DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Die Meister und der Dilettant Wie ich zehn Takte auf einer Stradivari spielen wollte Feature von Helmut Kopetzky Deutschlandfunk / Norddeutscher Rundfunk 2010 Redaktion: Ulrike Bajohr Produktion, Sprechen, Regie: Der Autor Sprecher Englisch: Stephen Erickson URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? DeutschlandRadio Sendung DLF: 02.April 2010 Länge: 53`40 SERGEJ KRYLOV SPIELT CAPRICCIO Nr. 17 VON NICCOLÒ PAGANINI AUS DEN 24 CAPRICEN Op. 1 So klingt eine Meistergeige aus dem Jahr 1715. Schätzwert: sechs Millionen Euro. ABRUPT: BIERFLASCHEN-VERSCHLUSS PLOPPT AUF ? BIER QUILLT GLUCKERND UND SCHÄUMEND IN EIN GLAS Dr. Friedrich Blutner Bier A ... Und dann Bier B ... ÄHNLICHES EINGIESS-GERÄUSCH Dr. Friedrich Blutner ist Psychoakustiker. In seiner kleinen vogtländischen Firma studiert er das Ausgießgeräusch von Flaschenbier. Blutner Sie sehen ja: Für uns ist Schall schwingende Luft. Und ob das jetzt durch Eingießen eines Bieres erzeugt wird ... Autor ... oder eine Stradivari ... Blutner ... oder eine Stradivari ist für den Akustiker erst mal gleich ... Wir beschäftigen uns damit, zum Beispiel einer Autortür GERÄUSCH oder der Klappe einer Waschmaschine oder einem Haarspray GERÄUSCH ein typisches Geräusch zu geben. Beispielweise bei Wiener Würstchen, die sehr knackig klingen, beeinflusst diese Knackigkeit ? wenn man also diesen feinen Darm durchbeißt GERÄUSCH ? bis zu 70 Prozent den Geschmack. Die Schlüsselmuster, die Features, sind exakt die selben. Herr Blutner hat die "New Strad" erfunden. Aus dem akustischen Fingerabdruck einer "echten" Stradivari generiert er die Blaupause für einen fachgerechten Nachbau ? womöglich besser als das Original. Blutner Dann kann man Cremona im Erzgebirge zum Beispiel erzeugen. "IST DER STRADIVARI-CODE ENTSCHLÜSSELT ?" So stand es im Netz. KRYLOV BEENDET DAS PAGANINI-CAPRICCIO ELIN KOLEV (VIOLINE), BEGLEITET VON EVA SPERL (KLAVIER) BEGINNT MIT KRÄFTIGEM EINSATZ DIE SONATE IN A-DUR VON CÉSAR FRANCK (ZWEITER SATZ) Der 13-jährige Wunderknabe Elin Kolev aus Zwickau spielt auf einer New Strad, Baujahr 2009. Blutner Die Geige würde 20 000 Euro kosten. Ansage Die Meister und der Dilettant. Wie ich zehn Takte auf einer Stradivari spielen wollte. Feature von Helmut Kopetzky. MUSIK ENDET Meine Geige stammt aus Böhmen. Sie ist 90 Jahre alt. Schlanke Taille, breites Becken - ein bäuerlicher Leib. Sie könnte Kopftuch tragen und Gummistiefel. Ich finde ihren etwas rauen Klang nicht schlecht. Und sie verzeiht mir jeden Fehler. Wir sind ein tolerantes Paar. Jörg Meyer (GEIGENBAUER - ZUPFT DIE SAITEN AN) Find' ich ganz gut ! Ziemlich kernig ! In dem Bereich von zwei- bis dreitausend Euro würd' ich die ansiedeln, die Geige ... Autor Ehm ... Jörg Meyer ... Mit einem Cremoneser Zettel ... Autor (LIEST) ... Stradivarius Cremonensis Faciebat Anno 1703 ... Das Etikett, der sogenannte "Geigenzettel", ist natürlich eine Fälschung. Papier ist geduldig. Sechs Millionen für die alte oder 20 000 Euro für die neue Strad ... Oder schlappe zwei bis drei für meine Bauernfidel ? Die alte Diva aus Italien müsste also dreitausendmal besser klingen ... Kann man das Gefälle wirklich hören ? Wie viel ist der Mythos wert, wie viel der Klang ? DAS INNEN-GERÄUSCH EINES PERSONENZUGS SCHIEBT SICH UNTER DEN FOLGENDEN TEXT. DAS ROLLEN DER RÄDER UND DIE STIMMEN DER PASSAGIERE BLEIBEN ? GLEICHSAM ALS BASSO CONTINUO - ERHALTEN. ... Einmal dieses alte Holz riechen, den Lack. Die Vibration des Geigenkörpers und die Schwingungen der Saiten spüren an den Fingerkuppen und tief drin ... Nur 10 Takte spielen ? auf der "Echten" ! Darum fahr' ich hin. Nach Cremona. In den Geigenhimmel, wo die Stradivaris von der Decke baumeln. TELEFONSTIMMEN MISCHEN SICH IN DAS AKUSTISCHE GEFLECHT: Pronto ... Buongiorno ! ... Sono Katja Lückert della radio nazionale tedesca ? Morgen kommt meine Kollegin Katja aus Köln - als multilingualer Schutzengel. Parlo con la Fondazione Stradivari ? ? Cremona ist schon vorgewarnt. TELEFONSTIMMEN HOCH: Lui voi rebbe sonare ?? ? Sì ! Er selbst will spielen ?? (SIE LACHEN ETWAS VERSCHÄMT) DER ZUG HÄLT MIR KREISCHENDEN BREMSEN / LAUTSPRECHERSTIMME: "Cremona ... Cremona !" STIMMENGEWIRR AUF DEM BAHNSTEIG / GEHT IN DIE GERÄUSCHE DES FEIERABEND-VERKEHRS ÜBER (PKW, MOTORROLLER) DANN: SCHRITTE UND EINZELNE STIMMEN AUF DER FAST LEEREN PIAZZA DEL COMMUNE / EIN GEIGER SPIELT BACH Cremona in der Lombardei. 