COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft am 29. April 2010 Redaktion: Peter Kirsten Wenn das Erdmagnetfeld verschwindet Auf den Spuren der großen Umpolung Von Rainer - Kurt Langner Sprecher: Nichts ist von Dauer, auch das Erdmagnetfeld nicht, das uns vor den tödlichen kosmischen Strahlungen schützt. 1. Oton Korte: (6) In den letzten 150 Jahren hat es sich um 5 Prozent abgeschwächt... Sprecher: Sagt Monika Korte vom GeoForschungsZentrum Potsdam. Andere Wissenschaftler sprechen von einer etwa zehnprozentigen Abschwächung. 2 .Oton Korte: (50) Also was man sagen kann, das diese Abnahme deutlich stärker ist als wenn man jetzt theoretisch den Geodynamo einfach abschalten könnte... die Zerfallszeit des Magnetfeldes... das würde langsamer abnehmen. Man ist sich nicht einig, wie lange diese Abnahme schon anhält. Es gibt Hinweise darauf, dass es noch nicht viel länger als diese 150 Jahre abnimmt... Es ist auch nur eine Abnahme im globalen Mittelwert, wenn man jetzt die Feldstärke an einzelnen Orten mißt - hier in Europa nimmt sie zur Zeit noch zu... es sind weniger Gebiete auf der Erde, wo sie zunimmt und mehr wo sie abnimmt... sodass, wenn man ein Mittel nimmt, von dieser globalen Abnahme sprechen kann. Sprecherin: Müssen wir dem Szenario einer Klimakatastrophe ein weiteres Horrorszenarium hinzufügen: den Zusammenbruch des Erdmagnetfeldes und damit den Verlust unseres Schutzschildes, der Magnetosphäre? Ungehindert könnten der Sonnenwind und Partikelströme aus der Tiefe des Weltraums zur Erdoberfläche durchdringen - mit fatalen Folgen für alle lebenden Organismen. Irreparable Zellschäden blieben vielleicht nicht aus oder Veränderungen in der genetischen Erbsubstanz. 3 .Oton Korte: (18) Man kann heute noch nicht vorhersagen, wie sich das Erdmagnetfeld über Zeitläufe von zwei, drei Jahren ändern wird. Es ändert sich langsam, man weiß natürlich, dass es sich nicht von heute auf morgen abrupt ändern wird... aber genau zu sagen, wie die Stärke in fünf Jahren ist, das ist nicht möglich. Sprecherin: Seit vor 3000 Jahren die Chinesen den Kompaß erfanden, versucht der Mensch das Geheimnis des Geomagnetismus zu entschleiern. Manche Fakten sind inzwischen zusammengetragen, daraus sich Antworten und stets neue Fragen ergeben. Das Erdmagnetfeld ist weit komplexer, als gedacht. Davon ahnte James Clarke Ross, der am 1. Juni 1831 auf der kanadischen Halbinsel Boothia am magnetischen Pol stand, noch wenig. Zitator: Ich muss es wohl anderen überlassen, sich vorzustellen, wie sehr wir uns freuten, unser ehrgeiziges Ziel endlich erreicht zu haben. Fast schien es, als hätten wir alles, was zu tun und zu sehen wir uns bisher vorgenommen hatten, erreicht, als wäre unsere Fahrt und mit ihr unsere Mühen zu Ende und als bliebe uns nichts mehr zu tun, als nach Hause zurückzukehren und glücklich bis zum Ende unserer Tage zu leben. Dies also ist der Ort, den sich die Natur als Zentrum einer ihrer stärksten und dunkelsten Kräfte erwählt hat". 4. Oton Korte: (43) Im Prinzip ist der magnetische Pol erst mal der Punkt, wo die Magnetfeldlinien senkrecht auf die Erdoberfläche treffen. Von daher ist das theoretisch einfach zu beschreiben, nur zu messen ist das schwierig, weil das Feld so stark schwankt. Wenn er diese starken täglichen Variationen hat oder gerade in der Nähe der Pole... weil da der Einfluß des Sonnenwindes besonders stark ist auf das Magnetfeld... der Sonnenwind da am wenigsten abgeschirmt wird und am weitesten vordringen kann... damit dort das Magnetfeld am stärksten beeinflußt... Dadurch ergeben sich starke Schwankungen... es ist kein fester Punkt auf der Erde, sondern er wandert immer. Sprecher Für