COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 10. August 2009, 19.30 Uhr Schön falsch und echt gefährlich Markenhersteller kämpfen gegen Fälschungen und Plagiate Von Adolf Stock Spr. vom Dienst Schön falsch und echt gefährlich Markenhersteller kämpfen gegen Fälschungen und Plagiate Von Adolf Stock Take 1: (Busse) So klingt das Original (sattes Plupp) und so das Plagiat (schepperndes Geräusch). Musik: Die Prinzen: Alles nur geklaut Take 2: (Busse) Diese Töpfe Original und Kopie. Die Kopie kostet zehn Prozent, und wenn Sie sich das angucken und den Deckel hochheben und fallen lassen von der Kopie und den Deckel hochheben und fallen lassen vom Original, da merken Sie, wo der Unterschied ist, das hörten Sie schon, brauchen Sie nicht mal zu gucken. Sprecher: Der Ulmer Designer Rido Busse ist hartnäckiges Urgestein bei der Bekämpfung von Plagiatoren. Seit über dreißig Jahren verleiht er seinen Plagiarius auf der Konsumgütermesse Ambiente in Frankfurt am Main. Ein schwarzer angemalter Gartenzwerg mit goldener Nase, der den Produktfälschern ins Haus geschickt wird. Ein Beispiel: Die Firma Reisenthel setzt auf unverwechselbares Design, airbeltbag, carrybag oder streetshopper sind Kultobjekte markenbewusster Verbraucher. Damit ist der schwäbische Mittelständler weltweit erfolgreich, und damit ist er auch ein gefundenes Fressen für Design-Fälscher. Vertriebsleiter Peter Leinberger. Take 3: (Leinberger) Design Made in Germany, alles von uns selbst entworfen. Mit allen Kosten, die damit verbunden sind, ob das Werkzeugbau ist, Maschinenbau, alles was man braucht, um so ein Produkt zu machen. Und dann kommt irgendjemand, greift diese Idee auf und lässt sie einfach wo auch immer billig produzieren, und das schadet uns und schadet unseren Kunden. Sprecher: Plagiatoren beobachten den Markt, um später mit möglichst geringem Aufwand höchste Erträge zu erzielen. Take 4: (Leinberger) Es gibt Untersuchungen, wie viele Milliarden das sind, wie viele Branchen darunter leiden. Bekleidungsindustrie, Sportartikelindustrie, Uhrenindustrie. Es sterben Berufe aus, der Uhrmachermeister ist in manchen deutschen Betrieben nicht mehr anzufinden, weil alles billig nachgeahmt wird und für einige wenige Dollars billig hergestellt wird. Sprecher: Acht bis zehn Prozent des Welthandels entfallen auf gefälschte Produkte. Allein in Deutschland soll der geschätzte Schaden rund 30 Milliarden Euro jährlich betragen. Tendenz steigend. 70.000 heimische Arbeitsplätze wurden dadurch bisher vernichtet. Das sind beeindruckende Zahlen einer Parallelwirtschaft, die sich nicht an faire Spielregeln hält. Und Sünder finden sich überall. Take 5: (Leinberger) Es ist sicherlich zu einfach zu sagen, die bösen Chinesen oder Vietnamesen, wer auch immer, hätten dieses Plagiatorentum erfunden. Natürlich ist dort der Hauptpunkt der Produktion gesteuert und viele gehen auf internationale Märkte, sehen ein erfolgreiches Produkt und kopieren es. Sprecher: Mehr als zwei Drittel der Fälschungen kommen aus China, sechs Prozent aus Hongkong, knapp zehn Prozent aus der Türkei. Der Rest verteilt sich auf weitere Länder, darunter die Vereinigten Staaten und die Schweiz, wo immerhin noch gut zwei Prozent der Fälschungen produziert werden. Rido Busse: Take 6: (Busse) Geklaut wird von allen. Es wird von Deutschen bei Deutschen geklaut, Europäer beklauen Europäer und natürlich Fernost beklaut Europa und auch mittlerweile klauen Chinesen von Chinesen. Sprecher: Nicht nur Produktfälscher stehen am Pranger, auch Händler, die solche Waren vertreiben. Deshalb wird der Plagiarius auch an Lieferanten verliehen, die mit gefälschten und nachgemachten Produkten unseriöse Geschäfte machen. 