COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen ab- geschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Die wahre blühende Landschaft - Bitterfeld - vom Giftort zur Wildnis - Autor Susanne Arlt Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 12.11.2010 - 13.07 Uhr Länge 18'31" Moderation In der ehemaligen Giftküche der DDR, in der Bitterfelder Region, macht sich seit 10 Jah- ren die Wildnis breit; es passiert also: nichts. Dafür sorgt der BUND. Er kaufte vor Jahren ein 1.300 Hektar großes Gelände in der Goitzsche auf und überließ die Natur sich selbst. Die wiederum ist schneller als diverse Prognosen es vorausahnten. Bereits jetzt haben sich Fischotter, Seeadler und Rohrdommeln angesiedelt. Und kommen mit der Natur gut zurecht. Das ist allerdings noch nicht allerorten der Fall. Die Umweltsanierung des Chemieparks Bitterfeld-Wolfen wird noch einige Jahrzehnte dauern. Susanne Arlt über- zeugte sich davon, wie eine zwischenzeitliche Mondlandschaft langsam wieder der Erde Platz gemacht hat. -folgt Script Sendung- Script Sendung- G 01 Atmo durch Gestrüpp laufen Autorin: Die Wildnis wächst einem in der Goitzsche-Wildnis südlich von Bitterfeld manchmal schon über den Kopf. Falko Heidecke, schlank, einen Meter achtzig groß, beigefarbenes Safarikäppi auf dem Kopf, kämpft sich durch den spitzblättrigen Spierstrauch. Die dürren, langstieligen Äste pieksen den Eindringling in Arme und Gesicht. Der Naturschützer nimmt keine Notiz davon, läuft tiefer in das Dickicht hinein. Plötzlich bleibt er stehen, legt seinen Kopf in den Nacken, schnuppert in der Luft. E 01 (Falko Heidecke) Wenn es bei Ihnen in der Nase auch nach Maggi riecht, das sind Wildschweine. Autorin: In der Luft liegt ein leicht würzig-süßlicher Duft. Heidecke schätzt, dass die Wildsäue zwanzig Meter entfernt im Gehölz liegen. Gefährlich seien sie nicht, behauptet der Projektleiter der Goitzsche-Wildnis und begibt sich noch tiefer ins Gestrüpp. G 02 Atmo Gestrüpp, später Atmo Graugänse Autorin: Nach etlichen Metern gibt der meterhohe, spitzblättrige Spierstrauch endlich den Blick frei. Ein kleiner See taucht auf, türkisblau. Rings herum wachsen Schilf, Gräser, Pappeln und Birken. Graugänse fliegen über den See, spiegeln sich in der Wasseroberfläche. Ein idyllischer Flecken Erde, denkt der Besucher. Doch nicht für die Menschen, sondern für die Natur hat der BUND vor zehn Jahren rund 1.300 Hektar Fläche in der Goitzsche gekauft. Seitdem passiert in dieser Landschaft - nichts. Zumindest nicht durch Menschenhand, sagt Falko Heidecke. E 02 (Falko Heidecke) Ja wir haben eigentlich nicht viel gemacht, außer die Flächen zu kaufen und für die Natur zu sichern. Das heißt, wir wollen die Natur mal alles machen lassen, ohne dass wir eingreifen. Wir vom BUND sind der Meinung, die Natur sollte es besser wissen als wir Menschen, sie ist schon länger da. Sie muss auch besser wissen, mit Gegebenheiten umzugehen als wir. Und wir machen auch nichts als außer zuzuschauen und zu lernen. Autorin: Artenschutz durch Flächenschutz sozusagen. Zu Zeiten der DDR wurden manche Gebiete nach der Auskohlungen wieder aufgeforstete. Schaue man sich diese Sanierungsgebiete an, erzählt Heidecke, dann sehe man nur Bäume, die wie klapprige Streichhölzer in der Landschaft stünden. Doch