70 000 Einwohner. Die Stadt, in der sogar Straßenmusiker einen passablen Bach spielen. HANDY-TON (JOSHUA BELL), FAHRRADGERÄUSCH Mozart fährt als Handy-Klingelton vorüber. Jetzt, am späten Abend, ist das Zentrum beinah leer. Eine Opernkulisse. In den Bogengängen geigt ein einsamer Student und genießt die Echos, die die breite Front des Doms zurückwirft. Gelblich schimmern die Laternen ... Der Domturm, über hundert Meter hoch, verliert sich im Nebel. Weiter oben leuchtet noch die astronomische Uhr, bemalt mit Tierkreis-Zeichen, ein blasser Mond. Dort drüben, im Palazzo Comunale, hinter Panzerglas, schläft die Hautevolée der alten Geigen ? Amati, Ruggeri, Ceruti, Guarneri ... KLANGVOLLE ITALIENISCHE STIMMEN Guarneri ... Stradivari ... Amati ... Bergonci DIE KULISSE BRICHT AB SCHABEN, KRATZEN, HOBELN, SÄGEN / DRAUF: Eine Stadt und ihr Grundgeräusch. 200 Werkstätten hat Cremona. Die Form der Geigenböden und der Geigendecken wird per Hand mit Stemmeisen und Sandpapier und kleinen Kupfer-Hobeln aus dem rohem Holz geschält, geschabt, geraspelt und geschliffen. NÄHERE ARBEITSGERÄUSCHE / STIMMEN Der Besitzer dieser Werkstatt heißt Giovanni Battista Morassi, genannt "Gio Batta", Oberhaupt einer Sippe von Geigenbauern. Im Lauf seines Lebens hat er ungefähr 1000 Streichinstrumente gemacht. Wie Stradivari ! Morassi-Geigen kosten 15 000 Euro. Man bestellt und muss warten ? manchmal jahrelang. 200 Handwerkerstunden braucht eine Geige im Schnitt. Und Maestro Morassi ist 76. Man wird sich beeilen müssen. ALS "ERZÄHLENDE ÜBERSETZUNG" AUF DAS ITALIENISCHE ORGIGINAL: Er stammt aus den Bergen, wo das beste Fichtenholz wächst. Fichte nimmt man für die Geigen-Decke, Ahorn für den Boden. Den Ahorn bezieht Herr Morassi aus Ex-Jugoslawien ... Bosnia e Croatia e Slovenia ? Besonders die Mondphasen, sagt Signore Morassi, beeinflussen das Wachstum. Er achtet darauf, dass das Geigenholz bei abnehmendem Mond gefällt wird - und zwar im Winter, in der Ruhephase, wenn die Zahl der Schädlinge gering ist. Die vom Pflanzensaft entleerten Harzkanäle wirken außerdem wie winzige kleine Orgelpfeifen und verbessern den Klang. Das Holz, sagt der Meister, überrascht uns beinah jeden Tag ... Keine zwei Holzstücke sind gleich. Sogar Teile aus dem selben Stamm haben ganz spezielle Eigenarten. Die Natur produziert nie zwei völlig gleiche Dinge. Instrumente sind wie Menschen. Wir alle haben zwar zwei Augen, Nase, Mund ? aber sonst sind wir verschieden. Die Ausdrucksweise der Menschen und der Instrumente ist einzigartig. Ein Gesetz der Natur ! Das Holz ist es also ... GEIGEN-SAMPLES (ANSTEIGENDE TONLEITERN etc.) ? DARAUF: Ein früheres Skifahrerheim im vogtländischen Erzgebirge ist der Arbeitsplatz von Dr. Blutner. In den siebziger Jahren forschte er im Akustiklabor des "VEB-Kombinats Musikinstrumente und Kulturwaren" ? so hieß das damals. Autor Sie haben ja das erste Mal ? irgendwann muss es gewesen sein ? eine richtige Stradivari auf dem Tisch liegen gehabt, um die dann zu vermessen. Hat das bei dem Techniker Gefühle ausgelöst ? Blutner Ich bin da relativ ? sagen wir ? schon hart gesotten. Die Gefühle bekomme ich eher dann, wenn die Geigen gespielt werden, also im Konzert ... Dann gibt es natürlich entscheidende Unterschiede. Die konstruiert aber das Gehirn. Das sind Wahrnehmungen, die hauptsächlich unser Neokortex macht, unser Großhirn. Autor Nun sind Sie also auf die Geigen gekommen. Intuition, das könnte ein Weg sein ? Das fasziniert mich besonders ? Blutner Ich hatte die ganz einfache These: Der Stradivari hat als Baby einen Viertelton höher geschrieen wie der Guarneri. Mich hat wirklich interessiert: Was ist hinter diesen Schalen und diesen Hüllen. Autor Ja ? was war 's ? Blutner Was ist der Mensch ? Das Neugeborene schreit das eingestrichene A in die Welt. Also muss ja doch irgendwie was zusammenhängen zwischen Stimmung und Stimme. Nur vom Vermessen von alten Geigen kommt man nicht an die Quellen. Das haben die Japaner versucht, schon in den 60-ziger Jahren. Die haben die Stradivari, wenn ich mich richtig erinnere, bis in die Sägespäne auseinandergenommen und versucht, durch Vermessung das nachzubauen. Das funktioniert nicht ! Den Geist, den können Sie nicht durch dumme Messdaten ersetzen ! Wenn man den nicht sensibel interpretiert, kann man mit diesen ganzen Messdaten nicht viel anfangen. ARBEITS-ATMOSPHÄRE Die Schule für Geigenbau. EIN DIALOG ZWISCHEN SCHÜLERIN UND DOZENT (ITALIENISCH) Stimme Hallo ! Katja Lückert Hallo ! Eine Deutsche ! Autor Ach, wie schön ! Theresa Falkner, 24 Jahre alt. Kurzes Geigenbau-Praktikum nach dem Abitur in Passau. In Cremona schon das vierte Jahr. Autor Das ist ein Cello-Boden ? Ist das auch Ahorn ? Falkner Genau ! Das ist Ahorn. Autor Wie bei der Geige auch ... Wird das immer noch auf den Formen von Stradivari aufgebaut ? Falkner