COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen, 31. Januar 2011, 19.30 Uhr Topjob in Teilzeit Wie sich Familie und Führungsposition vereinbaren lassen Eine Sendung von Stefanie Müller-Frank O-Ton 1 Jakob Hein Also wenn man es will, ist - glaube ich - alles organisierbar. Man muss bloß abgeben können. Man muss selber auch sein Licht unter den Scheffel stellen können. O-Ton 2 Albrecht Hempel Man muss lernen, nicht überall dabei sein zu können. O-Ton 3 Roger Lutgen Und das, was ich also sehr schnell dann gemerkt habe, dass dieser freie Tag einen Neuanlauf bedeutet. Eine neue Frische, entweder auf ein altes Problem mit einem neuen Auge draufzuschauen oder ein neues Problem sehr wach anzunehmen. Und mein Eindruck ist, dass sich die Effizienz überproportional gesteigert hat im Vergleich zur Reduzierung der Arbeitszeit. Sprecher vom Dienst Topjob in Teilzeit Atmo Kinderholzratsche Sprecher vom Dienst Wie sich Familie und Führungsposition vereinbaren lassen Von Stefanie Müller-Frank Atmo Kinderholzratsche geht über in Musik Sprecherin Albrecht Hempel ist 26 - da verspricht sein Job, richtig spannend zu werden. Der Wirtschaftsingenieur ist kürzlich zum Controller befördert worden. Und der nächste Karriereschritt steht schon an. Dann wird seine Frau schwanger. O-Ton 4a Albrecht Hempel 2002 ist unsere erste Tochter geboren worden und da stellte sich einfach die Frage: Wie kriegen wir das jetzt organisiert? Zu dem Zeitpunkt habe ich überwiegend in Berlin bzw. Potsdam gearbeitet und wir wohnten damals noch in Leipzig. Und das war für uns nicht das Modell, das wir akzeptieren konnten, dass man sagt: Ich bin fünf Tage aus dem Haus und bin dann nur ein Wochenendpapa. Vor dem Hintergrund stellte sich halt die Frage: Wie kriegen wir das hin? Sprecherin Der Wirtschaftsingenieur will nicht nur die Wochenenden mit seiner Familie verbringen, seine Frau aber auch nicht auf ihre Universitätslaufbahn in Leipzig verzichten. Und so heißt die einzige Lösung: Teilzeit. Für beide. Der Entschluss zu Hause sei schnell gefallen, erzählt Albrecht Hempel. Das Gespräch mit dem Chef dagegen - das schiebt er noch eine ganze Weile vor sich her. O-Ton 4 Albrecht Hempel Ja, es war für mich auch im ersten Moment schon eine Überlegung: Wie fange ich das Thema an, wie frage ich? Und ich habe dann schon mit einer gewissen Zurückhaltung das Thema angesprochen, weil ich nicht wusste, wie darauf reagiert wird. Ich wusste auch, dass das zu dem Zeitpunkt noch nicht völlig üblich war. Mein Modell sah dann so aus, dass ich wechselweise in den Wochen zwei und drei Tage gearbeitet habe, sprich meine Arbeitszeit auf die Hälfte reduziert habe. Tja, so hat sich das entwickelt. Sprecherin Deshalb informiert sich Albrecht Hempel auch erst einmal über die Rechtslage. Und berechnet den Termin beim Chef genau: Noch innerhalb der Fristen, in denen der Arbeitgeber informiert werden muss - aber bereits in der Schonfrist, wenn werdenden Eltern nicht mehr gekündigt werden darf. Aus Sicherheitsgründen, sagt Hempel. Er erzählt das ganz offen, obwohl sein Chef von damals mit am Konferenztisch sitzt. Der grinst. Heute. Vor acht Jahren hatte er Bauchschmerzen. O-Ton 5 Wolfgang Schnurr Ja, ich kann mich sehr gut daran erinnern. Wir hatten drei verschiedene Komponenten, die innerhalb von wenigen Tagen bei uns auf den Schreibtisch kamen. Das Erste: Wir hatten mehrere Schwangerschaften bei unseren Damen. Wir hatten zweitens mehr