COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen ab- geschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft am 10. April 2008 Redaktion: Peter Kirsten Meere, Küsten und der Klimawandel Zur Weltkonferenz des Global Ocean Forums in Hanoi Von Johannes Kaiser ATMO: Meeresrauschen Kurz stehen lassen, Take 1 drüber legen, dann wieder kurz hochziehen, ausblenden TAKE 1: O-Ton Visbeck "Wer glaubt zu sagen, wir haben den Ozean verstanden, der weiß nicht, wovon er redet. Wir haben den Ozean nicht ver- standen." Spr.: Der Kieler Ozeanograph Martin Visbeck vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften steht mit dieser Ansicht keineswegs allein. Zwar haben die Meere den Menschen schon immer fas- ziniert und immer wieder sind Forscher aufgebrochen, sie zu erkunden, aber erst seit gut 20 Jahren steigt man tiefer in ihre Geologie, ihre Chemie, ihre Biologie ein und erlebt ständig neue Überraschungen. Das für das bloße Auge leere und wüste Salzwasser birgt eine verblüffende Artenvielfalt, ist dicht be- völkert. Allerdings braucht man schon ein Mikroskop, um die unglaubliche Formen- und Farbenpracht der winzigen, oft nur Tausendstel Millimeter messenden Phytoplanktonarten zu ent- decken, die normalerweise in den obersten 10-20 Metern der Ozeane anzutreffen sind. Von diesen Miniaturlebewesen ernäh- ren sich sämtliche Meeresorganismen und das sind wohl weit mehr als an Land leben. Auf über 10 Millionen Arten schätzen Meereskundler ihre Zahl. Nur rund 300 000 sind bislang er- fasst. Ein typisches Beispiel für unsere Unkenntnis der Meere. Dennoch greifen wir intensiv in ihre Natur ein und zwar durch die Klimaerwärmung, ohne genau zu wissen, was der erhöhte Kohlendioxidlevel der Atmosphäre im Wasser bewirkt. Die For- schung steht erst ganz am Anfang ihrer Entdeckungsreise. Doch das wenige, das sie bereits herausgefunden hat, ist schon so beunruhigend, dass unter anderem die Vereinten Na- tionen 2002 das Global Forum on Oceans, Coasts and Islands gegründet haben. Seine Aufgabe: sich mit der Nutzung, d.h. vor allem Übernutzung der Ozeane und deren Reaktion auf den Klimawandel zu befassen. Martin Visbeck begrüßt das aus- drücklich: TAKE 2: O-Ton Visbeck "Es gibt im Moment eine ganze Reihe von Konferenzen und das freut uns sehr, denn es ist, glaube ich, vielen klar gewor- den, dass wir die Ozeane ein bisschen vergessen haben. Im- merhin 2/3 des Planeten sind mit Wasser bedeckt." ATMO: Meereswellen Kurz stehen lassen, Spr. drüber legen, ausblenden Spr.: Genau aus diesem Grund treffen sich jetzt im April in Hanoi Experten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft sowie der Umweltbewegung aus Industrie- und Entwicklungsländern zur vierten Konferenz des Globalen Forums für Ozeane, Küsten und Inseln und diskutieren über jene sich überschneidenden Themen, von denen einige in der folgenden halben Stunde vorgestellt werden sollen. Zur Debatte steht ein vernünftiges Management der Meeresökosysteme, um Überfischung zu ver- hindern und die Artenvielfalt der Meere zu schützen. Außer- dem befasst man sich Verwaltungs- und Seerechtsfragen für alle jene Gebiete, die außerhalb der nationalen Grenzen liegen. Und schließlich geht es um die Frage, wie man mit den Folgen des Klimawandels umgehen soll, als da sind ansteigender Mee- resspiegel, Erwärmung und Versauerung der Meere. Rasche Lösungen sind nicht zu erwarten, auch wenn das Wasser im- mer mehr Menschen schon bald bis zum Halse stehen wird. Die ersten, die die Klimaveränderungen zu spüren bekommen, sind all jene, die an den Küsten der Meere leben, denn seit gut 100 Jahren steigt das Wasser. 