Monika Korte ist der Magnetberg eine hübsche Geschichte und der Erdmagnetismus keine von Göttern geschaffene geheimnisvolle Kraft mehr. 5. Oton Korte: (17) Alsodass das Erdmagnetfeld im äußeren Erdkern entsteht, würde ich schon als gesichertes Wissen bezeichnen... aber die ganzen Details, wie dieser Prozess, dieser Geodynamo-Prozess im Erdkern abläuft, da gibt es noch sehr viel, was man noch nicht versteht... Sprecherin: Ross nahm an, dass der Magnetpol ein geographischer feststehender Ort sei; von täglichen und jährlichen Schwankungen, der Fluktuation, wußte er nichts. 6. Oton Korte: (42) Alles was man an der Erdoberfläche als Magnetfeld mißt, setzt sich aus verschiedenen Anteilen zusammen. Der Hauptteil kommt aus dem Erdinnern aber auch in der Ionosphäre und Magnetosphäre außerhalb der Erde, mehrere 100 Kilometer oder auch mehrere Erdradien entfernt, können sich Stromsysteme ausbilden, zeitlich veränderliche Magnetfelder... Diese täglichen und kürzeren Schwankungen, das sind alles die Schwankungen von Magnetfeldern außerhalb der Erde und auf längeren Zeitskalen, über Jahre wandert der Magnetpol, weil sich das ganze Magnetfeld ändert... im inneren Kern, aufgrund des Geo-Dynamo-Prozesses. Sprecher: Dass die Erde überhaupt ein Magnetfeld besitzt, dafür ist der Erdkern verantwortlich. Er liegt tief unter der Oberfläche unseres Planeten, eine etwas über 6914 Kilometer im Durchmesser messende Kugel, vor allem aus Eisen und Nickel. Der feste innere Kern ist vom flüssigen äußeren Erdkern umgeben, in dem hochkomplexe elektro-, thermo- und hydrodynamische Prozesse ablaufen. Hier, im engen Zusammenhang mit der Rotationsbewegung des Erdkörpers, wird in der 2900° C heißen Metallschmelze der sogenannte Geodynamo angetrieben, der das magnetische Feld erzeugt. Sprecherin: Wie das im Einzelnen passiert und wodurch der sich selbsterhaltende Geodynamo überhaupt angeschaltet wurde, weiß die Wissenschaft nicht exakt zu sagen. 7. Oton Korte: (47) Genau verstanden ist das noch nicht... da muss wohl tatsächlich irgend ein kosmisches Magnetfeld vorhanden gewesen sein, was ausgereicht hat, um diesen selbsterhaltenden Geodynamo-Prozess in Gang zu bringen... Um ein Magnetfeld zu haben, muss ein flüssiger Erdkern vorhanden sein und wahrscheinlich auch ein fester innerer Kern. Es ist auch bei der Erde so, die ja langsam abkühlt, dass der innerer Kern, der feste Kern langsam wächst, also über sehr sehr lange Zeiträume wird der flüssige Anteil immer kleiner, irgendwann ist dann nicht mehr genug flüssiges Material da... und dann kann auch kein Magnetfelddynamo mehr funktionieren. Sprecherin: Lange Zeit dachte man sich das Erdmagnetfeld ausgerichtet nach der Himmelsmechanik, setzte das geographische Koordinatensystem dem Koordinatensystem des Erdmagnetfeldes gleich. Irgendwann musste dieses System zusammenbrechen. Christoph Kolumbus erschrak als erster über die Kapriolen seiner Kompasse, 50 Seemeilen westlich der Azoreninsel Corvo. Es war der 13. September 1492 und Kolumbus' erste Atlantiküberquerung, um westwärts segelnd Indien zu erreichen. Zitator: "Gegen Nacht wichen die Nadeln um ein Viertel Windes gegen Westen ab ... wodurch die Steuerleute in nicht geringe Bestürzung versetzt wurden." Sprecherin: Ein Viertel Windes sind 11 1/4 Grad Abweichung und war der Mannschaft ein Zeichen, dass sie in einer Weltgegend großer Gefahren kreuzten, in der jede Orientierung versagt. Einige dachten dem gefürchteten Magnetberg zu nahe zu kommen. Kolumbus muss die aufkommende Panik gespürt haben und dass seiner Männer die Umkehr erzwingen wollten, wenn er keine Erklärung für den tanzenden Kompaß hätte. Wie aber sollte er erklären, was er selbst nicht verstand. 