DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 07.07.2015 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 – 20.00 Uhr Über die Schaffung von nazifreien Zonen Stadtentwicklung in Berlin-Schöneweide Von Ursula Rütten URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Musik: live Anarchistische Musikwirtschaft Berlin Atmo: Fest Bürgermeister: Es kann nicht wahr sein, … dass Menschen hier eingeschüchtert, verängstigt werden sollen, weil sie sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Sprecher: Fest für Demokratie und Toleranz – gegen Angsträume. Schöneweide, 30. Mai 2015 Atmo O-Ton: Igel Oberschöneweide ist jetzt nicht heile Welt, aber Oberschöneweide ist eine grandiose Geschichte, wie man aus einem Tal wieder rauskommt. Sprecher: Oliver Igel. Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick Musik: Akzent EN O-Ton: Schmidtke Natürlich lässt sich unsere politische Bewegung und unsere Partei nicht an einen Rand drängen, bloß weil eine bestimmte Entwicklung hier im Stadtteil Schöneweide vonstattengeht. Sprecher: Sebastian Schmidtke. Berliner Landesvorsitzender der NPD Atmo: O-Ton: Igel Und es waren die Bewohner dieses Ortsteils, die gesagt haben: Wir akzeptieren nicht, dass Oberschöneweide Oberschweineöde genannt wird. Wir akzeptieren nicht, das Oberschöneweide als Dreckloch, als Nazihochburg, als Hort sozialer Konflikte gesehen wird. Sprecher: Über die Schaffung von nazifreien Zonen Stadtentwicklung in Berlin-Schöneweide Ein Feature von Ursula Rütten Musik: live Band Aufführung Theater Strahl O-Ton: Aufführung The Working Dead Finn Sprengen ist gewissermaßen kreativ … Du haust was weg was alt ist und aus den Trümmern entsteht was Neues Atmo O-Ton: Thron Schöneweide ist eigentlich ne Insel. Ist abgegrenzt durch eine große Straße, die Schnellerstraße, die derzeit eine sechsspurige Straße ist, durch die Spree nochmal durchzogen, durch die Wuhlheide… dadurch leben wir hier wie auf einer kleinen Insel. Sprecher: Sebastian Thron. Anwohner. Sozialarbeiter auf einem ausrangierten Frachter am Kaisersteg, Niederschöneweide: dem Jugendzentrum ReMiLi - RechtsMitteLinks. O-Ton: Thron Schöneweide hat das große Problem, dass es mal gebaut wurde zu nem ganz gewissen Zweck, das heißt, da wurde ein Wasserweg genommen und Fabrikanlagen rangebaut, dahinter kamen Wohnanlagen. Damals bei Rathenau sicherlich höchstgradig durchdacht, die Wohnungen sind auf dem neuesten Stand, wirklich modern. Es war sehr arbeiterfreundlich gewesen, aber mit der Wende und dem Zusammenbruch dieser Industrie, es ist ja der größte oder zweitgrößte europäische innerstädtische Industriekomplex Europas gewesen, hat Schöneweide eigentlich seinen Sinn verloren. Und diesen Sinn sucht Schöneweide noch heute. Musik: live Band WorkingDead O-Ton: Aufführung The Working Dead Finn Das war mal alles Natur hier Mark Brandenburg Keine Industrie und son Scheiß Guck dir doch mal die Wilhelminenhofstraße an Der reinste Döner- und Nagelstudiostrich Der Fraß, die Nutten und wir die Freier Das muss weg hier Alles Sprecher: The Working Dead. Von Jörg Menke-Peitzmeyer. Theater Strahl, Berlin. Uraufführung 19. Mai 2015, Industriehalle KAOS. KAOS für: Kreative Arbeitsgemeinschaft Oberschöneweide. Das Stück ist Teil einer Trilogie über Industriegebietskinder: Was macht der Niedergang einer einst blühenden Industrie mit den davon betroffenen Generationen. Musik: live Band WorkingDead Sprecherin: Schöneweide - Schweineöde. Da wurde nicht lange drumherum geredet. Da wurde beim Namen genannt, was die betroffenen Menschen empörte in diesem Stadtteil im Berliner Südosten. Bezirk Treptow-Köpenick. Bald nach der Wende und in den Folgejahren. O-Ton: Aufführung The Working Dead Finn Oberschöneweide braucht keinen Architekten Oberschöneweide braucht einen Sprengberechtigten …. Jenny Typisch Alles kaputtmachen niederreißen zerstören Aufbaun können dann andere Finn Endlich freie Sicht auf die Spree Sprecherin: Schweineöde, das war die gefühlte Öde im Kopf der Menschen, die dort, an diesem einstigen Pionierstandort der Elektroindustrie, namentlich in Oberschöneweide, jahrzehntelang ein gutes Auskommen, gutes Wohnen und gutes Ansehen hatten. Seit der AEG-Gründer Emil Rathenau 1897 auf einem Gelände von gut 100.000 Quadratmetern entlang der Oberspree das weltweit erste Drehstromkraftwerk in Betrieb nahm, zur öffentlichen Elektrizitätsversorgung. Und Berlins Aufstieg zur „Elektropolis“ begann. Musik: live Aufführung The Working Dead Sprecherin: Die Öde nach dem Aus für die AEG, für die großen VolksEigenen Betriebe der DDR: Die Kabelwerke Oberspree, KWO, das Transformatorenwerk Oberspree, TRO, das Werk für Fernsehelektronik, zum Beispiel. Oder auch die Bärenquellbrauerei in Niederschöneweide. Rund 30.000 Arbeitsplätze gingen verloren. Das Ende einer Traditionslinie für Generationen. Obendrein die Abwicklung des staatlichen Rahmens, der DDR. Zwei existenziell wichtige Gründe für den Verlust von Sicherheit und Selbstwertgefühl. Für Ängste um die Zukunft. Tausende wanderten ab, in den Westen. Tausende Daheimgebliebene führten ein Leben von der Stütze und mit zu viel Alkohol. O-Ton: Lemme Und dann ne lange Zeit, in