Wir nehmen die klassische Form von Stradivari, zum Beispiel die Geige, die "Cremonese" heißt ... Die klassischen Formen werden hier gelernt. DURCH DIE TÜR IN EINEN ANDEREN SEMINAR-RAUM / STIMME DER DOZENTIN / DRAUF: Autor Das sind also die Geheimnisse des Lacks, von denen immer geredet wird ? Falkner Genau ! Autor Stradivari ... Und alles liegt am Lack ? Falkner ... was nicht unbedingt immer stimmen muss. An der Schule gibt es natürlich keine Geheimnisse (LACHT) ... Autor Da können wir ja gleich gucken, was in diesen Einweckgläsern drinnen ist ! Ist da Lack drin ? Falkner Genau. Das ist jetzt einmal ein Propolis-Lack ... Autor Ein was ? Falkner Mit Propoli ... mit Bienenwachs ... Und dann verwenden wir hauptsächlich den Mischlack aus Alkohol und Clementina ... Essenza di Clementina ... Ein Harz, das destilliert wird ? Autor Aber das sind Dinge, die alle im Grunde verwenden ... Falkner Genau. Zum Färben des Lackes verwendet man verschiedene Wurzeln und Blätter ? Autor Ich hab' ja auch gehört, dass Stradivari seinen berühmten, geheimnisvollen Lack beim Apotheker gekauft hat ? Falkner Eben ! Viele sind der Meinung, dass der nie seinen Lack selber gemacht hat, dass alle den gleichen Lack benutzt haben. Nur die Färbung hat jeder selbst (gemacht) ... SCHRITTE / IM TREPPENHAUS (STIMMEN, QUIETSCHENDE TÜREN) Autor Haben Sie schon mal auf einer Stradivari gespielt - die überhaupt in der Hand gehabt ? Falkner In der Hand schon, aber gespielt noch nicht ... Autor Nicht erlaubt. Falkner Nee ... Autor Kommt man nicht 'ran ... Falkner Man muss Glück haben, um die überhaupt anfassen zu dürfen ... Autor Auch als Student. Falkner Genau ! Autor (IM HINAUSGEHEN) Ich hatte mir nämlich in den Kopf gesetzt - das war so meine Idee als Amateur, der ich bin -, einmal im Leben eine richtige Stradivari zehn Takte zu spielen ... (SIE LACHT) Da stoß' ich natürlich überall gegen die Wand ... SERGEJ KRYLOW SPIELT NICCOLÓ PAGANINI (MOSES-FANTASIE NACH GIOACCHINO ROSSINI) TELEFONSTIMMEN (ES GEHT UM DIE ABWESENHEIT VON ENTSCHEIDUNGS-TRÄGERN) Noch keine positive Antwort. Wer ist zuständig für mich ? ... Ufficio stampa ... Das Pressebüro ? TELEFONAT ENDET / ES WIRD AUFGELEGT Auch Herr Morassi hat Bedenken ... Morassi (ITALIENISCH) Wissen Sie: Es ist auch schwierig, so ein altes Instrument zu spielen ! Ein kleiner Fiat fährt sich leichter ? sagen wir ? als ein Ferrari ! (SIE LACHEN) MUSIK ENDET Krylow In my mind like a violinist I feel that exists a nice sound and not so nice sound ? Ein Instrument klingt entweder gut oder weniger gut, sagt Sergej Krylov, russischer Geiger mit ständigem Wohnsitz in Cremona. Krylow To say which is the real sound of Stradivari ? I honestly don't know. Violin is a little bit like a cheese. You know ? when you are making a cheese here and you go over the river: same milk, same situation, everything same ? but the taste of the cheese is different ! Die Geige vergleicht er mit einem Käse ? die selbe Milch, die selben Zutaten ? aber auf jeder Seite des Flusses (sicher meint er den Po, der an der Stadt vorbeifließt) schmeckt der Käse anders. Krylow I just know: It's a beautiful sound. And you can recognize gold colour in sound. Für ihn ist der Stradivari-Klang ... Gold. Salvatore Accardo We have our sound, our voice, and Stradivari is really the perfect amplifier of your own sound ! Salvatore Accardo ... Der internationale Topstar leitet derzeit eine Meister-klasse in Cremona. Stradivari-Geigen, sagt er, verstärken den eigenen inneren Ton wie keine anderen. Er selbst besitzt gleich zwei Exemplare aus des Meisters Glanzzeit. Accardo For instance, if you like to sing ? We like to sing ? of Rossini, of Bellini ? And Stradivari gives you la percezione ? the perception of singing and not playing ? you know what I mean ! Eine Stradivari gibt dir das Gefühl zu singen, nicht zu spielen, sagt Accardo. Autor There are people in Germany, they characterize the Italian sound of violins a bit more like "red" ? Accardo I would agree with this ? Der Ton, da stimmt er mir zu, hat etwas Rötliches ? Accardo Maybe ? it goes more with blue also ? Vielleicht auch mehr Blau ? Accardo And sometimes with dark yellow ? Oder manchmal ein gedecktes ... Gelb ... (SIE LACHEN) ACCARDO SPIELT TSCHAIKOWSKY MIT KLAVIER-BEGLEITUNG / DRAUF: Kein Instrument, hört man sagen, klingt so schwülstig, so lasziv auf den tiefen Saiten - aber auch so warm und mütterlich, wie eine "echte Stradivari" ! Nur vier Finger und ein halber Meter Draht oder Darm, und man möchte weinen - wie bei Tschaikowskys Op. 11, gespielt von Salvatore Accardo . ACCARDO SPIELT / DRAUF: Ja - was steckt nun hinter diesem