COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 27. Oktober 2008, 19.30 Uhr Mit Volldampf an die Börse ? Gewinner und Verlierer der Bahnprivatisierung Eine Sendung von Susanne Harmsen Take 1: Mehdorn Jahr für Jahr wird in Deutschland zu wenig in Infrastruktur und Bahn investiert. Dann muss der Bund uns eben freilassen, dass wir am Kapitalmarkt uns das Geld besorgen können, wie alle anderen Unternehmen auch, um weiter investieren zu können. Denn wenn wir nicht investieren, fallen wir in der Wettbewerbsfähigkeit zurück, und die Deutschen kriegen wieder ne schlechte Bahn und das wollen sie nicht. Take 2: Öfinger Mehdorn will die Welt erobern. Und ob jetzt Pforzheim oder Trier oder Gießen, Marburg oder tausend andere Städte an den Fernverkehr angebunden sind, ist ihm völlig egal, er fährt eh nicht Bahn. Spr. vom Dienst Mit Volldampf an die Börse? Gewinner und Verlierer der Bahnprivatisierung Eine Sendung von Susanne Harmsen Sprecherin Heute sollte eigentlich der große Tag sein. 24,9 Prozent des Personen- und Güterverkehrs der Deutschen Bahn AG wären an der Börse verkauft worden als Mobility Logistics AG. Bis zu acht Milliarden Euro sollten Anleger zahlen, schließlich drohten es nur drei Milliarden zu werden, und am 9. Oktober zog der Bundesverkehrsminister die Notbremse. Wolfgang Tiefensee: Take 3 Offensichtlich können wir derzeitig keinen entsprechenden Erlös akquirieren. Und aus diesem Grund ist eine Verschiebung des Börsengangs unumgänglich. Sprecherin Bundeskanzlerin und Bahnchef beeilten sich unisono zu versichern, aufgeschoben sei nicht aufgehoben. Die Investoren würden sich nach Bahnaktien drängen, nur die aktuelle weltweite Finanz- und Börsenkrise zwinge zum Aufschub. Doch die zahlreichen Gegner des Börsengangs wittern eine Chance, ihn nun ganz zu verhindern. Das "Bündnis Bahn für alle" aus Gewerkschaften, Umwelt- und Fahrgastverbänden hatte schon erreicht, dass nicht auch Schienen und Bahnhöfe mit verkauft werden, wie es ursprünglich geplant war. Dazu gehört Bahnexperte Karl- Dieter Bodack, der bis 1995 selbst bei der DB AG war: Take 4 Das kann man ja an Neuseeland sehen, das lässt sich in England sehr gut beobachten, dass die Investoren einige Jahre fantastische Gewinne erzeugen, indem sie alles nutzen, was da ist und nur minimal instand halten. Und anschließend einfach die ganzen Anlagen dem Regierungseigentum wieder zurückgeben. Wobei dann der Steuerzahler mit Milliarden nachholen muss, was an Instandhaltung versäumt worden ist. Daran sieht man, dass das ursprünglich geplante Gesetz eine riesige Verschenkaktion von Grund und Boden im gesamten Bundesgebiet an irgendwelche Investoren gewesen wäre. Und nur die Bürgerinitiativen Bahn für alle mit VCD und Attac und Robin Wood und den Gewerkschaften konnten dieses Gesetz Gott sei Dank verhindern. Sprecherin Doch auch der jetzt geplante Verkauf von knapp einem Viertel nur des fahrenden Teils der Deutschen Bahn ohne Gleise und Stationen hat viele Gegner. Heiner Monheim, Verkehrsexperte von der Universität Trier: Take 5 Das ist zunächst mal eindeutig ein Schritt gegen Volkes Willen. Volkes Wille, wenn er demoskopisch ermittelt wird, es hat drei große bundesweite Umfragen in den letzten zwei Jahren zum Thema Bahnprivatisierung gegeben, die sind alle, mit kleinen Nuancen, bei größenordnungsmäßig siebzig Prozent Ablehnung gelandet. Also das Volk will, dass die Bahn staatlich bleibt. Sprecherin Die Politik hat anders entschieden, zuerst 1994. Vor 14 Jahren hat der Gesetzgeber aus der Staatsbahn eine private Aktiengesellschaft gemacht, die DB AG. Allerdings noch zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes. Bundestagsmitglied und FDP- Verkehrsexperte Horst Friedrich war damals schon dabei: Take 6 Die Bahnreform von 94 war ja zu einem Zeitpunkt beschlossen, als die Bahn mehr für die Beschäftigten ausgegeben hat, als sie eingenommen hat. Das war der letzte Anstoß zu sagen, das müssen wir irgendwann mal verändern. Ziel war, die Bahn kundenfreundlicher zu machen, Wettbewerb zuzulassen, den Monopolisten zu beenden, und das Ganze so, dass der Bundeshaushalt auf Dauer nicht mehr mit diesen Milliardenforderungen konfrontiert ist. Sprecherin Bleiben wir zunächst beim letztgenannten Ziel, weniger Geld aus dem Bundeshaushalt zu beziehen. Als Starthilfe wurde die neugegründete Deutsche Bahn AG von umgerechnet rund 30 Milliarden Euro Schulden befreit und von allen Verpflichtungen für die Beamtenpensionen der Eisenbahner. Die Bahn AG hat seitdem über die Hälfte der Belegschaft abgebaut und rund 7000 Kilometer Schienennetz. Dadurch ist sie effektiver, doch mehr Verkehr fährt deshalb nicht auf Deutschlands Schienen, resümiert das unabhängige Beratungsunternehmen KCW. Der Ökonom und Spezialist für öffentlichen Verkehr, Michael Holzhey: Take 7 Gegenüber 94 ist der Erfolg ziemlich bescheiden. Erst in den letzten zwei, drei Jahren erlebt zum Beispiel der Güterverkehr einen Renaissance, einen deutlichen Aufschwung. Man muss aber auch sehen, dass es um die Jahrtausendwende, 2000, auch einen Einbruch gab. Im Prinzip liegt man vom Marktanteil nicht wesentlich über den Werten von 94, Personenverkehr ganz schwach drüber, Güterverkehr jetzt in den letzten zwei Jahren. Sprecherin Und selbst dieser Zuwachs im Güterverkehr ist kein Verdienst der Deutschen Bahn AG. Vielmehr beginnt hier der angestrebte Wettbewerb zu wirken, indem andere Anbieter Güter per Bahn transportieren. Horst Friedrich von der FDP: Take 8 Der Zuwachs des Gütertransports auf der Schiene ist im Wesentlichen auf die privaten Mitanbieter zurückzuführen, auch wenn die große Bahn da sagt, die picken sich die Rosinen raus und wir müssen den Rest machen. Offensichtlich gelingt es neuen Anbietern durch innovative Konzepte, Güter von der Straße auf die Schiene zu lenken, die die Deutsche Bahn bis dahin offensichtlich nicht hingekriegt hat. Sprecherin In einem längeren RBB Gespräch sieht das der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Hartmut Mehdorn, ganz anders: Take 9 Noch nie sind so viele Menschen mit der Bahn gefahren und noch nie haben wir so viel Fracht mit der Bahn gefahren, wie im letzten Jahr. Wir werden jedes Jahr internationaler, jeder fünfte Mitarbeiter arbeitet außerhalb Deutschlands. Wir sind ein wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen. Der Staat zahlt keine Zuschüsse mehr, sondern wir verdienen Geld, um uns entschulden zu können und auch neu zu investieren in Modernität. Also ich denke, wir haben eigentlich alle unsere Ziele, die wir hatten mit der Bahnreform, die haben wir alle übererfüllt. Und darauf können auch die Deutschen stolz sein, nicht nur wir bei der Bahn. Sprecherin Tatsache ist, dass die Deutsche Bahn AG heute wieder 18 Milliarden Euro Schulden hat. Die zusätzlichen Fahrgäste und Güter hat sie größtenteils durch den Kauf von Unternehmen außerhalb Deutschlands gewonnen, so in Rumänien oder England. Wie der Bahnchef selbst sagte, arbeiten 20 Prozent seiner Mitarbeiter heute im Ausland. Und viele Transporte wickelt die Bahn heute per LKW ab, wofür sie die Spedition Schenker gekauft hat. Kritiker sagen, das habe nichts mehr mit dem Auftrag zu tun, den deutschen Schienenverkehr kundenfreundlicher zu gestalten. Bahnchef