8. Oton Linthe: (7) Der Kompaß ist ja ein relativ unempfindliches Instrument, im Vergleich zu den Magnetometern... Sprecher: Und doch lieferten diese unempfindlichen Instrumenten, wie Hans-Joachim Linthe vom Adolf-Schmidt Observatorium für Geomagnetismus in Niemegk den Kompaß bezeichnet, eine Fülle an Daten. Nach 1600 waren die Kapitäne angehalten, die Abweichungswerte der Magnetnadel vom geographischen Nordpol, die Deklination, gewissenhaft zu sammeln. Da man die gemessenen Abweichungen an jedem Ort als unveränderliche Größe annahm, glaubte man, dadurch endlich ein brauchbares Verfahren zur Längengradbestimmung auf See gefunden zu haben. Sprecherin: Das dachte auch Edmond Halley. Halley forderte von seinem König ein Schiff, um auf dem ganzen Atlantischen Ozean die Abweichungen der Magnetnadel zu erforschen. Er erhielt die Kriegsschaluppe "Paramour Pink" und unternahm mit ihr drei Seereisen. Alexander v. Humboldt schrieb: Zitator: "Dies Unternehmen hat Epoche in der Geschichte des tellurischen Magnetismus gemacht... Nie vorher, glaube ich, hatte ein Gouvernement eine See-Expedition zu einem Zwecke angeordnet, von dessen Erreichung die praktische Nautik sich zwar viel versprechen durfte, der aber doch recht eigentlich ein wissenschaftlicher, physiko-mathematischer genannt zu werden verdiente." Sprecherin: Als Ergebnis seiner Reisen legte Halley eine Karte des Atlantiks vor, auf der gleiche Werte der gemessenen Deklinationen mit Linien verbunden wurden, den Isogonen. Der Brite war überzeugt, dass sich die Abweichungen der Kompaßnadel - also die Ungleiche Verteilung des Magnetismus auf der Erdoberfläche - aus einem schalenförmigen Aufbau der Erde erklären ließe. Für Halley war die Erde ein Hohlkörper, in dessen Innern er einen magnetischen zweiten Planeten annahm. Es sei nicht ausgeschlossen..., Zitator: "dass der Erdball, wie ein Haus von mehreren Stockwerken, von innen und außen bewohnt sei. Für Licht in der Hohlkugel würde auch wohl auf irgendeine Weise gesorgt werden können." Sprecherin: Neben der Deklination, der Abweichung der Magnetnadel vom geographischen Nordpol, bemerkten Seefahrer und Instrumentenbauer weitere immer wiederkehrende Auffälligkeiten. Frei gelagert ist die magnetisierte Nadel nicht nur in horizontaler sondern auch in vertikaler Richtung beweglich. Die Nadelspitze neigt sich zur Erdoberfläche, abhängig vom Breitengrad auf dem der Kompaß benutzt wird. Im 16. Jahrhundert klebten die Kompaßmacher, um die Neigung auszugleichen, noch etwas Pech auf eine Nadelhälfte. Zwei Jahrhunderte später wurden extra sogenannte Inklinationskompasse hergestellt. Ross Inklinationskompaß, als er am magnetischen Pol stand, zeigte senkrecht zur Erde. Sprecher: Neben der Deklination und der Inklination ist mit dem relativ unempfindlichen Meßinstrument auch die Stärke des Erdmagnetfeldes meßbar. Einmal aus ihrer Ruhelage gerückt, schwingt die Nadel hin und her. An verschiedenen Orten der Erde schwingt sie verschieden schnell - je schneller sie schwingt, desto größer die Feldstärke am jeweiligen Ort. 9. Oton Linthe: (37) Carl Friedrich Gauß war der erste, überhaupt derjenige, der eine Methode entwickelte, die Stärke des Magnetfeldes der Erde zu bestimmen. Und auf dieser Grundlage ist dann die Idee verwirklicht worden, ein weltweites Netzwerk von Observatorien einzurichten - der Göttinger Magnetische Verein, der von C. F. Gauß, Wilhelm Weber und Alexander von Humboldt initiiert wurde und etwa fünf Jahre lang an fünfzig Stationen das Erdmagnetfeld erfaßt hat. Sprecherin: Indem Gauß die Feldstärke - eine physikalische Größe - auf die mathematischen Grundgrößen Millimeter, Milligramm