COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Umstrittener Strittmatter Spremberg und der Umgang mit dem Erbe des Ehrenbürgers Autor Frantzen, Michael Redaktion Stucke, Julius Länge 19'49'' Sendung 10.08.2012 - 13 Uhr 07 Am 14. August wäre der Schriftsteller Erwin Strittmatter 100 Jahre alt geworden. Ehrenbürger und berühmter Sohn der südbrandenburgischen Stadt Spremberg. Den Tag wollte der örtliche Strittmatter-Verein ursprünglich groß feiern, gemeinsam mit der Stadt. Doch die entschied sich - mit Stimmen von SPD, CDU und FDP - dagegen. Die Begründung: der Schriftsteller habe sich freiwillig den beiden deutschen Diktaturen angedient. Nun muss der Verein wohl allein den Umstrittenen ehren - unterstützt nur durch die LINKE, die meint, man feiere ja schließlich auch den Geburtstag des umstrittenen Preußenkönigs Friedrich II. M A N U S K R I P T B E I T R A G (Lemke) "Ich persönlich bin eindeutig und ohne Zweifel gegen eine Ehrung von Erwin Strittmatter." (Brucke) "Das ist gebetsmühlenartig dasselbe. Das wollen wir gar nicht mehr hören." (Schönherr) "Von glühenden Verehrern bis zu totalen Ablehnern alles dabei." In Spremberg, der "Perle der Lausitz". Als solche wirbt die 26.000 Einwohner-Stadt in Südbrandenburg für sich. Ist ja auch ganz idyllisch hier: Die frisch renovierte Altstadt liegt auf einer Insel, die von zwei Spreearmen umspült wird. Dazu viel Wald und Parks. Damit lässt sich mit werben - genau wie mit dem berühmtesten Sohn der Stadt: Erwin Strittmatter. Theoretisch. Vor hundert Jahren erblickte der 1994 verstorbene Schriftsteller in Spremberg das Licht der Welt. Das sollte gefeiert werden. Nicht nur theoretisch, sondern praktisch. Findet zum Beispiel Birgit Wöllert: (Wöllert) "Sehr geehrte Damen und Herren! Ich begrüße sie recht herzlich zu unserer heutigen Podiums-Diskussion, hier im schönen Saal des Spremberger Schlosses. Mein Name ist Birgit Wöllert. Ich bin Mitglied der Fraktion Die Linke in der Stadtverordnetenversammlung hier in Spremberg..." "Zeitumstände" - so hat Gastgeberin Wöllert die Diskussion anlässlich des 100. Geburtstags von Erwin Strittmatter überschrieben. Die "Umstände" sind drückend. Im wahrsten Sinne des Wortes: Schwül ist es heute Abend- im Spremberger Schloss, einem rosafarbenen Gemäuer mit tiefen Gewölben und steilen Treppen, auf denen sich die gut sechzig Besucher, die meisten jenseits der 60, ihren Weg zum Festsaal bahnen. Die Damen tragen Bluse und viel Farbe im Haar, die Herren kurze Hose. Man kennt sich. Hier ein Küsschen zur Begrüßung, dort eine Umarmung. Für Birgit Wöllert ein Heimspiel. Mag links von ihr am Rande der Bühne auch ein dunkles Ölgemälde das "Jüngste Gericht" in Szene setzen: In den nächsten zwei Stunden wird hier niemand ins Gericht gehen - mit "Erwin", wie Wöllert und Co. Strittmatter schon mal gerne nennen. (Wöllert) "Strittmatter ist für mich bekannt geworden, nicht weil er der Mensch Strittmatter war, sondern weil er was geschrieben hat. Was über ihn hinaus Bestand hat. Und damit verbindet sich für mich jetzt auch die Ehrung. Und ne Ehrung kann ich auf ne verschiedene Art und Weise machen: Ne Ehrung kann ne Anbetung sein. Aber ne Ehrung kann auch immer ne aktive Auseinandersetzung sein. Ich muss nicht alles toll finden, was in Strittmatters Leben vorgekommen is