2009 bekam den schwarzen Zwerg ein Unternehmen in Niedersachsen. Michael Gamm von der geschädigten Firma Stiebel Eltron sagte bei der Verleihung: Take 7: (Gamm) Es ist unglaublich, dass in Deutschland sitzende Importeure, technisch minderwertige Nachahmungen auf den Markt werfen, um so mit Fälschungen das schnelle Geld zu verdienen. Aber unser Unternehmen sieht diesem Treiben schon lange nicht mehr zu, in diesem Fall haben wir uns entschieden, einen Strafantrag zu stellen. Das Importieren und in den Handel bringen von Plagiaten ist unserer Meinung nach genauso verwerflich wie das Nachmachen selbst. Sprecher: Es ist ein Fass ohne Boden. Nur etwa zehn Prozent der Fälschungen werden entdeckt und es gibt eine gewaltige Dunkelziffer. Musik: Die Prinzen: Alles nur geklaut Take 8: (Busse) Es war 1977, da fand ich auf einem Messestand das exakte Abbild einer Waage, einer Brief- und Diätwaage, die wir entwickelt hatten, und der normale Preis war 27 D-Mark damals noch. Und der bot also dieses Ding an für 21 D-Mark, aber das halbe Dutzend. Ich musste mich dann schlau machen, wie geht man überhaupt dagegen vor, und gemeinsam mit der Firma Söhnle haben wir dann erst einmal eine einstweilige Verfügung erwirkt. Das wirkte auch, und der nahm das Zeug von Stand, aber wenige Wochen später war genau dasselbe Waagen-Modell wieder importiert worden. Sprecher: Spätestens jetzt wollte Rido Busse die Praxis der Plagiatoren öffentlich machen. Take 9: (Busse) Ich war damals der erste, der den Finger in diese Wunde gelegt hat, habe ich dann gesagt, okay, Öffentlichkeit kann man am ehesten schaffen durch irgendeine Aktion, eine Ein-Mann-Bürgerinitiative, und die sah dann so aus, dass ich diesen handelsüblichen Gartenzwerg Nummer 719 gekauft habe, habe den schwarz angemalt, mit einer goldenen Nase versehen und habe den auf dem Messestand unserer Firma in Form einer Pressekonferenz verliehen. Sprecher: Rido Busse erinnert sich. Ein No-Name-Artikel wird natürlich nicht kopiert, sondern nur am Markt erfolgreiche Markenprodukte. Es wird alles gefälscht: Kugelschreiber und Taschentücher, Ersatzteile für Autos, Unterhaltungselektronik, Kinderspielzeug, Bekleidung, Zigaretten und Pharmazeutika. Take 10: (Busse) Mittlerweile werden auch hoch komplexe technische Produkte, wie zum Beispiel Stihl-Sägen, oder Walkman oder sonstige Geräte gefälscht und kopiert, etwas was man mittlerweile gelernt hat, das haben wir denen ja beigebracht. Ja sogar Motorräder haben wir im Angebot, also diese Unterteilung von No-Tech, Low-Tech und High-Tech, die wir früher gemacht haben, die brauchen wir heute nicht mehr. Es gibt heute so viele High-Tech- Produkte, das ist wurscht. Sprecher: Fälscher und Plagiatoren bieten ihre Produkte auch auf Fachmessen an. Auf der Frankfurter Ambiente ist die Münchner Rechtsanwältin Aliki Busse, die Tochter des Designers Rido Busse, in Sachen Plagiatsbekämpfung unterwegs. Sie geht im Auftrag ihrer Mandanten durch die Messehallen und sucht nach Übeltätern. Wenn sie fündig wird, schlägt der Zoll zu. Take 11: (Aliki Busse) Man trifft sich beim Zoll und dann werden zwei Gruppen aufgeteilt, das ist die so genannte Blechgruppe, die hauptsächlich Besteck macht, alles so was, was mit Metall und