COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 23. März 2009, 19.30 Uhr Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie: den Hersteller! Patienten im Visier der Pharmawerbung Von Barbara Zillmann Atmo 1 Collage aus imaginären Werbespotfetzen auf Musik Zitator (Zi) - Sprecherin (Sp) im Wechsel, rechts/links: (Zi) Sie haben Luftnot? Wir haben das Medikament. - (Sp) Unser Unternehmen sorgt für Ihre Gesundheit! - (Zi) Darmkrebs jetzt mit Tubitubol besiegen - sicher, sauber, innovativ. -(Sp) Informationsabend über unseren neuen Cholesterinsenker darüber: Sprecher vom Dienst: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie: den Hersteller! Patienten im Visier der Pharmawerbung Von Barbara Zillmann Atmo kurz hoch (Zi) evidenzbasierte Datenlage - (Sp) hohe Wirksamkeit! (Zi) Bei Schwindel oder Übelkeit besuchen Sie unsere Homepage oder fragen Sie in unserem Callcenter. Sprecherin Warum zuerst den Arzt oder Apotheker fragen, wenn die Pharmafirma selbst sich als sprudelnde Informationsquelle für Patienten erweist? So könnte es in Europa bald kommen, denn den Pharmaunternehmen soll erlaubt werden, Patienten ausführlich über rezeptpflichtige Arzneimittel zu informieren. Für diese Medikamente gilt bisher ein umfassendes Werbeverbot. Das soll angeblich erhalten bleiben. Gestattet wird aber neutrale Produktinformation. Doch niemand weiß, wo die Grenze zwischen Werbung und Information verläuft. Atmo Verheugen (kurz stehen lassen, dann unterlegen) Die Vorschläge des sogenannten Pharmapaketes, das ich auf Wunsch des Parlamentes heute Abend ... Sprecherin Der deutsche Politiker Günter Verheugen, EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie, bemüht sich seit langem um eine gesetzliche Neuregelung in Europa. Sein erster Vorschlag wurde nach massiver Kritik zurückgezogen, jetzt liegt ein überarbeiteter Richtlinienentwurf als Teil eines so genannten "Pharmapaketes" auf den Schreibtischen von Politikern, Gesundheitsbehörden, Ärztekammern und Verbraucherschützern. Das Papier hat 33 Seiten und einen umständlichen Namen: Zitator Richtlinienentwurf: Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel in Bezug auf die Information der breiten Öffentlichkeit über verschreibungspflichtige Arzneimittel. Sprecherin Wenn das Gesetz im Europaparlament verabschiedet wird, dürfen Pharmaunternehmen im Internet, in Broschüren oder Fachpublikationen den Bürgern erklären, wie ihr neues Rheumamedikament wirkt oder warum die Krebstherapie mit dem eigenen Produkt besonders gute Heilungschancen bietet. Sie können über Krankheiten und Therapien aufklären, auf Patientenanfragen antworten und ihre Pharmastudien in verständlicher Sprache vorstellen. "Objektiv, werbefrei und nachprüfbar", so heißt es im Entwurf. Gerd Antes vom Deutschen Cochrane - Zentrum an der Universität Freiburg. O-Ton 1 Gerd Antes Das halt ich für eine Katastrophe. Weil die Manipulationsmöglichkeiten in diesem ganzen Bereich extrem groß sind, die sachlichen Zusammenhänge sind so komplex, daß die meisten es nicht verstehen können, und das jetzt einseitig freizugeben ohne regulierende Eingriffe halt ich für schlichtweg völlig unangemessen und auch nicht nachvollziehbar. Sprecherin Sanktionsmöglichkeiten sind im Gesetzentwurf vorgesehen, gewissermaßen in homöophatischen Dosen. "Überwacht" werden sollen die "Produktinformationen" der Hersteller durch freiwillige Selbstkontrolle der Pharmaverbände oder durch Gremien, die es noch nicht gibt. Vor allem eine Bestimmung soll für neutrale Information sorgen: Es dürfen