und gewesen is." Meint die Frau, die in Personalunion im Stadt-, Kreis- und Landtag sitzt und seit über drei Jahrzehnten Politik macht. (Wöllert) "Deshalb denke ich, dass wir Strittmatter, diesen hundertsten Geburtstag, dazu nutzen sollten, uns auseinanderzusetzen: Warum hat sich jemand so verhalten? Was könnten Gründe dafür sein? Kann ich's erklären? Ich muss es nicht mal verstehen, aber versuchen zu erklären, aus der Zeit raus." Nicht jeder bringt so viel Verständnis auf in Spremberg - für Strittmatters Handeln. Erst recht nicht Andreas Lemke, der SPD-Fraktionsvorsitzende. Direkt in der Art, hart in der Sache: So lautet das Motto des hemdsärmeligen Elektro-Ingenieurs. Entweder oder. Schwarz oder weiß. Dazwischen gibt es nichts für ihn. Schon gar nicht bei Strittmatter. (Lemke) "Der hat gewisse Sachen mitgemacht, die wir heutzutage nicht akzeptieren können. Sprich: Sein Andienen bei der Ordnungspolizei, wo er sich dem faschistischen Regime angedient hat. Er war ja Mitglied einer Einheit, die dort an Kriegsverbrechen beteiligt war. Und vor allem auch seine Spitzeldienste für die Stasi. Dass er da andere Schriftsteller-Kollegen verraten hat. Und demzufolge haben wir schon als Mehrheit in Spremberg ne klare Meinung zu Strittmatter. Insbesondere verurteilt die Mehrheit der Stadtverordneten, dass, ohne genau nachzufragen, von einem großen Teil der Verehrer von Strittmatter einfach so weiter gemacht wird. Trotz der Forschungsergebnisse, die vorliegen." Lemke hat dafür gesorgt, dass die Stadt einen Rückzieher gemacht hat. Bis Anfang des Jahres hatte sich das Rathaus noch vorgenommen, den 100. Geburtstag von Sprembergs bekanntestem Sohn groß zu feiern. Doch da hatten sie die Rechnung ohne den starken Mann der lokalen SPD gemacht. Erst bearbeitete Lemke seine eigene Fraktion solange, bis sie einlenkte, dann die CDU samt ihrem Bürgermeister. Damit hatte er seine Mehrheit zusammen. Seine Anti-Strittmatter-Mehrheit. Im Rathaus am Markplatz mussten sie erst einmal umschalten. Von Strittmatter-Fans zu Strittmatter-Kritikern: Nicht jeder kommt da so schnell mit. Christina Schönherr jedenfalls, die stellvertretende parteilose Bürgermeisterin, stimmt nur verhalten ein in den Chor der Kritiker. (Schönherr) "Was er nicht gemacht hat: Dass er deutlicher über diese Zeit geschrieben hat. Aber da kenne ich viele Menschen, die darüber geschwiegen haben. Nachfolgende Generationen können immer sehr schnell urteilen. Und das ist ja auch, was viele ältere Spremberger anmahnen: Dass man nicht urteilen sollte, wenn man nicht dabei war." Schönherr zupft an ihrer weißen Bluse mit den quietsch-gelben und orangen stilisierten Schmetterlingen. Unangenehmes Thema. Eigentlich wäre der Bürgermeister der bessere Ansprechpartner, aber der ist im Urlaub. Ergo muss sie da jetzt ran. (Schönherr) "Ich achte Strittmatter als Literaten, der der Region zum Leben verholfen hat. Und solche Werke wie "Der Laden" habe ich persönlich als sehr reizvoll empfunden." (Auszug aus "Der Laden") "Unsere Küche war eine kleine Bühne, auf der das Leben seine Spiele trieb. Ich denke an die Szene, in der mein Vater voll Wut über missratene Brötchen...in den Keller wollte und seine Wut dort mit einer Flasche Bier kühlen. Jemand, der in der Küche hantierte, schloss ihm die Tür vor dem