Mehdorn: Take 10 Wir haben 8000 Kunden im Schienengüterverkehr. Wir machen über 85 Prozent unseres Umsatzes mit 150 Kunden aus diesen 8000. Und diese 150 Kunden, das ist VW, das ist BMW, das ist Porsche, das ist Bosch, das sind viele Zulieferanten, die sind alle weltweit. Und wenn wir jetzt denen sagen: "Wir liefern dir nur Service in Deutschland, und wenn du ins Ausland willst, dann musst du dich an andere wenden", dann suchen die sich irgendeinen auf der Welt, der ihnen die Welt macht und dann auch Deutschland mitmacht. Sprecherin Wer das Pech hat, nicht zu den 150 großen Kunden zu gehören, dem kommt die DB allerdings nicht so weit entgegen. Von einst zwölftausend Gleisanschlüssen, über die Unternehmen in Deutschland sich ihre Rohstoffe holten und ihre Produkte abtransportierten, existieren heute nur noch viertausend. Die übrigen sind abgebaut. FDP-Verkehrsexperte Horst Friedrich: Take 11 Firmen, die händeringend gebeten haben, den Gleisanschluss zu behalten, die hat man noch zur Ader gelassen, kostenmäßig, für die Erneuerung einer Weiche auf ihrem Gelände. Und kaum war das Thema erledigt, hat man das Anschlussgleis vom Hauptgleis getrennt, indem man die dortige Weiche ausgebaut hat. Also liegt nun Infrastruktur in der Gegend rum, aber kann nicht mehr genutzt werden, weil nicht gefahren werden kann. Weil die Netz AG natürlich sagt, jede Weiche, jedes Überholgleis, alles was aus meiner Sicht nicht mehr notwendig ist, was aber da liegt, muss ich instandhalten und kostet mich Geld, das hab ich nicht, also weg damit. Sprecherin Sparen ohne Grenzen, um die Deutsche Bahn effektiv und fit für den geplanten Börsengang zu machen. Und wenn das Gleis nicht mehr zu befahren ist, hat die Deutsche Bahn auch nicht zu befürchten, dass ein anderes Unternehmen auf diesem Weg transportiert. Eines der kleinen Unternehmen, die trotzdem versuchen, auf den Gleisen der Deutschen Bahn zu fahren, ist die AERS Railservices Deutschland GmbH. Doch das ist nicht so einfach, wie der geschäftsführende Gesellschafter Gustav Schulze immer wieder erlebt: Take 12 Beispielsweise hat eine private Bahn importierte PKW eines großen Automobilkonzerns von Emden nach Glauchau gefahren. In Glauchau hatte man ein zuglanges Gleis angemietet, während einer Nacht meldet der Lokführer, dass er dort nicht mehr einfahren kann, weil man die Hälfte des Gleises herausgerissen hat. Ergebnis war, dass der Zug unterwegs angehalten werden musste, in zwei Teilen nach Glauchau fahren musste, was erhebliche Mehrkosten und einen wesentlich höheren Zeitaufwand verursacht hat. Die DB ist, nachdem man den Rechtsweg beschreiten musste, natürlich bis in die letzte Instanz gegangen, hat aber natürlich nicht obsiegt, weil ganz klar der Mietvertrag nicht beachtet worden war. Sprecherin Nach zweieinhalb Jahren erst war der Rechtsstreit entschieden, und die DB musste über einen Million Euro Schadenersatz zahlen. Dimensionen, die kleine Konkurrenten leicht ruinieren können, den großen Konzern aber kalt lassen. Er kann es sich auch leisten, überzählige Waggons und Lokomotiven zu verschrotten, anstatt sie zu verkaufen. Auch wenn die DB damit Volksvermögen vernichtet, ist das nach Konzernlogik besser, als eventuell Konkurrenten zum Zug kommen zu lassen. Gustav Schulze: Take 13 In ganz Europa verkaufen die Bahnen Schienenfahrzeuge, für die sie selbst keinen Bedarf mehr haben. Ausgenommen die Bundesrepublik Deutschland. Dort wird in aller Regel keine Lokomotive und kein Wagen abgegeben, im Gegenteil, ist der Rohstoffhändler vertraglich verpflichtet, keine einzige Schraube dieses Fahrzeugs abzugeben, zu