nur Inhalte wiedergegeben werden, die vorher von den Gesundheitsbehörden abgesegnet wurden, also zum Beispiel die Aussagen auf dem Beipackzettel oder in den Zulassungsunterlagen. Sie dürfen allerdings nun in "unterschiedlicher Weise" präsentiert werden. Zitat aus der Richtlinie: Zitator Inhalt und Aufmachung der Informationen müssen objektiv und unvoreingenommen sein; wird über die Vorteile eines Arzneimittels informiert, werden auch die Risiken angegeben. Die Informationen müssen fundiert, inhaltlich korrekt und unmissverständlich sein. Sprecherin Der Wissenschaftler Gerd Antes weiß, wie schwer es ist, die Substanz von Pharma- Aussagen zu prüfen, jenseits der sprachlichen Korrektheit. Er und seine Kollegen vergleichen Medizinstudien aus aller Welt, um den Nutzen von Medikamenten industrieunabhängig zu bewerten, auf der Basis der evidenzbasierten Medizin, die nach bewiesenen Wirkungen fragt. Die Ergebnisse werden als sogenannte Reviews, Übersichtsarbeiten ins Internet gestellt, für Wissenschaftler und Ärzte, aber mehr und mehr auch für Patienten. Gerd Antes fürchtet, dass die EU-Initiative zur industrieeigenen Patienteninformation dieses Bemühen untergräbt. O-Ton 2 Antes Der Anspruch dieser Information wird nicht sein, fair zu informieren. Dazu sind einfach zu viele Mechanismen involviert. Profitdruck - ist doch völlig klar, dass man ein Medikament, was man mit einer Milliarde Euro entwickelt hat, dann natürlich zu einem möglichst hohen Preis in den Markt bringen will. Und dass man dann an oberster Stelle der Prioritätenliste nicht die Fairness der Information stellt, ist doch eigentlich so menschlich wie finanziell mehr als verständlich. Sprecherin Bisher dürfen nur Arzt oder Apotheker über verschreibungspflichtige Medikamente aufklären, und bisher dürfen Pharmavertreter auch nur diese "Fachgruppen" besuchen. Zum Schutz der Patienten und der öffentlichen Gesundheit, wie es im deutschen Recht heißt. Auch das Heilmittelwerbegesetz verbietet - vom Beipackzettel abgesehen - Verbraucheraufklärung durch die Industrie, sie gilt als interessengeleitet und damit als Werbung. O-Ton 3 Antes Es gibt ja diese ganzen Vergleiche, dass man Daimler nicht zum Besitzer des Tüv macht. Also wir brauchen sowohl in politischen, demokratischen Strukturen wie auch in der Produktionswelt einen Interessenausgleich und verschiedene, ähnlich starke Player, damit es funktioniert, und so, wie dieses Kräftespiel massiv durchbrochen wird, und das sieht im Moment so aus, dann muß da was schief gehen. Atmo Verheugen Rede Ausgangspunkt für unsere Überlegungen ist, dass das Werbeverbot unter keinen Umständen gelockert werden darf und dass es keinen Unterschied gibt, Entschuldigung, dass es einen ganz großen Unterschied zwischen Werbung und Information gibt... Sprecherin Günter Verheugen, der EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie, möchte einen einheitlichen Rechtsrahmen schaffen. Die unterschiedlichen nationalen Handels- und Gesundheitsgesetze hätten verhindert, dass alle EU-Bürger Zugang zu hochwertigen medizinischen Informationen bekämen. Und noch etwas stört den Kommissar. Europa ist nicht mehr die Apotheke der Welt. In einer Bürgerinformation heißt es deshalb: Zitator Die EU verliert auf dem Gebiet der pharmazeutischen Innovation an Boden. Dieser Trend muß unbedingt gebremst oder sogar umgekehrt werden. Sprecherin Ist die Stabilisierung des Pharmamarktes eine Sache der Bürger? Der Industrie-Kommissar hat noch ein weiteres Argument. O-Ton Verheugen: Die Patienten haben ein Recht auf