DEUTSCHLANDFUNK - Köln im Deutschlandradio Redaktion Hintergrund Kultur Essay & Diskurs Barbara Schäfer Essay & Diskurs Zieh Dich an! Über die Banalität der Mode Von Martin Zeyn Sprecherin 1: Tanja Schleiff Sprecherin 2: Janina Sachau Sprecherin 3: Franziska Arndt Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Sonntag, 23. Februar 2014, 09:30 - 10:00 Uhr Sprecherin 3: "In der Mode sein ist eine Sache des Geschmacks; der außer der Mode einen vorigen Gebrauch anhängt, heißt altväterisch; der gar einen Wert darin setzt, außer der Mode zu sein, ist ein Sonderling. Besser ist es aber immer, ein Narr in der Mode zu sein, als ein Narr außer der Mode zu sein." Sprecherin 1: So verteidigt kein Geringerer als Immanuel Kant, nicht gerade bekannt als ein Modenarr, die Scheinwelt von Schleifen und Schnitten. Ein eleganter Satz, von zeitlosem Zuschnitt. Scheinbar. Sprecherin 3: "Besser ein Narr in der Mode zu sein, als ein Narr außer der Mode zu sein". Sprecherin 2: Aha. Was will uns dieser, alles andere als kategorische Imperativ denn nun sagen? Als gäbe es nicht auch modische Sonderlinge. Und was soll das überhaupt sein: Mode? So als wäre die klar definiert? Die Mode, der leicht zu folgen wäre, ist eine Erfindung von Ratgebern, Zeitschriften und Philosophen. Denn: Hilft uns Kant, wenn wir morgens vor dem Schrank stehen? Wenn wir eine komplexe Aufgabe erfüllen: uns anzuziehen. Für die anderen. Für uns. Für diesen Tag. Für das, was wir an diesem Tag wollen. Sprecherin 1: Die Mode kann so viel, uns männlich machen, weiblich, aggressiv, verspielt, aufreizend, einmummeln, ausstellen. Oder weichen wir heute, aber nur heute, der Entscheidung aus? Mode hilft auch da. Ein dunkelblauer Anzug oder ein graues Kostüm gehen immer. Eine Flucht, ja sicher. Und ist es das, was wir wollen? Das, wofür Mode da ist? Musik: The Acoustic Guitar Troubadours, Video Games aus An Acoustic Tribute to Lana Del Rey Sprecherin 3: Zieh Dich an! Oder warum das Ausführen von Schildkröten kein Modegag ist von Martin Zeyn Musik: The Acoustic Guitar Troubadours, Video Games aus An Acoustic Tribute to Lana Del Rey Sprecherin 1: Kant ist der zentralen Frage ausgewichen: Was wollen wir von der Mode? Wollen und Mode? Eine Kombination, die ein wenig erstaunt. Designer und Einkäufer stellen sich die Frage nach dem Wollen zwei- bis viermal im Jahr. Unsere Bedürfnisse hingegen scheinen die wenig zu kümmern, unser Wunsch nach bequemen Schuhen, die trotzdem elegant sind, nach Unterhemden, die über die Nieren gehen, und vor allem nach haltbaren T-Shirts, denn deren geplante Obsoleszenz beträgt nicht einmal drei Wochen - dann nämlich klaffen erste Löcher in Gürtelhöhe. Sprecherin 2: Aber sind das nicht alles Fragen der Kleidung? Die Dinge, die wir anziehen, um nicht nackt zu sein, um nicht nass zu werden, um nicht zu frieren. Hier soll aber die Rede von Mode sein. Das sind all die Dinge, die uns zu uns machen. Ja mehr noch. Denn das Neue an der ewig-neuen Mode des 3. Jahrtausend ist: Sie verspricht, uns zu dem zu machen, was wir sein wollen. Sprecherin 3: Ja, es gibt ein Wollen in der Mode, nicht nur ein Müssen und Nachlaufen. Mit einer Einschränkung allerdings: Wenn wir das wollen. Denn wir sind zwar frei, aber nicht alle legen darauf Wert. Zugegeben, Mode als Uniform gibt es