dort wo der BUND zehn Jahre nichts gemacht habe, da wuchere jetzt ungehemmt die Wildnis. E 03 (Falko Heidecke) Die ersten Ergebnisse, die wir mitbekommen, ist natürlich das, was die Natur von selbst machen kann, zum Teil viel effizienter ist als das, was wir als Mensch gemacht haben. Autorin: Zum Glück seien nur wenige Flächen damals aufgeforstet worden, erzählt Heidecke. So blieben für den BUND mehr Flächen übrig, auf der sich die Natur in der Goitzsche inzwischen wieder entfalten kann. G 03 Atmo Graugänse hochziehen Autorin: Der Begriff Goitzsche stammt von den Wenden und bedeutet soviel wie Gottes Aue. Vor über 100 Jahren war die Goitzsche noch ein prächtiger Auenwald. Hier wuchsen Eschen, Hainbuchen, Spitzahornen und Erlen. Darunter befand sich allerdings ein großes Kohlenlager. Für ihre Energie- gewinnung ließ die Chemieindustrie darum in den 20er Jahren das braune Gold zu Tage zu fördern. Zu diesem Zeitpunkt war die Goitzsche eines der seltenen Naherholungsgebiete der Region. Die Bitterfelder Be- völkerung wehrte sich gegen den Raubbau - allerdings erfolglos. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Region dann weiträumig auszukohlen. Nicht nur das Naturschutzgebiet musste weichen, sondern auch ganze Dörfer: Niemegk, Döbern, Paupitsch um nur einige zu nennen Was nach dem Tagebau übrig blieb, glich einer Mondkraterlandschaft. Die Boden- strukturen ähneln denen vor einer Eiszeit, erklärt Falko Heidecke. E 04 (Falko Heidecke) Nährstoffarm, wenig Wasser, weil der Boden kann kein Wasser mehr halten, weil es gibt keinen Boden, es ist nur Sand und Kies. Und wenn sie dort mit einer Baumart anfangen, den auf- zuforsten, was eigentlich ne Baumart in der späten Entwicklung des Waldes ist, das funktioniert nicht richtig. Also die Eiche wächst da, die braucht aber Jahre bis Jahrzehnte eh sie mal aus dem Pott kommt zu wachsen. Autorin: Nur an wenigen Stellen sind noch ein Paar Reste des ursprünglichen Au- waldes der Goitzsche zu sehen. Als der BUND vor zehn Jahren die 1.300 Hektar große Fläche für 600.000 Euro von der Lausitzer- und Mittel- deutschen Verwaltungsgesellschaft erwarb, stellten die Naturschützer einen so genannten Entwicklungsprognoseplan für das Gebiet auf. Aber die Natur ist viel schneller als unsere Prognosen, sagt der Naturschützer. Falko Heidecke zeigt auf einen unansehnlichen Erdhaufen zu seinen Füßen. E 05 (Falko Heidecke) So, hier haben wir das beste Beispiel für jeman- den, der uns rechts bei unseren Prognosen überholt hat. Wir stehen jetzt direkt an der Bieberburg. Und eigentlich wurde der Bieber bei Weitem nicht so früh prognostiziert, dass er sich an den südlichen, kleineren Seen so schnell einfinden sollte. Er hat sich aber ein- gefunden, fühlt sich wohl, die Burg ist schon ziemlich stattlich. Autorin: Die Knüppelburg sieht aus wie ein Kegel und ist die Schlafstätte des Bi- ebers. Um sie winterfest zu machen, hat er über die abgenagte Hölzer Schlamm und Wasserpflanzen aufgetürmt. Auch andere Tiere, an die vor wenigen Jahren noch nicht zu denken war, haben sich in der Goitzsche angesiedelt: Ein See- und Fischadler-Pärchen. Kraniche. Die Rohr- dommel. Der Steinschmätzer. Die Brachpieper. Der Raubwürger. Allesamt von der Europäischen Union als besonders schützenswerte Tiere eingestuft. Oder der