Information, das ganz besonders auch für Arzneimittel gilt. Ich muss sehr deutlich sagen, und das ist ein wirklich fundamentaler Grundsatz einer demokratischen Gesellschaft: Nicht die Tatsache, dass informiert werden soll, bedarf der Begründung und Rechtfertigung, sondern es bedarf der Begründung und Rechtfertigung, wenn Bürger nicht informiert werden. Ich möchte deshalb klarstellen, dass der Staus quo, den wir heute haben, dem Anspruch des Patienten auf hochwertige Information nicht gerecht wird. Sprecherin Das Wort vom mündigen Bürger ist schnell gesagt. Aber wessen Information ist hochwertig? Und warum soll die angebliche Lücke ausgerechnet durch die Industrie gefüllt werden? Wie Pharma-Unternehmen in die Reihe der Gesundheitslotsen aufrücken, zeigt ein Blick in die Entwicklungsgeschichte der Richtlinie: In einem Vorschlag aus dem Jahr 2001 hält die EU-Kommission zunächst an einem strikten Werbe- und Informationsverbot für verschreibungspflichtige Medikamente fest; doch die Politiker bekommen ein Problem: Immer mehr Patienten suchen sich Gesundheitsinformationen im Internet, oft aus fragwürdigen Quellen. Zugleich klagen Ärzte über weniger Zeit für Patientengespräche, und der Internethandel mit gefälschten Arzneimitteln floriert. Ist es Hilflosigkeit der Politik oder ein PR-Erfolg der Industrie, wenn es im April 2007 in einem Zwischenbericht der Kommission heißt: Zitator Pharmaunternehmen besitzen Schüsselinformationen über ihre Produkte, die nur in Teilen - auf Beipackzettel und Packungsaufdruck - zugänglich gemacht werden. Folglich könnten sie eine wichtige Informationsquelle sein, um das wachsende Bedürfnis der Patienten nach mehr und besserer Information zu erfüllen. Sprecherin Es ist die Zeit, in der Marketingstrategen vieler Firmen die Patienten und Selbsthilfeorganisationen entdecken - als besonders lohnende Zielgruppen für die Werbung, neben den Ärzten. Nun werden auch im deutschsprachigen Internet versuchsweise von der Industrie Patientenportale eingerichtet, die nur scheinbar neutral sind, betrieben von einer Pharmafirma oder einer von ihr beauftragten Werbeagentur. Mehr oder weniger unauffällig können dabei eigene Produkte ins Gespräch gebracht werden, etwa durch fingierte Patientenfragen und Antworten. Diese verbotenen Manöver sind aber für Unternehmen ein aufwendiges Versteckspiel. So heißt es in dem Bericht der EU- Kommission von 2007 in klaren Worten: Zitator Das Schlüssel-Interesse der Industrie ist es, daß sie das gleiche Recht haben sollte, Qualitätsinformationen über ihre Produkte zu liefern, wie nicht-industrielle Körperschaften. Dabei sollte die Qualität der Information im Vordergrund stehen, die Information sollte nicht nach ihrer Quelle beurteilt werden. Sprecherin Ein Paradigmenwechsel kündigt sich hier an, der Bruch mit einer traditionellen Regel der Medizinethik: Die Unabhängigkeit der Information rückt in den Hintergrund. Auch wenn Verbraucherschützer und Gesundheitsbehörden warnen. So wird die Industrie ins Boot der Aufklärer geholt, das erfolgreich durch die Brandungen der Informationsgesellschaft steuern soll. Ein Platz darin ist frei für den mündigen Bürger. Er wird als Partner der Unternehmen hofiert - wie bei einer Kaffeefahrt. Dabei geht ein alter Grundsatz über Bord, der kritische Blick auf Interessen und Interessengegensätze. Und wenn die Richtlinie umgesetzt wird, ist noch ein wertvolles Gut in Gefahr: das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Professor Wolf - Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: O-Ton 