Arbeit, weil wir gerade gewachsen waren und Kapazitätsprobleme bekamen. Und es kam Herr Hempel dazu, der sagte: "Herr Schnurr, außerdem muss ich mich jetzt um meine Kinder kümmern, weil meine Frau promoviert gerade und ich muss da jetzt zu Hause mit zulangen. Sprecherin Wolfgang Schnurr ist heute Vorstandsvorsitzender der DKB Immo, der Immobilientochter der Deutschen Kreditbank. Überrascht hat ihn damals nicht nur die Bitte seines Mitarbeiters um Arbeitszeitreduzierung, sondern auch dessen Mut. Er selbst, erzählt der 58-Jährige, hätte sich das niemals getraut. O-Ton 6 Wolfgang Schnurr Weil ich selbst einer Generation entstamme - und ich habe drei Töchter bekommen in den Achtzigern - ich entstamme einer Generation, wo es undenkbar gewesen wäre für eine Führungskraft, den Chef überhaupt zu bitten, ein paar Tage Extraurlaub anlässlich der Geburt zu bekommen. Sprecherin Kurz vor der Geburt seiner ersten Tochter, erinnert sich Wolfgang Schnurr, sollte er mit seinem Chef auf Geschäftsreise nach Sri Lanka gehen. O-Ton 7 Wolfgang Schnurr Alle Termine waren fixiert, aber dann sagte ich, da ist jetzt der Stichtag vorgelegt und da hat er gesagt: Dann sagen Sie die Geschäftsreise ab! Das war eine erste Erfahrung, wo mal jemand aus der Führungsebene gesagt hat: Geschäft ist manchmal auch zweite Priorität. Man kann auch Dinge umlegen. Aber geprägt sind wir alle eher so, dass der Mann in die Firma geht, Karriere macht, ist pünktlich da und das Familienleben ist außerhalb disponiert und findet im beruflichen Kontext eigentlich nicht so statt. Sprecherin So trifft man noch heute in deutschen Chefetagen auf die Überzeugung, dass Karriere erst nach 18 Uhr gemacht wird. Dass ein verantwortungsvoller Job Dauerpräsenz erfordert und mit Kindererziehung nicht zu vereinbaren ist. Nur vierzehn Prozent aller Frauen in Führungspositionen arbeiten in Teilzeit, unter den männlichen Führungskräften sind es sogar nur zwei Prozent. Musik Sprecherin Auch für Führungskräfte gilt der gesetzlich festgelegte Anspruch auf Teilzeit. Ein Arbeitgeber, der diesem Wunsch nach Reduzierung der Arbeitszeit nicht nachkommen will, muss genau darlegen, warum das für speziell diesen Job oder Aufgabenbereich nicht organisierbar sein soll. Die reine Behauptung, eine Führungsposition sei grundsätzlich nicht teilbar, reicht juristisch nicht - so weit verbreitet diese Überzeugung unter Chefs auch ist. O-Ton 8a Martin Hensche Da muss der Arbeitgeber mehr an betrieblichen Organisationskonzepten, an Argumenten bringen. (Stimme oben) Sprecherin erklärt der Rechtsanwalt Martin Hensche. O-Ton 8b Martin Hensche Und ich würde den Arbeitgebern raten, dem Teilzeitbegehren stattzugeben und es irgendwie möglich zu machen. Und sich klarzumachen, dass man im Prinzip dann ja auch jemanden hat, wo man sagen kann: Jetzt haben wir auch mal was bei dir gut. (lacht kurz) Sprecherin Wer sein Arbeitspensum in der Elternzeit reduzieren will, ist laut Gesetz besonders geschützt. Im Dezember 2009 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass der Arbeitgeber ein Teilzeitbegehren nur dann verweigern kann, wenn dem sogenannte "dringende betriebliche Gründe" entgegenstehen. Die Leiterin der Controlling- Abteilung einer internationalen Immobiliengesellschaft hatte geklagt: Sie wollte schon während der Elternzeit wieder zurück auf ihren Posten - mit fünfzig Prozent. Dieser Job ließe sich aber nicht in Teilzeit ausüben, argumentierte der Arbeitgeber, weil