Blech zu tun hat und die Porzellangruppe. Und dann schwärmen diese Gruppen aus, gemeinsam mit dem mobilen Einsatzkommando, die also wirklich nicht nur im Ornat, also wirklich mit Uniform, sondern auch mit Pistolen und Handschellen und so weiter dann da mitlaufen. Und sobald man etwas findet, wir deuten dann nur irgendwohin, und der Zoll geht dann dort rein und beschlagnahmt. Und danach gibt es dann ein Strafverfahren. Es geht meistens glimpflich ab, es gibt aber auch schon Schlägereien und Plagiatoren, die das nicht so furchtbar lustig finden und nicht freiwillig ihre Sachen rausgeben. Sprecher: Das drastische Vorgehen zeigt Wirkung. In den letzten Jahren finden sich weniger Fälschungen und Plagiate auf den großen Messen der Republik. Walter Horchz vom Amtsgericht Frankfurt am Main. Take 12: (Horchz) Ich weiß, am Anfang war ein Plagiator total stolz, dass er es fast 100 Prozent geschafft hat, was nachzumachen, hier auszustellen, hier hinzustellen und war total entsetzt, dass auf einmal so ein Typ wie ich da kommt und sagt, gib das Zeug her, ich nehm's dir weg hier oder schließe notfalls deinen Stand. Das ist heute nicht mehr der Fall. Man weiß heute, alle wissen heute sehr genau, was sie hier tun, und sie machen es aber ganz bewusst, weil man sich einfach sagt, wenn 1000 kommen, 200 werden erwischt, haben 800 noch ein Geschäft gemacht. Sprecher: Alles in allem nimmt der Handel mit Fälschungen drastisch zu. Christoph Kannengießer, Geschäftsführer vom deutschen Markenverband: Take 13: (Kannengießer) Wenn die Zollverwaltung in den Jahren 1988 bis 94 in zirka tausend Fällen beschlagnahmte, wurden allein in den Jahren 2005 bis 2007 24.133 Aufgriffe verzeichnet, Tendenz steigend. Es gibt bestimmt auch Menschen, die das in Prozentsätze umrechnen können, ich glaube, es ist trotzdem eine eindrucksvolle Demonstration, wie rasant sich das alles entwickelt, trotz nach wie vor und heute noch immer gewaltiger Dunkelziffern. Atmo Markt Sprecher: Früher gab es gefälschte Produkte auf Trödelmärkten oder bei fliegenden Händlern am Urlaubsort. Heute werden die meisten Fälschungen und Plagiate über das Internet vertrieben, eine ideale Plattform, auf der sich anonym so gut wie alles verkaufen lässt. Zitator: Das Potenzmittel war gefälscht. Echt waren nur die Nebenwirkungen. Sprecher: Mit solchen Reklamesätzen versuchen die Markenprodukt-Lobbyisten, Verbraucher zu sensibilisieren. Die ECE-Gruppe betreibt bundesweit Shopping-Center. Gemeinsam mit dem Aktionskreis gegen Produkt- und Markenpiraterie hat sie im Frühjahr 2009 eine Aufklärungskampagne gestartet. In dreißig Shopping-Malls soll die Ausstellung Schöner Schein. Dunkler Schatten zehn Millionen Verbraucher über Produktfälschungen informieren. Rüdiger Stihl vom Aktionskreis gegen Produkt- und Markenpiraterie. Take 14: (Stihl) Ich bin froh, dass wir jetzt diese Wanderausstellung auf den Weg bringen können, wo man eben auch sagen kann und erklären kann, guckt mal her Leute, deswegen ist das Produkt XY so teuer, weil die und die und die Maßnahmen da alle einfließen, weil wir es unterlassen, menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse zu akzeptieren und so weiter. Das alles muss man ja insgesamt als Bündel, als Maßnahmenbündel sehen, und das erklärt dann eben doch in vielen Fällen besser, als wenn man das vielleicht so gar nicht machen würde, die Gründe, weshalb ein Produkt seinen Preis auch wert ist. Sprecher: Die Wanderausstellung soll das