DEUTSCHLANDFUNK Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Feature "Das Wertvolle ist wie das Licht, man kann es nicht mitnehmen" Die Fotografin Xiao Hui Wang Von Astrid Nettling REGIE: Burkhard Reinartz Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, 23. Oktober 2015, 20:10 - 21:00 Uhr Musik (1): Bela Bartok, String Quartet No. 3, Track 8, kurz allein und leise stehen lassen O-Ton (1) (Xiao Hui Wang): (liest Gedicht von Li Qingzhao auf chinesisch) Musik (1): Bela Bartok, String Quartet No. 3, Track 8, kurz allein, unter O-Ton (2) etwas runterfahren O-Ton (2) (Xiao Hui Wang): Als ich die Trauerkarte für meinen Mann schreiben sollte, hab ich wirklich keine Wörter oder sind zu viele Wörter, die ich nicht auf eine Karte schreiben konnte. Und da hab ich wirklich, weiß nicht, woher kommt diese Gedanken oder diese Gedichte, aber Gedichte ist immer so in meinem Kopf in der Zeit, die mir eigentlich mit ein paar Wörter alles, alle Gefühle wiedergibt. Das sind die Gedichte von Li Qingzhao, meine Lieblingsdichterin, die von alte China. Und so hab ich gedacht, ich würde lieber dieses Gedicht drucken, vielleicht für viele Deutsche bisschen fremd ist, weil ich viele Freunde auch schicke, aber in meine chinesische sprachliche Gefühl, das ist die Einzige, die wirklich wenig sagt, aber alles sagt. Für mich hat sie alles gesagt, so hab ich diese Gedicht genommen. Musik (1): Bela Bartok, String Quartet No. 3, Track 8, kurz allein und leise stehen lassen Zitatsprecherin (Li Qingzhao): Der Wind erstirbt, nach verwelkten Blumen duftet der Staub, Der Tag verrinnt, mir fehlt die Kraft, mein Haar zu stecken, Nichts fehlt, nur er. Und alles ist zu Ende. Nach Wörtern such' ich, doch nur Tränen sind's, die mir entströmen. Ich höre, dass am Zwillingsbach noch Frühling herrscht, Und auch mich drängt's, mein Boot dorthin zu lenken, Doch fürcht' ich, dass der Zwillingsbach den Kahn nicht trägt, Mit so viel Gram beladen. Musik (1): Bela Bartok, String Quartet No. 3, Track 8, kurz allein und unter O-Ton (3) langsam ausblenden O-Ton (3) (Xiao Hui Wang): Ich denke, dieser Autounfall hat mein Leben insgesamt verändert. Von Innen bis zu Außen total verändert. Nicht nur, also, dass jeder denkt, dass ich mein wichtigster Partner in meinem Leben verloren habe und die alltägliche Leben so verändert ist, sondern überhaupt die Einstellung fürs Leben, überhaupt für alles, für die Beruf, auch zu Ruhm, zu Karriere, zu Erfolg, zu allem hab ich andere Meinung bekommen. Vor allem, dass ich auch die Eingeständnis bekomme, dass ich wirklich jede Minute meines Lebens richtig nutzen soll. Und man soll nur das tun, was man wirklich gerne möchte. Man tut wirklich für sich, was meine innere Bedarf ist. So hab ich meinen Weg gewählt, dass ich freie Künstlerin werde, obwohl ich damals noch gar nicht wusste, ob ich mich ernähren kann mit diese Beruf. Geräusch (1) (7003462/7000827/7001174): Klickgeräusch vom Photoapparat Sprecherin (1): Das schöne, helle Oval ihres Gesichts hat sie dem eigenen Spiegelbild zugewandt. Mit aufmerksamem Blick scheint sie sich selbst zu befragen: den Schatten von Trauer, der über ihren Zügen liegt, die Spur von Unsicherheit und Zweifel zwischen den Brauen, den Anflug von Zuversicht um den Mund. Mit beiden Händen hält sie ihre Kamera in Kinnhöhe - die Photographin Xiao Hui Wang. Musik (2): Kronos Quartet, Kevin Volans, White man sleeps #5, Track 7, unter O- Ton (4) einblenden und stehen lassen O-Ton (4) (Xiao Hui Wang): Ich bin mit neunundzwanzig nach München gekommen, und dann hab ich hier fünfzehn Jahre gelebt, und diese fünfzehn Jahre hat so viel passiert, in meinem Beruf und auch meinem Leben und auch viele andere Dinge, und das sind die wichtigste Zeit in meinem Leben, und ich bin sehr, sehr verbunden mit München. Also, ich würde sagen, München ist mindestens meine dritte Heimat. Erstes ist Geburtsstadt Tianjin, wo ich auch bis neunzehn Jahre gelebt habe, und die zweite ist Shanghai. Shanghai habe ich dort zehn Jahre studiert und auch gelebt. Musik (2): Kronos Quartet, Kevin Volans, White man sleeps #5, Track 7, unter Sprecherin (2) langsam ausblenden Sprecherin (2): Vor neun Jahren ist sie wieder dorthin zurückgekehrt - zurück nach Shanghai als erfolgreiche Künstlerin. Ihre Photoarbeiten sind in vielen privaten und öffentlichen Sammlungen vertreten, photographische Standardwerke haben ihre Bilder als 'Klassiker' aufgenommen, zahlreiche Bücher und Bildbände hat sie veröffentlicht. Seit 2001 ist sie Professorin für Photographie an der renommierten Shanghaier Tongji-Universität, wo ihr ein 2000 Quadratmeter großes Studio, der "Xiao Hui Wang Art Workshop", zur Verfügung steht. Obwohl sie nur noch selten in ihre dritte Heimat kommt, hat sie bis heute ihre Wohnung in München behalten. Eine Ausstellungseröffnung in der Schweiz hat die knapp Dreiundfünfzigjährige diesmal nach Europa geführt. Treffen mit Galeristen, Kuratoren, mit alten Freunden kommen hinzu. Der Terminkalender ist dicht gefüllt. Von ihr kommt der Vorschlag, sie am Abend zu sehen - spät, aber open end in ihrer Wohnung in der Kaulbachstraße. O-Ton (5) (Xiao Hui Wang): Ich meine, meine Photographien sind sehr persönlich, und die begleitet auch mein Leben, und manche sagen, meine Photographien sei Autorenphotographien, und vielleicht haben sie auch recht, und viele Bilder hat gerade die Prozess meines Lebens dargestellt in einer bestimmten Art und Weise. Und vor allem bei mir ist eine Art Bearbeitungsprozess mit meine eigene Schicksal, mit meine Gefühle und Gedanken, und es war natürlich einerseits nicht sehr leicht, andererseits ich bin auch fast abhängig davon. Ich musste das machen, das ist wie ein Bedarf, ein innerer Bedarf, und ich habe oft gedacht, in der Zeit ist Photographie für mich wie, so wie essen, trinken oder schlafen als ein Lebensbedürfnis, Grundbedürfnis des Lebens. Deswegen hab ich sehr, sehr viel Dinge aufgenommen auch nur für mich wie ein Tagebuch. Ich habe auch nicht gedacht, dass ich irgendwann einmal die veröffentlichen kann als Buch, als Bildbände, als Ausstellung. Musik (3): Franco Evangelisti, Campi integrati n.2, CD 2, Track 6, kurz vor Sprecherin (1) und stehen lassen, unter Sprecherin (2) und O-Ton (6) etwas runterfahren Sprecherin (1): Alles Licht hat sich hinter die große, geriffelte Glasscheibe zurückgezogen. Sie ist zweigeteilt - durchscheinend die linke Seite, matt die rechte. Auf der linken hinter dem Glas, hell von der Seite ausgeleuchtet, eine junge Frau. Ihr Gesicht mit den geschlossenen Augen, ihre knabenhafte Brust sind nur schemenhaft auszumachen. Den linken Arm hält sie wie zum Schutz vor die Stirn. Auf der rechten Seite sind von außen in kräftigen Tuschestrichen die chinesischen Schriftzeichen für "Wandlungen" auf das Glas gemalt. Sprecherin (2): "Wandlungen", das könnte auch über ihrem Leben stehen. 