DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr ?Bin jetzt Ton-Leiter in Ankara? - Der Komponist Eduard Zuckmayer in der Türkei Sprecher/innen: Erzählerin: An Kuohn Eduard Zuckmayer: Michael Wittenborn Carl Zuckmayer Bruno Winzen Paul Hindemith: Axel Gottschick Regie: Thomas Wolfertz Redaktion: Ulrike Bajohr Produktion Deutschlandfunk 2009 URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? DeutschlandRadio Produktion: 5.-8. April Sendung: 17. April 2009 Musik: historische Aufnahmen, bereitgestellt von der Gazi-Universität Ankara Chor der katholischen Hauptschule Großer Griechenmarkt Köln, Ltg. Karl Becker Im Anschluss: Bach, Italienisches Konzert. Glenn Gould. CD1/ Take1/ 1. Satz 4´05/Sony Classics Arch.Nr. 6041 119 O-Ton Zuckmayer im türkischen Radio, beginnt nach Musik bei 1`17 (evtl. hist. Radioaufnahme mit Bachs ?Italienischem ? Pianist Eduard Zuckmayer unterlegen.) Zitator (Eduard Zuckmayer) Musik lernen heißt für mich: Musik machen! Und vergnügtes Musizieren kennt keine Grenzen. Hinter diesem fröhlichen Motto steckt ein tieferer Sinn. Denn die meisten Musikanten sind heute Professionelle, nur sehr wenige musizieren aus reinem Enthusiasmus. Früher war die Distanz zwischen Berufsmusikern und Laien in Europa noch nicht so groß, überhaupt spielte die Musik eine viel größere Rolle im alltäglichen Leben. Ein Volk, das gerne musiziert, bildet den Nährboden künftiger Musikkultur Der Bauer auf dem Acker und der Gelehrte in seiner Stube ? alle können musizieren! Wichtig ist letztendlich nur die Liebe zur Musik, sie ist der Weg zum Musikverständnis. Sie wird meist im Elternhaus geweckt, im Laufe des Lebens vertieft und lässt einen nie wieder los. Die teuerste Plattensammlung kann diese Liebe nicht ersetzen. Musik (Kinderchor, Atatürkhymne) Ansage: ?Bin jetzt Ton-Leiter in Ankara? - Der Komponist Eduard Zuckmayer in der Türkei. Ein Feature von Elke Suhr Zitator (Eduard Zuckmayer) 28. Oktober 1961 Heute ist Republikfest, der 38. Geburtstag der Atatürkschen Republik. Es gelang mir, ein kleines Lied oder einen kleinen Chor zu schreiben, der ? soweit ich mich selbst beurteilen kann ? etwas taugt und den Türken weiterhilft. Denn sie sind sonderbarerweise trotz ihrer so schönen und eigenartigen Folklore meist hilflos, wenn sie ?westlich? komponieren sollen. O-Ton Musik, 1`16 (Professor Okyay stimmt Aratürkhymne auf dem Klavier an, unter folgenden O-Ton legen.) O-Ton Professor Okyay Dann hat er auch hier Lieder komponiert, zum Beispiel (Papierrascheln) eins ist hier: Atatürk ? - also ?Erinnerungen an Atatürk?.?// Das ist ein Gedicht. Von einem türkischen Dichter?.Also erste Strophe einstimmig und dann dreistimmig gesetzt. Soll ich das ? (Autorin: Ja bitte!) ?Du bist es, der uns von den Händen der Feinde befreit hat, Du bist der Gründer unseres Vaterlandes, Wir gedenken Deines Namens jederzeit, Der große Atatürk, ein Volksheld.? Erzählerin Erdogan Okyay, in den fünfziger Jahren Schüler und Assistent bei Eduard Zuckmayer am Gazi-Egitim-Enstitüsü, dem Musiklehrerinstitut in Ankara. Damals lebte Zuckmayer noch zusammen mit seinen achtzig Schülern in einem Internatshaus aus den späten dreißiger Jahren. 1965 zog er in neues, größeres Gebäude auf dem Gelände der Gazi-Universität um. Atmo (Gang durchs Institut, Musik und Gesang aus allen Türen?, unterlegen.) Erzählerin Ein Funktionsbau mit einem repräsentativen Konzertsaal für 250 Studenten. Hier hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten kaum etwas verändert. In kahlen Gängen reiht sich Raum an Raum. Ali Ucan, auch ein einst Schüler und Mitarbeiter Eduard Zuckmayers, ist hier heute noch Professor. Musik (Atatürkhymne) Professor Ucan, türkisch, darauf: Erzählerin Er sei als Erstklässler dabei gewesen, als Eduard Zuckmayer das Lied 1961, am 23. Todestag Atatürks, mit dem Hochschulchor uraufführte, erzählt Professor Ucan. Und wenn dieses Lied erklinge, dann habe er immer noch die Stimme des Lehrers im Ohr, wie er es selber mitsang, so von innen heraus und so begeistert. Es werde noch heute in allen Schulen gesungen und sei das bedeutendste Werk Eduard Zuckmayers für die Türkei. O-Ton Gedikli Ein anderes, Tanzlied heißt das:?Im Dreischritt?. (Gedikli spielt... unter folgenden Text) Erzählerin Auch Necati Gedikli war in den fünfziger Jahre Student und später Mitarbeiter am Musiklehrerinstitut. Eduard Zuckmayer habe sich nicht nur als vorbildlicher ?Künstler-Lehrer? und Komponist von Schulmusiken bewährt, sagte er 2007 auf einer Gedenkfeier für den 1972 verstorbenen Institutsleiter. Als Pianist und Dirigent habe Zuckmayer auch das öffentliche Musikleben in Ankara über beinahe vier Jahrzehnte führend