Markenbewusstsein bei den Verbrauchern stärken. Peter Kraus ist Experte für Generika, also preiswerte Nachahmer- Präparate im Arzneimittelbereich. Er bezweifelt, dass sich alle Handelsspannen von Markenprodukten aus Sicht der Verbraucher rechtfertigen lassen. Take 15: (Kraus) Der Konsument ist nicht so doof, wie man ihn immer so ganz gern von Seiten der Markenhersteller darstellen möchte. Ich glaube, der Konsument weiß ganz genau, in wieweit ihm ein bestimmtes Produkt, mit seiner Markenanmutung, inwieweit ihm das wert ist und inwieweit er dann sagt, nee da wird mir auch die billigere Kopie den gleichen Dienst in meinem Alltag leisten. Sprecher: Selbstverständlich denken Konsumenten darüber nach, ob der Preis in einem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen steht. Für Peter Leinberger von der Firma Reisenthel ist das auch ein moralisches Problem, wenn nachgemachte Waren, die rechtlich keine Fälschungen sind, in den Regalen der Discounter stehen. Take 16: (Leinberger) Wenn man sich große Ketten betrachtet, bieten die Preise an, die ein Normaler nicht anbieten kann. Hier werden Billigproduktionen im Ausland gemacht, zu zum Teil menschenunwürdigen Produktionsbedingungen und dann mit einer geringen Marge, nur der Menge wegen auf den Markt geworfen. Ich bin sicher, wenn es solche Anreize, die übrigens die Presse auch schürt, Schnäppchenjäger, handeln Sie, überall wird es billiger, fragen Sie nach Prozenten, wenn das nicht da wäre, wäre das Bewusstsein, etwas Echtes zu kaufen, sicherlich höher bei den Verbrauchern. Sprecher: Rüdiger Stihl sieht die Sache nicht so moralisch, weil er viel zu gut weiß, dass es auch viele Verbraucher gibt, die sich teure Markenprodukte nicht leisten können. Take 17: (Stihl) Man muss einfach auch sehen, dass viele Leute unter wirtschaftlicher Not leiden, und dass sie dann einfach, ob sie es wollen oder nicht, nach sehr preisgünstigen Waren Ausschau halten müssen, um über die Runden zu kommen. Das muss man einfach akzeptieren, dass Sie sich dann gezwungen sehen, sich auch billiger zu ernähren, einzukleiden und so weiter, dann muss man halt eben auch zu einer Ware greifen, die keine bekannte Marke ist und dann sind da vielleicht Giftstoffe drin und so weiter, da muss niemand etwas vorgemacht werden. Musik/Atmo: Sprecher: Drogeriemärkte, Kaffeeröster und Lebensmitteldiscounter bieten Woche für Woche preiswerte Aktionsware an, die den Markenprodukten Paroli bieten. Rido Busse: Take 18: (Busse) Die suchen sich Produkte aus, die gut gehen, vom Umsatz her. Und die suchen sich so No-Tech- oder Low-Tech-Produkte aus, bestellen beim Originalhersteller 200 Stück, zeichnen die mit einem niedrigeren Preis aus und geben die in ihre Testläden. Wenn der Abverkauf gut ist, dann wird dieses Produkt in Fernost bestellt. Sprecher: Christoph Kannengießer vom Markenverband blickt argwöhnisch auf Unternehmen, die Nachahmerprodukte in Auftrag geben. Er spricht von Me- Too-Produkten oder Look-Alikes, also von Produkten, die ganz unverfroren imitieren, was andere designt oder erfunden haben. Take 19: (Kannengießer) Es wird sehr, sehr ähnlich gemacht, nicht genau gleich, und es steht dann eben nicht die Originalmarke drauf, sondern es steht beispielsweise eine Handelsmarke oder ein Kunstmarkenname oder ähnliches drauf. Das ist wettbewerbswidrig, das ist kein kriminelles Unrecht, aber wir wünschen uns, dass auch hierzulande das Thema geistiges Eigentum, das Thema Respekt vor den