Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 10. Mai 2010, 19.30 Uhr Zu viel gefördert, zu wenig gefordert? Alleinerziehende und der Arbeitsmarkt Eine Sendung von Ulrike Köppchen Musik, kurz frei, dann unter die O-Töne legen, ggf. zwischen den O-Tönen kurz hochziehen 1. O-Ton: Franziska Ich hab mich wirklich als alles beworben, von Krankenschwester, Altenpflegerin, Wasser-Installateurin, also wirklich alles, und irgendeiner hätte da schon sagen können, ja wir laden Sie wenigstens mal zum Einstellungsgespräch ein, aber in der Bewerbung von mir stand klar drin, ich bin Mutter, und ich kann mir eigentlich nur vorstellen, dass es daran lag. 2. O-Ton: Gudrun Ich bin kein Mensch, der den ganzen Tag zu Hause das Leben einer Hausfrau und Mutter leben könnte und Erfüllbarkeit erfahren kann. 3. O-Ton: Gina Ich bin schon jung Mutter geworden, mit 16 Jahren, hab dann meine Schule nachholen wollen, bin aber irgendwie durch die Prüfung gefallen, ich war wahrscheinlich zu aufgeregt 4. O-Ton: Denise Es ist doch sehr schwer als Mutter Arbeit zu bekommen. Ich würd schon sagen, weil der Arbeitgeber denkt, eine Mutter fehlt öfter als jemand ohne Kind. Der Rest denke ich hat einfach keine Lust und ruht sich auf dem Kind aus. 5. O-Ton: Yasemin Im Bett gehen einem dann schon die Gedanken, bis man einschläft, dauert auch. Man Revue passiert den Tag und wie geht's morgen weiter? Musik noch mal hoch darüber Sprecher vom Dienst: Zu viel gefördert, zu wenig gefordert? Alleinerziehende und der Arbeitsmarkt Ein Feature von Ulrike Köppchen Sprecherin: Franziska, Gudrun, Gina, Denise und Yasemin - fünf von derzeit etwa 1,6 Millionen Alleinerziehenden in Deutschland. Was ursprünglich im bundesrepublikanischen Modell der Nachkriegszeit mit Kriegerwitwen und Trümmerfrauen lediglich als Notlösung gelebt wurde, ist zwischen Normalität geworden. 6. O-Ton: Peggi Liebisch Es ist ganz klar die gesellschaftliche Entwicklung. Die Zahl der Alleinerziehenden korrespondiert mit der Zahl der Scheidungen, korrespondiert mit der Zahl der der ledigen Mütter, das heißt Frauen und Männer entscheiden sich heute anders, wie sie Partnerschaft leben oder wie sie auch ihr Leben generell gestalten. Man kann sich heute auch entscheiden, außerhalb von Partnerschaft auch mit nem Kind zu leben, wenn die Partnerschaft nicht in Ordnung ist. Diese Entscheidungen sind viel selbstverständlicher als früher, ohne zu sagen, oh, jetzt ist die Familie in Gefahr... Sprecherin: Peggi Liebisch, Bundesgeschäftsführerin des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter. Auch im Bewusstsein der Alleinerziehenden selbst hat sich die Ein-Eltern- Familie als normal verfestigt. Barbara Riedmüller, Professorin für Politikwissenschaft an der Freien Universität, die im Auftrag des Bundesfamilienministeriums 1991 und 2003 Studien zur Lebenssituation alleinstehender Frauen durchgeführt hat: 7. O-Ton: Barbara Riedmüller In der ersten Studie war alleinstehend zu sein, in dem Fall alleinerziehend, als Defizit ganz stark wahrgenommen bei den Frauen und in der zweiten Studie war das zurückgegangen. Also, die Diskriminierung oder das Stigma, ich bin alleine, alleine mit Kind, ist zurückgegangen. Und deswegen sag ich auch, die Optionen sind da, allein zu sein. Das ist zumal in den Städten leichter zu leben. Sprecherin: Auch mit der rechtlichen Gleichstellung von Einelternfamilien ist es den letzten Jahrzehnten vorangegangen: das altmodische Unterhalts- und Scheidungsrecht wurde reformiert und seit 1998 wird gesetzlich nicht mehr zwischen ehelichen und nicht-ehelichen Kindern unterschieden. Inzwischen lebt etwa jede fünfte Familie mit nur noch einem Elternteil. Und wie bei anderen Familien auch muss ein Elternteil in den ersten drei Lebensjahren des Kindes nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Bei Alleinerziehenden springt dann eben Vater Staat ein, um für den Lebensunterhalt zu sorgen. Doch so normal die Lebensform "alleinerziehend" inzwischen auch sein mag, so wenig normal ist die Situation Alleinerziehender auf dem Arbeitsmarkt. 