gestaltet. Atmo (Bazar, Straßenlärm, Muezzin) Erzählerin Ankara. Eine Hauptstadt aus der Retorte am Rande der baumlosen anatolischen Hochebene mit weit über vier Millionen Einwohnern; entstanden aus einem Provinznest auf kahlem Felskegel mit einer Zitadelle, verwinkelten Bazargässchen und mittelalterlichen Moscheen an allen Ecken und Enden. Hier schlug der Heerführer Mustafa Kemal, der spätere Atatürk, nach dem Sieg über die alliierten Besatzungstruppen und dem Untergang des Osmanischen Reiches 1923 seinen Regierungssitz auf. Hier rief er die türkische Republik und die laizistische ?Kulturrevolution? aus; hier dekretierte er die allgemeine Schulpflicht und legte den Grundstein für die Gazi-Universität, die erste säkulare Hochschule des Landes. Musik (Kinderchor, ?Anadolou?) Erzählerin Atatürk wollte ein Musikleben auf europäischem Niveau aufbauen. Es sollte an ?nationale, zarte Gefühle? der muslimischen Bauern Anatoliens appellieren und sie für den modernen laizistischen Einheitsstaat gewinnen. Die neue Musik müsse Volkslieder und Sagen aufgreifen und sie in zeitgemäße Kompositionen und Musizierweisen umsetzen, forderte Atatürk 1934 vor der Großen Nationalversammlung. Zitator (Paul Hindemith) Die Türken sind in hohem Maße mit musikalischem Talent begabt, ihre stete Bereitwilligkeit, wie ihre Fähigkeit, sich spielend alles Technische anzueignen, müsste sie in Verbindung mit ihrer zur Vertiefung neigenden Gemütsart rasch zu einem der maßgebenden Musikvölker machen, wenn ihnen im Verlauf der geplanten Reform Gelegenheit gegeben wird, ihre Naturgaben zu entwickeln. Bis auf wenige Ausnahmen sind die türkischen Lehrer dieser Aufgabe aus pädagogischer Unkenntnis nicht gewachsen. Erzählerin Paul Hindemith wurde 1934 mit der Reform des Musiklebens in der Türkei betraut. Er war einer von über tausend deutschsprachigen Exilanten, die Atatürk nach Hitlers Machtantritt in sein Land rief. Unter ihnen waren namhafte Wissenschaftler und Künstler, die maßgeblich zur Entwicklung eines westlich orientierten Bildungswesens beitrugen und das moderne Kulturleben prägten. Musik (?Anadolou?) Erzählerin Nach mehreren Studienreisen durch Anatolien verfasste Paul Hindemith 1935 seine Schrift ?Vorschläge für den Aufbau des türkischen Musikwesens? ? bis heute ein Standardwerk in der Türkei. Zitator (Paul Hindemith) Die allgemeine Hebung der künstlerischen Leistung und das Verständnis für Musik kann letzten Endes nur von einer Schule von Bedeutung ausgehen, aus der in Zukunft die gesamte Musikerschaft hervorgehen wird. Die künstlerische Leitung und die volle Verantwortung muss zunächst in die Hände eines Europäers gelegt werden. Zitator (Eduard Zuckmayer) Baden-Baden, den 4. April 1935 Lieber Herr Hindemith, Selbstverständlich bin ich zu allen Schandtaten bereit und muss es sein. Denn hier habe ich nichts mehr! Zitator (Paul Hindemith) Alle Handlungen des neuen Schulleiters dürfen nur das eine Ziel haben: die Schule zu einer Musterschule zu machen. Zitator (Eduard Zuckmayer) 4. September 1935 Lieber Herr Hindemith! Ich erhielt eine Zusage aus Ankara. Gleich nachdem ich einen Brief der Reichsmusikkammer vorfand, in dem zu lesen stand, dass meine Aufnahme rückgängig gemacht sei, weil ich als ?Halbjude? nicht ?die berufliche Eignung im Sinne der nationalsozialistischen Staatsführung? besitze. Durch diese Entscheidung verliere ich mit sofortiger Wirkung das Recht zur weiteren Berufsausübung. Im Februar hatte ich noch ?im Namen des Führers? das Frontkämpferkreuz erhalten. Und nun werde ich rausgeschmissen! Zitator (Paul Hindemith) Sie müssen zusehen, dass die Schule nach meinem Plan umgearbeitet wird. Zitator ( Eduard Zuckmayer) Welche Aufgaben in der Türkei zu lösen sind, sehe ich schon jetzt, wo ich die noch dauernd im Werden begriffene Sprache kennen lerne. Nicht einmal die Begriffe, die Wörter für eine Musiklehre sind vorhanden. Von der elementarsten Praxis bis zur Abfassung von Lehr- und Liederbüchern muss dort alles neu geleistet werden. Zitator (Paul Hindemith) Er leitet den Schulchor und das Schulorchester, studiert Instrumental- und Volkskammermusik ein, erteilt Dirigier- und Partiturspiel. Zitator (Eduard Zuckmayer) Als ich am frühen Sonntagvormittag eines schon recht warmen Apriltages im Jahre 1936 zum ersten Mal nach Ankara kam, stand auf dem Bahnsteig Willkommen winkend das Ehepaar Hindemith. Zitator (Paul Hindemith) Behalten Sie vor allem das Schulorchester und den Chor im Auge. Zitator (Eduard Zuckmayer) Am nächsten Vormittag schon stand ich, mich mühsam verständigend, vor dem Schülerorchester der Musiklehrerhochschule, in der Hindemith einen Wirbel von neuer Bewegung und