nur noch in Bankvorständen und bei Treffen der EU-Staatschefs. Da ist kein "Außer der Mode sein", kein kantscher Sonderling, da ist der dunkle Maßanzug das non plus ultra der Seriosität, der Macht-to-go. Die gefällt sich darin, sich hinter Uniformität zu verstecken. Die gleicht an. Aber das ist eine besondere Gleichheit. Die gibt sich nur pseudodemokratisch, denn diese Anzüge sind sündhaft teuer, und damit zwangsläufig anti-demokratisch. Sprecherin 2: Diese Macht braucht Ohn-Macht als Kontrast, braucht den Anzug von der Stange, der spannt und dessen Stoff nicht von sich sagen kann: Ich bin teuer. Denn nur im Märchen, etwa in Romanen wie dem Felix Krull, sehen Männer in Konfektionsware so gut aus wie in perfekten Maßanzügen. Aber dieses mehr Gediegen-als-Gut-Aussehen erkaufen sich die Staatsführer, Banker, Vorstände und Autohausbesitzer eben auch mit einer gewissen Unsichtbarkeit - sie sind austauschbar. Sprecherin 1: Und wenn Mode eines will, dann das nicht. Mode heißt: Schau mich an! Deswegen sind diese Mächtigen anti-modisch, denn ihre Attraktivität ist nicht äußerlich. Darum aber geht es in der Mode: um den Schein, das eben Nicht-Essentielle, die Oberfläche, das Äußere. Nebenbei bemerkt: Die Werte der Banker sind auch keine inneren - das wissen wir seit den toxischen Hauskrediten, mit deren schrillen Verkaufsprovisionen die ach so soliden Bankvorstände ihre dezenten Schneidererzeugnisse bezahlten. Sprecherin 2: Wer aber nicht aufs Äußere achtet, ist rein äußerlich ein Wischiwaschi. Eine, nein, die modische Todsünde. Wenn Mode eine Sprache wäre, dann glichen diese dunkelblauen Anzüge dem Raum zwischen zwei Worten: Eine Pause, bedeutungstragend, aber leer. Mode, die nicht darum weiß, scheitern zu können, ist keine Mode, sondern Kleidung. Der Maßanzug aber behauptet genau dies: Ich scheitere nie. Tut er tatsächlich auch nie. Allerdings anders als er behauptet, nämlich immer zu siegen. In Wahrheit macht er alles fade. Fast immer. Jedenfalls wenn teuer und passgenau schon alles an ihm ist. Das gilt natürlich auch für Maßkostüme. Sprecherin 3: Dieses in edles Tuch gekleidete Geld glaubt, sich erkaufen zu können, nicht modisch zu sein, sondern "zeitlos". Das Verkaufsargument aller Herrenausstatter. In Wahrheit ihr Euphemismus für Ahnungslosigkeit, Desinteresse und Langeweile. Denn auch wenn man ganz bewusst auf Salz verzichtet, schmeckt die Suppe trotzdem fade. Auch Langeweile, zu der man sich bekennt, ist und bleibt Langeweile. Auch wenn sie sich Unauffälligkeit oder Dezent-Sein nennt. Lasst Euch das gesagt sein, ihr Männer - die ihr nicht zu sehen seid! Ihr seid unsichtbar! Sprecherin 1: All das führt uns zu der These: Diese Kleidung ist gedankenlos. Auch eine große Modesünde. Mode mag zwar nicht sprechen können außer durch sich selbst, aber ohne Denken ist sie nichts. Genauer, ist sie bloß Dekoration für Geld. Für diese These mag einiges sprechen - aber wie kann sie überprüft werden? Wer ist der Richter, der, weil er ohne Fehl ist, über uns arme Modesünder urteilen darf? Sprecherin 2: Landen wir wieder bei dem lauwarmen "Lieber ein Narr in der Mode sein"? Doch so vage wie Kant müssen wir in Modefragen nicht bleiben: Die zentrale Botschaft auffällig gut gekleideter Menschen lautet: Ich weiß, was mir steht, was mich "kleidet", aber