COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Kultur und Gesellschaft Literatur Sendung vom 6. Oktober 2013, 0.05 Uhr Anatomie von Mördern und Fischen Georg Büchner im Schweizer Exil Von Holger Teschke Redaktion: Sigried Wesener 20. November 1836 in Zürich. Arbeits-,Schlaf-und Wohnzimmer des Privatdozenten Dr. Georg Büchner in der Steingasse. Klirren von Skalpellen auf Glas, dann das Kratzen einer Schreibfeder. Von der Strasse her der Lärm von Kindern und Pferdefuhrwerken. Die Stimme Büchners, sich wiederholend, beim Briefschreiben. Musik Robert Schumann In der Fremde Liederkreis op. 39 Büchner : "Zürich, den 20. November 1836. Was das politische Treiben anlangt, so könnt Ihr ganz ruhig sein. Lasst Euch nur nicht durch die Ammenmärchen in unseren Zeitungen stören. Die Schweiz ist eine Republik, und weil die Leute sich gewöhnlich nicht anders zu helfen wissen,so erzählen sie den guten Deutschen jeden Tag von Anarchie, Mord und Totschlag. Ihr werdet überrascht sein, wenn Ihr mich besucht. Überall freundliche Dörfer mit schönen Häusern und dann, je mehr Ihr Euch Zürich nähert, ein durchgreifender Wohlstand. Dörfer und Städtchen haben ein Aussehen, wovon man bei uns keinen Begriff hat. Die Strassen laufen hier nicht voller Soldaten und faulen Staatsdienern, dafür ein gesundes,kräftiges Volk und für wenig Geld, eine gute,rein republi-kanische Regierung, die sich durch eine Vermögenssteuer erhält - eine Art Steuer, die man bei uns überall als den Gipfel der Anarchie ausschreien würde. Minnigerode ist tot, wie man mir schreibt. Das heißt, er ist drei Jahre lang totgequält worden. Drei Jahre ! Die französischen Blutmänner brachten einen doch in ein paar Stunden um. Erst das Urteil und dann die Guillotine. Aber drei Jahre ! Wir haben eine gar menschliche Regierung, sie kann kein Blut sehen. Bei Gott, diese Leute nehmen ein großes Kapital auf, das ihnen einmal mit schweren Zinsen wird abgetragen werden, mit sehr schweren, - Ich sitze hier am Tage mit dem Skalpell und die Nacht mit den Büchern." Es klopft. Büchner : Herein ! Die Tür wird geöffnet, Polizeirat Gaugler vom Kommissariat der Züricher Fremdenpolizei. Gaugler : Guten Abend, Herr Doktor Büchner. Professor Zehnder war so freundlich, mir den Weg zu Ihrem Zimmer zu zeigen, da wollte ich ihm nicht auch noch die Mühe der Vorstellung abverlangen. Ich hoffe, Sie verzeihen die Formlosigkeit. Polizeirat Gaugler von der Zürcher Fremdenpolizei. Ich bin mit Ihrem Antrag auf politisches Asyl befaßt, welches Sie bei unserem Regierungsrat gestellt haben. Büchner: Womit kann ich dienen ? Gaugler : Nur ein paar Auskünfte, um Ihren Vorgang so bald als möglich abzuschließen. Daran wird Ihnen sicher auch gelegen sein, denke ich. Sie werden sich fragen, warum ich Sie nicht auf mein Büro bestellt habe ? Sehen Sie, wir sind zur Zeit mit Asylanträgen überschwemmt. Für die wichtigen Dinge fehlt da mitunter die Zeit, derer solch eine schwerwiegende Entscheidung schließlich bedarf. Außerdem machen wir uns auch gern ein Bild von den persönlichen Verhältnissen des Antragstellers, die für die Behörde ebenfalls von Belang sind. Büchner : Als da wären ? Gaugler : Als da wären : Hausstand, Umgang, Beruf, Akklimatisation in die hiesigen Verhältnisse und dergleichen. Büchner : Ich verstehe. Und nun sehen Sie, dass ich Wohnung bei Herrn Professor Zehnder gefunden habe, also besten Umgang und einen geordneten Hausstand habe. Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch und ein Stuhl. Gaugler : Und einen Sessel. Darf ich mich setzen ? Büchner : Bitte. Gaugler : Besten Dank. Es tut mir Leid, Sie so spät bei der Arbeit zu stören. Aber unser Gespräch soll schließlich dazu dienen, Ihnen eine Aufenthaltserlaubnis zu beschaffen. Büchner : Aber die Universität Zürich hat mir bereits eine Vorlesungs-erlaubnis gegeben. Gaugler : Sicher. Aber die Universität darf keine Aufenthaltserlaubnis ausstellen. Das obliegt einzig und allein dem Regierungsrat. Büchner : Dem die Züricher Fremdenpolizei Ihre Empfehlung gibt. Gaugler : Allerdings. Wenn Sie uns helfen, diese Entscheidung so bald als möglich zu treffen, wäre das ganz in Ihrem Interesse. Büchner : Mit Vergnügen. Gaugler : Es handelt sich dabei weniger um ein Vergnügen als vielmehr um ein paar Auskünfte, Herr Doktor. Büchner : Auskünfte worüber ? Gaugler : Sehen Sie, in der Flut von Asylanten, die aus ganz Europa in unser kleines Land strömt, befinden sich leider auch etliche Subjekte, die unserer freiheitlichen Grundordnung nicht gerade wohlgesonnen sind. Anarchisten, Kommunisten und neuerdings auch Provokateure fremder Mächte, denen unsere Asypolitik ein Dorn im Auge ist. Die Menschenrechte sind uns heilig, aber wir setzen sie nicht aufs Spiel für Leute, die sie unter dem Mißbrauch unserer liberalen Gesetze abschaffen wollen. Büchner : Verdächtigt man mich dessen ? Gaugler : Wir nicht. Aber die Justizbehörden des Großherzoglich-Hessischen Ober-hofgerichts. Man hat uns Ihren Steckbrief zugeschickt, mit dem Ersuchen um Amtshilfe. Darin ist von staatsverräterischen Handlungen in Ihrer Heimat die Rede. Büchner : Und nun wollen Sie von mir wissen, welche staatsverräterischen Handlungen ich in Hessen geplant habe ? Gaugler : Darüber sind wir bereits im Bilde. Die großherzogliche Behörde hat dem Steckbrief auch eine Flugschrift beigelegt. Ihren Hessischen Landboten. Büchner : Dann wissen Sie über meine Umsturzpläne ja bestens Bescheid. Gaugler : Lieber Herr Doktor Büchner, mit Ironie werden wir nicht sehr weit kommen. Ich verstehe durchaus, wenn Sie darüber verbittert sind, dass man Sie und ihre Freunde wegen ein paar allzu offener Worten polizeilich verfolgt und einsperren will. Bei uns wäre dergleichen undenkbar. Wir schätzen die Freiheit der Rede, und wir schützen sie. Büchner : Solange sie nicht die freiheitliche Schweizer Grundordnung gefährdet. Gaugler : Selbstredend. Büchner : Und wer