20 Zentimeter sind es bis heu- te. Jedes Jahr kommen rund 5 Millimeter hinzu. Die Messdaten sind eindeutig, so Stefan Rahmstorf, Ozeanograph am Pots- dam Institut für Klimafolgenforschung: TAKE 3: O-Ton Rahmstorf "Die globale Erwärmung führt einfach unausweichlich zu einem Steigen des Meeresspiegels, weil einerseits warmes Wasser mehr Raum einnimmt, es dehnt sich aus, wenn es sich er- wärmt und zum zweiten schmilzt Eis auf den Kontinenten, wenn das Klima wärmer wird und dadurch fließt zusätzliches Wasser ins Meer hinein." Spr.: Am deutlichsten ist die Erwärmung in der Arktis zu beobach- ten. Ursula Schauer, physikalische Ozeanographin am Alfred Wegener Institut in Bremerhaven, war letztes Jahr mit dem Forschungsschiff zu Messungen vor Ort: TAKE 4: O-Ton Schauer "Die Meereisdecke geht zurück. Das steht außer Frage, jeden- falls über die letzten 20,30 Jahre. Zur Menge des Meereises gehört nicht nur die Ausdehnung, sondern auch die Dicke und dabei haben wir jetzt gerade im letzten Jahr herausgefunden, dass im sibirischen Bereich die Meereisdicke von vorher unge- fähr 2 m auf etwa einen Meter Dicke abgenommen hat und das ist natürlich eine heftige Reduktion. Sicherlich hat dazu noch geholfen, dass das Meereis insgesamt dünner über die letzten Jahre und Jahrzehnte geworden ist, so dass es leichter durch den Wind zusammen geschoben werden konnte. Das Windsystem war vor allen Dingen dafür verantwortlich, dass wir dann bei unserer Expedition im letzten Sommer eben gro- ße, weite, offene Wasserflächen hatten in Gegenden, wo das vorher noch nie offen war im Sommer." Spr.: Von entscheidender Bedeutung für den Meeresspiegelanstieg sind die Eismassen zu Lande, insbesondere die riesigen kilo- meterdicken Eisschilde, die Grönland und die Antarktis über- ziehen. Wärmeres Wasser führt hier zu mehr Verdunstung und damit zu mehr Niederschlägen, die als Schnee niedergehen, also die Eismasse an Land erhöhen. Gleichzeitig aber rutschen die Gletscher immer rascher ins Meer, lösen sich auf und er- höhen so den Meeresspiegel. Dieser Prozess hat sich in den letzten Jahren stark beschleunigt. Ein steigender Meeresspiegel bedroht vor allem die Entwick- lungsländer, denn in den Industrieländern wie z.B. in Deutsch- land ließe der sich durch die Erhöhung der Deiche oder Flut- wehre in den großen Flüssen technisch bewältigen. Dort aber ist das so gut wie unmöglich, so der Meeresbiologe Meinhard Schulz-Baldes, Generalsekretär des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung ,Globale Umweltveränderungen'. TAKE 5: O-Ton Schulz-Baldes "Denken Sie an ein Land wie Bangladesch oder denken Sie an ein Land wie Ägypten. Das Nil Delta liegt sehr, sehr niedrig. Da könnten durch einen 1 Meter Meeresspiegelanstieg 5 Millionen Menschen verdrängt werden und die gleichen Zahlen und noch höher finden Sie eben in Bangladesch oder überhaupt in Süd- indien. Wenn ich die Zahl richtig erinnere, leben innerhalb von 60 km von der Küste eine Milliarde Menschen in Südindien. Die