COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport am 11. November 2011 Produktion: DLF, 31.10.2011 14.40 Uhr, H 6.1 Kleine Sprachgeschichte: Düsseldorferisch - oder was? Autor: Klaus Seifert Vorschlag zur Moderation: An einem Tag wie heute möchten wir uns der Sprache der Rheinländer widmen. Rheinländer? Wie sprechen die denn? Am Oberrhein, sagen wir in der Gegend um Freiburg, wird alemannisch gesprochen. Das versteht keiner - außer den Alemannen. Dann geht's weiter abwärts: Hessisch, Meenzerisch - das kennen wir aus Omas Fernseher. Vergessen wir Bonn, so ungefähr ab Köln ist Niederrhein. Wie die da sprechen, wissen sie manchmal selber nicht. - Was zu einem ewigen Streit zwischen zwei rheinischen Rivalen führt. Mittendrin lebt unser Autor: Klaus Seifert. Text des Beitrags 1. O-Ton: Jürgen Becker, Stunksitzung 1993 ... und ich sage nur eins: Düsseldorf! (folgt Gelächter, Heiterkeit, großer Applaus) Autor: Ein alter Gag, der in Köln immer wieder Stürme der Begeisterung auslöst. Mit Sicherheit auch heute, am 11. im 11., dem Tag, an dem im Rheinland der Karneval ausbricht. - Pünktlich um 11 Uhr 11. 2. O-Ton: Tusch Tätä, tätä, tätä Autor: In den Arenen des rheinischen Frohsinns, den Sitzungssälen, wird über kein Thema so gern gelacht wie über die "Nachbarn da unten - die Düsseldorfer". Die auch noch rechtsrheinisch, also auf der "falschen" Rheinseite wohnen: Auf der "schääl Sick". - Wie so oft hat die Rivalität der beiden Städte historische Gründe. Ein Blick zurück: Erzählerin: Da, wo der südliche Arm des Flüsschens Düssel in den mächtigen Vater Rhein mündet, lag einst ein wall- bewährtes kleines Dorf. Düsseldorf. Den Zusatz klein verwenden die Düsseldorfer noch heute gern. Wenn sie ihre Stadt ein bisschen größer machen wollen, nennen sie ihr Dorf Klein Paris. Geschichtlich betrachtet ist so viel Selbstbewusstsein gewagt. Rheinauf, rheinab gab und gibt es bedeutendere Städte. Xanten, das einst mächtige Römerlager, oder Novesia, das benachbarte Neuss. Und eine viel ältere, viel größere Stadt, nur 50 Kilometer rheinaufwärts: Köln. Köln ist Düsseldorfs Alptraum. Auch, was die Sprache angeht. 3. O-Ton: Horst Rosenbaum, Vizebaas, Mundartfreunde Düsseldorf 1969 e.V. Die Leute erkennen einen leider ja auch als Düsseldorfer nicht. Im Ausland, sagen wir jetzt Mallorca oder wo weiß ich, und Sie sprechen jetzt unsere Mundart und da sitzen andere daneben, sagen die: Kumma, die sind aus Kölle! - Rheinisch ist Kölsch, ja, und Kölsch ist Rheinisch, ja? - Das wird sich auch wahrscheinlich nie ändern. Autor: Horst Rosenbaum ist Vizebaas, also zweiter Vorsitzender der Düsseldorfer Mundartfreunde, ein Kenner des Dialekts. Hat er recht, wenn er stöhnt: Rheinisch ist Kölsch und Kölsch ist Rheinisch? - Ja und nein sagt die Wissenschaft. Prof. Rudi Keller, Germanist von der Heinrich Heine Universität Düsseldorf zur Frage: Warum sprechen die da anders? 