DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 01.04.2008 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 - 20.00 Uhr Soldat Gottes im Kiez Über die Kommune der Arbeiterpriester in Kreuzberg Von Peter Kessen URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo: U-Boot Peilgeräusch O-Ton:Herwartz und Pilger Also, wenn ich nach meiner Funktion gefragt werde, steht bei mir Rentner, also, ich tu nix (leises Lachen). Ich denke, das ist auch was Wichtiges. Vorher war ich Arbeiter, das war auch schon nix für viele Menschen (Lachen). Und jetzt bin ich halt dann arbeitslos, das war auch nix für viele Menschen und das ist gut so! Autor: Christian Herwartz, 65 Jahre alt, Arbeiterpriester, Mitbegründer der Jesuitenkommunität in Kreuzberg. O-Ton: Herwartz Ich denke, das wichtigste, was ich hier tue, wo ich wohne, ist zu schlafen, loszulassen ... und nicht etwas selbst zu machen. O-Ton: Reichwein Er ist ein Prophet, schlicht und einfach. Autor: Andreas Reichwein, Mitbewohner, Jesuit. O-Ton Reichwein: Er sagt, das Christentum ist eine prophetische Religion, ähnlich wie auch das Judentum. Und er sagt, dass, wenn wir die Zeichen der Zeit heute richtig deuten, dann muss hier etwas Prophetisches exemplarisch gelebt werden. Atmo/TrennMusikzäsur Zitator (Autobiogr. Herwartz): "In der Meditation sah ich einige Tage später einen Mann mit seiner Schnapsflasche, und ich wusste sofort: Jesus sitzt mir gegenüber". Atmo Ansage: Soldat Gottes im Kiez Über die Kommune der Arbeiterpriester in Kreuzberg Ein Feature von Peter Kessen O-Ton: Jesuitengespräch Vorschlag! Uns fehlt vielleicht noch ein bisschen das Gesamtbild von dem, was sie tun hier im Haus! Was so genau abgeht, was sie getan haben und was in Zukunft so ansteht, das haben wir noch nicht so ganz ... Herwartz: Fragen! Fragen! (Lachen ... ) Autor: Ich bin in einer Kreuzberger Wohnung zu Besuch, in unmittelbarer Nachbarschaft eines Dealertreffpunkts und der Punkkneipe "Trinkteufel". Vier Jesuiten und eine ehemalige Anwältin der Roten Armee Fraktion sitzen zusammen und debattieren. Aus einer Wohnzimmerwand wachsen Skulpturen aus Pappmaschee: Das Europa Center mit dem Mercedesstern ragt in die Luft, darunter windet sich ein rubinroter Wal. So verbinden sich vor aller Augen die biblischen Geschichten von Jonas, dem Wal, und der Stadt, die nach Gottes Willen umkehren soll. Die radikale, unbequeme Tradition des Christentums hat die Geschichte dieser Kommunität der Jesuiten und linken Arbeiterpriester bestimmt. Die Wohn- und Lebensgemeinschaft finanzierte sich immer selbst, vor allem aus Lohn und Rente der Arbeiterpriester. Hier finden Hilfsbedürftige seit 29 Jahren eine offene Tür. 400 Menschen haben hier gelebt, aus beinah sechzig Nationen, im Alter von drei bis 85 Jahren. O-Ton: Herwartz C: Habt keine Angst vor der Wirklichkeit! Die Wirklichkeit ist anders, als was ihr seht! Atmo Autor: Christian Herwartz wurde 1943 in Kiel geboren, in einem bürgerlichen Elternhaus, als einer von fünf Brüdern O-Ton: Herwartz Na ja, nach dem Krieg, da war das mit den Schichten ja alles durcheinander, mein Vater war Lehrling auf dem Bau, nach dem Krieg, und dann ist er Bauingenieur geworden und hat so im Siedlungsbau mitgearbeitet. Autor: Die Worte eilen durch die eigene Biographie, fast meine ich eine Unwilligkeit zu spüren, sich das eigene Leben durch die Herkunft oder Epochenumbrüche bestimmen zu lassen. Christian Herwartz war 25 Jahre alt, damals, im stürmischen Jahr 1968. O-Ton: Herwartz Um die Zeit habe ich das Abitur nachgemacht ... , ich hab das zwar gemerkt, aber eigentlich habe ich aus der Zeit heraus gehandelt. eine Schülerzeitung gemacht, oder die Lehrer haben mich gesehen, als jemand der das umgesetzt, also das was in der Luft lag, was weltweit war. Ohne dass mir das so direkt bewusst gewesen ist. Autor: Maschinenbau wollte Herwart damals studieren, erzählt er mir, und Entwicklungshelfer werden O-Ton: Herwartz Und hab dann auf der Werft gearbeitet, und da ist mir in der Gießerei ein Kran gegen den Kopf gefahren und dadurch hab ich, bin ich vierzehn Tage krank gewesen. Und in den vierzehn Tagen habe ich ein Buch gelesen über Jesuiten und es war mir klar, ich hab da gar keine Nachforschungen mehr gemacht, es war klar, und dann hab ich Abitur nachgemacht, es hat noch sieben Jahre gedauert, aber eigentlich war die Entscheidung vor dem Eintritt schon gefällt. Musikzäsur Zitator: "Die Armut als feste Mauer des Ordens soll man lieben und in ihrer Reinheit bewahren, soweit es mit der göttlichen Gnade möglich ist". O-Ton: Herwartz "Ich wusste nicht, was meine spezifischen Fähigkeiten und Wollen ist, ich wusste nur, dieses Weltweite, das war wichtig. ... Die alten Mönchsorden kamen nicht in Frage, die