eine Führungskraft auf dieser Ebene nicht ersetzbar sei. Also von Montag bis Freitag voll im Büro anwesend sein müsse. Jedoch während des Mutterschutzes und in den Monaten danach hatte ihr Vorgesetzter sie vertreten und die Aufgaben unter den Kollegen verteilt. Es sei also machbar, urteilte das Bundesarbeitsgericht - und der organisatorische Mehraufwand für das Unternehmen zumutbar. O-Ton 9 Martin Hensche Fazit aus dieser Entscheidung ist jedenfalls erst einmal, dass die bloße Behauptung der Unteilbarkeit einer Führungsstelle nicht ausreichend ist, um der Führungskraft zu sagen, sie hätte kein Anrecht auf Teilzeit in der Elternzeit. Sprecherin Das Bundesarbeitsgericht leugnet also keineswegs, dass es für Unternehmen anstrengend und mühsam sein kann, die Arbeitsabläufe so umzuorganisieren, dass der Führungsjob auch in Teilzeit zu bewältigen ist. Aber da nimmt das Gericht den Arbeitgeber in die Pflicht, meint der Jurist Martin Hensche. O-Ton 10 Martin Hensche Letztendlich wegen der gesellschaftspolitischen Bedeutung einer Teilzeittätigkeit - gerade in den sehr sensiblen Monaten, wenn Kinder in den Windeln sind. Was soll man denn machen, wenn man sich um die Kinder nicht kümmert? Wer soll es denn sonst machen? Und umgekehrt: Einfach nur zwölf Monate weg zu sein, ist natürlich für eine Führungskraft auch ein Problem. Man ist dann auch lange weg und da ist es auch gerade für weibliche Führungskräfte wichtig, den Fuß in der Tür zu behalten. Sprecherin Nach den zwölf Monaten Elternzeit wird es allerdings schwierig, seinen Anspruch auf Teilzeit durchzusetzen. Laut Gesetz muss der Arbeitgeber dann nur noch "betriebliche Gründe" geltend machen, die gegen den Teilzeitwunsch sprechen - nicht mehr "dringende betriebliche Gründe". Diese Rechtslage ist doppelt absurd: Was dem Arbeitgeber in der Elternzeit zugemutet - und zugetraut - wird: Nämlich, dass er einer Führungskraft ermöglicht, in Teilzeit zu arbeiten, soll danach nicht mehr machbar sein. Die Eltern bringt das in eine Zwangslage: Entweder wieder Vollzeit arbeiten und das 14 Monate alte Kind den ganzen Tag weggeben -wenn denn ein Kitaplatz frei ist - oder auf den Führungsjob verzichten. Spätestens hier kapitulieren viele Frauen und geben ihre Karriere auf. Musik Sprecherin Frauen stellen heute die Mehrheit unter Akademikern. Unternehmen werden es sich angesichts des drohenden Fachkräftemangels gar nicht mehr leisten können, auf sie zu verzichten - und auch nicht auf all jene Männer, die ihre Kinder nicht nur abends zu Bett bringen wollen. Firmen, die das erkannt haben, experimentieren mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, mit Heimarbeit oder Job-Sharing - auch für ihre Führungskräfte, und ausdrücklich auch für Männer. Die Berliner Charité hat 2009 sogar einen Väterbeauftragten ernannt, der in solchen Fällen vermitteln soll. Denn natürlich, so der Oberarzt Jakob Hein, macht jedem Chef der Wunsch eines Mitarbeiters nach Teilzeit oder Elternzeit erst einmal Umstände. O-Ton 11 Jakob Hein Insofern ist es immer so, das ne Uni als großer Durchlauferhitzer immer auch mit Flexibilität reagieren und rechnen muss. Und insofern kommt natürlich nicht der Chef und sagt zu einem: Du sag mal, du kriegst doch ein Kind, würdest du nicht gerne mal zwei oder fünf Monate frei machen? Aber wenn man fragt, dann ist diese Flexibilität natürlich immer möglich, bei einem großen Arbeitgeber mit vielen Tausend Beschäftigten ist