COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Zeitreisen 17. 10. 2012 Mit der Organisation Gehlen fing es an Die Pleiten, Pannen und Skandale der bundesdeutschen Geheimdienste Von Gerald Endres Sprecher: April 1948. Die Bundesrepublik ist noch nicht gegründet, die Besatzungszonen werden von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges regiert. In dieser Situation wollen die Ministerpräsidenten der Länder in den Westzonen, dass die Besatzungsmächte ihnen die Einrichtung einer geheimen Polizei erlauben. Diese Polizei soll kommunistische Unterwanderung in den Verwaltungen und bei der Polizei bekämpfen, und sie soll die Grenze zur Sowjetisch Besetzten Zone unter Kontrolle halten. In einem Memorandum an den amerikanischen General Lucius D. Clay schreibt einer seiner Mitarbeiter: Zitator: Es wurde bemerkt, dass es zur Zeit keinen deutschen Geheimdienst zur Informationsbeschaffung gäbe, während die Kommunisten einen starken zentralen Geheimdienst unterhielten, der in ganz Westdeutschland operiert. Ein zentraler Geheimdienst sei deshalb unverzichtbar, um zu wissen, was im Inland vorgeht, speziell auch um Waffen- und Munitionslieferungen zu überwachen. Sprecher: Die Antwort Clays auf dieses Ansinnen ist knapp und deutlich: Zitator: I would rather have the communists than the secret police. Sprecher Dass Clay so kurz nach dem Ende des Naziregimes lieber die Kommunisten in Kauf nehmen will als eine neue deutsche Geheimpolizei, ist verständlich. Doch die Verschärfung des Kalten Krieges führt bald darauf zu einer Änderung in der Politik der westlichen Siegermächte. Als 1949 die Bundesrepublik gegründet wird, bekommt sie auch Verfassungsschutzbehörden. Die Amerikaner waren schon 1945 am Wissen eines Nachrichtendienstes der Nazis und an den Fähigkeiten seiner Mitarbeiter interessiert. "Fremde Heere Ost" war eine wichtige Abteilung des Generalstabs der Wehrmacht. Sie hatte beste Informationen über die Strukturen der sowjetischen Armee und hervorragende Verbindungen in den Osten Europas. Der Chef von Fremde Heere Ost, Generalmajor Reinhard Gehlen, bot sich, seine Verbindungen und einen erheblichen Teil seines Apparats, den Amerikanern an - und die akzeptieren. Fortan kontrollierten und finanzierten sie die sogenannte "Organisation Gehlen". Erst 1956, vier Jahre, nachdem die Bundesrepublik ein souveräner Staat geworden ist, wechselt die Organisation Gehlen als für das Ausland zuständiger "Bundesnachrichtendienst" in deutsche Zuständigkeit. Mit dem Aufbau der Bundeswehr kommt dann noch der Militärische Abschirmdienst (MAD) hinzu. Die Bundesrepublik hat seitdem drei Nachrichtendienste. Doch nach den Erfahrungen mit der Geheimen Staatspolizei der Nazis bleiben die Geheimdienste - Verfassungsschutz, BND und MAD - von der Polizei getrennt. Sie sollen nur Informationen beschaffen und haben keine exekutiven Befugnisse. In den frühen Jahren der Bundesrepublik werkeln die Dienste vor sich hin, nur von der Regierung kontrolliert, während das Parlament praktisch nicht informiert wird. Es wird zwar ein parlamentarisches Vertrauensmännergremium eingerichtet, doch dessen Arbeit beschreibt der SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Hirsch 1969 so: Take 01: O-Ton Hirsch Vertrauensmänner Die schwebten insofern in der Luft, als sie keine rechtliche Grundlage hatten, und das spielte sich bisher so ab, dass man von Zeit zu Zeit zu dem Bundeskanzler eingeladen wurde als Mitglied dieses Vertrauensmännergremiums und kriegte dann irgendwelche Auskünfte, hatte aber keinerlei Möglichkeit, der Richtigkeit dieser Auskünfte nachzugehen und ging immer etwas unbefriedigt weg, indem man das Gefühl hatte: Ja, es mag ja sein, dass das stimmt, was man mir gesagt hat, aber überprüfen kann ich's