"Es geschah ... im Geldbeutel" Von der Ost- zur Westmark ? das Beispiel Freyenstein Von Michael Frantzen - Skript - A 01 Geräusch von Kasse OT 01 (Söffing) "Na, nu sagen se mal: Über watt wollen se mit mir reden." AUT Über die Währungsunion. OT 02 (Engel) "Frau Neumann. Kommen se mal! Frau Neumann, jetzt muss ick ihnen mal watt erklären. Wissen se, watt se mit uns machen wollen? (Frau Neumann) Nä. (Engel) Währungsunion?! Haste davon watt gehört? (Frau Neumann) Die Währungsunion gibt's (lacht) seit zwanzig Jahren. (Engel) Darüber wollen wir sprechen. (Frau Neumann) Na, dann sprechen wir darüber. (lacht)" AUT Wie das damals war, auf den Tag genau vor zwanzig Jahren. OT 03 (Engel) "Ditt war nen Sonntag, nä?!" OT 04 (Bodo Neumann) "War nen Sonntag. (lacht) Es war nen Sonntag. Ja! Erinnere ich mich. Es war schönes Sommerwetter." AUT Als die D-Mark nach Freyenstein kam. OT 05 (Thieme) "Freyenstein liegt am Ende der Welt. Son Nest." AUT In der Ostprignitz, im nördlichsten Zipfel Brandenburgs. Ein mittelalterliches Schloss gibt es hier, samt Schlosspark, den sie gerade für 375.000 Euro auf Vordermann gebracht haben; einen archäologischen Park. Und rund tausend Einwohner. OT 06 (Söffing) "Das war ne sehr bewegte Zeit damals. Wir haben ja auch kein Tagebuch geführt, datt muss man ja auch jetzt mal sagen." AUT In Freyenstein. Es waren turbulente Zeiten ? damals. Besonders für sie hier: OT 07 (Strohschein) "Mein Name ist Silvia Strohschein, ich bin Kundenberater hier in der Sparkasse Wittstock. Ich hab am 1. Mai 1988 angefangen in Freyenstein in der Filiale." AUT Waren noch andere Zeiten. Wie überall in der DDR ist die Produktpalette bei der Sparkasse Freyenstein überschaubar. Es gibt: Ein Girokonto. Und ein Sparbuch. Und 3,25 Prozent Zinsen. Standardmäßig. Die werden fein säuberlich in sogenannte Journale eingetragen. Handschriftlich. A02 Geldzählmaschine AUT Gemächlich ist es zugegangen in der Sparkasse. Erinnert sich Silvia Strohschein. Doch mit der Ruhe ist es am 1. Juli 1990 vorbei. OT 08 (Strohschein) "Schlangen gab's schon. Natürlich gab's Schlangen. Waren sie in der Geschäftsstelle in Freyenstein? Gut! Dann kennen sie ja den Vorraum, die Treppe, wenn man rein kommt. Da haben die Kunden schon gestanden. Jeder wollte eben das neue Geld haben. Jeder wollte einkaufen, wollte sich seine Wünsche erfüllen. Es war schon wirklich nen langer Arbeitstag. Gerade auch am 1.7., wenn dann die neue D-Mark da war. Mussten wir natürlich gucken: OK, wie machen wir's mit den Beständen, wie bestücken wir die Kaufhalle? Weil: Sie müssen sich vorstellen: Die Türen gehen auf. Die Kunden holen sich das Geld und als Erstes: Ja, jetzt gucken wir mal, was es dafür für schöne Sachen gibt im Lebensmittelladen." OT 09 (Engel) "Erst war ett euphorisch. Richtig! Jeder hat gedacht: Jetzt geht's voran. Die Ernüchterung kam viel später. In den ersten Jahren hat man wirklich gedacht: Wird schon werden. Und die werden uns schon helfen. Der Helmut Kohl ? der wird uns schon nicht in Stich lassen. So ungefähr." AUT Dachte sich der Ortsvorsteher, ein gedrungener Mann mit festem Händedruck. OT 10 (Engel) "Mein Name ist Manfred Engel. Ich bin ein echter, ein richtiger Freyensteiner. Geboren sogar in der Marktstraße 17, wohne auch noch in der Marktstraße 17. Und da werde ick och wohl, wenn nix passiert, sterben." AUT Bodenständig sind sie hier. Und nicht so schnell aus der Fassung zu bringen. Das