Angesichte. Der Hausherr trat...gegen die Tür und deren Füllung zerbrach. Und das rechte Bein des Zornigen erschien in der Küche." (Panusch) "Hallo! Herzlich Willkommen in unserem kleinen Strittmatter-Laden, hier in Bohsdorf. Hier hat Strittmatter seine Jugend verbracht und seine Kindheit. Gucken mal erst Mal hier in den Laden rein. Hier stehen noch die alten Gurkenfässer; Heringsfässer." Wer etwas über Erwin Strittmatter erfahren will, ist bei Ruth Panusch, einer quirligen Frau mit mädchenhaften Zügen, gut aufgehoben. Das kommt nicht von ungefähr. (Panusch) "Ich bin die Nichte von Erwin. Aber das sage ich immer so hinterher, wenn die Besucher raus sind. Die sprechen offener, freier, wenn se das nicht wissen." Geboren wird der Mann, um den sich in Panuschs Leben heute so vieles dreht, am 14. August 1912. Strittmatter wächst in Bohsdorf unweit von Spremberg auf - im elterlichen Krämer- und Bäckerladen. Bildung ist den Eltern wichtig: Deshalb schicken sie ihren Sohn von 1924 bis 1930 aufs Gymnasium. Nach dem Abitur versucht sich Strittmatter in diversen Jobs: Als Kellner, Bäckergeselle und Tierpfleger. Alles nicht das richtige. Denn schon damals träumt er davon, Schriftsteller zu sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfüllt sich sein Traum: Spätestens mit dem "Tinko" etabliert er sich als einer der bedeutendsten DDR-Literaten. Von 1959 bis 1961 ist er Erster Sekretär des Deutschen Schriftstellerverbandes. Da ist er bereits in zweiter Ehe mit der 18 Jahre jüngeren Dichterin Eva Strittmatter liiert. (Brucke) "Die Eva hat zu ihm Niederschlesischer Neurotiker gesagt. Er war schon ein schwieriger Mensch. Ich habe auch Dokumentationen gesehen, wo sie zu Wort kommt. Und schimpft. Also nach seinem Tode. Und schimpft. Und schimpft. Und schimpft." So ganz kann es Renate Brucke, die Vorsitzende des lokalen Strittmatter-Vereins, immer noch nicht fassen: Dass "Erwin" im Privatleben ein ziemlicher Egoist war. (Brucke) "Erst kam das Schreiben. Dann kam das Ausreiten. Dann kam Ruhe. Dann kam das Füttern. Und die Kinder kamen sonst was." (K. Strittmatter) "Man muss davon ausgehen, dass er eine ungeheure Disziplin hatte." Knut Strittmatter: Der zweitgeborene Sohn Erwin Strittmatters. Der Schafzüchter und Tiermediziner lebt zwar in Leipzig, ab und zu aber schaut er im "Laden" vorbei, wie an diesem sonnigen Morgen, um seine Cousine Ruth Panusch zu treffen. Und sich zu erinnern;an den Übervater. (K. Strittmatter) "Fünf Seiten Geschriebenes war seine Norm oder Pflicht für einen Tag. Und wenn er die nicht schaffte, dann wurde er ziemlich grillig, konnte er dann werden. Also, so ne Disziplin, wie er sie an den Tag gelegt hat, hab ich noch bei keinem Menschen gesehen. Finde es auch nicht nachahmenswert. Es gibt andere Werte im Leben, denen man nachgehen kann. Aber für ihn war das typisch: Er musste seine 5 Seiten am Tag schaffen. Sonst war das ein verlorener Tag." Es war nicht immer einfach - ein Strittmatter zu sein. Sohn von. Knut Strittmatter geht in das Hinterzimmer des Ladens, vorbei am gehäkelten Deckchen mit der Sütterlin- Aufschrift "Sei fleissig" - hin zu einem Farbfoto. "Sollten sie sich angesehen haben" - meint der graumelierte, ältere Herr, der äußerlich wenig vom Vater hat: Ein Foto vom letzten Familientreffen. Die ganze Strittmatter-Familie