DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 06.01.2009 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 - 20.00 Uhr "Man muss auf alles gefasst sein" Türkiyemspor und der Rassismus auf dem Fußballplatz Von Thomas Hartwig Co-Produktion DLF/RBB URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - ATMO LAUTSPRECHERANSAGE Wir kommen zu Türkiyemspor Berlin. Mit der Nummer eins im Tor Marc Stillenmunkes, die Nummer zwei Henning Lichte, mit der Nummer drei Leo Balogun, [...,] mit der Nummer vierzehn Hakan Cankaya, [...] mit der Nummer siebzehn Norbert Lemcke, [...] ATMO Allgemeine laute Stadion-Atmosphäre und mehrmalige "Türkiyem"-Rufe hintereinander und rhythmisches Klatschen, lautes Getute von Sirenen und Pfiff, Sprechchöre "Wir sind die Rechtsradikalen!" und "Honara! Honara!" O-TON MARC STILLENMUNKES Das Publikum hat also sehr oft immer gerufen, "die Scheißtürken, Kanaken, geht dahin, wo ihr hergekommen seid, Dönerfresser." Selbst ich als Deutscher wurde immer wieder beleidigt als "Scheißtürke", weil ich im Spiel Anweisungen auf Türkisch gegeben habe, weil es ist ja dann auch zum Vorteil, wenn der Stürmer nicht weiß, was ich jetzt zu meinem Abwehrspieler sage, er läuft dahin und dahin. O-TON ÖMER BASKAN Wir sehen uns ja nicht nur als Sportverein, sondern ein Verein, der Integration [...] in seinem gesamten Umfeld betreibt. Und das möchten wir natürlich ausbauen, keine wie Hertha oder Union die reinen Sport in den Vordergrund stellen (im Hintergrund Applaus), sondern das Drumherum, [...] soziale Verantwortung auch mittragen und [...] mitentwickeln. ANSAGE "Man muss auf alles gefasst sein" Türkiyemspor und der Rassismus auf dem Fußballplatz Ein Feature von Thomas Hartwig AUTOR Samstag, 30. August 2008. Am frühen Nachmittag fahren wir in Berlin mit dem Mannschaftsbus von Türkiyemspor los. Es geht nach Chemnitz in Sachsen. Dort spielt morgen die Berliner Mannschaft gegen den Chemnitzer FC. Beide Teams sind in der neuen Regionalliga Nord, die vor vierzehn Tagen in die Fußballsaison 2008/09 gestartet ist. In dieser Liga spielen 18 Mannschaften aus den norddeutschen Bundesländern, unter anderem aus Berlin, Brandenburg, Sachsen und Niedersachsen. Auf der Fahrt hören Spieler und Betreuer von Türkiyemspor die Reportagen der Großen aus der Bundesliga. ATMO Lautsprecher im Bus "Wir springen nach Gladbach ... " AUTOR Seit Mitte April 2008 fahre ich mit Türkiyemspor zu jedem Auswärtsspiel. Ich will herausfinden, wie der Fußball-Alltag dieser Mannschaft aussieht und wie sie von den Zuschauern behandelt wird. Dass rassistische Sprüche zum Repertoire mancher Fußballanhänger gehören, ist bekannt. Mich interessiert, welche Erfahrungen Spieler und Betreuer mit solchem Verhalten machen. Im Mannschaftsbus sitze ich direkt hinter Uwe Erkenbrecher, der Türkiyemspor seit Anfang Juli 2008 trainiert. O-TON UWE ERKENBRECHER Wir wollen nach dem etwas durchwachsenen Start morgen auf jeden Fall punkten. Also, wir streben drei Punkte an, aber wenn das Spiel auch einen hergibt, nehmen wir einen mit. Aber einen müssen wir mindestens holen. AUTOR Türkiyemspor fährt zum ersten Mal nach Chemnitz. Und in den neuen Bundesländern sollen besonders üble Fans ihr Unwesen in den Stadien treiben. O-TON UWE ERKENBRECHER Habe ich noch gar nicht so drüber nachgedacht. Es ist nicht so direkt mein Bereich. Ich denke mal, das Sportliche, aber vielleicht ist ja auch morgen schon 'ne Situation, dass andere auch 'ne Rolle spielen. Und sicherlich wollen wir uns als Mannschaft auch vorbildlich verhalten. Und ich hoffe auch, dass es im Umfeld keine Unruhe gibt. AUTOR Hakan Cankaya, 23, ist seit zwei Jahren Mittelfeldspieler bei Türkiyemspor. O-TON HAKAN CANKAYA Dann hat man doch irgendwie so'n anderes Bild, wenn man in Osten sozusagen spielt. Dann geht man schon mit der Einstellung, so'n Scheiß, heute könnte wieder was passieren. Hat man vermutlich auch 'nen bisschen Angst natürlich, was nach'm Spiel passieren kann, was vor dem Spiel passieren könnte. AUTOR Am frühen Abend kommen wir in Chemnitz an. Erstmal gibt es ein warmes Abendessen, dann im Hotel eine Lagebesprechung. Zwanzig Spieler hören ihrem Trainer zu. O-TON UWE ERKENBRECHER Das wird 'nen heißer Tanz. So was haben wir noch nich gehabt. Wir haben morgen das erste Mal Zuschauer und auch gegen einen Verein der aus der zweiten, dritten Liga kommt, der sich wehrt, der auch richtig gegen geht, und dann brauchen wir auch die richtige Einstellung. Nicht, dass wir 'ne falsche Einstellung haben. Aber wir müssen einfach noch 'ne höhere Leistungsbereitschaft haben, noch 'ne höhere Willenskraft, um dieser Liga, um auch solcher Mannschaft auch Paroli zu bieten, um mal... Das erste Mal, wenn wir gewinnen, wär's 'ne Überraschung. Aber danach sind's keine mehr. [...] Aber 'ne Überraschung, wäre es wenn wir drei Punkte wegholen. ATMO Stadion-Musik in Chemnitz. AUTOR Am Sonntag fahren wir gegen Mittag mit dem Bus zum Stadion an der Gellertstraße. Private Sicherheitsleute, vom Verein engagiert, und Polizisten kontrollieren die Zufahrt zum Innenbereich, wo sich die Mannschaftskabinen befinden. Hohe Absperrzäune sollen unliebsamen Besuch verhindern. Unter solchen Bedingungen ein Fußballspiel zu sehen, ist für mich eine ganz neue Erfahrung. Für Günter Piening scheint das nichts Neues zu sein, er ist der Migrationsbeauftragte des Berliner Senats und eigens angereist, um dieses Spiel zu beobachten. O-TON GÜNTER PIENING Es hat in der letzten Saison bei Türkiyemspor, der in der Oberliga gespielt