und Sekunde zurückführte, gab er der Geomagnetik das entscheidende Fundament zu einem absoluten Maßsystem. Zitator: "Alle Beobachtungen dieser Art gehören zu den reizendsten, die ich kenne, sie übertreffen in dieser Beziehung die astronomischen, denen sie an Präzision fast gleich kommen... Ich kenne nichts Interessanteres von praktischen Geschäften als diese magnetischen Beobachtungen." Sprecherin: Gauß gründete - Hans-Joachim Linthe von Adolf-Schmidt-Observatorium sprach davon - den Göttinger Magnetischen Verein. Über die Zielstellung dieser ersten globalen wissenschaftlichen Unternehmung notierte er: Zitator: "Solcherart vereinte Thätigkeit der Naturforscher verfolgt einerseits wohl ein praktisches Interesse, wenn die Wissenschaftler die Deklinations- und Intensitätsvariationen auf der Erdoberfläche mit nie zuvor erreichter Schärfe messen und die gleiche Genauigkeit bei Inklinationsbeobachtungen erstreben. Dem Seefahrer, dem Geodäten und Markscheider muss ungemein viel daran gelegen sein, zu wissen, wie häufigen und wie großen Störungen ein Haupthülfsmittel, nämlich die Kompaßnadel, bei seinen Geschäften unvermeidlich unterworfen ist... Gleichwohl hat man den Grund nicht in diesen materiellen Rücksichten zu suchen. Das Aufsuchen der Gesetze in den Naturerscheinungen hat für den Naturforscher seinen Zweck und seinen Werth schon in sich selbst, und ein eigenthümlicher Zauber umgibt das Erkennen von Maaß und Harmonie im anscheinend ganz Regellosen." Sprecherin: 50 Observatorien beteiligten sich an dem Projekt, das die Schwankungen des Erdmagnetfeldes in koordinierter Form vermaß. Von 1836 bis 1841 wurden an festgesetzten Termintagen, jeweils 24 Stunden lang in Abständen von fünf Minuten die Geräte abgelesen. Die entsprechenden Resultate wurden nach Göttingen gemeldet und von Gauß und Weber bearbeitet und publiziert. 10. Oton Linthe: (56) Leider sind die meisten Stationen dann geschlossen worden, in anderen Staaten. Deutschland hat seine Stationen zum größten Teil weiter betrieben. Eine davon ist die in München, im Observatorium Fürstenfeldbruck. Heute sind wir bei der internationalen Zusammenarbeit natürlich weiter ... Es gibt heute Intermagnet, das ist ein Verbund mehrerer Institutionen, die magnetische Observatorien betreiben. Diese Organisation sammelt auflaufende Daten und achtet auch auf die Einhaltung von Standards. Es arbeiten dort derzeit 105 Stationen mit, die ihre Daten kontinuierlich dorthin senden. Und Intermagnet prüft die Datenqualität ständig. Sprecher: Auch das Adolf-Schmidt-Observatorium ist Mitglied von Intermagnet und unterhält darüber hinaus Kooperationsbeziehungen zu einigen nationalen Observatorien. 11. Oton Linthe: (33) Das Ziel dieser Aktivitäten ist: die Ausstattung der Observatorien mit modernen Instrumenten, sodass sie dem Intermagnet-Standard entsprechen oder die Einrichtung neuer Observatorien. In dieser Beziehung haben wir Kooperationsbeziehungen zu elf Observatorien weltweit, die reichen von im Westen Bolivien bis zur Halbinsel Kamtschatka im Osten. Sprecher: Prüfstein aller Theorien über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Magnetfeldes sind bis heute die Meßdaten geblieben. 