auf einem Haufen. Seitdem sein älterer Bruder tot ist, ist Knut inoffiziell "Familienoberhaupt". Aber das hört er nicht so gerne. Oberhaupt - das klingt nach Patriarch; nach seinem Vater. (K. Strittmatter) "Insgesamt war er streng. Und nicht viel präsent. Aber ich sach immer: Wer so nen Werk hinterlässt, der muss woanders Abstriche machen. Und das war eben bei der Kindererziehung. Und einige Brüder von mir haben heute noch keinen Kontakt mit ihm. Und wollen ihn auch nicht haben, weil er für sie nicht präsent gewesen is." (Auszug aus "Der Laden") "Der große Spiegel wird ausgeladen. Sein Gesicht ist mit Decken verhängt. Die Großmutter geht auf den Spiegel zu, bestreicht die Decken und hext ein bisschen. Sie spuckt dreimal trocken, wispert und streicht, lüftet die Maske des Spiegels, schaut drunter und hexelt wieder." Im "Laden" ist die Welt noch in Ordnung. Die "Strittmatter-Welt". Über Strittmatters Tätigkeit bei der NS-Ordnungspolizei, die im Zweiten Weltkrieg in besetzten Ländern zehntausende Zivilisten ermordete, erfährt man nichts. Er habe in Griechenland nur in der Schreibstube gesessen, hatte Erwin Strittmatter zu Lebzeiten zu Protokoll gegeben. Stillschweigen auch über seine Stasi-Mitarbeit. Anhand diverser Quellen gilt als erwiesen, dass Strittmatter von 1958 bis 1964 als Geheimer Informant für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR spitzelte. Freiwillig habe der Vater das sicher nicht getan, versucht sich sein Sohn im nach hinein einen Reim darauf zu machen. Als Erster Sekretär des Schriftstellerverbandes, sprich: als "Funktionsträger in Führungsposition", sei er gar nicht drum herum gekommen, mit der Stasi zu reden. War bei ihm selbst ja auch nicht anders. (K. Strittmatter) "Ich war stellvertretender Direktor eines großen Betriebes in der DDR. Und wenn mein Chef in Urlaub war, war ich ja der Verantwortliche. Und da kam die Stasi zu mir und hat jefragt: Da war einer nich rechtzeitig zur Truppe zurückgekehrt: Ob ich wüsste, wo der is? Wenn man ne Position hatte, konnte man die Zusammenarbeit mit der Stasi gar nich ausschließen. Und in diesem Sinne sehe ich das. Denn das is für mich nen Unterschied: Ob ich aus dienstlichen Pflichten mit der Stasi spreche. Oder ob ich da hin gehe und Namen nenne, die dann mit Repressionen zu rechnen haben. " (Panusch) "Was sollen wir sagen: Das war die Zeit so." Übernimmt die Nichte Ruth Panusch den Part der Verteidigerin von Strittmatters Verhalten im Zweiten Weltkrieg. (Panusch) "Das hätte jeden anderen genauso passieren können. Andere Großeltern waren auch im Krieg gewesen. Das einzige, was schlimm ist, ist, dass es jetzt nach dem Tod angesprochen wird. Erwin ist so viel Jahre tot. Und er kann sich nicht mehr verteidigen." (Gansel) "Die Tatsache, dass sich Strittmatter den Kriegserlebnissen nicht gestellt hat, hängt aus meiner Sicht damit zusammen, dass er in den Jahren 41 bis 45 schlichtweg zu viel Schlimmes erlebt hat; aus meiner Sicht auch in zu viel Schlimmes einbezogen war." Strittmatter hat seinen "eigenen Krieg" im Dunkeln gelassen. So urteilt Carsten Gansel, Literaturprofessor der Universität Gießen und Herausgeber einer neuen Strittmatter- Biographie. (Gansel) "So dass nach 1945 das Hervorholen dieser traumatischen Erlebnisse für ihn kein Weg gewesen