legt fest, wann die freie Rede zur Gefahr für die Freiheit wird ? Gaugler : Unsere Gesetze, Herr Doktor. Und diese Gesetze sind der Ausdruck des mehr-heitlichen Willens unserer Bürger. Deshalb hätten Sie wegen eines solchen Flugblatts bei uns auch nichts zu befürchten. Abgesehen davon, dass es in der Schweiz auch keine Großherzöge und Fürsten gibt, die sich nach Belieben über Recht und Gesetz hinwegsetzen könnten. Büchner : Wohl aber Vornehme, oder ? Gaugler : Ach,Vornehme. Das ist doch ein sehr nebulöser Begriff in Ihrem "Landboten". Einblendung Frauenstimme, wie aus der Vergangenheit. Stimme : Das Gesetz ist Eigentum einer Klasse von Vornehmen und Gelehrten,die sich durch ihr eigenes Machwerk die Herrschaft zuspricht. Diese Gerechtigkeit ist nur ein Mittel, euch in Ordnung zu halten,damit man euch bequemer schinde. Sie spricht nach Gesetzen, die ihr nicht versteht, nach Grundsätzen, von denen ihr nichts wisst, Urteile, die ihr nicht begreift. Ihr dürft euren Nachbarn verklagen, der euch eine Kartoffel stiehlt, aber klagt einmal über den Diebstahl, der von Staats wegen unter dem Namen von Abgabe und Steuer jeden Tag an eurem Eigentum begangen wird, damit eine Legion unnützer Beamter sich von eurem Schweiß mästen. Klagt einmal, daß ihr der Willkür einiger Fettwänste überlassen seid und daß diese Willkür Gesetz heißt. Klagt über eure verlorenen Menschenrechte : wo sind die Gerichtshöfe, die eure Klage annehmen, wo die Richter, die Recht sprächen ? Büchner : Wie sieht es mit der Freiheit der Rede aus, wenn man fragen würde, woher der Wohlstand der Wohlhabenden eigentlich gekommen ist ? Gaugler : Fragen dürfen Sie. Büchner : Aber nicht erwarten, auch eine Antwort zu bekommen, oder ? Gaugler : Bei uns werden alle Einnahmen sowie alle Ausgaben von den gewählten Vertretern des Volkes beschlossen und kontrolliert. Nicht von einer Handvoll fürstlicher Beamter. Büchner : Aber wer kontrolliert die Kontrolleure ? Gaugler : Unsere Bürger und unsere Presse. Man kann bei der Lektüre Ihres Landboten allerdings auf die Idee kommen, dass Ihnen auch manches an den Einrichtungen unseres Gemeinwesens mißfallen könnte. Und dass Sie eines Tages das Bedürfnis verspüren werden, einen, sagen wir : Schweizer Landboten zu verfassen. Büchner : Und da wäre es dann mit der Freiheit meiner Rede vorbei ? Gaugler : Solange Ihr Asylverfahren angängig ist, müssen Sie sich ohnehin jeder politischen Tätigkeit enthalten. Aber darum geht es mir nicht. Wir wüßten gern, wie Sie es zu halten gedenken, wenn der Regierungsrat Ihnen eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis erteilt hat. Würde dann eines Tages so ein Flugblatt auch an unserer Universität kursieren ? Büchner : Wenn die Dinge so demokratisch eingerichtet sind,wie Sie sagen - warum fürchten Sie das ? Gaugler : Ich fürchte nichts. Aber es gibt leider Menschen, die finden selbst im Paradies einen Wurm im Apfel. Büchner: Und müssen deshalb daraus vetrieben werden ? Ich dachte, die Vertreibung wäre wegen des Apfels erfolgt, nicht wegen eines Wurms. Gaugler : Sehr spitzfindig. Fast wie Ihr Monsieur Danton. Büchner : Sie haben meinen "Danton" gelesen ? Gaugler : Er lag bei den hessischen Akten. Ihre Polizei ist sehr gründlich. Er war mit roter Tinte durchgearbeitet. Büchner : lacht "Dantons Tod", kommentiert von der Hessischen Polizei. Einblendung Stimme : Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben, die das Wort Blut nicht wohl vertragen können. Einige Betrachtungen mögen sie überzeugen, daß wir nicht grausamer sind als die Natur und als die Zeit. Die Natur folgt ruhig und unwiderstehlich ihren Gesetzen : der Mensch wird vernichtet, wo er mit ihnen in Konflikt kommt. Was ist das Resultat ? Eine unbedeutende,im Großen und Ganzen kaum bemerkbare Veränderung der physischen Natur, die fast spurlos vorübergegangen sein würde, wenn nicht Leichen auf ihrem Weg lägen.Ich frage nun : soll die geistige Natur in ihren Revolutionen mehr Rücksicht nehmen als die physische ? Soll eine Idee nicht ebenso gut wie ein Gesetz der Physik vernichten dürfen, was sich ihr widersetzt ? Der Weltgeist bedient sich in der geistigen Sphäre unserer Arme ebenso, wie er in der physischen Vulkane und Wasserfluten gebraucht. Ist es denn nicht nur natürlich, daß zu einer Zeit, wo der Gang der Geschichte rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem kommen ? Stimme : Die Revolution ist wie die Töchter des Pelias: sie zerstückt die Menschheit, um sie zu verjüngen. Die Menschheit wird aus dem Blutkessel sich erheben, als wäre sie zum ersten Male geschaffen. Büchner : Ich habe nicht vor, mich politisch zu betätigen. Mein Interesse gilt den Schädelnerven der Fische, nicht der Revolution. Gaugler : Ich lese aber auch, dass Sie noch immer Zeit finden,Theaterstücke zu verfassen. Büchner : So, lesen Sie. Bei wem ? Gaugler : Sie führen einen regen Briefwechsel mit Ihren Schriftstellerfreunden, Herrn Gutzkow und Herrn Boeckel. Büchner : Sie öffnen meine Post ? Gaugler : Die Schweizer Polizei ? Nie und nimmer. Büchner : Dann hat Ihnen die gründliche hessische Polizei Abschriften zugestellt ? Gaugler : Ich möchte Sie nur davor bewahren, allzu offen zu sein. Die Kollegen in Darmstadt haben ein anderes Verhältnis zum Briefgeheimnis als wir. Büchner : Und die Schweizer Polizei wird dabei zum Nutznießer eines Bruchs von Gesetzen, der im eigenen Land unter Strafe steht ? Gaugler : Auch wir müssen wissen, wen wir bei uns aufnehmen und zum Lehrer unserer Jugend berufen. Büchner : In vergleichender Anatomie, nicht in vergleichender Staatskunde ! Gaugler : Warum so erregt, lieber Doktor ? Haben Sie nicht vor, Ihre Stücke drucken zu lassen ? Büchner : Von einem Verbot literarischer Tätigkeit ist mir nichts bekannt. Gaugler : Es besteht keines. Aber unsere Nähe zu Frankreich und Deutschland zwingt uns, gewisse Rücksichten zu nehmen. Wir sind ein kleines Land