hat, immer wieder Konflikte gegeben mit Fans. Der DFB selbst hat einige Spiele als "Risikospiele" eingestuft. Dieses ist das erste dieser Risikospiele. Ich selbst habe im letzten Jahr begonnen, Türkiyemspor zu begleiten bei Oberligaspielen, und Ziel ist eigentlich zu schauen, was tut sich auf den Rängen. Gibt es Vorkommnisse? Und vor allen Dingen werden die Vereine ihrer Verantwortung gerecht, mit gewalttätigen Fans oder auch nur beleidigenden Fans umzugehen? ATMO Stadion-Musik in Chemnitz AUTOR Wir stehen vor dem Eingang zum sogenannten VIP-Bereich. Nach strenger Kontrolle durch schwarz gekleidete Sicherheitsleute wird ein schmales Bändchen am Handgelenk befestigt, eine Art Ausweis. Fans und Sponsoren des Chemnitzer FC tragen blaue Schals mit dem Aufdruck "Die Himmelblauen", dem Vereinsspitznamen. Vor dem Stadion sind mehrere Polizeiwagen aufgefahren. ATMO Klatschen und Sprechchöre. AUTOR Pünktlich um 14 Uhr wird das Spiel angepfiffen. Es ist ein warmer, spätsommerlicher Nachmittag, der Himmel ist bedeckt. Ich stelle mich in die unterste Reihe der Zuschauerränge, direkt hinter die Absperrgitter, in die Nähe der Trainerbänke. Über dreitausend Zuschauer sind gekommen, darunter auch fünfzig bis sechzig männliche Jugendliche in roten T-Shirts, die in einer Kurve des Stadions als Block auftreten. ATMO Stadion-Atmo und skandierende Rufe wie "Honara! Honara!" AUTOR Ich kann die Rufe der Jugendlichen nicht richtig verstehen. Doch Mehmet Matur, Vorstandsmitglied des Berliner Fußballverbandes, erklärt mir später, was er verstanden hat. O-TON MEHMET MATUR Das waren so Parolen wie "Honara", "Honara!" Dann war "Berlin bleibt deutsch! Berlin bleibt deutsch" und "Türkiyemspor Berlin", "Juden Berlin" und auch, also ich denke das war "Ostdeutschland-Naziland". Dann waren noch, so wie "Juden...", "Ausländer raus!", "Ausländer raus!", so immer Wiederholung, Wiederholung. AUTOR "Honara", habe ich in der Zwischenzeit gelernt, bedeutet Hooligans, Nazis und Rassisten. Die Jugendlichen bekennen sich offen als Rassisten und beleidigen die Mannschaft von Türkiyemspor auch mit anti-semitischen Parolen, während die Zuschauer auf der überdachten Tribüne einfach nur das Spiel sehen wollen. O-TON MEHMET MATUR In der zweiten Halbzeit wurde das immer mehr diese Gesänge. Und danach wurde über die Stadionansage gemacht, dass die antisemitischen Parolen lieber lassen und das kam ein Mal. Aber die haben sich davon nicht abgehalten die Gruppe. Das hat die gar nicht interessiert. Ich hab' [...] auch mehr diese Leute beobachtet als das Spiel, wirklich, Spiel war nur Nebensache. AUTOR Wenige Tage danach äußern sich im Internet, veröffentlicht vom Mitteldeutschen Rundfunk, Zuschauer über den Vorfall im Stadion an der Gellertstraße. Zitator mit Collage der Äußerungen: Zuschrift Nr. 1 "Beim Spiel gegen Türkiyemspor sind aus Chemnitzer Blöcken unüberhörbar antisemitische und deutschnationale Parolen (u.a. "Deutschland den Deutschen!) gerufen worden." Zuschrift Nr. 2 "Es soll nicht bestritten werden, dass diese 50 bis 60 Personen eindeutig einem Gewalt- bzw. rechtem Milieu zugeordnet werden können." Zuschrift Nr. 3 "Ab Mitte der ersten Halbzeit bis zum Ablauf der Nachspielzeit gab es fast durchgängig die benannten Rufe, "Deutschland den Deutschen!", "Wieder kein Tor für Türkiyemspor", "Ausländer raus!", sowie Zwischenrufe à la "Presskohle" für den dunkelhäutigen Spieler der Gästemannschaft." O-TON UWE ERKENBRECHER (schreiend) Auf'n Fuß! Auf'n Fuß! Hinterm Ball, hinterm Ball! (Sprechchöre und Klatschen des Publikums.) AUTOR Zur Pause steht es in Chemnitz für Türkiyemspor 1:1. O-TON UWE ERKENBRECHER Männer, wir haben vier Eckbälle gegen uns gekriegt, weil wir alles falsch machen, was man nur falsch machen kann. [...] Wollen wir ganz schlau spielen, verlieren den Ball an der Linie. Und dann machen wir noch einen Torwartfehler. Vier Fehler in zwei Minuten. Ja, was verlangt ihr da, Männer, seid doch nicht so hektisch und so kopflos! Steini muss das 2:0 machen. Und dann sind wir hier als Sieger auf [...] der Siegerstraße. Wir müssen noch mehr Fußball spielen. Wir müssen noch konsequenter sein. Alle Möglichkeiten haben wir. Zwei Minuten, vier Fehler und ein Gegentor. AUTOR Schweigend hören sich die Spieler von Türkiyemspor die Kritik ihres Trainers in der Kabine an. Dann geht es wieder aufs Spielfeld. ATMO Fußballerstiefel gehen auf Kiesweg. ATMO Stadion-Atmo, Abpfiff AUTOR Türkiyemspor gewinnt am Ende mit 2:1. Die Sensation ist perfekt. Die Gewinner liegen erschöpft und glücklich auf dem Rasen. Es ist der erste Auswärtssieg in dieser Saison, nach einer Niederlage in Rostock und einem Unentschieden zuhause. Vor der Presse betont Uwe Erkenbrecher später, dass seine Fußballer unter enormem Druck standen, weil der Chemnitzer FC achtzehn Ecken und neun Freistöße herausspielte und trotzdem kein entscheidendes Tor machen konnte. O-TON UWE ERKENBRECHER Es ist ein wahres Glück, dass wir das überhaupt heil überstanden haben. Damit ist schon vieles gesagt. Ein sehr, sehr glücklicher Sieg, den wir natürlich mitnehmen. Wir sind ganz klar an unsere Grenze gestoßen. Die Mannschaft hat aufopferungsvoll gekämpft, in der zweiten Halbzeit nicht mehr gut Fußball gespielt. Das gesamte Passspiel hat lahm gelegen. Aber wir haben durch die Auswechslung oder Einwechslung aber noch ein bisschen glückliches Händchen gehabt. Aber unser Hakan Cankaya, der für Genialität, schon für ein bisschen Genialität bekannt ist, hat ein Supertor gemacht und mehr Glück, als hier