ist bei der Währungsunion auch so. Engel jedenfalls wartet erst einmal ab, bis sich die Schlangen vor der Sparkasse gelichtet haben. Und schickt lieber seine Frau zum Einkaufen in die Kaufhalle. OT 11 (Engel) "Ick persönlich habe nich so viel mit Einkaufen. Früher nich und heute nich so zu tun gehabt. Datt überlass ick den Damen. Die verstehen da mehr, wo se hingehen müssen." (lacht) OT 12 (Neumann) "Ick kann mich noch erinnern, dass unsere Kaufhalle...dass da die Verkäuferinnen bis mitten in die Nacht gearbeitet haben, weil doch das Ganze Produktionssortiment rigoros verändert wurde." AUT Wenn man so will, ist Christine Neumann der gute Geist von Freyenstein. Die Anfang 50jährige leitet die Bibliothek, den archäologischen Park, das Tourismusbüro. Und redet nebenbei noch dem Ortsvorsteher gut zu, wenn der mal wieder ein bißchen Zuspruch braucht. Alles in Personalunion. Hätte sie sich auch alles nicht träumen lassen. Für die quirlige Frau mit den funkelnden Augen kommen Wende und Währungsunion wie gerufen. Als der DDR die Puste ausgeht, hat Neumann gerade ihren Job im Obertrikotagenwerk im nahegelegenen Wittstock verloren. Zwar gibt es im "Arbeiter und Bauernstaat" offiziell keine Arbeitslosigkeit, doch das kümmert die DDR-Oberen herzlich wenig, wenn jemand "politisch fragwürdig" ist. So wie Neumann. Konnte einfach nicht ihren Mund halten. Meint sie. Aber das zählt am ersten Juli 1990 nicht mehr. OT 13 (Neumann) "Als wir alle mit D-Mark bezahlen konnten, mussten, durften, gab es auch vollkommen neue Produkte in den Regalen. Und die Euphorie war eben groß. Das fing an bei verschiedenen Yoghurtsorten bis zu allen anderen Sachen. Das weiß ich schon noch, dass man da ganz schön gestaunt hat. Und gesagt hat: Was es da jetzt alles gibt! Und was mir auch aufgefallen ist, was ganz extrem war: Da waren dann die Zeitungen. Also diese vielen bunten Blättchen. Und in der Kaufhalle waren die auch immer gleich vergriffen. Es war alles bunt. Und verlockend. Und unübersichtlich." OT 14 (Thieme) "Alles aus dem Westen, ja!" AUT Mit der Währungsunion ändert sich nicht nur die Währung in Freyenstein: Auch die Waren werden andere. West-Waren! Persil statt Spee; Nutella statt Nudossi; Ferrero Küsschen statt Haloren Kugeln. Die eigenen Produkte sind zu D-Markpreisen nicht mehr konkurrenzfähig. Sagen die Händler. Nicht allen schmeckt das. OT 15 (Thieme) "Mein Name ist Anita Thieme. Ich bin 56 Jahre alt und seit 1973 hier in Freyenstein. Und dann hab ich 1976 in der Bäckerei Wolfenburg als Verkäuferin angefangen." AUT Bis 2001 arbeitet Anita Thieme in der Bäckerei. Kein leichtes Brot: Ihre Chefs, sagt sie, seien nicht unbedingt "Menschenfreunde" gewesen. Sehr viel Druck habe es gegeben. Und wenig aufmunternde Worte. Das ist schon zu DDR-Zeiten so. Und mit der Währungsunion wird es nicht besser ? im Gegenteil. OT 16 (Thieme) "Noch mehr Arbeit. (lacht) Noch mehr Arbeit. Erst Mal kam vieles Neues auf uns zu. Ob an Technik, ob an Materialien. Wir hatten zu DDR-Zeiten so immer unseren Stamm. Spritzkuchen, Pfannkuchen, Schnecken. Mischbrot, Schrotbrot. Und nachher gab's alles: Körnerbrote. Und Backwaren. Viel mehr Sorten. Es gab ja Körnerbrötchen ohne Ende. Ah! Fürchterlich. Und das war halt früher nicht so. Wir hatten noch mehr Arbeit. Wir mussten zum Einräumen noch viel früher kommen. Und manchmal ist es dann eben nicht bei acht Stunden geblieben, dann wurde das immer