4. O-Ton: Prof. Rudi Keller, Germanist, Emeritus Uni Düsseldorf Zwischen Holland und Köln gab es (ja) ein Dialekt-Kontinuum. Die Leute haben (ja) an der Grenze nicht aufgehört, Holländisch und auf der anderen Seite Deutsch zu sprechen. Das ist ja heute noch ein Dialekt- Kontinuum. Aber durch diese Regionalgrenzen, die vielleicht jetzt auch im Zuge der Europäisierung wieder weiter aufweichen, sind dann auch stärkere oder härtere Sprachgrenzen entstanden. Autor: Düsseldorf liegt wieder mal mittenemang im Jewöhl - und wird nicht mal namentlich erwähnt! 5. O-Ton: Rudi Keller Holländisch ist eine Variante des Niederdeutschen. Und jeder Holländer fühlt sich beleidigt, wenn man ihm sagen würde: Du sprichst einen deutschen Dialekt. Aber, wenn man es linguistisch betrachtet ist es ein Kontinuum zwischen Rotterdam und Köln - und zwischen Lübeck und Kopenhagen. Erzählerin: In den 1960er Jahren haben Professoren ihre Germanistik-Studenten in Seminarstärke auf eine wissenschaftliche Exkursion geschickt. Ziel war eine ARAL-Tankstelle im südlichen Düsseldorfer Vorort Benrath. Sie sollten formlos mit Anwohnern sprechen und herausfinden: Wie sprechen die da? - Nördlich und südlich einer gedachten Sprachgrenze, die in Fachkreisen Berühmtheit erlangt hat: Die Benrather Linie. 6. O-Ton: Rudi Keller Diese Linie ist die Trennungslinie zwischen dem, was Sprachwissenschaftler Niederdeutsch und Hochdeutsch nennen. Kölner sollten Hochdeutsch sprechen und Düsseldorfer Niederdeutsch. (Also) nach dieser Theorie sollten Kölner sagen: wir maache und Düsseldorfer sollten sagen: wir maake. Ob sie das tatsächlich tun, das weiß ich nicht. - Alles was ich jetzt gesagt habe, sind eigentlich mehr historische Daten. Erzählerin: Damals soll das Experiment an der Tankstelle noch funktioniert haben. Heute wäre es zum Scheitern verurteilt. Wie im ganzen Land sind die Bewohner der Region so durchmischt, dass sich sprachliche Eigenheiten mehr und mehr abgeschliffen haben. Autor: Um Düsseldorferisch als eigenständigen Dialekt steht es nicht so gut. Er wird zu selten gesprochen. Aber es gibt in Düsseldorf ein kleines Häuflein Aktivisten, die noch nicht aufgegeben haben. Sie haben sogar eine Vereinshymne. Hier wird sie erst einmal ,trocken', also ohne Musik geübt. 7. O-Ton: Heimatlied: Mer spreche Platt, dat ham' mer uns jeschwore, damit uns Muttersproch nit jeht verlore. Mer spreche Platt damit uns jeder kennt, dat mer noch echte Düsseldorfer sind ... Autor: Ächte Düsseldorfer müssen sich schon mal Mut ansingen. Jedenfalls wenn es um die Verbreitung - oder eher die Verteidigung? - des heimischen Idioms geht. Ein Schuss Lokalpatriotismus könnte helfen: rheinaufwärts wird er gelebt: Köln, onser Stadt, Kölsch, onser Bier und Kölsch, onser Sproch. Köln, Kölsch und Kölsch - das verspricht schon marketingtechnisch Gewinn. Ob Bier oder Sprache: Kölsch ist in aller Munde. Aber Düsseldorferisch? 8. O-Ton: Präsident der Düsseldorfer Jonges Düsseldorferisch gib' et dat überhaupt? - Ne unglaubliche Frage ... Autor: ... der wir nun einmal ernsthaft nachgehen wollen. Und im Ernst - was ist ernster im Rheinland als der Karneval? 9. O-Ton: Jürgen Becker, Stunksitzung 1993 ... und ich sage nur eins: Düsseldorf! (folgt Gelächter, Heiterkeit, großer Applaus) Autor: Umgekehrt hätte dieser Gag nicht funktioniert. Der Düsseldorfer revanchiert sich aus der Position des Unter- legenen: mit Schadenfreude. Anfangs sogar auf Platt. Der besseren Verständlichkeit wegen, wird hier mal nicht gesungen. 