großen Städte Madras, Mumbai, alle diese liegen an der Küste und das bedeutet eben große politische Maßnahmen und damit wirtschaftliche Maßnahmen, wenn man da irgendwas machen will." Spr.: Jeder Schutz wird extrem teuer und aufwändig. Und viele Län- der werden ihn sich nicht leisten können. So wird man auf der anstehenden Konferenz des UN Global Oceans Forums in Hanoi auch Alternativen diskutieren, wie sie das Sondergutachten des Wissenschaftlichen Beirats ,Die Zukunft der Meere' bereits aufzählt: TAKE 6: O-Ton Schulz Baldes "Können wir vielleicht auch einen kontrollierten Rückzug ma- chen, können wir uns also aus Gebieten zurückziehen und die dritte Möglichkeit: können wir zulassen, dass das Wasser ab und zu mal etwa unsere Deichvorländer überdeckt und finden wir vielleicht geänderte Nutzungsmöglichkeiten für diese Län- der, ohne dass wir jetzt extreme Baumaßnahmen machen." Spr.: Am Schlimmsten trifft es all jene Inselstaaten, die nur ein oder zwei Meter über den Meeresspiegel liegen. Das gilt für das Ur- laubsparadies Malediven ebenso wie für mehrere Karibik- und Südpazifikatolle. TAKE 7: O-Ton Schulz Baldes "Hier wird es Flüchtlinge geben und wir haben dafür den Aus- druck Meeresflüchtlinge geprägt. Was passiert mit diesen Men- schen? Die Juristen sagen uns ziemlich brutal, wenn ein Land überspült wird, existiert es nicht mehr und folglich haben die Menschen, die dort lebten, keinen Staat mehr und folglich sind diese Menschen staatenlos. Sie haben keinerlei Rechte, sie ha- ben keinerlei Pass, sie haben keinerlei Anrecht nach heutigem Recht, irgendwo anders hinzugehen und das kann natürlich nicht sein. Also hier muss die internationale Gemeinschaft neue Rechtsnormen festlegen, wie geht man mit den Meeres- flüchtlingen und in weiterem Sinne mit Umweltflüchtlingen, die auch keine Kategorie des internationalen Flüchtlingsrechts derzeit sind, wie geht man mit diesen Menschen um?" Spr.: Darüber wird die UN und das Global Ocean Forum diskutieren müssen. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung schlägt dazu vor: TAKE 8: O-Ton Schulz-Baldes "Etwa für Meeresflüchtlinge wäre es sinnvoll, einen Fond ein- zurichten und in diesen Fond wird nach einem bestimmten Schlüssel eingezahlt, nämlich nach der Emission des entspre- chenden Landes, also die differenzierte Verantwortlichkeit, alle sind verantwortlich, aber einige eben etwas verantwortlicher und die Staaten, die viel emittieren und damit auch viel zum Meeresspiegelanstieg beitragen, die müssen in einen solchen Fond einzahlen und aus diesem Fond müssen dann zum Bei- spiel in den Ländern, die sich bereit erklären, Meeresflüchtlin- ge aufzunehmen, neue Lebensbedingungen geschaffen wer- den." ATMO: Meeresrauschen Kurz stehen lassen, Spr. drüber legen, ausblenden Spr.: Wärmeres Wasser bedeutet nicht nur steigende Meeresspiegel, sondern auch zusätzliche tropische Stürme. Daran besteht we- nig Zweifel, ist doch deren Physik ziemlich gut bekannt, so UN- Klimaberichtsautor Stefan Rahmstorf: TAKE 9: O-Ton Rahmstorf "Die funktionieren dadurch, dass von der warmen Meeresober- fläche Wasser verdunstet wird, mit nach oben gerissen wird im Aufwind und dann dort wieder kondensiert und die Verduns- tungswärme wird dann oben in der Atmosphäre freigesetzt. Das ist also die Energiequelle. Deswegen