Arbeitsenergie unter Lehrern und Schülern ausgelöst hatte. O-Ton Professor Suer (ein paar Worte auf Türkisch, stimmt dann Klavier an, unter Erzähltext legen.) Erzählerin Irfan Suer mit einem Volkstanz von Eduard Zuckmayer. Auch Suer ist heute Professor am Musiklehrerinstitut. Er war sechzehn, als er die Aufnahmeprüfung bestand. (Klaviermusik hoch ziehen.) Zitator (Paul Hindemith) Das Instrumentenspiel ist so alt wie die Menschheit, der Gesang ist den Menschen angeboren. Zurück zur aktiven Teilnahme! Das passive Hören ist so ungesund wie eine einseitige Ernährung. Musik (Choraufnahme) Zitator (Eduard Zuckmayer) Die Berührung mit der Jugendmusikbewegung hat mir die Musik noch einmal an der Quelle, vom Volk her erschlossen? Zitator (Eduard Zuckmayer) Ankara, 2. Mayis 1936 Yüksek dostlar, bay ve bayan Hindemith! Auf alle Fälle scheint es mir das Wichtigste für mich zu sein, bis zum Schuljahrsbeginn im Oktober die Sprache so gut wie nur irgend möglich zu beherrschen, um alles zu verstehen und vor allem auf die Schüler psychologisch einwirken zu können. Musik (Hochschulchor) Zitator (Eduard Zuckmayer) Ankara, 17. September 1937 Sehr verehrte Hindemiths! Am 6. September bin ich nach einer Sommerreise wieder in Ankara angekommen, es war eigentümlich, welches Wohlgefühl und fast so was wie ?Freude auf daheim? über mich kam, als ich - im Farbenmeer des Sonnenunterganges ? die weite Steppe und die vertrauten Höhenzüge sah, obwohl sie jetzt kahl und gelb verbrannt und bei Tag arg staubig sind. O-Ton türk. Ucan (Koloraturensängerin im Hintergrund, unter Erzählerin legen) Erzählerin Er selbst, erzählt Ali Ucan, sei ein Dorfjunge und nach der Grundschule in eines jener ?Dorfinstitute? aufgenommen worden, in denen seit Ende der vierziger Jahre begabte Kinder zu Lehrern für die Landbevölkerung ausgebildet wurden. Als er dann Anfang der Fünfziger an die Musiklehrerhochschule kam, habe er das Gefühl gehabt, dass Eduard Zuckmayer ihn schon sehr gut kenne. Der Institutleiter habe den Werdegang seiner künftigen Schüler genau verfolgt. So kam ein Kreislauf zustande: Die besten Absolventen des Gazi-Egitim-Enstitüsü wurden Musiklehrer an den Dorfinstituten. Und die haben dann wieder ihre besten Schüler zu Professor Zuckmayer geschickt. Zitator (Eduard Zuckmayer) Seit 1938 war ich Leiter der neu gegründeten Schule zur Ausbildung von Musiklehrern. Ich habe diese Anstalt von den ersten Anfängen an gestaltet. Daneben habe ich in den Symphoniekonzerten des Staatsorchesters sowie in zahlreichen Radiokonzerten als Solist und Kammermusiker eine umfangreiche pianostische (!) Tätigkeit entfaltet. Musik (Eduard Zuckmayer am Piano, Bach, ?Italienisches Konzert?.) Zitator (Eduard Zuckmayer) Ankara, 24. März 38 Lieber Mohr! Mir geht es übrigens gut, und ich danke Gott, bei den Türken zu sein! Erzählerin Mohr ? so nannte Eduard Zuckmayer seinen jüngeren Bruder Carl, den späteren Schriftsteller. Der hat in seiner Autobiographie ?Als wär?s ein Stück von mir? ihrer beider glückliche Kindheit in Mainz geschildert: Sie waren 1890 und 1896 als Söhne eines liberalen katholischen Fabrikbesitzers und einer protestantischen Mutter jüdischer Abstammung geboren. Zitator (Carl Zuckmayer) Ich bin überzeugt, dass die außergewöhnliche Liebefähigkeit unserer Eltern uns beide zu dem Versuch des Außergewöhnlichen aufgerufen hat. Zitator (Eduard Zuckmayer) Die Eltern haben in ihren Mußestunden viel miteinander musiziert, Schubertlieder oder Opernarien gesungen, vierhändig klassische Symphonien gespielt? Zitator (Carl Zuckmayer) Mein Bruder hatte das nicht unproblematische Schicksal, ein Musterschüler zu sein, allzeit der Beste seiner Klasse ? der Lernstoff flog ihm zu, und er war von Natur aus strebsam und fleißig. Was ihn für mich weit über die Gestalt des Musterknaben hinaushob, war sein ungewöhnliches Musiktalent. Zitator (Eduard Zuckmayer) Die Begabung brach schon vor der Schulzeit in einem Maße durch, das in weniger ?solid-bürgerlichen? Verhältnissen leicht zur Züchtung eines frühreifen ?Wunderkindes? hätte verführen mögen. Zitator (Carl Zuckmayer) Statt der Bravourstücke von Chopin oder Schuhmann, hatte er für sich das ?wohltemperierte Klavier? entdeckt und Bach als Leitgestirn. Zitator (Eduard Zuckmayer) Das absolute Hören war frühzeitig erkennbar. Zitator (Carl Zuckmayer) Er ?bachelt? sagten meine Eltern, wenn man stundenlang aus dem Musikzimmer nichts anderes hörte oder wenn er sich bereits mit der Komposition von eigenen Fugen und Kantaten beschäftigte. Zitator (Eduard Zuckmayer) Im Alter von 16, 17 geschriebene Lieder erweckten hoffnungsvolle Zustimmung bekannter Musiker. Zitator (Carl Zuckmayer) Ich habe