Flexibilität möglich. Mann muss sie aber auch einfordern. Die wird einem nicht aufgedrängt. Das wäre ja auch irgendwo bedauerlich, wenn plötzlich der Arbeitgeber kommt und sagt: Du weißt du, was mich wirklich freuen würde: Wenn du mal fünf Monate wegbleiben würdest. Man muss sich das schon nehmen. Sprecherin Aber als Arzt fährt man ja auch zu Kongressen, ist wegen Nachtdiensten tagsüber oft nicht im Haus, hat Urlaub oder macht mal ein Auslandssemester. Da, meint Jakob Hein, ist der Arbeitgeber ja auch gezwungen, flexibel zu reagieren. Letztlich sei fast jeder Job zumindest mit 80 Prozent - also einer vollzeitnahen Teilzeit - machbar, davon ist der Oberarzt und ehrenamtliche Väterbeauftragte überzeugt. O-Ton 12 Jakob Hein Also wenn man es will, ist - glaube ich - alles organisierbar. Man muss bloß abgeben können. Man muss auch sein Licht etwas unter den Scheffel stellen können. Das heißt, man muss jetzt eben auch sagen: Ich vertraue der Entscheidung desjenigen, den ich damit betraut habe, die Entscheidung für mich zu treffen und wenn man das kann, ist das natürlich auch organisierbar. Sprecherin Am schwierigsten ist es, findet auch der Wirtschaftsingenieur Albrecht Hempel, nicht überall dabei sein zu können. Dass man auch mal auf ein Meeting verzichten muss. Und damit klarzukommen, dass da vielleicht Informationen ausgetauscht werden, die nicht im Protokoll stehen. O-Ton 13 Albrecht Hempel Klar, solche Befürchtungen hatte ich auch. Dass man sich fragt: Was passiert dann? Bleibt man außen vor bei gewissen Themen? Wird man nicht mehr eingebunden? Das sind ja die üblichen Fragen, die sich dort stellen können. Aber letztendlich ist das auch eine Entscheidung, die kann man jemand anders nicht abnehmen. Sprecherin Als seine Tochter zur Welt kam, ging Albrecht Hempel in Teilzeit. Er arbeitete abwechselnd zwei bzw. drei Tage die Woche in Potsdam oder Berlin und war den Rest der Woche in Leipzig, um die Tochter wickeln oder den Abwasch machen zu können. Er stand zu seiner Entscheidung, trotzdem ist es ihm jede Woche wieder schwer gefallen, das Büro zu verlassen. O-Ton 14 Albrecht Hempel Also als erstes musste man sich natürlich schon auch selbst mit dieser Konstellation auseinandersetzen, dass man Dienstag oder Mittwoch das Büro verlässt und - in Gedanken, nicht offen - sagt: Schönes Wochenende! Weil man dann erstmal nicht im Büro war. Obwohl ich das immer so versucht habe zu organisieren, dass sozusagen in den Zeiten, in denen man nicht arbeitet, trotzdem die Erreichbarkeit organisiert ist. Also dass man seine Mitarbeiter nicht im Regen stehen lässt, sondern einfach sagt: Wenn irgendwas ist für gewisse Fälle, die man natürlich auch genau aushandeln muss, was sind das für Fälle, das man auch dann zur Verfügung steht oder zumindest erreichbar ist, um Themen abzustimmen. Sprecherin Albrecht Hempel musste viel Mut aufbringen, um seinen Chef nach einer Teilzeitlösung zu fragen. Ohne dessen Unterstützung und die generelle Akzeptanz im Unternehmen, meint der 35-Jährige, hätte ihm der gesetzliche Anspruch wenig geholfen. Wolfgang Schnurr ließ sich - auch aus Neugier - auf das Experiment ein. Und war überrascht vom Ergebnis. O-Ton 18 Wolfgang Schnurr Die erstaunliche Erfahrung nach einem Jahr war, dass die Arbeitsmoral unglaublich gestiegen ist. Weil die Mitarbeiter plötzlich genötigt sind, sich mit ihren Kollegen über ihre privaten Dinge auszutauschen, um sich abzustimmen über die