ein Spiel zu gewinnen, kann man nicht haben. Danke schön. AUTOR Ein Polizeiwagen begleitet unseren Bus bis zur Stadtgrenze von Chemnitz. Sicher ist sicher. O-TON MARC STILLENMUNKES In jedes Stadion wo wir gekommen sind, egal wo, außerhalb Berlins oder Ostteil Berlins, überall waren wir nicht erwünscht. Die Türken, ich sag mal jetzt, also für Türkiyemspor, wollte keiner haben. Und das war ein riesengroßes Problem für uns, weil wir ständig die Fans gegen uns hatten und meistens auch die Schiedsrichter. Man kann jetzt nicht sagen, okay, wenn wir irgendwo antreten, generell die Schiedsrichter sind gegen uns, aber man merkt doch schon auf'm Platz, wenn die Fans gegen einen sind. Dann sind auch schon die Schiri gegen uns. AUTOR Marc Stillenmunkes ist Torwart, sein Spitzname "Stille", ein waschechter Berliner. Er wollte schon immer Fußball in einer türkischen Mannschaft spielen. "Stille" ist im Stadtteil Schöneberg aufgewachsen und war in der Schule einer der wenigen Deutschen unter Türken, Arabern und Chinesen. "Ich musste mich doch erstmal durchboxen", sagt er über diese Zeit und ergänzt, dass heute sein bester Freund arabischer Herkunft ist. O-TON MARC STILLENMUNKES Ich weiß nicht wieso, aber ich versteh mich eigentlich mit den Ausländern besser als mit den Deutschen. Also, ich fühl mich einfach mehr hingezogen zu den ihrer Kultur und das Auftreten von denen. Nicht nur das Negative, sondern man muss auch immer das Positive an den Menschen sehen. Es hat einfach immer gepasst zwischen den Leuten und mir. [...] Das kann man nicht erklären. Das is eben so. O-TON CELAL BINGÖL Ich denke, das Problem gibt's ja schon [...] jahrelang. Und das ist das, was ich immer wieder nicht verstehe und akzeptiere, dass die immer sagen, die tun was gegen Rassismus. [...] Wie kann es sein, dass [...] Rassismus bis jetzt sich immer wieder verdoppelt hat? [...] Da frage ich mich wirklich, die Politiker sollen wirklich ihre Augen offen aufmachen, ja, und sie sollen nicht nur sagen, dass sie nur was [...] dagegen tun. AUTOR Celal Bingöl ist der Vorsitzende von Türkiyemspor Berlin. Er ist 38 Jahre und lebt seit 1971 in Deutschland. Wir sitzen in der Geschäftsstelle des Vereins am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg. Wenige hundert Meter vom Vereinslokal entfernt, findet jeden Freitag der große Türkenmarkt am Paul-Lincke-Ufer statt. Bingöl erzählt mir von einem Besuch mit seinem kleinen Sohn bei einem Fußballspiel in Eberswalde. Türkiyemspor gewann dort das Spiel. O-TON CELAL BINGÖL Die haben da gestanden und dann mittlerweile wir warten hier draußen und "ihr Kanaken" und so'ne Sachen. Ich hab gesagt, Jungs, passt mal auf, übertreibt doch gar nicht! Mein Spiel ist doch vorbei. Guckt mal, die Sonne scheint, schön...macht euch nen schönen Sonntag, schönes Wetter... geht mit eurer Familie so... Dann dreht der sich um und sagt zu mir: "Du, Scheißkanake, du nimm lieber deine Bengel und verpisst euch in deine Heimat." Ich hab' gesagt: "Wie bitte? Bist du Rassist oder was?" "Ja, ich bin Rassist!" AUTOR Anfang Februar 2008 wird Türkiyemspor Berlin der Integrationspreis des Deutschen Fußballbundes für sein besonderes soziales Engagement zugesprochen. Seit drei Jahrzehnten würde der 1978 gegründete Verein sich intensiv gegen Gewalt in der Familie, die Diskriminierung von Homosexuellen, und Fremdenfeindlichkeit, engagieren, heißt es in der DFB-Begründung. Als Anerkennung gibt's einen Kleintransporter von Mercedes. O-TON CELAL BINGÖL Ich habe auf jeden Fall eins gelernt, was dieser Verein gebraucht hat, ja. Meine erstes Ziel war - ich bin jetzt das vierte Jahr hier - dass hier, wenn wir schon einen Integrationspreis gewonnen haben, [...] dass hier aus einem Migranten gegründete Verein nicht mehr türkische Mannschaft ist, [...] aber dass wir das zu einem multikulturellen Verein machen sollten. Und das war meine Hauptziel gewesen, und ich denke mit diesem Punkt bin ich jetzt auch momentan auch ganz erfolgreich. [...] Im Männerbereich haben wir sieben, acht Nationalitäten gehabt. [...] Ich möchte natürlich auch gleichzeitig [auch] ein Zeichen dafür setzen, dass das Thema [auch] Rassismus wirklich betrifft, dass das Thema auch Integration betrifft. O-TON THOMAS HERBST Jawoll, Kresi, Klasse gut so! ATMO Stadion-Atmo AUTOR Mitte April 2008 sehe ich das erste Mal ein Fußballspiel von Türkiyemspor im Katzbachstadion in Berlin-Kreuzberg. Gegner ist der Greifswalder SV 04, ein Mitkonkurrent um den erhofften Aufstieg. Hoch verdient gewinnt Türkiyemspor das Spiel mit 4:0 und rückt damit auf den zweiten Tabellenplatz vor. Thomas Herbst trainiert zu diesem Zeitpunkt die erfolgreiche Mannschaft. O-TON THOMAS HERBST Ich bin zufrieden, natürlich, wenn man so'n Spitzenspiel 4:0 gewinnt, [...] dann muss man zufrieden sein. Wir hatten allerdings in der ersten Halbzeit zwei, drei Mal Glück, als der Ball auf der Linie gerettet worden ist. Aber wichtig ist für uns, dass wir wieder etwas für das Selbstvertrauen getan haben, dass unser Stürmer heute wieder getroffen hat. Ich denke, dass die Mannschaft wieder so viel Selbstvertrauen tanken konnte, dass sie erstmal davon überzeugt ist, dass wir das schaffen, [...] den Aufstieg in die Regionalliga. Da ist dieses Spiel immens wichtig und man sollte sich da nicht auf die letzten zwei, drei Spiele verlassen. ATMO Musik aus dem Lautsprecher und Stadion-Atmo in Neustrelitz. AUTOR Am 4. Mai 2008 findet in Neustrelitz das nächste Auswärtsspiel statt. Ich werde wie alle anderen Zuschauer auch am Eingang