treten diese Wirbel- stürme ja nur über Wasser von mindestens 27°C auf und ster- ben sofort, fallen in sich zusammen, sobald sie über Land kommen. Und es ist zunächst einmal plausibel, dass, wenn all- gemein die Meere sich aufheizen, dass dann auch mehr Ener- gie für solche tropischen Wirbelstürme zur Verfügung steht und dass die Meeresregion, wo diese kritische Temperatur von 27° erreicht wird, sich auch ausbreitet. Beides beobachtet man auch. Also man beobachtet, dass die tropischen Wirbelstürme stärker werden. Das ist in den letzten 30 Jahren ganz deutlich belegt für den Nordatlantik Spr.: Die Erwärmung des Wassers spielt aber auch eine ganz wichti- ge Rolle für die weltweite Verteilung des Regens, so Martin Visbeck: TAKE 11: O-Ton Visbeck "Ganz generell kann man auch sagen, dass die wärmer wer- dende Atmosphäre generell dazu führt, dass mehr Verduns- tung stattfindet im Ozean und das Wasser geht ja irgendwo wieder runter, das heißt es gibt auch mehr Regenfälle und man erwartet stärkere Niederschläge in den Tropen und auch in höheren Breiten." Spr.: Alles ist möglich, nichts gewiss. Der Forschungsbedarf ist rie- sig. ATMO: Meeresrauschen Spr.: Steigende Wasserspiegel und heftigere Stürme bedrohen aber nicht nur die am Meer lebenden Menschen. Sie gefährden auch die Magrovenwälder und die Korallenriffe, beides sehr wichtige Ökosysteme, die vielen Meeresbewohnern ideale Lebensbedin- gungen bieten und sich durch hohe Artenvielfalt auszeichnen. Gerade die Mangrovenwälder, die weltweit schwinden, oftmals für Fischfarmen abgeholzt werden, dienen zahlreichen Fischar- ten als Kinderstube. In der Vergangenheit wichen sie bei ei- nem Anstieg des Meeresspiegels langsam landeinwärts zurück. Heute ist das kaum mehr möglich, so Klimaforscher Stefan Rahmstorf. TAKE 12: O-Ton Rahmstorf "Mangroven können sich nicht einfach verlagern irgendwie 50 Meter weiter Inland oder so, weil meistens ist dann da eine Straße und menschliche Infrastruktur und zum anderen wird es sehr wahrscheinlich so sein, dass die Geschwindigkeit des Meeresspiegelanstiegs deutlich über das hinausgehen kann, was in der Erdgeschichte passiert ist, zumindest in den pessi- mistischeren Szenarien, so dass die Anpassungsfähigkeit von Ökosystemen dadurch überfordert wird." Spr.: Das gilt gleichermaßen auch für die Warmwasserkorallenriffe - diese wundersame Welt explodierender Formen- und Farben- pracht. Die Artenvielfalt eines Korallenriffs ist außergewöhnlich und wird zu Recht mit den tropischen Regenwäldern vergli- chen: es gibt nicht nur 400 verschiedene Korallenspezies, son- dern darüber hinaus 4000 Muschel- und 1500 Fischarten. Ein Meeresspiegelanstieg bedroht diese einzigartige Welt: TAKE 13: O-Ton Rahmstorf Wenn der Meeresspiegel ansteigt, dann wachsen die Korallen nach oben. Aber auch da gibt es Grenzen, wie schnell sie das können. Man weiß das nicht so ganz genau, aber man befürch- tet eben, dass ein Meeresspiegelanstieg in der Geschwindig- keit, wie wir sie die nächsten 100, 200 Jahre jetzt vor uns ha- ben, die Korallen überfordern dürfte in dem Tempo, in dem sie nachwachsen." Spr.: Die Erwärmung führt aber auch vor unseren Küsten zu Verän- derungen der Meereswelt, so der Meeresbiologe Meinhard Schulz-Baldes. TAKE 14: O-Ton Schulz-Baldes "Da hat die biologische Anstalt