ist, eine gestärkte Identität zu finden. Und wir wissen aus der Erinnerungsforschung, dass das Ich die Dinge vor allen erinnert, die das eigene Selbst, das eigene Ich, stärken. Und die Dinge über einen längeren Zeitraum einfach verdrängen muss, um seiner Selbst Willen, die dazu angetan sind, dieses Ich zu schwächen." Gansel kommt gebürtig aus Güstrow. Mecklenburg-Vorpommern also. Wie viele andere in der DDR hat er Strittmatter in der Schule gelesen: "Tinko" war das. Damals sei er begeistert gewesen, erinnert sich der Mann, auf dessen Glatze einen Sonnenbrille auf ihren Einsatz wartet und der wegen der Podiumsdiskussion im Schloss nach Spremberg gekommen ist. Das mit der Begeisterung habe sich bei neuerlicher Lektüre gelegt. Die Sprache - gerade in den Frühwerken: Doch sehr formelhaft. Der Inhalt: Manchmal fragwürdig. Im 1986 verfassten "Grünen Juni" etwa skizziere der Träger des Lessing- Preises der DDR eine Art Postkartenidylle von Griechenland während des Zweiten Weltkrieges - wohlwissend, dass zu dieser Zeit dort Klöster niedergebrannt und Zivilisten von den Nazis ermordet wurden. Strittmatters Umgang mit seiner Militärbiographie; sein Schweigen - das ist auch etwas, was jemanden wie Renate Brucke, der Vorsitzenden des Strittmatter-Vereins und pensionierten Lehrerin des Strittmatter-Gymnasiums, zu schaffen macht. (Brucke) "Da bin ich auch diejenige, die sagt: Warum hast du nichts gesagt, Erwin? Er wurde gefragt, '91, '92 gibt's ne Film-Dokumentation: Bereuen sie etwas? Nein, ich bereue nichts. Und da dachte ich: Hättest du dann mal nicht was sagen können? Da wäre der ganze Wind aus den Segeln genommen. Hätteste mal gesagt: Ja, ich habe! Ich habe zu meiner Biographie, die in den Schriftsteller-Lexika standen, nichts gesagt. Da stand also: Wehrmachtsoldat. Da stand antifaschistischer Widerstandskampf. Er hätte vielleicht auch sagen müssen: Ich habe Dinge geliefert, mündlich, für die ich mich heute schäme. Aber: Da fehlte ihm der Mut. Er war nicht mutig." (Gansel) "Über den Menschen Strittmatter erfährt man ja in den Texten nicht wirklich etwas. Denn: Selbst dort, wo er Spuren gelegt hat und man glauben könnte, dass das autobiographischer Natur sei, ist ja inzwischen klar geworden, dass das eigentlich eher eine Wunsch-Biographie ist. Dass das eher ein Bild ist, das entworfen wird, um vielleicht die eigene Person zu stärken. Und das hat mit der wirklichen Wirklichkeit, wie Anna Seghers früher mal gesagt hätte, nicht so viel zu tun. Dass es zumindest die Tendenz gibt in den größeren Romanen, eine Maske sich aufzusetzen. Und sich nicht wirklich in die Karten schauen zu lassen." Strittmatters Fangemeinde in der DDR war groß. Im Westen dagegen blieb er relativ unbekannt. Das änderte sich erst nach der Wende: Ende der 90er wurde seine Trilogie "Der Laden" im Fernsehen ein Quotenerfolg; seine Literatur wieder entdeckt. Für den 1996 gegründeten Strittmatter-Verein kam der Dreiteiler wie gerufen. Das Interesse an Strittmatters Werk sei seitdem kontinuierlich gestiegen - verkündet Renate Brucke stolz. Trotz dunkler Flecken auf seiner Weste. (Brucke) "Damit müssen wir klar kommen. Für uns steht die Literatur. Denn der Verein ist ja auch nicht der Erwin-Strittmatter-Verein, um die Biographie zu analysieren. Sondern Zeitzeugen und Zeitzeugnisse