eben auch, was angesagt ist. Priorismus, Hipstertum, das Recht der ersten, berauschenden Nacht mit dem dernier cri, all dies Erster-Sein ist nie nur eine leere, sich jede Saison aufs Neue wiederholende Geste, sondern drückt etwas aus: Mut, Information, Postulat, Selbstermächtigung. Ich handle, ich bin schöpferisch. Ich bin kein Schaf in der Modeherde. Kein Fashion Victim, sondern freiwillig und selbstbestimmt modisch. Sprecherin 3: Aber wer sich außerhalb von Kunsthochschulparties und der Berlin Fashion Show umschaut, ahnt: Solche souveränen Menschen sind die Ausnahme. Die Regel ist etwas anderes. Die sehen wir tagaus, tagein in der Tagesschau. Im politischen Alltag. Das modische Desaster. Verheerend. Der kleinste gemeinsame Nenner - Langeweile in dunkelblaue Wolle gefärbt. Mit einer Ausnahme: Madame Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds. Keine graue Maus, sondern chic. Aber verheerend für schwache Volkswirtschaften. Sprecherin 1: Wir halten fest: Staatstragende Anzüge sind unmodisch. Die einzige Information, die sie aussenden, ist Geld. Nun spielt Geld in der Mode eine wichtige Rolle. Leider. Wie die Kunststudenten wissen, die mit Ideen und Mut das zu kompensieren versuchen. Aber manchmal nur als bunte Vögel enden, nicht als schöne. Geld also, viel Geld. Alles andere lügt sich in die Tasche, die sicher nicht von Hermès sein muss, aber eben auch nicht umsonst zu haben ist. Selbst die prêt-à-porter-Linie großer Modehäuser ist noch als Schnäppchen im Outletshop viel teurer als ein C&A-Anzug. Sprecherin 2: Dennoch sind die Studentinnen und Studenten an Akademien ein Hoffnungsschimmer am düstern Modehimmel. Sie kreieren etwas: Sie erfinden sich. Sie machen sich sichtbar Gedanken um ihr Äußeres. Und der Gedanke ist der - Simsalabim - Funke, der Mode entzündet, der aus etwas Unscheinbarem etwas Unglaubliches entstehen lässt. Und das ist es, was sie so unwiderstehlich macht für entflammbare Menschen. Der unfassbare Moment, eine schöne Frau, einen schönen Mann aus einer Tür heraustreten zu sehen... Sprecherin 3: ...und an uns vorbeigehen, natürlich, aber darum geht es nicht bei Mode. Mode heißt attraktiv für viele zu sein und nicht nur die eine, den einen. Mode verschwendet sich. Die Informationsflut des Gesichts, das Unvermittelte des Körpers und das Überraschungsmoment der Kleidung - all das macht einen Menschen attraktiv. "She walks in beauty", wie der Romantiker Lord Byron es auf genau vier Worte brachte. Sie geht voll Schönheit. Ein winziger Schock - ein Moment von Gegenwart. Ein Wow. Manchmal, sehr selten, ein wowwowwow. Noch viel seltener bei Männern. Ganz toll beim kanadischen Videokünstler Stan Douglas auf der Documenta-Eröffnung. Ein großer schwarzer Mann, der einen kanariengelben, langen Mantel trug. I' m black and I'm proud und keiner von euch Bleichgesichtern kann das tragen. Das war atemberaubend aufregend. Das war Mode! Sprecherin 1: Aber das ist eine Ausnahme. So wie Männerröcke, die Bein zeigen. Wobei es eben nicht um Schönheit geht, jedenfalls nicht um Schönheit, die gefallen will. Es geht um Nacktheit, die diesem Geschlecht nicht zugebilligt wird. Es geht um Protest, um Erinnerung, um Möglichkeiten. Etwa wenn Marc Jacobs bei der Eröffnung einer Schau zu seinen Ehren im Pariser Musée des Arts