hatte ich mir angekuckt, das war Nichts und die neueren, die auf eine Frage zugeschnittenen Gemeinschaften, das war auch nicht meins. ... Ja, und dann hat's mir natürlich gefallen, das sie schon mal verboten worden sind. Das war so ein Kriterium, wo ich dachte, gut, dann kann was dran sein. Musikzäsur Autor: Die Jesuiten, eine katholische Ordensgemeinschaft 1534 von Ignatius Loyola gegründet, gilt als Avantgarde der Gegenreformation. Der Orden wurde immer wieder verfolgt und verboten. Heute gelten die Jesuiten als mächtige und einflussreiche Organisation, nicht nur in der katholischen Kirche. Anfang der 70er Jahre schloss sich der Jesuit Herwartz den linken Arbeiterpriestern an, um das Leben der Arbeiter zu teilen. Die weltweite Bewegung dieser sozial engagierten Priester entstand in den 20er Jahren in Frankreich. Das ursprüngliche Ziel lag zunächst in der Missionierung des linken und gottesfernen Proletariats , aber in den 50er Jahren begannen sich die Ordensmänner in den Fabriken zu verändern: Sie näherten sich den linken Parteien und Gewerkschaften an, weswegen der damals amtierende Papst Pius XII. die Bewegung im Jahr 1954 verbot. Durch die Reformen des 2.Vatikanischen Konzils wurde sein Verbot 1965 wieder aufgehoben. O-Ton: Herwartz Also die Anfrage war, dieser Graben, der in der Gesellschaft ist, zwischen Bürgerlichen und so genannten proletarischen oder subproletarischen Bereichen, dass der unmenschlich ist, und dass der dem Evangelium nicht entspricht. Und die alte Tradition der Kirche ist, sich in die Sklaverei verkaufen zu lassen, damit die Sklaven frei kommen, das war schon im ersten Jahrhundert. Und irgendwie in diesem Trend, der wirklich mit dem Evangelium konform ist, habe ich mich auch gesehen. Autor: Christian Herwartz fand in der neue Leitlinie der Jesuiten im Jahr 1975 die Grundlagen seines Engagements: Musikzäsur Zitator: "Die Generalkongregation fällte die Grundentscheidung, "dass die Teilnahme am Kampf für Glauben und Gerechtigkeit das ist, was den Jesuiten in unserer Zeit ausmacht". ( ... )Die gewonnene Einsicht war simpel, da ein Glaube an Gott ohne Einsatz für Gerechtigkeit hohl ist und ebenso der Hunger nach Gerechtigkeit eine gläubige Perspektive sucht". Autor: 1971 zog der Jesuit den Blaumann über: Herwartz wurde Umzugshelfer, dann schaffte er in einer Kokerei in Bottrop, gefolgt von einem Job als Pressführer in einer Aluminiumverarbeitung in Toulouse. Dort lernte er Dreher. Musikzäsur Autor: 1978 folgte der Umzug nach Berlin-Kreuzberg, 21 Jahre arbeitete Herwartz bei Siemens, als Dreher und Lagerist. Atmo: Kreuzberg Hausbesetzer, Megaphon, Stimmen, Musik O-Ton: Herwartz "Wir haben im Orden gemerkt, dass wir eine Gemeinschaft gründen sollten, die näher an Menschen ist, die ausgegrenzt werden ( ..) also außerhalb der bürgerlichen Schicht. (...) Und es war so die Idee, weil ich vorher drei Jahre Gastarbeiter in Frankreich war, dass das vielleicht auch eine Begabung ist, mit Menschen, die aus dem Ausland kommen, zusammen zu arbeiten und zu leben. Und deshalb sind wir dann nach Berlin, damals war das noch eingeschlossen, nach West-Berlin, gekommen. Und haben hier eine Gemeinschaft von drei Jesuiten gegründet, und sind arbeiten gegangen an Orten, um Menschen zu begegnen, die etwas vom Unrecht in der Gesellschaft am eigenen Leibe kennen. Atmo Herwartz und Stimmengewirr Wir haben Dienstagabend immer unseren Kommunitätsabend, der so abläuft, dass wir um sechs Uhr essen hier und dann erzählen was wir in der Woche erlebt haben ... . Autor: 1978 kamen die Jesuiten nach Kreuzberg, neben Herwartz waren das noch Michael Walzer und Franz Keller. Sie unterstützten die bald beginnenden Hausbesetzungen und zogen zuerst in die Oppelner Straße. 1984 dann in die Naunynstraße. Heute leben hier in drei Wohnungen mit jeweils drei Zimmern 15 Menschen. Vor einem Jahr sind vier Frauen eingezogen. In einem Raum schlafen acht Männer in Stockbetten, dazu kommen noch drei Einzelzimmer. O-Ton: Herwartz Und in dem Prozess habe ich mal gezählt, mit wie viel Leuten ich in dem Schlafzimmer, in dem Schlafzimmer schon geschlafen habe, und habe festgestellt es sind aus sechzig Nationen. Und wer kriegt solche Geschenke, mit Menschen aus sechzig Nationen zusammen zu wohnen und nicht irgendwie distanziert in einem Wohnheim, sondern direkt in der Nähe. Autor: Manchmal herrscht in der Kommune drangvolle Enge, dann verwandelt sich das Wohnzimmer in ein Matratzenlager. Das schlichte Mobiliar strahlt nicht nur Patina aus, manche Schränke und Stühle scheinen mit ihren Rissen, Schrunden und verblichenen, ja abgesplitterten Farben schon mindestens von einem vergangenen Vierteljahrhundert zu erzählen. Die Toiletten glänzen nicht in Emaille Weiß, auch