meine ersten Schreibversuche unterm Klang dieses strengen und systematischen Klavierübens vollbracht (und mein Bruder war der erste Mensch, der sie ernst nahm). Kein anderes ?Nebengeräusch? hatte für mich je eine so anregende, ruhevolle und zugleich phantasiebelebende Wirkung. Zitator (Eduard Zuckmayer) Im Juli 1908 bestand ich das Abitur mit ?sehr gut? in allen Fächern. Auf Wunsch meiner Eltern studierte ich Jurisprudenz, war aber gleichzeitig Klavierschüler von Lazarro Uzielli. Und ich besuchte das unter Fritz Steinbachs Leitung als beste Dirigentenschule Deutschlands geltende Konservatorium zu Köln. Erzählerin Ein paar Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte Eduard Zuckmayer seine Prüfung als Konzertdirigent und Solopianist mit der Note Einskommanull absolviert und erhielt den renommierten Kölner Franz-Wüllner-Preis. Auf Anhieb wurde er Kapellmeister und Solorepetitor an der Mainzer Oper. Als gefeierter Solopianist und Dirigent war er ständig auf Tour. Die ?Frankfurter Zeitung? und andere große Blätter rühmten ihn als charismatischen Dirigenten mit großer pädagogischer Intuition, als aufkommenden Star am deutschen Musikhimmel. Doch dann kam Krieg. Zitator (Carl Zuckmayer) Ich erinnere mich voller Deutlichkeit an einen Abendspaziergang mit meinem Bruder. Wir fassten uns an den Händen und fanden im Bewusstsein der Unentrinnbarkeit die Sprache nicht, jeder wohl in der aufsteigenden Furcht um das Leben des andern. Zitator (Eduard Zuckmayer) Gelegenheiten, als ?Künstler? in der Etappe verwandt zu werden, habe ich abgelehnt, vielmehr mich nach ganz kurzer Tätigkeit als ?Militärmusiker? freiwillig an die Front gemeldet. 1918 auf dem Rückzug aus Frankreich wurde ich schwer verwundet. Zitator (Carl Zuckmayer) Er konnte sich nicht mehr bewegen und fast nicht mehr sprechen. Kurz vor dem Kriegsende hatte er einen Schuss bekommen, der ihm den untersten Rückenwirbel und die Sitzknochen zerschmetterte, so dass die Splitter in den Darm eindrangen. Zitator (Eduard Zuckmayer) Erst im Laufe des Jahres 1919 konnte ich wieder meinen Beruf aufnehmen. (Musik Violinsonate Hindemith ) darauf Erzählerin: 1922 betraute Paul Hindemith Eduard Zuckmayer und den Violisten Max Struck mit der Uraufführung seiner Violinsonate op.11, nr. 2. O-Ton Professor Okyay Er war ja auch in Deutschland anerkannt als Pianist, man hat ihm eine große Zukunft vorausgesagt. Aber als diese ?Schule am Meer?, als dieses Experiment kam, hat er sich aus dem Konzertleben zurückgezogen. Das kam von der deutschen Jugendbewegung her: Sich dem täglichen Tumult versagen, sich zurückziehen, zur Natur, vielleicht zur inneren Ruhe. Das hat er in Deutschland gemacht, und dasselbe hat er in der Türkei wiederholt. Zitator (Eduard Zuckmayer) Im Sommer 1925 lernte ich den Pädagogenkreis um Martin Luserke kennen. Seine Bildungsidee: Voranstellung des Chorischen über das Privatpersönliche, Bildung der individuellen Persönlichkeit durch die Dreiheit deutscher Sprachbildung, musischer und gymnastischer Bildung? Erzählerin ?Schön Wetter. Mit dem Schiff kamen Herr Zuckmayer und sein Hund Waldi", notierte Martin Luserke am letzten Oktobertag des Jahres 1925 im Logbuch seiner reformpädagopgischen ?Schule am Meer? auf der Nordseeinsel Juist. ?Nachmittags Besprechung über das Musikprogramm, das gleich von morgen an beginnen soll.? Musik (Kinderchor, Tobsuchtskanon.) Erzählerin ?Um 9 Uhr das erste Vorspiel von Zuckmayer aus dem ?Wohltemperierten Klavier?, schrieb Luserke am 1. November, ?dazu einführende Ansprache über seine gesamte Musikauffassung im Unterricht und allgemein.? Musik (Tobsuchtskanon hoch ziehen.) Erzählerin Der ?Tobsuchtskanon? von Eduard Zuckmayer. Die Kinder der ?Schule am Meer? sangen ihn beim allmorgendlichen Austoben. Musik (Herbstkantate) Erzählerin Mit der Herbstkantate ? der Text stammt von Luserke - und anderen Zuckmayer-Kompositionen ging der Schulchor bald auf Tournee durch ganz Deutschland. Musik: Hochschulchor mit Herbstkantate unterlegen. Zitator (Eduard Zuckmayer, über Musik legen) Wehe, gefangen ist die Menschenwelt! Ferne Mächte lenken Nacht und Tag, Träume narren uns, Hoffen gaukelt Glück und stille Dauer. Ewig trügt sich selbst das Herz. Wehe, gefangen, gefangen! Schweige doch der Mensch! Kommt doch alles so wie es muß! Sommer musste dahin ? nun ist es Herbst. Musik (Aufnahme vom türkischen Hochschulchor.) Erzählerin 1934 musste Martin Luserke unter dem Druck lokaler Nazigrößen die Schule am Meer schließen; Eduard Zuckmayer fand Zuflucht in der Odenwaldschule, bis er 1936 ins türkische Exil ging. Dort in Ankara, in seinem Institut ,baute er in kurzer Zeit einen Hochschulchor von internationalem Rang auf. Zuerst musste er seinen Schülern seine Art von Disziplin beibringen. Musik (Aufnahme vom türkischen Hochschulchor.) O-Ton Ucan (auf Deutsch) Nicht streng, aber disziplinie?