8. O-Ton: Sigrid Mager Geringqualifizierte, dann Arbeitslose, die sehr lange arbeitslos sind, also mindestens ein Jahr und länger, bestimmte Berufsgruppen, die auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr nachgefragt werden... Sprecherin: Sigrid Mager, Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt bei der Arbeitsagentur Berlin-Süd, zählt die Gruppen auf, die besonders schwer vermittelbar sind. 9. O-Ton: Sigrid Mager ... Eltern, also Mütter, Väter und insbesondere Alleinerziehende mit kleinen Kindern, wo die Betreuungspflicht eben nicht erfüllt werden kann, weil Kindergartenplätze, Kitaplätze, Krippenplätze, Tagesmütter nicht vorhanden sind - oder die Vorstellungen der Erwerbslosen sich nicht in Einklang bringen lassen mit den Erfordernissen des Arbeitsmarkts. Also, der Arbeitgeber schreibt eine Stelle aus und sagt, er braucht eine Verkäuferin, die von morgens acht Uhr bis abends 20 Uhr eingesetzt werden kann. Wenn man Kinder zu betreuen hat oder - ein anderer Aspekt - pflegebedürftige Angehörige, dann ist das ganz, ganz schwer unter einen Hut zu bringen, insbesondere für die Gruppe der Alleinerziehenden. Sprecherin: 40 Prozent der Alleinerziehenden beziehen Arbeitslosengeld 2, also "Hartz IV", und sind überdies die "stabilste" Gruppe hinsichtlich ihrer Verweildauer im staatlichen Transfersystem, wie es im Behördendeutsch heißt. Mit anderen Worten: Sie kommen von "Hartz IV" nicht mehr weg. Entsprechend hoch ist ihr Armutsrisiko. Keiner der zahlreichen Armutsberichte, sei es der Bundesregierung oder irgendeines Wohlfahrtsverbandes, versäumt es darauf hinzuweisen, dass Alleinerziehende und vor allem ihre Kinder zu der Gruppe gehören, die in Deutschland am stärksten von Armut betroffen ist. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um ein Frauenproblem. Nicht nur, weil sie über 90 Prozent der Alleinerziehenden ausmachen, sondern weil die wenigen alleinerziehenden Männer nicht die gleichen Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben, wie Barbara Riedmüller von der Freien Universität Berlin betont. 10. O-Ton: Barbara Riedmüller Die alleinerziehenden Väter sind in der Regel nicht im Hartz IV-Segment. Das ist statistisch nicht relevant. Die alleinerziehenden Väter sind in einer mittleren Lage. Sprecherin: Auch Sigrid Mager von der Arbeitsagentur Berlin-Süd hat beobachtet, dass alleinerziehende Männer schneller auf den Arbeitsmarkt und in Vollzeitjobs zurückfinden als Frauen: 11. O-Ton: Sigrid Mager: Männer sind im Arbeitsleben fester verankert. Und wenn sie sich dann entschließen - aus welchen Gründen auch immer Männer alleinerziehend sind - dann sind sie häufig in einer besseren Arbeitssituation, in anderen Jobs, in anderen Berufen und dieses Bewusstsein, Kind versorgen und diese Verantwortung, haben sie ja vorher auch gehabt. Es hat was mit dem Rollenverständnis zu tun, und ich glaube, das ist gewachsen historisch. Musikakzent 12. O-Ton: Yasemin Ich bin Yasemin, ich bin alleinerziehend, meine Tochter ist acht, mein Sohn ist sieben, gehen beide zur Schule, nachmittags gehen sie dann in den Hort, werden dann weiter betreut. Ich bin hier in der Ausbildung zur Friseurin, drittes Lehrjahr, davor war ich arbeitslos und hab halt auch nichts weiter gemacht. Sprecherin: Yasemin ist 27 Jahre alt, türkischer Herkunft, aber in Deutschland aufgewachsen. Zum ersten Mal macht sie jetzt eine Berufsausbildung. 