der immer wieder gesagt wurde - es sind hier ja schon ganz viele Projekte über Schöneweide drübergelegt worden, es war Sanierungsgebiet usw. - in fünf Jahren wird das hier besser, in fünf Jahren usw. und wieder in fünf Jahren. Es gab viele Menschen, mit denen wir geredet haben, die schon so einen totalen Frust hatten, ach ja, das haben schon so viele gesagt, und es passiert trotzdem nichts. Sprecher: Die Architektin Mareike Lemme blickt auf die Zeit zurück, wo sich noch niemand ein vom Bezirk gefördertes Projekt wie Schöneweide Kreativ vorstellen konnte, das sie heute leitet. O-Ton: Thron es ging ja los mit der Sanierung …und wir haben alle gebrüllt: Hurra, es geht los! Sprecher: Sebastian Thron, Anwohner, Sozialarbeiter. O-Ton: Thron Danach kam das Quartiersmanagement, und wir alle haben gebrüllt: Hurra, es geht los! Dann kam die HTW, wir alle haben gebrüllt: Hurra, es geht los! Sprecherin: Die HTW gilt noch immer als der Leuchtturm für diesen Stadtteil, seit es der Bezirk 2006 geschafft hat, die auf mehrere Stadtteile verteilte Hochschule für Technik und Wirtschaft für den Standort Oberschöneweide zu gewinnen. Tatsächlich aber sind die inzwischen rund 6000 jungen Studierenden im alltäglichen Leben außerhalb des Campus in der Wilhelminenhofstraße kaum sichtbar, geschweige denn, dass sie das Lebensgefühl in diesem Stadtteil beeinflussen. Wohnen sie doch nach wie vor überwiegend eher in Szenevierteln wie Kreuzberg, Friedrichshain oder Neukölln. Und somit konnten sich in dieser urbanen Lücke in Schöneweide, zehn, fünfzehn Jahre nach der Wende, mit diesem schwachen sozialen Gefüge, recht bald und lange unbehelligt Freiräume zum Ausleben antidemokratischer, völkisch gepolter, rechtsextremer Gesinnung diverser Kiez-Kameradschaften, Autonomer Nationalisten und von NPD-Mitgliedern etablieren. Musik: EN sound Brückenstraße Sprecherin: Braune Straße. - So tituliert in einem Ende November 2011 veröffentlichten Dossier der Antifa-Berlin. Seither wurde sie allgemein so genannt: die Brückenstraße in Niederschöneweide. Eine nur wenige hundert Meter lange, unscheinbare Wohnstraße zwischen S- Bahnhof und Spree. Indes Synonym für eine, sich bis über die Treskowbrücke nach Oberschöneweide ausdehnende Demarkationslinie für einen fast zwei Jahrzehnte geführten Raumkampf. Ein Kampf insbesondere lokaler rechtsextremer Gruppierungen um Einwirkung auf das soziale Leben, vermehrt mit jugend- und sozialpolitischen Aktivitäten anstatt bloßer neonazistischer Propaganda. Beratung für Hartz IV-Empfänger, zum Beispiel. Ein Kampf um kulturelle Hegemonie über diesen öffentlichen Raum. Ein Kampf, der Angsträume erzeugen und die eigenen Reihen durch neue Anhänger stärken sollte. O-Ton: Müller Zu Beginn der 2000er Jahre gab es im Gebiet Schöneweide, war vor allem die Kameradschaft der Berliner Alternative Süd-Ost, abgekürzt BASO, aktiv. Sprecherin: Fast zeitgleich reagierte die Politik auf diese Entwicklung. Berlinweit mit einem Landesprogramm gegen Rechtsextremismus. Aus Mitteln des Senats für Integration, Arbeit und Soziales wird seit 2002 die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus, MBR, als erste Anlaufstelle gefördert. In Treptow-Köpenick beschloss 2003 die Bezirksverordnetenversammlung einstimmig die Gründung des Zentrums für Demokratie. Die Einrichtung in Schöneweide wird seither gefördert durch das Bezirksamt und das Bundesfamilienministerium aus Mitteln des Bundesprogramms „Vielfalt tut gut“. Matthias Müller gehört seit vielen Jahren zum kleinen Team der berlinweit agierenden mobilen Berater gegen Rechtsextremismus: O-Ton: Müller Da gab es Führungskader der rechtsextremen Szene, die dort junge Menschen angesprochen haben, für diese jungen Menschen Angebote der Freizeitgestaltung gemacht haben und diese mit politischen Ideologien der rechtsextremen Szene verknüpft haben. Das waren Aufmärsche, das waren Freizeitangebote, mit gemeinsam Freizeit zu verbringen, Alkohol zu trinken, rechtsextreme Musik zu hören, Wanderungen zu tätigen. Sprecher: Zum Beispiel initiierte die Berliner Alternative Süd-Ost 2003 eine Kampagne für ein Nationales Jugendzentrum, mit breiter Unterstützung der gesamten rechtsextremistischen Szene. Sebastian Schmidtke, heute Landesvorsitzender der Berliner NPD: O-Ton: Schmidtke Als Ziel für uns ist es, Bürgerbüros zu schaffen, sofern es finanziell möglich ist, eigene Immobilien zu erwerben, aber auch und das ist ein Ziel, das wir seit 2003 mittlerweile verfolgen mit einer Kampagne, nationale Jugendzentren zu eröffnen, wo junge Menschen hinkommen können wenn sie Angst haben, zum Beispiel vertrieben werden aus anderen Jugendzentren, bloß weil sie halt ne falsche Schuhmarke tragen oder Kleidungsmarke tragen. … Das ist ein Ziel seit 2003, wo wir auch jedes Jahr Demonstrationen gemacht haben. .. Obs nun in Schöneweide oder in Johannisthal ist, das muss man sehen, je nachdem, wo man eine Immobilie bekommt, das ist halt immer die Problematik. O-Ton: Müller Diese Kameradschaft ist dann verboten worden vom Berliner Innensenator im Jahre 2005. Teile der damals aktiven Rechtsextremen sind dann sehr stark aktiv geworden in der Jugendorganisation der NPD, der