mehr." AUT Überstunden hat in der Zeit um den ersten Juli auch Silvia Strohschein gemacht ? in der Sparkasse in Freyenstein. A 03 Geld wird gezählt OT 17 (Strohschein) "Sie müssen sich das vorstellen: Wenn sie Berge von Geld auszahlen und das Geld frisch gedruckt ist, dass das dann schon nen komisches...man muss das dann wirklich...das ist ganz glatt. Man hat diesen Schein, statt zwei dreimal angefaßt, ob man nun einen Schein hat. Und von der Größe und der Farbe war's ja doch immer anders. Und dann rüber gegeben. Es war schon nen seltsames Gefühl." A04 Geldzählmaschine AUT Über die DDR ergießt sich am 1. Juli 1990 ein warmer Regen: Rund 25 Milliarden D-Mark gehen zwischen Rostock und Zwickau nieder. 600 Tonnen Papierscheine und 500 Tonnen Münzen läßt die Bundesbank in gut 50 LKW-Ladungen vom Westen in den Osten schaffen. Preise und Löhne werden im Verhältnis 1:1 umgestellt. Sparguthaben je nach Alter des Kontoinhabers bis maximal 6000 Mark ebenfalls. Kinder bis 14 Jahren können höchstens 2000 DDR-Mark zu einem Kurs von 1:1 umtauschen, Personen von 15-59 Jahren bis zu 4000 Mark, alle über 60 maximal 6000. Für jede Summe, die darüber liegt, gilt ein Kurs von 2:1. OT 18 (Engel) "Gab ett dann ja auch viele, die haben spekuliert. Die haben den anderen...ett war ja gleich klar: Christine, wie war dett? Mit den 6000 Mark? (Neumann) Bitte? (Engel) 6000 Mark konnte man umtauschen? (Neumann) Weiß ich nich. Hatte nich so viel. Ich hatte da keine Sorgen. (lacht) (Engel) Doch! (Neumann) Ja, das mag ja sein. (Engel) Nä, ick sag bloß: Wie Alfred Hevenbrock, der hat denn vom Bäcker die 6000 Mark sich genommen, weil er die 1:1 umtauschen konnte. Datt haben die denn irgendwie verrechnet. Da haben dann viel so spekuliert." AUT So etwas wäre "Christine" nicht in den Sinn gekommen. Sind doch anständige Leute. Sagt Christine Neumann und lacht. Von ihrem ersten Westgeld kauft sie sich Fliesen. Fürs Bad. Viele andere wollen etwas ganz anderes: Ein Westauto. Der Nachholbedarf ist enorm: 1989 hatten von tausend DDR-Bürgern gerade einmal 235 einen PKW, im Westen waren es mehr als doppelt so viele. Auch Anita Thieme und ihr Mann können der "Versuchung" nicht widerstehen. OT 19 (Thieme) "Das war das Erste. (lacht) Haben wir uns nen Golf bestellt. In Hamburg. So! Dann hieß es: Der Golf ist fertig. Und mein Mann fährt zur Bank (lacht), holt ganz viel Geld, legt es zu Hause auf den Tisch und sagt: Hier liegt unser Auto! (lacht) Dann ist er nach Hamburg gefahren mit nem Bekannten, hat das Auto geholt aus dem Autohaus. Und wie's ums Bezahlen ging, hat er dem Verkäufer dieses ganze Geld gegeben. (lacht) Der hat drei Mal gezählt, wurde noch nicht fertig. Dann hat er (lacht) seine Sekretärin rein gerufen. Dann musste die zählen. Der war ganz fertig. Der hat gesagt: So was hat er noch nicht erlebt." A 05 Auto fährt mit quietschenden Reifen weg AUT Statussymbol Westwagen ? einige Freyensteiner, erinnert sich Bodo Neumann, der Mann von Christine Neumann, lassen sich damals einen Gebrauchten aus dem Westen andrehen, der nach kurzer Zeit seinen Geist aufgibt. "Wenn sie rosten, ab in den Osten" heißt es. Spontankäufe ? so etwas kann Neumann nicht passieren. Der Tiermediziner arbeitet im Juli 1990 für die LPG in Freyenstein, mit mehreren hundert Jobs der größte Arbeitgeber im Ort. Pflanzen- und Tierproduktion. Rinder kastrieren, Schweine impfen, Kälber aufpäppeln ? Neumann hat alle Hände voll