12. Oton Linthe: (28) Es gibt noch recht viele 'weiße Flecken', die sind hauptsächlich auf den Ozeanen... Und dann gibt es noch weiße Flecken in den Entwicklungsländern und dann gibt es neuerdings wieder weiße Flecken seit der politischen Wende... es gab vor der politischen Wende in der damaligen Sowjetunion recht viele Observatorien, die sind zum größten Teil alle verschwunden in der Zeit zwischen 1990 und 2000. Sprecher: Die Erfassung der zeitlichen Veränderungen des Magnetfeldes mit automatisch arbeitenden Magnetometern liefern eine Datenfülle, die von der Theorie bewältigt werden muss. 13. Oton Linthe: (35) Selbst 150 Jahre nach Gauß, wo es ja einen großen Erkenntnisschub gegeben hat, kommen immer wieder neue Erkenntnisse und immer wieder neue Dinge zutage, die niemand vorher erahnen konnte. ZUM BEISPIEL haben Satellitenerfassungen des Erdmagnetfeldes Erkenntnisse gebracht, dass Meeresströmungen Einflüsse auf das Magnetfeld haben. Das hätte vor 10 Jahren niemand gedacht. Sprecher: Das GeoForschungsZentrum Potsdam betreibt den Satelliten CHAMP. 14. Oton Korte: (10) Im Sommer wird er zehn Jahre, wenn er noch durchhält. War ursprünglich auf fünf Jahre ausgelegt und... liefert noch immer Daten, unter anderem auch Schwerefelddaten... Sprecher: CHAMP scannt das Schwerefeld und das Magnetfeld der Erde, er sondiert zudem die Atmosphäre und Ionosphäre. Sein Blick auf den Planeten ist unbestechlich und doch macht er die erdgebundenen Observatorien nicht überflüssig. 15. Oton Korte: (45) Der überstreicht zwar die Erde aber hat doch eine gewisse Entfernung von der Erde... sodass einige der ionosphärischen Stromsysteme, die auch Schwankungen verursachen im Erdmagnetfeld, für den Satelliten innerhalb liegen und für die Observatorien außerhalb. Da das immer noch ein Problem ist, die verschiedenen Anteile des Erdmagnetfeldes zu trennen, ist es auf jeden Fall nützlich, auf beiden Ebenen Messungen zu haben. Außerdem ist es so, um die langfristigen Änderungen des Magnetfelds wirklich zu erfassen, darzustellen, in den Modellen auch mathematisch richtig zu beschrieben, sind die längeren Zeitreihen der Observatorien sehr nützlich. 16. Oton Linthe: (58) Das eine ist die Dichte der Meßdaten - das ist aber nicht von so hoher Bedeutung wie die große Komplexität des Problems. Denn es gibt zwar entsprechende Funktionsmodelle wie das Erdmagnetfeld entsteht und wie es denn durch verschiedene Einflußgrößen beeinflußt wird, aber diese Modelle spiegeln noch nicht hundertprozentig das wieder, was an den Meßdaten wirklich gewonnen wird. Das Problem einer Magnetfeldmodellierung liegt darin, wenn man ungleich verteilte Meßstellen auf der Erdoberfläche hat - in Europa haben wir ja eine sehr große Dichte von Observatorien und an anderen Punkten, wie im Ozeangebiet, gibt es nur eine sehr dünne Verteilung -, dann stößt diese Modellierung an Grenzen. 17. Oton Korte: (46) Eine Fülle von Daten ist relativ, weil, wenn man sich die Zeitskalen anguckt, auf denen sich das Erdmagnetfeld ändert und auf denen signifikante Änderungen ablaufen, dann kennen wir da nur einen Bruchteil. Gerade die Stärke ist erst seit Gauß Zeiten, seit dem frühen 19. Jahrhundert bekannt... seit der Zeit nimmt die globale Stärke die ganze Zeit ab. Aber wenn man sich die Perioden betrachtet auf denen Schwankungen vorkommen... das ist genau ein Grund, warum heute keiner genau sagen kann, ob diese Abnahme der Beginn einer Feldumkehr sein könnte, oder ob das nur im Rahmen von ganz normalen Schwankungen liegt, weil die Schwankungen auf der Zeitskala von mehreren Jahrhunderten, Jahrtausenden gar nicht so mit großer Genauigkeit bekannt sind. Sprecher: Auf die computergestützte Magnetfeldmodellierung angesprochen, entgegnet die Geophysikerin Monika Korte dem Geo-Praktiker Hans-Joachim Linthe: 18. Oton Korte: (25) Gerade diese Modellierung ist eigentlich das, was wirklich dazu führt, dass man ein besseres Verständnis von dem Prozess gewinnt. Inzwischen sind auch die numerischen Modellierer so weit, dass doch immer mehr Ähnlichkeiten mit den datenbasierten Modellen sich zeigen... Wenn man das zusammenbringt, dann wird man das