nicht. Sprecher Erst Ende der 1960er-Jahre sieht sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestags nach einem vermutlichen Spionagefall um den Admiral Hermann Lüdke genauer an, was bei den Geheimdiensten passiert. Martin Hirsch: Take 02: O-Ton Hirsch Koordination Für uns war der Fall sozusagen der Aufhänger, einmal anhand dieses Falles zu überprüfen, ob die Sache funktioniert in unseren Nachrichtendiensten. Wir haben ja mehrere, wir haben den Bundesnachrichtendienst für Auslandsnachrichten, wir haben den Bundesverfassungsschutz für Schutz der Verfassung nach innen, wir haben den Militärischen Abschirmdienst als Schutz der Bundeswehr vor Unterwanderung und solchen Dingen. Und wir haben dann das Verhältnis dieser Nachrichtendienste zu der normalen Polizei, zum Bundeskriminalamt, zu den Strafverfolgungsbehörden, also insbesondere zum Generalbundesanwalt, und der Fall Lüdke gab Anlass, mal zu untersuchen, anhand dieses Falls zu untersuchen, ob diese Dinge so funktionieren, wie das sein sollte. Sprecher Diese Frage steht vier Jahrzehnte später schon wieder - oder: noch immer - im Raum: Bei der Untersuchung der Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und des Versagens der Geheimdienste bei dieser Mordserie. 1969 kam der erste Untersuchungsausschuss des Bundestags über die Geheimdienste zu einer eindeutigen Forderung: Take 03: O-Ton Hirsch Kontrolle Unser Bericht endet ja mit einem konkreten Vorschlag auf Änderung der Verfassung, dass geschaffen werden soll in der Verfassung ein Gremium von fünf Parlamentariern, die die Aufgabe haben, die Nachrichtendienste von der parlamentarischen Ebene zu kontrollieren. Sprecher: Das sollte noch lange dauern. 1978 erst wurde eine gesetzlich verankerte Parlamentarische Kontrollkommission eingerichtet, und erst seit 2009 ist das Parlamentarische Kontrollgremium auch im Grundgesetz festgeschrieben. Doch die Probleme bei der Arbeit dieses Gremiums erinnern immer noch an die Zeiten Konrad Adenauers. Christian Ströbele von den Grünen ist langjähriges Mitglied des Kontrollgremiums: Take 04: O-Ton Ströbele Information Wir sind darauf angewiesen, dass die Bundesregierung ordnungsgemäß ihrer Verpflichtung nachkommt, was im Gesetz steht, dass sie das parlamentarische Kontrollgremium von sich heraus informiert über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Und das macht die Bundesregierung ganz, ganz selten. Manchmal, wenn sie annehmen, da ist eine Pressemeldung zu erwarten in den nächsten Tagen oder in den nächsten Wochen, dann machen sie das vorsorglich, aber die wirklich schlimmen Dinge, die der Bundesnachrichtendienst angestellt hat, wo er verwickelt war, wo also Personen verwickelt waren, die entnehmen wir entweder der Presse, meistens dem Spiegel oder der Süddeutschen Zeitung, und bitten dann um einen Bericht, und dann kriegen wir einen Bericht, und dann wird das bestätigt oder halb bestätigt, oder nicht bestätigt, und dann können wir da weiterarbeiten bis hin, dass wir dann sagen, da brauchen wir einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Sprecher: Der Bundesnachrichtendienst und seine Vorgängerorganisation haben sich seit ihren Anfängen öffentlicher Kontrolle möglichst entzogen. Schon die Existenz der Organisation Gehlen wurde als Geheimnis behandelt. Fragte man damals am Tor zum Pullacher Gelände der Organisation nach, bestritten die amerikanischen Wachtposten jegliches Wissen von einer derartigen Einrichtung, und einen Reinhard Gehlen oder Dr. Schneider - einer der Decknamen Gehlens - kannten sie ebenfalls nicht. Das Personal der Organisation war allerdings auch nicht besonders vorzeigbar. Neben ehemaligen Mitarbeitern der militärischen Aufklärung waren Mitglieder des Reichssicherheitshauptamtes, der