Unsere Stadt spart nur in falschen Richtung: Bildung und Gesundheit. Da wird überall gespart. Die Leute müssen eigentlich auf die Straße gehen, dieser Meinung bin ich auch. Die Leute müssen Mund aufmachen, muss was sagen. Aber in Deutschland ist ja üblich: Ruhig. Die Politiker macht ihr schon alles richtig. Ist aber nicht so. Wir müssen Mund aufmachen, ganz laut schreien: Hey, ich bin auch da. Sprecher Die Organisation und Finanzierung der Pflege der Zukunft ist unumstritten eines der wichtigen Zukunftsthemen und alle Parteien stellen Reformen in Aussicht. Doch wie die finanziert werden sollen, wird im Wahlkampf kaum thematisiert. Wer will seine schon Wählerklientel schon kurz vor der Stimmabgabe beunruhigen. O-Ton: Priesmeier Im Grundsatz war das doch klar seit über 20 Jahren. Genauso wird es klar sein, was in 20 Jahren in etwa sein wird mit der Verteilung in der Bevölkerung. Und ich hoffe mal, dass Politik so viel Einigkeit aufbringt, dass man da zu 'nem tragfähigen Konsens kommt, und zwar im Sinne der Menschen, die hinterher Pflege brauchen. Atmo Stimmengewirr Sprecherin Immer mehr Menschen strömen in den Gemeinschaftsraum der Seniorenresidenz. Ein Polizist wird heute Nachmittag einen Vortrag über Kriminalität halten. O-Ton: Frau Die Senioren nehmen ja zu, und insofern ist es schon wichtig, sich um die Belange der Senioren zu kümmern. Und diejenigen, die jetzt, wir wir, noch im eigenen Haus wohnen, für uns ist das jetzt ganz wichtig. Zum Beispiel dies Thema heute. Mann: Liebe Gäste. Wir wollen heute einen Vortrag hören mit der Polizei. Wie können wir uns, die älteren Leute schützen. Im Haus oder auch auf offenen Plätzen.... Sprecherin Geladen hat die örtliche AG 60 Plus; kommen darf jeder, der will. Die Senioren aus den Ortsvereinen der SPD unterstützen den Wahlkampf ihrer Partei. Die Veranstaltung ist ein voller Erfolg. Bald sitzen hundert ältere Leute bei Kaffee und Kuchen zusammen. Redner: Ganz besonders begrüße ich unseren Bundestagsabgeordneten Wilhelm Priesmeier, der heute unter uns weilt (klatschen) Abblende. Sprecherin Der Wahlkämpfer ist ganz in seinem Element. O-Ton: Priesmeier Ihr wisst ja, ich bin ein Kämpfertyp und lass mich da nicht einschüchtern, egal, wer da kommt. Da glaub ich mal, sollte es uns doch gelingen, in unserem an sich doch mit einem guten sozialdemokatischen Fundament versehene Region auch wieder das Direktmandat wieder nach Hause zu fahren. Ich finde, so 'ne Region hat einen oder mehrere Abgeordnete verdient, aber mit Sicherheit einen direkt gewählten SPD-Abgeordneten und keinen Schwarzen. (Beifall) Das müsste allen klar sein, so ne gewisse Rangfolge sollte doch erhalten bleiben und darüber würde mich natürlich freuen, wenn ihr alle dabei mithelft... (Ausblende) Sprecher Der kämpferische Appell wirkt. Themen sind gar nicht entscheidend, es zählt die Tradition. Man wählt, was man schon immer gewählt hat. Es wird funktionieren. Die Alten sind stark im Wahlkreis. Sie werden Wilhelm Priesmeier auch dieses Mal zum Sieg verhelfen. Atmo: Beifall Sprecherin Beim Kaffee erzählt der 78-jährige Helmut Minne stolz, wie er für seine Partei bei der Wahl zum Gemeinderat den Sieg erzielte - weil er auf Jugendliche gehört hatte. O-Ton: Helmut Minne Weil diese jungen Leute sich eingesetzt haben für Sachen, wo man im Vorfeld gar nicht so drüber nachgedacht hat. Was die natürlich dann reingebracht haben und was dann auch ausdiskutiert wurde. Und dadurch haben wir gewonnen