die fadenscheinigen Handtücher künden nicht von fanatischem Kampf um Sauberkeit. Die Mutter von Christian Herwartz schrieb in der Chronik der Gemeinschaft eher amüsiert als abgestoßen von Spinnen als Haustieren und ungeputzten Fenstern, durch die keiner hereinschauen könne. Eine andere Besucherin beschreibt, wie eine Tür zur Tischplatte umfunktioniert wurde. Die Armut dieser Gemeinschaft ergibt sich aus der Haushaltslage. Aus den Einnahmen, die hauptsächlich aus den Renten der beiden Jesuiten bestehen, müssen viele Mitbewohner ernährt werden. Seit einem knappen Jahr ist noch eine weitere Etage im Haus dazugekommen. Ich sehe in dem verlebten Mobiliar auch einen antibürgerlichen Gestus: Eine Art Protest gegen die schöne Oberfläche, der das Nein zur allzu braven Wohlgeratenheit demonstriert. Laissez Faire ist allerdings nicht die Generallinie des Zusammenlebens. Für Neulinge gilt eine strikte Regel: Alkohol und Drogen sind verboten. Auch diese Probleme führten häufiger zu unangemeldeten Besuchen der Polizei: O-Ton: Herwartz Oder dass eine Hausdurchsuchung, die brutal ist und die idiotisch ist, was wir öfters erlebt haben, ein Kompliment werden kann. Das war für mich eine Situation, dass wir Nachts um Vier geweckt wurden, von der Polizei, in einem größerem Schlafzimmer das existiert, und dieser Mensch, dem ich gesagt habe, wieso, was empfinden Sie, wenn das bei Ihnen in der Wohnung passiert. Der gesagt hat, das kann mir nicht passieren: Ich lebe in geordneten Verhältnissen. Und dann war das schwer zu verstehen, und zum Schluss hat er sich verraten. "Da sind so viele Namen am Briefkasten. Sie leben nicht in geordneten Verhältnissen." Autor: Ich spüre eine tiefe Abneigung gegen eine bestimmte Form bürgerlichen Lebens, gegen das Gemeine, Enge, Selbstsüchtige und Beschränkte, das sich mit eben jener Klassenlage auch verbinden kann. Christian Herwartz trägt bei all unseren Treffen die gleichen schwarzen Freizeitschuhe zum rustikalen Pullover. Als ob sich das Nein im Großen auch immer im Profanen zu materialisieren hätte! Musikzäsur Autor: Einmal hatten sie einen, der fühlte sich ständig verfolgt. Der trug immer Plastiktüten mit seinen Habseligkeiten am Körper, auch nachts. Wenn er sich im Bett umdrehte, raschelte es. Dem konnte man die Tüten aber nicht wegnehmen, da wäre er durchgedreht. Christian Herwartz kam auf die Idee, die Plastiktüten gegen Leinentüten auszutauschen. Von da an war es ruhig. Der bedauernswerte Mann war jedoch nicht zu therapieren und zog später aus. Was aus ihm geworden ist, weiß man nicht. Jederzeit können Hilfesuchende Menschen vor der Tür stehen, wie zum Beispiel Sabine, eine aidskranke junge Frau, die dann monatelang in der Kommunität gelebt hat und hier gestorben ist. O-Ton: Herwartz A: Was hier gelebt wird, ergibt sich ganz aus den Zusammenhängen, das eine aus dem anderen ... es gibt nicht von oben ein Pastoralplan C: Kein Plan! Renate: Wir haben noch nicht mal ein Abwaschplan ... (Lachen) noch nicht mal ein Abwaschplan Autor: Die Gemeinschaft bildet sich nicht durch die Alltäglichkeit gemeinsamer Gewohnheiten. Nur zwei feste Termine finden sich in jeder Woche: Beim so genannten Kommunitätsabend treffen sich die Bewohner, hier sprechen alle über ihre Woche und feiern das Abendmahl. Am Samstag sind zum Frühstück auch Freunde eingeladen. Medienvertreter sind dabei grundsätzlich ausgeschlossen, denn die Wohngemeinschaft will für Hilfesuchende ein sicherer Schutzraum bleiben. In der Woche zerfranst der Alltag, manche, die arbeiten, stehen in aller Frühe auf, während andere erst später aus dem Bett kommen. Im Wohnzimmer und in der Küche herrscht ständiges Kommen, Gehen, Lesen, Telefonieren, Internetzeln und Debattieren. Die unterschiedlichsten Mentalitäten und Bedürfnisse treffen hier aufeinander: die Aktivisten um Christian Herwartz, die in Kirchenkreisen, Polit- Treffen, Demonstrationen und Mahnwachen auch bundesweit engagiert sind, die Widerhandelnden, und die Menschen, die erst einmal ihre Zeit brauchen, um zur Ruhe und zu eigenen Entscheidungen zu kommen. Musikzäsur O-Ton: Trobitzsch Es war ein Sprung, das Ja. Bruch, das wäre jetzt nicht mein Begriff, weil die Geschichte davor, die war ganz wichtig für mich. Autor: Renate Trobitzsch lebt seit anderthalb Jahren in der Kommunität, sie arbeitete vorher als Rechtsanwältin, hatte zehn Jahre Mandate für Inhaftierte der Rote Armee Fraktion und der Bewegung 2. Juni wahrgenommen. Auch RAF-Mitglieder, die des Mordes an Siegfried Buback angeklagt wurden, hat sie verteidigt. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit standen die nicht unumstrittenen Haftbedingungen. O-Ton Trobitzsch: Ich war mit Herz und Seele in meinem Beruf. Und ich hab das nie bereut. Ich hab nur gemerkt, dass ich auf der Ebene nicht weiter kämpfen oder leben will. Ich kann das - aber ich wollte es nicht. Autor: Renate Trobitzsch hat ihren Besitz verschenkt, nur mit zwei Koffern ist sie in die Naunynstraße gezogen. Die Frau mit der Nickelbrille wirkt asketisch auf mich. Die Namen ihrer ehemaligen RAF-Mandanten will sie mir nicht nennen. Das sei nicht wichtig. Im Internet finden sich einzelne Hinweise, sie hat ein Buch über die Haftbedingungen geschrieben, eine Nachrichtenagentur hat sie zitiert. Ich finde aber keine Berichte aus der linksradikalen Szene, keine Worte von Genossen und Genossinnen. Sie erzählt mir von vielen Jahren in der radikalen Linken, in Wohngemeinschaften, im Anwaltskollektiv, in den verschiedensten Gruppen. O-Ton: Trobitzsch Meine Sehnsucht hat mich, denk ich, hingeführt. Also in Gemeinschaft zu leben, aus Funktionen möglichst raus zutreten, sondern ganz Mensch zu sein. Also ich nenn das immer Rund werden. Musikzäsur O-Ton: Trobitzsch Dazu kommt, dass ich jetzt in einer Gemeinschaft lebe, wo die Spiritualität im Alltag auch spürbar ist und lebbar ist. Und das hab ich vorher noch nie so gehabt. Ich selber komme aus der Arbeiterklasse, bin auch aufgewachsen in einem typischen Arbeitermilieu. Glauben hat in meinem Leben, in meiner Kindheit, Jugend und frühem Erwachsenenalter keine Rolle gespielt. Also, Glauben im Sinne von Kirche, oder auf den Begriff Gott bezogen. Ich hab Respekt vor dem Glauben anderer gehabt, aber für mich war das keine Größe, in der ich gedacht habe. Autor: Nach den Jahren des politischen Kampfes hat sie etwas anderes gesucht, und dann an den Straßenexerzitien von Christian Herwartz teilgenommen. Diese Straßenexerzitien finden seit acht Jahren überall in Deutschland statt. Mehrere Tage lang besuchen die Teilnehmer auch gefährliche und ungemütliche Orte wie ein Cafe auf dem Straßenstrich oder eine Suppenküche für Obdachlose. Zitator: "Zur Einführung erläuterte ich meine Spiritualität der Störung: In unserem zielgerichteten Leben hat Gott, wenn er mit uns sprechen will, oft nur eine Chance, wenn er uns und unsere Pläne stören kann. Dann führte ich in die Suche nach dem persönlichen Namen Gottes ein und bereitete den nächsten Tag mit der Erzählung der Dornbuschgeschichte vor. Mose geht mit der Herde über die Grenze der Steppe in die Wüste. Er sieht einen brennenden Dornbusch und wird über dieses alltägliche Ereignis neugierig, weil der Dornbusch - wie die Liebe Gottes - brennt, aber nicht verbrennt. Mose geht los und bemerkt, dass er sich ... auf heiligem Boden befindet. Sofort muss er den alltäglichen Abstand zur Realität, seine Schuhe, ablegen, um die Sinne zu öffnen. Mose hört das Schreien seines Volkes und bekommt den Auftrag, dorthin zurückzukehren. Er soll an der Befreiung und Selbstfindung seines Volkes mitwirken." Autor: Bei den Straßenexerzitien hat Renate Trobitzsch die Bibelstelle über Lots Frau gelesen, die sich verbotenerweise umdreht und zur Salzsäule erstarrt ... O-Ton: Trobitzsch Ich kann Bibel nur so lesen, darin den liebenden Gott zu sehen, der lebensbejahend ist. Und dann ist es eine große Kraftquelle. Wir hatten jemand bei uns, der hat, glaub ich, ein Jahr nicht gesprochen. Das war aber nicht die Sprachschwierigkeiten, wegen Fremdsprache, sondern eine Verschlossenheit, dessen Gründe ich nicht kenne. So. Und es fing schon an kribbelig zu werden! Weil irgendwie muss da ja mal was passieren! Dann kam eine Frau zu uns, aus der Abschiebehaft für eine kurze Zeit, auch eine Afrikanerin, und darüber wurde dieses Eis gebrochen, die Person hat von dem Tag angefangen zu sprechen. Das war eine Freude. O-Ton: Capita Ich komme aus Cabinda, Cabinda ist ... Kongo-Brazaville und Kongo Kinshasa, und ist eine kleine Land, und dieses kleine Land war früher eine portugiesische Protektorat von ... Autor: Batolomeua Capita erzählt auf meine Frage nach seinem Leben sofort die Geschichte seines Landes. Der 46 Jahre alte Angolaner wirkt gemütlich, geradezu bedächtig. Heute ist er erst am späten Vormittag aufgestanden, die Nacht, so erzählt er mir, hat er am Computer verbracht. Um eine Monographie über sein Heimatland zu schreiben. Capita kommt aus Cabinda, einer rohstoffreichen angolanischen Exklave im Kongo. Das Engagement für die Unabhängigkeit Cabindas von Angola habe sein Leben bestimmt. Als er im Kongo studierte, sei er von Angolanern gekidnappt worden: O-Ton: Capita Und ich war in Gefängnis dort, weil ich war die Kopf von diese Demonstration, ich habe viele Monate in Gefängnis, ... weil Angola hat mich genommen in Straße, hat gemacht eine Kidnapping und haben mir geschlossen in Botschaft. Und Uno und Botschaft von Amerika hat viel gemacht ... .. Autor: Schnell erscheint sein