décoratifs ein pinkes T-Stretchkleid trägt, das über die Knie geht, mit Schnallenschuhen und schwarzen Strümpfen und die Arme voller Tattoos und die Beine natürlich: nicht rasiert. Sprecherin 2: Quelle horreur, schrien die meisten Modejournalisten - so als wäre das so dreist dumm wie der fehlende Slip bei Britney Spears, der - ach wie überraschend - beim Aussteigen aus der Limousine zu sehen war. Das ist Entblößung. Ein Männerrock hingegen zeigt etwas. Mode hat immer auch gesagt: Mir ist es sowas von egal, was Du von mir hältst. Mode ist ein sehr lautes, manchmal vorlautes ICH. Sprecherin 3: Der Minirock. Das Bein nackt. Die Brüste ohne Halter. Sondern da. Zu sehen. Als Stolz, 18, schlank, jung und attraktiv zu sein. Ich bin, die ich bin. Und zeige das. Mit jeder Bewegung. Augen, die jedem ins Gesicht sehen. Spaß an der Provokation, die das für Ältere bedeutet. Ich bin eine stolze Frau. Ich bin mein Körper. "She walks in beauty". Mehr Körper geht nicht. Radikal diesseitig. Radikal temporär. Radikal bei sich. Radikal äußerlich. Radikal wow. Sprecherin 1: Den Körper zeigen, damit der Körper wieder da sein kann. Das nenne ich Befreiung, auch wenn Schlampen das missverstehen. Was ich so sagen darf, denn es gibt viel weniger Schlampen, als die, die so genannt werden, nur weil wir es nicht aushalten, wie sie sind. Frei. Frei zu zeigen. Frei nicht zu zeigen. Frei aber eben auch zu zeigen. Freiheit ist empörend. Was wir gerne verdrängen, um unser zartes Ich zu schützen. Weil wir schon mit der Unfreiheit genug zu tun haben. Die uns anfasst, bedrängt, betatscht. Ich bekomme schon Beklemmungen, wenn ich mir bloß ansehe, wie ein Korsett, lange Ärmel, Spitze bis zum Kinn und Kleider bis zu den Füßen meinen weiblichen Körper in einen Stoffkokon einspinnen, der aus mir keinen Schmetterling macht sondern ein Wickelbaby, das sich nicht bewegen kann. Ich will entscheiden können, ob ich einen BH trage oder nicht. Ich will nicht, dass es schon entschieden ist. Mode hat es geschafft, dass wir Frauen da ganz schön weit gekommen sind. Mein Körper gehört mir - ich bin keine Anziehpuppe. Sprecherin 2: Aber auch ein Korsett kann schön aussehen, frech, selbstbewusst, eben weil ich es nicht tragen muss, sondern kann. Unscheinbarer ist da die Befreiung des Mannes, der von seinen Korsetts nie viel geredet hat. Der zeigt zwar in der Regel immer noch nicht einmal Bein, aber bei den Anzügen tut sich was. Wie Barbara Vinken feststellt, eine immer elegant angezogene Romanistin, die überrascht einen neuen Typ von Männern entdeckt hat: Sprecherin 3: "Manche, meist junge, sehr schlanke und offensichtlich auf gutes Angezogensein bedachte Männer betonen die Beine auch mit ganz engen Hosen und Mänteln, die über dem Knie enden. [...] Diese Kontur, die die Hüftlinie nach unten verschiebt, akzentuiert die Proportionen anders. Ist diese Verschiebung der Silhouette eine grundsätzliche Veränderung?" Sprecherin 1: O là là. Was sehen wir da. Einen Mann, der Kontur zeigt. Statt des üblichen Anzugpanzers, den man ebenso gut auf ein Drittel seiner Geschlechtsgenossen stülpen könnte. Ein männliches Versteckspiel, das nicht reizen will, sondern reizlos sein will. Doch die Männer, die Barbara Vinken da beobachtet hat, die sie entdeckt hat, die sie faszinieren, machen auch noch