Gestapo, der SS und ihres Sicherheitsdienstes für die Organisation Gehlen rekrutiert worden. Das Feindbild der ehemals nationalsozialistischen Kämpfer gegen den Bolschewismus musste nur wenig korrigiert werden. Anfang der 50er-Jahre ging Gehlen davon aus, dass der große Konflikt mit der Sowjetunion kurz bevorstand. Durchaus auf Wunsch der Auftraggeber aus den USA beobachtete die Organisation Gehlen auch den innenpolitischen Gegner, oder wen die Männer in der Pullacher Zentrale als Feind ansahen. Das sollte zum Beispiel dazu dienen, mögliche Feinde bei einer Eskalation der Lage zu internieren. Dass da auch mal des Kommunismus verdächtige Hamburger Arbeiter von Gehlen-Mitarbeitern beobachtet wurden, die sich schon vor 1945 im Sicherheitsdienst der SS um sie gekümmert hatten, gehört zu den unschönen Seiten dieser Geschichte. Die innenpolitische Beobachtung möglicher Feinde ging auch dann weiter, als der Nachrichtendienst unter deutscher Hoheit dem Bundeskanzleramt unterstellt war. Der BND diente von da an dem Kanzler, seiner Partei und seiner Politik. Daniela Münkel ist Projektleiterin im Forschungsbereich der Stasiunterlagenbehörde und unter anderem für den deutsch-deutschen Systemkonflikt verantwortlich, bei dem der BND auch in der Bundesrepublik agierte: Take 05: Münkel Innenbeobachtung Das sind nicht nur die 50er, das gilt auch für die 60er-Jahre, vielleicht nicht mehr ganz so extrem, aber auch dort, und es hat ja auch immer Konflikte mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz gegeben, dass der BND sich auch im Inland betätigte. Das liegt natürlich am Feindbild. Das Feindbild der Organisation Gehlen beziehungsweise des BND auch in Innern, war durch einen ausgeprägten Antikommunismus gekennzeichnet. Darüber hinaus erschien jeder verdächtig, der gegen die Politik der Westintegration und der Wiederbewaffnung Adenauers Stellung bezog. Und das war ihnen völlig egal, welcher Partei er angehörte. Es ging nur um den Standpunkt. Zum Beispiel hat der BND oder die Organisation Gehlen - haben auch Gustav Heinemann beobachtet. Sprecher: Daniela Münkel kann auch beurteilen, wie erfolgreich die Organisation Gehlen bei der nachrichtendienstlichen Arbeit im Osten war. In ihren ersten Jahren organisierten Gehlens Agentenführer nach der Tradition der Wehrmachtsorganisation "Fremde Heere Ost" und in Erwartung eines bewaffneten Konflikts vor allem Militärspionage: Take 06: Münkel DDR-Spionage Bis 1953 war die Organisation Gehlen recht gut und sehr breit in der DDR vertreten. Sie hatte ein großes V-Leute-Netz, was einen Querschnitt der Bevölkerung widerspiegelte. Diese vielen V-Leute betrieben Militärspionage auf niedrigstem Niveau, so kann man das, glaube ich, bezeichnen. Und es gab wenige Spitzenquellen. Also man kann das so als Wald-und- Wiesen-V-Leute bezeichnen. Die stellten sich zum Teil vor Kasernen, schrieben auf, wer da rein- und raus fuhr, zählten irgendwelche Militärtransporte. Und das war natürlich nicht ganz unriskant, aber zum Teil natürlich völlig dilettantisch, das ist richtig. Trotz dieser breiten Verankerung kam es doch zu der einen oder anderen Fehleinschätzung, was nicht zuletzt aus der Fokussierung auf die Militärspionage resultierte. Wenn man sich einen Bericht der Organisation Gehlen über die Ursachen des 17. Juni anschaut, so steht darin, dass es also von der DDR selbst inszeniert worden sei, um eine mögliche Wiedervereinigung zu verhindern, also völlig absurd. Sprecher: Doch dann kommt es zu einem heftigen Rückschlag für die Organisation Gehlen. In den Jahren 1953 bis 1955 verhaftet die Staatssicherheit der DDR hunderte von tatsächlichen oder vermeintlichen Zuträgern westlicher Geheimdienste. Für wen genau sie gearbeitet haben, bleibt häufig unklar, wahrscheinlich