Leben als Odyssee, das Apartheid Regime Südafrika habe ihn in den frühen 80er Jahren zum Militäringenieur ausgebildet, um gegen Angola zu bekämpfen, doch Capita entschied sich gegen den bewaffneten Kampf: O-Ton: Capita Und diese Flüchtlinge in Kongo Kinshasa haben mir gesendet in Europa für diese Arbeit was ich mache, sprach über Cabinda und frage die europäische Regierung für eine gute Solution für Cabinda. Autor: In Portugal hatte er ersten Kontakt mit den Jesuiten aufgenommen, der Jesuitische Flüchtlingsdienst in Berlin schickte ihn dann zur Kommunität in Kreuzberg. O-Ton: Capita Ja, das ist sehr, sehr freundlich hier, und ich habe eine große Hilfe von diese Haus, und für Schlafen, Essen. Gibt es auch eine Humanitarian. Warm! und ich habe diese große Hilfe von der Gemeinde in der Naunynstraße. Autor: Und auch Bartolemeu Capita hat seine eigene Zeit und seine Wünsche für die Zukunft fliegen hoch. Capita möchte die deutsche Regierungspolitik gegenüber Angola ändern! Aber einstweilen fehlt es ihm noch an deutschen Sprachkenntnissen. Die Gemeinschaft in der Naunynstraße ist eben auch ein Ort der Möglichkeiten, hier findet sich Zeit für kleine Schritte auf dem Weg zu großen Zielen. Musikzäsur O-Ton Reichwein Ich wollte nicht nur für Flüchtlinge arbeiten und selber im relativ großen Wohlstand leben mit einem gesicherten kirchlichen Hintergrund, so wie es in Charlottenburg der Fall war im Ignatiushaus der Jesuiten dort, sondern ich wollte selber auch ein wenig Ungesichertheit in meinem eigenen Leben spüren. Autor: Fast jungenhaft wirkt Andreas Reichwein auf mich, mit seiner offenen, manchmal auch unsicheren Freundlichkeit - trotz seiner 47 Lebensjahre und der Verantwortung, die sein früherer Beruf ihm abverlangte. Er arbeitete für den Jesuitenflüchtlingsdienst als Pfarrer im Berliner Abschiebegewahrsam Grünau. Heute lebt der Jesuit in der Kommunität, zurzeit arbeitslos, weil sein Arbeitgeber seinen Wunsch nach einer Halbtagsstelle nicht erfüllen wollte. O-Ton: Reichwein Zunächst mal möchte ich hier eine Zwischenzeit verbringen, vielleicht nur ein Jahr, es ist eine Zeit, wo ich gewissermaßen mal Arbeiterpriester auf Zeit sein möchte. Es schwebt mir vor eine Tätigkeit über eine Zeitarbeitsfirma, im Bereich, was auch immer Lagerarbeit, Transport, Einzelhandel ... . Autor: Häufiger spüre ich in seinen Worten eine Atemlosigkeit, eine ungewöhnlich leidenschaftliche Suche. Denn wer riskiert heute schon seine sichere Stelle für ein kleines Zimmer in einer Wohngemeinschaft und die Perspektive auf Hilfsarbeit. Reichwein sieht in Christan Herwartz einen Propheten, der eine besondere Form der Mitmenschlichkeit lebt. O-Ton: Herwartz Ich denke, du musst die Armut sehen, die wir hier leben, nämlich die, nichts professionell zu tun, also, es ist ja wichtig, dass ein Arzt, ein Sozialarbeiter Dinge professionell tun, befähigen, und die Kommunität hier sucht eine Freundschaft, sucht Freundschaften, also, du kannst für deine Frau nicht Arzt sein, nicht professionell sein, das geht nicht. Und so können wir das auch nicht! Und wenn wir das tun, ist schon der Wurm drin! Dieselbe Gefahr besteht hier, wenn zu viele Menschen kommen, die nur "Für" machen wollen, dann ist es kaputt! Und die gibt es! Die gibt es auch unter uns! Partiell und ganz! ( ... ) Die für Dich was machen wollen, weil du so ein armer Tropf bist! Und religiös gesprochen, wenn du anfängst, für Gott zu helfen, für 'Gott was zu machen, für - dann stellst du dich über Gott! O-Ton: Herwartz Und aus diesem Prozess, aus diesem opfern, aus diesem Helfersyndrom auszusteigen, ist ein menschlich lebenslanger Prozess. Man tapst dort immer wieder rein. Und warum tapst man dort immer wieder rein, weil man sich für so großartig hält, wenn man sich aufopfert. Und diese Großartigkeit zu durchschauen, und zu merken, dass sie menschenverachtend ist. Das Schwierige ist ja immer man selbst, mit sich selbst zusammenzuleben, ist ja eine Katastrophe, oft genug. Durch welche Irrtäler man da durch geht. Musikzäsur O-Ton: Herwartz bei Demo Ich habe es übernommen, euch zu begrüßen, ich bin Christian von der Gruppe Ordensleute gegen Ausgrenzung, wir stehen hier alle Vierteljahr, seit Beginn, seit dieses Gebäude beschickt worden ist. Und seitdem, vor 13 Jahren, stehen wir hier, und machen eine Mahnwache, weil wir sagen: Das ist Unrecht ... . Autor: Fast hundert Menschen stehen mit Christian Herwartz vor dem Abschiebegewahrsam der Polizei in Berlin Köpenick. Die Gruppe entrollt ein 15 Meter langes Transparent mit den Namen der Menschen, die an den deutschen Grenzen oder im Abschiebeverfahren umgekommen sind. O-Ton: Herwartz und Frau Josuiff, 41 Jahre, Suizid durch ertrinken ... Andere: Michael, Tod durch Erhängen (Auto) C: Layamal Candi, Tod nach Brechmittelabgabe C ... Moldawierin, erfroren an der deutschen Ostgrenze ... Autor: Die Lebensbedingungen im Berliner Abschiebegewahrsam haben sich verbessert: Die Innengitter wurden abgebaut, Minderjährige und Schwangere sollen nicht mehr abgeschoben werden. Die Zahl der Einsitzenden sank um die Hälfte auf 70 Menschen. Hauptgrund: Viele Flüchtlinge stellen gar keinen Asylantrag mehr, seit sie nach neuem Gesetz auf der Ausländerbehörde von der Polizei festgenommen werden können. Die Zahl der Illegalen in Deutschland wird vom Jesuiten Flüchtlingsdienst auf bis zu eine Million Menschen geschätzt. O-Ton: Herwartz Wir sind Fundamentalisten, richtig, wir sind Fundamentalisten. Dieses Gefängnis ist in sich unrecht, jede Verbesserung darin, ändert nichts daran, dass dieses Gefängnis in sich Unrecht ist. Menschen, die gar nicht ... abgeschoben werden können, werden von den Politikern, oft mit Lügen, darin gehalten. Autor: Christian Herwartz sieht in den sogenannten Illegalen die neuen Arbeitsmigranten und fordert ein Bleiberecht für alle. Er sieht die Immigranten als Opfer des westlichen Kapitalismus. Musikzäsur Autor: Im Jahr 2004 erschien zum 25ten Geburtstag der Kommunität ein Buch über die Wohngemeinschaft: Mitbewohner, Freunde und Kritiker schreiben über den Alltag. Gastfreundschaft lautet der Titel. O-Ton Herwartz: Weil wir können die Bibel ja an manchen Punkten gar nicht mehr verstehen, weil es völlig selbstverständlich ist, die Gastfreundschaft in der sie gelebt haben, und das ist so ein Grundaxiom in der Bibel. Und erst recht vom Lot ... also lieber seine Tochter zum Missbrauch freizugeben als die Gäste nicht zu schonen, das ist doch ein unglaublicher Vorgang. Autor: Im 1. Buch Mose wird die Geschichte von Lot erzählt. Als einziger entgeht der Rechtschaffene der Vernichtung von Sodom und Gomorrha. Zwei männliche Engel kehren bei Lot ein, erregen aber das sexuelle Interesse der Sodomiten. Zitator: "Ach liebe Brüder, tut nicht so übel! Siehe, ich habe zwei Töchter, die wissen noch von keinem Manne; die will ich herausgeben unter euch, und tut mit ihnen, was euch gefällt. Aber diesen Männern tut nichts, denn darum sind sie unter den Schatten meines Daches gekommen." O-Ton: Herwartz Menschen gegen Menschen auszutauschen und ermorden zu lassen, ist etwas Undenkbares für uns. Und seitdem Abraham seinen Sohn nicht geopfert hat, ist völlig klar, dass Menschenopfer illegitim sind, egal, welcher. In der Geschichte von Lot, der in Bedrängnis ist, seine Gäste zu schützen, und in diesem Zusammenhang, seine Töchter anbietet, zu vergewaltigen, ist für mich die Grundaussage dieses hohen Wertes der Gastfreundschaft. Nicht unbedingt sein Handeln. ... . Und ich denke, ohne diese Gastfreundschaft ist christlicher Glaube nicht verständlich. Atmo: Herwartz liest die Messe Der Vater und der Sohn und der heilige Geist ... Der Herr sei mit euch ... Gemeinde: Und mit deinem Geiste ... . ... Autor: In der Gemeinde St. Michael in Kreuzberg liest Herwartz die Messe Atmo: Herwartz liest die Messe Lasst uns bereit werden, und Gott bitten, dass er uns bereit macht Herr erbarme die ... Christus erbarme dich ... . Herr erbarme dich Autor: Wenn Herwartz die Messe liest, dann spricht er mit verschiedenen Stimmen, springt zwischen Pathos und alltäglicher Sprache wehrt sich gegen die Litanei des hohen Tons ... . Atmo : Herwartz und Gemeinde Sag mal, ich suche Gott, wo kann ich den finden hier in Berlin? Bist du diese Woche gefragt worden (Ne) Hast vielleicht Glück gehabt, oder auch nicht (Lachen) ... Atmo: Messe/Gesang Zieh die weiten Schuhe aus, heilig ist der Boden, sei ganz wach und sei ganz Ohr ... .Ich bin Jahwe, ich bin da, der dich liebt und kennt ... . O-Ton: Herwartz Du wirst deine Frau, ich weiß nicht, ob du verheiratet bist, aber wenn du verheiratet bist, nicht aus einer Barmherzigkeit heraus lieben, sondern da ist etwas anderes. Und das mein ich mit Glauben, also, diesen darunter liegenden Glauben und die Liebe zu entdecken, die fiel tiefer liegt, als eine Moral. Und kirchlich, die Menschen erleb ich oft noch in diesen Fängen der Moral. Atmo Herwartz Messe: Ihr erinnert euch, dass Jahwe gesagt, zieh deine Schuhe aus, denn da, wo du bist, wo ich mit dir sprechen will, ist heiliger Boden: Und heute können wir diesen heiligen Boden hier ganz darstellen und alle Kinder in die Mitte bitten. Mensch, wo ihr seid, da ist was Besonderes! Autor: Worte wie heilige Gebote, fast prasseln sie auch die Zuhörenden. Die Sprache ist eine Waffe. Aber keine ungefährliche, gerade für den Sprechenden. Christian Herwartz schreibt mit Selbstzweifeln über sein Verhältnis zu Sprache und Identität. Schließlich wechselt ein Arbeiterpriester nicht nur