1957 geboren, erlebt Xiao Hui Wang als junges Mädchen den Terror der Roten Garden, dessen Opfer auch ihre Eltern werden. Nach der Kulturrevolution studiert sie Architektur in Shanghai. 1983 beendet sie ihr Studium mit einem Diplom. 1986 bekommt sie die Möglichkeit, mit einem Stipendium nach Deutschland zu reisen. Kurz vor der Abreise heiratet sie ihren Studienkollegen Lin Yu, der gleichfalls ein Stipendium erhalten hat. 1987 beginnt sie in München eine Promotion über klassische chinesische Architektur und erhält eine Stelle als Lehrbeauftragte an der dortigen Fachhochschule. 1990 nimmt sie ein Gaststudium an der Münchner Filmhochschule auf. Dann am 31. Oktober 1991 passiert es. Auf einer gemeinsamen Fahrt nach Prag kommt bei einem Autounfall Lin Yu ums Leben. Ihre eigenen schweren Verletzungen und die daraus resultierende Ruhepause führen zur beruflichen Neuorientierung endgültig hin zur Photographie. O-Ton (6) (Xiao Hui Wang): Nachdem er nicht mehr lebte, hab ich wirklich auch schwer nachgedacht, und fast alle Leute sind dagegen bis zu meinen Eltern, die waren auch hier, nach dem Autounfall, weil ich selber auch sehr verletzt wurde. Alle haben gesagt, geh doch zur Universität, und ein Professor ist sehr, sehr nett zu mir und wirklich alle meine Kollegen waren nett, und die haben sehr, sehr gute Stelle mich angeboten und haben überhaupt nicht verstanden, dass ich das ablehne, bevor ich richtig gesund war. Da hab ich gesagt, ich schätze mich, mein Leben so sehr, dass ich nicht mehr für Dinge, die ich nicht unbedingt haben möchte, noch Zeit verliere. Musik (3): Franco Evangelisti, Campi integrati n.2, CD 2, Track 6, wieder etwas hochziehen und stehen lassen Sprecherin (1): Nur schattenhaft sind der festgezurrte Verbandskasten, ein Kissen, eine Decke im Vordergrund zu erkennen. Das Heckfenster des Krankenwagens schneidet ein scharf umgrenztes helles Rechteck in das kastenförmige Dunkel. Fahles Licht schimmert herein. Ein grauer, wolkenverhangener Himmel, die gezackte Linie von Baumspitzen am Horizont. Zitatsprecherin (Xiao Hui Wang): Später nannte ich dieses Foto "Das Licht in der Ferne". Es gibt meine innere Befindlichkeit in diesem Augenblick wieder: gefangen in einem dunklen Schacht, aber mit einer sicht- und spürbaren Öffnung zum Licht. Musik (3): Franco Evangelisti, Campi integrati n.2, CD 2, Track 6, kurz allein und unter Sprecherin (2) ausblenden Sprecherin (2): Dies schreibt sie in ihrem "Visuellen Tagebuch", worin sie die Geschichte ihres Lebens in Wort und Bild festgehalten hat. Jahrelang sind es ausschließlich Schwarzweißphotos, in denen sie ihre Gefühle, ihre Gedanken, sich selbst reflektiert. Das Yin und Yang ihres Lebens, dessen Hell und Dunkel sie in photographischem Schwarzweiß umsetzt. O-Ton (7) (Xiao Hui Wang): Am Anfang hab ich nur für mich gearbeitet, ich habe nur mit meine eigene Gefühle auseinandergesetzt. Deswegen gab es diese Arbeit mit diese, z.B. mit "Wegwaschen des Blutes", "Menschliche Beziehungen" oder "Sich-Befreien", und solche Serien sind alle so in der Zeit entstanden, die eigentlich als eine, jetzt im Rückblick gesehen, als eine Heilprozess gewirkt hat. Und ich denke auch, ohne diese Kunst, ohne diese Photographien hätte ich auch nicht so von diese ganze Schicksalsschläge befreit. Musik (4): Morton Feldman, Crippled Symmetrie I, CD 1, Track 2, kurz allein und stehen lassen Sprecherin (1): Ein schwarzgraues Nirgendwo - vor einer grob verputzten Wand, deren abgeplatzter Mörtel an einer Stelle links unten das blanke Mauerwerk sehen lässt, ein planlos geschichteter Steinhaufen. Rechts oben, durch den Bildrand fast bis zur Körpermitte abgeschnitten, hängt lotrecht wie ein Pendel der nackte Rumpf eines Mannes. Geräusch (1) (7003462/7000827/7001174): Klickgeräusch vom Photoapparat, dann Musik (4): Morton Feldman, Crippled Symmetrie I, CD 1, Track 2, kurz allein und stehen lassen Sprecherin (1): Grenzenlose Verlassenheit spricht aus ihren Zügen. Das Gesicht der jungen Frau ist im Halbprofil zu sehen. Der gesenkte, abwesende Blick verliert sich irgendwo im Leeren. Mit beiden Armen hält sie den Torso einer Schaufensterpuppe umklammert. Den Kopf hat sie abgewandt, als ginge sie alles nichts mehr an. Musik (4): Morton Feldman, Crippled Symmetrie I, CD 1, Track 2, kurz allein und unter Sprecherin (2) ausblenden Sprecherin (2): Nicht zufällig ist die Schwarzweißphotographie das ideale Ausdrucksmedium von Xiao Hui Wang geworden - das Schwarzweiß mit seiner Beschränkung auf das Hell-Dunkel und dessen differenzierte Grautonskala. Leise und verhalten wie die traditionellen Tuschezeichnungen und Kalligraphien aus ihrer Heimat. Denn bereits in der Kindheit hatte sie erfahren müssen, wie die Farbe explodieren kann - in einem Rot, welches das Land grell, lautstark, gewalttätig überzieht und alles andere zum Verschwinden bringt. O-Ton (8) (Xiao Hui Wang): Während der Kulturrevolution bin ich sogenanntes schwarzes Kind. Schwarzes Kind ist die Kinder, die nicht von Arbeiter, nicht von Bauern und Soldatenfamilie kommen, sogenannte Intellektuelle oder Kapitalisten, Grundbesitzer oder solche Leute. Und diese Kinder haben sehr wenig Chance in der Schule und wurden sehr diskriminiert. Ich musste - in der Grundschule schon angefangen - morgens sehr früh aufstehen und bevor die Schule beginnt, die Toilette putzen und Wandmalerei, also, malen mit dieser Kreide und auch die Klassenzimmer putzen und auch im Winter die Feuer anzünden und solche Sachen. Zitatsprecherin (Xiao Hui Wang): Als ich zehn war, begann in China die