Klang ? Doch ein Wunderfirnis aus geheimen Zutaten ? Ein Sud aus Vulkanasche und Eiweiß, aufgetragen vor dem Lack ? Oder dieser Pilz, der sich beim Flößen damals auf den Stämmen eingenistet hat ? Das Bad in Pferde-Urin, um das Holz zu imprägnieren ? MUSIK ENDET Oder nichts als Suggestion - der Klang des Namens Stradivari ? Noch eine Theorie: Krylov Here in Cremona in 1710 or 1720 was a really special climate ! Anfang des 18. Jahrhunderts herrschte in Europa eine sogenannte "Kleine Eiszeit". Krylov Incredible humidity. Fog ? In den kalten Wintern und den nebelfeuchten, kühlen Sommern wuchsen die Bäume langsam und sehr gleichmäßig. Krylow All violins ? not just Strads but also modern violins ? are playing very good in this town. Auch das heutige Klima, sagt Krylov, bekommt der Stradivari. Alle Geigen spielen sich sehr gut in dieser Stadt ? ob neu, ob alt. Krylow Because humidity is high. The climate is very important for the wood, for the strings, for the hairs of the bow. Das Holz, die Saiten und die Bogenhaare mögen hohe Luftfeuchtigkeit. Theorien und Geheimnisse. Und alles um zwei dünn geschälte Bretter - eine zerbrechliche Kiste für schwingende Luft. 500 Gramm das ganze. S. ACCARDO SPIELT DEN TANGO VON ISAAK MANUEL ALBENIZ Op. 165, ARRANGIERT VON FRITZ KREISLER / DRAUF: Große antike Violinen stellen eine stabile, dankbare Investition dar ? selbst in den schlechtesten Zeiten, wirbt die global operierende Instrumenten-Handelsfirma Bein & Fushi. Stimme The reality of one of the world's most durable assets has somehow escaped notice. Stocks, real estate, currencies, oil, gold, winter wheat, even countries have come and gone. Anders als bei Immobilien, Währungen, Öl, Gold, Winterweizen, ja ganzen Ländern, ist der Wert von Stradivaris in den letzten 48 Jahren um 25 000 Prozent gestiegen. Stimme Meanwhile, a few thousand Italien instruments produced in Cremona between 1550 and 1750 have only gone up ? Get the best instrument and bow you can, as soon as you can ! Halten Sie sich ran ! Und Ihr Profit wird gewaltig steigen ? musikalisch und finanziell. Stimme ... And you will be greatly enhanced - musically as well as financially. Von den elfhundert Geigen, Violen, Celli mit dem Signum "Stradivari" ist die Hälfte noch vorhanden: zwei- bis dreihundert in Europa verstreut, 250 in den USA, rund 50 in Fernost. Auf dem Weltmarkt werden jedes Jahr 10 bis 20 echte Stradivaris angeboten. TELEFON-RUFTÖNE UND BESETZTZEICHEN Ich hatte mir das leichter vorgestellt. Ein kleines Experiment ... Würde mich der Klang der alten Dame wirklich so verhexen, wie man sagt ? GEIGENSTUNDE IM HINTERGRUND Zehn Takte nur. Aber welche ? Wieniawski, Polonaise op 4 ? Kreisler, Sarasate ? Bach ?? Mein Geigenlehrer riet mir zu Carl Stamitz, Quartetto Concertante in G-Dur ... AUTOR UND GEIGENLEHRER FEILEN AN DEN 10 TAKTEN: Ta ta-ta ta ... Ta ta-ta ta ? Sie werden mich nicht 'ranlassen ? als Dilettant. Kein Geigenfleck am Hals - der Ausweis fehlt ! EXTREM-PASSAGEN DER KLASSISCHEN VIOLIN-LITERATUR VERDRÄNGEN DIE GEIGENSTUNDEN-ATMO Gidon Kremer ... Itzhak Perlman ... Julia Fischer ? Hilary Hahn ... David Garrett ... Isabelle Faust ... Anne-Sophie Mutter - diese Akrobaten in der zwölften Lage, die uns Dilettanten immer zeigen, wo der Fidelbogen hängt. Ihnen würden sich gleich alle Türen öffnen, ganz von selbst ... Accardo ? And another important thing is to play well the violin ! Wichtig ist, dass man die Geige gut spielt, sagt Accardo. Autor Jaja ? So ? if you are a poor violinist like me for example you could also introduce the wrong vibrations ? Accardo ? the wrong vibrations to the violin. This is sure ! Man überträgt so leicht die falschen Schwingungen. (SIE LACHEN) HARTER SCHNITT VON DER MUSIK IN DIE WERKSTATT-ATMO MORASSI Die meisten Cremoneser Werkstätten sind eng, verwinkelt. Die Fußböden mit Sägemehl bestäubt. In einem Raum die Rohlinge, im anderen ? an Drähten aufgehängt ? die frisch lackierten Geigen. Publikum und Nachbarn gehen ein und aus. Taubenschläge, nichts Geheimnisvolles. Arbeit und Geschäft. Ähnlich war das wohl im 18. Jahrhundert. Cremona hatte nur 15 000 Einwohner. Und wurde doch in weniger als 50 Jahren zur wohlhabenden Welthauptstadt des guten Klangs. "So reich wie Stradivari" wollten alle werden - er war auch ein gewitzter Kaufmann. Morassi (ITALIENISCH ? DARAUF:) Damals, sagt Maestro Morassi, hat sich der Geigenton rasant verändert. Das war die Wende zum großen Ton. Die barocke Kammermusik hatte in kleinen Räumen stattgefunden. Jetzt kam das Virtuosentum auf. Große Säle, großes Publikum. Paganini dann als Höhepunkt ... Die Geige streckte sich, ihr Hals