13. O-Ton: Yasemin Ich bin normal zur Schule gegangen, hab meinen Realschulabschluss gemacht, danach hab ich geheiratet, dann bin ich ins Ausland, halt in die Türkei, bin ich zwei Jahre da geblieben und dann kam ich halt her, und dann hab ich halt auch probiert zu suchen auf dem ersten Arbeitsmarkt, ne normale Ausbildung zu kriegen, aber war wirklich schwer. Ja, dann hatte ich halt die Chance, so eine überbetriebliche zu machen, und ich denke, das war das Richtige auch. Hätte ich zwar vorher machen sollen, aber lieber zu spät als nie. Sprecherin: Nach der Trennung von ihrem Mann bekam Yasemin für sich und ihre Kinder zunächst Arbeitslosengeld 2, dann vermittelte ihr das Jobcenter einen Ausbildungsplatz beim Bildungswerk Berlin-Kreuzberg, einem Bildungsträger, der darauf spezialisiert ist, Benachteiligten, vor allem Jugendlichen eine überbetriebliche Berufsausbildung zu geben. Im Sommer endet ihre dreijährige Lehrzeit. Als Friseurin wird Yasemin keine schlechten Chancen haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Dennoch sieht ihre Zukunft alles andere als rosig aus. 14. O-Ton: Yasemin Ich werde nie vom Jobcenter loskommen, als Alleinverdiener und dann in diesem Beruf, netto vielleicht gerade mal 800 Euro, für'n ganzen Tag, von morgens bis abends, mit zwei Kindern und den Mieten heutzutage. Man wird immer ergänzend was bekommen, sei es Wohngeld oder Hartz IV. Schon schlimm. Da denkt man sich: lohnt es sich? Aber ich will auch nicht zu Hause auf der faulen Haut sitzen...Solange ich keinen Partner habe, werde ich immer vom Staat abhängig sein. Musikakzent Sprecherin: Der geringe Abstand zwischen Arbeitslosengeld 2 und dem, was immer mehr Arbeitnehmer mit einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit erwirtschaften können, hat in jüngster Zeit Kritiker auf den Plan gerufen - und nicht nur solche, die die niedrigen Löhne für skandalös halten. "Die Hätschelkinder der Nation" titelte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vor einigen Wochen und rechnete vor, wie viel eine nicht-erwerbstätige alleinerziehende Mutter, die von Hartz IV plus sonstigen Transferleistungen des Staates lebt, bis zu ihrem 50. Lebensjahr die Steuerzahler kostet: 445.000 Euro. Einer der Autoren des Artikels, Wirtschaftsredakteur Rainer Hank, in einer Radiosendung des Südwestrunkfunks: 15. O-Ton: Hank Häufig sind diese alleinerziehenden Mütter, die Hartz IV beziehen, natürlich eher gering qualifiziert. Sprecherin: Das heißt, sie können realistischerweise nicht mit einem Monatseinkommen von mehr als 1500 Euro auf dem Arbeitsmarkt rechnen - etwa so viel, wie sie auch über Hartz IV plus sonstige Leistungen bekommen. Zumal es da ja noch Zuverdienstmöglichkeiten gibt... 16. O-Ton: Hank Aber was machen viele Mütter? Sie stocken das dann auf. Es gibt ja die klassischen 400-Euro-Jobs. Wenn man davon nicht alle Stunden arbeitet, weil nur 100 Euro anrechnungsfrei sind, kann man mehr verdienen und wenn man dann noch ein paar Stunden schwarz arbeitet, dann kommt man deutlich auf ein Monatseinkommen, das einen großen Abstand hat zu dem, was einem ein vergleichbares Erwerbseinkommen bieten würde. Sprecherin: Damit sind auch die Alleinerziehenden in den Sog der allgemeinen Hartz IV-Debatte geraten - ausgerechnet eine Gruppe, der die Gesellschaft fast einhellig Opferstatus zubilligt. Da mag Redakteur Hank noch so beteuern, es sei nicht darum gegangen, das individuelle Verhalten von Alleinerziehenden zu kritisieren, sondern darum, Fehlkonstruktionen im Hartz IV-System offen zu legen - wer dermaßen politisch unkorrekt daher kommt, muss damit rechnen, einen Sturm der Empörung auszulösen: 17. O-Ton: Hank