auch irgendwann verstehen. Denn in den numerischen Modellen stecken ja die Gleichungen drin... da steckt ja das Verständnis drin... Sprecherin: Seit Gauß war die Wissenschaft bemüht, die Funktionsweise des Geodynamos zu verstehen und hinter die Geheimnisse des so fragilen Erdmagnetfeldes zu kommen. Man hat die Vorgänge in ihren zeitlichen und räumlichen Änderungen interpretiert und war doch überrascht, als ein australischer Geologiestudent vor knapp 50 Jahren das Magnetfeld im wahren Wortsinn auf den Kopf stellte. Der hatte einige Steine einer vor 30.000 Jahren von Aborigines benutzten Feuerstelle auf ihre Eigenschaften untersucht und eine sensationelle Feststellung gemacht: die magnetischen Bestandteile des Gesteins zeigten in die falsche Richtung, waren genau entgegen der heutigen Magnetfeldlinien ausgerichtet. Die magnetischen Pole waren vertauscht. Sprecher: Winzigen Kompassnadeln gleich richten sich kleinste ferromagnetische Minerale während der Sedimentation nach der jeweils herrschenden Magnetpolung aus. Meist aber erfolgt die Magnetisierung, wenn die Gesteinsschmelze aus Vulkanschloten oder aus Krustenrissen an die Oberfläche dringt und erkaltet. Sinkt die Temperatur der Schmelze unter den Curie-Punkt, unter 500 Grad Celsius, richten sich die kleinsten magnetisierbaren Komponenten des Gesteins nach dem vorhandenen Erdmagnetfeld aus. Die Magnetpolung ist gleichsam in einem geologischen Archiv konserviert. Sprecherin: Mit Hilfe dieses Magnetkalenders können Geomagnetiker inzwischen nachweisen, dass sich im Laufe der Erdgeschichte das Magnetfeld mehrmals komplett umgekehrt hat, dass die Umpolung Normalität ist. Fast drei Milliarden Jahre der Erdgeschichte sind rekonstruiert und man hat 170 Umpolungen nachweisen können. Wie eine Feldumkehr jedoch abläuft, darüber kann die Geophysik gültige Aussagen nicht machen. Monika Korte: 19. Oton Korte: (169 Es ist sicher nicht so, dass das Feld komplett verschwindet und dann andersherum wieder da ist. Sondern vermutlich ist es so, dass der Dipolanteil schwächer wird, dann ein komplexeres Feld vorherrscht bevor sich dann in umgekehrter Richtung der Dipolanteil stärker aufbaut. Sprecherin: Dass einer Umpolung eine Abschwächung des Feldes vorausgeht, darin sind sich alle einig. Aufwendige Computersimulation zeigen, dass sich zunächst das Magnetfeld langsam abschwächt. Innerhalb von rund 500 bis 1.000 Jahren nach Beginn dieser Abschwächung bricht die geordnete zweipolige Struktur des bisherigen Magnetfelds zusammen - jedenfalls im Computer. 20. Oton Korte: (35) Es ist tatsächlich so... man hat beobachtet, dass es abnimmt, man hat aus dem Paleomagnetismus - wo man die Magnetisierung von Gesteinen mißt und daraus schließt wie stark der Magnetismus zur Zeit der Entstehung der Gesteine gewesen sein muss, Hinweise darauf, wie stark das Feld in der Vergangenheit war... wobei dabei aber die Unsicherheiten ziemlich groß sind, um wirklich sagen zu können, wie groß die Stärker wirklich global war. Ja, sodass man jetzt auch wirklich nicht sagen kann: wir befinden uns jetzt unter dem Durchschnitt oder über dem Durchschnitt. Ja, so eine Bezugsgröße gibt es eigentlich nicht. Sprecherin: Niemand kann also sagen, wie stark oder wie schwach das Erdmagnetfeld im Normalfall ist. 21. Oton Korte: (42) Genau das ist das Problem, weil es langfristige Prozesse sind und in der Vergangenheit nur punktuelle Meßdaten von einzelnen Zeitpunkten oder einzelnen Orten auf der Erde vorhanden sind, aber man eben nicht die ganze Feldverteilung weltweit auf wirklich langen Zeitskalen kennt. Und da gibt es eben diese Spekulation, dass die derzeitige Abnahme durchaus der Beginn einer neuen Umpolung sein könnte aber nicht sein muss... weil eben im Durchschnitt alle 500.000 Jahre umgepolt aber das reicht von 500.000 Jahre bis ... ja bis dass mehrere 100 Millionen Jahre gedauert hat. Sprecher: Selbst die aufwendigste Modellierung kann auf die Frage, wann die magnetischen Pole kippen, keine gültige Antwort liefern. Einige geben der Erde bis zur Umpolung noch 1500 Jahre Zeit, andere 30.000. 