10. O-Ton: Karnevalslied Et jitt en Stadt, ja die wird Köln jenannt, die liescht och am Rhing, dat is jar nit schlimm. Doch jedes Jahr, wenn et Huhwasser kütt, nimmt sisch der Vater Rhein e paar Kölner mit. Autor: Zu dem Text, der jetzt kommt, würde der Rheinländer sagen: Dat is Hochdeutsch mit Knubbelen. Karnevalslied weiter ... Und dann stehen alle Düsseldorfer am Rheinufer, beobachten, wie das Hochwasser steigt und steigt, lure, wat da so alles vorbeitreibt: so große Baumstämm', 'ne Küttel von vorjestern, ... aber plötzlich: `Wat schwimmt denn da?! Wat is dat denn??? Ja, dat is doch... Autor: Vorsicht, jetzt wird's lustig: Refrain: Da schwimmt 'ne Kölner, da schwimmt 'ne Kölner, da schwimmt 'ne Kölner am Schloßturm vorbei! ... vielleicht sind es auch zwei! Autor: Wagen wir die heikle Frage: wird irgendwo in Düsseldorf noch unverfälschtes Platt gesprochen? Natürlich in der Altstadt, heißt es. Das Problem ist nur: Wer hier abends oder am Wochende ankommt, hört Englisch, auch Spanisch, Japanisch - und alle Sprachen des Ruhrgebiets. Düsseldorfs Altstatt nennt sich - in rheinischer Bescheidenheit - ,Die längste Theke der Welt'. Mit 200 Restaurants und Kneipen auf einem halben Quadratkilometer! Also auf zum Wochenmarkt. Der war einst bekannt für seine schlagfertigen ,Mahtwiewer'. Doch, Pech lass nach, die Berühmteste von allen, die Chefin der ,Närrischen Marktfrauen', ist im Urlaub. Hören wir uns statt dessen eine gespielte Marktszene an. - Gesprochen von geprüften Mundartexpertinnen. 11. O-Ton: Szene aus der CD Lommer platt liere Früher hät et wohl kin Mahdfrau jejowe, die kin Platt jesproche hät. Un miest hant die noch en ärje Schnüss am Kopp jehat. E ne schöne Dach auch. Ich möt jähn e Punk Äpel han. - Ne Ojeblick! Dät dat he noch Schönhit jonn? Ich war vor üch do. - Ne, wat hätt die en Schnüss am Kopp. Da kann ich nit jeje ankumme. - Ich hätten jän ne Schlot. - Soll ich die welke Bläder afmake? - Sid e so jot un dot dat. Dann möd ich noch ne Schafú un ne rode un ne wisse Kappes han. - Darf et noch jet sin? - Jo, e Punk Ölk un jet Schötzeneeres. - Is et dat? - E ne, wat ich noch froje wollt: Hat he als de neue Äpel? Minne Mann kann sich an die frische Äpel e Schänzke fresse. - Sajens, ich han min Ziet o nit jestohle. Sit he bald fähdij? - Do müßt he öch noch jet jedulde. Erzählerin: Für unsere Hörer aus Süddeutschland eine knappe Zusammenfassung der kleinen Szene: Eine Kundin lässt sich beim Einkauf am Marktstand viel Zeit. Das ärgert eine zweite Kundin, der aber nichts übrig bleibt als abzuwarten, bis der Einkaufszettel abgearbeitet ist. Dabei lernen wir Vokabeln: Schlot steht für Salat, Schafú meint Wirsing, Kappes ist Kohl, Ölk sind Zwiebeln und das schöne alte Wort Schötzeneres kommt aus dem Italienischen: Scorzanera, die Schwarzwurzel. Und wer sich mit Äpeln e Schänzke frisst, der isst einfach zu viel. 12. O-Ton: Heimatlied: Text wird vorgesprochen, zeilenweise im Chor wiederholt Mer sind us de Aldestadt, Us de Retematäng, Mer spreche richtig Platt - On loope ob de