Wir sind böse gescholten worden für diesen Artikel und damit haben wir gesehen, dass es offenkundig tatsächlich ein sehr sensibles Thema ist. Allein über die Strukturen dieser Hilfe und wie man es technisch sagt, über falsche oder sogar perverse Anreize nachzudenken, das gilt offenkundig hierzulande als unmoralisch und als unanständig. (Stimme oben) Sprecherin: Doch die Fragen, die der Artikel aufwirft, sind zumindest nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Denn in der Tat hinken deutsche Alleinerziehende in punkto Erwerbstätigkeit hinter dem Durchschnitt der OECD-Länder hinterher. Warum ist das so? Wollen sie nicht arbeiten oder können sie nicht? 18. O-Ton: Franziska Der Stand der Dinge ist einfach so, dass man bei vielen Jobs nicht unbedingt mehr Geld bekommt als beim Hartz IV, man kann es sich Tatsache überlegen, ob man nicht lieber Hartz IV bekommt. Aber ich denk mal, da steckt auch ein großer moralischer Aspekt dahinter. Ich komme aus ner Arbeiterfamilie und ich find einfach, um in die Gesellschaft zu passen, muss man auch arbeiten gehen. 19. O-Ton: Gudrun Es ist auch wichtig für Kinder zu sehen, dass ihre Eltern arbeiten und glücklich auch sind und ein Stück weit Selbstständigkeit haben und natürlich auch mehr Geld. 20. O-Ton: Denise Ich kann nicht zu Hause sitzen. Ich muss arbeiten, ansonsten würde mir die Decke auf den Kopf fallen. 21. O-Ton: Gina Ich will nicht mein ganzes Leben vom Staat abhängig sein, außerdem möchte ich auch meinen Kindern ein Vorbild sein. Wenn man zu lange zu Hause bleibt, wird man faul. Sprecherin: Diese Antworten decken sich mit den Ergebnissen größerer Studien, die ebenfalls die hohe Erwerbsmotivation von alleinerziehenden Müttern betonen. Doch wer würde schon öffentlich äußern, dass er keine Lust zu arbeiten hat? Dennoch sei das Bild von der arbeitsunwilligen Alleinerziehenden, die es sich lieber auf Kosten des Steuerzahlers in der sozialen Hängematte gemütlich macht, ein Zerrbild, betont Peggi Liebisch vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter, auch wenn es so etwas in Einzelfällen durchaus geben mag, wie sie einräumt: 22. O-Ton: Peggi Liebisch Aber auch nur als Notlösung. Es ist kein Lebenskonzept. Wir kennen das nicht. Also, es ist sicher nicht so, ich mache keine Schulausbildung und schaffe mir Kinder an, damit ich vom Sozialhilfesystem leben kann, sondern es ist immer so: ungünstige Umstände haben dazu geführt, dass die Frau keine Ausbildung machen konnte. Wahrscheinlich haben auch ungünstige Umstände dazu geführt, dass sie schwanger wurde und zwar früh und dass sie ein oder zwei Kinder hat und jetzt auch noch durch ungünstige Umstände alleinerziehend ist. Sprecherin: So sehr den Opferstatus der alleinerziehenden Mütter zu betonen - das geht vielen dann doch zu weit: Schließlich sind es nicht nur ungünstige Umstände, denen die Einzelne wehrlos ausgeliefert ist, sondern immer auch individuelle Lebensentscheidungen, die in die prekäre Situation geführt haben. Die Politikprofessorin Barbara Riedmüller will die Gesellschaft dennoch nicht von der Verantwortung für das Scheitern vieler Alleinerziehender auf dem Arbeitsmarkt freisprechen. Für sie ist eine Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit unter Alleinerziehenden, dass deren Erwerbstätigkeit zu wenig gefördert wird - allein das Angebot an ganztägigen Betreuungsplätzen für Kinder ist nach wie vor unzureichend. Eine andere liegt darin, dass die deutsche Gesellschaft nach wie vor den kulturellen Ballast eines antiquierten Mutterbildes mit sich herumschleppt, in dem Erwerbstätigkeit bestenfalls in Form von Teilzeitarbeit vorkommt. 