22. Oton Korte: (56) Es gibt heute numerische Modelgleichungen wo die ganzen Kräftegleichungen aufgestellt werden und mit großen Computern sehr komplizierte Rechnungen durchgeführt werden, um das zu simulieren... solche Stimulationen zeigen auch Umpolungen, auch unregelmäßige, aber die Parameter reichen noch immer nicht an das heran, was man von der Erde annimmt, sodass solche Stimulationen zwar einiges schon sehr ähnlich aufweisen, was auch die Daten uns zeigen, aber anderes doch noch nicht so übereinstimmt... ja, und das der ganze Prozess wirklich noch nicht im Detail verstanden ist.. Irgendwann kommt sicher eine - aber irgendwann ist ein dehnbarer Begriff. Das kann in einigen paar 1000 Jahren der Fall sein, das kann erst in Millionen Jahren der Fall sein. Das ist ein völlig unregelmäßiger, unperiodischer Prozess. Und wenn man sagt, im Durchschnitt alle 500.000 Jahre, dann heißt das noch lange nicht, dass die nächste Umkehrung jetzt überfällig ist, weil sie schon 780.000 Jahre zurückliegt. Sprecher: Die Wissenschaft kann nur spekulieren, welche Auswirkungen eine massive Veränderung des Erdmagnetfeldes auf das Leben hätte. Tiere, Vögel oder manche Fischarten, die Sinneszellen zur Orientierung im Magnetfeld besitzen, werden sich anpassen können. Innerhalb einer schnellen Populationsfolge kann das Erbgut auf die sehr langsamen Veränderungen regieren. Und auch Homo Sapiens hat im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte schon mehrere Umpolungen und Abschwächungen überlebt. 23 .Oton Korte Ich seh' die Gefahr der Magnetfeldabnahme vor allem für die heutige Technik ... Was man zur Zeit nur bei starken magnetischen Stürmen in hohen Breiten beobachtet, wo es eben durchaus zu Stromausfällen kommen kann, Satelliten beeinträchtigt werden, alle Art von Radiokommunikation beeinträchtigt wird... Wenn die Stärke des Feldes global abnimmt, wird man solche Probleme auch in niedrigen Breiten und Gebieten der Erde haben. 24. Oton Linthe (48) Magnetischer Sturm heißt, es ist keine Zunahme, sondern es ist eine durch äußere Einwirkungen, durch Partikelströme von der Sonne, hervorgerufene hochfrequente Änderungen im Erdmagnetfeld. Und diese Änderungen des Magnetfeldes induzieren Ströme in langen Leitungen, in Hochspannungsleitungen oder in Gas- und Ölpipeline. Das ist derzeit in Mitteleuropa noch kein Problem, aber in Skandinavien und Canada ist das schon ein Problem. Das ist zum Beispiel passiert, Anfang der 90er-Jahre, ist in Canada durch einen geomagnetischen Sturm ein Hochspannungstransformator zerstört worden. Sprecherin: Die Apokalypse also fällt aus - selbst dann, wenn das Erdmagnetfeld plötzlich zusammenbräche. Astrophysiker haben herausgefunden, dass der Sonnenwind selbst einen neuen Schutzschild aufbaut. Seine energiegeladenen Teilchen treffen mit Wucht auf die Ionosphäre des Planeten, die ebenfalls geladene Teilchen enthält, dabei bilden sich auf der sonnenzugewandten Seite der Erde sogenannte "magnetische Schläuche", Filamente, die gleichsam dem Planeten ein neues Magnetfeld geben. Sprecher: "Der Selbstmagnetisierungsprozess der Erde", sagt der Astrophysiker Harald Lesch, "dauert noch nicht einmal eine Viertelstunde." Sprecherin: Wir werden die nächste Magnetfeldumpolung überleben. 1 1