verkaufen. Es hat Fälle gegeben, in denen die Fahrzeuge sogar in der Hauptuntersuchung waren, die recht zeit- und auch kostenaufwendig ist, und wenige Tage oder Wochen später wurden sie dann verschrottet. Sprecherin Die Politiker sind nach eigenem Bekunden machtlos, zuständig wäre vielleicht der Bundesrechnungshof, aber bevor der ermittelt hat, ist es zu spät. Und wenn Konkurrenten behindert werden, kann nur das Eisenbahnbundesamt Einspruch erheben, das viel zu wenige Mitarbeiter hat. Bahnvorstand Hartmut Mehdorn: Take 14 Die Bahn hat nie jemanden diskriminiert. Wir selber geben jedes Jahr einen Wettbewerbsbericht heraus, da können Sie genau nachlesen, wo sich jemand vor Gericht oder irgendwo über uns beschwert hat, das ist eigentlich nicht der Fall. Wir haben eine Regulierungsstelle, die achtet sehr genau darauf, dass alle die gleichen Trassengebühren, die gleichen Strompreise, alles die gleichen haben. Sprecherin Was Mehdorn vergisst: private Bahnbetreiber müssen für Ihren Strom mehr Geld bezahlen als die DB AG. Einziger Stromanbieter ist ein DB-Tochterunternehmen... Einen Ausweg aus dem ungleichen Wettbewerb um Schienen und Fahrzeiten sehen viele Experten in einer Trennung von Betrieb und Netz. Das heißt, alle unbeweglichen Teile der Bahn, wie Stationen, Gleise, Signalanlagen sollen von den fahrenden Bereichen getrennt werden. Damit soll allen Bahnunternehmen der gleichberechtigte Zugang zur Schiene ermöglicht werden. Einer der Befürworter ist der Verkehrsklub Deutschland, VCD. Heidi Tischmann: Take 15 Das ist die ureigenste Forderung des VCD, dass es eine Trennung der Bahninfrastruktur gibt von dem, was auf der Infrastruktur fährt, das ist ja jetzt mit dieser Teilprivatisierung nicht der Fall. Es bleibt alles in einem Konzern unter einem Holdingdach. Dieser Schritt ist immer noch möglich, und wir Umweltverbände und auch die Verkehrsverbände sollten alles dafür tun, dass es dazu kommt, dass die Schieneninfrastruktur eine eigene Gesellschaft ist. Auf Atmo Blumberg Sprecherin Eine Gesellschaft, die alles dafür tut, dass Kunden auf den Schienen fahren können, wäre vielleicht auch ein Ausweg für Blumberg. Die Gemeinde, die zu Ahrensfelde gehört und nordöstlich von Berlin liegt, wollte gern einen Haltepunkt für die Regionalzüge, die im Stundentakt durch ihr Gewerbegebiet fahren. Auf der Straße ist Dauerstau, und bei den Unternehmen vor Ort arbeiten 600 Mitarbeiter. Beim Bau des Gewerbegebiets haben die Firmen sogar die Fläche für die Station schon mitbezahlt, und ein Gutachten bestätigte die Wirtschaftlichkeit. Der CDU-Bürgermeister beantragte Fördergelder beim Land und alles schien gut zu laufen. Wilfried Gehrke: Take 16 Ja es war eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen Bahn, Land und Gemeinde, das will ich erst mal so festhalten. Und wir haben die Planung zügig voranbekommen. Und da wir so gut zusammengearbeitet haben, hat man gesagt, wir können es in den Winterfahrplan reinnehmen. Und spätestens im Juli 2008 wäre der Haltepunkt auch fertig gewesen. Und dann war da eine kleine Hürde, die ich so nicht gesehen habe. Das Land Brandenburg muss diesen Haltepunkt bestellen, und die Bahn und das Land Brandenburg handeln die Kosten der Betreibung aus. Seitdem stockt das ganze Verfahren. Sprecherin Das Land und die Gemeinde bauen also einen Haltepunkt, der dann der DB Netz AG übergeben wird. Und die will jährlich 50.000 Euro für den Betrieb haben. Das Land Brandenburg hält das für völlig überzogen und bietet maximal die Hälfte. Und mitten in diesem Streit fahren die Züge weiter vorbei, auch am "Hotel Berliner Tor" von Hartwig