Fischotter. Zum Leben braucht er naturnahe Ge- wässer und ist darum vom Aussterben bedroht. Nach Modellrechnungen hätte auch er erst in etwa 30 Jahren in der Goitzsche auftauchen sollen. Die Natur hat uns einfach überholt, sagt Falko Heidecke und schlägt sich zurück durch die Wildnis. G 04 Atmo durchs Gestrüpp zurücklaufen Autorin: Wer sich in der Goitzsche-Wildnis umschaut, entdeckt auch weniger Spektakuläres. Das Silbergras zum Beispiel, an dem der Naturschützer gerade vorbeiläuft. Das blaugrüne, buschige Süßgras mit den borstigen Blättern ist eine Pionierpflanze und wächst auf vegetationsarmen, hu- musfreiem Sandboden. Oder die Flatterbinse, die man für unscheinbares Unkraut halten könnte. Schöne Natur sieht anders aus. E 06 (Falko Heidecke) Egal, was die Natur macht, es wird das Richtige sein. Und wenn nicht, wird sie es selbst korrigieren und schön oder nicht schön, das muss jeder Mensch für sich selbst entscheiden. Natürlich kann man sagen, ein Birkenwald ist langweilig, aber dar- um geht es bei einem Wildnisprojekt nur zweitrangig. Wir werden nicht eingreifen, weil aus ökologischer Sicht können auch Sachen, die nicht schön aussehen, ökologisch extrem wertvoll sein. G 05 Atmo Auto einsteigen, losfahren Autorin: Die Goitzsche-Wildnis bezwingt Falko Grube am liebsten in seinem Jeep. Schließlich muss der Naturschützer tagtäglich 1.300 Hektar Fläche im Auge behalten. Besucher dürfen sich nur auf den asphaltierten Wegen aufhalten - entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Motorräder und Au- tos sind tabu. Die Menschen kommen immer mehr auf den Geschmack unserer Wildnis, sagt Falko Heidecke. Die Naturschutzranger haben bis- lang mehr als 3.600 Menschen durch das Gelände geführt. Vor zehn Jah- ren sahen dafür die Prognosen noch schlecht aus. E 07 (Falko Heidecke) Der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung hat- te mit dem Gedanken Wildnis, nicht Wildnis in Afrika, Wildnis in Afrika war gut, aber Wildnis vor der eigenen Tür, Wildnis im eigenen Lebensraum, damit hatten sie Probleme. So 'ne gewisse Grundangst vor dieser Wildnis. Autorin: Die hat sich inzwischen gelegt. Überhaupt hat sich viel verändert in Bit- terfeld und Wolfen. In den 70er Jahren lebten in der Doppelstadt, die vor drei Jahren aufgrund ihres Einwohnermangels zwangsfusioniert wurde, noch doppelt so viele Menschen. Die Stadt stand wie keine andere für Kohlebau und Chemieindustrie. Sie galt als die schmutzigste Stadt Europas. Stinketour nannte man damals die Strecke in die Industrie- gebiete. Heute, 20 Jahre nach der Wiedervereinigung, stechen einem keine schlechten Gerüche mehr in der Nase. Aus dem Kombinat ist ein Chemiepark geworden. Die Fabriken, die hier stehen, sind hochmodern. Nur das Erdreich unter dem Chemiegelände ist immer noch vergiftet. G 06 Atmo Bagger Autorin: Auf der ehemaligen Deponie Greppin verdichten derzeit Bagger den Bo- den. Eine Rekultivierungsschicht soll später das Regenwasser speichern, damit es nicht mehr ungehindert in das Erdreich eindringen kann. E 08 (Harald Rötschke) Hier sind früher mal Klärschlämme und ähnliche Materialien abgelagert worden in unterschiedlichen Becken. Diese Becken waren wenig tragfähig und vor allem nicht dicht. Das Niederschlagswasser konnte ungehindert dann in den Untergrund eindringen und hat zusätzlich dazu beigetragen, dass die Grund- wasserbelastung hier in dem Bereich weiter zunahm. Autorin: Harald Rötschke, Geschäftsführer der Mitteldeutschen Sanierungs- und Entsorgungsgesellschaft, ist sozusagen der Sanierer von Bitterfeld. 