wurde länger, der Ton größer. Katja Lückert FRAGT - Morassi ANTWORTET (Ital.) In den Jahren vorher, sagt Herr Morassi, klangen Stradivaris Instrumente viel, viel schlechter. Krylov (ITALIENISCH, DANN RUSSISCH) Die waren ganz einfach, wie vom Dorfschmied gemacht. Aber Stradivari lebte lang genug, um die Szene gründlich aufzumischen. Blutner Heute ist es so: Den Solist ? ja ich sag ?s so hart - nimmt man fast wie einen Akrobat wahr, der eine Hochleistung zu bringen hat. Und diese Hochleistung möchte man möglichst so erleben, wie man 's auf der CD oder im Fernsehmitschnitt bekommt ? die Musikerin voll im Bild und dann der Ton wie durch 'n Ofenrohr ? das passt nicht. Und daraus kommt ein gewisser Zwang zum großen Ton ... Autor ... dem Sie ja auch in gewisser Weise Rechnung tragen ! Blutner Jaja - den hatte aber auch schon Stradivari. Autor Die Dünne der Decken war glaub' ich ein Problem damals ... Blutner Genau ... Wenn man jetzt verschiedene Ausarbeitungen von Decken untersucht, dann stellt man fest, dass es gut wäre, wenn man an bestimmten Stellen, die der Computer uns gibt, mehr ausarbeiten könnte. Autor Abtragen ... Blutner Mehr abtragen vom Holz ... Der Computer macht Resonanzen im Geigenkorpus als farbige Muster sichtbar. Erstaunlicherweise gleichen sie dem Gespinst von Klanglinien auf Stradivaris vergilbten, stockfleckigen Zeichnungen. Blutner Wenn sie übliches Holz verwenden, dann hat das Grenzen, weil dann sonst die Decke einbricht. Und von daher kam dann die Überlegung, wir könnten doch das Holz schonend stabilisieren. Autor Also man geht von existierenden Instrumenten aus, die auch hier gebaut werden in der Gegend ... Blutner Richtig, genau ! Autor ... und versucht die dahingehend zu verändern. Blutner Ja ... ja ! Er nennt es "Fine Tuning". Nur einzelne Teile des hölzernen Hohlkörpers werden mit dem Verbundstoff - einem Kunstharz - verstärkt. Die so behandelten Geigen, sagt Blutner, sind schwing-freudiger und kräftiger im Klang. Sergej Krylov I believe in the new instruments. And I have also a new instrument that I usually use, because my father was a violin maker ? Während der Sowjet-Zeit hat sein Vater in Cremona Geigenbau studiert. Sergej Krylov My father was the first Russian violin maker who was studying violin making here in Cremona in the Soviet Union time. Krylov (RUSSISCH) Fast immer, wenn er seines Vaters Geige spielt ? in den größten Konzertsälen der Welt - fragen die Leute: "War das nun eine Stradivari oder eine Guarneri ?" Also könne man auch heute noch eindrucksvolle Instrumente bauen. Allerdings ... Sergej Krylov We are full of cars, problems with clean air. We don't know, how that violins will play after 300 years ! Wer weiß - bei dieser Luftverschmutzung ? wie sie noch klingen werden in 300 Jahren ? MUSEUM STRADIVARIANO / DIE STIMMEN DER FREMDENFÜHRER UND DER BESUCHER (EINE SCHULKLASSE) Sein Werkzeug ... 710 Objekte im Stradivari-Museum: Sägen ... Schleifsteine und Wölbungshobel ... Schnitzmesser und Feilen ... Schraubenzwingen, Stechbeitel ... Bohrer, Zirkel, Stimmsetzer und Biegeeisen ... Leimtiegel ... Sieht aus, als hätte Stradivari seine Werkstatt nur mal kurz verlassen ? "Bin im Bistro nebenan". ATMO KURZ HOCH: DIE STIMME DES FREMDENFÜHRERS Da liegt sie vor uns, die am meisten abgenutzte Form: "G" wie "grande" oder "grosso". Die Mutter aller Stradivaris - und die Urform unserer modernen Geigen. Ein ausgesägtes Brett. Auf den ersten Blick sieht der Umriss meiner böhmerwälder Bauernfidel auch nicht anders aus ... ATMO WEG Blutner Für uns ist hier in erster Linie wichtig, dass man eine Standardisierung gefunden hat. Der sogenannte Bau über der Form. Zum Beispiel die berühmte ?Forma G?, über die Stradivari eigentlich die meisten Geigen gebaut hat. Und von da her hat man im alten Cremona systematisch Klanggestaltung gemacht. Stradivari war einer der ersten Sounddesigner. Autor Er hat es für sich aufgeschrieben, er hat es nicht publiziert ? das waren ja damals Handwerksgeheimnisse ... Blutner Ich glaube aber, das war ein glückliches Volk in Cremona. Die Geigenbauer haben schon mit einander gesprochen, die haben nicht immer die Türen zugehabt. Man sieht auch an den Ähnlichkeiten der Instrumente, dass dort kommuniziert wurde. Und aus diesem Netzwerk heraus wurden Klanggestalten gefunden, die bis heute einzigartig sind. Da ist nicht die Leistung eines einzelnen. NICOLA SEGATA SPIELT CELLO Nicola Segata Ich war einmal in Cremona bei der Geigenbaumesse. Und ich hab' eine Geige gehört ? die klingt so gut ! Und die war aus Carbon ! Autor Carbon ... Auch Nicola Segata aus Trient studiert an der Geigenbauschule "Antonio