und geben unsere Steuergelder nicht für ein stehendes Heer aus, das im Ernstfall von der Kavallerie eines Ihrer deutschen Landesfürsten niedergeritten würde. Büchner : Heisst das, Sie würden Ihre Souveränität einfach kampflos aufgeben ? Gaugler : Das heisst, wir legen Wert darauf, daß es keinen Anlaß für irgendwelche bewaffneten Kämpfe gibt. Das ist eine Frage der Ökonomie. Da Sie sich auch in Finanzen auskennen, werden Sie verstehen, was ich meine. Büchner : Sie müssen also dafür sorgen, dass es auf Ihren Theatern genauso geräuschlos zugeht wie bei Ihren Bankgeschäften ? Gaugler : Durchaus nicht. Wir spielen Schillers "Die Räuber", wir spielen den "Tell".Da geht es nicht gerade geräuschlos zu, oder ? Jede Menge Drama, vom Pathos ganz zu schweigen. Obwohl mir persönlich die Idee, das Elend der Menschheit mittels des Theaters zu bessern reichlich verstiegen vorkommt. Da werden Sie mit der Medizin mehr Erfolg haben. Es steht mir natürlich nicht zu, Ihnen dramaturgische Vorschriften zu machen. Wenn Sie weiter Stücke schreiben wollen, bitte. Solange Sie die Bühne nicht als Barrikade benutzen, immer schreiben Sie nur. Büchner : Und Sie entscheiden, wann aus der moralischen Anstalt eine Barrikade wird ? Gaugler : Doch nicht ich. Auch da liegt die Entscheidung bei unserem gewählten Zürcher Regierungsrat und den Gesetzen der Schweiz. Büchner : Und Ihren diplomatischen Interessen. Gaugler : Allerdings. Deshalb wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich nicht wie einen Idioten behandelten. Büchner : Das würde mir nicht im Traum einfallen, Herr Polizeirat. Gaugler : In Ihrem Lustspiel vom Prinzen Leonce ist Ihnen allerhand Traumhaftes eingefallen. Ein vertrottelter König, der sein Land mit einem Staatsrat aus servilen Schwachköpfen malträtiert und dessen Untertanen nur zur Staffage seiner pompösen Auftritte gut sind. Büchner : Ist mein Manuskript deswegen zu spät in Stuttgart eingetroffen ? Gaugler : Das müssen Sie die französische oder württembergische Polizei fragen. Schließlich haben Sie Ihr Manuskript von Straßburg aus abgeschickt, nicht von Zürich. Büchner : Sie besitzen offenbar auch davon eine Abschrift. Gaugler : Dank der hessischen Behörden. Ich habe übrigens sehr gelacht. Büchner : "Leonce und Lena", kommentiert von der Staatspolizei. Sehr komisch. Einblendung Stimme : Was die Leute nicht alles aus Langeweile treiben ! Sie studieren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile, sie verlieben,verheiraten und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich aus Langeweile. Und das alles mit den wichtigsten Gesichtern, ohne zu merken, warum, und meinen Gott was dazu. Alle diese Helden, diese Genies, diese Dummköpfe, diese Heiligen, diese Familien-väter sind im Grunde nichts als raffinierte Müßiggänger. Warum muß ich es gerade wissen ? Warum kann ich mir nicht wichtig werden und der armen Puppe einen Frack anziehen und einen Regenschirm in die Hand geben, daß sie sehr rechtlich und sehr nützlich und sehr moralisch würde ? Oh, wer einmal jemand anderes sein könnte ! Nur `ne Minute lang. Büchner : Leider bin ich um das Preisgeld und um eine mögliche Aufführung gekommen. Gaugler : Das ist nicht unsere Schuld. Ich frage mich allerdings, wie ein Lustspiel aus Ihrer Feder aussehen würde, wenn Sie eines Tages unsere Eidgenossenschaft komödiantisch behandeln würden. Büchner : Dafür bleibt mir keine Zeit. Ich muss jetzt vor allem die Schädelnerven von Fischen behandeln, wie Sie sehen. Gaugler : Eines schönen Tages werden Sie sicher hinter das Geheimnis dieser fischigen Nervenstränge kommen. Und dann werden Sie vielleicht das Skalpell zur Seite legen, um sich mit dem Nervensystem unserer Demokratie beschäftigen. Büchner : Im Gegensatz zum Großherzogtum Hessen wird sich doch die Schweizer Eidgenossenschaft nicht vor einem Lustspiel fürchten ? Gaugler : Das käme ganz auf das Lustspiel an. Sehen Sie, wir unterschätzen nicht den Einfluß der Kunst. Er mag unbedeutend sein im Vergleich zu dem der Ökonomie und der Naturwissenschaften. Aber es wäre ein Fehler, ihn zu ignorieren. Büchner : Mit anderen Worten, ich soll meine Finger vom Theater lassen ? Gaugler : Das habe ich nicht gesagt. Ihr Lustspiel karikiert ja eine Regierungsform, die wir längst überwunden haben. Es würde bei uns wegen seines skurrilen Humors vielleicht sogar Erfolg haben, wer weiß ? Aber ich stelle mir auch vor, wie eine Karikatur der Schweizer Politik aus Ihrer Feder auf unser Publikum wirken würde. Und diese Vorstellung stimmt mich nachdenklich. Büchner : Seien Sie unbesorgt. Die Schweizer Politik ist kein Stoff für ein Lustspiel. Gaugler : Das sagen Sie jetzt. Aber wenn Sie erst eine Aufenthaltsgenehmigung und bessere Kenntnisse unserer Institutionen haben, könnte Ihre Meinung sich ändern. Es gibt ja Menschen, die müssen über Gott und die Welt spotten, weil sie einfach nicht anders können. Wie Monsieur Voltaire, zum Beispiel. Büchner : Sehr schmeichelhaft. Soll ich einen Revers unterschreiben, dass ich mich jetzt und für alle Zeiten aus der schweizer Politik heraushalten werde ? Gaugler : Ich bitte Sie. Wir sind schließlich kein Polizeistaat. Zumal Ihre Aufenthaltsgenehmigung vorerst ohnehin befristet sein wird und Sie eine Kaution zu stellen haben. Übrigens, wovon werden Sie die bezahlen ? Büchner : Ich hoffe, von meinen Kolleggeldern. Gaugler : Wie ich höre, haben Sie ganze fünf Studenten, von denen nur drei zu den Vorlesungen erscheinen. Da können nicht allzu viel Kolleggelder zusammen-kommen. Büchner : Ich habe mich ausserdem um eine Assistenz und um Privatunterricht bemüht. Gaugler : Beides bisher leider erfolglos, nicht wahr ? Sie brauchen in Zürich aber jährlich mindestens 600 Franken zum Leben. Büchner : Ich habe mich auch an meinen Vater gewandt. Gaugler : Der Ihre politischen Aktivitäten nicht goutiert und Sie deswegen seit Ihrer Flucht aus Darmstadt nicht mehr