(spricht weiter türkisch, darauf Erzählerin) Erzählerin Aber diese Disziplin sei eine weiche Disziplin gewesen, sagt Professor Ucan. Eduard Zuckmayer sei anders an seine Schüler herangegangen als die strengen und harten türkischen Lehrer. Er meint, dass Eduard Zuckmayer diese pädagogische Fähigkeit in der Schule am Meer erworben und dann auch als Lehrer in Ankara angewandt habe. O-Ton Professor Gedikli Wir haben ganze Menge von ihm gelernt, nicht nur Musikstudium. Und viele haben danach dann natürlich auch studiert in Deutschland und sind Orchestermusiker geworden. Musik (Hochschulchor) Zitator (Eduard Zuckmayer) 18. November 1938 Mein lieber Mohr! Das Schönste an Ankara ist jetzt das Wetter, besser die Luft. Die Türken nennen ihren Herbst mit einem Wort, das übersetzt etwa ?letzter Frühling? oder ?letzte Würze? heißt. Musik (Hochschulchor) Zitator (Eduard Zuckmayer) Ankara, 2.Februar.1939 Mein lieber Mohr! Bin jetzt Ton-Leiter in Ankara. Die türkische Regierung hat mir einen dreijährigen Kontrakt angeboten. Ich bin sehr glücklich darüber, wenn es auch eine Pionierarbeit ist, die ich tue, und wenn ich auch künstlerisch wenig geben kann und wenig Verständnis finde. Im Übrigen habe ich mich hier einigermaßen eingelebt, Sprache und Art der Türken kennen gelernt. Ich finde nicht, dass die Menschen auf der Welt so entsetzlich unterschiedlich sind. Dass die Türken viele Fehler haben, zum Teil infolge jahrhundertelanger Unterdrückung durch Islam und Sultane, dass sie meist nach Knoblauch riechen, dass das Leben noch sehr primitiv und undifferenziert ist, weiß ich wohl. Aber ich sehe auch die guten Seiten. Kuss! Dein Ded Zitator (Carl Zuckmayer) Barnard, Vermont 19.11.1941 Mein lieber Ded, es ist nun wirklich fast oder über ein Jahr her, dass ich Dir nicht mehr geschrieben habe. Das hat mit der ?brüderlichen Lieb? nichts zu tun. Es ist viel mehr zu erklären durch eine tiefgehende Mitteilungsunlust in einer Lebensspanne, in der man besser schweigt. Zitator (Eduard Zuckmayer) Dies Land ist erst seit 17 Jahren dabei, sich aus der Verkommenheit durch Sultansherrschaft und Kriege zu erheben. Der Europa-Firnis ist oft nur sehr dünn, Verständnislosigkeit, starre falsche Bürokratie, Personalwirtschaft und ein überkompensierender Nationalismus erschweren die Arbeit. Zitator (Carl Zuckmayer) Viele Anfragen Deinetwegen hier in den USA wegen Musikprofessuren waren ergebnislos. (Hindemith sagte: Ei, der soll doch froh sein, wenn er bleiwe kann wo er is!) Immer Dein Mohr Zitator (Eduard Zuckmayer) Mein lieber Mohr! Meine Arbeit liebe ich, das Institut ist mein Werk, von mir aufgebaut, und im Rahmen der hiesigen Möglichkeiten habe ich es glänzend in Schuss gebracht. Ich bin mit Art und Sprache des Landes jetzt ganz vertraut, gebe den musiktheoretischen Unterricht ohne Mühe auf Türkisch. Erzählerin Im September 1944, die Türkei hatte die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland abgebrochen und sich auf die Seite der Alliierten geschlagen, wurde Eduard Zuckmayer mit anderen Exilanten für über drei Monate in der anatolischen Provinz interniert und baute auch dort einen Chor auf. (Chor, sehr alte Aufnahme) Zitator (Eduard Zuckmayer) 28.Dezember 1945 Mein lieber Mohr, Dein gestriger Geburtstag war mein erster freier Tag in Ankara. Nach dem Verkauf von Kohle, Holzofen usw. hatte ich nicht viel mehr als das Fahrgeld, kam mit ungefähr 10 türkischen. Pfund hier an. Das erste Bad war ein Fest! Vielleicht aber werde ich in meinem Institut wohnen können. Das wird zwar wieder primitiv sein, aber sparsam. Musik (Herbstsonate hoch ziehen.) Zitator (Eduard Zuckmayer) 31.Dezember 1945 Mein lieber Mohr! Manchen nicht interniert gewesenen Deutschen ist es sichtlich peinlich, uns wieder zu begegnen, weil es ihnen inzwischen gut gegangen ist, was ihnen doch keiner verübelt, wir gewiss nicht. Die türkischen Bekannten und Kollegen zeigen durchweg eine aufrichtige, herzliche Freude (man ist sowieso traditionell deutsch-freundlich). Der Empfang durch meine ehemaligen Schüler war geradezu rührend. Heute empfing mich der Kultusminister. Er will für meine sofortige Wiedereinstellung und eine Wohnung im Institut sorgen. Einige hiesige und Istanbuler Emigranten haben nun Berufungen nach Deutschland erhalten, Universitätsprofessoren, Ärzte, auch der ehemalige Magdeburger Oberbürgermeister Ernst Reuter. Wenn ich mich so richtig prüfe, zieht es mich nicht unbedingt zurück. Im Grunde ist Westdeutschland