Stradivari". Segata Dazu ist es aber so: Wenn man spielt als Musiker, man fühlt am Ende dass es Plastik ist. Das ist zu perfekt ... Das ist wie bei den ganz schönen Frauen, die mit Photoshop geschminkt werden. Immer perfekt am Anfang, aber dann fehlt so ein bisschen ... Bei alten Instrumenten findet man auch ganz viele Fehler. Es gibt viele Risse. Aber sie haben so diese Geschichte, sie haben einen Charakter. Sind älter und viel sensibler geworden, empfindlicher. Aber das ist kompliziert zu sagen ... SEGATA SPIELT EINE KURZE PASSAGE EINER EIGENKOMPOSITION / DRAUF: Dieses Cello aus der Cremoneser Werkstatt von Silvio Levaggi ist gerade mal ein Jahr alt. Autor Was würde den Unterschied ausmachen, wenn das jetzt ein altes Cremoneser Instrument wäre ? Es heißt ja immer: Stradivari überbietet alles ! Segata Das ist eine große Frage, wirklich ... Ich habe einmal ein Cello von Stradivari gespielt ? das war früher von Rostropovich gewesen ... Das war unglaublich, was man gefühlt hat beim Spielen ! SPIELT (EIGENKOMPOSITION) Salvatore Accardo Something very interesting I want to tell you about the life of a violin. 25 years ago I bought the Stradivari which belonged to Zino Francescatti who has been one of the most incredible violinists of our time. He played himself that violin for 45 years. Well ? after my first concert with this violin a person came backstage to me and he asked me: Is Francescatti your favourite violin player ? And I said: He is one of my favourites, but why you ask me such a question ? And he said: Because you have the sound of Francescatti. And this means, when you play a violin all your years and years and years, something of yourself comes in the violin. And comes out when you play ! Vor einem Vierteljahrhundert kaufte Salvatore Accardo die Violine des berühmten Virtuosen Francescatti. Der hatte 45 Jahre lang darauf gespielt. Nach seinem ersten Auftritt mit dem Instrument fragte einer, ob Francescatti sein bevorzugter Solist sei. "Sie klingen wie er !" Das zeigt doch, sagt Accardo, dass nach Jahren immer etwas von unserem Selbst in die Violine übergeht ! Autor It has a memory ? Accardo Ja ! Ja ! This is magic, you know ! MONTAGE: Katja Lückert Solo per immaginare ? In caso che lui vorrebbe suonare uno di questi strumenti... è possibile ? ? Autor (IM HINTERGRUND) Ich spiel ja selbst auch 'n bisschen Geige ? Mein Projekt verkümmert im Konditional. Zehn Takte nur ... Wir reden um den heißen Brei. Autor Einmal in meinem Leben ... Paolo Bodini (ITALIENISCH) Die Instrumente sind in der Obhut des Konservators, sagt Paolo Bodini, Präsident der Stradivari-Stiftung. Wir verleihen sie nur an Musiker von internationalem Ruf ? normalerweise. Autor (LACHT ? IM WEGGEHEN:) Ich bin kein internationaler Solist ... STILLE ATMO IM SHOWROOM DES RATHAUSES Die Geigenhalle im Palazzo Comunale ist gewöhnlich kirchenstill. Weiches Licht fällt durch die transparenten Vorhänge. Die wenigen Besucher wagen kaum zu flüstern. Andacht steht im Raum. Zwölf Instrumente ? 30 Millionen Euro. Eine Aufseherin in Schwarz, im Halfter die Beretta 92 ? Neun-Millimeter-Parabellum-Munition. Sie musste die Amatis, Guarneris, Stradivaris bisher noch nie verteidigen. Katja Lückert (ÜBERSETZT) ? und insofern hoffen wir, dass hier nur freundliche Besucher kommen ? Autor Wie wir ? Katja Lückert E di notte ? (DIE AUFSEHERIN ANTWORTET) Da hängt es in seinem Schneewittchensarg ? das Objekt der Begierde: "Il Cremonese" ? 1715 ex Joachim, benannt nach einem Vorbesitzer - einem jener "zweiten Paganinis" aus dem 19. Jahrhundert: Joseph Joachim. Zum Greifen nah. Und hier kommt Signore Andrea Mosconi, der Konservator, 78 Jahre alt. Wie jeden Tag seit 30 Jahren, außer sonntags, öffnet er Punkt Acht die erste Panzerglas-Vitrine GERÄUSCH ... zückt den Geigenbogen ... schließt die Augen ... MOSCONI STIMMT UND SPIELT / DRAUF: Jedes Instrument bespielt er sieben oder acht Minuten ? zum Frühstück eine Tonleiter oder ein paar Takte Bach. Auch Ausnahme-Geigen werden nicht jünger. Herr Mosconi ist ihr Physiotherapeut. Instrumente sind wie Menschen, sagt er. Müssen bewegt werden ? rosten sonst ein. Sie haben 's gut in diesem Luxus-Altersheim - immer angenehme 20 Grad. 50 Prozent Luftfeuchtigkeit. MOSCONI BEENDET SEIN SPIEL / STIMMT DIE ?CREMONESE? Andere dieser würdevollen, runzeligen Wesen ruhen in klimatisierten Bank-Safes und verlieren durch Nichtstun ihr berühmtes Timbre ? falls sie nicht das Alter schon zermürbt hat. Nicht mehr als 25, 30 Stradivaris - weltweit - sollen noch zur Spitzenklasse zählen. Salvatore Accardo Il violini sono una materia viva ? "Messiah" maybe is the most beautiful