Kulturrevolution. Alles, woran unser Herz hing, ging damals in die Brüche: unser Familienleben, die beruflichen Karrieren meiner Eltern, meine Schulbildung. Meine Kindheit war mit einem Schlag vorbei. O-Ton (9) (Xiao Hui Wang): Meine Mutter lebt nicht mit meinem Vater zusammen in der Zeit, weil sie geschieden sind wegen politischer Hintergrund hauptsächlich, und meine Mutter ist Kuomintangspionageverdächtigte, und ich konnte nur sie heimlich besuchen am Wochenende, und ich hatte immer so Samstagabend, sehr spät abends heimlich sie besucht und Sonntagabend, wenn es dunkel ist, dann heimlich sie verlassen. Und meine Mutter ist auch sehr, sehr gelitten als Komponistin. Als Hochschullehrerin für Musik hat sie sowieso ihre Arbeit verloren, die Hochschule war zugeschlossen, sie ist gezwungen, in die Fabrik zu gehen, Schuhfabrik, oder zum Schluss als Müllfrau, die auf der Straße die Müll getragen, was sie überhaupt nicht konnte. Und mein Vater hatte eine Zeitlang auch ohne Freiheit in der Arbeitslager geschickt, weil er auch als Ingenieur, sehr, sehr begabte Ingenieur, sehr viel Patent hat. Und als er Unfreiheit hatte und ich alleine mit meinem Opa gelebt hatte, habe ich auch ständig in Angst gelebt, mein Vater hatte zweimal versucht, Selbstmord zu beginnen, und so hatte ich wirklich immer in Angst gelebt. Musik (5): Kronos Quartet, John Hassell, Pano da Costa, Track 3, kurz vor Sprecherin (2) leise, stehen lassen vor Zitatsprecher etwas hochziehen Sprecherin (2): Das Schwarzweiß nimmt sie auch mit nach Deutschland, wo die frühen Dunkelheiten allmählich verblassen. Eine intensive und erfahrungsreiche Zeit beginnt, voll gespannter Aufnahmefähigkeit für das Unbekannte, für die neuen Betätigungsfelder, die sich ihr eröffnen, bis sich auch in diesem Land ihr Leben erneut verdunkelt. Von heute auf morgen in der Fremde allein fällt auf das in China Zurückgelassene wieder Licht, auf ihre Heimat, nach der sie in der Ferne beginnt, sich trotz allem zu sehnen. Die Verse des berühmten Dichters Li Bai aus der Tangzeit des 8. Jahrhunderts, die sie als Kind, wie es in einer Intellektuellenfamilie üblich war, auswendig gelernt hatte, doch ohne sie recht zu verstehen, bekommen mit einmal Sinn. Zitatsprecher (Li Bai): In fremdem Lande lag ich. Weißen Glanz malte der Mond vor meiner Lagerstätte. Ich hob das Haupt - ich meinte erst, es sei der Reif der Frühe, was ich schimmern sah, dann aber fühlte ich: der Mond, der Mond! und neigte das Gesicht zur Erde hin, und meine Heimat winkte mir von ferne. O-Ton (10) (Xiao Hui Wang): Es ist mit chinesische kulturelle Hintergrund zu tun, wir haben in China Mond immer als ein Symbol für Vollkommenheit gesehen, was Perfektes und noch viele, viele andere Bedeutungen auch noch dabei. Deswegen gab es sehr, sehr viel Lyrik, chinesische Lyrik, die mit Mond zu tun ist. Musik (5): Kronos Quartet, John Hassell, Pano da Costa, Track 3, unter Sprecherin (2) ausblenden Sprecherin (2): Dieses uralte Sinnbild greift Xiao Hui Wang nach Abschluss ihres Studiums an der Münchner Filmhochschule in einem preisgekrönten Schwarzweißfilm auf - O-Ton (11) (Xiao Hui Wang): Diesen Film hab ich im Jahr 93 gedreht, der heißt "Zerbrochener Mond". Dieser Film ist ein Kurzfilm und schwarzweiß, war trotzdem sehr professionell gedreht mit 30 mm Film und große Leinwand mit Stereo, also, in der Zeit war alles noch sehr, sehr aufwendig mit Steadicam, mit Schienen, Kran, alle diese große Technik, und wir haben fast wie eine große Kinofilm produziert, und schwarzweiß war auch viel teurer zu entwickeln als Farbfilme, weil es gibt nur sehr seltene Filmstudios, die das noch machten. Und diese Film hab ich dargestellt, wie eine Chinesin in einer Großstadt, die für sie sehr fremd war, die Eindrücke, die als außenstehend für sie auch sehr verwirrend war, gefühlt hat. Musik (6): Franco Evangelisti, Aleatorio, CD 2, Track 3, zusammen mit Sprecherin (1) und unter O-Ton (12) etwas runterfahren Sprecherin (1): Das helle Licht des Mondes hat sie geweckt. Wie eine Traumwandlerin irrt sie in ihrem dünnen, weißseidenen Gewand durch die winterlich nächtliche Stadt. Hier und dort wirft sie einen Blick in die erleuchteten Häuser, sieht Geburt, Liebe, Tod und wird an dunklen Orten Zeugin der seltsamsten menschlichen Paarungen, die sie befremden und erschrecken. O-Ton (12) (Xiao Hui Wang): Zum Schluss ist sie zu einem eingefrorenen See gewandert. Dieser See ist überall Eis und in der Mitte ist ein Loch, und in dem Loch ist ein Mond zu sehen, eine Spiegelung von Mond. Die erste Einstellung ist auch diese Vollmondnacht, dass sie nicht schlafen konnte, dass sie diesen Mond anschaut, und Mond verbindet man auch mit Heimat, Heimatgefühl. Und sie hat auch die Sehnsucht nach Heimat und sie ist auch in diese ganz fremde Welt allein, und sie stand vor der Kreuzung, und sie wusste nicht, wohin sie gehen usw., das sind alle meine Gefühle in der Zeit, ich wusste auch nicht, wie ich weiter leben sollte. So am Schluss versuchte sie, diese Spiegelung vom Mond anzufassen. Wir sagen in China auch, diese ideale Vorstellung, die ideale Dinge gibt es in der Realität nicht, es gibt nur ganz, ganz weit, die man nicht erreichen kann, und sobald sie erreichen können, dann ist nur eine Schimmerung, und die geht kaputt. Musik (6): Franco Evangelisti, Aleatorio, CD 2, Track 3, wieder hochziehen und unter O-Ton (13) ausblenden Sprecherin (1): Zögernd nähert sich ihre Hand der still auf dem Wasser liegenden Mondscheibe. Als ihr Zeigefinger deren hellen Glanz berührt, wird diese zu einem weißen Auge, in das der Finger eine weiche, dunkle Delle drückt. Dann zerfließt sie in zitternde Ringe aus Licht, deren Reflexe sich in nichts auflösen. O-Ton (13) (Xiao Hui Wang): Viele Leute sagen, das ist ein sehr ästhetischer Film, die sehr nachdenklich ist und auch sehr ruhig und sehr meditativ, aber zum Schluss hat man sehr, sehr viele Fragen zu auch eigenes Leben gestellt: Gibt es in der Welt wirklich diese Vollkommenheit? Aber trotzdem, ich denke, trotz alle Traurigkeit, ich hab auch nie wirklich die Hoffnung weggenommen. Ich denke, auch die Leute, die mein Film, meine Photographie, auch meine Bücher liest, ist mit viele Fragen, aber nicht