4 Ludwig Ich würde das für eine große Gefahr ansehen, weil natürlich durch eine Freigabe der Informationsmöglichkeiten über verschreibungspflichtige Arzneimittel durch die pharmazeutische Industrie die Gefahr besteht, dass die Patienten einseitig, auch zum Teil unter Marketingaspekten informiert werden, mit diesen Informationen zu uns, die behandelnden Ärzte kommen, und dann möglicherweise durch unsere eigenen Bewertungen, die häufig im Widerspruch stehen zu den Informationen der pharmazeutischen Industrie, verunsichert werden und letztlich dann in einer Situation sich befinden, dass sie die für sich eigentlich richtige Therapie gar nicht mehr vor Augen haben. Sprecherin Schon jetzt haben viele Mediziner ein Problem mit den Aufdringlichkeiten einer werbestarken Branche. Pharmavertreter tragen Proben, Hochglanzbroschüren oder Blumen ins Arztzimmer, aber oft keine relevanten Informationen. Ein Frust für viele Ärzte. Was also wären die öffentlichen Informationen der Hersteller wirklich wert? Und könnten Patienten sie kritisch bewerten? Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen hat in einer Umfrage festgestellt, dass nicht einmal alle Ärzte in der Lage sind, Pharmastudien richtig zu interpretieren und die Marketingstrategien zu durchschauen. Sie entwickelte zusammen mit der Hamburger Agentur Gaia ein Hörspiel zur Weiterbildung. Hajo Kronenberg, niedergelassener Arzt, und Andrea Winter, Pharmachefin, tauschen sich aus. CD Zitat 1 Gerade haben wir die Zulassung für unseren neuen Blutdrucksenker bekommen. vielleicht kennst du ja die Studie, die Wirksamkeit muss doch auch dich alten Skeptiker überzeugen. - Ja, die hat mir dein Außendienst schon unter die Nase gehalten. Aber mal ehrlich Andrea, wer glaubt denn heute noch im Ernst einer Pharmastatistik? Da wird doch an allen Ecken und Enden getrickst ... damit es möglichst gut aussieht. O so pauschal stimmt das natürlich nicht. Natürlich hat man als Unternehmen ein Interesse daran, gute Ergebnisse zu erzielen und diese dann zu kommunizieren -. Genau, und deshalb geht das ganz ja schon beim Studiendesign los. Euer Medikament soll Herzinfarkt und Schlaganfall und Hospitalisierung verhindern. - Sind doch alles wichtige Dinge für die Praxis oder? Klar. Nur kommt hier einer eurer beliebten statistischen Kunstgriffe zum Einsatz. Ihr packt mehrere Dinge zusammen Herzinfarkt, Schlaganfall, Hospitalisierungrate usw. So was nennt man dann einen kombinierten Endpunkt, richtig? Zitator Endpunkt heißt Ziel einer klinischen Studie, Erkenntnisinteresse, Leitfrage. Sprecherin Je breiter sie angelegt ist, desto vielfältiger kann auch die "Indikation", der Verwendungszeck bei der Zulassungsbehörde angegeben werden, desto mehr Patienten können später mit dem Medikament behandelt werden. Aber je mehr "Eckpunkte" gleichzeitig beforscht werden, desto verschwommener werden auch die Ergebnisse im Einzelfall - etwa bei der Frage nach der Hospitalisierung, der Häufigkeit des Krankenhausaufenthalts. CD Zitat 3 Was aber bedeutet, dass euer Produkt vielleicht gar nicht hilft, Herzinfarkte und Schlaganfälle zu verhindern. Sondern das es nur die Hospitalisierungsrate beeinflusst. Das ist auch richtig oder? - Absolut. Nur würden wir dir das so direkt gar nicht auf die Nase binden ...