wissen das die Informanten oft selbst nicht. In den Prozessen werden die Angeklagten dann einem sogenannten "Nato-Geheimdienst" zugeordnet, der nie existiert hat, aber auch die Organisation Gehlen wird immer wieder genannt. Es ist nicht bekannt, wie viele der Verurteilten tatsächlich für Gehlens Leute gearbeitet haben. Es sollen weit über zweihundert gewesen sein. Die Staatssicherheit stellt die oft recht naiven Freizeitspione als äußerst gefährliche Subjekte dar. Entsprechend ist auch der Ton in den Prozessen. Generalstaatsanwalt Melsheimer stellt 1955 einen Strafantrag: Take 07: Strafantrag Ich beantrage für van Ackeren, diesen hauptberuflichen Spion seit 1952, diesen Menschen, der neunzehn Agenten und fünf Forscher besaß, mit denen er spionierte, ein Mensch, der alles daransetzte, die Ergebnisse seiner Spionagetätigkeit zu vagieren (?), diesen Menschen, der schwerste Spionage gegen unseren Staat getrieben hat, lebenslanges Zuchthaus. Für seinen Spion Baumgart, diesen Brigadefahrer, diesen Proletarier, der seine Klasse verriet, diesen Menschen, der gut verdiente, 500 Mark im Monat, und der Spionageberichte über 200 bis 250 Fahrten nach der Sowjetunion gab, fünfzehn Jahre Zuchthaus. Für den Angeklagten Koch, den ich, so denke ich, hinreichend geschildert und qualifiziert habe, diesen üblen und gemeinen Hitler-SS-Polizisten, diesen Spion, diesen lügenden Großspion, der seit 1953 und 55 nur von Spionagegeldern lebte, diesen Auswurf des Drecks, die Todesstrafe. Sprecher: Reinhard Gehlen wird in diesen Zeiten die Devise zugeschrieben: "Wirkung geht vor Deckung". Der Verdacht liegt nahe, dass in den frühen Jahren der DDR die V-Leute der westlichen Geheimdienste oft nicht gewusst haben, worauf sie sich einließen, und dass sie auch über das Risiko im Unklaren gelassen wurden. Hat Gehlens Organisation ihre Leute in der DDR verheizt? Take 08: Münkel Verheizen In der Anfangszeit der DDR und SBZ haben alle westlichen Nachrichtendienste nicht ihren Schwerpunkt auf den Schutz ihrer Quellen gelegt, das kann man mit Fug und Recht behaupten. Das waren riskante Operationen, und außerdem waren die Risiken sehr hoch. Vor allen Dingen, wenn irgendwas mit Militärspionage im Schwange war, dann bestand das Risiko auch relativ schnell auf eine Todesstrafe oder sehr hohe Haftstrafen. Ich würde die Hypothese wagen, dass die Organisation Gehlen wahrscheinlich noch am Vorsichtigsten mit ihren Quellen umging, das hing wahrscheinlich nicht zuletzt damit zusammen, dass es sich um Landsleute handelte, und man da wahrscheinlich etwas sensibler vorging. Nach 1953 geht die Organisation Gehlen auch kritisch mit sich ins Gericht, was den Umgang mit V-Leuten angeht, und man beschließt, diese doch etwas besser zu schulen und da etwas vorsichtiger vorzugehen. Sprecher: Doch das Netz der V-Leute in der DDR war zu großen Teilen zerschlagen, und die Arbeit war schwieriger geworden, seitdem jeder wissen konnte, wie riskant es ist, wenn man sich mit einem westlichen Geheimdienst einlässt. Gehlens Apparat mit tausenden von Mitarbeitern und einem Geflecht von Vertretungen und Tarneinrichtungen in der gesamten Bundesrepublik wäre nun völlig überdimensioniert gewesen für die Aktivitäten im Osten, doch 1956 wurde aus der Organisation Gehlen, kurz Org, der BND. Die deutschen Ostspione der Amerikaner bildeten jetzt einen bundesdeutschen Nachrichtendienst, der in der ganzen Welt aktiv sein sollte. Dabei fing der BND nicht ganz von vorne an. Bis heute gilt die arabische Region als ein Gebiet, in dem der Bundesnachrichtendienst besonders erfolgreich agiert. Dabei konnte der BND in seinen frühen Jahren auf alten Beziehungen und auf Sympathien aus der Zeit des Nationalsozialismus aufbauen, wie Erich Schmidt-Eenboom festgestellt