zum Stadion abgetastet und muss meinen Rucksack öffnen. Vorher hatte ich schon meinen Presseausweis gezeigt. Das Stadion in Neustrelitz hat keine Absperrgitter. Man kann also direkt auf den Platz laufen. Ein junger Mann, schwarz gekleidet, kontrolliert mit seinem Kollegen am Eingang. O-TON SECURITY-MANN (im Hintergrund Musik aus dem Lautsprecher) Personen, die ins Schema passen, werden gefilzt. [...] Das äußere Erscheinungsbild. Also, Jugendliche mit Fanschal werden kontrolliert. Auch Leute, die nicht ... also vom Kleidungsstil, Frisur, das sind Erfahrungswerte. [...] Es gibt Auffälligkeiten, auf jeden Fall. Es gibt auch Leute, die sind unauffällig, die gehören auch dazu. Jedenfalls, wir können nicht jeden filzen. Also, da sind wir zu klein und zu wenig. AUTOR Die torreiche Partie endet 5:5. Türkiyemspor fällt auf den dritten Tabellenplatz zurück. Der Verfolger Greifswalder SV 04 ist den Berlinern dicht auf den Fersen und hat nur einen Punkt weniger. Gleichwohl laufen schon die Vorbereitungen für die nächste Fußballsaison 2008/09. Ömer Baskan ist Prokurist des Vereins und hat nach Prüfung der Unterlagen vom Deutschen Fußballbund die Spielberechtigung für Türkiyemspor erhalten. O-TON ÖMER BASKAN [Ja,] das ham wir, ohne Auflagen. [...] So was ist natürlich Ergebnissache einer harten Arbeit, [ja, ja,] von nachts bis Mitternacht, bis ein, zwei Uhr morgens geackert. Und haben dafür unser Ergebnis bekommen, (Lachen) ja. [...] Und, ja, war nicht einfach. [...] Also, für uns gibt's keine Alternative. AUTOR Sollte der Aufstieg in die Regionalliga Nord gelingen, gelten strengere Sicherheitsbestimmungen des DFB. Die Zuschauerränge müssen durch hohe Absperrzäune von der Spielfläche getrennt werden. Zwangsläufig bedeutet das den Abschied vom Katzbach-Stadion, das für den Verein und die Mannschaft so etwas wie eine Heimat ist, mitten im Kreuzberger Kiez gelegen, wo die meisten Berliner Türken leben. O-TON SUAT KAYGAN Hier haben wir [...] unsere schönsten Erfolge gefeiert. AUTOR: Suat Kaygan der sportliche Leiter von Türkiyemspor, wurde in Berlin geboren. Seine Eltern kommen aus der Türkei. SUAT KAYGAN Katzbach natürlich, Oberliga war für uns Neuland und so großer Verein, mit dem wir gar nicht gedacht haben, dass wir gegen solche Vereine spielen werden, gerade gegen Hertha BSC. Hertha BSC war ja für uns so was wie vom All. (Lachen) AUTOR In den achtziger Jahren spielte Hertha BSC in der Oberliga gegen Türkiyemspor. O-TON SUAT KAYGAN Ich kann mich noch erinnern, in der 82. Minute, wo noch ... das Tor gemacht hat. Wir haben das 1:0 nach Hause geschaukelt [...], was hier los war. Also, wir sind in Tränen ausgebrochen. Also, richtige Tränen. Also, die Leute waren happy. Ja, ja, Hertha BSC zu schlagen, das ist ja was Besonderes. ATMO Fetzige Musik aus dem Lautsprecher. AUTOR Sonntag, 18 Mai 2008. Heute ist das vorletzte Auswärtsspiel der Mannschaft gegen den Ludwigsfelder FC. Die Kleinstadt Ludwigsfelde liegt etwa dreißig Kilometer südlich von Berlin. Im kleinen Stadion am Waldrand herrscht eine friedliche und entspannte Atmosphäre. Etwa einhundert Zuschauer sind gekommen, auch einige Anhänger von Türkiyemspor. O-TON DEUTSCHER FAN Die Mannschaft, die hier heute kommt, Türkiyemspor Berlin, [...] hatte lange Zeit den Ruf relativ schlecht diszipliniert zu sein, nicht. Da waren immer Kandidaten für 'ne gelb-rote Karte. Und das soll sich aber gebessert haben. Ich bin gespannt heute, nich. Weil die türkischen Spieler sind jedoch etwas heißblütiger als die deutschen, nich. [...] Es ist 'ne andere Mentalität, ja, nich. AUTOR Vor Beginn des Spiels werden an die Zuschauer Handzettel verteilt, auf denen für "Fair-Play" geworben wird. ATMO LAUTSPRECHER-ANSAGE Dieser Spieltag steht unter dem Motto "Spieltag für Menschlichkeit und Toleranz". Die Vereine, der Ludwigsfelder FC und sein Gast Türkiyemspor, ihre Fans, Spieler und Funktionäre treten entschieden ein für ein "Fairplay", Respekt und einer Kultur der Anerkennung. Wir sind alle Teil der weltweiten Fußballfamilie, Rassismus und Gewalt, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit haben in unseren Stadien und in unseren Köpfen keinen Platz. Wir sagen "Ja" zu Toleranz und Weltoffenheit als Markenzeichen unserer Gesellschaft. AUTOR Zur Pause steht es 2:0 für Türkiyemspor. O-TON THOMAS HERBST Das zweite Tor denke ich, hat [...]gezeigt, wie man hier Fußball spielt, wie das geht, wenn man schnell spielt. [...] Wir müssen das dritte Tor machen. Den Gegner zu brechen ist das A und O. Nicht nachzulassen, konzentriert Fußball zu spielen. Und wenn das 3:0 dann da ist, macht man nur noch seinen Job. Es ist kein Spiel, wo man sich unnötig gelbe Karten holt oder sonst so wat. Sondern nur konzentriert auf das dritte Tor spielen, mehr nicht. Ihr müsst hier nicht überdrehen. Bleibt locker, lasst euch nicht provozieren, gar nicht. Macht nur euren Job mehr nicht. ATMO Pfiffe und Klatschen, "Toor!" AUTOR Türkiyemspor gewinnt das Spiel mit 3:0. Das Motto des heutigen Spieltages "Menschlichkeit und Toleranz" wurde in Ludwigsfelde beherzigt. Für Trainer Thomas Herbst keine Selbstverständlichkeit. O-TON THOMAS HERBST In Cottbus, bei Dynamo und in Rathenow das waren schon so Adressen, wo man gemerkt hat, dass da [schon] ne größere Feindseligkeit da war. Unangenehm ist es schon gewesen, [...] dass es [schon alleine] speziell gegen Türken oder gegen Ausländer gezielt war. [...] Ich bin ja mal übelst bespuckt worden bei Dynamo. Und hat man da gemerkt wie die Spieler auch darauf reagiert