Arbeitszeiten. Und das schafft eine andere Unternehmenskultur, weil die Leute sich anders vernetzen und sich auch identifizieren mit den Problemen der anderen. Sprecherin Heute nutzen nach Angaben der DKB Immo vier von 36 Führungskräften sogenannte "Teilzeit- und Heimarbeitsmodelle". Macht immerhin elf Prozent. Musik/Telefon Sprecherin Bei der Telekom sind es gerade mal zwei Prozent der Führungskräfte, die in Teilzeit arbeiten. In Deutschland. In den Niederlanden: Unvorstellbare 25 Prozent. Wie kann das sein? O-Ton 20 Sabine Bothe Das, was Sie jetzt gerade als unvorstellbar bezeichnen, das sehen unsere niederländischen Kollegen genau anders herum: Für die ist es unvorstellbar, dass es Teilzeit im Management bei uns so gut wie noch gar nicht gibt. Denn dort ist es absolut selbstverständlich: 25% des Managements arbeiten in Teilzeit. Es ist dort einfach in allen Jobs möglich. Sprecherin Sabine Bothe hat sich die Jobs genau angesehen: Weniger Arbeit haben die Führungskräfte in den Niederlanden nicht. Sabine Bothe ist Diversity Managerin bei der Telekom und würde das niederländische Modell gerne auch Kollegen in den Nachbarländern ermöglichen. Niederländisches Modell, das heißt: An vier statt an fünf Tagen zu arbeiten. Das ist weit verbreitet - auch bei Männern. O-Ton 21 Sabine Bothe Was in den Niederlanden sehr spannend ist: Dass es dort nicht Frauensache ist, in Teilzeit zurückzukommen. Sondern die Männer ziehen mit, beantragen genauso Teilzeit und man teilt sich das Ganze. Sprecherin Oft kommen nach der Geburt beide Eltern in Teilzeit zurück, damit jeder einen Tag zu Hause sein kann und das Kind nur an drei Tagen in der Woche fremdbetreut werden muss. Rein gesetzlich wäre das auch in Deutschland möglich. O-Ton 22 Sabine Bothe Also ich finde es immer ganz spannend, dass die niederländischen Kollegen als erstes sagen: Ja, wir haben ja einen gesetzlichen Anspruch auf Teilzeit. Wenn man sich den aber anschaut, dann haben wir sowohl in Deutschland als auch in Österreich und in vielen anderen Ländern genau den gleichen Anspruch - er wird nur nicht genutzt. Das heißt, die Gründe müssen tiefer liegen. Sprecherin Und? Was vermutet sie? O-Ton 23 Sabine Bothe Ich glaube das Problem ist weniger, dass es abgelehnt wird, wenn der Wunsch da ist. Ich glaube eher, im Moment wird der Wunsch in Deutschland noch zu wenig überhaupt geäußert. Weil es einfach über lange Jahre nicht salonfähig war. Sprecherin Um das zu ändern, hat die Telekom jetzt eine Richtlinie für das obere Management ausgegeben, die signalisieren soll: In jeder Position ist die Vier-Tage-Woche denkbar. Wir wollen oben anfangen, um Vorbilder zu schaffen, sagt Sabine Bothe. Damit das Unternehmen zukunftsfähig bleibt. - Damit man sich auch in Zukunft die besten Leute sichert, so formuliert es der Oberarzt Jakob Hein. O-Ton 24 Jakob Hein Ja. Es gibt eben einen Markt besonders hochqualifizierter Arbeitnehmer, der ist sehr dünn. Und da gibt es eben eine Toolbox, mit der man wirbt. Da gibt es eben dann den Firmenwagen, Hilfe bei der Wohnraumbeschaffung und ein üppiges Gehalt. Aber die Personalchefs erleben zunehmend, dass die Väter, die Männer, die man da will, gerade im Wirtschaftsbereich fragen: Was ist, wenn ich Familie gründe? Wie kann ich da meine Vaterrolle wahrnehmen? Musik/Motorrad Sprecherin Auch das Energieunternehmen Windwärts ermöglicht es seinen Führungskräften, in Teilzeit zu arbeiten. Über 25 Prozent nutzen das - genauso viele Männer wie Frauen. Als sich 2003 allerdings einer der vier Geschäftsführer zu einer Vier-Tage- Woche entschloss, gab es anfangs dann doch Bedenken. Ein Chef in Teilzeit? Die Angestellten waren irritiert. Für Roger Lutgen aber stand nach einem halben Jahr Bedenkzeit fest, dass er einen freien Tag pro Woche braucht. Nicht für die Familie - der gebürtige Luxemburger lebt alleine - sondern, um mal abzuschalten und den Kopf frei zu bekommen. Am liebsten steigt er dafür mittwochs auf sein Motorrad. Und kommt donnerstags mit einer neuen Idee zurück ins Büro. O-Ton 25 Roger Lutgen Mittwochs ist mein freier Tag. Der interessante Effekt ist: Es kommt mir vor, als wenn ich doppelt so viele Wochenenden im Jahr hätte, die haben sich quasi von 52 auf 104 erhöht. Ich fühle mich montags wie Anfang der Woche und dienstags schon wieder wie Ende der Woche. Mittwoch frei. Donnerstag Anfang, Freitag Ende. Das ist ein Takt, der so eine höhere Frequenz hat, dass insgesamt die Effizienz in meinen Augen deutlich gestiegen ist. Sprecherin Was sicher auch an Lutgens Führungsstil liegt: Er habe nicht den Anspruch, über alles informiert zu werden, sagt der 49-Jährige. Was er an seinem freien Tag Entscheidendes verpasst hat, das klärt der Geschäftsführer donnerstagmorgens mit EINER Frage. Und mit Humor: O-Ton 26 Roger Lutgen Indem ich in mein Zimmer reinkomme - da sitzen zwei weitere Mitarbeiter - und frage: Und, ist eine Windmühle umgefallen? (lacht) Das ist quasi der Auftakt, was ist Neues gewesen? Sprecherin Nicht nur seine Kollegen, sondern auch die Kunden haben sich längst daran gewöhnt. Aber was, wenn doch mal gerade mittwochs eine Windmühle umfallen sollte? Roger Lutgen wird wieder ernst und hält kurz inne. O-Ton 27 Roger Lutgen Also ich glaube, dass die Situationen, wo wirklich innerhalb von wenigen Stunden brisante Entscheidungen zu treffen sind, dass die wirklich hypothetischer Art sind. Die Wirtschaft funktioniert anders. Also auch in Katastrophenfällen, in Unfallsituationen gibt es eine Abfolge von Handlungen. Sprecherin Eine bestimmte Handlungsabfolge, davon ist Roger Lutgen überzeugt, die nicht von einer einzelnen Person abhängt. Dafür hat Lutgen auch selbst gesorgt, indem er mehr und mehr Aufgaben an seine Mitarbeiter delegiert hat. Generell gilt für das Management, meint der Geschäftsführer: O-Ton 28 Roger Lutgen Der Erfolg eines Unternehmens hängt nicht davon ab, wie viel Stunden im Jahr gearbeitet werden. Sondern er hängt in großem Maße davon ab, die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt zu treffen und diese mit viel Energie und Motivation umzusetzen. Sprecherin Nach oben hin sind die Arbeitszeiten in Deutschland unbegrenzt: 60 Prozent aller Führungskräfte arbeiten laut einer Studie des Deutschen Führungskräfteverbandes mehr als 50 Stunden die Woche - 15 Prozent sogar mehr als 60 Stunden. Das bedeutet einen Arbeitstag von mindestens neun Uhr morgens bis neun Uhr abends. Wer schon um fünf das Büro verlässt, um sein Kind von der Kita abzuholen, der kann keine Karriere machen wollen. Ja: Wer um fünf geht, so wird unter Anwälten oder Unternehmensberatern gerne gewitzelt, der macht doch den halben Tag frei. Wer in Schweden dagegen nach fünf noch im Büro sitzt, ist bei Chefs und Kollegen nicht besonders hoch angesehen: Man hält ihn nämlich für schlecht organisiert und unfähig, Prioritäten zu setzen. Musik Sprecherin Teilzeit ist also letztlich eine Glaubensfrage. Knapp 