23. O-Ton: Barbara Riedmüller Es wird mir erlaubt, die Mutterrolle so ernst zu nehmen, dass ich ganz für mein Kind da bin. Das akzeptiert die Gesellschaft. Sie will es ja sogar. Teile der Gesellschaft! Es ist richtig so... wie der Bischof gesagt hat: Frauen sind keine Gebärmaschinen! Es geht um die Mutterschaft. Das bezog sich auf diese Vereinbarkeitsdebatte. Das heißt, wir leben immer noch in dieser Kultur. Wenn ich mit Studenten darüber rede, sagt eine doch auffällig große Gruppe von Frauen und Männern in meinem Seminar: aber das ist doch für das Kind viel besser, wenn die Frauen zu Hause bleiben! Sprecherin: Insofern seien Alleinerziehende allen erklärten Prinzipien des Fördern und Forderns zum Trotz eigentlich gar nicht richtig gefordert zu arbeiten. 24. O-Ton: Barbara Riedmüller Ich würde das nicht Hätschelkinder nennen, der Begriff ist falsch gewählt. Richtig ist, dass für die eine Ausnahme gemacht wird. Das kann man in jeder Talkshow sehen. Über Hartz IV, ganz interessant, dass Herr Gerster, der sich da ja besonders hervortut in der Debatte gegen die Hartz-IV-Empfänger, in der Talkshow, bei Anne Will oder bei wem auch immer zu der alleinerziehenden Mutter, die drei kleine Kinder hat, sagt: aber Sie müssen doch gar nicht arbeiten! Sprecherin: Und dass es Frauen gibt, die dieses Angebot annehmen, ist nicht weiter verwunderlich: 25. O-Ton: Barbara Riedmüller Es gibt eine Gruppe, die tut es, weil die Gesellschaft dieser Gruppe sagt: es ist gut, wenn du Mutter bist. Die nimmt das für sich in Anspruch. Ich kriege Kinder, ich sorge für die Kinder - die kriegt ja dann auch nicht nur ein Kind, da sind auffällig viele Kinder, in diesem Segment gibt's also nicht nur die Ein-Kind-Familie, es sind zwei, drei oder mehr Kinder und die Propaganda Mutterschaft wirkt sich da auch aus. Ich kann da das Ausruhen nicht erkennen. Ich sehe eher: wenn ich auf dem Arbeitsmarkt versage, hab ich die Alternativrolle, Mutter zu werden. Das erlaubt die Gesellschaft. So wie analog ... Krankheit. Wenn ich krank bin, erlaubt mir die Gesellschaft auch, dass ich nicht arbeiten gehe. Musikakzent 26. O-Ton: Franziska Ich hatte eigentlich immer das Gefühl, dass es die gar nicht interessiert, ob ich nun in Arbeit bin oder nicht. Ich hab nie eine Einladung bekommen, ich musste halt meine Bewerbungen schreiben und dann hab ich Geld bekommen, das war's. Wenn ich dem nicht nachgegangen wäre, einen Job zu kriegen, dann wär da auch nichts passiert, dann wär ich immer noch Hartz IV. Sprecherin: Viele Alleinerziehende fühlen sich von den Jobcentern und Arbeitsagenturen schlecht betreut und im Stich gelassen. Auch manche Experten äußern den Verdacht, die Jobcenter und Arbeitsagenturen nähmen es bei der Vermittlung von Alleinerziehenden nicht so ernst, schließlich hätten sie genug andere Arbeitslose zu betreuen. Von solcher Kritik will Sigrid Mager von der Arbeitsagentur Berlin-Süd nichts wissen. 27. O-Ton: Sigrid Mager Es wird immer gerne benutzt. Wenn ich als Betroffene nicht weiterkomme, sind immer die anderen schuld. 28. O-Ton: Franziska Das Problem ist halt, dass viele da gar nicht Bescheid wissen. 29. O-Ton: Sigrid Mager Die Leute selber müssen überlegen, was kann ich jetzt aus meiner Situation machen, und nicht abwarten, dass andere mir helfen. Man muss sich auch ein bisschen bewegen. Fordern und fördern. Ein bisschen fordern, das haben viele verlernt. 30. O-Ton: Denise Also, erstmal ist es ja ziemlich schwierig, überhaupt von denen eine Ausbildung zu bekommen. Das hier wollten sie mir erst auch nicht finanzieren, weil sie meinten, ich wäre nicht blöd genug dafür, ich würde doch auch mit Kind noch was auf dem freien Arbeitsmarkt bekommen... 