finanziell unterstützt. Büchner : Wir sind wieder in bestem Einvernehmen. Mein Vater billigt meine wissenschaftlichen Zukunftspläne und wir korrespondieren darüber, wie Sie nun wissen. Gaugler : Schön. Aber wird er auch Geld schicken ? Und wird das Geld auch bei Ihnen ankommen ? Sie wissen, die Polizei hat auch da Möglichkeiten. Büchner : Und ob. Gaugler : Sehen Sie. Und dann bleibt Ihnen nur noch die Literatur. Büchner : Ich verstehe. Sie befürchten, ich muss Theaterstücke verfassen, um nicht in Freiheit zu verhungern. Aber soweit ich sehe, konnte bisher kein deutscher Dichter von seinen Stücken leben, Herrn von Kotzebue einmal ausgenommen. Gaugler : Und deshalb könnten Sie vielleicht eines Tages auf die Idee kommen, einen politischen Roman zu schreiben, wie Ihr Freund, der Herr Karl Gutzkow. Für Romane braucht man keine Bühne. Sie sind auch nicht die Sorte von Literatur, der nur um des schnöden Mammons schreibt. Sie sind eher wie der Herr Lenz aus Ihrer Novelle. Einblendung Stimme : Lenz sagte : die Dichter, von denen man sage, sie geben die Wirklichkeit, hätten auch keine Ahnung davon. Doch seien sie immer noch erträglicher als die, welche die Wirklichkeit verklären wollten. Der liebe Gott hat die Welt wohl gemacht, wie sie sein soll und wir können wohl nicht was Besseres klecksen. Unser einziges Bestreben soll sein, ihm ein wenig nachzuschaffen. Ich verlange in allem - Leben, Möglichkeit des Daseins und dann ist´s gut. Wir haben dann nicht zu fragen, ob es schön oder ob es häßlich ist. Man versuche es einmal und senke sich in das Leben der Geringstenund gebe es wieder. Es sind die prosaischten Menschen unter der Sonne, aber die Gefühlsader ist in fast allen Menschen gleich. Nur die Hülle ist mehr oder weniger dicht, durch die sie brechen muß. Man muß die Menschheit lieben, um in das eigentümliche Wesen eines jeden einzudringen. Es darf einem keiner zu gering, keiner zu häßlich sein. Büchner : Woher die hessische Polizei den "Lenz" hat, wüßte ich nun doch allzu gern. Gaugler : Lieber Herr Doktor, Sie schreiben aus Gewissensgründen, und dass ist das Heikle an Ihren Schriften. Es ist diese Kombination aus Gewissen, Genie und Geldnot, die mir Sorgen macht. Büchner : Sorgen Sie sich nicht mehr um meine Zukunft, als ich mich sorge. Ich habe Freunde, die mir Kredit geben würden, wenn das notwendig werden sollte. Gaugler : Ihre Freunde hier ? Von denen die meisten selber politische Flüchtlinge sind ? Die weder Anstellung noch Einkommen haben ? Woher sollen die 800 Franken nehmen ? Büchner : Ich rede von meinen Freunden in Straßburg und Frankfurt. Gaugler : Ihr Verleger ? Wieviele Exemplare Ihres "Danton" hat der Herr Sauerländer denn inzwischen verkauft ? Büchner : Ich habe noch keine Abrechnungen. Gaugler : Gerade mal fünfzig Exemplare, behauptet die hessische Polizei. Das ist nicht eben viel. Büchner : Und ich hoffe auf eine Professur. Vergleichende Anatomie wird bisher nicht an der Züricher Universität gelesen. Aber ein Lehrstuhl ist im Gespräch und der würde mehr als tausend Franken einbringen. Gaugler : Wenn Sie berufen werden. Büchner : Man macht mir Hoffnungen. Gaugler : Hoffnung in Geldangelegenheiten, damit kommen Sie in der Schweiz nicht weit. Wir könnten uns allerdings für Sie verwenden, wenn Sie uns entgegenkommen. Büchner : Inwiefern ? Gaugler : Sie verkehren in den Kreisen der Emigranten und können besser einschätzen als wir, wer ein wirklicher Demokrat ist und wer ein agent provocateur. Wir hatten schon einmal den beklagenswerten Fall, dass man solche Leute eingeschleust hat, um von schweizer Staatsgebiet aus eine bewaffnete Revolte in Baden zu organisieren. Sie haben davon gehört ? Büchner : Allerdings. Gaugler : Dieser angebliche Revolutionär war ein Spitzel der österreichischen Geheimpolizei. Dahinter stand die Absicht, unsere Asyspolitik in Mißkredit zu bringen, die dem Herrn Staatsminister von Metternich schon lange ein Dorn im Auge ist. Man drängte auf eine Auslieferung aller politischen Flüchtlinge, um ihnen in Wien den Prozess machen zu können. Die Herren von der hessischen Polizei könnten auf dieselbe Idee kommen. Büchner : Zweifelsohne. Gaugler : Würden Sie die Entlarvung solcher Subjekte unter diesen Umständen nicht begrüßen ? Büchner : Von ganzem Herzen. Aber das ist Ihre Aufgabe, nicht die meine. Ausserdem wäre das eine politische Tätigkeit, die mir ausdrücklich verboten ist. Gaugler : Nicht, wenn sie auf unseren ausdrücklichen Wunsch geschieht. Büchner : Ein solcher Schritt würde mich bei meinen Freunden und Kollegen auf immer diskreditieren. Gaugler : Das möchte ich bezweifeln. Sie sind nicht der Einzige, mit dem wir über seinen Asylantrag reden, Herr Doktor Büchner. Büchner : Wenn Sie aus den Kreisen der Emigranten bereits Mitarbeiter gewonnen haben, wozu brauchen Sie mich dann noch ? Gaugler : Es wäre eine Geste des Entgegenkommens. Eine vertrauensbildende Maßnahme, sozusagen. Für Sie hängt dabei sehr viel mehr ab als für uns. Büchner : Ich verstehe. Entweder ich arbeite mit Ihnen zusammen, oder ich werde ausgewiesen. Gaugler : Sie haben einen Hang, die Dinge zu dramatisieren. Eine sehr deutsche Marotte. Die Schweiz ist ein Land des Ausgleichs. Wir suchen nach dem Kompromiß, nicht nach dem Konflikt. Büchner : Aber das Drama lebt vom Konflikt, nicht vom Kompromiß. Gaugler : Verwechseln Sie bitte nicht das Theater mit der Realität. Auf dem Theater fließt rote Tinte, im Leben dagegen Blut. Büchner : Wenn Sie mich ausliefern, meinen Sie ? Gaugler : Wenn Sie in die Hände der hessischen Polizei fallen sollten, was Gott verhüten möge. Büchner : Haben Sie Nachricht von meinen gefangenen Freunden ? Gaugler : Es geht ihnen nicht gut. Ihr "Landbote" hat allerhand Staub aufgewirbelt. Der Herr Universitätsrichter Georgi scheint Ihren Mitverschworenen, den Pfarrer Weidig als seinen persönlichen Gefangenen zu betrachten. Er will mit diesem Fall