40 Prozent der Führungskräfte hierzulande würde gern ihre Stundenzahl reduzieren und in Teilzeit arbeiten, so hat es eine Befragung des Verbands "Die Führungskräfte" ergeben. Dafür muss in deutschen Firmen aber erstmal die sogenannte Präsenzkultur verabschiedet werden, glaubt der Rechtsanwalt Martin Hensche. O-Ton 30 Martin Hensche Für mich ist das wirklich was Wichtiges - auch gesellschaftspolitisch wichtig - wie man Arbeitszeit umverteilt. Da gibt es einen großen Spielraum, der auch gar nicht wirtschaftlich so begrenzt ist wie viele andere Dinge. Hier gibt es aber nicht solche unmittelbaren finanziellen Restriktionen, sondern es ist einfach eine Frage, wie man miteinander umgeht. Und ob man vielleicht phantasievoll betriebliche Abläufe anders organisiert als sie bisher organisiert waren und warum da immer schon die Gesetzeslage das Äußerste der Arbeitgeberseite zumutbare Maximum sein soll, das verstehe ich nicht. Sprecherin Auch der Vorstandsvorsitzende Wolfgang Schnurr kann sich keine Position vorstellen, für die eine reduzierte Arbeitszeit nicht zu organisieren wäre. Samt seiner eigenen. O-Ton 31 Wolfgang Schnurr Also in Teilzeit kann man eigentlich alles umsetzen, da gibt es eigentlich kein Limit. Nur muss man dann das Aufgabenportfolio des Mitarbeiters so definieren, dass es in der Zeit schaffbar ist. Sprecherin Dass sich auch zehn Jahre nach Inkrafttreten des "Teilzeit-Gesetzes" flexiblere Arbeitsmodelle unter deutschen Führungskräften nicht durchsetzen, hat aber noch andere Gründe: Man verzichtet ja mit reduzierter Stundenzahl auch auf einen Teil seines Einkommens. Das muss man sich erst einmal leisten können. Zudem privilegiert das deutsche Steuersystem auch noch den klassischen Einverdienerhaushalt. Das sogenannte Ehegattensplitting rechnet sich erst so richtig, wenn einer der Partner mehr als Vollzeit arbeitet und der andere zu Hause bleibt bzw. etwas Geld hinzu verdient. Deshalb wird Teilzeit in Deutschland gerne als Frauenthema abgetan. Und auch nicht als begrenzte Phase verstanden, nach der man wieder auf Vollzeit aufstockt. Was daran liegt, dass viele Frauen in Führungspositionen nach dem ersten Kind - wenn überhaupt - nur noch in Teilzeit in den Beruf zurückkehren. Musik Sprecherin Ein Großteil der männlichen Führungskräfte fürchtet nicht nur einen Ansehensverlust, sondern auch, dass sich eine reduzierte Arbeitszeit negativ auf ihr berufliches Fortkommen auswirken könnte. Nicht unbegründet, meint der Oberarzt Jakob Hein. Will ein Mann weniger arbeiten, wird das nämlich oft als Illoyalität dem Unternehmen gegenüber missverstanden. Deshalb verlangt es Männern viel Mut ab, in Teilzeit zu gehen. O-Ton 32 Jakob Hein Natürlich schadet es der Karriere. (zögert) Also ich denke, das ist etwas, das Frauen schon ganz lange kennen. Also wenn Frauen sich für ein Kind entscheiden, dann müssen die da schon in einen ganz sauren Apfel teilweise beißen. Die Männer haben das Thema bisher vermieden. Obwohl auch Männer teilweise Familie haben. Und insofern das alte Modell: Meine Frau hat ein Kind und ich mache Karriere eigentlich gar nicht mehr hinhaut. Sprecherin Ob Mann oder Frau - letztlich gilt die Faustregel: Wer 20 Prozent weniger arbeitet, wird auch 20 Prozent langsamer Karriere machen. Sprich: Erst in fünf Jahren auf den nächsten Posten aufsteigen, statt schon in vier Jahren. Albrecht Hempel ist da ein Gegenbeispiel: Er arbeitete fast fünf Jahre in Teilzeit