Schulz: Take 17 Der Bahnsteig ist von unserem Hotel 50 Meter entfernt, das heißt die Leute könnten selbst bei Unwetter zum Bahnhof gehen, es wäre problemlos. Und was noch hinzu kommt, mit der Regionalbahn wäre die Fahrzeit wesentlich kürzer als mit dem Auto, weil die Regionalbahn in eins durchfährt bis Berlin-Lichtenberg, und braucht für diese Strecke wirklich nur 15 Minuten. Sprecherin Umweltfreundlicher Verkehr für die Kunden? Mit der Deutschen Bahn Fehlanzeige. Auch auf das Angebot der Gemeinde, den Haltepunkt mit den Mitteln vom Land selbst zu betreiben, kam ein kategorisches Nein. Und die Station bleibt ein Phantom im Fahrplan. Ein Argument mehr für die Befürworter einer unabhängigen Netzgesellschaft, die egal für welchen Kunden Gleise und Stationen bereitstellt, meint FDP- Verkehrsexperte Horst Friedrich: Take 18 Da muss eine völlig unabhängige Institution her, der das Netz gehört. Und es darf vor allen Dingen nicht davon abhängig sein, welche Investitionsentscheidungen gerade die Bahn meint, aus ihrer Sicht treffen zu müssen. Wenn ein Mitbewerber sagt: "Ich bräuchte dieses Überholgleis oder diesen Gleisanschluss", dann muss er den auch behalten dürfen. Weil ich muss erst im Kleinen anfangen zu sammeln, damit ich auf großen Strecken abfahren kann. Sprecherin Anderswo geht es trotz Konkurrenz fairer zu, weiß der private Güterbahner Gustav Schulze aus Erfahrung. Er transportiert Waren zwischen Frankreich, Deutschland und Italien: Take 19 Die schweizerischen Bundesbahnen, ebenfalls Bundesunternehmen, stellen auch Wettbewerbern Schienenfahrzeuge zur Verfügung, wenn sie freie Kapazitäten haben. Sie können dort Loks anmieten, auch Wagen anmieten, und sogar Personal, im Rahmen verfügbarer Kapazitäten, zu einem Preis, der von vornherein festgelegt wird. Sprecherin Die Ziele der Bahnreform von 1994, das Ende des Monopolisten und ein verbesserter Wettbewerb, wurden also nicht ganz erreicht. Wie steht es um die Kundenfreundlichkeit der Bahn für den normalen Fahrgast? Zunächst machte die Bahn Negativschlagzeilen mit dem Beinahe-Unfall des ICE 3, der bei der Ausfahrt aus dem Kölner Hauptbahnhof am 9. Juli dieses Jahres entgleiste. Zuvor aber war er vom Zugpersonal trotz verdächtiger Schleifgeräusche und erschreckter Fahrgäste, die an das tödliche Unglück von Eschede dachten, noch mit 300 Stundenkilometer von Frankfurt nach Köln gefahren worden. Die Gewerkschafter von "Bahn von unten", verstehen die fehlende Zivilcourage der Bahnmitarbeiter. Hans-Gerd Öfinger: Take 20 Der Renditedruck sickert überall durch und die kleinen Beschäftigten im Betriebsdienst haben eben Angst, dass sie den Betriebsablauf stören, indem sie mal einen Zug anhalten. Dass dann jemand sagt, wir müssen fahren, wir müssen rechtzeitig ankommen, ohne Rücksicht auf solche Dinge. Diese Vorfälle, diese technischen Probleme und diese Unfälle zeigen ja auch, dass es bei jeder Privatbahn, wenn es um die Rendite geht, die Wartung darunter leidet. Das heißt, man verzögert die Wartungsintervalle, und man hat vielleicht weniger qualifiziertes Personal, um solche Probleme zu beheben, man fährt eben auf Verschleiß. Hauptsache, das Ding bringt in den nächsten Jahren Rendite. Nach mir die Sintflut. Sprecherin Bahnexperten sehen deshalb in dem Beinahe-Unfall von Köln im Mai 2008 keinen Zufall, sondern das Symptom einer grundsätzlichen Fahrlässigkeit im Konzern. Deshalb haben sie Strafanzeige gegen Bahnvorstand Hartmut Mehdorn gestellt. Heiner Monheim vom Bündnis "Bahn für alle": Take 21 Wir stehen in Kontakt mit Materialfachleuten, die im Bahnbereich sich sehr gut auskennen und die