haben, man wurde mit Bechern beworfen und, und, und... AUTOR Die psychologische Arbeit des Trainers bestand darin, die Vorfälle gegenüber der Mannschaft herunterzuspielen und alles auf die Konkurrenz im Fußball zu schieben. O-TON THOMAS HERBST Dass man sich dagegen auf'm Platz zu wehren hat mit Ergebnissen. Und dann mit erhobenem Haupt diese Stätte wieder verlassen kann. AUTOR Die Mannschaft rückte enger zusammen, weil man sich ungerecht behandelt fühlte. "Wir sind ja nicht nur eine türkische Mannschaft, eher Multi-Kulti", sagt der Trainer. Neben mehreren deutschen Spielern gibt es auch zwei Fußballer aus Schwarzafrika. O-TON THOMAS HERBST Es ist ja so, dass es im Grunde alles Deutsche und Berliner Jungs sind [...] Und der Fußball an sich ja auch ihnen Spaß macht. Also, dass den Jungens der Fußball einfach ihnen sehr, sehr viel bedeutet mehr als jetzt zum Beispiel den deutschen Fußballern, ja. Und diese Euphorie und diese Freude am Fußball macht det eben so besonders. AUTOR Umso weniger kann Herbst manche Reaktionen in ostdeutschen Stadien verstehen. O-TON THOMAS HERBST Ich kann mich erinnern, dass also in Cottbus mich det schon überrascht hat, [...] mit welcher Aggressivität die Leute teilweise mit hochrotem Kopf da uns beschimpft haben. [...] Nicht, dass man beschimpft wird, sondern dieser Gesichtsausdruck. Also, det war wirklich Hass und Abneigung. AUTOR Hakan Cankaya, der Mittelfeldspieler, wurde in Berlin als Kind türkischer Eltern geboren und empfindet sich als Türke und als Deutscher. "Mein Deutsch ist besser als das Türkische", sagt er. Doch Rassisten interessiert das nicht und so wird auch Hakan ständig mit ausländerfeindlichen Parolen konfrontiert. O-TON HAKAN CANKAYA Ich mein', das kann man nicht abstellen. Das ist halt nun mal so, und man muss auch damit klar kommen, ja. Wenn man damit nicht klar kommt, dann braucht man gar nicht auf'm Platz da rumzulaufen. [...] Ich komm damit klar, weil ich kenn' das schon seit der B-Jugend. Damals hab ich bei Hertha gespielt und da war das auch üblich. Also, es kommt jetzt nicht drauf an, ob man bei Türkiyemspor Fußball spielt oder bei Hertha spielt oder woanders auch. AUTOR Ähnliche Erfahrungen hat Ibrahim Bolu gemacht. Er war selbst einmal Torwart von Türkiyemspor. 2001 kam er zum Verein. O-TON IBRAHIM BOLU Ich war schockiert darüber, dass diese Jungs, die fast alle in Berlin geboren und aufgewachsen sind, oder in sehr frühen Jahren nach Deutschland gekommen sind, mit vier, fünf, sechs Jahren, dass auch wirklich kein einziger von denen fließend Deutsch sprechen konnte, aber kein einziger. Aber auch kein einziger vernünftig Türkisch. Das war für mich 'nen Schockerlebnis. Das zweite Schockerlebnis war halt, dass diese Jugendlichen, also jungen Spieler, Anfang zwanzig alle, dass es für die 'ne Selbstverständlichkeit war, in der Gesellschaft ausgegrenzt zu sein. AUTOR Viel hat sich an dieser Selbsteinschätzung bis heute nicht geändert. O-TON IBRAHIM BOLU Mit welcher Selbstverständlichkeit die in der Kabine erzählt haben, dass sie in den und den Klub nicht reingekommen sind, dass sie da und da rausgeschmissen worden sind, weil sie nun mal Türken sind. [...] Mit einer solchen Selbstverständlichkeit, diese Ausgrenzung. [...] Es war selbstverständlich, dass man als Türke nicht in gewisse Lokalitäten gehen konnte, wie in den Südstaaten in den fünfziger Jahren. AUTOR Ende 2006 führte der DFB auf Grund der Vorgaben des Weltfußballverbandes FIFA neue Regularien ein. Jeglicher Rassismus und jegliche Ausländerfeindlichkeit sollten nun geächtet werden. O-TON DIETER RIECK Die Vereine waren alle verunsichert, nach der Einführung dieses Rassismusartikels. AUTOR: Dieter Rieck ist Vorsitzender des DFB-Sicherheitsausschusses. DIETER RIECK Keiner wusste, was ist denn Rassismus überhaupt? Welche Begriffe fallen darunter? Wie muss ich reagieren? AUTOR Anfangs waren die Fußballvereine hilflos und vollkommen überfordert. Man sah und hörte nicht so genau hin, was sich auf den Plätzen abspielte. Die Verantwortlichen schwiegen über rassistische Vorfälle in den Stadien oder spielten sie herunter. Der Spuk werde hoffentlich vorübergehen, hoffte man. O-TON DIETER RIECK Vor vierzehn Tagen da hatte ich die Spielaufsicht in der Dritten Liga, Rot-Weiß-Erfurt gegen den FC Carl-Zeiss-Jena. Und dort kam es also auch zu "Juden-Jena"-Rufe. Es war eine Gruppe von Fußballfans, die dort angestimmt haben "Juden Jena!", "Juden Jena!" Und das mehrfach also ... zirka fünf Mal, vier bis fünf Mal. Und da hat der Verein, wie ich heute Morgen gehört habe, hat also saftige Geldstrafe bekommen in Höhe von 10.000 Euro und ein Spiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit. AUTOR Im gesamten Spieljahr 2007/08 ließ der DFB über einhundert sogenannte "Risikospiele" in regionalen Ligen von ehrenamtlichen Mitarbeitern beobachten. O-TON DIETER RIECK Im Norden haben wir also eine absolut friedliche Staffel. [...] Ich habe auf'm letzten Staffeltag klar und deutlich an alle Vereine gesagt, [...] Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hat auf unseren Plätzen überhaupt nichts mehr zu suchen. ATMO LAUTSPRECHERANSAGE Wir kommen zu Türkiyemspor Berlin. Mit der Nummer eins im Tor Marc Stillenmunkes, die Nummer zwei Henning Lichte, mit der Nummer drei Leo Balogun, [...,] mit der Nummer vierzehn Hakan Cankaya, [...] mit der Nummer siebzehn Norbert Lemcke, [...] ATMO Trommel und Klatschen im Stadion. AUTOR Am 1. Juni 2008 findet im Katzbach-Stadion das letzte Oberliga-Punktspiel der Saison 2007/08 zwischen Türkiyemspor und dem Lichterfelder FC statt. Für den türkischen Verein geht es in diesem Heimspiel um alles. Das Team muss gewinnen, sonst droht der Aufstieg zu scheitern. Über eintausend Zuschauer sind gekommen. Das erinnert an vergangene Zeiten, als manchmal bis zu 5.000 kamen. ATMO Trommelmusik der türkischen Fans und allgemeine Atmo. AUTOR In der 15. Minute steht es 1:0 für Türkiyemspor. ATMO Trommelmusik und langer Pfiff des Schiedsrichters, anhaltender Publikumsapplaus, Musik ATMO LAUTSPRECHERANSAGE Türkiyemspor erhöht auf 2:0. Der Torschütze mit der Nummer 18, Maurice Jacobsen. Applaus, Trommelmusik AUTOR Trainer Thomas Herbst ist leidenschaftlicher Fußballer und hat früher selbst in der Bundesliga für Bayern München und Mönchen-Gladbach gespielt. In der Halbzeit wartet er geduldig, bis seine Mannschaft in der Umkleidekabine wieder zur Ruhe gekommen ist. O-TON THOMAS HERBST Okay, Männer, komm, die wichtigsten Sachen sind hier schon gefallen, die nächsten fünfundvierzig Minuten haben wir noch vor uns. Wir führen 3:0. Das Wichtigste ist, dass wir hinten gut stehen, dass viele Beine da sind, dass wir die Mitte zu haben, dass wir die Angriffe abfangen. [...] Das Wichtigste ist, Männer, spielt bitte einfach Fußball. [...] AUTOR In der zweiten Halbzeit dreht der Lichterfelder FC auf und kommt bis auf 2:3 heran. Es sieht nach einem Unentschieden aus. Doch sieben Minuten vor Schluss schießt der Stürmer Yigitusagi das vierte Tor und Türkiyemspor gewinnt 4:2. Der Aufstieg in die Regionalliga Nord ist geschafft. Fatih Aslan, der Kapitän der Mannschaft: O-TON FATIH ASLAN Ja, wir haben ja 3:0 geführt. Und plötzlich stand es ja 3:1, trotzdem noch zwei Tore Vorsprung, aber beim 3:2 haben wir schon wieder 'nen bisschen mehr gezittert gehabt. Wie's so oft bei uns ist, nach Führung hat man 'nen bisschen, 'nen paar Gänge zurückgeschaltet, und das hätte sich fast gerächt. Aber wir wollten ja endlich feiern. (Stöhnen und Lachen) O-TON TÜRKISCHER FAN Ich bin [...] bei jedem Heimspiel dabei, ja. Und manche Auswärtsspiele nehme ich auch mit. [...] Es ist unser Verein. [...] wir unterstützen unseren Verein, soweit es geht. [...] Na ja, ebend, dass aus Türkischstämmigen [...] von den Türken gegründete Vereine, der sich langsam aber sicher hocharbeitet. Wir würden gerne bei Türkiyemspor in der dritten Liga, später aber in der zweiten Liga sehen. O-TON THOMAS HERBST Wir wollen heute den Aufstieg feiern. Wir haben eine lange Saison. Wir haben die ganze Saison über hervorragend Fußball gespielt und somit auch verdient aufgestiegen. AUTOR Auch Kaygan, der sportliche Direktor, meldet sich zu Wort. O-TON KAYGAN Das, was die Mannschaft geleistet hat, das, was wir im Vorstand geleistet haben, ist grandios, ne. Wir haben schon gehofft, [...] dass wir unter die ersten vier mitspielen. Aber das wir das gleich packen, [...] das war nicht so vorherzusehen. Und aber letztendlich haben wir's geschafft. Ich denke, wir haben's auch verdient. Und jetzt feiern wir heute ausgiebig, der ganze Stress muss raus. Ich habe nur drei Tage von dem Spiel geträumt (Lachen), ja. AUTOR Auch Ömer Baskan, der Prokurist, hat lange auf diesen Tag hingearbeitet. O-TON ÖMER BASKAN Also dreißig Jahre Türkiyemspor. Und soweit ich mich erinnern kann, spielen wir hier. (Lachen) [...] Endlich ist die Amateurhaftigkeit jetzt weg. Jetzt sind wir professionell, jetzt sind wir eine Fußballmannschaft. ATMO Allgemeine Atmo von den Respect Games AUTOR Am 7. Juni 2008 finden im Berliner Jahn-Sport-Park sogenannte Respect Games statt. Zweiundsiebzig Fußballmannschaften, darunter auch Türkiyemspor, haben sich gemeldet, um gegeneinander zu spielen. Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse eröffnet die Veranstaltung. O-TON WOLFGANG THIERSE Respect Games, Spiele des Respekts, des Respekts voreinander, des Respekts der Anerkennung von Unterschieden zwischen Menschen. Das Schöne ist, dass wir alle unterschiedlich sind. Und dass wir alle in einer Gesellschaft leben, wo wir als Menschen ohne Angst Verschiedene sein können. Sport, zumal Fußball, kann dazu beitragen, dass dieser Respekt vor Unterschieden gelernt werden kann, auf die heiterste, eben die spielerischste Weise. AUTOR Während der Veranstaltung spreche ich einige junge Berliner Fußballer an, die alle als Kinder von ausländischen Eltern hier geboren wurden und aufgewachsen sind. Sie bestätigen mir ohne Ausnahme, dass sie in ihrem Alltag ständig mit Rassismus zu tun haben. Gordian Meyer-Plath ist Referatsleiter beim Verfassungsschutz in Brandenburg und beobachtet die rechtsextreme Szene. O-TON GORDIAN MEYER-PLATH Da man Angst hat, dass man vielleicht gerade bei höheren Ligen auch kontrolliert wird, macht man's weniger mit Transparenten als mit Parolen. Weil, die kann man ja vorher nicht kontrollieren, dass einer dann dort entsprechende Hetzereien loslässt. Aber gerade in den unteren Ligen kann man eben auch gelegentlich auch Transparente dann durchaus mit auf den Platz zu bringen, gegen individuelle Spieler, die einem nicht passen, weil sie die falsche Hautfarbe, die falsche Religion oder sonst was haben, oder eben generell rechtsextremistische Parolen. [...] Da steht drauf, "Juden raus!", oder "Hadi, du bist nicht weiß. Du gehörst nicht zu uns", wenn es ein bestimmter Spieler ist, oder überhaupt Parolen, wie "white power". "Hier regiert nicht der DFB, hier regiert die NPD", war auch mal als Plakat. AUTOR "Die rechtsextremistische Szene in Brandenburg ist immer auf der