zu tun. Doch schon damals ist ihm klar: So wie bisher wird es nicht weiter gehen. Neumann handelt: Nur zweieinhalb Monate nach der Währungsunion wagt er den Sprung ins kalte Wasser ? und macht sich als Tierarzt selbständig. OT 20 (Bodo Neumann) "Dann weiß ich noch, gab's so nen Stichtag, zu dem die Papiere bei der KfW sein mussten. Kreditanstalt für Wiederaufbau. Und die Post der DDR konnte mir nicht garantieren, dass der Brief dann zum Stichtag dort ist bei der KfW ist, mit den Unterlagen. Ja! So ne kuriose Sache: Dann bin ich in den damaligen Westen, sprich nach Ratzeburg gefahren. Habe den Brief dort eingesteckt und habe den Postbeamten gefragt...werde ich auch nie vergessen: Können sie mir wirklich garantieren, dass der wirklich ankommt, zu dem Zeitpunkt. Da hat er mich angeguckt und gesagt: Also, wenn's nach uns geht, ist der Sonntag früh schon da." AUT Ist Verlass ? auf die westdeutsche Post. Der Brief kommt pünktlich an. Zumindest etwas. OT 21 (Söffing) "'90 war nen Jahr...war schlimm." AUT Für Erhard Söffing, den Vorsitzenden der LPG, die sich im Herbst 1990 zur "Agrargenossenschaft Freyenstein" umwandelt. OT 22 (Söffing) "Datt waren alles Sachen. Die waren im Fluss. Da gab ett ne unglaubliche Dynamik. Aussagen von heute ? die mussteste dann teilweise schon einen Tag später wieder revidieren. Weil die politische Entwicklung und die wirtschaftliche...datt war so nicht vorauszusehen. Und sicherlich: Aus heutiger Sicht hat man auch Fehler gemacht." AUT Söffing will damals so viele Arbeitsplätze wie möglich erhalten. Doch schon bald muss er feststellen: Um in der Marktwirtschaft zu bestehen, muss sich die Genossenschaft auf ihr Kerngebiet konzentrieren: Die Landwirtschaft. Die eigenen Maurer- und Schlosserbrigaden; die eigene Tierärzte ? das alles rentiert sich nicht mehr. Viel zu teurer. OT 23 (Söffing) "Wir hatten auch große Probleme, datt kann sich gar keiner mehr vorstellen so richtig: Datt war ja schon im April, Mai so, dass wir keene Schlachtschweine mehr los geworden sind. Und die Schweine waren unendlich schwer: 140, 150 Kilo. So! Die Schlachthöfe, unsere alten Vertragspartner, haben gesagt: Nä! Wir nehmen die nicht mehr. Wenn se jetzt noch Ware verkaufen wollen, dann müssen die Schweine haben, die nen andern Magerfleischanteil haben, somit konnten wir unsere Schweinehälften und Stücke nicht mehr verkaufen." AUT Schlecht für die LPG. Auf nichts ist mehr Verlaß. OT 24 (Trettin) "Die Händler haben uns das Blaue vom Himmel versprochen. Haben das Viehzeug aufgeladen und waren weg. Und nachher kam kein Geld und wurde nachgefragt: Und? Den gab's gar nich. Also solche Sachen sind auch bei uns passiert. Das war so gang und gebe. Oder auch die Getreideernte: Kein Aufkäufer!" AUT Hat er alles mit erlebt ? im Sommer 1990, bei der LPG, Landwirtschaftsökonom Dieter Trettin. Der Anfang 70jährige ist jemand in Freyenstein. Von 1992 bis 2008 war er Bürgermeister, wer etwas erfahren will über den Ort, sagen sie im Dorf, ist bei ihm an der richtigen Adresse. Trettin wohnt am Rande der Ortschaft, nach seinem Haus fangen die Wiesen an, geht der Blick auf sanfte Hügel und Windräder, die sich am Horizont wie überdimensionierte Gurken dem Himmel entgegen strecken. Hier hat er seine Ruhe, sitzt er auf seinem Sofa, auf dem ein Pandaplüschtier mit einem Schlumpf auf Tuchfühlung geht. Und erinnert sich. An das "ganze Chaos" - damals, vor zwanzig Jahren. OT 25 (Trettin) "Das mit Ostmark und D-Mark und das Durcheinander, das war ja höchste Zeit, dass da Schluss war. Es gab ja auch schon einige, die hin wollten zur D-Mark. Direkt aus meinem Kollegenkreis will ich gar nicht mal sagen, aber aus dem Ort doch einige. Die gesagt haben: Hier! Mit unserem Geld ? wir hauen ab, datt bleibt ja alles so schlechte. Wir wollen (lacht)...wir wollen zur D-Mark. Und zogen weg." A 06 Demonstration AUT "Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehn wir zu ihr" ? so reimten 1989/90 Demonstranten überall in der DDR. In den Westen rüber machen ? für Erhard Söffing kommt das nicht in Frage. Der LPG-Vorsitzende will vor Ort etwas bewegen. Den Mund fusselig geredet habe er sich damals. Meint er rückblickend. Vollversammlungen, Gesprächsrunden, die ganze Palette. Seine Leute wollen Antworten; Söffing hat Ideen. Und Sorgen. OT 26 (Söffing) "Die Betriebe, die haben da richtig Geld verloren, datt muss ick ganz ehrlich sagen. Unangenehm war für mich datt Tempo der Währungsunion. Datt war zu überhastet. Da haben wir heute noch drunter zu leiden. Die Menschen in der DDR waren ja eigentlich nicht so weit, dass se ne Währungsunion...ick will jetzt nich sagen: Vertragen konnten, aber der Sache eigentlich nicht gewachsen waren. Es wurde mal nen Ausspruch geprägt: Wir können ja Sozialismus weiter haben, aber mit Westgeld. Und datt eben nachher nicht mehr funktioniert hat. Wenn ich die D-Mark haben will, dann muss ich den Zusammenhang auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nachweisen. Und dazu waren wir nicht in der Lage. Das hat zur Folge gehabt, dass viele Betriebe abgewickelt wurden, insolvent wurden, illiquide wurden." OT 27 (Neumann) "Hier im Ort: Wir hatten ja sowohl im Freyensteiner Schloss eine Produktionsstätte für Obertrikotagen. Das war praktisch eine Außenstelle dieses Werkes. Und es sind sehr viele Freyensteiner Frauen nach Wittstock gefahren zur Arbeit. Weil der Obertrikotagenbetrieb mit über 2000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber hier in der Region war. Danach wurde dieser Betrieb in Teilbetriebe zerlegt. Dann wurden Teile der Ausrüstung ins Ausland verkauft. Es ging dann ganz schnell, dass nichts mehr von diesem Betrieb übrig war." AUT 1992 gehen die Lichter aus bei "OTW", dem Obertrikotagenwerk Wittstock, der Freyensteiner Ableger muss schon ein Jahr zuvor daran glauben. Nicht mehr konkurrenzfähig! Dabei haben sie sogar einmal für C&A und Quelle genäht ? meint Christine Neumann wehmütig, die bis 1989 Abteilungsleiterin im Export war. Schuld an der Pleite von OTW sind die "Wessis". Sagen viele im Dorf. Haben sich ja auch nicht immer von ihrer besten Seite gezeigt ? die lieben "Verwandten" aus dem Westen. OT 28 (Engel) "Da sind schon viele beschissen worden. Hab ick och mal selbst gesehen: Och mit den Versicherungen. Mit den Haustürgeschäften. Also, datt war recht schlimm. Da haben wir ja nicht durchgesehen. Da kamen alles die Herrschaften mit weißen Socken und so...die wollten einen dann wirklich an der Haustür...ick sach mal: Wir haben ja auch als Ossis...klar hat man sich auch von irgend watt überzeugen lassen, von irgendeiner Versicherung, watt hinterher Pillepalle war." AUT Die neuen Zeiten ? sie bescheren den Freyensteinern und anderen Ostdeutschen nicht nur Versicherungsvertreter mit weißen Socken, sondern auch Kriminelle aus dem Westen. Allein in Brandenburg werden von