sagen, es besteht die Gefahr, dass das immer wieder passiert. Und darauf basiert die Anzeige, dass das eine Verkehrsgefährdung ist, wenn man weiter Züge mit Hochgeschwindigkeit fahren lässt, bei denen nicht gewährleistet ist, dass sie das aushalten. Sprecherin Dieser Umgang mit bekannten Gefahren für Leib und Leben der Passagiere und Mitarbeiter ist auch kein Einzelfall, berichtet der einstige DB-Mitarbeiter Karl-Dieter Bodack: Take 22 Stutzig macht mich, dass ein ICE von Frankfurt nach Paris gefahren ist mit hoher Warnstufe wegen einem überhitzten Fahrmotorlager. Man hat diesen Zug ohne Reparatur von Paris nach Frankfurt zurückgeschickt. Und auf eine dritte Fahrt von Frankfurt nach Paris, bis dann in der Gegend von Saarbrücken der Fahrmotor in Brand geriet. Also solche Dinge muss natürlich der Vorstand im Auge haben, damit wirklich die Werkstätten zuverlässig arbeiten. Sprecherin Wer sich nun fragt, wie ein Unternehmen, das noch zu einhundert Prozent im Bundesbesitz ist, so sorglos mit seinem Material und seinen Fahrgästen umgehen kann, ohne dass das Verkehrsministerium eingreift oder der Bundestag, stößt auf ein besonderes Talent des Bahnchefs: Seine Personalpolitik. Wichtige Politiker werden Berater der Bahn oder bekommen sogar Posten im Vorstand der DB AG. So 2006 der bayrische CSU-Verkehrsminister Otto Wiesheu. Der FDP- Bundestagsabgeordnete Horst Friedrich nennt weitere Beispiele: Take 23 Ich finde es nach wie vor einen Skandal, dass ein Verkehrsminister von Brandenburg einen Nahverkehrsvertrag mit der Bahn verhandelt, während der Vertragsverhandlungen sagt, ich geh demnächst zur Bahn. Der Vertrag trotz alledem stattfindet. Der Verkehrsminister von Sachsen-Anhalt das gleiche macht, mit seiner kompletten Abteilung, einschließlich Staatssekretär dann zur Bahn geht. Ein ehemaliger Verkehrsminister Klimmt mittlerweile einen Beratervertrag und, und, und. Sprecherin Die meiste Empörung aber rief der Wechsel des einstigen Chefs der Eisenbahnergewerkschaftschefs Transnet, Norbert Hansen, in den DB Vorstand hervor. Hans-Gerd Öfinger, Pressesprecher der Transnetinitiative "Bahn von unten": Take 24 Die Transnet-Mitgliedschaft fühlt sich mehrheitlich verraten und verkauft durch den Schritt des Herrn Norbert Hansen, der im Grund einen kompletten Seitenwechsel vollzogen hat. Und aber schon vorher in den letzten Jahren immer mehr auf Anpassungskurs gegangen ist, auf "Schmusekurs" mit dem Management der Deutschen Bahn. Sprecherin Auch diese Kritik kann Bahnchef Hartmut Mehdorn nicht nachvollziehen: Take 25 Wir haben einen neuen Kollegen im Vorstand gekriegt, das ist der Herr Hansen. Man kann sich immer über alles unterhalten, über Zeitpunkte und wie es gemacht worden ist, aber das ist mein Thema nicht. Aber fest steht schon, dass wir als Bahn ein Unternehmen sind, das sehr eng an der Politik ist, wir haben uns deshalb den Herrn Wiesheu aus der Politik geholt, und das hat sich sehr bewährt, dass Herr Wiesheu, der weiß, wie Politik tickt, quasi die Bahnbelange in die Politik übersetzen besser kann, als wir das selber konnten. Und jetzt tun wir das Gleiche mit Herrn Hansen, der weiß wie Gewerkschaften ticken und der uns hilft, richtig mit den Gewerkschaften zu reden und auch uns hilft, richtig zu verstehen, was die Gewerkschaften sagen. Sprecherin Was mit dem Börsengang jetzt offiziell werden sollte, der Verkauf von Teilen der Deutschen Bahn, hat auch vorher schon stattgefunden, nur eben kleiner und von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Hans-Gerd Öfinger: Take 26 Ein Beispiel: Die "Deutsche Eisenbahnreklame", produziert unter anderem