aus dem Bohlsdorfer und Spremberger Leben zu erhalten und zu bewahren." (Lemke) "Das ist überhaupt nicht verständlich. Also man kann nicht den Menschen und sein Lebenswerk trennen - voneinander. Das funktioniert nicht. Da ist ne Einheit. So machen wir das bei jedem anderen Mensch. Und so müssen wir das auch bei Strittmatter machen." Hält Andreas Lemke dagegen. Für den SPD-Mann, der, wie er betont, erst mit der Wende zur Politik kam, sind Brucke und die anderen vom Strittmatter-Verein ein rotes Tuch; ein tiefrotes. So und so alles Sympathisanten der Linken; Ewiggestrige. Die einfach nicht wahr haben wollen, dass sich ihr Säulenheiliger Strittmatter nach dem Krieg "von braun auf rot umlackierte", wie Lemke in der Lokalpresse kund tat. (Lemke) "Ich denke, die Linke hat bloß das Problem mit ihrem ehemaligen Parteikollegen Erwin Strittmatter, weil er eben auch für die Stasi spioniert hat. Das sind ja alles Institutionen gewesen, die in der Diktatur der DDR funktioniert haben. Und die Linke hat sich von diesen Formen noch nie ganz verabschiedet. In Spremberg nicht, in Brandenburg nicht, Deutschlandweit nicht." DDR. Gleich: Diktatur; gleich: Die Linke. Birgit Wöllert verzieht in ihrem Spremberger Wahlkreisbüro, in dessen Sitzungssaal ein radierter milde lächelnder Karl Liebknecht das Geschehen verfolgt, unmerklich das Gesicht. Kennt sie schon: Den Dreiklang des "lieben Herrn Lemke". Dass dessen SPD in Potsdam mit eben jener "unverbesserlichen SED- Nachfolge-Partei" zusammen die Brandenburger Landesregierung bilde: In Lemkes Kosmos scheine das keine Rolle zu spielen. Verkündet die Linken-Multi-Funktionsträgerin spitz. Bevor sie sich wieder dem Mann widmet, der sie viel mehr interessiert. (Wöllert) "Ich weiß, dass er ziemlich viele Frauen hatte. Gut! Das eint ihn mit vielen anderen Menschen. (lacht)" (K. Strittmatter) "Wenn man sich selber ansieht, dann gibt's gewisse Parallelen. Das Leben verläuft ja nicht so gradlinig, wie man es sich selber wünscht. Sondern es gibt Brüche. Und es gibt auch Trennungen. Und da bin ich auch von betroffen worden wie mein Vater. Und manche meiner Freundinnen hat immer gesagt: Na ja, du bist Strittmatter! Da kann's nich anders kommen. Da muss es so kommen, ja?!" (Auszug aus "Der Laden") "Nach dem Malzkaffeetrunk setzen Christine und ich uns auf die niedrige Bank am Ofen. Es ist das Bänkchen, auf dem früher der Großvater saß und Zins- und Zinseszins berechnete...Großvater benutzte das Bänkchen als Einzelsitz, aber siehe, es reicht auch für zwei, die es eng haben wollen." Wenn man so will, tobt in Spremberg ein Literaturstreit, bei dem es um mehr geht als "nur" Literatur. Es ist ein Streit um die Erinnerung: Um deutsche Geschichte vor und nach 1945; um Schuld und das Gefühl vieler Älterer, mit Erwin Strittmatters exemplarischen Lebenslauf werde exemplarisch abgerechnet; ergo: Die eigene, alte DDR-Identität nachträglich delegitimiert. Dementsprechend verhärtet sind die Fronten, in Spremberg, der Strittmatter-Stadt; zwischen glühenden Verehrern und glühenden Verächtern. (K. Strittmatter) "Da muss man ja sagen: Die waren hellwach." (Brucke) "Das fanden einige sehr schön, andere weniger schön." (Gansel) "Nur Kritik kann einen Autor am Leben halten. Alles andere führt dazu, dass er langweilig wird." -E N D E- 1