hat: Take 09: Schmidt-Eenboom Beziehungen Wir haben das analysieren können am Beispiel des BND-Residenten Richard Christmann, der im Sommer 1956 nach Tunesien ging. Der war im Zweiten Weltkrieg in Paris eingesetzt als Abwehrmann zur Betreuung der nordafrikanischen Opposition, das heißt, all der arabischen Nationalisten, die sich durch die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Reich versprochen haben, dass es zu einer Entkolonialisierung kam. Und Christmann hat genau dieselben Figuren, die er 1940/41 in Paris betreut hat, dann als Verbündete der Bundesrepublik Deutschland Ende der Fünfziger Jahre in Algerien und Tunesien wieder vorgefunden. Sprecher: Es sind gute Jahre für den Bundesnachrichtendienst. Der Apparat wächst. Der Nimbus des erfolgreichen und effektiven Geheimdiensts ist zunächst noch ungebrochen, Bundeskanzler Adenauer vertraut den Agenten "seines" Dienstes. So verlässt er sich bei Auslandsreisen lieber auf die Expertise des Bundesnachrichtendienstes als auf die Informationen des Auswärtigen Amts. Doch langsam kommen Zweifel auf. Die ausgeprägte Geheimniskrämerei der Geheimdienstler weckt Misstrauen. Die weitverzeigte Organisation, in der die eine Hand nicht wissen darf, was die andere tut, liefert der Politik widersprüchliche Informationen. Take 10: Münkel Mauerbau In den 60er-Jahren, noch unter Adenauer, verschlechterte sich das Verhältnis von BND und Bundesregierung zusehends. Es war sogar so, dass der BND im Falle des Mauerbaus sich Anfeindungen wegen seiner Unfähigkeit und Uninformiertheit durch die Bundesregierung anhören musste und in dem Fall stimmte es nicht mal, wie wir jetzt spätestens seit letztem Jahr wissen. Der BND wusste natürlich nicht, dass die dann am 13. August eine Mauer bauen, aber hat in seinen Berichten die Bundesregierung schon sehr gut über die Vorgänge informiert und man wusste, dass was passieren würde. Um zu zeigen, dass es nicht stimmte, was Adenauer sagte, dass sie von gar nichts gewusst hätten, hat dann Gehlen nach '61 die Berichte alle zusammenstellen lassen, um sich zu rechtfertigen. Letztes Jahr hat der BND dann diese Sachen noch mal zugänglich gemacht, anlässlich des 50. Jahrestages des Mauerbaus. Sprecher: Das ist ein bemerkenswertes Vorkommnis. Denn normalerweise verweigert der BND möglichst auch Informationen über seine frühe Geschichte. Das führte kürzlich zu einer Auseinandersetzung bis vor das Bundsverwaltungsgericht. Die Journalistin Gabriele Weber einerseits und die Bild-Zeitung andererseits wollten wissen, welche Rolle der BND im Fall Eichmann gespielt hat. Eichmann, einer der wichtigsten Organisatoren des Massenmords an den Juden im Zweiten Weltkrieg, war nach dem Krieg in Argentinien untergeschlüpft. 1961 hatten ihn Agenten des israelischen Geheimdiensts von dort entführt. Eichmann wurde in Israel verurteilt und hingerichtet. Der BND verweigerte mit den üblichen Argumenten jede Auskunft über sein Wissen und seine Aktivitäten im Zusammenhang mit Eichmann - auch als Klage erhoben wurde, wie Rechtsanwalt Christoph Partsch erlebte: Take 11: Partsch Ablehnung Der Bundesnachrichtendienst hat die Klage meines Mandanten, Herrn Saure von der Bildzeitung, mit einer ganzen Reihe von Argumenten versucht abzuwehren, darunter die Gefährdung der auswärtigen Beziehungen, den Informantenschutz, den Datenschutz der betroffenen Personen, wie auch eine Gefährdung allgemein der Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Sprecher: Wie sich letztlich herausstellte, ging es jedoch eher um das Ansehen des Bundesnachrichtendienstes. Das juristische Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, hat aber dennoch schon zu einem Ergebnis geführt: Take 12: Partsch Eichmann Die Akteneinsicht, die bereits gewährt