Häng, Uns Altstadt es bekannt, Bes Korschenbroich on Norf, Mer blose jet ob Klein-Paris, Mer sind Jroß-Düsseldorf! Autor: Eine glückliche Gelegenheit: Hineinhören dürfen in einen Kurs, in dem, Ons Frollein' Christa Hecker, im richtigen Leben Schuldirektorin, Zugereisten und mundartlich zurück gebliebenen Einheimischen in je zwei Wochenstunden ein Semester lang Spaß an der Mundart beibringt. Dafür gibt es kaum einen schöneren Übungstext als das Lied von der Retematäng. Erzählerin: Das Lied von der Retematäng, der Altstadtstraße, wo die Jungen als Radschläger auf den Händen laufen... Vorbei auch diese Zeiten. Die heutigen Radschlägerwettbewerbe gewinnen beinahe alljährlich kleine Japanerinnen. Nicht nur deshalb ist Düsseldorf stolz auf seine japanische Gemeinde, die zweitgrößte in Europa. Nur: Zur Pflege der einheimischen Mundart können die wohlintegrierten Gäste aus Fernost leider wenig beitragen. - so sorry. Autor: Das Lied von der Retematäng - wir kommen auf den geheimnisvollen Namen noch zu sprechen - entstand in den Nachkriegsjahren. Da wurde noch echtes Platt gesungen und der Autor, Jupp Schäfers, hat nichts im Sinn mit dem gerade entstehenden hochnäsigen Anspruch von ,Klein Paris'. Er meint: Wir pfeifen auf Klein Paris - wir sind Groß Düsseldorf. Sicher würde sich der Heimatdichter im Grabe umdrehen, müßte er sein Düsseldorf heute im Fernsehen sehen. Ein Ausschnitt aus der Sendung ,hart aber fair'. 13. O-Ton: aus Hart aber Fair Reporterin: Die Düsseldorfer Königsallee im Sommer. Nahezu ein Geländewagen reiht sich an den andern. Die Offroader scheinen eher selten im Gelände, dafür aber oft hier entlang der Flaniermeile zu rollen. Alle wirken wohlpoliert und - oben wie unten - blitzsauber. Wir sprechen die Besitzer an. Wann waren Sie mit Ihrem zuletzt im Gelände? - (junge Frau): Noch nie! - Reporterin: Brauchen Sie denn ein sportliches Auto, es ist ja ein Geländewagen? - (andere Dame): Also, brauchen unbedingt nicht. Nur der Komfort durch dieses Geräumige ... und dann nimmt man die Kinder mit, die Freundin, was auch immer, das Golfbag hinten drin. Reporterin: Wieviel verbraucht Ihrer? (recht junge Frau): Keine Ahnung. Muss ich gestehen, nein, keine Ahnung. Reporterin: Also die hohen Spritpreise im Augenblick machen Ihnen auch keine großen Sorgen? - Ich hab nen Mann, der dafür sorgt. Kümmer' mich auch nicht selbst drum. Hört sich doof an, aber es ist so. Autor: In diesem Düsseldorfer Milieu ist Mundart eine Fremdsprache. Überhaupt berichten gerade jüngere Menschen, dass ihnen der Dialekt zuhause fast bei Strafe verboten wurde. Dazu der Wissenschaftler. 14. O-Ton: Rudi Keller: Ich weiß nicht, wie viele original Düsseldorfer in Düsseldorf leben. Und wenn Leute zuziehen, dann übernehmen die ja nicht den Dialekt. Und die Kinder lernen nicht mehr den Dialekt und dann sterben diese Dialekte mehr oder weniger aus. Autor: Vor allem in der Welt der Schönen, Reichen und Erfolgreichen - also der Düsseldorfer - scheint der Mut zu fehlen, zu regionalen Traditionen zu stehen. Rudi Keller: 15.O-Ton: Rudi Keller: Es scheint ja so zu sein, dass in vielen Teilen Deutschlands das Dialekt sprechen als