wirklich ohne Hoffnung. Sprecherin (2): Denn ihre Leidenschaft für das Licht und dessen gestalterische Kraft ist stärker als alle Dunkelheiten, die sie in ihrem Leben erfahren muss. Ihre Leidenschaft für die Photographie, die sie im Alter von dreizehn für sich entdeckt - zufällig. Ein Freund hatte ihr eine selbstgebastelte "Belichtungsschachtel" geschenkt, eine Holzschachtel mit einer Glühbirne und einer Glasscheibe, auf die man die Negative legt. Für sie eine 'Wunderschachtel', mit der sie nächtelang gemeinsam alle Negative, die sie auftreiben konnten, belichteten. Die erste richtige Kamera, die sie in die Hand bekam, hatte ihr ein Onkel geliehen, der ihr auch die ersten Unterrichtsstunden gab. In der Nacht, wenn es dunkel genug war, stellten sie eine Waschschüssel auf den Boden, gaben die Chemikalien hinein und führten den Film unermüdlich durch die Schüssel auf und ab, bis das ganze Material gleichmäßig in der Flüssigkeit gebadet hatte. Und dann das 'Wunder': Zu sehen, wie durch Einwirkung des Allerflüchtigsten auf eine lichtempfindliche Oberfläche Sichtbares hervortritt - der Widerschein von etwas im Moment des Sichtbarwerdens längst Verschwundenem. So ist die Photographie für Xiao Hui Wang auch ein Medium des Bewahrens geworden gegen den Lauf der Zeit und den unwiederbringlichen Verlust dessen, was man liebt. Photographieren als ein "Versuch, etwas Wertvolles davonzutragen", wie sie eins ihrer Schwarzweißphotos genannt hat. O-Ton (14) (Xiao Hui Wang): Das finde ich eigentlich generell, immer die Blick ist viel wichtiger von einem Künstler, Blick und auch die, was man ausdrücken möchte, die Idee, das ist alles viel wichtiger als Technik selbst, und natürlich benutze ich auch sehr viele Technik, die ist alles Hilfsmittel, die man benutzen könnte, wenn das für das Thema wichtig ist, und allein Technik finde ich, macht noch nicht ein Kunstwerk aus. Für mich ist in erster Linie die Inhalt, also, was ich ausdrücken möchte, und "Etwas Wertvolles davontragen" ist auch meine Empfindung in der Zeit. Ich habe damals in China ganz viele, viele Dinge, wertvolle Dinge nicht mitnehmen können. Ich meine auch nicht nur Materielles, z.B. auch als ich Hochzeit hatte, mein Vater hat mir ein Klavier geschenkt, die ich schon viele Jahre gewünscht habe, und dann konnte ich nicht mitnehmen, auch viele, viele andere Dinge, die Freundschaft und die Familie und vieles. Also, dieses Gefühl möchte ich durch Photographie wiederzugeben. Diese Wertvolles ist wie das Licht, man kann nicht mitnehmen. Musik (7): Morton Feldman, Crippled Symmetry II, CD 2, Track 1, unter O-Ton (14) gegen Ende einblenden, dann kurz allein und stehen lassen Sprecherin (1): Das Licht hat sie von einer Seite zur anderen bewegt. Wie ein leichter, weißer Schleier zieht sich dessen leuchtende Spur über ihre Brust. Die linke Körperseite ist fast ganz in Dunkel getaucht. Rechts fällt der Lichtschein hell auf Oberarm und Schulter, deren Rundung er weich herausmodelliert. Einer Tempelhüterin gleich scheint die junge Frau das Licht zu tragen, dessen verwischte Spur ihre Nacktheit fast verdeckt. Darüber, im hellen Halbrund von Wange und Kinn, ernst und verschlossen der schmale Mund. Den Rest verschluckt die Dunkelheit. Musik (7): Morton Feldman, Crippled Symmetry II, CD 2, Track 1, kurz allein, unter O-Ton (15) und Sprecherin leise stehen lassen O-Ton (15) (Xiao Hui Wang): Am Anfang meiner Photographie hab ich noch gar kein Photostudio gehabt. Ich habe meistens zu Hause photographiert und ohne richtige professionelle Licht, ich habe z.B. auch nur mit eine Diaprojektor photographiert. Und das Bild ist sogar gar kein Licht. Ich habe mit Kerze gearbeitet, mit Stativ, das ist langer Belichtungsprozess, so ist das Licht sehr verschwommen und hier ist diese Licht vor ihrem Busen vorbeigelaufen, die man auch nicht sehr klar die Busen sehen, aber man kann ahnen. Sprecherin (2): Doch nicht nur das Flüchtige und Vergängliche reflektiert ihr "Versuch, etwas Wertvolles davonzutragen", es ist zugleich der Versuch einer behutsamen Enthüllung. Denn die Photographin gibt mit Hilfe ihrer Kamera dem Sehen preis, was seit Alters her in China nur den Worten der Dichter gestattet war. Eine Kunst, worin im 12. Jahrhundert ihre Lieblingsdichterin Li Qingzhao eine Meisterin gewesen: Musik (7): Morton Feldman, Crippled Symmetry II, CD 2, Track 1, hochziehen und nach Zitatorin langsam ausblenden Zitatsprecherin (Li Qingzhao): Es wird dunkel. Ein Windstoß, gemischt mit Regen, wäscht das gleißende Licht des Tages fort. Da lege ich die Flöte weg und vor dem Spiegel ein Hauch von Farbe auf die Wangen. Unter der dünnen Seide meines Kleides, schimmert die Haut, weiß wie Schnee, leuchtend wie Geschmeide - strahlend hell. Sprecherin (2): Eine solche Kunst der Andeutung beherrscht auch Xiao Hui Wang in ihren Photoarbeiten, die Kunst, die starke Enthüllungskraft des Lichts zurückzunehmen - sei es durch ein Minimum an Beleuchtung, durch lichtfilternde Materialien wie Glas oder Wasser, sei es durch Bewegungsunschärfe oder verdeckende Schatten, was die Nacktheit dem Blick zugleich entzieht. Dennoch bleibt es nicht dabei. Das Medium der Photographie fordert sie mit der Zeit stärker heraus - auch gegen die kulturell mitgebrachten Schranken. Zitatsprecherin (Xiao Hui Wang): Ich hatte zunächst Probleme damit, Sinnlichkeit unverblümt abzubilden. Ich schuf Distanz vom allzu "Hautnah-Persönlichen". Nach und nach aber legte ich meine Hemmungen gegenüber Nacktheit ab. Musik (8): Nik Bärtsch's Ronin, Modul 36, Track 1, direkt nach Zitatsprecherin bei 0'06 einblenden, kurz allein und unter O-Ton (16) etwas runterfahren O-Ton (16) (Xiao Hui Wang): Ich konnte fast nicht vorstellen, als ich angekommen bin, dass ich überhaupt Akt photographiere, und es war auch ein Zufall gewesen, dass ich einen Auftrag bekommen habe von einer Zeitschrift, die die Künstler zu einem bestimmten Thema bearbeiten sollen. Und in diese Heft war das Thema "Links und rechts". Ich bin auf eine Idee gekommen, ein Sprichwort in alte China "männlich ist links und weiblich ist rechts", so hab ich gedacht, das könnte ein interessantes Thema sein zu diese Links-und-Rechts, und das hat auch taoistische