Helgoland festgestellt, dass wir in der Nordsee immer stärker den Eintrag von so genannten lusitanischen Arten, also Organismen, die eigentlich fast mehr der Mittelmeerflora oder der nahen Atlantikflora zuzuordnen sind und gleichzeitig stellen wir fest, dass ein Fisch wie der Kabeljau zunehmend aus der Nordsee verschwindet. Das hat natürlich auch was mit der Überfischung zu tun, aber es hat sicherlich auch damit zu tun, dass man zur Zeit feststellt, dass gewisse Populationen sozusagen dem kälteren Wasser folgen, in das sie seit Jahrhunderten angepasst sind in der Temperatur und das bedeutet, wir haben großräumige Verschiebungen der Gebiete, in denen Fische laichen, in denen sie später leben. Das Gleiche gilt für viele ihrer großen Zooplanktonarten, kleine Krebse, von denen diese Tiere sich ernähren und es fehlt na- türlich nicht mehr viel Fantasie und wir stellen uns vor, was passiert denn, wenn mit einem mal eine solche Planktonart nicht mehr da ist, was passiert mit einer Fischpopulation? AT- MO: Meeresrauschen Spr.: Neben dem Meeresspiegelanstieg und der Erwärmung des Wassers führt der Klimawandel zudem zu einer zunehmenden Versauerung der Meere, denn das Kohlendioxid aus der Luft löst sich im Wasser. Schon jetzt ist dessen Säuregrad, der pH- Wert um 0,1% gesunken. Das klingt nach wenig, bedeutet a- ber bereits einen Anstieg der Wasserstoffionenkonzentration um 30%. Die Meere funktionieren derzeit als so genannte Senke für Kohlendioxid. Rund ein Drittel des weltweit ausge- stoßenen CO² wird von den Ozeanen geschluckt. Ohne sie wä- re es schon wesentlich wärmer. Je wärmer sie werden, desto weniger CO² nehmen sie aber auf. Das zum einen. Zum ande- ren hat diese Abfallbeseitung Konsequenzen für das Meeresle- ben, wie die Forschungsgruppe Meeresbiowissenschaften um Dieter Wolf-Gladrow am Bremer Alfred Wegener Institut in La- borversuchen herausgefunden hat: TAKE 15: O-Ton Wolf-Gladrow "Die Bildung von Kalziumkarbonat oder Kalk kann man auch sagen, wird ja von einer ganzen Anzahl von Organismen durchgeführt. Wir kennen die Schnecken oder Muscheln oder die Korallen und im offenen Ozean sind es eben bestimmte Mikroalgen, also einzellige Organismen, die Fotosynthese betreiben, aber auch Kalkschalen produzieren und die Einzel- ler, die eben keine eigene Fotosynthese betreiben, das sind die Foraminiferen und dann größere Organismen, die können ein paar mm groß werden, das sind die Flügelschnecken, die sehr zarte Kalkschalen bilden und diese Organismen, die mögen ein saures Milieu nicht so gerne und da haben wir gesehen, dass die Kalzifizierungsraten runtergehen, wenn das Milieu saurer wird." Spr.: Selbst Fische könnten davon betroffen sein. Zwar haben sie ein gutes pH Regulationssystem, kommen also mit der Was- serversauerung problemlos zurecht, aber das gilt nicht für frü- he Entwicklungsstadien. Der Kieler Ozeanograph Ulf Riebesell überprüft dies experimentell auf See mit so genannten Meso- kosmen, meterhohen Stahlgestellen mit Plastikschläuchen, in denen sich Meerwasser befindet. In das wird Kohlendioxid in unterschiedlichen Konzentrationen eingeleitet. Das Ergebnis ist beunruhigend: TAKE 16: O-Ton Riebesell "Bei Ozeanversauerungswerten, wie wir sie zum Ende des Jahrhunderts erwarten, sehen wir zunehmend so genannte Fehlbildungen. Die Kalkskelette