offenbar Karriere machen. Büchner : Der Herr Universitätsrichter ist ein Psychopath, der Recht und Gesetz mit Füßen tritt, um persönliche Rache zu nehmen und sich beim Großherzog anzudienen. Gaugler : Das vermag ich nicht zu beurteilen. Aber ich verstehe, dass Sie nicht wieder unter seine Jurisdiktion kommen möchten. Büchner : Und worin bestände ein Kompromiß, wenn ich mit Ihnen zusammenarbeiten würde ? Gaugler : Sie könnten sich hin und wieder mit mir treffen und Ihre persönliche Sicht auf die Stimmung unter den Emigranten mitteilen. Es liegt uns nichts daran, die schweizer Asylpolitik zu ändern, nur um einigen Herren in Wien oder Darmstadt einen Gefallen zu tun. Büchner : Aber es liegt Ihnen etwas daran, möglichst viele kluge Köpfe ins Land zu bekommen, die der Schweiz in Zukunft von Nutzen sein können. Gaugler : Sicher. Nur müssen wir eben die Spreu vom Weizen trennen. Und daß Einer jede staatliche Ordnung für überflüssig hält, macht ihn noch nicht zum Demokraten. Büchner : Gewiß nicht. Gaugler : In solchen Situationen kommt man mit den Buchstaben der Gesetze nicht allzu weit. Man muss den ganzen Menschen kennen, ehe man sich ein Urteil erlauben kann. Also, denken Sie über mein Angebot nach ? Büchner : Wie lange habe ich Bedenkzeit ? Gaugler : Ihr Antrag auf eine provisorische Aufenthaltsgenehmigung der Sonderklasse soll in einer Woche entschieden werden. Heute haben wir Freitag. Ich muss spätestens nächsten Dienstag wissen, woran wir sind. Das scheint mir ausreichend Zeit zu sein. Habe die Ehre, Herr Doktor Büchner. Büchner : Ganz meinerseits. Gaugler steht auf, geht und schließt die Tür hinter sich. Regen, darüber Büchners Stimme. Büchner : Verehrtester Gutzkow ! Meine Zukunft ist so problematisch, dass sie mich selber zu interessieren anfängt. Aber Sie sollen noch erleben, zu was ein Deutscher nicht fähig ist, wenn er Hunger hat. Ich wollte, es ginge der Nation so wie mir. Die ganze Revolution hat sich längst in Liberale und Absolutisten geteilt und muss von der ungebildeten und armen Klasse aufgefressen werden. Das Verhältnis zwischen Armen und Reichen ist das einzige revolutionäre Element in der Welt. Die Gesellschaft mittels der Idee, von der gebildeten Klasse aus reformieren ? Unmöglich ! Unsere Zeit ist rein materiell, wärem Sie je direkter politisch zu Werke gegangen, so wären Sie bald auf den Punkt gekommen, wo die Reform von selbst aufgehört hätte. Und die große Klasse selbst ? Für die gibt es nur zwei Hebel, materielles Elend und religiöser Fanatismus. Jede Partei, die diese Hebel anzusetzen versteht, wird siegen. Unsere Zeit braucht Eisen und Brot - und dann ein Kreuz oder sonst so was. Ich glaube, man muß in sozialen Dingen von einem absoluten Rechtsgrundsatz ausgehen, die Bildung eines neuen geistigen Lebens im Volk suchen und die abgelebte moderne Gesellschaft zum Teufel gehen lassen. Zu was soll ein Ding wie diese zwischen Himmel und Erde herumlaufen ? Das ganze Leben derselben besteht nur in Versuchen, sich die entsetzlichste Langeweile zu vertreiben. Sie mag aussterben, das ist das einzig Neue, was sie noch erleben kann. (Morgen des 24. November 1836. Büchners Zimmer.Klappern des Sezierbestecks. Es klopft. ) Büchner : Herein ! Gaugler : Guten Morgen, Herr Doktor. Ich hoffe, ich störe nicht zu früh ? Haben Sie gut geschlafen ? Büchner : Danke der Nachfrage. Ich habe wieder die halbe Nacht über meinen Fischen gesessen. Ist es tatsächlich schon Dienstag ? Gaugler : Allerdings. Sie müssen sich auch einmal Ruhe gönnen. Sie sehen angegriffen aus, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Büchner : Daß sich die Polizei Sorge um die Gesundheit ihrer Observanten macht, das gibt es wohl auch nur in der Schweiz. Gaugler : Mit seiner Gesundheit sollte man niemals sorglos umgehen. Sie ist unser kostbarstes Gut. Sie treiben Raubbau, Herr Doktor. Büchner : Ich brauche das Geld, Herr Polizeirat. Gaugler : Geld ist nicht alles. Büchner : Das sagen Sie ? Gaugler : Allerdings. Gesundheit kann man für kein Geld der Welt kaufen. Büchner : Aber wiederherstellen. Gaugler : Einmal angegriffen, für immer angegriffen. Glauben Sie einem älteren Mann. Untersuchen Sie noch immer die Nervenstränge der Barbe ? Büchner : Noch immer. Gaugler : Ich hoffe, Sie kommen voran ? Büchner : Nur mühsam. Es ist ein kompliziertes Unterfangen, herauszubekommen, wie so ein einfaches Nervensystem funktioniert. Einblendung Stimme : Über Schädelnerven. Die Natur handelt nicht nach Zwecken, sie reibt sich nicht in einer unendlichen Reihe von Zwecken auf, von denen der eine den anderen bedingt. Sie ist in allen ihren Äußerungen sich selber genug. Alles was ist, ist um seiner selbst willen da. Das Gesetz dieses Seins zu suchen, ist das Ziel der Ansicht, die ich die philoso-phische nennen will. In der vergleichenden Anatomie strebt alles nach einer gewissen Einheit, nach dem Zurückführen aller Formen auf den einfachsten, primitiven Typus. Klar war man sich über die Bedeutung der Gebilde des vegetativen Nervensystems für die Ausbildung des Skeletts, nur für das Gehirn ließ sich bis jetzt kein so glückliches Resultat zeigen. Gaugler : Und wenn Sie es bei den Fischen herausbekommen haben, dann werden Sie sich den Menschen zuwenden ? Büchner : Dergleichen diffizile Wissenschaft überlasse ich jenen Kollegen, die sich einer solchen Aufgabe gewachsen fühlen. Gaugler : Ich meine : als Dramatiker ? Büchner : Als Dramatiker versuche ich herauszufinden, was das ist, das da in uns lügt und mordet und stiehlt. Gaugler : In uns ? Büchner : Allerdings. Ich glaube nicht, mich da ausschließen zu können. Der Theater-schriftsteller muss die Motive seiner Figuren begreifen statt sie zu beurteilen. Gaugler : Dann sind unsere Berufe ja doch miteinander verwandt. Büchner : lacht Sie steuern heute morgen sehr geradlinig auf Ihr Ziel zu, Herr Polizeirat. Gaugler : Meine Zeit ist knapp bemessen. Aber