- Und ich geh doch durch eure Argumentation davon aus, dass ich Leben retten kann. In Wirklichkeit geht es nur darum, dass mein Patient nicht so häufig in die Klinik muss. Das kann ich auch mit anderen Mitteln erreichen. Richtig? - Absolut. So funktioniert Marketing nun mal, Hajo. Sprecherin Wolf Dieter Ludwig behandelt Krebspatienten, er ist Chefarzt im Helios-Klinikum Berlin-Buch. Er weiß, wie die Hoffnung auf Heilung viele Patienten anfällig macht für Werbeversprechen, gerade wenn sie als Information daherkommen: O-Ton 5 Ludwig Das erfahren wir jetzt ja bereits durch die zum Teil auch durch die pharmazeutische Industrie unterwanderten Selbsthilfe-Gruppen, daß natürlich dort neue Arzneimittel, die noch schlecht untersucht sind hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Sicherheit propagiert werden und wir Ärzte diesen neuen Arzneimitteln häufig skeptisch gegenüber stehen müssen, weil wir über sie zu wenig wissen. Sprecherin Auch Gerd Antes vom Deutschen Cochrane Zentrum ist unzufrieden mit der Datenlage: O-Ton 6 Antes Ganz grundsätzlich ist es so, dass die Ergebnisse von Studien nicht öffentlich zugänglich sind. Wir wissen, dass von dem, was an Studien gemacht wird, zirka nur die Hälfte öffentlich publiziert wird.- Das heißt per se ist die eine Hälfte schon mal weg. Die zweite Hälfte existiert, aber auch irgendwo in internen Berichten oder auch in Datenbanken z. B. von den Arzneimittelbehörden, und diese Datenbanken sind vertraulich. Sprecherin Ärzten und unabhängigen Wissenschaftlern werden also Informationen vorenthalten, und Patienten sollen mehr davon bekommen - eine Doppelstrategie der selektiven Informationspolitik. Aber was haben Patienten davon? Sprecherin: Laut einer Studie des Prognos-Instituts für Unternehmensentwicklung informieren sich achtzig Prozent aller Patienten im Internet über Therapien und Medikamente und wünschen sich mehr Information, auch von den Herstellern. Auch wenn die Studie von einem US-amerikanischen Pharmaverband in Auftrag gegeben wurde, zeigt sie eine wichtige Tendenz: aktive Patienten informieren sich zunehmend selbst, und vor dem Arztbesuch. Bringt das Ärzte in Bedrängnis? Für Susanne Schwarz, Internistin in einer Gemeinschaftspraxis, ist die Situation nicht neu. Sie erlebt oft, daß Patienten mit Empfehlungen anderer zu ihr kommen. Auch ohne Internet. O-Ton 7 Susanne Schwarz Viel wichtiger für die meisten Patienten ist die Apothekenrundschau, weil das ist genau das, was die nämlich lesen, und die blättere ich manchmal selber durch, weil ich will wissen, was fragen mich denn demnächst wieder die Patienten - Das ist, glaub ich, was viele Patienten erwarten, dass ich dazu auch Stellung nehmen kann, wie ist das, darf ich wirklich nur Weißkohl essen, wenn ich das und das hab, und das sind die Dinge, wo bei vielen Patienten viel größerer Informationsbedarf ist, als sagen wir mal auf einer Homepage irgendwelche Studien gegeneinander aufzuwerten und zu bewerten. Sprecherin Diese Ärztin fühlt sich von eigenen Ideen der Patienten nicht überfordert. Im Gegenteil. O-Ton 8 Schwarz Im Prinzip wird es von uns sehr begrüßt, und man muß dann ne Beratung über den Wirkstoff machen, schauen, ob er zu dem Patienten passt oder nicht und dann natürlich entsprechend Argumente finden für oder gegen dieses Medikament. Manche Dinge kann man durchaus auch als Bereicherung empfinden und sagen, ja, wenn Sie da aufgeschlossen sind, können wir durchaus mal schauen. Aber das muss man im Einzelfall halt prüfen. Sprecherin Die beratende Rolle des Arztes wird auch in der neuen EU-Richtlinie unterstrichen. Doch viele Mediziner fürchten, dass sie durch Informationskampagnen der Unternehmen unter Druck geraten: verschreiben sie, was sie aus Erfahrung für richtig halten, oder was der Patient fordert? Neue Medikamente