philosophische Hintergrund, und da hab ich angefangen mit diesem Mann links und Frau rechts, und eine schwarze Frau und ein weißer Mann, also, das ist alles diese taoistische Gegensatz, diese Yin und Yang, weich und hart, schwarz und weiß, jedenfalls diese viele Gegensätze hab ich versucht zu photographieren. Und so hab ich einige Fotomodelle zusammengeholt. Und das erste Mal im Theater, das war noch keine Photostudio, in einem Theater in München war relativ kalt im Winter, und die haben nicht sehr starke Heizung, alle diese Models waren auf der Bühne, und ich bin unten und steuerte das Licht. Alle haben mich gefragt, wann fängst du an, wir frieren, und ich hab nicht getraut, das Licht anzumachen, weil ich Scheu hatte, und ich hab auch gewundert, dass die Männer und Frauen, wir hatten vier, zwei Männer und zwei Frauen, die haben gar kein Problem damit gehabt, und ich bin diejenige, die schämen. Aber das ist ein sehr wichtiger Prozess für mich zu überwinden, auch zu Körperlichkeit, dann überhaupt als Photographin finde ich einen wichtigen Prozess gewesen, wie ich das angefangen habe. Musik (8): Nik Bärtsch's Ronin, Modul 36, Track 1, hochziehen und unter O-Ton (17) langsam ausblenden Sprecherin (1): Zwei glatten, runden Früchten gleich - hell und feinporig die eine, von etwas grobkörniger, dunkler Stofflichkeit die andere. Sie liegen Haut an Haut, die linke an der rechten. Zwei weiche Körperrundungen, deren Ränder friedlich in der Mitte des Bildes aneinanderstoßen. Nur dort, wo das Rückgrat in die schattige Einkerbung des Pos übergeht, lässt die Berührung von Weiß und Schwarz, Mann und Frau eine unklare Zone dunkler Tiefe entstehen. Sprecherin (2): So nähert sich ihre Kamera langsam dem Körper, ertastet dessen Oberfläche, die Haut und deren sinnliche Textur, erkundet die Landschaft der Brüste, Lenden, Schenkel und ihr intimes Hell-Dunkel. Aber eigentlich sucht sie in der Nacktheit noch etwas anderes - nicht die einfache, pure Blöße des Körpers, sondern ein Entblößtsein darüber hinaus. Eine junge Chinesin wird schließlich ihr Modell. O-Ton (17) (Xiao Hui Wang): Das ist auch das Problem, dass ich in Deutschland eine Aktphotomodell zu finden, eine Chinesin. Für Europäer ist es wirklich nicht schwer, ich hätte viele bekommen können, aber eine Chinesin zu finden, war sehr, sehr schwer. Und viele Chinesen sagen, die können auf keinen Fall, egal wieviel man ihr zahlt, würde sie nicht machen. Und diese Freundin hat mich gefragt, ja, ich hab nicht so eine große Busen und so, vielleicht bin ich nicht geeignet als Aktmodell, aber wenn Sie wollen, dann könnte ich das machen. Und ich habe gesagt, ich suche nicht große Busen, ich wollte nicht eine pornographische Photoserie machen, sondern ich möchte nur eben diese Auseinandersetzung mit meine Problem durch ein Aktphotomodell wiedergeben, zum Beispiel diese Themen "Wegwaschen des Blutes" oder "Einsamkeit", jedenfalls wir haben einiges Mal zusammengearbeitet, und es sind sehr gelungene Bilder dabei. Musik (9): John Zorn, Filmworks VIII, Lagrimas, Track 21, kurz allein und stehen lassen Sprecherin (1): Etwas Zähfließendes zieht sich in dunklen Bahnen von oberhalb der Brüste den Körper hinunter ins Wasser, dessen Rand ihren Nabel umspült. An ihrer Hüfte ein heller Tupfen von Schaum. Sein glänzendes, poröses Weiß kontrastiert mit der trüben Viskosität des Bluts. Die Knospen ihrer Brüste liegen frei und ungeschützt im hellen Umfeld der Haut. Ihre schmalen Schultern sind wie in Abwehr hochgezogen und lassen das dunkle Riff des Schlüsselbeins hervortreten. Geräusch (1) (7003462/7000827/7001174): Klickgeräusch vom Photoapparat, dann Musik (9): John Zorn, Filmworks VIII, Lagrimas, Track 21, kurz allein, stehen lassen und unter O-Ton (18) etwas runterfahren Sprecherin (1): Das Blut hat das Wasser dunkel gefärbt. Die Nacktheit ihrer Haut scheint jetzt bis zum Äußersten entblößt. Ein eiskalter, nasser Glanz hat sich darüber gelegt, über Schultern, Schlüsselbein und Brust. Der Körper, in seiner mageren Blöße dem Betrachter ausgesetzt, wirkt verlassen. Die Seele hat sich ganz in ihren leeren Blick geflüchtet. Dort, umgeben von der Nacht der Pupillen, hält sie sich gerade noch in den zwei winzigen Lichtpunkten ihrer Augen am Leben. O-Ton (18) (Xiao Hui Wang): Diese Bilder sind eigentlich eine Serie, es heißt eben "Wegwaschen des Blutes" und ist immer in Badewanne photographiert worden, und sie hat auch so einen Blick, eine Ausstrahlung oder eine..., es ist sehr eigenartig, sie ist sehr jung gewesen, vielleicht 25 oder 28 Jahre alt, und sie hat aber ihre Sohn, ganz junge kleine Sohn in China allein gelassen oder mit dem Vater, sie ist alleine nach Deutschland gekommen, sie hatte oft diese Sehnsucht nach ihrem Kind, nach ihrer Heimat, und ich denke, das ist auch, was mich fasziniert hat. Ich habe sie auch gerne photographiert, weil sie diese Traurigkeit im Auge hat, die ich auch suchte und ausdrücken wollte. Musik (9): John Zorn, Filmworks VIII, Lagrimas, Track 21, etwas hochziehen und stehen lassen Sprecherin (1): Sie hat sich in der Wanne aufgesetzt. Das nasse Haar fällt wie dunkelglänzendes Gefieder auf ihren Rücken. Wasser perlt hinab. Im scharfen Licht hell ausgeleuchtet die weißen Schulterblätter, die wie amputierte Flügelstümpfe hervorstechen. Der glatte Rücken ist gespannt, die Arme hält sie seitlich an den Körper gepresst. Verschwommen im Hintergrund die dunkle Linie ihrer geschlossenen Schenkel. Zitatsprecherin (Li Qingzhao): Es fröstelt mich. Zu mir ins Zimmer schlich ein kalter Hauch. Hinter dem Paravent bricht grau ein kalter Morgen an. Der Westwind bauscht den Vorhang, so schau mich an, ich bin zerbrechlicher noch als spät im Herbst die Chrysanthemen. Musik (9): John Zorn, Filmworks VIII, Lagrimas, Track 21, langsam ausblenden Sprecherin (2): Schließlich gibt die Trauer sie frei. Xiao Hui Wang beginnt zu reisen. Fünf Jahre reist sie durch die Welt, allein, begleitet nur von ihrer Kamera. Eine Suchende, Fragende, Entdeckende, die sich überraschen lässt. Alles fasziniert sie, das neue Licht, die fremden Landschaften, die vielen unterschiedlichen Menschen, denen sie begegnet. Sie reist quer durch ganz Europa, Asien, die