wurde, hat unter den siebentausend wertlosen Blättern, mit denen wir, mit denen wir vom Geheimdienst ganz sicher absichtlich zugeworfen worden sind, auch eine Karteikarte zum Beispiel erbracht, die man als Sensation bezeichnen kann, weil sie beweist, dass die Vorgängerorganisation des BND sehr wohl wusste, wo Eichmann war, und zwar fünf Jahre, beziehungsweise sechs Jahre vor 1961, das heißt, bevor die Israelis es wussten. Das heißt, der Geheimdienst wusste, wo ein gesuchter Straftäter war, er hat es geheim gehalten, er hat es, das hat sich auch aus der Akteneinsicht ergeben, auch vor anderen Bundesbehörden, die nach Eichmann forschten, geheim gehalten. Er hat diese nicht informiert, er hat also Strafverfolgungsmaßnahmen behindert. Das ist nicht nur historisch interessant, sondern auch strafrechtlich relevant, und es schreibt natürlich die Geschichte der Bundesrepublik etwas um, wenn wir Eichmann offiziell suchten, inoffiziell aber sehr wohl wussten, wo er war. Sprecher: Die Geheimniskrämerei des Pullacher Dienstes mag ihn viele Jahre davor bewahrt haben, dass Fehlleistungen und Fehlverhalten wie im Fall Eichmann bekannt werden, sie macht ihn aber auch angreifbar. Die Skandale eines Geheimdienstes werden leichter bekannt als seine Erfolge, denn gerade darin, dass er nicht bekannt wird, besteht ja oft der Erfolg. Hansjörg Geiger war von 1996 bis 1998 Präsident des BND: Take 13: Geiger Motivation Ein Nachrichtendienst insbesondere ein Auslandsnachrichtendienst, hat wenige Möglichkeiten klarzustellen, dass seine Leistungsfähigkeit viel besser ist, als in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Wobei man dazu sagen muss, es ist möglicherweise für die Wirksamkeit eines Nachrichtendienstes auch gar nicht schlecht, denn wenn bekannt wird, was er alles kann und was er alles hat, dann weiß ja auch das Ausland, über das er berichtet, was er weiß, und wird dort suchen, wo sind die Quellen, woher hat er die Informationen, und wird sich möglicherweise auf das Wissen einstellen. Es ist ja wesentlich besser, wenn ein Auslandsnachrichtendienst der Regierung, also hier der Bundesregierung, Informationen geben kann, und das Ausland darüber nicht Bescheid weiß. Das ist auf der anderen Seite natürlich für einen Nachrichtendienst bitter. Bitter, weil er unberechtigten Vorwürfen kaum entgegentreten kann. Sprecher: Und die Zahl der Affären des Dienstes ist lang: Ob es nun die Plutonium-Affäre ist, in der der BND 1994 selbst den Schmuggel von Plutonium aus Moskau nach München initiierte; die Befragung von deutschen Staatsbürgern, die im Rahmen des Kampfs gegen den Terror in amerikanische Gefangenen-Camps verschleppt worden waren; die mögliche Beteiligung von BND-Agenten am Irak-Kieg über die Weiterleitung von Ziel- Informationen an die USA, obwohl die Bundesrepublik sich geweigert hatte, an diesem Krieg teilzunehmen; die Verwicklung in illegale Waffenlieferungen in Krisengebiete; die Ausbildung von Geheimdienstlern in Diktaturen oder die Verstrickung von BND-Agenten in interne Konflikte im Kosovo - immer versuchte der Dienst, die Affären möglichst geheim zu halten oder herunter zu spielen. Zu diesem Zweck bespitzelte er Journalisten im Inland - und sorgte damit gleich für den nächsten Skandal. Dazu kommt noch die Häme aus einer Ecke, in der eigentlich die Verlierer der Geheimdienstgeschichte sitzen. Führende ehemalige Offiziere der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) in der Stasi verbreiten gerne, der BND sei von ihnen unterwandert worden, alle seine Aktivitäten in der DDR seien kontrolliert und alle seine Agenten umgedreht worden. Doch eine Historikerkommission soll jetzt Zugang zu den Akten des BND erhalten und die Geschichte des Dienstes aufarbeiten. Allerdings behält