und wurde in dieser Zeit zweimal befördert - bis in die Geschäftsleitung der Regionalgesellschaften. Sein Mut hat sich ausgezahlt: Er hat ein enges Verhältnis zu seinen drei Töchtern, seine Frau konnte ihre beruflichen Ziele umsetzen und die Familie zusammenbleiben. Auch wenn es zwischendurch ein ganz schönes Jonglieren war, sagt Albrecht Hempel, würde er heute alles wieder so machen. Auch Jakob Heins Arztkarriere haben die fünf Monate Elternzeit nicht geschadet - was vorher nicht abzusehen war. Aber das Risiko muss man eingehen, findet er. O-Ton 33 Jakob Hein Es ist schon so, dass die wenigsten am Ende ihres Lebens gedacht haben: Mensch, hätte ich doch ein bisschen mehr Zeit meinem Chef gewidmet. Der war zwar immer schlecht gelaunt und hatte sehr komische, altmodische Meinungen - aber gut, dass ich nicht so viel mit meinen Kindern gespielt habe, sondern lieber probiert habe, meinem Chef zu gefallen. Sprecherin Es spricht so vieles dafür, dass beide Elternteile in Teilzeit gehen können - ohne damit auf ihre Karriere verzichten zu müssen: Kindererziehung und Haushaltspflichten ließen sich zur Zufriedenheit beider aufteilen. Es blieben mehr Frauen im Beruf. Männer hätten Zeit, auch mal etwas anderes als ein Fachbuch zu lesen. Und vielleicht würde nicht nur die Geburtenrate steigen - sondern auch die Scheidungsrate sinken. Gegen dieses Modell spricht letztlich nur die Gewohnheit: So wurde es schon immer gemacht, also bleiben wir dabei. Ein Argument, sagt Jakob Hein, das meist von jener Generation von Führungskräften vorgebracht wird, die ihrem Job die absolute Priorität eingeräumt haben. O-Ton 34 Jakob Hein Die haben in einer anderen Zeit ihre Familien gegründet und haben ein Modell gelebt, das auch ganz schön hart gegen die eigene Psyche und das eigene Wohlbefinden ist. Also ich würde es sehr bedauern, wenn ich meinen Kindern nicht so nahe stehen könnte, wie ich ihnen jetzt stehe. Das wäre für mich ein großer Verlust. Wenn ich diesen emotionalen Verlust aber auf mich genommen habe und das versuche zu verdrängen, indem ich mir sage: Ich habe aber unheimlich Karriere gemacht und ein Riesenauto und meine Sekretärin ist toll im Bett - dann habe ich natürlich aber besonders wenig Verständnis für jemanden, der das anders machen will, weil ich ja damit auch meine eigene Entscheidung hinterfrage oder mir dann auch von dem anderen zeigen lasse: Was du gemacht hast, ist falsch. Ich mach es anders. Sprecherin Der Vorstandsvorsitzende Wolfgang Schnurr gehört zu dieser Generation von Führungskräften. Er ist Jahrgang`52, also heute 58 Jahre alt. Trotzdem hat er sich auf das Experiment Teilzeit, und vor allem auf den Wunsch seines Mitarbeiters eingelassen. Nachdem der den Mut hatte, ihn zu fragen. O-Ton 35 Wolfgang Schnurr Ich bin sehr neidisch, ich hätte mir das auch gegönnt. Rückblickend denke ich, man hätte das vielleicht auch schneller, intensiver machen können, aber es braucht Zeit in den Köpfen, um zu wachsen. Und ich würde den Leuten immer mitgeben: Wenn Sie es wollen, gucken Sie sich die Firmenkultur, Ihren Chef an, was kann man ihm zumuten und wie kann man ihn überzeugen und lassen Sie ihm Zeit, mitzuwachsen. Musik, darauf Absage Spr. vom Dienst Topjob in Teilzeit Wie sich Familie und Führungsposition vereinbaren lassen Ein Feature von Stefanie Müller-Frank Es sprach: Nadja Schulz-Berlinghoff Ton: Alexander Brennecke Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2011 1