USA, China. Kurzfristig trifft sie ihre Entscheidungen, wohin es gehen soll, folgt ihrem Gefühl, ihrer spontanen Eingebung, "frei wie ein Vogel". O-Ton (19) (Xiao Hui Wang): Ja, ich bin diese Art von Person, die immer nach Gefühle laufen, und es ist vielleicht nicht immer richtig, manchmal mache ich auch Fehler, dass ich vielleicht den Gefühlen gefolgt habe und dann im nachhinein gesehen, das war vielleicht doch eine falsche Entscheidung. Aber ich bereue auch nicht, ich finde das Leben nur mit Ratio beherrscht ist langweilig, deswegen könnte ich auch nicht vorstellen, wie manche meiner deutschen Freunde, die jedes Jahr immer die gleiche Urlaubsziel geht und immer die gleiche Hotel wohnt, immer das gleiche Essen, die keine abenteuerliche Wünsche und Lust hatten, das hätte ich nie aushalten können. Es gibt natürlich auch schlechtere Momente, die so Gefühl lässt, aber ich finde, es passt mir besser, das ist eher mein Leben. Musik (8): Nik Bärtsch's Ronin, Modul 36, Track 1, einblenden bei 2'15, kurz allein und unter O-Ton (20) etwas runterfahren Zitatsprecherin (Xiao Hui Wang): Ich brauche den Anreiz des Neuen, um jenes Prickeln zu fühlen, das ein Künstler spüren muss, um wirklich gute Arbeit zu leisten. Alles hat im Leben seine Zeit, und ich war so erfüllt von neuen Plänen, dass mir eine Wiederholung alter Projekte nicht reizvoll erschien. O-Ton (20) (Xiao Hui Wang): Ich denke, Freiheit hat ganz viele Hinsicht, man kann in geographischem Sinne sehen, das finde ich, dass ich auch geschaffen habe, dass ich auch für viele Chinesen, vor allem junge Chinesen, ein Vorbild geworden bin, dass ich eben auch so frei leben kann. Als ich "Close to the eyes", dieses Buch, diese internationale Porträts photographiert habe, da war fünf Jahre nur Reisen, weltweit, frei Reisen ohne Ziel, so was hätten viele Leute nur träumen können, vielleicht auch in Deutschland, ich weiß nicht, jedenfalls für viele Chinesen das sind ein Traum. Oder auch in andere Sinne zu denken, zum Beispiel als Künstlerin, und hätte ich Sklave von der Markt werden können, dass ich nur Aktphotographie weiter photographiere, aber ich bin immer derjenige, die Neues suche. Ich denke oft, ich bin lieber eine nicht erfolgreiche Suchende, aber nicht derjenige, der aufgibt, nicht mehr weiter sucht, sondern nur ihre eigene alten Dinge wiederhole, die keine neue Ideen hat und nicht mehr kreativ sind. Das finde ich eine, das ist die schlimmste Gefahr für einen Künstler. Die Kunst ohne die Freiheit, ohne diese freie Seele dann ist auch tot. Musik (8): Nik Bärtsch's Ronin, Modul 36, Track 1, etwas hochziehen und weiter stehen lassen Sprecherin (2): Vor allem sind es die Menschen, die sie faszinieren und von deren Gesichtern, deren Ausdruck und Blicken sie sich einfangen lässt. Sprecherin (1): Prag. Die Augen hell wie die eines Husky. Deren mitreißende, kristallklare Frische scheint direkt auf das Gegenüber zu springen. "Komm mit!" Die leichte Drehung des schmalen Kopfes mit dem zerzausten Haar, der wie zum Sprechen bereite, leicht geöffnete Mund sind schon in Bewegung. Nur der suggestive Blick des jungen Tschechen haftet noch und lockt mit seiner lichten, klaren Offenheit. Sprecherin (2): "Close to the eyes", "Von Auge zu Auge" - auch hierfür hat sie kulturelle Hemmnisse überwinden müssen. Zitatsprecherin (Xiao Hui Wang): In China gilt es als unhöflich, Menschen offen in die Augen zu schauen. Es hat Jahre gedauert, bis ich den Mut fand, mit meiner Kamera direkt auf die Menschen zuzugehen. Heute kommen mir Nahaufnahmen mit dem Teleobjektiv wie Diebstahl vor. Musik (8): Nik Bärtsch's Ronin, Modul 36, Track 1, unter O-Ton (21) langsam ausblenden O-Ton (21) (Xiao Hui Wang): Also, ich bin jemand, die eigentlich die Technik nie so richtig wichtig findet. Und ich habe bei Reisen meistens mit der Nikon-Kamera gearbeitet, mit schwarzweiß Filme, und um diesen Leuten nahe zu kommen, da hab ich mit einem 50 mm Festobjektiv, da musste ich ranzugehen, weil von weitem kann man nicht photographieren, und da hat man auch bessere Qualität als diese Zoom oder so zu benutzen. Und das hab ich mich selber überredet, dass ich die Reise wirklich nur mit diesem Festobjektiv zu arbeiten, und da hab ich für alle Porträts mit diese 50er gearbeitet, und das war auch richtig gewesen. Und für mich war so, wenn ich zu Fremden gehe und sie photographieren wollte, musste ich ein bisschen überwinden von der heimlich mit lange Zoomweite jemanden zu photographieren, als ich wirklich die Leute anspreche und sage: "Ich möchte gerne ein Photo von Ihnen machen." Und das hab ich aber sehr viel gemacht. Also, das ganze Buch "Close to the eyes" sind nur Nahaufnahmen von Menschen, die ich angesprochen habe. Musik (2): Kronos Quartet, Kevin Volans, White man sleeps #5, Track 7, zusammen mit Sprecherin (1), stehen lassen und unter O-Ton (22) etwas runterfahren Sprecherin (1): Malaga. Vor den dunklen Streifen einer herabgelassenen Ladenjalousie eine weißhaarige Señora in hellgeblümter Sommerbluse. Ihr Greisenhaar bauscht sich ungebärdig um das faltenzerfurchte Gesicht. Das Alter hat die knöcherne Tiefe der Augenhöhlen scharf herausgearbeitet. Aus deren Dunkel aber blitzt überrascht ihr Blick zum Gegenüber hin. Ihr ungläubig lächelnder Mund scheint zu fragen: "Bin wirklich ich gemeint?" Geräusch (1) (7003462/7000827/7001174): Klickgeräusch vom Photoapparat Sprecherin (1): Bangkok. Von der dichten Schwärze ihres Haars umrahmt, nahezu schattenlos das wie aus blendendweißem Wachs modellierte Close-up einer jungen Thai. Im Hintergrund verschwommen die Lichter kleiner Kugellampen. Fernen Monden gleich scheinen sie das makellose Gesicht zu umkreisen. Die mandelförmigen Augen sind wie mit feinem Stichel in das Wachs geritzt. Das zögernde Lächeln ihres Mundes bringt Lebendigkeit in deren gleichmütiges Dunkel. O-Ton (22) (Xiao Hui Wang): Das ist eigentlich in einem Kaufhaus, ich habe das Mädchen gesehen, die später auch als Coverbild genommen wurde für mein Buch. Die Frau ist fast nicht echt, also, fast wie eine Schaufensterpuppe oder so, sie sieht so perfekt aus, es gibt viele schöne Menschen gerade auch in Thailand, finde ich, die sind so schön, so richtig perfekt, das hat