31. O-Ton: Sigrid Mager Viele haben auch immer wieder... na, du musst mir ja helfen, Amt. Warum? Ich kann unterstützen, ich kann beraten, es gibt zig Möglichkeiten, die man den jungen Leuten an die Hand geben kann, nur machen müssen sie es. Sprecherin: Dass nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit und wiederholter Erfahrungen des Scheiterns das Selbstvertrauen am Boden ist und die Betroffenen sich mutlos und passiv in ihrem Schicksal einrichten, ist beileibe kein Spezifikum von Alleinerziehenden. Sondern es ist ein typisches Problem vieler, die in der Hartz IV- Falle sitzen, ob mit oder ohne Kind. Barbara Riedmüller: 32. O-Ton: Barbara Riedmüller Ich tendiere ja dazu dann auch nicht mehr von den Alleinerziehenden zu sprechen. Es gibt unterschiedliche Problemlagen. Wenn Sie die Gruppe der Alleinerziehenden sich näher anschauen, dann haben Sie dort eine große Gruppe von Frauen, die keinen vernünftigen Schulabschluss haben und keine Berufsausbildung haben und an die muss man ran. Die anderen helfen sich selber, die haben vorübergehend ne Krise, sind vorübergehend auf Hartz IV - wir haben das ja auch für Berlin mal untersucht - die sind dann wieder weg. In dem Moment, wo die ihre Kinder unterbringen können und so weiter, sind die wieder berufstätig. Musikakzent 33. O-Ton: Gudrun Ich bin gelernte Sozialbetreuerin und Erzieherin, habe als Erzieherin vor der Geburt meiner Tochter gearbeitet, jedoch nur temporär, also hatte immer Zeitverträge, und bevor sie geboren wurde, hab ich eine Honorarstelle gehabt in Berlin-Pankow, in einem Kindergarten, Vollzeit. Und sechs Wochen, bevor sie geboren wurde, hab ich aufgehört und bin in Mutterschutz gegangen. Sprecherin: Gudrun ist 35 und Mutter einer zweieinhalbjährigen Tochter. Von Anfang an ist sie alleinerziehend. Als ihre Tochter zehn Monate alt war, hat Gudrun begonnen, sich wieder auf dem Arbeitsmarkt zu bewerben. Nach zwei Monaten hatte sie einen Job. Wesentlich schwieriger war es, einen geeigneten Betreuungsplatz für das Kind zu finden. Zunächst musste die Großmutter kommen, um zu helfen. 34. O-Ton: Gudrun Ja, es war ganz schwierig. Ich hab ca. ein halbes Jahr gesucht, bis ich eine Kita fand, wo sich herausstellte, dass sie auch nicht so gut für ihre persönliche Entwicklung gewesen ist, weil die Gruppe altersgemischt war, aber zu wenig kleine Kinder, sie war die einzige Einjährige und die nächsten Kinder ab drei, bis zur Einschulung und davon 80 Prozent Jungs nichtdeutscher Herkunft. Das war ein bisschen schwierig. Sprecherin: Natürlich blieb da der Vorwurf nicht aus, sie sei eine "Rabenmutter". 35. O-Ton: Gudrun Den gab's. Als mein Kind ganz klein war und ich angefangen habe zu arbeiten und sie teilweise die erste in der Kita war und die letzte, die ich abholte. Das kam von ihrem Vater, aber das sind andere kulturelle Hintergründe und es ist eine andere Weltanschauung. Und von deutschen Freundinnen hab ich das auch zu hören bekommen, jetzt nicht den Titel Rabenmutter, sondern dass sie mir sagten: hm, überleg dir das gut, die ersten zwei, drei Jahre sind besonders wichtig und wir würden das anders machen. Doch für mich war es die richtige Entscheidung und ist es heute immer noch geblieben. Sprecherin: Sie sei kein Typ, der als Hausfrau und Mutter glücklich werden könne, sondern es sei ihr wichtig, sich zu verwirklichen. Und dann war es vor allem die schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt, die sie dazu gebracht hat, sich frühzeitig um einen Job zu kümmern. 