Jungen Nationaldemokraten. Und da gab es in Köpenick seit dem Jahr 2000 die Bundesparteizentrale. Das war eines der Trefforte für Schulungen, Vortragsabende usw. für die ganz praktische Parteiarbeit der NPD. Aber auch in Schöneweide gab es Kneipen und Lokalitäten, in denen Rechtsextreme sehr gerne und oft verkehrt haben. Dort hat sich ein Milieu getroffen von subkulturell geprägten Neonazis bis zu jungen Aktiven der NPD. Musik: EN Sprecher: Brückenstraße 14. Hier betrieb unter anderen der einschlägig auffällig gewordene Neonazi Paul Stuart Barrington die Kneipe „Zum Henker“. Eröffnet Ende Februar 2009. Ein zentraler Szenetreff und Veranstaltungsort der Berliner Rechtsextremisten. Laut Verfassungsschutzbericht 2013 wurden dort regelmäßig Aktionen vorbereitet, ideologische Schulungen, Spendenaktionen und Konzerte mit indizierter Musik durchgeführt. Mitte September 2012 wurde hier der Berliner Landesverband der Partei „Die Rechte“ gegründet, größtenteils von Mitgliedern der verbotenen Kameradschaft Frontbann 24. Eine Gruppe, die sich die SA zum Vorbild genommen hatte. Barrington verantwortete z. B. die inzwischen verbotene Internetseite www.ss88.de. O-Ton: Müller Es gab Parties, die sich nannten „88-cent-Party“, konkret für dieses Milieu... also die 88 als Zahlencode und Chiffre für Heil Hitler, der achte Buchstabe des Alphabets, HH, gleichgesetzt. … Beispielsweise haben sich dort auch Neonazis getroffen und sind von dort aus zu rechtsextremen Aufmärschen gestartet, bzw. nach einem Aufmarsch sind sie geschlossen nach Schöneweide gefahren und haben sich im Henker dann noch beim Bier zusammengesetzt. Musik: EN Sprecher: Brückenstraße 9. Hier eröffnete Sebastian Schmidtke von den Autonomen Nationalisten wenige Monate vor seiner Wahl zum Berliner Landesvorsitzenden der NPD, 2012, das „Hexogen“. Benannt nach einem hochgiftigen Sprengstoff. Das Hexogen: Ein Militarialaden zur Rundumausstattung rechter Frontkämpfer, von Klamotten über anfeuernde Begleitmusik bis hin zu Teleskopschlagstöcken und Reizgas. In der Brückenstraße 7 und Brückenstraße 3 führte Thomas Barutta von den Nazirockern „Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft“ gleich zwei Umschlagplätze fürs eigene Klientel: einen Getränkehandel und die Kneipe „Zur Haltstelle“. Atmo Sprecherin: Die Verkäuferin in der Metzgerei nebenan wollte nichts über diese Zeit in der Braunen Straße erzählen ohne vorher den Meister zu fragen. Und der Meister verwurstete gerade Schweine und gab sich unabkömmlich. Nachbarin Natalja hingegen ist selbst die Chefin des russischen Lebensmittel- und Kramladens in der Brückenstraße. Freundlich, ohne Argwohn, wer weiß, was sie hinter sich gelassen hat und wohin sie wollte, ist die Zugewanderte offenbar angekommen in der neuen, ja doch so pluralistischen Heimat: Musik: live Anarchistische Musikwirtschaft Berlin O-Ton: Natalja Ich bin Natalja. ... Ich bin eine russische Frau aus Schöneweide. ... Geschäft seit 2003. ... Unsere Straße hat vietnamesische Laden, hat zwei Paar Nagelstudios, türkische Laden und russische. Und braune Laden haben wir auch gehabt, warum nicht? Ich habe keine Probleme gehabt. Keine Bedrohung oder so was, ne. Diese Leute zu mir gekommen, russische Bier kaufen, Ich habe erkannt, ja, das war spezielle Bekleidung, ja, und Glatze. Aber das war freundliche Leute. Ich weiß nicht, was machen diese Leute, aber ich habe nicht Schlechtes von diese Leute gesehen. O-Ton: Marko Mitgekriegt hab ich so einige Sachen. Ich selbst bin ja ein Skinhead, bin rein äußerlich dem auch zuzuschreiben. Sprecher: Marko K., Anwohner Schöneweide. Groß, kernig, breitschultrig, gewöhnliche legère Straßenkleidung. O-Ton: Marko Und wenn ich gerade an diesen Läden vorbeigelaufen bin, bin ich schon öfter bepöbelt worden als Döner-Skin und als Zecke oder so, weil ich eben nicht in denen ihre Läden reingegangen bin und ich mich von den Klamotten schon deutlich unterscheide zum Nazi-Skin. Verprügelt hat mich nie einer. Ich bin jetzt auch kein kleiner Mensch, den man mal schnell anfällt, habe aber Freunde, die verprügelt wurden, habe mitgekriegt, wie sie hier durch die Gegend gezogen sind zu fünft, zu sechst und rumgebrüllt haben. Aber letztlich immer viel Luft um nix. Ich hab manchmal in ner Kneipe gearbeitet hier und die kamen rein mit Sieg Heil, und dann hab ich sie rausgeschmissen, dann war es auch wieder gut. Die standen denn zu dritt vor mir. Wenn man die Stirn bietet, dann funktioniert es auch. Man muss es nur machen. Wenn man sich das gefallen lässt, funktioniert es natürlich nicht. Musik: EN O-Ton: Schmidtke Gewalttaten sind ja eigentlich hier in der Region eher seltener. Das ist ja eigentlich eine sehr ruhige Gegend. Sprecherin: Sebastian Schmidtkes Konterfei ist bekannt von vielen Fotos, die Antifa-Aktivisten von Demos und Aufmärschen ins Internet gestellt haben. So düster und unsympathisch wirkt der hochgewachsene, kräftige Mann mit dunklem kurzem Haar unter der Baseballkappe, geschätzte Anfang dreißig nicht beim vereinbarten Treffen auf dem Stadtplatz in Oberschöneweide. Kommt er doch als Abgeordneter der Bezirksversammlung von Treptow-Köpenick und als Vorsitzender des