auch diese Faltblätter "Zugbegleiter", die in den IC und ICE Zügen ausliegen, ein profitables Unternehmen, wurde im Jahr 2004 verkauft an den Ströer Konzern, der hier auch überall Plakatflächen hat. Damals habe ich die Pressestelle des Bundesverkehrsministeriums angerufen und der Pressesprecher hat mir gesagt: "Die Deutsche Bahn ist ein privatisiertes Unternehmen, wir haben da nicht reinzureden." So eine Haltung der Politik ist grob fahrlässig. Wir haben ja gesehen beim Bedienzuschlag, die kann sehr wohl noch Einfluss ausüben, das ist auch der Grund, weshalb wir fordern, dass die Bahn zu hundert Prozent, alle Bereiche, im Bundesbesitz bleiben müssen. Damit man nicht die profitablen Teile und die Filetstücke einfach raushaut. Sprecherin Die Vorgaben der Politiker sind aber auch nicht immer das Beste für eine effiziente Eisenbahn in ganz Deutschland. So favorisieren die Regierungsparteien gemeinsam mit dem Bahnvorstand seit Jahren den Hochgeschwindigkeitsverkehr. Für Milliarden Euro wurden Strecken neugebaut, damit der ICE bis zu 300 Stundenkilometer schnell fahren kann. Dabei schafften nach dem Unfall von Eschede wochenlang auch herkömmliche Züge mit 200 Stundenkilometern die Fahrpläne auf den ICE- Strecken. Dafür verfallen bestehende Gleise, die mit viel weniger Geld instand gesetzt werden könnten. Heidi Tischmann vom Verkehrsclub Deutschland, VCD: Take 27 Der Bund hat diese Kontrolle nicht ausgeübt. Ganz im Gegenteil, es ist eher so, dass, auch weil Politiker wieder gewählt werden wollen, es auch Prestigeobjekte gibt die die Politik möchte, nicht die Bahn. So wie damals der Transrapid, der jetzt gescheitert ist, oder auch Stuttgart 21. Das hat auch was mit Lokalpolitik zu tun. Insgesamt muss man natürlich darauf Wert legen, dass das gesamte Schienenetz erhalten bleibt, dass die Netzgeschwindigkeit stimmt und nicht nur einzelne Strecken schnell befahren werden können. Das ist auch wichtig für den Güterverkehr, dass Nebennetze erhalten bleiben, dass nicht auch noch der Güterverkehr auf den Hauptstrecken fahren muss. Genauso wichtig sind Überholgleise, Abstellgleise, Lademöglichkeiten, Rangierbahnhöfe. Sonst wird auch der Güterverkehr, der ja auch inzwischen zunimmt, nicht bewältigt werden können. Sprecherin Der Staat zahlt nicht nur die Kosten für das Netz. Die Bundesländer bestellen und bezahlen auch den Regionalverkehr. Dort gibt es inzwischen einen Wettbewerb verschiedener Anbieter, der zu einer deutlichen Verbesserung des Verkehrs und der Fahrgastzahlen geführt hat. Im Fernverkehr ist und bleibt die Deutsche Bahn Monopolistin, was schon vor dem Börsengang den Zugverkehr verschlechtert hat. Der Pressesprecher von "Bahn von unten", Hans-Gerd Öfinger: Take 28 Im Personenfernverkehr wird der Renditedruck dazu führen, dass die Fahrpläne systematisch ausgedünnt werden. Mehdorns Bahn der Zukunft besteht nur noch aus ICE-Fernzügen auf Hochgeschwindigkeitstrassen. Ganze Regionen, die bisher noch durch Intercity, früher Interregioverkehr angebunden waren, an das Fernverkehrsnetz, sind jetzt zunehmend abgeschnitten. Das mag für jüngere Leute kein Problem sein, von Regionalexpress zu Regionalexpress umzusteigen, aber für ältere Menschen war es sehr wichtig, dass sie umsteigefrei auch längere Reisen machen konnten. Und das ist eine Benachteiligung vor allem von Regionen außerhalb der Metropolen. Das sind Städte mit weit über hunderttausend Einwohnern, die einfach keinen Fernverkehr haben. Als Beispiel der Franken- Sachsen-Magistrale von Nürnberg, Hof, über Chemnitz nach Dresden, wo keine Fernzüge mehr fahren, sondern nur noch Regionalexpresszüge. Und