Innovationen anderer auch in unternehmerischen Kreisen einen entsprechend hohen Stellenwert hat: Das tut man nicht, das entspricht nicht dem Bild des ehrbaren Kaufmanns. Sprecher: Christoph Kannengießer entrüstet sich, aber bisher wurden Discounter oder Kaffeeröster noch nicht direkt an den Pranger gestellt. Sie haben auch noch nie einen Plagiarius bekommen, weil sich bisher noch kein Markenhersteller fand, der den Plagiatsvorwurf öffentlich äußern wollte, obwohl sehr viele Unternehmen betroffen sind. Bei Lebensmitteln ist es längst üblich, dass die Markenhersteller Billigprodukte für Handelsketten produzieren. Allerdings setzen sie alles daran, dass die Kundschaft darüber wenig erfährt. Manchmal machen sich die Discounter über die teure Konkurrenz auch lustig, wenn der gute Bohnen- Kaffee schon mal Marcus anstatt Jacobs heißt, so als wolle man der Kundschaft sagen, die Jesus-Jünger seien alle gleich nah bei Gott. Und die berühmte Prinzenrolle steht ganz bescheiden als Kurpfalzrolle beim Discounter im Regal. Alles Müller, oder was? Mittlerweile ist es zum Volkssport geworden, die Veterinärkontrollnummern zu genau zu studieren, um herauszufinden, welcher Markenhersteller was produziert. Bücher und Internetseiten geben zusätzlich Tipps, wie man den Markenfirmen auf die Schliche kommt. So ist auf dem T-Online-Portal unter der Rubrik Lifestyle zu lesen. Zitator: Außen No-Name - innen Marke. Der Markenkaffee wird beim Discounter um fast die Hälfte billiger verkauft. Viele Hersteller betreiben derartige Handelsmarken, die dann Discounter beliefern. Und die Produkte sind im Durchschnitt 20 bis 30 Prozent billiger als die Markenartikel. Allerdings handelt es sich nicht immer um identische Produkte. Die Zusammensetzung ist manchmal leicht verändert. Sprecher: Mit Qualität hat das nichts zu tun, wie Monat für Monat die Stiftung Warentest beweist, die Produkte vergleicht und bewertet. Da befinden sich preisgünstige Alternativen auf Augenhöhe mit Markenprodukten. Wer kann unter solchen Voraussetzungen noch Vertrauen in die Marke entwickeln? Christoph Kannengießer ficht das nicht an, er geht aufs Ganze, für ihn heißt die Alternative: Marke oder Verbrechertum. Take 20: (Kannengießer) Den Begriff des unethischen Konsums sollten wir mit Bestimmtheit anwenden. Bekannt ist: An jedem Gramm Kokain klebt Blut, aber wenn wir den Produkt- und Markenpiraten wirkungsvoll den Krieg erklären wollen, müssen wir auch deutlich machen: In jedem Plagiat steckt das pure Elend. Dafür steht die Fälschung. Die Marke steht für das Gegenteil, denn nur die Marke steht für Verbraucherschutz. Bewusste Kaufentscheidungen von Plagiaten, aber auch solche durch Unwissenheit und auch mit Unrechtsbewusstsein sollten korrigiert werden, Mitverantwortung und Schutz sind die richtigen Schlagworte in der Verbraucherpolitik, hier muss der Verbraucher geschützt werden, nicht mit Werbeverboten für Markenartikel oder gar generischen Verpackungen voller Warnhinweise für legal hergestellte Produkte. Zeitgemäßer Verbraucherschutz muss die Marke zum Partner machen und sie vor verbrecherischen Kopisten schützen. Dann können wir als starke Partner unserer Kunden vor Unheil bewahren. Sprecher: Die Markenlobbyisten kennen kein Pardon. Sie halten Produktfälscher und Plagiatoren für ein gesellschaftliches Krebsgeschwür. Das geht dem Arzneimittelexperten Peter Kraus viel zu weit, für ihn hat die Marke längst keinen so bedeutenden Stellenwert. Take 21: (Kraus) Was