Landesverbandes einer noch legalen Partei. O-Ton: Schmidtke Ob es jetzt unbedingt am Henker lag, man muss ja differenzieren, ob es da manchmal einfach Kneipenschlägereien waren, die es nunmal gibt, leider, auch solche Gewalttaten sind natürlich Mist, oder ob es politische Gewalttaten waren, das muss man natürlich immer ein bisschen unterscheiden. … Es waren verschiedene Fälle, die vorgefallen sind, in der Umgebung des Henkers oder in Niederschöneweide, die wurden zum Teil gar nicht verurteilt. Es wird kurzzeitig hochgebauscht, dass in der Nähe des Henkers, in der Braunen Straße, irgendwelche Gewalttaten passiert sind, aber im Nachhinein wird nicht berichtet, dass es gar keine Verurteilungen wegen solchen Sachen gibt, weil es nicht nachgewiesen werden kann. Sprecher: In keinem anderen Bezirk dokumentierte der Berliner Verfassungsschutz zwischen 2003 und 2012 so viele rechte Gewalttaten wie in den Bezirken Treptow-Köpenick und Lichtenberg. O-Ton: Y?ld?r?m Vor zwei Jahren, ich glaube, vor zweieinhalb Jahren … Wir haben ja schon zu gehabt, nur haben wir die Tür nicht zugemacht, wir wollten ja nur noch unseren Tee trinken und rausgehen. Wir wollten ja schon nach Hause gehen. Dann ist es passiert. Diese Leute haben diesen Jungen hinter ihm gerannt und wollten ihn schlagen. Wir haben nur unsere Pflicht getan. Jeder Mensch würde das tun, wenn zwanzig Leute auf einen Jungen losgehen. .. Das war ein Deutscher, ... ein normal aussehender Junge. .. Die haben so ne schwarze Sachen alles angehabt, schwarze Pullis, schwarze Hosen, Kapuzen, also nicht alle Kapuzen… Die haben, glaube ich, an dem Tag ne Demo gehabt oder Veranstaltung. Da war hinten so ne Henker-Kneipe. Die Kneipe heißt Henker. .. Wir haben den Jungen versteckt, ja, hinter der Bar. … Kann man so sagen, sechs, sieben Leute haben hinter ihm gerennt, aber die sind später mehr geworden, vielleicht zwanzig, sind sehr viele geworden. … Die haben uns auch bedroht, na klar. Wir haben uns verteidigt. Sprecherin: Verbal und mit vorgehaltenem Döner-Spieß. Brüder und Cousin der kurdischen Familie Y?ld?r?m vom Grillhaus Schöneweide. Ecke Brückenstraße, Schnellerstraße. O-Ton: Y?ld?r?m Wir haben die nicht reingelassen, ok, wir waren schon mit Wortwechsel waren wir schon dabei, handgreiflich wollten wir fast werden, aber zwei Autos von Kripo sind aufgetaucht, Gott sei Dank sind sehr schnell gekommen. Wenn sie nicht gekommen wären, wär ne große Katastrophe passiert. Atmo: Antifa-Demo Köpenick O-Ton: Marko Aufatmen hier kann man auf jeden Fall. Die Frage ist, wie man damit umgeht. … Mit dem Henker und dem Hexogen sehe ich das so, dass es schön ist, dass die nicht mehr da sind, weil viel Laufkundschaft wegbleibt. Atmo Sprecherin: Anima e Cuore – Seele und Herz. Derart gefühlig umwirbt seit wenigen Monaten eine Pizzeria eine anders gepolte Kundschaft. Im Erdgeschoss Brückenstraße 14. Seit dort Der Henker auf richterliche Anordnung schließen musste, Ende März 2014. Leerstand immer noch im Erdgeschoss Brückenstraße 9, seit Sebastian Schmidtke wenig später seinen Militaria-Laden Hexogen dicht machte, weil ihm die im gesamten Kiez geballte zivilgesellschaftliche Gegenwehr die Fans vergrault hatte. O-Ton: Schmidtke Es war ja kein Verdrängen, uns blieb juristisch gar keine andere Möglichkeit außer die Läden zu räumen, sonst hätten wir ja gegen Straftatbestände verstoßen. … Wenn man jetzt von Verdrängung sprechen möchte, dann ist es ne gewisse Verdrängung, aber durch nen militanten Widerstand, der wirklich nicht zu rechtfertigen ist in einem Rechtsstaat. Das Problem war, dass es natürlich einen gewissen Widerstand gab von der sogenannten Zivilgesellschaft und von linken Gruppen gegen die Läden, die in Niederschöneweide existiert haben, die massiv angegriffen wurden durch Sachschäden, aber es wurde auch juristisch probiert, meinen Laden, zum Beispiel, rauszuklagen oder auch den Henker rauszuklagen. Es hat in beiden Fällen so nicht geklappt, der Henker ist dann rausgegangen, weil einfach die Mietzeit zu Ende war, die fünf Jahre. Ich bin rausgegangen, weil es wirtschaftlich, auch aufgrund der Anschläge auf meinen Laden, es gab allein 2013 innerhalb von wenigen Wochen acht Anschläge mit Steinen, Farbanschläge usw. auf den Laden, so dass es auch finanziell gar nicht mehr möglich war, diesen Laden zu unterhalten aufgrund der Kosten. O-Ton: Becker Dementsprechend haben wir heute ein anderes Bild. Nicht nur ein anderes Bild nach außen, sondern auch von den Menschen, die hier leben. Es gab nen Zuzug junger Familien. Es gibt viel mehr Migranten, die in Schöneweide wohnen. Alternative Jugendliche, Punks, Leute, die offen links aussehen, sind auf der Straße unterwegs und das auch abends oder nachts. Das wäre vor drei, vier Jahren noch nicht möglich gewesen. Sprecher: Kati Becker arbeitete bis Ende April im Zentrum für Demokratie. Ein vom Bezirk 2003 initiiertes Aufklärungs- und Bildungszentrum. Die Politik wollte damit die vielen zivilgesellschaftlichen Aktiven im Bündnis für Demokratie und Toleranz in ihrem Engagement gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit unterstützen. Die Räumlichkeiten liegen gegenüber dem Bahnhof Schöneweide. Die