da ist ne ganze Reihe anderer Beispiele bundesweit. Sprecherin Bahnchef Hartmut Mehdorn verspricht, dass der deutsche Steuerzahler und Bahnreisende vom anvisierten Börsengang profitiert: Take 29 Er hat eine gesunde Bahn, die modernisieren kann, die neue Züge kaufen kann und einfach im Güterverkehr erfolgreich ist. Und die den Steuerzahler nicht belastet, sondern das alles selber kann, im Vergleich zu früher, wo es eben immer vom staatlichen Säckel gemacht worden ist. Und da nicht genug, weshalb nicht genug Verkehr war. Was wir brauchen, ist eine Eigenkapitalausstattung. Wir haben bisher kein Eigenkapital gehabt, weil wir zu hundert Prozent Staat sind. Wir werden jetzt ein Eigenkapital kriegen, was uns als normales Unternehmen generiert. Mit dieser Eigenkapitalausstattung können wir dann investieren, in neue Züge, in Bahnhöfe und in derlei Dinge. Sprecherin Oder mangels Kontrolle durch den Staat auch wieder in Logistikunternehmen in der ganzen Welt. Und wenn dort was schief geht, weil zum Beispiel die Weltwirtschaft gerade in die Rezession rutscht, zahlen im Endeffekt nicht die Aktionäre, sondern die Steuerzahler die Verluste. Der Ökonom Michael Holzhey: Take 30 Das ist ein Vollkaskomodell. Das ist ja auch das Perverse und Absurde an dieser Privatisierung, dass sie letztlich von allen Seiten sozusagen staatlich gespickt ist. Gerade im Schienenbereich: Von 16, 17 Milliarden Umsatz trägt letztlich der Staat neun bis zehn. Es ist eine ewige Halbverstaatlichung, wenn man genau hinschaut. Solche Modelle der geteilten Verantwortlichkeit laufen immer darauf hinaus, dass der Private schon sehr wohl weiß, wie er den Gewinn einstreicht und der Staat dann alle faulen Risiken aufgebürdet bekommt. Sprecherin Schon zum Dezember hat die Deutsche Bahn die nächste Fahrpreiserhöhung angekündigt, wie jedes Jahr. Das Statistische Bundesamt registriert seit 2003 insgesamt 36 Prozent Preiserhöhung für die Fahrgäste. Auf diese Weise wird es nicht gelingen, den umweltschädlichen Auto- und Flugverkehr zu reduzieren, trotz steigender Treibstoffpreise. Deshalb fordern auch Gewerkschafter wie Hans-Gerd Öfinger: Take 31 Wir brauchen demokratische Kontrolle, also im Aufsichtsrat der Bahn müssten neben den Arbeitnehmervertretern müssten da Umweltverbände sitzen und eben Vertreter der Öffentlichkeit, der Bahnbenutzer, die ein Interesse daran haben, dass die Bahn im Sinne von Otto Normalverbraucher auch wirklich funktioniert. Sprecherin Es ist an der Zeit, dass der Bahnverkehr und seine Zukunft nicht länger nur ein Thema von Experten, Politikern und Aktionären ist. Es geht beim Börsengang um das Geld und die Mobilität jedes Bürgers. Wenn die Volksvertreter das nicht in seinem Sinn regeln, sollte er sich selbst einmischen, auch öffentlich. Noch ist der Zug dafür nicht abgefahren. Karl-Dieter Bodack: Take 32 Wenn die Politiker sagen, wir wollen die Bahn nicht mehr an den Füßen haben, nichts mehr damit zu tun haben, dann ist das sicher richtig zu verkaufen. Wenn man natürlich eine bestmögliche Versorgung des Landes und der Bürger will, dann muss man das kritisch sehen. Der Börsengang wird auf alle Fälle bewirken, dass Gewinne an die Investoren transferiert werden müssen. Und dass ein Druck der Investoren erfolgt, Gewinne zu erzielen, die dann aus der Bahn hinausfließen, und dies müssen die Mitarbeiter und die Bahnkunden bezahlen. Spr. vom Dienst Mit Volldampf an die Börse ? Gewinner und Verlierer der Bahnprivatisierung Eine Sendung von Susanne Harmsen Es sprach: Nadja Schultz-Berlinghoff Ton: Ralf Perz Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2008 1