bedeuten auch neue Hoffnung. Die Internistin Susanne Schwarz führt deshalb in ihrer Praxis mit Patienten so genannte Nachstudien mit zugelassenen Medikamenten durch, sie prüft genauer als die Erststudien, wie ein Arzneimittel bei welchen Patienten wirkt, welche Nebenwirkungen auftreten, ob das Medikament andere Krankheitsbilder beeinflusst. Diese Studien werden - im Gegensatz zu Anwendungsbeobachtungen - wissenschaftlich begleitet und finden nach anerkannten Standards statt, in Doppelblindstudien mit Placebo-Einsatz. O-Ton 12 Susanne Schwarz Wir haben zum Beispiel eine Kooperation mit der Charité und haben da im letzten Jahr auch an einer Studie teilgenommen, wo mal getestet wurde, inwieweit ein bestimmtes homöopathisches Mittel gegen Rückenschmerzen gut hilft im Vergleich zu Standard- Medikamenten oder zu einer Placebo-Therapie, um da herauszufinden, hilft dieser Wirkstoff genauso gut oder weniger gut wie eine herkömmliche Therapie. Und das sind natürlich Fragen, die uns als praktizierende Ärzte sehr interessieren. Mit welchen Mitteln können wir bei unseren Patienten gute Erfolge erzielen. Sprecherin Die alltagsnahe Studie war Teil der so genannten Versorgungsforschung, die für Pharmafirmen weniger attraktiv ist und daher selten finanziert wird. Auch bei Folgestudien nach der Zulassung halten sie sich zurück. Die Patienten werden mit neuen Produkten oft allein gelassen. O-Ton 13 Ludwig Ich würde die Bezeichnung Experiment absolut unterstreichen. Wir haben derzeit ein System, das wir relativ unzureichend geprüfte Arzneimittel neu auf den Markt bekommen, wir haben keine Strukturen, die uns garantieren, dass wir in einem überschaubaren Zeitraum die uns fehlenden Informationen durch weitere gute Studien besorgen, und gleichzeitig wollen wir der Industrie die Möglichkeit einräumen, diese sehr unsicheren Informationen auch noch zu verbreiten und dabei natürlich automatisch auch für die neuen Arzneimittel zu werben, das wird definitiv so kommen. Atmo 2 Collage aus imaginären Werbespots/Marketing (Sp) Signifikante Ergebnisse! Randomisierte klinische Studien beweisen eine Risikoreduktion von 30 Prozent! (Z) Pharma-Texter begleiten Sie auf dem Weg der Markteinführung. (Sp) Eine andere Form der emotionalen Aufladung ist die Belohnung mit dem "guten Gefühl, richtig gehandelt zu haben". (Z) Je früher und je häufiger der Markenname genannt wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit für eine gute markenbezogene Durchsetzungsfähigkeit. O-Ton 9 Ludwig Konkretes Beispiel: Warum sollte ein pharmazeutischer Hersteller, wenn er z B ein Mittel für den Diabetes mellitus, für die Zuckerkrankheit bewirbt, drauf hinweisen, dass andere Maßnahmen wie Veränderung des Lebensstils, Abnehmen oder andere Dinge, die nicht medikamentöser Art sind vielleicht viel besser sind als das Arzneimittel? Das heißt, diese vergleichenden Information, wie steht meine eigenes Arzneimittel im Vergleich zu anderen oder vielleicht auch nicht medikamentösen Therapien da, diese Information kann die pharmazeutische Industrie und wird sie nie liefern. Sprecherin Das aber wären Fragen, auf die viele Patienten gern Antwort hätten, - komme ich auch ohne neue Chemie in meinem Körper aus? In welchem Verhältnis stehen Nutzen und Nebenwirkungen? Ist für mich ein Präparat geeignet, das doch nur bei 20 oder 40 Prozent aller Patienten wirkt? Noch einmal Arzt und Pharmaleiterin im fiktiven Gespräch: CD Zitat 4 Sag mal, eigentlich kann das doch gar nicht sein, dass beispielsweise Statine nur eine so geringe durchschnittliche Wirksamkeit haben.