Deutschlandradio Kultur Länderreport COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Ländersache Kultur (6a) Die Kulturpolitik der Bundesländer Thüringen Autorin Weber, Blanka Redaktion Stucke, Julius Sendung 16.03.12 - 13.07 Uhr - M A N U S K R I P T B E I T R A G - (Hellmut Seemann) Ich glaube, wir sind, eigentlich erstmals seit ich in Thüringen lebe, auf dem richtigen Weg! Lob von Hellmut Seemann, dem Präsidenten der Klassik Stiftung Weimar. Er ist verantwortlich für insgesamt 25 Objekte: Museen, Gärten und Parkanlagen, für das Erbe der Bauhäusler und das von Goethe, Schiller, Herder, Wieland und Nietzsche. Ich glaube, wir haben die Chance und das Potenzial, Thüringen zu einer Kulturregion zu machen, die aus dieser Identifikation als Kulturregion starke wirtschaftliche Impulse zieht. Das war nicht immer so in Thüringen und das ist auch noch kein gesicherter Konsens. Aber zurzeit sind die Mitstreiter, mit denen ich diskutiere, auf dem vollkommen richtigen Weg. Seit zwei Jahren liegt das Ressort Kultur in Thüringen in SPD-Händen. Kulturminister Christoph Matschie hatte sich schon im Wahlkampf für den Erhalt von Theatern, Orchestern sowie das Fördern von Kultur und Bildung ausgesprochen. Seine Politik bezeichnen manche als Paradigmenwechsel - mehr Wertschätzung für die Kultur. Matschies Politik hat allerdings auch Kratzer hinterlassen - zum Beispiel bei der Klassik Stiftung Weimar. Eine peinliche Personalie führte im vorigen Jahr zu Schlagzeilen in allen Feuilletons. Der Minister, gleichzeitig Vorsitzender des Stiftungsrates, wollte Helmut Seemans Vertrag nicht verlängern. Überraschend - nicht nur für den Präsidenten der Klassik Stiftung - der letzten Endes dann doch im Amt blieb. Schwamm drüber, sagt Seemann heute: Für mich sind die übers Jahr hinaus gehenden Dinge, Masterplan, Entwicklung dieser Stiftung zu einer wirklich zentralen Stelle der deutschen Kultur viel wichtiger als diese Personalien. Wir sind an der Umsetzung unserer Arbeitsprogramme. Das heißt: Die zweitgrößte Kulturstiftung der Republik bekommt nun endlich ihr lang erwartetes Museumsdepot. Es scheiterte bislang an den Kosten. Oktober 2011 war Spatenstich und - wenn alles klappt - können 2013 die ersten Gemälde im Depot gelagert werden. Höchste Zeit, denn 14 dezentrale Lager der Stiftung gibt es derzeit für die Bilder, Möbel und Kunstgegenstände - nach eigenen Angaben nicht immer mit optimalen konservatorischen Bedingungen. Jetzt werden 15,5 Millionen Euro verbaut. Das Museumsdepot wird zur Hälfte vom Bund und zur Hälfte vom Land finanziert. Einer Statistik aus dem Jahr 2007 zufolge, gehört Thüringen zu den Bundesländern mit den höchsten Ausgaben für Kultur. Je Einwohner werden fast 107 Euro ausgegeben. Knapp die Hälfte davon für Theater und Orchester. Etwa 20 Prozent für Museen, Sammlungen und Ausstellungen; 9 Prozent für Bibliotheken und 8 Prozent für den Denkmalschutz. Kultur in Thüringen, sagt der zuständige SPD-Minister Christoph Matschie, sei nicht das Sahnehäubchen, Kultur sei die Hefe im Teig. Der wichtigste Mentalitätswechsel, der in meiner Amtszeit stattgefunden hat, ist, das wir die Frage umgedreht haben - nicht mehr fragen: wie viel Kultur können wir uns noch leisten? Und bei immer enger werdenden Budgets ist die Antwort auch klar: Es wird weniger. Sondern wir haben gefragt, was kann die Kultur für die Entwicklung Thüringens leisten? Fragen ist das eine, Handeln das andere - sagen Museumsdirektoren in Thüringen. Kai-Uwe Schierz ist Direktor der Kunstmuseen Erfurt. Das Fragen muss in ein zielgerichtetes Handeln übergehen. Und das vermisse ich nach wie vor. Von einem Paradigmenwechsel möchte man hier nichts wissen. Bereits 2005 wurden die Budgets der Museen massiv gekürzt. Landesweit um etwa 25%. Daran habe sich bis heute nichts geändert. Nicht nur in Erfurt bleibt die bange Frage: (Schierz) Was kostet Kultur und können wir uns so viel Kultur leisten? Dann sage ich mir immer innerlich: So viel Kultur? Haben wir wirklich zu viel Kultur? Wir sind immerhin die Landeshauptstadt. Städten wie Gera geht es nicht besser: Dort waren im vergangenen Herbst alle Museen für vier Wochen geschlossen. Aus Kostengründen. Die Stelle des Direktors im Naturkundemuseum wurde nicht neu besetzt. Aus Kostengründen. Die Museen in Erfurt haben derzeit sogenannte "flexibilisierte Öffnungszeiten" - flexibel aus Sicht der Stadtkämmerer, nicht der Besucher. Weil die Städte die ausgehandelten Mindestlöhne für die Sicherheitsfirmen nicht