gar nicht aufnahmefähig für Zuzügler, und gewiss sieht man Emigranten lieber als gelegentliche Besucher, denn als Bewerber um Stellen. Dass Musiker von meiner Erfahrung und Bildung in Wirklichkeit rar sind, steht auf einem andern Blatt. Im Grunde hätte man Leute wie mich recht nötig, und es ist sicher vielerorts nicht gut bestellt um Musikpädagogik und Schulmusik. Erzählerin Eduard Zuckmayer bewarb sich viele Male vergeblich um Hochschullehrerstellen in Deutschland. So blieb er in Ankara und konzentrierte er sich auf die Ausbildung von etwa achtzig Studenten, die sich mittlerweile in seinem Internatsinstitut versammelt hatten. Zitator (Eduard Zuckmayer) Weiß Gott, wir Emigrierten waren es, die in Nazi-Zeiten hier das Ansehen deutscher Kultur, Kunst und Wissenschaft hochgehalten haben. Und wir tun es noch heute. Aber Bundespräsident Heuss verteilt Orden und Ehren an Leute, die unter Hitler Staatsräte waren. Und wenn nun der erste Botschafter Westdeutschlands nach dem Krieg hierher kommt, wird er uns keinen Gruß mitbringen. Denn man ist zuhaus vergessen, während höchst mittelmäßige Leute alle fünf Jahre ein ?Jubiläum? in Deutschland feiern und von sich reden machen. Atmo (Schritte, Musikgeräusche aus allen Zimmern usw. unter folgenden Erzähltext legen.) Erzählerin Das heutige Musiklehrerinstitut der Gazi-Universität in Ankara. Eduard Zuckmayer hatte dort ein Lehrerzimmer als Privatwohnung bezogen und sich für den Rest seines Lebens darin eingerichtet. Atmo hoch ziehen. O-Ton Professor Gedikli ?Er hat immer im Institut gelebt, von 54 bis zu seinem Tod. Als ich ihn kennen lernte, lebte er schon im Institut, das war ein bisschen überraschend. Ja!? ?(Lacht.) Und deshalb haben wir immer viel gearbeitet, bis spät in die Nacht. Atmo (Innenaufnahmen vom Institut) Erzählerin Im Erdgeschoß des Musiklehrerinstituts der Gazi-Universität gibt einen kleinen Gedächtnisraum mit Eduard Zuckmayers Büchern, Papieren, Photos und Andenken; das Bundesverdienstkreuz liegt dort, ein folkloristisch bemalter Teller mit seinem Konterfei hängt an der Wand. Ein paar persönliche Habseligkeiten auf einem schlichten Holztisch. Teller und Gläser, Überreste eines Hornbestecks, ein irdenes Mokkageschirr, eine alte Zahnbürste, die ?letzte Zigarre?? O-Ton Autorin /Okyay ...die ganzen Brillen, ?n? Kochpott und und die Seife und?n mindestens dreißig Jahre alter Kamm undsoweiter - // also wie hat dieser Mensch gelebt? Professor Okyay :Er hat wie ein Mönch gelebt, gelt. Ja, das trifft?s sehr gut. Wie ein Mönch. Ein Zimmer ? ein Viertel von diesem Zimmer, ein Viertel! //Zwei zu drei vielleicht Meter. Ein Bett stand da und ein Schrank und Nichts. Ein Diener?//Ja, nichts. (eingespielten O-Ton kürzen) O-Ton Professor Suer ( türkisch, darauf) Erzählerin Dass die Schüler den Tagesablauf ihres Lehrers genau verfolgen konnten, erinnert sich Professor Suer. Sie hätten gewusst wann er frühmorgens duschte und wann aß. Immer zur gleichen Zeit, Manchmal sei Fleischgeruch aus seinem Zimmer gekommen: Aha, jetzt brät er seine Frikadellen. Eduard Zuckmayer habe auch das türkische Essen geliebt, und er habe gern gemütlich sein Glas Wein getrunken. Musik (Historische Radioaufnahme von Zuckmayers Chor von 1952) Zitator (Eduard Zuckmayer) Kürzlich habe ich ein Konzert mit einem Chor gegeben. Werke vom 16. Jahrhundert bis zu Hindemith. Der Chor und ich hatten einen besonders guten Tag, und die Chöre klangen glockenrein, ohne Intonationsschwankungen. Dabei sind diese Chorsänger, meine Schüler, vor einem oder zwei Jahren so gut wie ohne Vorbildung aus der finstersten Provinz, wo man nur in altorientalischer Weise singt, zu mir gekommen, manche aus bäuerlichen Verhältnissen. Musik (Histor. Radioaufnahme von Zuckmayers Chor von 1952) Zitator (Eduard Zuckmayer) Ankara, 24.Juni 56 Lieber Mohr, Meine letzten Chorkonzerte finden hier in Ankaraer Zeitungen begeisterte Besprechungen, und ich gehöre nun, teilweise auf Veranlassung unserer Botschaft, zur hiesigen ?Prominenz?. Musik (Histor. Radioaufnahme von Zuckmayer am Klavier) Zitator (Eduard Zuckmayer) Ankara, den 12. Dezember 1957 Lieber Mohr, Ende November war ich zu einem Konzert eingeladen. Ich habe ? so glaube ich ? noch einmal so gespielt wie in meiner besten Zeit vor dreißig Jahren. Als Soli vor allem Bach und Schubert. Privatim aber spiele ich aus dem ?ludus tonli? von Hindemith, dessen große und reife kompositorische Weisheit mir immer wieder Genuss bereitet. 