sind dann nicht mehr in der fi- ligranen und wunderschön anzuschauenden Form ausgebildet, sondern es treten mehr und mehr verkrüppelte Schalen oder Skelette auf, die dann möglicherweise dazu führen, dass diese Algen nicht mehr konkurrenzfähig sind im System." Spr.: Im Meer leben zahlreiche kalkbildende Lebewesen und sie alle sind von der Versauerung, also dem Sinken des pH-Wertes be- troffen: TAKE 17: O-Ton Riebesell "Die Fische haben als Teil ihres Gehörorgans so genannte Oto- lithen. Das sind kleine Kalkplättchen, die in den Gehörgängen sozusagen sich frei bewegen können, dort das Gleichgewichts- organ mit ausmachen und dieser Otolithen werden bereits früh in der Lavalentwicklung angelegt zu einer Phase, wenn die Larven selber noch relativ wenig pH Regulation betreiben kön- nen. Es ist also zu vermuten, dass die Ozeanversauerung sich möglicherweise in dieser frühen Phase auf die Fische auswir- ken könnte. Ähnliches gilt genauso für viele andere Organis- mengruppen, die Seeigel, die Seesterne - bereits in ihren Lar- ven legen sie Kalkskelette an." Spr.: Besonders betroffen wären die Kaltwasserkorallenriffe. Sie fin- den sich überall dort, wo das Wasser kälter als 12° ist, also vor allem innerhalb des nördlichen Polarkreises. Meeresfor- scher Ulf Riebesell: TAKE 18: O-Ton Riebesell "Also die Kaltwasserkorallen sind die Ökosysteme, die bei zu- nehmender Ozeanversauerung dem stärksten Risiko ausge- setzt sind. Das liegt ganz einfach daran, weil sie zum einen in kaltem Wasser vorkommen, in Wasser, das heute schon dieser korrosiven Grenze, dem Wert also, wo Wasser so sauer wird, dass es beginnt Kalk aufzulösen, schon sehr nahe sind und sie außerdem durch ihr langsameres Wachstum im Vergleich zu Warmwasserkorallen natürlich ohnehin schon sich sehr viel langsamer regenerieren können als Warmwasserriffe. Wir wis- sen, dass ganz viele Organismengruppen im Meer darauf an- gewiesen sind, zumindest Teile ihres Lebenszyklus in Kaltwas- serkorallenriffen zu verbringen, das sind biologische Hotspots im Ozean. Da ist wirklich Biodiversität in Hülle und Fülle in die- sen Kaltwasserkorallenriffen und man kann sich gut vorstellen, wenn die Riffe verloren gehen, dann ist damit auch der Le- bensraum für viele Organismengruppen, die darauf angewie- sen sind, bedroht." Spr.: Natürlich sind die Korallenriffe nicht nur durch den Klimawan- del bedroht. Vor allem die Fischerei mit Schleppnetzen zerstört sie hemmungslos, so wie sich überhaupt Überfischung und Klimawandel fatal ergänzen. Die Weltgemeinschaft verschließt einfach die Augen vor dem drohenden Kollaps der Fischbe- stände. Überfischte Ökosysteme aber sind gegenüber dem Klimawandel erheblich verwundbarer. Eine der wichtigsten Forderungen der Meeresforscher lautet denn auch, Schutzge- biete einzurichten, so Meinhard Schulz-Baldes, Generalsekre- tär des Umweltbeirates der Bundesregierung: TAKE 19: O-Ton Schulz-Baldes "Wenn wir wollen, dass bestimmte Tiere, dass bestimmte Tier- gesellschaften, dass bestimmte Landschaften erhalten bleiben, dann müssen wir Schutzgebiete einrichten und wir dürfen nicht nur irgendwo separat kleine Gebiete einrichten, sondern wir müssen dafür sorgen, dass diese Gebiete zum Teil durch Korridore so zusammenhängen, dass etwa größere wandernde Tiere sich auch in diesen Korridoren