arm, vulgär, einfach, hinter- wäldlerisch aussieht und in einigen Regionen - denken sie in der Schweiz - das eben nicht der Fall ist, sondern es wird nicht diskriminiert. Wenn der Dialekt als billig und vulgär und einfach und armselig beurteilt wird, dann ist das natürlich auch ein Motiv, ihn bleiben zu lassen. Zusätzlich zu der Mobilität der Bevölkerung, die überall dafür sorgen wird, dass der Dialekt zurückgeht oder verhochdeutscht. Erzählerin: Dagegen kämpfen die Düsseldorfer Mundartfreunde, ein 1969 gegründeter Verein mit immerhin 700 Mitgliedern. Die Sprachaktivisten wollen nicht zuschauen, wie ihre Muttersprache ausstirbt. Sie geben eigene Publikationen auf Platt heraus, pflegen ein aufwändiges Archiv, veranstalten Heimatabende in Mundart und fördern den mundartlichen Nachwuchs. Sie gründeten sogar eine eigene Akademie. Benannt nach dem Düsseldorfer Heimatdichter Hans Müller-Schlösser, Autor des über Düsseldorf hinaus bekannten Bühnenstücks Schneider Wibbel. - Dieser Name wird Millionen Altstadtbesuchern bekannt vorkommen. Auf dem Weg zum nächsten Altbiertresen könnten sie die gastronomisch hoch aufgerüstete Schneider Wibbel-Gasse im Zentrum der Altstadt entlang gelaufen sein. Autor: Besuch beim Baas, so nennt man hier den Chef der Mundartfreunde. 16. O-Ton: Mario Tranti, Chef der Mundartfreunde Mein Name ist Mario Tranti. Das klingt nicht nur italienisch, et is auch Italienisch. Denn ich bin der Nachkomme von italienischen Auswanderern, die allerdings jetzt schon über 110 Jahre hier in Deutschland und zum größten Teil dann auch hier in Düsseldorf leben. Ich bin in Düsseldorf, in der Altstadt, im Herzen der Altstadt, geboren und he in dem schiefen Turm, im Lambetes, jedöft wode - getauft worden. Autor: Erste Frage. Einen Baas findet man häufig in Düsseldorfer Brauchtumskreisen. Die Schützen haben einen Baas und beim Heimatverein ,Düsseldorfer Jonges' gibt's sogar den Tischbaas, bestimmt zwanzigmal. 17. O-Ton: Mario Tranti Der Baas ist etymologisch verwandt mit dem englischen Boss. Das ist ein niederrheinisch-holländischer Ausdruck für Chef. Aber auch der Meister in 'ner Bäckerei oder nem Handwerksbetrieb wurde Baas genannt, früher. Man sprach ihn gar nicht mit Namen an, sondern rief: Ey Baas, wat is, kummste ma eve kieke - und so weiter. Das ist also der Baas, der Boss. Autor: Zweite Frage. Nach der Enttäuschung auf dem Wochenmarkt wüssten wir gern aus berufenem Mund: wohin muss man gehen, um mit ,ächten Düsseldorfern' zu sprechen? 18. O-Ton: Mario Tranti: In die Altstadt, in die Brauhäuser. Und wenn Sie da noch den richtigen Köbes finden, der Düsseldorfer ist, da könne Se noch richtig Platt mit dene sprechen. Autor: Dem Hörensagen nach ist für Fremde die Kommunikation mit diesen - pardon - Kellnern nicht ganz einfach, oder? 19. O-Ton: Mario Tranti: Man bestellt ja auch nicht, kann ich bitte noch ein Glas Bier haben'? Ne, mer säht: Köbes, donn mich noch e Alt! Autor: Und der Baas kann das auch sprachtheoretisch begründen. 