1934 habe ich selbst ähnliche Versuche gemacht. Freilich nur drei, nicht ein ganzes reifes Werk. Musik (Zuckmayer am Klavier) O- Ton Okyay Er spielte uns jeden Morgen eine Bach-Prelude // vom wohltemperierten Klavier, jeden Morgen! Musik (Klavier übergehend in Kinderchor, Anadolu) Zitator (Eduard Zuckmayer) Ankara, 15. August 1960 Lieber Mohr, Eben habe ich im Sender Ankara türkische Lieder von mir gehört, die ich vor zwanzig Jahren geschrieben habe. Es war eine richtige Überraschung für mich, ich war ganz gerührt im Gedenken an diese Zeiten, in denen ich hier auf einer kriegsumbrandeten Insel lebte. O-Ton Professor Gedikli Er machte am gernsten natürlich, am liebsten Chor. Deshalb hat er auch viel für Chor geschrieben. Vierstimmig, zweistimmige Sachen, oder etwa wie hier auch Originalkomposition über türkische Sprichwörter. Musik (Kinderchor singt Kanons.) O-Ton Professor Okyay/Autorin Es war bei uns Sitte, nicht nur in Ankara, sondern im ganzen Land herumzufahren und Konzerte zu machen. Jährlich, sagen wir, eine Region der Türkei. Autorin: Auch Kurdistan?? Professor Okyay: Bitte? Autorin: Auch Kurdistan? Professor Okyay: Was heißt Kurdistan? Also Südosten. Ja natürlich, Diabakir? Wir nennen dieses Gebiet nicht Kurdistan, sondern Südosten der Türkei.// Vor 20 Jahren gab es in der Türkei überhaupt kein Kurdistan, keine Kurdenfrage. Zitator (Eduard Zuckmayer) Ankara, 19. November 1965 Lieber Mohr, die Wochen und Monate rasen dahin. Ich bin mitsamt meinem Institut Anfang Oktober in einen Neubau umgezogen, der allmählich dreimal so viel Studenten fassen soll als unser lieber alter Bau, in dem ich fast zwanzig Jahre gewohnt habe. Zitator (Carl Zuckmayer) 31. Mai 1966 Lieber Ded, Dass Du mit Deinen bald 76 so wunderbar rüstig bist, ist ein Himmelsgeschenk. Ich glaube, eine Gemeinschaftsarbeit und solche Reisen mit der jungen Mannschaft wie Du das noch so wunderbar bewältigen kannst, wäre mir heut schon zu viel. Insch?Allah! Dein Mohr Zitator (Eduard Zuckmayer.) Ankara, 17.12.66 Mein lieber Mohrebuder, Dein Buch, in ?brüderlicher Liebe? signiert, erhielt ich im November. Ich habe es gelesen, als wär?s in Stück von mir. Zitator (Carl Zuckmayer) Stark, sanft und heftig wie der Rhein zwischen bewohnten Ufern floss durch meine Jugend der Strom der Musik. Sie war als vorbereitendes und formendes Element von größerer Wirkung auf meine Lebensarbeit als alle poetischen oder literarischen Eindrücke ? und das hat in höchstem Maß mit meinem Bruder zu tun. Das erste menschliche Gesicht, an das ich mich erinnere, ist sein lockenköpfiges rundes Bubengesicht, wenn es sich ? in meinen Augen groß wie der volle Mond ? mit dem Ausdruck einer unendlichen Zärtlichkeit und Bewunderung über meinen Kinderwagen beugte. Zitator (Eduard Zuckmayer) Ankara, 20.12.1968 Ich bin im Großen und Ganzen gesund, stehe jeden Morgen um 6.45 auf und arbeite bis nachts um zehn, manchmal auch länger oder lese noch im Bett. Schwer macht es mir Opposition und Reaktion innerhalb des Mitarbeiterkreises. Es sind - ich nenne sie so ? Sozialnationalisten, wenn man will ?Neofaschisten?, aber das unklar sozialistische ist bei ihnen doch stärker: völkisch sozialistisch. Wir kennen das ja. O-Ton Professor Beide Seiten haben ihn gehasst. Auch die Linke, also radikale Linke. Zitator (Zuckmayer) Hier hat es eine spezifisch türkische Tönung. ? Kaum hatten wir mit dem Semester begonnen, da begann ein ?Boykott? der Studenten, der durch manche ?Lehrkörper? gestützt wurde. Sie hatten manche berechtigte Forderungen, diese Jünglinge mit langem Haarschopf im Nacken und übermäßig langen Favorits, manche rasieren sich auch nicht mehr. Dazu kommt, daß ich von den Mitarbeitern mit Absicht ohne Hilfe gelassen wurde, z.B. bei der Riesenarbeit, für 150 Studenten und Studentinnen (Vor 30 Jahren begann ich mit 6 ? ein Programm zu machen, das für jeden Einzelnen an jedem Tag der Woche von morgens bis abends bestimmte, was und wo er arbeiten musste. Denn wir sind hier kein Staatsinternat. Genug von mir. Nur dies noch, dass ich mich unter Umständen im nächsten Sommer, spätestens aber im Sommer 70 mich von meiner Arbeit, zumindest von der Leitung zurückziehen will. O-Ton Professor Okyay Er wurde ja auch älter. Der Unterschied zur jüngeren Generation, also die Lücke, die Hürde wurde immer größer?Und es wurde // Und diese antiautoritäre Erziehung und die Haltung, ja das Verhalten hat ihn natürlich sehr gestört?