Brückenstraße ist gleich um die Ecke. Seit 2004 richtet dieses Bündnis für Demokratie und Toleranz unter der Schirmherrschaft des Bezirksbürgermeisters von Treptow-Köpenick alljährlich ein Stadtfest unter diesem Motto aus. Mit Teilnehmern u. a. aus Vereinen, Parteien, Unternehmen, der HTW oder auch mit „Bolzen gegen Nazis“, ein Turnier, zu dem der FC Union aufruft. O-Ton: Becker Das Zentrum für Demokratie ist ja nicht gegründet worden, weil es in Schöneweide besonders viele Nazis gab, sondern weil die NPD-Zentrale in den Bezirk gezogen ist, ein Schulungszentrum eröffnet hat und dann der Bezirk gesagt hat, das geht so nicht. Wir brauchen irgendeine Art von demokratischer Bildung, die dagegen gesetzt wird. Da sind wir doch sehr offensiv reingegangen, na, in den Dialog will ich nicht gerade sagen, es war eher ne Öffentlichkeitskampagne, laut zu sagen: hier sind sie, hier sind die Treffpunkte. Das haben viele Menschen sehr skeptisch gesehen am Anfang, insbesondere die Schöneweider, die sich stigmatisiert gefühlt haben. … Sprecher: Was auch Nico Schmolke vom Bündnis für Demokratie und Toleranz und dem eher informellen antifaschistischen Aktionsbündnis Uffmucken immer wieder erfahren musste. Obwohl sich viele im Bezirk mit Nazis in der Nachbarschaft offenkundig unwohl fühlten, mochten sie es nicht, dass ihr Kiez als Problemstadtteil identifiziert wurde. O-Ton: Schmolke Uffmucken und Antifa-Arbeit ist weiterhin kein Aushängeschild vom Bezirk. … Mit unseren ersten Aktionen haben wir daher auch viel Zwietracht gesät, haben dort viel Kritik bekommen, dass wir da mit unseren Demos durchziehen und die Leute aufheizen. Da sag ich nur, gerade das war nötig, das offen zu thematisieren, auch in der Bevölkerung erstmal diese Wut gegen uns zu bekommen, damit die merken, es ist tatsächlich ein Problem. O-Ton: Becker Andere haben zunehmend mitgemacht, nicht nur Anwohner, sondern soziale Einrichtungen. Über einen Lokalen Aktionsplan haben wir auch die Lokalpolitik einbinden können. Wir konnten über ein Projekt des Landes Berlin, den Berliner Beirat für Schöneweide, auch wirtschaftliche Akteure mit einbinden. O-Ton: Müller Da gibt es die Initiative Handeln statt wegsehen, eine Berlin weite Initiative, in der sich der Einzelhandelsverband, die Gewerkschaft ver.di und die Industrie und Handelskammer in Berlin u. a. engagieren, die wir über viele Jahre beraten und begleitet haben. Sprecher: Matthias Müller. Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin O-Ton: Müller Diese Initiative konnte das Center Schöneweide, ein großes Einkaufszentrum am Bahnhof Schöneweide, gewinnen, dass sie sich öffentlich positionieren gegen Rechtsextremismus, auch mit einer Aktion, die Ende 2014 stattfand, wo sie öffentlich gesagt haben: Rassismus, Rechtsextremismus kommt bei uns nicht in die Tüte. Da wurden Stoffbeutel verteilt, wo dieser Slogan draufstand und wo das Centermanagement und alle dort Beteiligten sich durch eine öffentliche Aktion und durch ein Schild, wo auch deutlich wird, dass dieser Betrieb sich aktiv gegen Diskriminierung, gegen Rassismus, gegen Rechtsextremismus einsetzt, wurde dieses Schild außen sichtbar angebracht. Desweiteren haben wir als Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus gemeinsam mit einem Anwalt Klauseln entwickelt, die Gewerbetreibende in ihre Mietverträge aufnehmen können. In diesen Klauseln steht z. B. drin, dass die Personen, die diese Räumlichkeiten mieten möchten, damit unterschreiben, dass ihnen verwehrt ist, dass sich in diesen Räumlichkeiten Treffpunkte von Rechtsextremen entwickeln können, bzw. wird dort auch formuliert, wenn es sich um Ladengeschäfte handelt, dass keine rechtsextremen Kleidungsmarken dort verkauft werden können. O-Ton: Schmolke Ich finde schade, dass manchmal nicht realisiert wird, dass insgesamt ein Antifa-Engagement nötig ist, um das zu erreichen. Wenn man insgesamt ganz strategisch draufguckt, wie man so ne Naziszene vertreibt, dann wird man es nicht nur durch wir machen jetzt mal ne Bürgerversammlung oder wir fördern jetzt Wohnungsbau, wir entwickeln jetzt die Straße zu ner Geschäftsstraße, das sind ja alles Konzepte, die gefahren werden. Nur das alleine wird es nicht schaffen, weil, was ganz wichtig ist, ne Neonaziszene, Neonazis definieren sich hauptsächlich auch durch das Öffentliche, was sie halt schaffen. … Viele Menschen hier hatten ja das Gefühl, hier sei für sie ein Angstraum. Diese Bestätigung wirst du ihm nicht nehmen, wenn du nur so was wie Versammlungen nur machst, sondern du musst ihm ganz offensiv Gegenkultur entgegensetzen. Musik: Akzent Amok O-Ton: Hölmer Schweineöde ist vorbei. Da sind wir uns, glaube ich, alle einig. Ob das jemals das richtige Wort für diesen Bereich Treptow-Köpenicks war, sei dahingestellt. … Das kann man gar nicht genug anerkennen, was da geleistet worden ist, sicherlich unterstützt vom Bezirksamt, finanziell, durch Institutionen wie das Zentrum für Demokratie, gewisse Rahmenbedingungen zu setzen, aber es war letztendlich eine sehr große Leistung der Zivilgesellschaft, die dazu geführt hat, dass der Rechtsradikalismus dort wahrnehmbar deutlich zurückgedrängt worden ist. Insofern