ist Marke? Gerade die alten Traditionsmarken, die stammen natürlich alle aus einer Zeit heraus, als die Kunden relativ wenig Informationen über die Produkte selber hatten, das heißt, wenn ich mir früher ein Auto gekauft habe, wusste ich überhaupt gar nicht, welche technischen Eigenschaften dieses Produkt hat und auch bei einem Waschmittel, genauso wie bei einem sonstigen Produkt. Insofern ersetzte natürlich dieses Vertrauen in die Marke ein gewisses Informationsdefizit. Heutzutage kann ich mich sehr gut selber informieren, insofern brauche ich in vielen Bereichen dieses Vertrauen in die Marke nicht mehr, weil ich das zumindest entweder selber ausprobieren kann, oder mich in dem anderen Bereich irgendwo informieren kann über das Produkt. Sprecher: Gegenüber der Markenlobby bleibt Peter Kraus misstrauisch, denn er kann sich noch sehr gut erinnern, wie die Markenhersteller zunächst auf die unliebsame Konkurrenz der preiswerteren Generika reagierten. Take 22: (Kraus) Der Siegeszug der Generika begann in den späten Siebzigern, frühen Achtzigern, und das war natürlich genau so, dass wir eine ganz, ganz große, ich würde fast sagen Schmutzkampagne erlebt haben. Alle Qualitätsmängel, die überhaupt denkbar sind, wurden da ins Feld geführt. Das wurde eigentlich dann erst besser, als wir wirklich dann ganz gezielt auch nachweisen konnten, dass die Generika teilweise ja sogar noch besser waren als die Originale. Und das dauerte also bestimmt zehn Jahre lang, bis wir diese Kampagnen einigermaßen überwunden hatten, das ging also soweit, dass Ärzte beeinflusst wurden, Patienten wurden beeinflusst. Es gibt heute noch das Aufflackern von dieser Argumentation, aber im Prinzip ist das Thema eigentlich durch, es hat ins öffentliche Bewusstsein Eingang gefunden, dass Generika durchaus vergleichbar und von der Qualität teilweise sogar noch besser sind als die jeweiligen Originale. Sprecher: An der Qualität der Produkte zweifelt heute keiner mehr. Im Gegenteil, die Krankenkassen nutzen das Angebot gezielt, um ihre Kosten zu senken. Musik: Die Prinzen: Alles nur geklaut Sprecher: Generika sind inzwischen akzeptiert, aber gerade im Medikamentenbereich tummeln sich schwarze Schafe, die mit ihren gefälschten Produkten - mit Schlankheitsmitteln, Muskelaufbaupräparaten oder Potenzpillen - nicht nur den Markenherstellern schaden, sondern auch die Gesundheit ihrer Kunden gefährden. Christoph Kannengießer. Take 23: (Kannengießer) Ich will dazu aus der Perspektive des Markenverbandes sehr deutlich sagen, wir brauchen sichtbarere und härtere Strafen, wir brauchen mehr Aufklärung der Konsumenten, und wir brauchen mehr Koordination in den Bekämpfungsaktivitäten auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Sprecher: Mittlerweile kämpfen die Markenlobbyisten an allen Fronten. Christoph Kannengießer hält ein halbes Jahr Mindesthaft für angemessen, um Täter abzuschrecken, die bisher nur selten oder gar nicht hinter Anstaltsmauern verschwinden. Take 24: (Kannengießer) Die Botschaft ist ja klar, wohin das gehen muss: Mindeststrafen, die Strafen aus dem Neben-Strafrecht in das Licht des Strafgesetzbuches überführen, aber auch deutlich die ermittelnden Staatsanwaltschaften und die Gerichte auch in der Ausbildung und in der Fortbildung auf diese Themen aufmerksam machen, damit hier wirklich die general- und spezialpräventive Rolle des Strafrechts seine Bedeutung findet, das ist gefordert, und da ist die Politik nach