sich der Bundesnachrichtendienst vor, das Ergebnis vor der Veröffentlichung zu zensieren. Rechtsanwalt Partsch hat Erfahrungen gemacht, wie der BND sogar mit jahrzehntelang zurückliegenden Akten umgeht, auch wenn Wissenschaftler oder Journalisten inzwischen einen gesetzlichen Anspruch auf Einsicht haben: Take 14: Partsch Bundesarchivgesetz Wir haben prinzipiell ein Problem damit, dass ein Bundesnachrichtendienst, der dem Bundesarchivgesetz vollständig unterfällt, sich nicht an das Gesetz hält, eine ganze Reihe von Behauptungen aufstellt, die ganz deutlich nicht gegeben sind. So können wir aufgrund der Unterlagen durchaus beweisen, dass viele der Argumente vorgeschoben sind, viele der Argumente falsch sind, dass Akten manipuliert wurden, dass Akten so schlecht kopiert vorgelegt werden, dass man sie nicht lesen kann, obwohl sie lesbar vorliegen. Generell lässt sich sagen, dass dieser Bundesnachrichtendienst eine Aktenführung hat, die eigentlich unvereinbar ist mit seiner Aufgabe. Sprecher: Auch im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste hat Christian Ströbele die Erfahrung gemacht, dass Akten der bundesdeutschen Dienste den Parlamentariern vorenthalten werden, oder für so geheim erklärt werden, dass daraus nichts veröffentlicht werden darf. Take 15: Ströbele Geheimhaltung Es wird unendlich Vieles für geheim erklärt, bei dem überhaupt nicht einsichtig ist, warum das geheim sein soll. Da geht's dann eher davon, den deutschen Geheimdienst davor zu schützen, dass wieder einmal eine skandalöse Entwicklung, ein Skandal öffentlich bekannt wird. Aber gerade solche Sachen, die müssen ja öffentlich bekannt werden, weil die Öffentlichkeit gibt das Geld für den Dienst, und die muss auch wissen, dass das alles mit rechten Dingen zugeht. Das heißt, es gibt überhaupt keinen Grund zu sagen, wir sagen den Parlamentariern in bestimmten Bereichen nichts, sondern das sind vorgeschobene Gründe, weil man Angst hat, dass Fehlentwicklungen deutlich werden, auch nach außen hin. Das muss sein, wenn wir ne Kritik haben, nicht in einem Nebenpunkt, sondern eine fundamentale, dass da absolut was schief gelaufen ist, möglicherweise gegen Gesetze verstößt, dann muss man das natürlich auch nach außen sagen dürfen, das heißt, über die Frage, was geheim zu halten ist, kann nicht der Bundesnachrichtendienst oder ein anderer Geheimdienst alleine entscheiden, sondern das muss so einsichtig sein, dass es einer Überprüfung standhält, durch das Parlamentarische Kontrollgremium selbst oder erforderlichenfalls auch in einem Gerichtsverfahren. Sprecher: Für Christian Ströbele handelt es sich beim Umgang der Geheimdienste mit ihren Kontrolleuren um ein grundsätzliches Problem: Take 16: Ströbele Souverän Unsere Geheimdienste müssen überhaupt erst lernen, was eine parlamentarische Demokratie ist, und was Verantwortlichkeit gegenüber dem Souverän: Das ist nicht die Regierung, sondern das ist das Parlament, also das Volk, vertreten durch das Parlament, durch die Parlamentarier - das ist lange Zeit nicht ernst genommen worden. Sprecher: Und es wird auch heute noch nicht ernst genommen, wie die Pannen bei der parlamentarischen Aufarbeitung des Nationalsozialistischen Untergrunds zeigen. Diese Affäre hat vor allem die Verfassungsschutzämter ins Zwielicht gerückt. Ihr Agieren wirft viele Fragen auf. Doch vor wenigen Wochen geriet auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) ins Zwielicht, weil er einen der rechtsradikalen Mörder hatte anwerben wollen und weil er brisante Unterlagen darüber den parlamentarischen Kontrolleuren vorenthielt. Die stillen Wasser der Geheimdienste sind tief. In diese Affäre ist der Bundesnachrichtendienst nicht verwickelt. Oder noch nicht? Können wir das wirklich wissen? -1 -