die Kleidung, wenn er in anderen Welten lebt: Zitator: Über das Eintauchen in die unterschiedlichsten Kontexte begann ich nach meiner persönlichen Identität zu fragen. Welche war meine persönliche Sprache? Funktionierte ich nur noch in den verschiedenen Sprachspielen? Autor: Da spürt man die Angst vor der eigenen Rhetorik, vor der Brillanz der jesuitischen Rede, der Freude an Paradoxa und Wortgewittern, die den Redenden vielleicht auch mitreißen können. Gegen dieses Charisma, das Bewunderer schnell verzaubert und Eitelkeit wecken kann, scheint manchmal nur das Simple zu helfen. O-Ton: Herwartz Na, wenn man die Bibel liest, dann ist sie klassenkämpferisch, also Jesus warnt seine Jünger davor, so zu werden, wie die Herrschenden. Und Jesus kuckt immer wieder auf die, die nicht angekuckt werden sollen, ob es nun Prostituierte sind oder Kranke oder Blinde oder Aussätzige, die stellt er in den Mittelpunkt ... . Und eben die Augen geöffnet durch eine Entscheidung, zu wem ich stehen will, ob ich zum Menschsein stehen will oder zu meinen Privilegien. Musikzäsur Autor: In den 50er Jahren hatte der Papst die Bewegung der Arbeiterpriester verboten. Ganz im Zeichen des Antikommunismus des Kalten Krieges erregte die Annäherung an linke Parteien und Gewerkschaften den Zorn der Kirchenhierarchie. O-Ton: Herwartz Das kann ja nur von Leuten gesagt werden, die das Evangelium nicht kennen, oder nicht kennen wollen. Und im Nachhinein weiß ich ja, dass die Arbeitgeber dahinter gesteckt haben, die Druck gemacht haben, dass Anfang der 50er Jahre dieses Verbot ausgesprochen worden ist. Autor: Weltweit gibt es heute um die 1000 dieser Arbeiterpriester, die meisten in Frankreich. Mittlerweile haben sich die Arbeiterpriester auch den Laien und Frauen geöffnet, in Deutschland gibt es rund 50 dieser Arbeitergeschwister. Sie sind manchmal Betriebsräte und viele suchen Beschäftigung in neuen Arbeitsformen wie der Zeitarbeit. Christian Herwartz arbeitete 21 Jahre bei Siemens, im Lager und an der Drehbank. Atmo: Drehbank Autor: Herwartz fertigte Einzelteile von ausgelaufenen Produktionen: Zum Beispiel Bremsen für Bergwerke und Ampelanlagen. O-Ton: Herwartz Es durfte überhaupt nicht bekannt werden, dass ich Priester bin, sonst hätte ich keine Arbeit gefunden ... im Inneren ist es mir nicht um priesterliches Handeln gegangen, sondern um dem Ruf Gottes zu folgen, auch nicht wissend, bis zu meiner Rente nicht wissend, warum. Atmo: Werkhalle Autor: 2000 Beschäftigte arbeiten hier, Streiks bleiben selten, Herwartz wurde zum Vertrauensmann gewählt, er sitzt auch im Berliner Parlament der Gewerkschaften O-Ton: Herwartz Widerstand im Betrieb ist wichtig, da wo die Rechte von Kollegen, oder eigene Rechte beschnitten werden, und dem Kapital alles geopfert wird. Atmo:Stimmen ... . Polizei: ... Das war's meine Herrn! ... 2. Zug: Räumen! O-Ton: Herwartz Also ich habe die Anzeige bekommen, weil ich vom Werk aus, eine Demonstration angeführt habe, auch ordnungsgemäß beendigt habe. .... Aber ein Polizist meinte, einen türkischen Kollegen zu treten, und dann kamen gleich auch noch mehr, so dass es 15 Verletzte waren. Ohne jeden Grund . Und auch der Leitende Polizist hat mir gesagt, ohne jeden Grund, er hat mir später gesagt, dass waren Leute von den Reps, also von den Republikanern, diese Polizisten, die hatten einfach ihren Rassismus ausgelebt. Ich habe eine Anzeige bekommen, wegen Polizistenbeleidigung. Die Beleidigung bestand darin, dass ich einer Polizistin gesagt habe, sie sollte diese verrückt gewordenen Kollegen nicht noch schützen. Das war eine Beleidigung für sie, damit ist sie durchgekommen. Ich bin verurteilt worden, und habe zehn Tage dafür im Gefängnis gesessen. Atmo O-Ton: Herwartz Und das ist vielleicht einer der bewegendsten Minuten, in meinem ganzen gewerkschaftlichen Handeln, dass mich dieser Kollege, der da angegriffen worden ist, verabschiedet hat mit den Worten: Der Christian ist ein Löwe, der geht für uns Türken ins Gefängnis! Atmo O-Ton: Herwartz Also, das ist so, dass in Berlin, weiß ich nicht, ob das anderswo genauso ist, der Abstand zur Kirche von der Arbeiterschaft in der Regel sehr, sehr groß ist. In der Gewerkschaft ist das nur ein Lachen, wenn man von Kirche hört. Meine Kollegen, haben in der Regel in einem anderen Stadtteil gewohnt, ich habe einen kennen gelernt, der auch in Kreuzberg gewohnt hat, aber sonst haben sie mir gesagt: Solange du in Kreuzberg wohnst, da besuchen wir dich nicht. Und so auch dieser Kontakt in der Zeit der Nichtarbeit ganz spärlich war. Autor: Und so missionierten die Kreuzberger Jesuiten nicht nur die Arbeiterklasse, eine Heimat fanden sie auch in der radikalen Linken, bei den Protesten für ein so genanntes "Bleiberecht