5.000 Produkte aus der Chemieindustrie, insbesondere der Chlorchemie, wurden in den vergangenen 150 Jahren an diesem Standort produziert. Viele Abwässer, sagt Harald Rötschke, verschwanden einfach im Boden oder wurden in die ringsum liegenden Tagebaurestlöcher eingeleitet. Das bekannteste Beispiel ist der Silbersee bei Wolfen. Er sei aber bei weitem nicht das Schlimmste, betont Rötschke. Auf die Deponie Antonie wurden 60.000 Tonnen Lindanabfälle gebracht. Lindan ist ein Pestizid und die Chargen, die damals auf der Deponie landeten, waren wasserlöslich. Jah- relang tropfte das Regenwasser auf die Abfälle und sickerte dann ver- seucht in den Boden. Für die Sanierung sei die Grundwassereinigung darum maßgeblich, so Rötschke. E 09 (Harald Rötschke) Deswegen sagen wir auch, 50 bis 70 Jahre Grundwassersanierung aktiv. Und danach sind wir wahrscheinlich so weit, dass wir es dann der Natur überlassen können. Aber auch das bedeutet nicht, dass man das Wasser als Trinkwasser ver- wenden kann, sondern es ist immer noch belastetes Wasser, aber dann - sagen wir mal - in einer akzeptablen Größenordung. Autorin: Die Sanierungsgesellschaft hat 54 Brunnen aufgestellt. Täglich pumpen sie das Wasser zu den Aufbereitungsanlagen. Dort wird es gereinigt und dann mit sehr niedrigen Grenzwerten in die Mulde eingeleitet. An anderen Stellen baggert man den belasteten Boden heraus und reinigt anschließend die Quelle. Im Jahr kostet allein die Grundwassersanierung 20 Millionen Euro. Durch diese Maßnahmen können die Schadstoff- mengen im Erdreich zwar reduziert werden, sagt Harald Rötschke, parallel dazu helfe aber auch die Natur. E 10 (Harald Rötschke) Man nennt das auf Neudeutsch natural attenua- tion, damit hier die Bakterien die Schadstoffe weiterhin abbauen. Wenn man vorsichtige Prognosen treffen will, würde ich sagen, zwischen 200 und 300 Jahren wird es schon dauern, bis man davon ausgehen kann, dass der Boden als weitestgehend im Sinne sauber bezeichnet werden kann. Autorin: Nur wenige Kilometer vom Chemiepark entfernt lebt Dieter Schulze. Kur- ze graue Haare, sehr freundliche Augen, ein Gemütsmensch. In seinem Garten in Wolfen steht ein prächtiger Gingkobaum. Die hoch- gewachsenen Fichten und Tannen sind bald 30 Jahre alt. Geboren wurde Dieter Schulze aber nicht in Wolfen, sondern in Döbern. Das Dorf mit den einst 400 Einwohnern gibt es schon längst nicht mehr, ist Geschichte. Anfang der 80er Jahre wurde Döbern geschleift. Angeblich wegen des Tagebaus, sagt Dieter Schulze und schaut dabei ein bisschen grimmig. E 11 (Dieter Schulze) ´78 wurde uns offenbart, dass unser Ort weg- kommt wegen der Kohle. Ausschlaggebend war damals aber nicht die Kohle, sondern es war die Volksarmee, die sich dann in dem Tagebaugelände, in dem schon wieder aufgeforsteten, ringsherum stark etabliert hatte und sich immer weiter ausbreitete. Und letzten Endes offensichtlich die Ortschafen, in dem Fall jetzt Döbern, im Wege war für Armeeübungen. Und das wollte man natürlich nicht eingestehen, es wurde immer