dieser Punkt interessiert mich doch. Was ist es, das in uns lügt und mordet und : hurt, wenn ich mich recht erinnere. Fragt Ihr Danton nicht auch das ? Büchner : lacht Auch das. Aber ich bin noch zu keinem Ergebnis gekommen. Mich beschäftigt gerade der Fall eines Mörders, mit dem mein Vater während seiner Militärzeit im selben Regiment gedient hat. Er hieß Woyzeck. Der Mann war Friseur und Perückenmacher und hat später seine Geliebte erstochen. Für die Professoren der alten Schule lag der Fall klar : ein Mord aus Eifersucht und Rache. Sie erklärten ihn im Prozeß in vollem Maße für strafmündig, obwohl er nach Zeugenaussagen schon lange vor der Tat ein sehr merkwürdiges Verhalten an den Tag gelegt hatte. Gaugler : Nämlich welches ? Büchner : Er soll Zeichen am Himmel gesehen und Stimmen unter der Erde gehört haben. Es gab allerdings auch ein paar jüngere Professoren, die zu widersprechen wagten und meinten, seine seltsame Konstitution habe den Mann in Wahnvorstellungen und schließlich zum Mord getrieben. Einblendung Stimme : Sieh ! Der Streif da über das Gras hin, da rollt abends der Kopf. Es hob ihn einmal einer auf, er meint, es wär ein Igel. Drei Tage und drei Nächte und er lag auf den Hobelspänen. Es geht hinter mir und es geht unter mir. Hohl, hörst du ? Alles hohl da unten. Ein Feuer fährt um den Himmel und ein Getös herunter wie von Posaunen. Sieh nicht hinter dich ! Gaugler : Und was meinen Sie zum "Fall Woyzeck " ? Büchner : Ich versuche zu zeigen, wie vielfältig die Motive sein können, die einen Menschen zum Mord treiben. Es gibt nicht das eine Motiv, das alles erklärt. Gaugler : Das gibt es nie. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß ein solches Drama Erfolg haben könnte. Mord auf dem Theater, das zieht seit Shakespeares Tagen. Büchner : Sie lesen Shakespeare ? Gaugler : Immerhin sind fast die Hälfte seiner Stücke Kriminalfälle. Büchner : Allerdings. Aber mich interessiert weniger der Mord als vielmehr seine Vorgeschichte. Gaugler : Darum geht es uns auch. Wir wollen das Verbrechen verhindern, bevor es begangen wird. Büchner : Und wie wollen Sie das bewerkstelligen ? Gaugler : Je mehr wir über die Ursachen eines Verbrechens in Erfahrung bringen, desto besser die Aussichten, das nächste zu verhindern. Büchner : Müssten Sie da nicht zuerst Armut und Elend abschaffen ? Gaugler : Mord und Totschlag finden keineswegs nur in den ärmeren Schichten statt. Leider ist das Verbrechen überall zu Hause, in den Sennhütten ebenso wie in den bürgerlichen Salons. Wer glaubt, dass er mit der Armut auch das Verbrechen abschaffen kann, der unterliegt einem romantischen Irrtum. Büchner : Aber Armut und Mangel sind doch selbst in der Schweiz noch ein häufiger Grund fürVerbrechen, oder etwa nicht ? Gaugler : Nicht häufiger als Eifersucht, Gier oder nackte Mordlust. Meine verehrten Kollegen vom Kriminal können Ihnen da mit sehr interessanten Auskünften weiterhelfen. Büchner : Könnten meint : wenn ich Ihnen weiterhelfe. Gaugler : Das haben Sie gesagt. Büchner : Ich begreife nicht, warum die Schweizer Behörden über eine Handvoll Flüchtlinge besorgt sind, die vor den Nachstellungen einer anachronistischen Despotie fliehen mussten. Sieht man denn nicht, dass wir lediglich wünschen, was hierzulande längst der politische Alltag ist ? Eine Verfassung, ein Parlament, die Teilung der Gewalten ? Freiheit von Presse, Rede und Lehre und ja, auch Freiheit der Kunst ? Gaugler : Es wäre erfreulich, wenn wir uns darauf verlassen könnten. Leider gibt es Anzeichen, dass unter den Emigranten radikalere Geister sind, die sich mit diesen Freiheiten nicht begnügen wollen. Ihnen geht es auch um eine Art ökonomischer Volksherrschaft. Büchner : Und beim Geld hört die Demokratie auf ? Dabei brauchte es doch nicht einmal viel, um Ruhe und Ordnung zu garantieren. Gaugler : Wie meinen Sie das ? Büchner : Die Schweiz ist ein kleines Land mit großem Reichtum. Würden Sie den Armen nur einen winzigen Bruchteil davon abgeben, sie hätten Ruhe und Ordnung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Gaugler : " Ein Huhn im Topf jedes Bauern macht den gallischen Hahn verenden", wie Sie an Herrn Gutzkow schrieben. Eine sehr bittere Metapher. Büchner : Sie war nicht für den öffentlichen Gebrauch bestimmt. Gaugler : Aber Herr Doktor Büchner. Da haben Sie Ihren Danton doch noch ganz andere Metaphern verkünden lassen. " Ihr wollt Brot und sie werfen Euch Köpfe hin ! Ihr dürstet, und sie machen Euch das Blut von den Stufen der Guillotine lecken !" Büchner : Was hat die französische Revolution mit den schweizer Bauern zu tun ? Gaugler : Wenn wir jedem Bürger kostenlos sein Sonntagshuhn geben würden, dann emigrierte halb Europa in die Schweiz. Und wir hätten bald nicht mehr genügend Hühner. Büchner : Für alle reicht es nicht ? Gaugler : Für alle reicht es nirgends. Ihr Vorschlag hat leider nur auf den ersten Blick etwas Verführerisches. Der Staat gibt jedem seiner Bürger soviel, dass er ein Dach über dem Kopf, immer satt zu essen und warme Hosen über dem Hintern hat. Und der Bürger tut dafür seinen Teil für die Allgemeinheit und verfertigt nicht Höllenmaschinen oder revolutionäre Flugblätter. Das klingt einfach und vernünftig. Aber wenn erst einmal die einfachen Bedürfnisse gestillt sind, dann will der Mensch mehr. Dann fragt er sich : warum fährt mein Nachbar in einer Equipage und kann seine Kinder auf eine Universität schicken ? Warum baut er sich ein Haus am See und ein zweites in den Bergen ? Und so fort, bis des Fragens und Begehrens kein Ende mehr ist. Büchner : Und deshalb verständigen Sie sich lieber mit den Fürsten, deren Politik Sie verachten, die aber ihre Untertanen davon abhalten, in allzugroßer Zahl in Ihr Gelobtes Land zu fliehen. Gaugler : Sie sind immerhin hier, Herr Doktor. Sie und Ihre Freunde. Büchner : Weil man uns für nutzbringend befunden hat. Wir sind billige Arbeitskräfte