mehr in aufbringen können oder wollen, bleiben Museen, wie das Erfurter Angermuseen vormittags einfach geschlossen: (Schierz) Es ist so, mir blutet nicht nur wenig das Herz, mir blutet enorm das Herz. Ich muss gestehen, wir haben diese sogenannten flexibilisierten Öffnungszeiten zwar entworfen, aber ich habe gehofft, dass es bei den bisher geltenden Öffnungszeiten bleibt. Eine Übergangslösung - aus der nun ein Dauerzustand geworden ist. Für Museumsdirektor Kai Uwe Schierz ist die Kulturpolitik oftmals nur noch ein Lippenbekenntnis der Amtsträger: Aber das Handeln ist nach wie vor ein anderes. Das Handeln wird zum Beispiel in Erfurt geprägt durch eine Spardiskussion, die der Stadt in gewisser Weise aufgezwungen wurde durch die verminderten Landeszuweisungen. Erschwerend kommt - aus Sicht der Kultur - hinzu, dass lokale Politiker oft ihre eigenen Prioritäten setzen und das Augenmerk auf Sportvereine, Fußballstadien oder - wie in Erfurt - die Bundesgartenschau richten. Das kostet Geld und muss woanders gespart werden. Pläne für das Modernisieren, Erweitern und Verbessern der Museumsangebote gibt es seit Jahren, auch für die Landeshauptstadt, doch sie werden immer wieder verschoben. In Weimar hingegen fällt in diesem Jahr der Startschuss für das neue Bauhausmuseum. 2015 soll es eröffnet werden. Dann hat längst die neue Legislaturperiode des Landestages begonnen, denn 2014 wird in Thüringen wieder gewählt. Und dann hat auch das Deutsche Nationaltheater Weimar einen neuen Intendanten. Stephan Märki wechselt nach Bern. Wenn er auf ein Jahrzehnt Kulturpolitik zurück blickt, so stellt er mehr Engagement fest: Aber es muss ja ganz, ganz Thüringen mitziehen, dass eben eine starke Kultur mit zum Selbstverständnis und zum Selbstvertrauen eines Landes und einer Stadt gehört und vor allem zur Verlebendigung einer Zivilgesellschaft und nicht nur - das ist ein positiver Wirtschaftsfaktor. Sondern das ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Dass nicht nur in Weimar die Schauspieler nach Haustarif bezahlt werden und sich Kultur hierzulande gutbezahlte Künstler nicht mehr leisten kann, ist dem Theatermann vertraut. Da ist Weimar kein Einzelbeispiel. Viele Künstler leben gerade so von ihren Einnahmen. Kunst und Kultur müssen sich - trotz der blumigen Bekenntnisse der Politik - noch immer als Kostenfaktor rechtfertigen. Das ist in Weimar so und in Greiz, Rudolstadt, Nordhausen und Gera nicht anders. Vor allem wenn es um den kommunalen Anteil an den Theatern und Orchestern geht. Auf Landesebene hat der Kulturminister seinen Anteil geleistet und die Finanzierung der Häuser für die kommenden Jahre gesichert: Ich hab von Anfang an in der Theaterdebatte deutlich gemacht, hier geht es nicht darum, das eine große Haus heraus zu putzen, hier geht es darum, dass Thüringen eine Theaterlandschaft besitzt, die einzigartig ist in Deutschland. 12 große Theater und Orchester gehören dazu - in einem Bundesland mit 2 Millionen Einwohnern. Es gibt zwar mehr Geld vom Land, doch eigentlich gleicht das nur aus - was andere Minister zuvor gekürzt haben - sagen manche Theater-Intendanten. Was ist gute Kulturpolitik? Stephan Märki formuliert es so: Zu einer guten Kulturpolitik gehört eine gewisse vornehme Zurückhaltung. Eine gute Kulturpolitik stellt Räume für eine Entwicklung zur Verfügung ohne Vorgaben zum Inhalt zu machen. Es bedarf immer einer "Haltung", sagt Hasko Weber, bald Märkis Nachfolger als Intendant am Deutschen Nationaltheater Weimar - einer Haltung der Politik zur Kultur: Für mich beginnt das mit Offenheit, insofern hat Haltung gar keinen ideologischen Hintergrund, sondern das ist einfach eine Positionierung in einer gesellschaftlichen Formation. Kulturpolitik in Thüringen: Das Augenmerk liegt auf Theatern und Orchestern. Deren Existenz ist - aus Sicht des Landes - in den kommenden Jahren gesichert. Das Land zahlt, die Kommunen aber hadern und werden im Ernstfall nicht bei Kindergärten und Winterdienst kürzen, sondern bei ihren Theatern und Orchestern. Und bei den Museen ist das neue Bekenntnis, Kultur sei nicht das Sahnehäubchen, sondern die Hefe im Teig, so noch nicht angekommen. Und es war - mit dem Finanzminister des Landes - vermutlich nie abgestimmt. Er hält sich bis Mai eine sogenannte Bewirtschaftungsreserve vor und friert kurzerhand 41 Millionen Euro aller zugesagten, verfügbaren Mittel ein. Es sei eine Vorsichtmaßnahme bis zur nächsten Steuerschätzung, heißt es aus dem Ministerium. - E N D E - 1