// Auch wir haben ihn wegen der Methode, nicht wahr, nicht ihn kritisiert, aber wir haben gesagt: Wir gehen jetzt unsere eigenen Wege. Ich persönlich auch. Zitator (Eduard Zuckmayer) Dazwischen habe ich mit meinem Streichorchester und unserem Chor ein kleines Werk über einen türkischen Volkstanz aufgeführt, das ich 1936 geschrieben und seitdem nicht wieder aus der Schublade geholt hatte. Ich werde in wenigen Tagen von der Leitung meiner Schule zurücktreten, also nicht mehr ?Ton-Leiter?, sondern für ein Jahr nur noch Lehrkörper sein. Meine finanzielle Lage ändert sich nicht, und ich wohne weiterhin in meinem Institut. Aber die Jugend ist fanatisiert und nicht mehr so nett wie früher. O-Ton Professor Okyay Er war unser Lehrer, er hat uns sehr viel beigebracht. Er hat uns wirklich die Musikliebe // durch und durch gegeben. Was er konnte hat er alles uns gegeben. Aber das war ganz natürlich, dass wir nach etwas Neuem suchten. Zitator (Carl Zuckmayer) Allerheiligen 1970 Lieber Ded, Wir machen uns einige Soje um Dich. // hoffentlich überanstrengst Du Dich nicht zu sehr in Deinem Berufsleben. Zwar waren wir im August höchst erfreut über Deine körperliche Rüstigkeit und Frische (von der geistigen ganz zu schweigen), aber ein Achtziger ist doch immerhin kein Jüngling mehr. Größere Konzertreisen im Land herum kommen ja wohl um diese Jahreszeit kaum in Frage. Zitator (Eduard Zuckmayer) Ankara 1.3.1971 Lieber Mohr, ich lege Dir das Programm eines Konzerts bei, das ich am letzten Februartag mit einem sehr musikalischen Violinlehrer unserer Schule gab, einst Schüler von mir, ganze fünfzig Jahre jünger als ich. Es war ein großer Erfolg. Ende März werde ich ein Konzert mit drei Trios geben: Haydn Mozart, Brahms. Ich möchte gern auch mehr Zeitgenössisches spielen, aber so ein Mozart-Werk bleibt doch stets ein Wunder. Zitator (Eduard Zuckmayer) Ankara, 23. März 1972 Geliebter Mohre-Bruder, heute vor acht Tagen habe ich ein Konzert gespielt (gemeinsam mit einem Geigerkollegen, einem noch jungen) und persönlich einen Riesenerfolg gehabt. Hier hat nach langem und strengen Winter das Frühlingswetter mit Kalendertermin eingesetzt, Ich freue mich darüber, besonders über den wolkenlos blauen anatolschen Himmel. Musik (Ausschnitte aus einem Radiokonzert von 1972 mit Originalansage.) Zitator (Carl Zuckmayer) 12.6.1972 Lieber Ded, ich hatte große Angst um Dich, aber ich glaube, dass Deine kräftige Natur den Anfall überwinden kann. Von Herzen alles Liebste und Beste Dein Mohr. Zitator (Eduard Zuckmayer) Noch im Krankenhaus Mein lieber Mohr, als ich Deinen Brief vom 12. Juni noch halb im Morgenlicht überreicht bekam, war ich noch nicht imstande, ihn zu lesen. Denn ich hatte niemand, der mir morgens die ?Linsen? anzog und auch niemand, der sie mir abends herausgezogen hätte. So war es nicht viel mit meinem Sehen. Lieber Mohr, in keinem der gemeinsam verlebten Jahre haben wir uns so häufig und gern geschrieben, und dass Du das fast stets handschriftlich getan hast, hat mich immer besonders berührt. Viel arbeiten werde ich nicht mehr können. Vielen, vielen Dank für Deine Hilfe. O-Ton Professor Okyay Ich habe die letzte Nacht bei ihm verbracht, auch meine Frau. Meine Frau war im Krankenhaus.// Und die letzte Nacht war schwierig für ihn. Er konnte auch nicht mehr sich kontrollieren usw?.Er hat immer wieder Deutsch gesprochen, also zusammenhanglose Sätze.// Und dann am Morgen sind wir nach Haus, meine Frau und ich. Und zwei Stunden später ist er gestorben Musik (Herbstkantate, unter folgendes Zitat legen.) Zitator (Eduard Zuckmayer) Ewig strömen Jahr um Jahre Ohne Halten, ewig strömend Als ein Scheinbild nur in Fluten Prangt des Menschen lichtes Meinen. Dunkel fluten Jahr? um Jahre? Absage ?Bin jetzt Ton-Leiter in Ankara? - Der Komponist Eduard Zuckmayer in der Türkei. Sie hörten ein Feature von Elke Suhr Zitator (Eduard Zuckmayer) Ankara, 11.Janaur 1955 Mein lieber Mohr, In jüngeren Jahren hatte ich einmal den Wunsch, im Familiengrab oben auf dem kleinen Kirchhof in Nackenheim begraben zu sein, von dem man über unsere engste Heimat hinaus blickt bis zu den Taunushöhen hin.//Später aber hab? ich es mit der heiligen Monica gehalten, die gesagt hat: ?Nichts ist fern von Gott, und man braucht nicht zu befürchten, dass er am Ende der Zeiten nicht wüsste, wo er mich auferwecken soll.? Will sagen, ich könnte mir sehr wohl vorstellen, einmal auf dem Friedhof von Ankara begraben zu werden, wo ein besonderer Teil uns Ungläubigen reserviert ist, auf dem schon eine ganze Anzahl von Schicksalsgenossen ruhen. Absage Es sprachen: An Kuohn, Michael Wittenborn, Bruno Winzen und Axel Gottschick. Ton und Technik: Karl-Heinz Stevens und Beate Braun Regie Thomas Wolfertz Redaktion: Ulrike Bajohr O-Ton Professor Okyay Wir haben nicht nur die Person Zuckmayer integriert, sondern auch sein //Können, sein Wissen, seine Pädagogik und so weiter, nicht ? alles! Das ist eine gelungene Integration. In Deutschland ist es anders verlaufen, aber da ist das Schicksal der Emigration, glaub ich. Überall. Absage Eine Produktion des Deutschlandfunks 2009 26 26