an Ihrer Universität und in ihren Laboratorien. Gaugler : Warum so bitter ? Sie können hier immerhin ohne Verfolgung lehren und forschen. Büchner : Wenn ich Ihr Angebot annehme. Und wenn ich keine revolutionären Flugblätter verfasse. Gaugler : Ach, Flugblätter. Ich glaube, unsere Bauern würden sie ebenso schnell bei uns abliefern wie Ihre Bauern in Hessen. Sie interessieren sich nicht sonderlich für politische Statistik, sondern vor allem für ihren Käse und ihre Milch. Solange der Markt ihnen dafür auskömmliche Preise zahlt und sie sich dafür ihren Schoppen Wein und ihre Pfeife Tabak leisten können, ist ihre Welt in Ordnung. Büchner : Warum sind Sie dann wiedergekommen ? Gaugler : Das habe ich Ihnen bereits mitgeteilt. Wir haben Hinweise, daß sich unter den Emigranten, in deren Kreisen Sie verkehren, Provokateure befinden, die selbst vor Anschlägen nicht zurückschrecken würden. Die gilt es zu verhindern, koste es, was es wolle. Warum ist es in Ihren Augen verwerflich, uns dabei zu helfen ? Büchner : Ich verkehre nicht mehr in diesen Kreisen. Sie sehen, ich habe Wichtigeres zu tun. Gaugler : Auch dies Wichtigere ist in Gefahr, wenn diese Leute zum Zuge kommen. Ein einziger gelungener Anschlag würde unsere liberale Asylpolitik augen-blicklich in Frage stellen. Büchner : Ein einziger Anschlag ? Gaugler : Unterschätzen Sie nicht die Macht der öffentlichen Meinung. Man fragt in gewissen Kreisen ohnehin immer lauter, was uns all diese Asylanten überhaupt nützen. Büchner : Sie drücken die Preise auf dem akademischen Arbeitsmarkt. Gaugler : Sie überschätzen den Stellenwert des akademischen Betriebs für unsere Wirtschaft. Selbst wenn Sie nicht mehr in diesen Kreisen verkehren, so erfahren Sie darüber immer noch mehr als wir. Büchner : Ich habe nichts zu verbergen. Sie brauchen nur meine Briefe zu lesen. Ich schreibe schließlich auch an die hiesigen Behörden. Einblendung Stimme : Werter Herr Bürgermeister ! Euer Wohlgeboren werden, wie ich hoffe, einem Fremden entschuldigen, der sich die Freiheit nimmt in einer für ihn höchst wichtigen Angelegenheit Ihre Güte in Anspruch zu nehmen. Die politischen Verhältnisse Deutschlands zwangen mich, mein Vaterland vor ungefähr anderthalb Jahren zu verlassen. Ich hatte mich der akademischen Laufbahn bestimmt und so setzte ich in Straßburg meine Studien fort in der Hoffnung, in der Schweiz meine Wünsche realisieren zu können. Wirklich hatte ich vor Kurzem die Ehre von der philosophischen Fakultät zu Zürich einmütig zum Doktor kreirt zu werden. Nach einem so günstigem Urteil konnte ich wohl hoffen, auch als Privatdozent von der Züricher Universität angenommen zu werden und im günstigsten Fall im nächsten Semester meine Vorlesungen beginnen zu können. Ich suchte daher bei den hiesigen Behörden um einen Pass nach. Diese erklärten mir jedoch, es sei ihnen durch das Ministerium des Inneren auf Ansuchen der Schweiz untersagt, einem Flüchtling einen Pass auszustellen, der nicht von den Schweizer Behörden die schriftliche Autorisation zum Aufenthalt in ihrem Bezirk vorweisen könne. In dieser Verlegenheit wende ich mich nun an Sie als die oberste Magistratsperson Zürichs mit der Bitte um Autorisation. Das beiliegende Zeugnis kann beweisen, dass ich seit der Entfernung aus meinem Vaterlande allen politischen Umtrieben fremd geblieben bin. Ich glaube daher auf die Erfüllung einer Bitte zählen zu dürfen, deren Verweigerung die Vernichtung meines ganzen Lebensplans zur Folge haben dürfte. Gaugler: Wir können diese Bitte befördern. Und wir könnten in Zukunft dafür sorgen, daß die Post aus Straßburg und Darmstadt Sie auch erreicht. Büchner : Wie wollen Sie das sicherstellen ? Haben Sie Agenten bei der hessischen Polizei ? Gaugler : Wir könnten den hessischen Behörden signalisieren, daß uns daran gelegen ist, wenn zumindest die Briefe Ihrer Braut nicht länger aufgehalten werden. Büchner : Ich dachte, die werden durch die französische und die Schweizer Post befördert ? Gaugler : Auch die französische Polizei hat ein Auge auf die Emigranten. Ihr Fräulein Braut möchte Sie vielleicht eines Tages aus Strassburg besuchen und braucht dafür einen französischen Pass und ein schweizer Visum. Büchner : Würden Sie bitte meine Braut aus dem Spiel lassen ? Gaugler : Wie Sie wollen. Aber wir sind leider umgeben von lauter Fürstentümern mit sehr hohen Schulden. Diese Herrschaften könnten eines Tages auf die Idee kommen, ihre finanziellen Probleme auf andere Weise zu lösen. Büchner : Mit der Kavallerie ? Gaugler : Um das zu verhindern, braucht es diplomatisches Fingerspitzengefühl. Auch Ihnen kann nicht daran gelegen sein, dass die Schweiz eines Tages unter französischen oder preußischen Einfluß gerät. Büchner : Gott bewahre. Gaugler : Leider können wir uns in dieser Angelegenheit nicht auf Gott allein verlassen. Sie haben anläßlich Ihrer Paßangelegenheiten am eigenen Leib erfahren, wie kompliziert die politische Lage ist. Ohne die sehr liberale Haltung unseres Herrn Ersten Bürgermeisters säßen Sie jetzt nicht hier. Büchner : Und ohne meine Enthaltsamkeit in politischen Dingen. So werde ich es auch in Zukunft halten. Gaugler : Der Herr Bürgermeister ist zugleich der Präsident unseres Polizeirates. Es liegt in seinem Ermessen, was politische Betätigung ist und was politisches Entgegen-kommen. Büchner : Wenn ich Ihre Behörde mit Informationen aus den Kreisen der Emigranten versorgen würde, fiele das also unter politisches Entgegenkommen ? Gaugler : So würden wir es ansehen. Büchner : Und der Herr Bürgermeister ebenfalls ? Gaugler : Ich kann natürlich nicht in seinem Namen sprechen, aber dem Herrn Bürger-meister ist sehr daran gelegen, daß sich keiner der Emigranten in seiner Amtszeit zu einer unbedachten Tat hinreißen läßt. Beim nächsten Mal wären wir womöglich gezwungen, den Ansinnen auf Auslieferung Folge zu leisten. Das könnte dann auch Sie betreffen, Herr