wieder die Kohle als Begründung herangeführt und man hatte damals ja auch keine Chance, dagegen vorzugehen oder anzukommen. Autorin: Dieter Schulze kramt eine Landkarte hervor, blättert sie auf, streicht die Karte glatt. E 12 (Aufblättern / Schulze) So. Hier wäre so etwa der Ort Döbern ge- wesen. Hier ist der Gedenkstein, der Gedenkstein an der Straße und da ging dann diese Straße in den Ort rein. Autorin: Heute führt die Straße in einen See, den Döbener See. Dieter Schulzes Heimat. Seine Familie, sagt der studierte Chemiefacharbeiter, könne man durchaus als bergbaugeschädigt in dritter Generation bezeichnen. Schon seine Großeltern mussten dem Goizscher Tagebau weichen, dann seine Eltern und schließlich er selbst. Seine Frau stammt aus Nimegk, auch dieses Dorf ist inzwischen ein See. Wassergrundstücke, witzelt Schulze, dabei ist ihm nur bedingt zum Lachen zumute, wenn er an seine Ver- gangenheit denkt. Als er noch Kind war, konnte er mit seinem Fahrrad durch den Goitzscher Auenwald radeln. Wunderschön sei das damals ge- wesen. Idyllisch. Einhundert Jahre alte Hainbuchen spendeten im Som- mer Schatten. Als dann der Tagebau begann, war es mit der Idylle bald zu Ende. In den 70er Jahren war rings um Döbern herum alles aus- gekohlt. Das Dorf war eine Insel. Der Dreck der Braunkohle lag fingerdick auf dem Fenstersims. Und das Baggergequietsche raubte einem die Ner- ven. E 13 (Dieter Schulze) Wenn man Besuch hatte, die von weiter herkamen und das jetzt nicht kannten, die haben nachts keinen Schlaf ge- funden. Ich meine, der Mensch gewöhnt sich dran, der Mensch ist ein Gewohnheitstier, aber es ist schon belastend letzten Endes. Autorin: Kohle und Chemie bringen Brot, Wohlstand und Schönheit! Mit dieser Parole wurde kräftig geworben für das Chemiedreieck. Der Volksmund machte sich dann seinen eigenen Reim auf die Beschönigungen: Bitter- feld, Bitterfeld, wo der Dreck vom Himmel fällt. Rein rechnerisch war 1988 jeder Einwohner mit 313 Kilogramm Schwefeldioxid, 132 Kilo- gramm Staub und 21 Tonnen Kohlendioxid belastet. E 14 (Dieter Schulze) Die ganze Industrie um uns herum, das war frust- rierend. Als bekannt wurde, dass Döbern jetzt weichen musste und wir letzten Endes wegmussten und uns neu orientieren mussten, wir hatten sogar in Erwägung gezogen, ganz aus diesem Landstrich hier wegzuziehen, wir hatten zumindest den Versuch unter- nommen, nach Mecklenburg-Vorpommern auszuwandern. Wir hätten da Arbeit kriegen können, aber keine Wohnung. Autorin: Dieter Schulze blieb darum mit seiner Familie in der Region. In Wolfen bekamen sie ein Grundstück zugesprochen, sie bauten sich dort ein neues Haus. Für den knapp 60jährigen bleibt Döbern aber Heimat. Dar- um ist er froh darüber, dass im einstigen Braunkohletagebau Goitzsche inzwischen wieder neues, wildes Leben entsteht. An den Wochenenden ist er oft dort unterwegs. Am liebsten allein, nur mit sich und seinen Er- innerungen. E 15 (Dieter Schulze) Eigentlich erfülle ich mir selbst irgendwelche Er- innerungen oder Träume, ich bin also viel in der Region Döbern un- terwegs. Wenn ich dann im Goitzschewald unterwegs bin, dann schaue ich mir jedes Jahr ein paar Mal meine alte Heimat sozusa- gen an. Und ich freue mich darüber, was aus dem Ganzen letztend- lich geworden ist. Es hätte uns viel