etwas ganz anderes: Sie spielen breites Becken, also Frau. Sie reizen damit, etwas anderes zu sein. Das macht ihre Anzüge so verführerisch. Für ihre Träger. Und ihre Betrachterinnen! Sprecherin 2: Aber warum sehen wir solche Männer so selten? Eitle, verspielte, ja selbstbewusst spielende. Unser Fashion-Guide Barbara Vinken gibt in ihrem Buch Angezogen Antwort. Sprecherin 3: "Die männliche Silhouette hat im modernen Anzug ihre klassische Form gefunden. Der Anzug modelliert den Körper nicht eng, sondern idealisiert ihn in die antike V-Form. Mit schmalen Hüften und breiten Schultern wird der Bürger zum athletischen Helden. Gesäß und Geschlecht sind durch die Anzugjacke bedeckt. Es gibt kein Spiel zwischen nackter Haut und Stoff; bis auf die Hände und das Gesicht sieht man vom Körper nichts." Sprecherin 1: Schau schau. Bzw. eben nicht. Denn es gibt bei Männern nichts zu sehen. Wir Frauen aber sollen zeigen, was möglichst wohlgeformt, schlank und am besten jung da ist. Mode mag befreien, aber gerecht ist sie nie, weil sie nicht gleich sein will. Und damit ist der ach so lustige, der ach so ausgelutschte kleine Unterschied in Wahrheit ein so riesiger, dass wir, dass ich ihn nie, nie überwinden können werde. Unisex ist nur ein Schlagwort, keine Realität. Sprecherin 2: Ja - aber eben auch nein. Solange kein Hetero-Kollege zur Konferenz in einem pinken Stretchkleid geht, solange wir alle auf Marc Jacobs starren und seinen Auftritt nur als Gag, nicht als Möglichkeit begreifen, solange haben wir einen Unterschied, der unüberwindlich ist. Gerade die angeblich so oberflächliche und ahistorische Mode lehrt uns, keine Befreiung ist endgültig. Alle Freiheit muss erkämpft werden. Das Korsett kann immer wieder kommen und sei es als Diätvorschrift - beides Körper-Kasteiungen. Aber da gibt es auch eine andere Geschichte. Eine überraschend unisexuelle. Unser Bein-Herzeigen ist neu. Das der Männer alt. Sprecherin 3: "Die engen Hosen der jungen Männer variieren diese klassische Männersilhouette. Die weibliche Silhouette mit den endlos langen, blickdicht bestrumpften oder behosten Beinen ist hingegen neu. Frauen waren noch nie so angezogen." Sprecherin 1: Denn die ersten Minis hatten Männer getragen. Mit seidenen langen Strümpfen, die sich an die Muskeln schmiegten. Mit Ärmeln aus Stoffkaskaden, mit einem Hut, wagenradgroß, mit Federn. Ich bin das schöne Geschlecht. Ein Mann - in der Renaissance, im Barock, am Hofe, im Felde. Ein Mann, der Bein zeigt. Ein Mann, der auf sein Äußeres wert legt, der darauf viel Zeit und Geld verwendet. Der dem Schein vertraut. Der Körper zeigt. Körper durch Kleidung zeigt. Barbara Vinken, das it-girl unter den Professorinnen: Sprecherin 3: "Ein Blick in die Geschichte verspricht hier hilfreicher zu sein als ein Blick in die Natur. Die neuen Beine der Frauen entpuppen sich als die alten Beine der Männer. [...] Es ist [...] die Herrenmode vor dem Bruch [...]