mich irgendwie auch fasziniert. Musik (2): Kronos Quartet, Kevin Volans, White man sleeps #5, Track 7, hochziehen und unter O-Ton (23) langsam ausblenden Sprecherin (1): Sevilla. Grau wie Asche die zerschlissene Decke. Eine junge Bettlerin hat sich darin eingehüllt. Ihr Kopf mit dem glanzlos krausen Haar ruht in ihrer Armbeuge. Dunkle Pigmentflecken haben ihr Gesicht wie mit einer matten Staubschicht überzogen. Der Blick ihrer Augen ist erloschen. Allein der kleine Tupfen von Blut auf dem hellen Pflaster am linken Mundwinkel verrät, dass noch Leben in ihr steckt. O-Ton (23) (Xiao Hui Wang): Das ist für mich ein sehr besonderes Photo, und es ist einerseits dokumentarisch und andererseits ist ein Bild, die ich wirklich nie vergessen kann, die Situation, die ich photographiert habe. Wie gesagt, ich hab die meisten Leute vorher gefragt, ob ich sie photographieren darf. Und die meisten haben natürlich zugesagt, und bei diesem Mädchen hab ich es zwar versucht zu sprechen, sie hat überhaupt keine Reaktion gehabt. Und dann hab ich auch immer näher gekommen, ich habe vielleicht drei Bilder gemacht und dann immer ein Schritt mehr nahe zu ihr, aber irgendwann konnte ich nicht so nah wie die anderen Bilder machen, ich bin doch stehen geblieben, weil ich so Gefühl habe, dass sie überhaupt keine Interesse an Außenwelt, sie ist total in sich gesunken. Sie hat nicht mal die Augen gezuckt, und auch nach dem Photographieren hab ich auch versucht, Münze in ihre Schale zu legen, sie hat nicht reagiert. Und da hab ich bei diesem Moment wirklich, das war Hochsommer, und ich hab wirklich so richtig Gänsehaut gekriegt, und auch fast, ich weiß nicht, was für Gefühl, ich kann gar nicht beschreiben, so hab ich an einen Satz gedacht: "Sie lebt, um zu sterben." So hab ich gedacht, dieses junge Mädchen lebt auch, um zu sterben, mindest hab ich diese Interpretation von ihre Auge. Sprecherin (2): Anders als viele Photographen hat Xiao Hui Wang sich nie dazu hinreißen lassen zu forcieren, was dem Medium der Photographie ohnehin zu eigen - Enthüllungskraft. So zerrt ihre Kamera kein spektakuläres Geschehen ans Licht, vielmehr geht es ihr um Entschärfung dieser photographischen Potenz und um Einfühlung in das unweigerlich durch das Photographieren ins Licht gestellte Gegenüber. Musik (10): Morton Feldman, Piano and String Quartet, Track 1, zusammen mit Zitatorin einblenden, unter O-Ton (24), Sprecherinnen und O-Ton (25) etwas runterfahren Zitatsprecherin (Xiao Hui Wang): Von der amerikanischen Fotografin Nan Goldin stammt die Aussage, sie versuche ihre Bildobjekte "mit einem warmen, nicht mit einem kühlen Auge zu betrachten". Fotografieren ist für sie ein Akt der Annäherung. O-Ton (24) (Xiao Hui Wang): Sie hat einmal gesagt, sie "touched" die Menschen mit ihrer Kamera. Photographieren ist wie eine Zärtlichkeit, und ich finde auch, dass wir die gleiche Art zu photographieren haben, dass wir nicht unbedingt diese brutale Welt wiedergeben wollen, noch brutaler darstellen wollen, wir wollen was Warmes zu dem Gegenüberstehenden und auch für die Zuschauer, die später diese Photos sieht. Mindestens ich bin so, und ich finde, das ist auch wichtig als Künstlerin, dass man was Schöneres oder Nachdenkliches für die Welt bringen. Sprecherin (2): "Conceptualizing Photography" hat sie ihre Art zu photographieren charakterisiert. Eine bedachte Photographie im Spannungsfeld von Erfahrung, Denken und Empfindung, ein Reflektionsprozess im wahrsten Sinne, in dessen Licht das Wirkliche nicht einfach nur widergespiegelt, sondern immer auch nachdenklich gebrochen wird. Konsequent hat sie dies über die Jahre in ihren Arbeiten verfolgt - ihre Kunst des bedachtsamen Belichtens und stets der "Versuch, etwas Wertvolles davonzutragen". Musik (10): Morton Feldman, Piano and String Quartet, Track 1, hochziehen, kurz allein und nach Sprecherin (1) langsam ausblenden Sprecherin (1): Fast heruntergebrannt leuchtet die Kerze in ihrer linken Hand von innen durch das dünne Wachs auf ihre Haut. Von dichter Schwärze die Dunkelheit, die sie umgibt. Ihre fächergleich geöffnete Rechte scheint die kleine Flamme zu schützen, deren schwacher Schein kaum ihre Nacktheit enthüllt, ihre knabenhafte Brust, deren zarter Schattenrand unterhalb der rechten Hand gerade noch zu erahnen ist. O-Ton (25) (Xiao Hui Wang): Schönheit ist mir nie wirklich in erster Linie, aber sowieso hab ich eine sogenannte ästhetische Blick, aber was ich eigentlich aussagen möchte, ist überhaupt nicht die Schönheit so flach. Aber ich denke, alle meine Bilder sind nicht sehr real, also, ist nicht wie in Realität, und das ist vielleicht, was ich unbewusst auch suche und darstellen möchte. Sprecherin (2): Längst ist Xiao Hui Wang in China eine "öffentliche Person". Ihre Retrospektive "Between two Worlds" in ihrer Geburtsstadt Tianjin im Jahre 2007 verzeichnete Besucherrekorde. Seit Erscheinen ihres "Visuellen Tagebuchs" 2001, jahrelang ein Bestseller und mit anerkannten Preisen ausgezeichnet, ist sie in den Medien präsent. Mit vielen offiziellen Verpflichtungen und Aufgaben betraut, eine "Image Botschafterin", wozu sie im letzten Jahr ernannt wurde. Als Gewinnerin der Ausschreibung ist sie mit den Mitarbeitern ihres "Xiao Hui Wang Art Workshop" auch für die Gestaltung des China-Pavillons der diesjährigen Weltausstellung in Shanghai verantwortlich. Zitatsprecher (China-Magazin): Man hat sich fast zu nachhaltig für Xiao Hui Wang interessiert. Wegen ihrer Kunst? Wegen ihrer Autobiographie? Wegen ihrer legendären Geschichte? Durch Zeitungen und Fernsehen ist sie in unserem Blickfeld. Man nennt sie "Kultur-Star". O-Ton (26) (Xiao Hui Wang): Ich glaube, dass ich jetzt ein bisschen wieder einmal in meinem Leben auf einer Kreuzung stehe. Einerseits, ich genieße diese viele Leidenschaft mit Arbeit verbunden, andererseits viele meinen, ich bin auch in einem Fluchtzustand, ich flüchte von Beziehungen, flüchte von auch, dass ich keine Zeit an andere Dinge denke, die ich eigentlich dringend denken sollte. Und ich habe meine ganze Tage ausgefüllt mit diese viele Arbeiten, die zwar interessant, kreativ und aufregend, aber andererseits ist auch viel zu einseitig und zu viel, und