Suche nach neuer Klientel, insbesondere jungen Menschen, die sie mit ihrer Ideologie vergiften können", sagt Meyer-Plath. Und der Sport sei dafür ein probates Mittel, weil er Gemeinschaftserlebnisse produziere. O-TON GORDIAN MEYER-PLATH Ein Beispiel war im März 2008 bei einem Spiel, im Pokalhalbfinale zwischen dem TSV Missen und Wacker Schönweide. Dort waren Fans aus Schönweide angereist, und die haben das Lied angestimmt, "Wir bauen eine U-Bahn von Missen bis nach Auschwitz", um den Missener Fans dann dort nach Auschwitz zu bringen. Und [...] später im April 2008 wird beim Spiel Energie Cottbus gegen Hansa Rostock, also damals noch erste Liga, dort wurden auch, wurde mehrfach der Hitler-Gruß gezeigt von Fans des FC Hansa Rostock, aber auch von Fans von Energie Cottbus. AUTOR Trotz solcher Erlebnisse, hält Celal Bingöl an seinen Zielen fest. "Integration kommt nicht von alleine", sagt er. O-TON CELAL BINGÖL Wie gesagt, wir haben auch diesen Avital-Cup, das wir jedes Jahr veranstalten. Das sind vier, also aus vier Religionen. Das sind Muslime dabei, Christen dabei, Juden dabei und Atheisten dabei. Und ist auch ein recht gutes Turnier. [...] Also, wir setzen da eine Zeichen, dass wir da [...] egal welche Hautfarbe, egal welche Kultur [...] wir da haben, oder welche Sprache, Nationalität, wir sind auf jeden Fall alle Menschen und wir müssen einfach miteinander leben lernen. AUTOR Wenige Wochen nachdem Türkiyemspor in die Regionalliga Nord aufgestiegen ist, verlässt Thomas Herbst den Verein und geht zu Tennis Borussia und mit ihm auch Torwart Stillenmunkes. Andere Fußballer wechseln ebenfalls zu neuen Vereinen. Die Erfolgsmannschaft zerfällt. Neue Spieler kommen und gehen. Der nächste Trainer wird der dreiundfünfzigjährige Uwe Erkenbrecher aus Bremen. O-TON UWE ERKENBRECHER Wenn wir sind in der Hauptstadt Deutschlands der dritte Verein am Platze [ist,] am Ort, dann ist es schon 'ne gute Bilanz, aber wenn man keine eigene Heimat, kein eigenes Trainingsgelände, kein eigenes Stadion dann unterstützt das für mich so etwas die vermeintliche Underdogmentalität. AUTOR Türkiyemspor startet denn auch in die neue Fußballsaison mit einer Niederlage beim FC Hansa Rostock. Das nächste Spiel findet am 24. August zum ersten Mal im Jahn-Sportpark in Berlin statt. Gegner ist der FC Oberneuland aus Bremen. An diesem Nachmittag regnet es in Strömen. Zur Pause steht es 0:1. Erkenbrecher ist außer sich. O-TON UWE ERKENBRECHER (schreiend) Sonst kommen wir mit der Schönspielerei [...] wir nicht mehr weiter. Jetzt sind wir wieder unter Druck. Männer, wir müssen das Spiel umbiegen, egal wie! AUTOR Das gelingt mit großem Einsatz. Und doch ist er unzufrieden. O-TON UWE ERKENBRECHER Hör bloß auf du, wenn ich die Leistungen sehe, Katastrophe! AUTOR Am Ende steht es 1:1. Für den Trainer ist das Unentschieden eine Niederlage. Nur zweihundert zahlende Zuschauer haben die Partie gesehen. Eine Woche später geht es nach Chemnitz, wo die Zuschauerkulisse wesentlich größer ist. O-TON HAKAN CANKAYA Da fühlt man sich mehr als 'nen Fußballer, anstatt wenn man hier vor zwanzig Zuschauern oder hundert Zuschauern spielt, ist das nicht so ... Also, das ist so, als wenn man irgendwo auf'm Bolzplatz kickt. Aber vor 3.300 Zuschauern wie in Chemnitz, wie es war, is das schon geil. Und vor allem, wenn man dann noch 'nen Tor erzielt, ist es umso geiler. [...] AUTOR Wenige Tage nach den rassistischen Vorfällen in Chemnitz stellt sich heraus, was auf den roten T-Shirts der rechtsextremen Jugendlichen stand. Der Migrationsbeauftragte Günter Piening erläutert die Fotos von den Ereignissen. O-TON GÜNTER PIENING Und dort konnte man den Spruch lesen, "Die ganzen Hools singen im Chor "Wieder kein Tor für Türkiyemspor." Dieses Zitat ist [...] aus einem Lied der verbotenen Gruppe "Landser", [...] 2003 ist diese CD indiziert worden. Ein schrecklicher brutaler Schmähgesang, der zwar eine recht laxe Refrainzeile hat. Das war nämlich diese ... aber in den Texten zum Mord und Totschlag an Türkiyemspor-Spielern auffordert. AUTOR Die aggressiven Sprüche der Rechtsextremen in Chemnitz motivieren Hakan Cankaya allerdings in anderer Hinsicht. O-TON HAKAN CANKAYA Diese Aggressivität [...] benutze ich halt im Spiel, um mit einem Tor dagegen zu sprechen, ja. Oder halt so zu zeigen, was los is. Wenn man auf'm Platz halt zeigt, dass man die bessere Mannschaft ist, hat man ja schon die Antwort gegeben, anstatt nach dem Spiel irgendwelche Schlägereien zu machen oder was weiß ich. Es hat alles keinen Sinn. AUTOR Der Senatsbeauftragte Piening hatte angekündigt zu dem Spiel nach Chemnitz zu fahren und wurde daraufhin in vielen Mails übel beschimpft. O-TON GÜNTER PIENING Nach dem Motto, [...] wie ich überhaupt auf die Idee komme, dass es dort in den Stadien oder in den Fans Rassismus gibt. [...]