. Und da waren die Männer in der Zurschaustellung ihrer körperlichen Reize nicht weniger ostentativ, ja zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert ostentativer als die Frauen. Die Männer waren das schöne Geschlecht." Sprecherin 1: Männer. Den äußeren Werten zugetan. Den Schauwerten. Der Mode. Pfaue halt. Ach, wie viel Dummheit wäre aus der Welt, wenn endlich wieder Männer als eitel und äußerlich und oberflächig bezeichnet würden. Und die Welt wäre besser, ja, besser, wenn ich Körper zeigen dürfte - nicht nackt, also ohne Slip für die bereitstehenden Fotografen, sondern so wie ich es will, mit meiner Mode, in meiner Mode à la mode. Doch um es deutlich zu sagen: Dass der Körper wieder da war, wieder ansichtig wurde, zuerst der Männer, dann der Frauen und vielleicht bald wieder der der Männer, schaffte uns, ja nicht einmal mir, alle Probleme vom Hals. Im Gegenteil. Die Betonung der Kontur wurde zur Norm des ranken und schlanken Körpers. Und damit haben wir uns eine Diktatur eingehandelt, gegen die jedes Fischbeinkorsett eine Schmusedecke ist. Sprecherin 2: Aber diese dunkle Seite der Modemacht ist hinlänglich beschrieben worden. Vor allem von Modeverächtern, die nicht erkannten, was noch in der ach so fadenscheinigen Textur der Mode steckt. Etwas Anderes. Ein Wort. Ein Begriff. Begriffe, die Lieblingsaccessoires von Philosophen. In zahlreichen Varianten vorgelegt. Das Andere in der emphatisch-aufklärerischen Version von Emmanuel Levinas, der nüchtern-strukturellen von Roland Barthes oder der elegisch-durchgestrichenen von Jacques Derrida. Sprecherin 3: Ziemlich vintage oder, also von gestern? Touché. Aber wie wir wissen, Vintage ist gerade der letzte Schrei. Ein besonderes Stück, alt zwar, aber kombiniert mit etwas Neuem natürlich. Mode, die sich verkleidet, indem sie von gestern ist. Und ich sage jetzt mal voll Vertrauen auf Vintage: Dieses Andere ist ein ganz und gar anderes. Denn Mode war ja nicht nur Verhüllung, sondern auch Schutz. Mode machte uns schöner, als wir waren. Wir konnten schön sein ohne es zu sein. Denn wer ist schon schön - und keiner ist immer schön. Sprecherin 1: Das große Versprechen der Mode war ein kleines: uns schöner zu machen. Mich. Sogar mich? Ernst Bloch, der wie wenige Philosophen das Triviale durchaus schätzte, hätte dieses Schönheitsversprechen den "Vorschein" einer Utopie genannt. Ernst Bloch, ziemlich out of fashion in den philosophischen Seminaren, die angeblich nur der Wahrheit und nicht Moden verpflichtet sind. Diese mausgrauen Elfenbeinturmbewohner hätte Kant lieber Narren außerhalb der Mode nennen sollen. Der Ernst-Vintage-Bloch also. Das macht ihn natürlich wieder interessant. Und deshalb: unsere Körper schöner machen - das ist ein Augenblick von - oh ja - Glück. Gut, ein fragiles, momentanes, aber dafür ein wiederholbares. Welch ein Versprechen, Glück an unsere Körper zu binden, immer wieder, jede Saison aufs Neue. Sprecherin 2: Aber es ist eben auch eine Dystopie. Buchstäblich mit Schuhen, die wunderbar aussehen, aber Schmerzen bereiten, wenn wir sie nicht nur anschauen, sondern es wagen, sie zu tragen. Und übertragen: Das hier und jetzt des Glücks erkaufen wir uns mit einem Körper, den wir immer ansehen, kontrollieren, der uns nicht genügt, weil er der Mode nicht genügt. Der weibliche Körper wird bearbeitet, gepush-upt und korsettiert, er soll je nach Saison atomare Brüste, backfischhafte Flachheit oder Heroin geschuldete Klapprigkeit nachbilden. Jetzt ganz neu mit einem BH von Microsoft, der unsere Herzfrequenz misst, um uns zu sagen: Nein, das ist kein Hunger, das ist Stress, den du schwaches Weib in Kalorien zu ertränken versuchst, also