Doktor Büchner. Büchner : Auch, wenn ich bereits meine Aufenthaltsgenehmigung und meine festen Anstellung an der Universität erhalten hätte ? Gaugler : Möglicherweise. Büchner : Mit einem solchen Schritt würde die Schweiz sich ihrer souveränen Rechte berauben. Gaugler : Weswegen wir es gar nicht erst so weit kommen lassen wollen. Sie sind doch ein politischer Kopf. Bedenken Sie, wieviel mehr Sie Ihrer und unserer Sache nützen könnten. Viel mehr als nur durch Theaterstücke. Büchner : Ich weiss, Sie halten nicht allzu viel vom Theater, Herr Polizeirat. Gaugler : Ich halte es lediglich für überschätzt. Sehen Sie, die Leute, die Sie mit Ihrem Danton erreichen wollten, die haben kein Geld fürs Theater. Und die, die das Geld haben, wissen ohnehin Bescheid. Warum also von der Bühne herab den Zustand der Welt beklagen ? Büchner : Meiner Erfahrung nach wissen keineswegs alle, die ins Theater gehen, über den Zustand der Welt Bescheid. Gaugler : Vielleicht nicht über die politische Welt , wohl aber über ihre eigene. Darin sind sie oft besser bewandert als die begabtesten Dramatiker. Sie machen sich keine Illusionen, auch nicht über die Macht der Kunst. Büchner : Die in deutschen Landen noch immer gefürchtet wird. Gaugler : Weil man dort das freie Wort fürchtet, ja. Aber das zeigt doch nur den bedauernswerten Anachronismus der politischen Verhältnisse. Sobald Sie sagen dürfen, was Sie wollen und sooft Sie es wollen, brauchen Sie keine andere Bühne als das Parlament und die Presse. Büchner : Dennoch hat aber selbst die Schweiz ihre Theater noch nicht abgeschafft. Gaugler : Warum sollten wir ? Auch die Demokratie braucht ab und an etwas erhebende Unterhaltung. Aber wir kommen vom Thema ab. Haben Sie sich meine Bitte gründlich überlegt ? Büchner : Das habe ich, Herr Polizeirat. Und ich halte es für angebrachter, mich auch in Zukunft von allen politischen Verbindungen fernzuhalten. Ich werde mich ganz meiner wissenschaftlichen Arbeit widmen. Gaugler : Sehr bedauerlich. Heißt das, Sie wollen das Stückeschreiben aufgeben ? Büchner : Warum sollte ich ? Gaugler : Nun, unter ganz verstehe ich : ganz und gar. Büchner : Meine Nachtstunden gehören immer noch mir. Gaugler : Sagten Sie nicht vorhin, die gehörten Ihren Fischen ? Büchner : Meinen Fischen und meinen Mördern. Gaugler : Nun, das müssen Sie selber entscheiden. Aber Sie verdienen kein Geld damit, nicht wahr ? Büchner : Warum fragen Sie ? Gaugler : Sollten Sie die von Ihnen beantragte Aufenthaltsgenehmigung der Sonderklasse erhalten, müssen Sie, wie ich bereits erwähnte, eine Kaution stellen. Büchner : Ich zähle, wie ich bereits erwähnte, auf die Unterstützung meines Vaters. Gaugler : Der allerdings nicht weiß, daß Sie noch immer über revolutionären Schriften brüten. Büchner : Werden Sie es ihm mitteilen ? Gaugler : Wir nicht. Aber vielleicht einer der hessischen Agenten, mir denen Sie nichts zu tun haben wollen. Büchner : In diesem Fall werde ich meinen Vater überzeugen können, daß mein "Woyzeck" nichts mit Revolution zu tun hat, sondern mit einem medizinischen Phänomen. Ein Fallbeispiel. Gaugler : Ein Fallbeispiel auf dem Theater ? Büchner : Auf dem anatomischen Theater. Einblendung Stimme : Sehen Sie, Herr Doktor, manchmal hat einer so en Charakter, so `ne Struktur. Aber mit der Natur ist´s was anders, sehen Sie, mit der Natur, das ist so was - Herr Doktor, haben Sie schon was von der doppelten Natur gesehen ? Wenn die Sonn am Mittag steht und es ist, als ging die Welt in Feuer auf ? Da hat schon eine fürchterliche Stimme zu mir geredt ! Gaugler : Wie Sie meinen. Aber Sie sollten sich nicht über mich lustig machen, Herr Doktor. Man trifft sich im Leben immer zwei Mal. Mindestens. Büchner : Ich bedaure, Herr Polizeirat. Denn selbst wenn ich für Ihre vermeintlich gute Sache spionieren würde, ich könnte am Morgen beim Rasieren nicht mehr in den Spiegel sehen. Und da Sie, wie Sie gestern andeuteten, ohnehin bereits über genügend Augen und Ohren in den Kreisen der Emigranten verfügen, wird von meinen unbedeutenden Mitteilungen nicht die Freiheit der Schweiz abhängen. Gaugler : Wie Sie meinen. Wenn Sie Ihre persönliche Integrität über die Interessen Ihres Gastlandes stellen, so ist das selbstverständlich Ihre Entscheidung. Schließlich leben wir in einem freien Land. Büchner : Das weiß ich zu schätzen, Herr Polizeirat. Gaugler : Das werden wir sehen. Guten Morgen, Herr Doktor. Büchner : Guten Morgen. Gauglers Schritte entfernen sich, die Tür wird geschlossen. Büchner beginnt wieder zu schreiben. Büchner : " Mein liebes Kind ! Ich zähle die Wochen bis zu unserem Wiedersehen zu Ostern an den Fingern. Es wird immer öder. So am Anfang gings : neue Umgebungen, Menschen, Verhältnisse, Beschäftigungen - aber jetzt, da ich an alles gewöhnt bin, alles mit Regelmäßigkeit vor sich geht, vergißt man sich nicht mehr. Das Beste ist, meine Phantasie ist tätig und die mechanische Tätigkeit des Präparierens läßt ihr Raum. Ich sehe dich immer so halb durch zwischen Fischschwänzen und Froschschenkeln. Ist das nicht rührender als die Geschichte von Abälard, wie sich ihm Heloise immer zwischen die Lippen und das gebet drängt ? Oh, ich werde jeden Tag poetischer, all meine Gedanken schwimmen in Spiritus. Ich träume wieder viel Nachts, mein Schlaf ist nicht mehr so schwer... Einblendung Stimme : 16. Februar 1837. Die Nacht war unruhig, der Kranke wollte mehrere Male fort, weil er wähnte, in Gefangenschaft zu geraten oder schon darin zu sein und sich ihr entziehen wollte. Den Nachmittag vibrierte der Puls nur und das Herz schlug 160 mal in der Minute. Die Ärzte gaben die Hoffnung auf. Nachdem ein heftiger Sturm von Phantasien vorüber war, sprach er mit ruhiger, feierlicher Stimme die Worte : Wir haben der Leiden nicht zu viele, wir haben ihrer zu wenig. Wir sind Tod, Staub, Asche, wie dürften wir klagen ? Musik : Robert Schumann In der Fremde. Ende 2