wie vor viel zu zurückhaltend. Sprecher: Der Markenverband fordert Kompetenzzentren bei der Polizei und den Staatsanwaltschaften der Länder, und er fordert einen Sonderbeauftragten für geistiges Eigentum, der die Strafverfolgung koordinieren soll. Selbst harmlosen Touristen, die in Spanien oder der Türkei ein gefälschtes T-Shirt kaufen, soll es an den Kragen gehen. Erste Fälle gibt es bereits: In Frankreich und Italien müssen Käufer gefälschter Waren schon jetzt mit empfindlichen Geldstrafen rechnen. So wurde eine dänische Touristin, die eine gefälschte Sonnenbrille für 10 Euro erstand, zu 10.000 Euro Strafe verdonnert. Obwohl natürlich jeder sieht, dass die schlechten Kopien mit Chanel- und Prada-Logo, Puma-Label oder den berühmten drei Streifen gar nicht echt sein können und wirklich markenbewusste Käufer sofort die Flucht ergreifen bei all dem Schrott. Trotzdem sind die gepfefferten Strafen ganz im Sinne der Markenlobby, weil sie hofft, dass kauflustige Verbraucher endlich ein Unrechtsbewusstsein entwickeln. Eine Studie des Beratungsunternehmens Ernst & Young lässt allerdings wenig Hoffnung. Sie besagt, dass neun von zehn Verbrauchern ganz selbstverständlich Fälschungen und Nachahmer-Produkte ohne schlechtes Gewissen kaufen. Mit anderen Worten: Plagiate sind längst gesellschaftsfähig. Ein echtes Problem für die Markenhersteller, zumal sie eine allzu direkte Kritik der Verbraucher aus marktstrategischen Gründen eher vermeiden müssen. Umso eindringlicher wird an die Moral der Kundschaft appelliert. Take 25: (Kannengießer) Oftmals sind die Verbraucher ja auch Opfer, wissen gar nicht, dass sie es mit einer Fälschung zu tun haben. Aber da wo sie bewusst Fälschungen kaufen, sich drüber im Klaren sind, dass sie in aller Regel Produkte erwerben, die unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt worden sind, von denen verbrecherische Organisationen leben, dass sie Produkte kaufen, die aus ähnlichen Kreisen stammen wie diejenigen, die sich etwa in Drogenhandel oder in der Zwangsprostitution oder in Menschenhandel bewegen, die Kinderarbeit zulassen und so weiter, also ethischer Konsum ist sicherlich nicht der Konsum von gefälschten Produkten. Sprecher: Peter Kraus hält diese Argumentation schlichtweg für unseriös. Take 26: (Kraus) Wenn ich mir so ein Design-Produkt kaufe, habe ich auch keinerlei Gewähr, dass das nicht auf ähnliche Weise produziert wird, denn wir wissen natürlich alle, dass speziell in Deutschland natürlich sehr, sehr wenige Produkte noch direkt hergestellt werden, dass die eigentlich alle aus Ländern kommen, wo einfach die Arbeitskraft sehr billig ist, und da hat kein Mensch mehr die Kontrolle, was tatsächlich produziert wird vor Ort. Sprecher: Wer blind einer Marke vertraut, ist längst nicht auf der sicheren Seite. Ein schockierender Wegweiser durch die Machenschaften bedeutender Markenhersteller ist der Klassiker Schwarzbuch Markenfirmen. Als 2002 eine der vielen Neuauflagen erschien, schrieb ein österreichischer Pressedienst: Zitator: Die neue Hitliste "Best-of-Böse" wird vom Pharmagiganten Bayer an- geführt. Die Autoren werfen dem Konzern in allen Geschäftsfeldern enorme Destruktivität und Missachtung ethischer Prinzipien vor. An zweiter Stelle liegt der Ölkonzern ExxonMobil, dem vorgeworfen wird, dass er sich um keine Menschenrechtsstandards bemüht und keine Umweltschutzaktivitäten leistet. An dritter Stelle rangiert der Spielwarenhersteller Mattel, der in chinesischen