Finger weg vom Schokoeis. Sei diszipliniert und schlank und rank für den nächsten Mann, der dich wieder Stress aussetzt. Sprecherin 3: Aber Schluss mit diesem modischen Gejammer. Es gibt einen Silberstreif am unisexuellen Horizont. Jetzt müssen endlich auch Männer hungern, damit sie die unfassbar schmalen, geradezu anorektischen Anzüge von Hedi Slimane tragen können. Solche Mode fordert einen Körper, der nicht ist, sondern zu sein hat. Die Gleichheit der Brutalität in Fleisch. Heh, ist es nicht mal wieder an der Zeit, BHs zu verbrennen, wie es unsere Mütter vorgemacht haben? Sprecherin 1: Aber niemand ist automatisch ein Fashion Victim, Opfer von Schuhen, die einem das Gehen unmöglich machen, und von Anzügen, die Atmung eigentlich nicht vorsehen. Dieses Opfer bringen wir nicht, wir sind es. Sogar gern. Und dann sind wir so dumm und platt, dass wir endlich wieder allen gefallen. Jedem. Wir gewinnen nicht immer, wenn wir mit Mode spielen. Sprecherin 2: Aber wir verlieren auch nicht immer. Manchmal, sehr selten zugegebenermaßen, ist Untragbarkeit auch eine Utopie. Wie bei den Entwürfen von Comme des Garçons oder Martin Margiela. Mode als ihre eigene Antithese, als Dekonstruktion auf dem Laufsteg. Wie ein Mantel, der genau in der Mitte zusammengesetzt ist aus zwei Stoffen. Damit es auch keinen Zweifel daran geben kann, hat Margiela zwei unterschiedliche Muster benutzt, so dass er das Zusammennähen deutlich ausstellt. An der einen Schulter, nur einer, damit es ein sichtbarer Fehler ist, weiße Heftnähte. Ein Mantel, nicht schön, sondern gemacht. Und selbst innen, für die Betrachter unsichtbar, geht diese Zerstörung von Konvention weiter. Eine Tasche ist zugenäht, die andere dafür nach zwei Seiten hin offen. Nach außen, klar, und nach innen, es gibt einen Spalt im Innenfutter, so dass, wenn der Träger nicht aufpasst, die Schlüssel durchfallen. Eine Tasche, die nicht als Tasche funktioniert. Sprecherin 3: Keine Kleidung. Falsch, schräg, unkaschiert. Mode als Dekonstruktion von Mode. Die das Gemachtsein offen vorführt. Die keinen schönen Schein will. Und damit keinen optimalen Körper einfordert. Solch ein Mantel ist kein Diktat. Wir sehen vielleicht nicht einmal gut aus darin. Aber das haben wir gewollt und zeigen es jedem. Wobei, wir leugnen das nicht, zwischen Sieg und Niederlage nur ein schmaler Grat liegt. Es gibt auch ein Mode-Harakiri. Wer je ein altes Fotoalbum durchgeblättert hat, ohne entsetzt auf die furchtbaren Klamotten geschaut zu haben, die einen verunstalten, der war nie modisch gekleidet. Sprecherin 1: Und wenn wir zurückschauen, dann gleich richtig. Auftritt der Ikonen von gestern. Schon deren Mode war nicht nur schön. Von den Dandys bis zu den Punks zieht sich diese Traditionslinie: Mode, die empörte, als ostentative Verschwendung, bei den Dandys von Geld und Stoff, bei den Punks von Jugend. Unerträglich. Das dandyeske Hochrüsten der Verfeinerung, alles daran zu setzen, besonders zu sein, an jede Manschette, jeden Spitzenbesatz eines Taschentuchs, jeden Seidenstoff der Unterwäsche Gedanken, Zeit und immer wieder Geld, maßlos viel Geld zu verwenden - nicht zu verschwenden - nein manisch-kalkuliert zu verwenden, all das machte die Eleganz der Dandys anstößig, weltfremd, dissident. Sprecherin 2: Denn was ist von