nachher. Wir sind in der Bevölkerung angekommen. Sprecherin Das örtliche Jugendfreizeitheim war wegen Beschwerden aus der Nachbarschaft geschlossen worden. Helmut Minne entdeckte das Thema und organisierte Gespräche zwischen Anwohnern und Jugendlichen. O-Ton: Helmut Minne Dann kamen die an und haben gesagt: Lasst uns doch mal das machen, was wir wollen, Bestimmt dich nicht immer nur das, was ihr wollt. Und so sind wir zueinander gekommen, jung und alt. Sprecher Die schlichte und zeitlose Botschaft: Man muss miteinander reden Musik: The Zimmers: My Generation Sprecherin Bevor der Vortrag des Polizisten beginnt, verabschiedet sich Wilhelm Priesmeier Es ist Samstagnachmittag geworden, und der Abgeordnete ist seit heute früh auf den Beinen. Zum Abschied mahnt er noch mal: O-Ton: Priesmeier Man soll da auch nicht das, was älteren Menschen berechtigterweise auch zusteht, weil sie in ihrem Leben ne hohe Arbeitsleistung erbracht haben, infrage stellen. Es kommt darauf an, dass man das miteinander gestaltet. Man muss natürlich das ausgleichen. Sprecher Aber wie? Der Eindruck drängt sich auf: Die großen gesellschaftlichen Herausforderungen spielen im Wahlkampf keine Rolle. Politiker sprechen die große Mehrheit an, und die wird immer älter. Welche Folgen der demografische Wandel für die Jüngern haben wird, ist kaum Thema. Vor allem die Volksparteien setzen auf einen traditionellen Wahlkampf, der ihnen eine beständige Wählerschaft garantiert. Fast sieht es aus, als behalte der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog Recht. 2008 hatte er der Bild-Zeitung gesagt: Zitator/ Sprecher vom Dienst ?Ich fürchte, wir sehen gerade die Vorboten einer Rentnerdemokratie: Die Älteren werden immer mehr, und alle Parteien nehmen überproportional Rücksicht auf sie. Das könnte am Ende in die Richtung gehen, dass die Älteren die Jüngeren ausplündern.? Sprecher Dabei drängen die Fragen der Zukunft: Wie werden sich die Renten entwickeln? Wie kann Arbeit für jung und alt organisiert, wie die Pflege verbessert werden? Wie erleichtern wir Einwanderung, und wie kann die Jugend in die Politik eingebunden werden? Themen, die immer drängender werden, je älter unsere Gesellschaft wird. Damit es nicht irgendwann heißt: Nach uns die Sintflut. O-Ton: Altun Aktürk Genau wie wir die erste Generation hier zu kommen für unsere Kinder haben wir Platz gemacht. Wir haben vorbereitet. Und was ich hier jetzt mache, das ist auch meine Kinder. Nach mir, wenn sie 60 sind, kommen sie genau da hin. Dann müssen sie weitermachen. Das ist ein Kreis, das findet kein Ende. O-Ton: Berner Ich glaube, dass im Alltag jüngere und ältere Menschen miteinander verbunden sind. Weil die einen eben die Kinder sind von den anderen. Die haben alle ein Interesse daran, dass es den anderen gutgeht. Die jüngeren Menschen haben natürlich auch ein Interesse daran, dass pflegebedürftige Menschen Hilfe und Unterstützung und Pflege bekommen, wie sie sie brauchen. Denn das betrifft die eigenen Eltern. Und das betrifft einen später selbst. (Musik Ausblende) Sprecher/in vom Dienst Nach uns die Sintflut? Wie der demografische Wandel den Wahlkampf verändert Ein Feature von Mirko Heinemann Es sprachen: Viola Sauer Markus Hoffmann Ton: Regie: Klaus Michael Klingsporn Redaktion: Martin Hartwig Deutschlandradio 2013 Nächste Woche in den Zeitfragen: ??Wir sind dann mal weg?? Nichtwähler in Deutschland Sie können die Zeitfragen nachhören und nachlesen unter: www.dradio.de 1