für Alle" und seit den späten 80ern im Engagement für die Inhaftierten der RAF. Atmo Zitator: "Im Frühjahr 1989 versuchte eine Gruppe von 50 politischen Gefangenen ihre Haftsituation durch einen Hungerstreik zu verbessern." O-Ton: Herwartz Jesus hat nicht gesagt, weil die Gefangenen oder Hungernden bessere Menschen sind, deshalb bin ich in ihnen anwesend in einer besonderen Weise. Sondern er hat es einfach so gesagt, dass die Ausgrenzung die Chance ist, unser Verhältnis zu Gott zu finden, und ich deute das so, dass wir vor Gott eben nichts vorbringen können, weshalb wir so großartig sind, dass er sich mit uns beschäftigen soll. Sondern dass wir arm sind. Und da sind diese Menschen, die in der Gesellschaft beiseite geschoben werden, eine dicke Erinnerung da dran, was es bedeutet arm zu sein. Zitator: "In den Weihnachtstagen entwarfen wir einen Brief an alle 50 Gegangenen. Mir wurde klar, diese Menschen standen nun vor der Tür unserer Herberge, und sie suchten Einlass, ähnlich wie Maria und Josef vor 2000 Jahren in Bethlehem." (Lukas 2,7) O-Ton: Herwartz Es gibt zwei Sachen, einmal dass Gott sich einen Mörder aussucht, um das Volk aus Israel zu befreien, nämlich Mose. Autor: Im 2. Buch Mose heißt es, dass Mose, im göttlichen Auftrag, die Anhänger des "Goldenen Kalbes" vernichtet. Dreitausend Menschen werden getötet. Im vierten Buch greift Mose die Midianiter an. Abgeschlachtet werden alle Männer, männlichen Kinder und Frauen ohne Jungfernhaut. Die Jungfrauen dürfen als Sklavinnen dienen. O-Ton Herwartz: Also für Gott ist diese moralisierende Sichtweise nicht entscheidend und wenn man sich ihm nähert, dann hofft man auch davon befreit zu werden. Das Zweite ist für mich: Die Leute von der RAF sind keine besseren Menschen. Richtig. Aber sie haben etwas ganz ähnliches wie ich, sie wollen Missstände also nicht stehen lassen und sich damit abfinden. Und sie haben es auf ihre Weise versucht. Autor: In unserem ersten Gespräch erzählte Christian Herwartz von seinem Vater, dem Bauingenieur. Im Buch der Gastfreundschaft hat er seine Vergangenheit genauer beschrieben und schreibt von sich selbst in der 3. Person. Zitator: "Der Vater war nach einer Zeit auf dem Bau wieder Kapitän bei der Bundesmarine. Er selbst ging dann für zwei Jahre zur technischen Truppe und wurde Reserveoffizier. Berufsziel war Maschinenbauingenieur in der Entwicklungshilfe." Autor: Der Jesuit Christian Herwartz war einmal Bundeswehroffizier. O-Ton: Herwartz Ich bin für zwei Jahre gegangen ... und damit konnte ich die Offiziersausbildung mitmachen. Und habe Menschen anvertraut gekriegt in den verschiedenen Dienstgraden und das war etwas, in meinem Minderwertigkeitskomplex, was mich weitergeführt hat. Und insofern war es ein starker Impuls, das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Autor: Sein Vater, Oskar Maria Herwartz, diente unterm Hakenkreuz als Kapitän des U- Bootes U 843, das in Südostasien Einsätze fuhr. Am 8. April 1945 wurde das Boot angegriffen und sank. 46 Besatzungsmitglieder starben, Kapitän Herwartz überlebte. O-Ton Herwartz: Mein Vater war kein Militarist, ganz bestimmt nicht. Klar, er hat Ideen gehabt, dass es notwenig ist, sich als Volk zu verteidigen ... Und in der Situation von Ost und West sind bestimmt Einflüsse dieses Kalten Krieges mit drin gewesen. Da war immer Respekt. Das war kein Problem. Ich denke, dass wir trotzdem bis zum Ende nicht über dieses Dritte Reich reden konnten. Autor: Im Wohnzimmer der Jesuitenkommune hängt ein Photo des Vaters O-Ton: Herwartz Mir hat mein Vater, durch sein Leben und seine Reflektion beigebracht, dass es Werte gibt, die man nicht verschleudern darf. Und dass es gut ist, in dieser Weise konservativ zu sein, und diese Erfahrung hab ich mitgenommen. Aber mir ist klarer geworden, auch durch meine eigene Erfahrung, das ist nicht mein Weg. Und auch meinem Vater ist es klarer geworden, nicht immer höher zu steigen im Militär. Irgendwann hat er abgelehnt, sich befördern zu lassen. Und war froh, dass er den Wechsel bekommen hat, um dann mit Menschen anders umzugehen. Musikzäsur O-Ton: Herwartz Ich bitte Gott, aber auch uns selbst, dass wir das Leben, in diesem Teil von Deutschland an dem ehemaligen Geburtstag der DDR mehr achten lernen ... Und vielleicht können wir dazu singen, "Wo zwei oder drei zusammenstehen" Atmo: Gesang Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter Ihnen. Absage: Soldat Gottes im Kiez Über die Kommune der Arbeiterpriester in Kreuzberg Ein Feature von Peter Kessen Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2008 Es sprachen: Gregor Höppner und Bruno Winzen Ton und Technik: Karl-Heinz Stevens und Petra Pelloth Regie: Thomas Wolfertz Redaktion: Karin Beindorff Musikzäsur 24