36. O-Ton: Gudrun Es lag an der beruflichen Situation in Deutschland, dass es gerade schwierig ist, Arbeitsstellen zu finden und ich davon überzeugt war, je früher ich beginne, desto einfacher wird es, einen Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt zu bekommen, und das hat ja dann auch funktioniert. Wo ich die Problematik drin sehe, ist bei Menschen, die drei Jahre zu Hause bleiben und dann versuchen, wieder in den Beruf hineinzukommen. Das ist nicht so einfach, weil man zu lange vom Arbeitsmarkt weg war. Musikakzent 37. O-Ton: von der Leyen Die Bundesarbeitsministerin hat die Pflicht und auch die Leidenschaft, bei langzeitarbeitslosen Alleinerziehenden, die langzeitarbeitslos sind, gute Arbeit zu leisten. (ab da unterlegen) Sprecherin: Ursula von der Leyen bei der Vorstellung neuer Förderrichtlinien für Alleinerziehende am 21. April in Berlin. Längst hat die Politik die Alleinerziehenden entdeckt und bei ihnen einen besonderen Förderbedarf ausgemacht. So hat allein das Bundesfamilienministerium im vergangenen Jahr über das Pilotprojekt "Vereinbarkeit für Alleinerziehende" an 12 Standorten in der Bundesrepublik soziale Projekte für Alleinerziehende finanziert. Alles gut und schön, meint Peggi Liebisch vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter - nur seien die Aktivitäten zu punktuell und hätten keine Auswirkungen auf die Gesamtsituation von Alleinerziehenden: 38. O-Ton: Peggi Liebisch Man stellt nur fest - die Projekte laufen ja noch nicht so lange - aus den Zwischenberichten, dass die Wirkungen im Moment noch nicht so sind, wie sich wahrscheinlich auch die Projektträger das vorgestellt haben oder wünschen, weil sie schon gar nicht die Alleinerziehenden in dem Maße erreichen, wie sie erreichen wollen, und weil sie die Arbeitgeber, die ja ein wichtiger Part in der Sache sind, bei Integration in den Arbeitsmarkt, auch nur sehr schwer erreichen. Das heißt, die Arbeitgeber tun sich sehr schwer, an diesen Projekten oder an diesen runden Tischen teilzunehmen. Sprecherin: Auch Barbara Riedmüller ist skeptisch, was die Auswirkungen gegenwärtiger Sozial- und Arbeitsmarktpolitik auf Alleinerziehende angeht. Vor allem die Ausweitung des Niedriglohnsektors durch die Deregulierung des Arbeitsmarktes in den letzten Jahren ist dabei ein Problem: 39. O-Ton: Barbara Riedmüller Wenn das Einkommensniveau - und so wird das ja auch diskutiert, nicht nur von Herrn Westerwelle - so niedrig ist, dass sich es kaum mehr von Hartz IV unterscheidet, ist das auch keine Alternative. Wenn die Möglichkeit des Zuverdiensts erhöht wird, wird auf diese Gruppe im Dienstleistungssektor noch weiter gedrückt, billiger zu arbeiten. Und da sind, wie wir wissen, im Niedriglohnsektor vorwiegend Frauen betroffen. Insofern trifft das da die Alleinerziehendengruppe besonders hart. Sprecherin: Ob Ein-Euro-Jobs, Mini- oder Midijobs oder Kombilohnmodell - viele arbeitsmarktpolitische Maßnahmen der letzten Jahre haben zwar vordergründig Alleinerziehenden den Weg auf den Arbeitsmarkt erleichtert, aber möglicherweise ihre Chancen auf eine langfristige, stabile Beschäftigung reduziert: 40. O-Ton: Barbara Riedmüller Also, der Mitnahmeeffekt ist bei diesen Modellen, gerade im Dienstleistungssektor, gewaltig. Das heißt, dass sie im Hotel-/Gaststättenbereich zum Beispiel, dass sie da eine Frau nehmen, so lange sie einen Zuschuss kriegen und dann ist sie wieder weg. Das ist natürlich keine Arbeitsmarktperspektive. Sprecherin: Das betrifft natürlich nicht nur Alleinerziehende, aber als Familien, die zwangsläufig von nur einem Einkommen leben müssen, trifft es sie besonders hart. Genauso wie Alleinerziehende auch von anderen Entwicklungen in besonderem Maße berührt werden. Zum Beispiel wenn in einer Kommune angesichts der Finanznot der öffentlichen Kassen der geplante Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen ins Stocken gerät. Auch das geht nicht nur die Alleinerziehenden an, sondern betrifft alle Familien, in denen beide Elternteile arbeiten