- Haben sie ja nicht. Du sagst es ja selbst: durchschnittlich. - Und bei welchen Patienten wirken sie unterdurchschnittlich und bei welchen überdurchschnittlich oder gar nicht? Gegenfrage: was würdest du tun, Wenn ich's dir sagen könnte? Ganz klar: Ich würde es nur bei denen einsetzen, wo ich wirkliche Effekte sehe und bei allen anderen würde ich's weglassen. - Was bedeuten würde, dass du das Produkt insgesamt deutlich weniger Patienten verschreiben würdest. - Vermutlich, aber denen würde es dann dafür umso mehr helfen. Denen vielleicht schon, aber uns nicht. Der Absatz würde zwangsläufig sinken. - Na toll., immer nur den Profit vor Augen... Das bedeutet aber, daß ihr schon genauer sagen könntet, wer profitiert und wer nicht, richtig? - Na ja, sicherlich könnte man Forschung auch so aufbauen...- Na dann tut das doch!-. Ehrliche Antwort? - Ja klar.- Warum sollten wir. "Design for success" heißt das in der klinischen Forschung. - So forschen, dass ihr das Produkt bei möglichst vielen Patienten einsetzt. Wenn wir das präzisieren würden, engen wir unseren Markt nur ein. Finde ich ganz schön verlogen. - Ihr fragt auch nicht hart genug nach. Wir liefern, was ihr nachfragt. Sprecherin Die CD ist Teil einer "Audioakademie" der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen. Sie will Ärzte ermutigen, sich kundig zu machen. Aber auch Patienten sollten wissen, wie relativ die Wirkung vieler Arzneimittel ist. Das "Deutsche Netzwerk für evidenzbasierte Medizin" entwickelt deshalb einen Leitfaden für Patientenaufklärung - unter dem Titel: "Gute Praxis Gesundheitsinformation". Ziel ist der Schutz der Bürger vor verzerrten und irreführenden Aussagen. Und eine realistische, aber nicht entmutigende Aufklärung über Nebenwirkungen. Damit Patienten über ihre Behandlung mitentscheiden können - so weit wie möglich. Der Onkologe Wolf-Dieter Ludwig: O-Ton 11 Ludwig Der mündige Patient, der in der Lage ist, anhand von Informationen, die ihm dann in Zukunft auch von der pharmazeutischen Industrie zur Verfügung gestellt werden rational und optimal über seine Therapie zu entscheiden - dieses Argument muss ich aus medizinischer Sicht wirklich für abwegig halten. Ich glaube, man muss bei Arzneimitteln ja unterscheiden daß es sich dabei um sogenannte Vertrauensgüter handelt. Ich möchte nicht mißverstanden werden, ich halte den informierten Patienten, der Fragen stellt, Therapieentscheidungen kritisch hinterfragt und den Arzt um Erklärung bittet, für extrem wichtig, aber den mündigen Patienten, der diese Entscheidungen selber trifft, wird es in der Medizin bei komplexen Krankheitsbildern und komplexen Therapiestrategien nicht geben. Sprecherin Der Richtlinienentwurf der EU zur Patienteninformation durch die Industrie birgt zwei Illusionen: die vom autonomen Patienten und die, dass Werbung und Information klar zu trennen seien. O-Ton 16 Ludwig Also die Kanäle sind reichhaltig, wenn wir jetzt einen weiteren Kanal öffnen, befürchte ich, dass wir Ärzte noch mehr Zeit aufbringen müssen, um Patienten von diesen Desinformationen abzuhalten und ihnen neutrale Information zu liefern. Das wird sehr schwierig werden für uns. Sprecherin Wolf Dieter Ludwig hofft auf einen Runden Tisch aller unabhängigen Informationsanbieter im Gesundheitswesen; ideal wäre in seinen Augen auch ein Qualitätssiegel für Patienteninformation. Denn wenn der EU-Richtlinienentwurf im Europäischen Parlament verabschiedet wird, muss er von allen Ländern umgesetzt werden. Ihnen bleibt dann eine Zweijahresfrist, um