Werkstätten in 16- Stunden-Arbeitstagen an 364 Tagen im Jahr unter skrupelloser Ausbeutung der Arbeiterinnen fertigen lässt. Sprecher: Auf gut 400 Seiten werden die Sünder aufgelistet. Das Schwarzbuch ist nach wie vor ein Bestseller und bisher hat noch kein Unternehmen die Autoren verklagt. Handfeste Selbstauskünfte sind bei den Markenproduzenten eher Mangelware. Wo wird das Produkt hergestellt? Unter welchen politischen und sozialen Bedingungen wird produziert? Was tut das Unternehmen für den Umweltschutz? Auf solche Fragen wollen aufgeklärte Verbraucher Antworten wissen. Das böte die Chance für Markenhersteller, in der globalen Wirtschaftswelt für mehr Transparenz zu sorgen. Sie könnten die Verbraucher umfassend über ihre eigenen Produkte informieren, anstatt sie pauschal moralisch unter Druck zu setzen, wenn Sie zu preisgünstigeren Alternativen greifen. Peter Kraus: Take 27: (Kraus) Den Konsumenten dafür zu verteufeln und ihm jetzt ein schlechtes Gewissen einzureden, das finde ich auch schon ein bisschen Konsumentenverdummung, was hier so gemacht wird, so nach dem Motto einer diffusen Verschwörungstheorie. Ich denke, der kriminelle Aspekt liegt darin, dass möglicherweise Urheberrechte verletzt werden, aber jetzt automatisch jemanden, der ein Produkt nachbaut, in die kriminelle Ecke zu schieben, das finde ich eigentlich fast genauso verwerflich wie jemanden, der etwas nachbaut. Sprecher: Bei den Markenlobbyisten sind immer nur die anderen schuld. Für sie hängt der Geiz-ist-Geil-Kunde am Tropf einer weltweit organisierten Billigprodukt- Mafia. Doch in Wahrheit geht es beim Markenschutz schlicht und einfach um die Verletzung von Urheberrechten, ungeachtet dessen, ob sich Firmen ansonsten kriminell verhalten, was natürlich rechtliche Konsequenzen haben sollte. Rido Busse, der vor über 30 Jahren seinen Plagiarius erfand, um auf die Fälscher hinzuweisen, sieht es so: Take 28: (Busse) In dem Augenblick, wo es sich um geschützte Produkte handelt, sei es nun Urheberrecht, sei es Patent, sei es Geschmacksmuster, wenn ich diese Produkte nachahme, habe ich Probleme. Das ist klar, das ist zumindest unmoralisch, auch unethisch, das tut man einfach nicht. Sprecher: Unethisch hin oder her, auf Dauer können nur professionelle Rechtsabteilungen Unternehmen vor Produkt- und Markenfälschern schützen. Bei der Firma Stihl gilt Null-Toleranz. Jede Rechtsverletzung wird konsequent verfolgt. Das empfiehlt Rüdiger Stihl auch anderen Unternehmen. Take 29: (Stihl) Jeder Rechteinhaber muss dafür sorgen, dass überall dort, wo er tätig ist, die Marke, die Kernmarke eingetragen wird und damit geschützt wird, dass seine Erfindungen geschützt sind, so dass er, wenn dann Fälschungen kommen, sich wenigstens mit diesen elementaren Mitteln zur Wehr setzen kann. Sprecher: Im Frühjahr 2009 hat die nordrhein-westfälische Landesregierung zunächst einmal damit begonnen, während einer Aktionswoche die Unternehmen der Region über die schon bestehenden Rechte aufzuklären. Da liegt einiges im Argen, weil viele Firmen gar nicht wissen, wie sie sich vor Plagiaten und Nachahmerprodukten wirksam schützen können. Vielleicht ist das ja der richtige Weg. Musik: Die Prinzen: Alles nur geklaut Spr. vom Dienst Schön falsch und echt gefährlich Markenhersteller kämpfen gegen Fälschungen und Plagiate Von Adolf Stock Es sprachen: Markus Hoffmann und Max von Puffendorf Ton: Inge Görgner Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 6