haben wir eine gute Basis auch für eine Entwicklung dieses Teils von Schöneweide. Sprecherin: Egal, mit wem man spricht aus dieser Bastion der Zivilgesellschaft von Treptow-Köpenick, alle reden mit Blick auf die Bemühungen um diesen lange Zeit stagnierenden, von der „Weltstadt Berlin“ hochmütig übersehenen, obendrein politisch berüchtigten Stadtteil Schöneweide, durchweg nur Gutes übereinander. So auch der Bezirksstadtrat für Bauen, Stadtentwicklung und Umwelt, Rainer Hölmer. O-Ton: Hölmer Insofern kann das durchaus ein sehr spannender Ort in der Stadt werden, der eben auch dieses Image, das Berlin ein stückweit hat. Berlin reitet ja momentan auf so ner Welle, was durchaus beitragen kann, dies so zu erhalten. Weil wir müssen höllisch aufpassen, und das gilt nicht nur für Treptow-Köpenick, das gilt für ganz Berlin, dass dieser kulturelle Ast, Off-Kultur, Off-Off-Kultur, diese ganze Kreativszene, die momentan aus den Innenstadtbereichen verdrängt wird, dass wir die nicht für Berlin verlieren, sondern dass wir die wirklich in Berlin halten. Und Schöneweide wäre ein potenzieller Ort, der das leisten könnte. Musik: Akzent EN O-Ton: Lemme Da ist so’n Negativimage fast auch ein Vorteil, weil das Gentrifizierungsprozesse so ein bisschen abpuffert. Sprecher: Sekundiert Mareike Lemme vom Projekt Schöneweide kreativ. Eine geförderte Initiative, die vor allem die künstlerische und kreative Branche der Neuankömmlinge in Schöneweide, durchweg junge Geringverdiener, Existenzgründer, Einzelunternehmer berät, untereinander vernetzt, Ausstellungs- und Verkaufsmöglichkeiten anbietet, Zugang zu Wirtschaftsförderung vermittelt, am alljährlichen Festival Kunst am Spreeknie mitwirkt, usw. O-Ton: Lemme Da macht es nicht auf einmal peng und bum, sondern es gibt auch noch ein Gegengewicht, was diesen Prozess verlangsamt, und je langsamer das abläuft, desto gesünder und durchmischter ist das Ergebnis. So meine Hoffnung. Sprecherin: Lemme bringt mit dem Stichwort Gentrifizierung das zweite Schreckgespenst für diesen Stadtteil ins Gespräch: Nach Verdrängung durch Braun nun Verdrängung durch Geld? O-Ton: Niemeyer Wir wollen in Schöneweide Fehler vermeiden, die anderswo gemacht worden sind. Sprecherin: Thomas Niemeyer ist im Regionalmanagement Schöneweide darum sehr bemüht. Und das durchaus mit Erfolg. Niemeyer und Lemme mitsamt der Handvoll Mitarbeitern sind umtriebige Vermittler in diesem Geflecht von Wirtschaft, Politik, Freigeist und Anwohnerinteressen, die es unter einen Hut zu bringen gilt im Ringen um Raum, Raumnutzung und Preis. Und nicht zuletzt um die Rückerlangung kultureller Hegemonie in diesem Bezirk. O-Ton: Niemeyer Was ist die Gesamtvision für Oberschöneweide? Wir haben …die Hochschule für Technik und Wirtschaft, und wir möchten gerne drumherum wieder Arbeitsplätze ansiedeln. Rein über die Flächen gerechnet können in Schöneweide bis 2030 wieder 10.000 Menschen durchaus arbeiten. Es sind schon 2 ½ Tausend mit steigender Tendenz. Wir glauben, dass das ganz besondere an Schöneweide ist, dass wir als Hochschulstandort sowohl ein gewachsenes Wohngebiet direkt angrenzend haben, als auch ein Areal östlich der HTW, also der Hochschule für Technik und Wirtschaft, dass sich die Flächen eher für technologiebetriebene Unternehmen eignen, für Industrie 4.0. als Stichwort, für sog. Light-Production, Forschungsinstitute, auch für Konzernzentralen überregionaler Unternehmen. O-Ton: Lemme Das ist hier schon so ne Situation, dass die großen Industrieareale, da, wo auch jetzt viele Künstler sitzen, die sind ja alle schon über’n Tisch gegangen. Das sind zum Teil auch irische Investoren, die eigentlich was anderes vorhaben, gerne hochwertiges Wohnen am Wasser. Das bringt wahrscheinlich die meiste Rendite. Aber das funktioniert eben noch nicht. In dieser Nische haben es Künstler geschafft, sich hier anzusiedeln. Das ist natürlich immer so ein zweischneidiges Schwert, aber es ist auch ne Chance in diesen Momenten, wo das eben noch nicht so fertig und so ausformuliert ist, seinen Platz auch zu erkämpfen und sich langfristige Mietbedingungen auch so auszuhandeln, dass man ne Chance hat, hier auch zu bleiben. Musik: Akzent Amok O-Ton: Blunk Ich bin seit April vor vier Jahren in Schöneweide, hab‘ mein Atelier hier und bin auch hierher gezogen nach Schöneweide. Wir sind mit unserem Vermieter ganz zufrieden, wir haben bis jetzt nie über Mietpreiserhöhungen reden müssen. Sprecherin: Die X-TRO-Ateliers in den denkmalgeschützten Rathenauhallen an der Wilhelminenhofstraße in Oberschöneweide sind ein Begriff in der aufstrebenden Kunstszene dieses neuen Kreativstandorts. Steffen Blunk unterschrieb seinen Mietvertrag, obwohl ihm der irische Eigentümer der Halle sagte, er vermiete keine Einzelateliers mehr, sondern nur noch etagenweise. Inzwischen haben außer ihm alleine auf dieser Etage 11 Kunstschaffende ihre Ateliers neben dem riesigen, lichtdurchfluteten von Blunk. Über dreißig Untermieter von Blunks X-TRO-Ateliers sind es insgesamt, bei ca. 600 m2 auf nunmehr drei Stockwerken. O-Ton: Blunk Ich mach da kein Geheimnis draus. Wir zahlen im Moment 5 Euro pro m2. Sprecherin: Auch in anderen Gebäuden