das ist vielleicht doch auch nicht gut. Ich frage mich manchmal auch, ob ich wieder meine Freiheit verloren habe, dadurch dass ich diese viele, viele Aufgaben habe, die auch mit viele Verpflichtungen zu tun sind. Aber dabei habe ich auch meine wirkliche Ich verloren, diese Künstlerin Xiao Hui verloren, sondern nur diese ja gesellschaftliche Xiao Hui, die auch chinesische Regierung erwartet oder so. Manchmal sehne ich auch mich nach der Zeit, in der ich wirklich total frei war, wie ich dieses Buch "Close to the eyes" gemacht habe. Da hab ich mich wirklich sehr, sehr, sehr frei gefühlt, und jetzt fühle ich mich doch nicht so sehr frei, dass ich zu sehr mit viele Aufgaben, Projekte und auch - mit Anführungszeichen - diese Erwartungen gebunden bin. Musik (1): Bela Bartok, String Quartet No. 3, Track 8, unter Zitatsprecherin bei "Es habe ihn traurig" einblenden und leise stehen lassen Zitatsprecherin (Xiao Hui Wang): Mein Vater, den ich nur allzu selten besuchen kann, hatte in einem Hochglanz- Magazin ein ganzseitiges Foto von mir entdeckt. Es habe ihn traurig gemacht, wie erschöpft ich auf diesem Bild ausgesehen hätte. O-Ton (27) (Xiao Hui Wang): Ich denke schon, dass ich auch vieles verpasst habe in meinen Leben, ich hab vielleicht doch zuviel an meine Arbeit gewidmet und überhaupt nicht an mein Privatleben gedacht, überhaupt Zeit genommen und auch unfair gewesen für viele Freunde, die wir vielleicht doch eine glückliche Beziehung aufbauen könnte. Ich habe oft gedacht, dass ich nicht, also, als Frau habe ich oft gedacht, dass ich doch nicht erfolgreich bin. Ich habe einerseits vielleicht beruflich ganz gut alles geklappt und gelaufen, und viele Sachen kommt so ohne viele Anstrengung, kommt irgendwie ganz fließend, aber andererseits als Frau, denk ich, ich bin überhaupt nicht mal eine Mutter oder Ehefrau, sondern überhaupt nicht mit einer richtigen Beziehung oder Liebe, jedenfalls ich denke, als Frau bin ich überhaupt nicht erfolgreich. Deswegen bin ich auch manchmal traurig. Musik (1): Bela Bartok, String Quartet No. 3, Track 8, kurz allein und nach Zitatorin langsam ausblenden Zitatsprecherin (Li Qingzhao): Warmer Regen, sanfter Wind, Tauwetter hat begonnen. Weidenkätzchen und Pflaumenblüten, der Frühling regt sich. Wer aber teilt mit mir Gedichte und Wein? Allein mit meiner Traurigkeit, wird es keine guten Träume geben. Weit nach Mitternacht stutze ich den glimmenden Docht der Lampe. Sprecherin (2): Aus dem ersten Jahr ihres Deutschlandaufenhaltes existiert ein Schwarzweißphoto, das sie während einer Reise zusammen mit ihrem Ehemann Lin Yu nach Edinburgh aufgenommen hat. Eher zufällig entstanden, wie viele ihrer Photographien damals, an einem Abend von einer Hochbrücke in der Nähe des Bahnhofs. Geräusch (1) (7003462/7000827/7001174): Klickgeräusch vom Photoapparat, dann Musik (2): Kronos Quartet, Kevin Volans, White man sleeps #5, Track 7, zusammen mit Sprecherin (1) und unter Sprecherin (2) ausblenden Sprecherin (1): Fades Dämmergrau. Auf dunklem Schottergrund ein Gewirr von silbrig glänzenden Eisenbahnschienen. Sie kreuzen sich hier und da, vereinigen sich, gabeln sich wieder und laufen in der Ferne ins Unbekannte auseinander. Im Vordergrund des Bildes, schemenhaft, ein filigranes Geflecht aus schwarzem Astwerk, das die klare Sicht auf den Lauf der Gleise versperrt. Sprecherin (2): Rückblickend für sie ein Bild, das die Komplexität und Unvorhersehbarkeit ihres Lebens symbolisiert. Das Yin und Yang von Hell und Dunkel und dessen steten Wechsel von Licht und Schatten. O-Ton (28) (Xiao Hui Wang): Ich habe eigentlich immer behauptet, es sind zwei Dinge in meinem Leben, die besonders wichtig sind, einmal ist die Kunst, die andere ist die Liebe. Und wo ich viel, viel, viel jetzt in Kunst bekommen und in Liebe hatte ich ganz Großes gehabt. Und ich habe oft auch mich nur getröstet, dass sind die Liebe wie dieser Mond, den man nur vielleicht sehr weit sehen, man kann nicht wirklich erreichen, sobald du erreichst sind die Realität nicht so schön, wie man wünscht. Aber ich möchte auch nicht aufgeben, dass so etwas schönes Vorkommendes nicht gibt. Das ist auch zu sehen in meine Arbeit, deswegen ist das Leben, menschliche Beziehungen doch immer ein wichtige Thema für mein Buch, für meine Photographie gewesen. Musik (2): Kronos Quartet, Kevin Volans, White man sleeps #5, Track 7, wieder von Anfang, kurz allein und unter O-Ton (29) runterfahren Sprecherin (1): Verschwommen die helle Spur ihrer Bewegung - wie mit weichem Pinsel weiß auf Schwarz gezogen, zwei fast bis zur Unkenntlichkeit verwischte Körper, die von links und rechts aufeinanderzulaufen. Großräumig eilt das Licht über die glatten Flächen der linken, männlichen Gestalt. Breite Helligkeitsbahnen zieht es in Höhe von Schulter, Hüfte und Schenkel auf der rechten. In der Mitte des Bildes, wo beider Hände sich berühren, sammelt es sich zu einem leuchtend hellen Lichterbündel. O-Ton (29) (Xiao Hui Wang): Ich hab schon eine Lebensphilosophie, die ich eigentlich in einem meiner ersten Veröffentlichungen in Deutschland geschrieben habe. Und der Hauptmotor, die ich auch als meine Lebensphilosophie nennen könnte, ist ein chinesisches Sprichwort: "Wenn der Wagen zum Berg kommt, findet sich immer ein Weg." Man könnte von weitem einen Berg sehen, sieht man keinen Weg von weitem, man muss nur dieses Ziel sehen und in diese Richtung gehen, und wenn man nah kommt, also, wenn man daran glaubt, es gibt irgendwie einen Weg, wichtig ist nur, dass du wirklich dieses Ziel siehst. Als ich diesen Artikel schreibt, war ich dreißig, als ich gerade angekommen bin in Deutschland, und ich hab gesagt, ich möchte gerne photographieren, Bücher schreiben, Ausstellungen machen, ganz frei sein, Künstlerin werden oder Filme machen. Auch ich hätte nicht geglaubt, ich hab gesagt, das wäre mein Wunsch oder mein Traum, und nach zehn Jahren hab ich eigentlich alles geschafft ohne Zwang. Ich denke, das ist teilweise auch Schicksal. Aber dieser Wille ist auch wichtig, denk ich, dieser ganz weite sehende Berg, das darf man nicht verlieren im Leben. Musik (2): Kronos Quartet, Kevin Volans, White man sleeps #5, Track 7, hochziehen und langsam ausblenden 2