20.O-Ton: Mario Tranti: Dat ,donn mich' ist zum Beispiel eine wortübergreifende Assimilierung von ,donne moi', aber wenn ich sage ,donn mich noch e Alt' - das heißt nicht ,tu' mir noch ein Bier', sondern gib mir noch ein Bier. Das ist der französische Imperativ von donner; ,donne moi' und das wird wortübergreifend dann assimiliert auf Doppel-M: ,Dommich'. Autor: Dritte Frage. Mehrfach in der letzten Viertelstunde fiel ein geheimnisvolles Wort. Das gibt es wohl nur in Düsseldorf. Retematäng. Eine Straße, in der die Jungs auf den Händen laufen. Und das seit den Tagen der Besetzung durch Napoleon. 21. O-Ton: Mario Tranti: Man versucht es heute zu erklären. Man kommt dann auf ,Rue de Matin', das ist also die Straße des Morgens. Im Osten geht die Sonne auf und von da aus kam dann die Sonne über die Altstadt hineingezogen und deshalb ,Retematin'. - Versucht man heute zu erklären, Autor: Der Einfluß des Französischen auf die rheinischen Dialekte ist unverkennbar. Besonders nett klingt ,Fisematentjes'. 22. O-Ton: Mario Tranti: ,Nu mach' kinn Fisematentjes', ne? Woher soll das kommen? ,Visitez ma tente' - besuchen Sie mein Zelt. Das waren die Franzosen, die die Mädels damit ranlocken wollten, ins Zelt. Früher sagte man dann später: Ach komm' mal - ich hab ne schöne Briefmarkensammlung oder so was ähnliches. Autor: Neben bemerkenswerten Interpretationen seiner Düsseldorfer Muttersprache hat sich der Mundartbaas Tranti seiner heikelsten literarischen Herausforderung gestellt: Gedichte des größten Sohnes der Stadt, Heinrich Heine, in Düsseldorfer Mundart neu erstehen zu lassen. 23. O-Ton: Mario Tranti: Obwohl Heinrich Heine vermutlich selbst Platt nie gesprochen hat... Aber wenn einer in der Altstadt groß geworden ist, hätt de op de Stroß mit Sicherheit och Platt jesproche. Und unser Platt och verstanden.- normalerweise müßte man jetzt den original Heine dagegen setzen, aber wenn ich jetzt ein Gedicht nehme, das später vertont wurde, nämlich Die Loreley. Da brauch ich das Original Heine gar nicht mehr zu erwähnen, denn das kennt ja jeder. 24. O-Ton: MarioTranti: Loreley auf Düsseldorferisch Isch wes' nit, wat soll et bedüde Dat isch so knatschij bin En Meuzke us alte Ziede Dat kütt mich nit us der Sinn Is uselij un schon düster Behäbij fließt der Rhing Der Berg is knatschrut, dat wisst er, vom Ovendsonnesching Da hockt en Frauenzimmer En Superexemplar Im Strunzbüdels Jold Geflimmer Se kämmt ihr goldenes Haar Se kämmt sich mit joldenem Kamme Und trällert froh und lang Se trällert sich wat zusamme Dat hätt e ne jode Klang Dem Schiffer em kleene Nache Dem hätt se der Kopp verdrieht He süht nix un höht et krache Do wor et vorbei mit sin Ziet Isch glöw och der Rhing dät verschlinge Am Eng der Schiffer mem Kahn Un schuld wor vor alle Dinge Der Loreley-Sopran Autor: In die gebotene Stille nur noch ein kleiner Nachtrag: 25. O-Ton: Mario Tranti: Wir haben auch zwei Gottesdienste im Jahr. Wir machen Gottesdienste auch für die Karnevalisten, weil dann im Gottesdienst auch Düsseldorfer Platt gesprochen wird. - Wir haben hier in der Lambertuskirche, das ist ja die bekannteste Kirche, Wahrzeichen mit dem schiefen Turm, haben wir unseren Pastor - der spricht Kölsch! Er darf Kölsch spreche. Wir sind da tolerant! - Ende des Beitrags, Länge: 18'11'' - 11 -