entlang der Spree in Oberschöneweide spielt sich viel kreatives, selbstbestimmtes Leben ab. Hier eine KFZ-Werkstatt, da ein Markisenhersteller, ein Oldtimer-Restaurator, ein Modedesign-Studio, ein Lackierer, eine Tischlerei. Zunehmend beliebt sind sogenannte Co-Working-Spaces. Dort findet sich eine Gruppe - Handwerker, IT-Arbeiter, Künstler, Designer, Tüftler - mietet sich eine dieser riesigen, entkernten Hallen und baut sie so um, das, oft auf mehreren Ebenen, Einzelbüros oder Werkräume samt Gemeinschaftsküche unter einem Dach entstehen. Am Hinterausgang zur Spree gibt es Kräuterbeete, Grill und Bierkästen. Das Boot am Steg. O-Ton: Blunk Schöneweide ist sehr viel attraktiver geworden in den letzten Jahren. Es gibt jetzt hier an die 300 Künstler in Schöneweide. Das ist schon keine ganz kleine Hausnummer mehr. Ich glaube, dass wir Künstler in Berlin immer wieder die Erfahrung machen, dass wir in einen Stadtteil kommen, der überhaupt nicht in ist, der eigentlich gar nicht viel zu bieten hat. Dann kommen Künstler hin, es entstehen Ateliers, damit entsteht auch ein gewisses Nachtleben, dann kommen Galerien nach, also dieser ganze Gentrifizierungsprozess, das hat man ja in Prenzlauer Berg, zum Beispiel, schon gesehen, dann sind die Künstler die ersten, die sich als erstes das Atelier nicht mehr leisten können. Ich denke, wir haben in Schöneweide eigentlich das Gegenteil. Wir haben einen Bezirk, der überhaupt nicht prädestiniert ist, Nachtleben in großem Stil zu entwickeln, der durch seine Industriearchitektur eigentlich dafür da ist, ein Arbeitsstandort zu werden oder zu sein, das ist er ja heute schon. Man kann hier wunderbar arbeiten, sehr konzentriert arbeiten. Musik: Akzent Amok O-Ton: Schmolke In Schöneweide haben viele diese Illusion, alles sei nur durch diese Entwicklung auch dieser Brachen, entstanden. Was ich auch schwierig finde ist, dass man diese Leute in Adlershof, die diese WISTA entwickelt haben, diesen Wissenschaftsstandort, der ja deutschlandweit Vorbild ist, weil sich dort viele moderne Unternehmen aus hochtechnologischen Bereichen ansiedeln, diese Stadtteilmanager, die grandiose Arbeit geleistet haben, weil sie quasi auf freiem Feld, wenn man so will, nen neuen Stadtteil gegründet haben, die sollen ja jetzt auch in Schöneweide helfen bei der Entwicklung dieses Industriegürtels. Nur ist Schöneweide ja ein Stadtteil, der da ist. Dort wohnen ja Menschen. Dort haben mal Leute an der Stelle gearbeitet. Dort identifizieren sich Leute mit Dingen, die da passieren. Wenn man dort Stadtentwicklung betreibt, müsste man noch viel mehr gucken, was macht das mit dem Stadtteil insgesamt und nicht nur, wie können wir hier auf einer Leerfläche etwas ansiedeln. Musik: Akzent Laibach O-Ton: Herrmann Für uns stand am Anfang nicht das Geld, sondern die Idee. Wir haben mal zwei Begriffe für unser Konzept geprägt: Haltung. Wir wollen eine Haltung beziehen mit dem, was wir tun, und wir sind bereit, ein Risiko einzugehen. Musik: Akzent Laibach Sprecherin: Der Rechtsanwalt und Unternehmer Sven Herrmann, ist aufgewachsen in Niederschöneweide. Längst ein Weltbürger. Nun investiert er in Oberschöneweide. O-Ton: Herrmann Stadtentwicklung kann ich von zwei Seiten her beeinflussen: als Politiker, indem ich entsprechende Rahmenbedingungen schaffe, auch rechtliche Rahmenbedingungen. Die zweite große Beeinflussungsmöglichkeit, die eigentlich viel näher liegt, das ist das Bewusstsein des Eigentümers. Das setzt Eigentümer, Investoren voraus, die eben nicht nur an kurzfristigen Gewinnen interessiert sind, sondern die in der Lage sind, auch ein langfristiges Konzept zu denken in einer funktionierenden Stadt, die heutigen Bedürfnissen gerecht wird. Wir haben die Nutzung dieses Areals von Anfang an nicht nur über den städtebaulichen Vertrag mit dem Land Berlin gesichert für Kunst und Kultur, sondern auch einen entsprechenden Bebauungsplan auf die Beine gestellt. Es gibt also für das Schauhallenareal einen der wenigen festgesetzten Bebauungspläne in Berlin, der Kunst und Kultur als Nutzung festschreibt. Sprecherin: 2004 kaufte Herrmann ein großes Areal entlang der Spree samt ehemaligen Produktionshallen. Für dieses Uns, das er hier anspricht, steht indes fast nur noch er selbst. Nachdem sein gigantomanisches Projekt, mitten in dieser Industriebrache ein Kunst-Mekka zu schaffen, die Schauhallen, scheiterte. Nach dem Rückzug weiterer erforderlicher Sponsoren aus der Wirtschaft. Atmo: live The Working Dead Zacka: ein Soho an der Spree, ich zitiere Die von Ihnen vorgesehene Kombination von Museen privaten Kunstsammlungen und Galerien unter einem Dach sucht zumal in der geplanten Größe der Ausstellungsflächen im weltweiten Vergleich ihresgleichen … ein Soho an der Spree ich lach mich tot wenn ich könnte Sprecherin: Die Zombies, der Chor aus dem Theaterstück The Working Dead, also die ihrer Existenz beraubten, inzwischen verstorbenen Arbeitskräfte der abgewickelten Elektropolis, hatten auf der Bühne viel Gelegenheit, zurück zu blicken aufs alternativlose Leben im Volkseigenen Betrieb und nach vorn im Zorn. Fremd und verdächtig ist ihnen die Welt dieses außergewöhnlichen kunstaffinen