bewegen können. Auf der Welt stehen an Land ungefähr 12% der Oberfläche unter Schutz, aber wenn wir ins Meer kommen, dann haben wir bis- her nur ungefähr 1% der Meeresfläche unter Schutz. Wir soll- ten eigentlich versuchen, 20 bis 30% der Meeresfläche unter Schutz zu stellen. Das heißt nicht, dass darüber nicht vielleicht Schiffe fahren können, das heißt auch nicht, dass man da nicht vielleicht kontrolliert hier und da Fischerei betreiben könnte, aber es müssten eben andere Regeln dafür festgelegt wer- den." ATMO: Meeresrauschen Spr.: Bei allem Klagen über die Meeresversauerung, die erhöhte Aufnahme von Kohlendioxid hat auch eine positiven Effekt. CO² regt bekanntlich das Pflanzenwachstum an und das gilt an Land wie im Meer. Algen binden Kohlenstoff fotosynthetisch, bauen also CO² ab. Sobald die Algen absterben, nehmen sie den Kohlenstoff mit auf den Meeresgrund. Das nennt sich bio- logische Pumpe. Organisches Material sinkt in die Tiefe. Ge- steigertes Algenwachstum könnte also den CO² Anstieg in der Atmosphäre bremsen, den Klimawandel verzögern. Allerdings brauchen die Algen außer Kohlenstoff auch noch andere Nähr- stoffe. Das hat die Bremer Forscher vom Alfred Wegener Insti- tut auf die Idee gebracht, den Ozean sozusagen zu düngen, um das Algenwachstum zu stimulieren, so Dieter Wolf- Gladrow: TAKE 20: O-Ton Wolf-Gladrow "Es haben inzwischen etwa 10 große Eisendüngungsexperi- mente stattgefunden in verschiedenen Regionen im Ozean. Man geht natürlich dahin, wo Eisenmangel ist, das sind die Gebiete, die relativ viele Nährstoffe, sprich Nitrat, Phosphat enthalten und relativ wenig Biomasse aufbauen. Dann sieht man, dass das Algenwachstum stimuliert wird, also die Kur- venkonzentrationen steigen sehr schnell an, bei unserem Ex- periment um den Faktor 5 ungefähr und wir haben Hinweise da drauf, dass ein beträchtlicher Teil der aufgebauten Biomas- se in tiefere Wasserschichten abgesunken ist." Spr.: Die Frage ist nun, wie lange das so gebundene CO² in der Tie- fe bleibt. Tiefseeströmungen bringen es irgendwann wieder an die Oberfläche. Da gehen die Expertenmeinungen weit ausein- ander. Von einigen hundert bis zu 10 000 Jahren ist die Rede. Derzeit nehmen die Ozeane von den rund 7 Gigatonnen CO², die wir vor allem durch fossile Brennstoffe freisetzen, zweiein- halb Gigatonnen auf, also ein knappes Drittel. Würde man den ganzen südlichen Ozean düngen, ein gigantisches fast unvor- stellbares Unternehmen, könnte man höchstens eine knappe Gigatonne CO² zusätzlich aus der Atmosphäre holen. Solcher Kohlendioxidabbau wäre ein extrem teures Unterfangen. Zu- dem hätte die biologische Pumpe erhebliche Nebenwirkungen, so Ulf Riebesell: TAKE 21: O-Ton Riebesell "Dieser organisch gebundene Kohlenstoff wird unten abge- baut, setzt CO² frei und zehrt bei diesem Prozess gleichzeitig noch Sauerstoff. Und das ist sozusagen ein Prozess, der insge- samt die Lebensbedingungen im tiefen Ozean verschlechtert. Es gibt heute schon ausgedehnte Regionen, wo Sauerstoff Mangelware ist, wo höhere Organismen gar nicht mehr existie- ren können, wo letztendlich nur noch bakterielles Leben exis- tiert und mit mehr CO² Bindungen, mehr CO² Transport in die Tiefe, also einer effizienteren biologischen Pumpe, werden sich auch diese sauerstofffreien Zonen im tiefen Ozean