die nationalen Gesetze anzupassen, vor allem, um Kontrollorgane einzurichten. Ein unnötiger Aufwand, meint Gerd Antes: O- Ton 18 Antes Das jetzt sozusagen in einem Polizeisystem wieder in den Griff bekommen zu wollen, ist auch in der Hinsicht der falsche Ansatz. Anstatt von vornherein symmetrisch vorzugehen, und zu sagen: die einen machen das, die andern machen das, und wir schaffen ein ausgewogenes Spiel der Kräfte. Sprecherin Nur unabhängige, aus Steuergeldern mitfinanzierte Einrichtungen, denen auch alle Pharmastudien zugänglich sein müssten, könnten hier Klarheit schaffen. Die zweifellos wichtigen Forschungen der Pharmaindustrie brauchen ein Filtersystem. Aber auch andere Player im Gesundheitswesen, etwa die Krankenkassen oder Ärzteorganisationen informieren interessengeleitet. Es muss also darum gehen, die Informationen für die Patienten transparent zu machen. Aber wird die geplante neue Europagesetzgebung dazu beitragen? O-Ton 17 Ludwig Gut, die USA hat das seit mehr als zehn Jahren, die Möglichkeit, daß man über verschreibungspflichtige Mittel informieren, aber häufig auch werben darf, die Konsequenzen sind offensichtlich, die Arzneiverordnungen sind hochgegangen, die Ausgaben der Industrie für das Marketing sind in die Höhe geschnellt, dieses Geld fehlt sozusagen an anderen Stellen im Gesundheitssystem, wo wir's viel dringender bräuchten, und es gibt klare Hinweise, daß aus diesem Marketing natürlich auch eine Gefährdung der Patienten resultiert, beispielsweise hinsichtlich unerwünschter Wirkungen nicht ausreichend untersuchter Arzneimittel. Dass die USA jetzt in vielen Bereichen dagegen steuern, ist vielleicht auch bezeichnend, weil sie die Folgen dieser Marketingstrategien jetzt auszubaden haben. Ich frage mich, warum wir diese Fehler in Europa wiederholen müssen. Ich glaube, diese Freigabe des Informationsverbotes ist eine vollkommen falsche Entscheidung. Sprecherin Noch ist die Entscheidung ist nicht gefallen. Die deutsche und viele andere europäische Regierungen sehen das Vorhaben kritisch. Doch in Zeiten der Rezession hat die Pharma-Lobby eine starke Position - die Unternehmen sind Arbeitgeber, Börsenteilnehmer, Anzeigenkunde. Und ihre Informationen, vielleicht mit Gesundheitsquiz oder Mitmach-Forum, werden eher punkten als nüchterne Aufklärung. Atmo 3 (Zi) Reden sie darüber! Tell someone - die Aufklärungskampagne zur Vorbeugung von Gebärmutterhalskrebs. (Sp) Die Produktbotschaft in einer glaubwürdigen, nachvollziehbaren und relevanten Art und Weise vermitteln! (Zi) Unsicherheit und Angst? Kommen sie mit uns auf eine Phantasiereise durch die Nervenbahnen... (Sp) Unser Unternehmen sorgt für Ihre Gesundheit! (Zi) Sie haben Luftnot? Wir haben das Medikament. ... Vor Absage noch einmal hochziehen Sprecherin Schon jetzt besuchen Marketingleiter Seminare, um zu erfahren, was sie in Zukunft dürfen. Günter Verheugen muß noch erklären, wie er Information von Werbung trennen will. In der Ministerialbürokratie werden Stellen zu besetzen sein. Und der Patient? Wird er klüger und gesünder? Sprecher vom Dienst: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie: den Hersteller! Patienten im Visier der Pharmawerbung Von Barbara Zillmann Es sprachen: Marina Behnke und Thomas Holländer Ton: Andreas Krause Regie: Roswitha Graf Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 In der kommenden Woche senden wir: No Future? Das Leben in deutschen Trabantenstädten Manuskripte und weitere Informationen zu unseren Sendungen finden Sie im Internet unter www.dradio.de 1 1