Investors und Visionärs. O-Ton: Herrmann Mein Anspruch geht ja nicht dahin, hier den ganzen Stadtraum zu definieren. Wir haben dieses Projekt Schauhallen, da wollen wir das verwirklichen, was ich vorhin skizziert habe … Die Attraktivität von Berlin liegt im hohen Maße darin, ein Ort zu sein, wo man sich verwirklichen kann als Individuum, als Künstler, wo ich hingehen kann, wo es möglich ist, anders als in anderen Städten wie London oder New York, mit Kleingeld eben etwas auf die Beine zu stellen. Uns hat damals interessiert, wie wäre es, wenn man das umkehrt. Wenn man dauerhaft einen Ort findet, an dem sich Kreative, Künstler, Galeristen, Sammler, niederlassen können, gemeinsam, eine Gemeinschaft bilden, eine Community, das würde dem Bild von Berlin in hohem Maße entsprechen, dafür steht Berlin, und hätte ne hohe Attraktivität, sowohl für die Stadtentwicklung als solche als auch für die einzelnen beteiligten Protagonisten. Sprecherin: Tatsächlich hat sich Herrmanns Schauhallen-Areal peu á peu mit Leben gefüllt. Für einen symbolischen Euro verkaufte er eine Halle an den örtlichen Verein Industriesalon. Damit ermöglichte er, nach deren Sanierung von Grund auf – mit Mitteln aus dem Topf Parteien und Massenorganisationen der DDR - eine Dauerausstellung des Vereins über die Geschichte der Elektropolis mitsamt originalen Schaustücken aus der Produktion am originalen Standort. Der Musiker Bryan Adams kaufte ihm eine weitere Halle ab. Adams möchte sie für sein zweites berufliches Standbein nutzen: als Fotoatelier und Kunstraum. Nahe seiner Büroetage im ehemaligen TRO-Verwaltungsgebäude in der Reinbeckstraße ließ Herrmann die ehemalige Poliklinik des Transformatorenwerks zu einem Studentenwohnheim umbauen. O-Ton: Herrmann Bei uns kostet die kleinste Wohnung, 16 m2, zugegeben: nicht viel, aber erfüllt alle diese Merkmale. Hat ein eigenes Bad, eigenen Arbeitsplatz, kleine Küche und kostet 295 Euro warm im Monat. Sprecherin: Aus den 20 m2 des Pförtnerhäuschens zum TRO-Werksgelände ließ er als Eigentümer das schnuckelige Café Schöneweile gestalten, betrieben von einer ehemaligen Schauspielerin. Längst ein Szenetreff vor allem für Schöneweider Neubürger. Aktuell steht der Umbau der Reinbeckhallen in vier große Segmente an: für Ateliers, Werk- und Ausstellungsräume usw. Direkt neben dem schmucklosen, fantasielos angelegten Stadtplatz. Mit Anlegesteg für die gewerbliche Personenschifffahrt. O-Ton: Herrmann Heute sagt man: Fatlab, auf Deutsch: Gemeinschaftwerkstatt geben. Wir wollen eine Werkstatt einrichten, in der Maschinen vorgehalten werden von uns als Investoren, die für alle zur Verfügung stehen, auch für die unmittelbare Bevölkerung. Das Ganze soll ein Organismus werden, der offen ist für alle. Offen auch ganz bewusst für die Menschen, die hier in Schöneweide wohnen. … Als drittes soll es einen Laden geben, in dem man auch Dinge erwerben kann, die hier mit Schöneweide zu tun haben, die hier hergestellt worden sind, um den Verwertungskreislauf, regionale Produktions- und Verwertungsstrukturen zu schaffen, zu schließen. Für uns ist ganz wichtig auch, nicht hier wie ein Raumschiff zu landen und die Aliens mitzubringen, sondern etwas zu schaffen, was den Ort als solchen voranbringt, das aber auch offen ist für die unmittelbare Beteiligung der Leute, die hier wohnen. Musik: Akzent Amok O-Ton: Schmolke Was ich wichtig finde, es ist dort eine Hauptstraße, die trennt diese Industriebrachen vom Wohnviertel, dass man guckt, wie wechseln die Leute mal die Straßenseite, was gucken die Künstler mal, was können sie für den Stadtteil tun, guckt der Stadtteil, was passiert auf dieser anderen Seite? Das passiert mir halt noch viel zu wenig. Viele Leute sagen, toll, dieser Stadtteil wird aufgewertet, wir haben die Nazis verdrängt dadurch, jetzt wird der Stadtteil toll, er wird bunt. Man wird ein bisschen blind, was da passiert, dass ein Teil von Oberschöneweide im Sozialatlas weiterhin total weit unten rangiert, dass dort die Mehrheit der Kinder Kinder von Arbeitslosen sind, dass dort Straßen, Häuser sind, die total heruntergekommen sind und immer noch Leute darin wohnen, und die Entwicklung, die in Teilen von Schöneweide passiert, geht an diesen Menschen komplett vorbei. Diese Menschen gehen nicht in ein Konzert in der Industriebrache. Die gucken sich keine Ausstellung an ... Die werden, hab ich das Gefühl, vergessen. Weil man halt nur ne wirtschaftlich orientierte Stadtentwicklung macht. .. Das fehlt halt noch und das wäre wichtig, weil das die Ursachen sind für dieses rassistische Gedankengut, für das Sich-nicht-Teil-einer-Entwicklung-fühlen. Das erleben die Menschen ja gerade wieder. Sie erleben wieder, da wird ein Stadtteil aufgewertet, da kommen Künstler von außen, und was passiert eigentlich mit den Menschen, die schon da wohnen? Musik: live Aufführung The Working Dead Sprecher: Über die Schaffung von nazifreien Zonen Stadtentwicklung in Berlin-Schöneweide Ein Feature von Ursula Rütten Es sprachen: Claudia Mischke und Makke Schneider Ton und Technik: Michael Morawietz und Hanna Steger Regie: die Autorin Redaktion: Hermann Theißen Eine Produktion des Deutschlandfunks 2015. 10