violin of Stradivari. But never was played. Never ! I'm sure if we go there and play the violin, it will be terrible ! I'm sure ! Because for 300 years there ? not be played ? It's terrible ! Die "Messias" aus dem Jahr 1716, vielleicht die schönste aller Stradivari-Geigen, wurde niemals gespielt. Salvatore Accardo ist sicher: Sie würde grässlich klingen ? nach 300 Jahren. Ende der 20er Jahre hat die britische Sammlerfamilie Hill für alle Zukunft das Spielen auf der "Messiah" verboten. So dämmert sie in Oxford vor sich hin. GEIGEN-SAMPLES WERDEN IM HINTEREGRUND EINGESPIELT Blutner (LAUTSPRECHER-STIMME IN EINEM HALLIGEN SAAL) ... Die Guarnerius, die ist 'n Hauch tiefer, 'n Hauch brutaler. Und die Stradivari ? die ist 'n Hauch heller, feiner, edler, vom Klang her eher blond. Und die Guarnerius ? das ist eher was Dunkelhaariges, Rassiges ... DRAUF: Der "Musikwinkel" im Vogtland um die Orte Klingental und Markneukirchen galt einmal als "nördliches Cremona". 300 000 Saiteninstrumente gingen jährlich in die Welt. Doch in den 80ern des vorigen Jahrhunderts brach der Markt zusammen. Südostasien produziert Massenware eben billiger. Die Nische heißt bezahlbare Qualität. Unermüdlich wirbt der Klang-Rebell Friedrich Blutner für die "neue Stradivari", die sich ein Profi auch leisten kann. ATMO WIEDER HOCH Blutner ... Und dann auch ganz wichtig bei der Geige: Dass das Grobe und das Feine gemischt ist. Das ist wie bei 'm guten Parfum ? da ist auch immer 'n bissel Moschus drinne, was Deftiges, was von wilder Sau ... DRAUF: Der Saal ist halbleer. Blutner zieht durch die Lande und predigt den Tauben. Die Szene ist konservativ. Sie zeigt der Neuen Strad die kalte Schulter. Eine "richtige" Geige trägt Abendkleid, sie kommt auf Lackschuhen. Sie spielt mit. ATMO HOCH Blutner ... und dann sind die in der Tat kaum noch zu unterscheiden von dem Klangbild alter italienischer Geigen ! SCHÜTTERER BEIFALL / DIE VERSAMMLUNG LÖST SICH AUF / FOYER-GEPLAUDER - IM HINTERGRUND WERDEN GEIGEN GETESTET Verschiedene Stimmen ? Cremona ist natürlich ein Mekka der Traditionalisten. Das ist klar ? während die Innovateure im Erzgebirge sitzen. Aber das macht ja nix ! Ich glaube, es wird auch ein bleibender Kampf gegen die Skepsis werden. Wenn das hier in Hände von tollen Musikern kommt und sie das nicht wissen - dann ist das immer ganz erstaunlich wie die reagieren. Autor Wie ? Stimmen Die bewundern den Klang von dem Instrument, und wenn sie dann hören, da wurde mit Edelharz gearbeitet, verschwindet das "Edel" auch in der Wahrnehmung, und dann ist es eben plötzlich keine "echte Geige" mehr. Naja ... Es ist eine Herausforderung, zu sehen, wie wir dann standhalten mit den Verbesserungen. Und dann können wir ja auch sehen, wer gewinnt ! (GELÄCHTER) Das Rennen ist noch nicht gelaufen ! Also meine Philosophie ist: Wir leben heute ! Heute leben wir in einem goldenen Zeitalter, das wissen nur noch nicht so viele Menschen. Ein goldenes Zeitalter für die neuen, für die zeitgenössischen Geigen. Wir Geigenbauer schaffen die klassische Geige für die nächsten Generationen. EIN TELEFONGESPRÄCH WIRD BEENDET, DER HÖRER WIRD AUFGELEGT / SCHRITTE UND NAHE ARBEITSGERÄUSCHE Robert Gasser Ich werde bald einen Corpus für eine Bratsche fertig machen nach einem Modell von Antonio Stradivari aus der ersten Periode, ungefähr 1672 ... KRAMT HERUM Gasser (FRANZÖSISCH) Jedes Instrument ist eine Anregung für das nächste ... Robert Gasser, vor 35 Jahren aus der Schweiz nach Italien eingewandert, ist der Typ des Einzelkämpfers ? ein Mann wie Blutner. Gasser (FRANZÖSISCH) Ein Leben ohne Netz. Nur so fühlt man sich kreativ und frei ? wie Andrea Amati, Stradivaris Lehrer, der unglaublich modern war. Dahin will er zurück. Gasser (FRANZÖSISCH ? DRAUF:) Er fürchtet nur: Es gibt zu viele Geigenbauer in Cremona. 145 seien bei der Handelskammer registriert. Ebenso viele arbeiten seiner Schätzung nach schwarz. Und dann sind da noch die vielen Studenten, die ihre Geigen in der Küche basteln. Und alle kleben "Cremona" drauf - gute Durchschnittsware, geadelt durch das verkaufsträchtige Etikett. Gasser Aaah ? aaah ? Stradivari ! Francesco Toto (ITALIENISCH- DRAUF:) Der Geruch des Geldes wirkt so anziehend, sagt Francesco Toto, Vizepräsident des Consorzio Liutai, der örtlichen Geigenbauergilde ... Stradivari wurde erst nach seinem Tod kopiert ... Wir werden es schon zu Lebzeiten. (LACHT) Deshalb hat das Consorzio eine Handelsmarke eingeführt. Sie garantiert, dass die Geigen in der Tradition der Cremoneser Schule angefertigt werden. Robert Gasser Vorher es gab manchmal Leute von China ? die haben Phantasienamen auf die Geige (geschrieben) mit "Cremona" ... Hier Sie sind sicher, dass der Geigenbauer (KLOPFT AUF HOLZ) auch arbeitet, lebt und zahlt Steuern in Cremona (LACHT) ! Und er klopft auf Holz (das ja überall herumliegt). Gasser (LEGT SEIN WERKZEUG BEISEITE / AUF DEUTSCH:) Eine Geige von mir kostet 10 000 Euro ... Eine solche Bratsche ist 12 000 ... Man kann das ein Leben lang spielen. Und dann wird man vielleicht auch mehr Geld haben als vorher. (FRANZÖSISCH:) Der Wert steigt, wenn der Hersteller erst einmal tot ist (SIE LACHEN) ... Blutner Machen wir die Türen zu ! Das Gewandhaus in Leipzig. Blutner So ? wir machen jetzt einen sogenannten Doppel-Blindtest. Niemand weiß, welche Geigen --- ich weiß es nicht, Sie wissen es auch nicht ? Da hinten auf dem Podium liegen sie, die Kontrahenten, halb verdeckt: drei neue Geigen (klassisch hergestellt), zwei alte Italiener, drei "New Strads". Blutner Jürgen Fleischhauer spielt dann jetzt acht Geigen an. Sie können sich dann gern auf ihren Zetteln Notizen machen, wie sie 's wollen, und ich freu' mich jetzt auf die Klangprobe mit Herrn Fleischhauer. ? ERWARTUNGSVOLLE STILLE ... SCHRITTE AUF DEM PODIUM / FLEISCHHAUER SPIELT EIN MOTIV AUS DER MATTHÄUS-PASSION Violine Nummer 2 ... FLEISCHHAUER SPIELT / DRAUF: Auch die meisten Fachleute im Saal sind Geigenbauer. Sie kommen aus Füssen im Algäu und Köln, aus München, aus der Pfalz, aus Ehrenfriedersdorf in Sachsen. Violine Nummer 7 ... FLEISCHHAUER SPIELT Eine Geige des Norditalieners Giovanni Battista Guadagnini, Baujahr 1770. Vanessa Mae, Julia Fischer, David Garrett, auch die Mullova schätzen diesen Klang. Und die Nummer 8 ... FLEISCHHAUER SPIELT FOYER / IM HINTERGRUND WERDEN GEIGEN GETESTET Stimmen ... Ja ... Naja ... (VERLEGENE PAUSE) Erstaunlich, wie ähnlich die Instrumente sind und auf welch engem Raum die Bandbreite sich bewegt? So genau hab ich das auch nicht rausgehört, was nun die alten Instrumente waren und was nun neuere Instrumente waren. Das einzige, was mir aufgefallen ist: dass in der Mitte ... 4, 5, 6 so ? in der Richtung ... Geigen dabei waren, die sehr gedeckt waren. Und vielfach bei den alten Instrumenten, dass die irgendwo 'n Wolf haben. Der Ton setzt so woa-woa-woa aus. Ist nichts zu machen. Sowie man das dann anfasst --- woa-woa-woa ? (LACHT) Autor Da werden die Stradivaris und Guarneris keine Ausnahme machen ... Mann Neinein ! Wenn sie gut sind, sind sie sehr teuer (LACHT). Die New Strad aus der Werkstatt Hufnagel im Unterallgäu und getunt im Vogtland wird die meisten Punkte sammeln, knapp gefolgt von Nummer 7, der alten Guadagnini. MARKT-ATMO / STIMMENGEWIRR Über den Cremoneser Wochenmarkt ... Vorbei am Stradivari-Denkmal ... zum Palazzo Comunale .... Die hier kaufen ihre Spiegelchen und Schwämmchen, ihre Auberginen, ihren Lauch. Wie jeden Mittwoch. Ich will spielen ... Zehn Takte nur ... Auf einer "Echten". Mein letzter Versuch. IM TREPPENHAUS DES PALAZZO COMUNALE Oh-Gott-oh-Gott ! Was für eine Schnapsidee ! Nichts mehr übrig von dem angenehmen Kribbeln, dieser Vorlust ... Meine Spielhand fühlt sich kalt und steif an ... Glenn Gould, der Tastenlöwe, steckte seine Hände vor dem Auftritt immer in fast kochend-heißes Wasser ... Zu spät ! ... Die Hand wird zittern. Die Unersetzliche wird auf den Boden krachen ... Sechs Millionen Euro ... Autor Buongiorno ! ? Okay ... Katja Lückert Solo per immaginare (...) il Professore Kopetzky vorrebbe sonare uno di questi strumenti ? Verschiedene Stimmen Impossibile ? Impossibile ? Generalmente no ? Non e possibile ? Mosconi (ITALIENISCH / DRAUF:) Das ist die Vorschrift ! Die Geiger würden täglich Schlange stehen ! Nur große Künstler, die hier konzertieren, dürfen sie benutzen ! Katja Lückert (FRAGT ITALIENISCH) Wie viele sind das im Jahr ? 20 oder 30 ? Mosconi (ITALIENISCH) No no no !! Höchstens fünf oder sechs. Autor (RESIGNIERT) Okay ... Ansage Eine Woche später. EINE GEIGE WIRD GESTIMMT Endlich darf ich sie spielen, meine zehn Takte ? im Labor von Dr. Blutner, 800 Meter hoch im Erzgebirge: Quartetto Concertante in G-Dur von Carl Stamitz, dritter Satz. Auf einer "New Strad". Holz und Kunstharz. Zwanzigtausend Euro. Fast erschwinglich. AUTOR SPIELT / EIN TON DER ERLEICHTERUNG / DAS KLAPPEN DES GEIGENKASTENS Eine "echte" Stradivari ... ist auch nur 'ne Geige ... Absage Sie hörten das Feature: "Die Meister und der Dilettant. Wie ich zehn Takte auf einer Stradivari spielen wollte". Manuskript, Ton und Regie: Helmut Kopetzky. Es sprachen: Stephen Erickson und der Autor. Mitarbeit: Katja Lückert, Maddalena Schito. Redaktion: Ulrike Bajohr. Eine Produktion des Deutschlandfunks mit dem Norddeutschen Rundfunk 2010. 26