schlechter treffen können, wenn man das jetzt mal so Revue passieren lässt. Also es wären die anderen Ortschaften noch weggekommen, es wäre als erweitertes Armeegebiet ausgebaut worden bis Dübener Heide, das wäre alles so weiter gegangen, hätte da kein Halt gegeben. G 07 Atmo Anhalten, hupen, aussteigen, ... Foto machen ... Autorin: Dieter Schulze ist seit fünf Jahren ehrenamtlich für den BUND in der Goitzsche-Wildnis unterwegs. Als Ranger kümmert er sich vor allem am Wochenende darum, dass niemand unbefugt das Gelände betritt. Sein Kollege Falko Heidecke hat derweil einen weißen Kombi entdeckt - mitten in der Wildnis. Fremde Autos sind hier tabu, sagt der Projekt- leiter, steigt aus seinem Jeep und macht ein Foto von dem Kombi. Nach ein paar Minuten erscheint der Fahrer. Heidecke glaubt, dass der Mann zum Pilze sammeln gekommen ist. E 16 (Gespräch Heidecke & Autofahrer) Guten Tag. Hallo. Dürfte ich erfahren was Sie hier tun? ... Also Sie haben einen Auftrag der LMBV. ... wir haben die Pflicht das ab und an zu überprüfen. ... Das werde ich überprüfen, wenn das so ist, ist alles gut, wenn nicht, leite ich das an die Untere Naturschutzbehörde weiter und es gibt ne Anzeige. ... Autorin: Falko Heidecke ärgert sich über jeden, der die Hinweisschilder einfach ignoriert. Kommt leider immer mal wieder vor sagt und steigt zurück in seinen Jeep. G 08 Atmo Fahrt über rumpeligen Boden durch die Kiefern Autorin: Die Fahrt geht weiter, über sandige Höhen oder durch gelbbunte Birken- wäldchen und mannshohe Kiefern. Die Bäume stehen manchmal so dicht, dass der Jeep kaum noch durchpasst. In der Ferne sieht man eine Steil- kante, die sich zwei Kilometer durch die Landschaft zieht. E 17 (Falko Heidecke) Als wir vor zehn Jahren hier angefangen haben, war der Blick komplett noch frei. Standen hier fast keine Birken, fast keine Bäume, es war eigentlich immer so einer der schöneren Wege, die man hier fahren konnte. Es war natürlich wunderschön, man guckte von hier oben, wie auf eine Wüste, wo ab und zu ein Baum eingesprengt war, sah aus wie von einem anderen Planeten. Autorin: Der andere Planet ist inzwischen Wildnis geworden und beherbergt aus- sterbende Arten wie den ästigen Mondrautenfarn oder die Gemeine Natternzunge - beides nicht gerade spektakulär aussehende Farn- gewächse. Hätte jemand Falko Heidecke diesen Wildwuchs vorhergesagt, der Naturschützer hätte es nicht geglaubt. E 18 (Falko Heidecke) Bitterfeld war ja berühmt-berüchtigt für alles das, was man nicht haben wollte. Verschmutzung ohne Ende, Dreck, ja, mittlerweile hat sich Bitterfeld so entwickelt, dass es eigentlich Luftkurort werden könnte. Autorin: In den vergangenen 20 Jahren ist in der Region Bitterfeld-Wolfen viel passiert. Aus dem Chemiekombinat wurde ein Chemiepark mit 360 Unternehmen. Statt einst 17.000 Menschen haben dort 11.000 wieder einen Job gefunden. Die Luftbelastung liegt nur noch bei einem Prozent der DDR-Belastungen. Für die Natur aber sind zehn Jahre Goitzsche- Wildnis nur ein Wimpernschlag, gibt Falko Heidecke zu bedenken. Bis hier wieder ein Auenwald entsteht, müssen die Bewohner noch 300 Jahre warten. Und fast genauso lange wird es dauern, bis die Bakterien im Boden des Chemieparks Bitterfeld auch den letzten Rest Gift auf- geknabbert haben. -ENDE Arlt- 2 2