jemandem zu halten, der eine Schildkröte an einer Leine spazieren führt, was angeblich der letzte Schrei unter den Pariser Dandys war, wie Walter Benjamin im Passagenwerk erzählt. Das war keine buddhistische Konzentration auf den Moment. Sondern Entschleunigung, die nichts zum Ziel hatte. Das war einfach nur ein Aplomb. Das stellte Selbstsicherheit dreist aus. Was sollte diese Verschwendung von Zeit, diese Feier der Pause mitten in der hypertrophen Börseneuphorie des Zweiten Kaiserreichs bedeuten? Die Botschaft war klar: Euer Leben, eure Werte, euer Haus, euer Boot, euer Geld hat keine Bedeutung für mich. Ich kann anders sein. Niemand muss so sein wie Du. Auch Du nicht. Dieses Anders war so sehr anders, dass die Börsenhaie von den Kurszetteln aufsahen und verwundert feststellten: Es gibt ein Leben, das ihrem in nichts gleicht. Die deswegen auf ihren ganzen billigen Reichtum starrten und feststellten: Sie sind nichts im Vergleich zu diesem völlig überzogenen, sinnentleerten und unglaublich atemberaubenden Modischsein. Und auf Männer sahen, die tausendmal schöner waren als sie. Die sie dafür hassten. Die sie effeminiert nannten, Frau-Männer. Mode hat ihren Preis. Und der ist nicht nur Geld. Auch Geld. Aber nicht nur. Dandys waren echte Fashion-Victims - ihr Harakiri mittels Kleidung, ihre Geldverschwendung hatte Stil. Sprecherin 2: So und jetzt wie bei jeder Modenschau, einmal hin und einmal her. Lassen wir den Gedanken noch einmal defilieren: Hässlich durch Mode. Was eben auch eine Utopie der Mode ist: Es gibt gar kein Diktat der Schönheit in ihr. Mode will vor allem eins sein: anders. Und gibt es eine Utopie, die ein Körper leichter umzusetzen vermag, als anders zu sein?! Nicht mit sich. Aber anders als die anderen. Das aber ist nur die Hälfte der Wahrheit der Mode. Die sich allerdings um Wahrheit nur wenig schert. Sprecherin 3: Mode ist ein Dämon, der uns immer aufs Neue verspricht, uns schöner zu machen und uns fast immer enttäuscht, denn was eben noch modisch war, ist jetzt schon wieder unmodisch. Ein Dämon, wie er sonst nur bei Astrid Lindgren vorkommt, ein Karlsson, der uns verspricht, am weltschönsten zu sein, und dieses Traumgebilde wie überhitzte Dampfmaschinen explodieren lässt. Ein Dämon, der von sich sagt, er sei proteisch. Ein perpetuum mobile, viel besser als Dampfmaschinen, ein etwas, das aus sich heraus sich immer neu erfindet. Mode hält uns alle zum Narren. Ein Dämon. Ein Karlsson auf dem Dach, den wir unbedingt lieben wollen, der aber immer alles kaputt macht und dem wir trotzdem verfallen sind. Sprecherin 1: Aber wer die Mode unterschätzt, der ist der wirkliche Narr. Sagt Kant. Genauer: hätte Kant sagen können. Kein Gedanke an sie ist ein verschwendeter. Mode ist die Vision einer Gesellschaft, in der alle verschieden sein können. Wenn die auch durch Mode hübsche Lana del Rey singt, "heaven is a place on earth with you" -mit dir ist der Himmel hienieden -, dann ist das zwar eine Lüge, aber es stimmt für die Mode. Der Himmel ist hier. Mode kennt kein Drüben, keine Transzendenz, sondern nur das hier und jetzt und kein Morgen. Auf zum Kleiderschrank, jener Utopie, die immer überquillt. Und welche Utopie tut das schon? Musik: The Acoustic Guitar Troubadours, Video Games aus An Acoustic Tribute to Lana Del Rey 1