weiter aus- dehnen. Wir haben mal spaßenshalber unsere Ergebnisse aus unseren Mesokosmen-Experimenten aus Norwegen als Grund- lage genommen für einen Zukunftsozean. Und wir haben ge- sehen, dass sich durch diesen Prozess, diese vermehrte Sau- erstoffzehrung die sauerstoffarmen Zonen im Ozean um 50% ausdehnen, das heißt, wir haben eine massive Erweiterung dieser aus Sicht der höheren Organismen toten Areale des O- zeans." Spr.: Auf dem Global Oceans Forum in Hanoi wird auch diese Form der Kohlendioxidverminderung zur Diskussion stehen. Mein- hard Schulz-Baldes kann solchen technischen Lösungsvor- schlägen allerdings wenig abgewinnen: TAKE 22: O-Ton Schulz Baldes "Also ich halte von solchen Maßnahmen, die unter dem großen Stichwort geoengeenering zuzuordnen sind, überhaupt nichts, weil wir eigentlich die Nebenwirkungen nicht wirklich kennen. Die können Sie beim besten Willen bei solchen großflächigen Dingen, die können sie nicht vernünftig berechnen. Ich glaube, wir pfuschen in die Natur rein und es gibt genügend andere Möglichkeiten, als dass wir uns auf solche windigen Spielchen einlassen." Spr. Nur eine Variante der CO² Bekämpfung findet Gnade vor dem kritischen Ozeanographen und viele seiner Kollegen stimmen ihm da zu. Als sinnvolle, wenn auch ebenfalls sehr teure Lö- sung sehen sie das Einpumpen von Kohlendioxid in alte Erd- gas- oder Erdöllager unter dem Meeresgrund. Stefan Rahms- torf: TAKE 23: O-Ton Rahmstorf "Das wird auch schon in kleinem Stil gemacht von den Norwe- gern im Sleipener Gasfeld. Das haben wir auch mal vor Ort besichtigt. Dort pumpen die CO² in den Meeresuntergrund in eine salzhaltige Wasserschicht, wo sich das CO² auch löst. Also die Geologen sind sehr zuversichtlich, dass es dort wirklich nicht nur 10.000, sondern wahrscheinlich sogar Millionen Jahre tatsächlich unten bleibt. Das ist aus vielen Gründen attrakti- ver, als das an Land zu machen, denn sollte wirklich mal ir- gendeine Panne passieren und eine große CO² Blase hoch- kommen aus einem solchen Bohrloch, dann könnte das an Land für die Menschen in unmittelbarer Nähe und Tiere tödlich sein. Das kann, wenn man das im Meeresuntergrund macht, natürlich nicht passieren, denn wenn dort eine CO² Blase rauskommt, würde das CO² erst einmal ins Meerwasser rein- gemischt und sich dort lösen und das wäre nicht weiter tra- gisch." Spr.: Die Sequestrierung, wie man das Abspalten des Kohlendioxids aus Kohle nennt, ist allerdings noch eine Zukunftstechnologie, die frühestens in 10 bis 15 Jahren zur Verfügung steht. Die Kosten sind enorm. Wahrscheinlich werden die Erneuerbaren Energie bis dahin billiger Strom und Wärme liefern als Kohle- kraftwerke. Eines ist jedenfalls allen klar: die Verbrennung fos- siler Energien sollte so rasch als möglich gestoppt werden. Die Meere haben ein langes Gedächtnis. Die Fehler von heute wer- den uns noch bis ins nächste Jahrhundert begleiten. Der Kieler Meeresströmungsforscher Martin Visbeck warnt eindringlich. TAKE 24: O-Ton Visbeck "Mit dem Klima machen wir Experimente in der Hoffnung, es wird das schon überleben. Das Klima wird das Überleben, in- wieweit wir das Überleben, werden wir auch sehen. Wir ma- chen sehr viel mit dem System und teilweise ohne zu wissen, was wir eigentlich wirklich tun." Spr.: Es wird Zeit, dass sich das ändert. 16