. Erst hieß es, Piening kommt, und der wird schon irgendwas finden, obwohl gar nix is. [...] Bei uns is nix, aber jetzt kommen die bösen Journalisten und sie hängen uns irgendwas an. So, nachdem im Grunde genommen diese Dinge passiert waren, konnte man das ja nicht mehr sagen. Dann gab es 'ne zweite Geschichte: Es ist nur passiert, weil Piening da war und es sind nicht unsere Fans, es sind Fans von außen gewesen. AUTOR Der DFB hat unmittelbar nach dem Spiel einen Bericht des Chemnitzer FC angefordert und dann schnell gehandelt. Der Verein muss 5.000 EuroURO Strafe zahlen und beim nächsten Heimspiel dürfen nur 1.000 Zuschauer ins Stadion kommen. Oberstaatsanwalt Rümmler leitet die Ermittlungen in dieser Sache. O-TON OBERSTAATSANWALT RÜMMLER Also, die Ermittlungen sind unmittelbar danach eingesetzt, sprich also die Polizei hat ermittelt. Durch die entsprechenden Video-Aufnahmen versucht, die Beweismittel schon unmittelbar während des Spiels und während des Begehens dieser vermeintlichen Straftaten diese Beweismittel wie gesagt zu sichern. Das ist inzwischen erfolgt, und wie gesagt uns auch gelungen, zumindestens einige dieser Personen namhaft zu machen. Wenn etwa 40, 50 Leute samstagnachmittags in dem Stadion dort einfinden, alle haben so'n rotes T-Shirt an, dann kann man mir niemand erzählen, dass das nicht organisiert und vornweg abgesprochen gewesen ist. AUTOR Gegen 22 Personen werden Stadionverbote ausgesprochen, die für die gesamte Republik gelten. Und gegen mehrere Jugendliche wird wegen Volksverhetzung ermittelt. ATMO Trommeln und Flöte von Türkiyem-Fans spielen AUTOR Anfang September 2008 sind die Verantwortlichen bei Türkiyemspor mit dem Saisonstart "zufrieden". Die Mannschaft steht auf dem zehnten Tabellenplatz der Regionalliga Nord. Doch dann geht ein Spiel nach dem anderen verloren. Türkiyemspor rutscht ab und findet sich auf einem Abstiegsplatz wieder. Am 29. Oktober muss deshalb das Spiel gegen den VfL Wolfsburg unbedingt gewonnen werden. ATMO Geschrei und Klatschen des Publikums. ATMO LAUTSPRECHERANSAGE Wolfsburg gleicht aus zum 1:1. Torschütze mit der Nummer acht. Trommeln und Flöte von Türkiyem-Fans AUTOR 1:1 unentschieden steht es in der Pause und Trainer Erkenbrecher will den Sieg. O-TON UWE ERKENBRECHER Es kommt jetzt drauf an, ob wir uns durchsetzen wollen. Da müssen wir 'ne große Gegenwehr leisten. Wir glauben an uns, und wir glauben an den Erfolg. Hakan, alles klar?! [...] Ihr müsst alle zusammenhalten, Männer! [...] Weder wir schaffen das heute zusammen, oder wir verrecken zusammen. Egal, wer wo spielt. ATMO Trommeln und Flöte von Türkiyem-Fans spielen ATMO LAUTSPRECHERANSAGE Tor für Türkiyemspor in der 68. Minute. O-TON UWE ERKENBRECHER Ihr habt genau so gut wie die gespielt, genau so gut. Und am Schluss besser[...]. AUTOR Die Mannschaft ist glücklich nach den Niederlagen der vergangenen Wochen endlich mal wieder gewonnen zu haben. Der Torschütze war Norbert Lemcke. O-TON LEMCKE Ja, ich fand heute war der Einsatz besser, der Kampfgeist war besser. Spielerisch sind wir am Anfang ein bisschen hinterher gelaufen. Also, das 1:0 gut gemacht. Schön mit Druck auf die Box gespielt. AUTOR Seit Beginn der Fußballsaison 2008/09 hat Türkiyemspor mit schlechten Trainingsbedingungen zu kämpfen, weil der Verein keinen eigenen Platz hat. Bingöl, der Vorsitzende des Vereins, protestiert mit den Fußballern Anfang November vor dem Rathaus in Kreuzberg gegen die unzumutbaren Verhältnisse. O-TON BINGÖL Wir trainieren mal da, mal da. Wir trainieren inzwischen in vier, fünf Bezirken, die ... acht oder fünf Kilometer Unterschiede sind. Und dass natürlich der Trainer nicht planen kann, weil wir trainieren natürlich kurzfristig... vor dem Trainingsbeginn Bescheid kriegt, wo wir trainieren. Das gefällt ihm auch nicht. AUTOR Einige Tage nach der kleinen Demonstration kann Erkenbrecher nicht mit seiner Mannschaft auf dem Rasenplatz in Hohenschönhausen trainieren. Man befürchtet eine Schädigung des zu nassen Grases durch die Fußballschuhe. O-TON UWE ERKENBRECHER Der Platz ist heute unbespielbar. Das ist 'nen Unding, was uns passiert. Wir haben morgen 'nen wichtiges Punktspiel... PLATZWART ...ich hab' meine Weisungen... UWE ERKENBRECHER ...ja, alles okay, danke schön.... Diese Willkür, die wir mit unserem Verein ... is 'ne absolute Frechheit... PLATZWART ... ich kann nix dafür. Ich hab' meine Weisungen... UWE ERKENBRECHER ... ja, das ist ... jeder hat seine Weisungen. Wir haben ein wichtiges Punkt spiel. Das ist albern... also, diese Willkür und diese... ist eine absolute Ungerechtigkeit und kann ich nicht nachvollziehen. AUTOR Über ein halbes Jahr habe ich Türkiyemspor begleitet. In Kiel wurde ich von jungen fanatischen Fans mit kleinen Steinen beworfen, weil ich Tonaufnahmen von ihren Sprechchören machte. Aber besonders in den neuen Bundesländern herrscht in den Stadien ein aggressives und rassistisches Klima. In Halle hing im Stadion eine Fahne des Fanclubs in altdeutscher Schrift mit der Südstaatenflagge. Im Stadion des BFC Dynamo im Osten Berlins war eine Inschrift zu sehen: "Euer Hass macht uns noch stärker!" Es gibt ein generelles Misstrauen gegenüber der Presse und allen Außenstehenden. Umso bewundernswerter erscheint mir nach allem, was mir in diesen Monaten begegnet ist, der ungebrochene Optimismus der türkischen Migrantenkinder. O-TON KAYGAN Wir leben in einem Land, das wunderbar ist. [...] Unsere Väter sind vor vierzig, fünfzig Jahre hierher gekommen [...], dass ihre Söhne [...] , dass wir so was in Deutschland mal erleben sollten, daran hat bestimmt keiner vor vierzig Jahren gedacht. [...] Und mittlerweile wir denken, wir gehören [...] hierher, so fühle ich mich, so fühlen wir uns. Und ich denke, die Masse ist auch hinter uns, und wenn es halt andere gibt, dann gibt's die auch. ATMO ABSAGE Man muss auf alles gefasst sein Türkiyemspor und der Rassismus auf dem Fußballplatz Ein Feature von Thomas Hartwig Sie hörten eine Co-Produktion des Deutschlandfunks mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg Es sprachen: Gregor Höppner und Axel Gottschick Ton und Technik: Eva Pöpplein und Jutta Stein Regie: Thomas Wolfertz Redaktion: Karin Beindorff ATMO "Klasse" 28