Juli 1990 bis Januar 1991 63 Banken überfallen. Die meisten Täter kommen aus den alten Bundesländern. Die ostdeutschen Geldhäuser sind ein gefundenes Fressen: Schlecht gesichert; ohne Panzerglas, ganz zu schweigen von Video- und Alarmanlagen. Auch die Sparkassenfiliale in Freyenstein bekommt nach der Währungsunion ungewollten Besuch. Christine Neumann denkt mit Schrecken daran zurück. OT 29 (Neumann) "Ich ging aus der Sparkasse raus, mir kam ein Mann entgegen, der hatte noch nen Motorradhelm auf. Und kam da ganz forsch rein. Und höflich wie ich war, hab ich dem noch die Tür aufgehalten. Und hab gedacht: Na, der hat's aber eilig. Und nicht geahnt, dass das der Bankräuber war. Also, das ist bestimmt mehrmals gewesen, also bestimmt sechs, sieben Mal." AUT Neun Mal, um genau zu sein. Die Sparkasse in Freyenstein hat damit einen Titel weg, auf den sie eigentlich ganz gerne verzichten würde: Sie ist die am meisten ausgeraubte Bankfiliale in ganz Deutschland. Silvia Strohschein ? die Sparkassenangestellte - findet das Ganze nicht gerade lustig. Sie ist selbst ein paar Mal ausgeraubt worden. OT 30 (Strohschein) "Ja. Aber zu dem Thema möchte ich nichts sagen." AUT Vor nicht allzu langer Zeit ging sogar das Gerücht um, die Sparkasse könnte ihre Filiale ganz dicht machen ? wegen der Banküberfälle. Noch aber ist sie offen, wenn auch nur an drei Tagen die Woche. Manchmal ganz schön unpraktisch, findet Christine Neumann. OT 31 (Neumann) "Was natürlich schön wäre, aber das ist sicherlich auch wieder ne Sicherheitsfrage: Wenn man einen Kontoauszugsdrucker oder auch einen Geldautomaten außerhalb des Gebäudes hätte. Denn: Man kann nur Geld abheben zu den Öffnungszeiten. Also, wir haben uns schon damit arrangiert. Und der eine oder andere ist ja auch oft in Wittstock." AUT In die gut zwanzig Kilometer entfernte Kreisstadt fahren so und so viele aus Freyenstein. Hauptsächlich zum Einkaufen. Zwanzig Jahre nach der Währungsunion ist in Freyenstein nicht mehr viel los. OT 32 (Engel) "Ja! Unser Ort. Freyenstein. Is nach der Wende ziemlich geschrumpft. Sagen wa mal. Wir haben durch die Wende verloren. Datt kann man wirklich sagen. Früher waren wir ne blühende Stadt. Und wir hatten alle Gewerke. Bäckerei, Tankstelle, alles watt man sich so für ne Stadt vorstellen kann, war in Freyenstein." E33 (Thieme) "Was hatten wir noch? Wir hatten ne Drogerie. Wir hatten nen Milchladen. Wir hatten nen Fischladen. Also, hier war auch immer Leben. Doch. Ehrlich!" A 08 Geldmaschine AUT Zwanzig Jahre Währungsunion ? lange her. Was bleibt, sind die Erinnerungen. An alte Zeiten. Und das alte Geld. OT 34 (Thieme) "Hunderter waren blau. Man vergißt es so schnell. Die DDR-Mark. Ich hatte meinem Schwager zur Silberhochzeit DDR-Mark im Bilderrahmen geschenkt. Also als Scherz. Weil der sich immer beschwert hat, dass an Freyenstein die Wende vorbei (lacht) gegangen ist. (lacht) Und da hatten wir uns noch mal Geld besorgt: DDR-Geld. Um zu sagen: Du, Westgeld geht nicht! Du musst DDR-Mark nehmen." AUT Das nun wirklich nicht! Manfred Engel hebt die Hände. Wenn der Ortsvorsteher einen Wunsch frei hätte, dann würde er eine ganz andere Währungsreform durchführen. OT 35 (Engel) "Die D-Mark würd ick gerne wieder haben. Zum Osten würde ick nie wieder gerne zurück wollen. Bestimmt nicht! Datt sollte Jeschichte bleiben. Nie wieder!" OT 36 (Thieme) "So! Das war's dann halt. Tschüss. Und guten Weg!" Ende 2 1