wollen oder müssen. Sind insofern spezielle Regelungen oder Fördermaßnahmen für Alleinerziehende überhaupt sinnvoll? Peggi Liebisch vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter: 41. O-Ton: Peggi Liebisch Das ist eine gute Frage. Wir als Verband sprechen uns ja in der Regel gegen Spezialregelungen aus, weil wir daran arbeiten, das Gesamtsystem so zu gestalten, dass man nicht auf einzelne Gruppen Rücksicht und spezielle Gesetzgebung entwickeln braucht. Es macht im Moment Sinn, bei den Arbeitsagenturen, bei den Fallmanagern für Alleinerziehende und ihre Situation zu sensibilisieren. Das sind durchaus Schritte, die wir befürworten, weil es sicher an so grundsätzlichen Dingen mangelt wie Berücksichtigung des Kindesalters oder Berücksichtigung von anderen Sachen, die jetzt alleinerziehendenspezifisch sind, Wegezeiten und so weiter, das sind wirklich banale Sachen oft, die aber nicht im Bewusstsein der Mitarbeiter sind der Arbeitsagenturen und von daher macht das schon Sinn, das jetzt zu machen, aber wir sehen das nur als Zwischenschritt. Sprecherin: Erschwert wird die Situation von Alleinerziehenden überdies dadurch, dass sie sich in vielerlei Hinsicht inmitten gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen befinden: 42. O-Ton: Barbara Riedmüller Jetzt kreuzt sich diese Tradition in Deutschland, dass eine Frau, die ein Kind hat, nicht arbeiten soll, weil sie dann nämlich eine Rabenmutter ist und das für's Kind schlecht ist etc., kreuzt sich mit der Erfordernis der neuen Arbeitsmarktpolitik, dass jeder für seine Existenz selbst sorgen soll. Das ist auch die europäische Leitlinie. In der Praxis kollidieren diese zwei Linien. Und wir können in Deutschland nicht sagen, dass alles getan wird, dass diese Frauen arbeiten können, weil die Versorgung der Kinder ja nicht funktioniert. Sprecherin: Familie, Erwerbstätigkeit von Müttern, außerhäusliche Betreuung von Kleinkindern, Hartz IV, überhaupt die sozialen Sicherungssysteme - das sind Themen, bei denen sich bis in die Reihen der Regierungskoalition hinein tiefe Gräben auftun. Während Arbeitsministerin von der Leyen noch in ihrer Amtszeit als Familienministerin den Ausbau eines flächendeckenden Kita-Systems vorangetrieben hat, verlangt die CSU, dass Eltern, die ihre Kleinkinder zu Hause betreuen, eine Prämie gezahlt wird. Während das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum nachehelichen Unterhalt ein deutliches Signal an die Frauen gesendet hat, dass sie sich nicht mehr darauf verlassen können, ihre Existenz in einem Dasein als Hausfrau und Mutter bestreiten zu können, begünstigt das Steuerrecht mit seinem Ehegattensplitting nach wie vor die Hausfrauen- bzw. die Zuverdienerehe. Und während auf der einen Seite der demografische Wandel beschworen und die niedrige Geburtenrate beklagt wird, wird auf der anderen Seite im Interesse des Wirtschaftsstandortes eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten und mehr Mobilität gefordert. Ein klares gesellschaftliches Leitbild, das es Alleinerziehenden erlauben würde, sich zu orientieren, ist hier nicht erkennbar. 43. O-Ton: Barbara Riedmüller Das sind ganz unterschiedliche Botschaften an die Frauen. Das Familienrecht ist ganz andere Wege gegangen als die Arbeitsmarktpolitik und das Sozialrecht geht auch andere Wege. Ich sage nicht, da ist keine Bewegung in der Politik. Aber es ist noch sehr widersprüchlich und es ist noch nicht erkennbar, wohin der Hase läuft. Schlussmusik darüber Spr. vom Dienst: Zu viel gefördert, zu wenig gefordert? Alleinerziehende und der Arbeitsmarkt Ein Feature von Ulrike Köppchen Es sprach: Cristin König Ton: Christiane Neumann Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 1