COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel am 14.05.2011 Stolpern statt fliegen - Das Warten auf den Aufstieg von Rasenball Leipzig Autorin: Alexandra Gerlach Redaktion: Johannes Ostermann Zuspielung Atmo Fotoklicken dann O-Ton Enrico Bach, Pressesprecher TB Leipzig Ja, schönen guten Tag zusammen, zu dieser Pressekonferenz, wir freuen uns sehr, dass Sie unserer Einladung so zahlreich gefolgt sind. Unser Anlass ist ein besonderer, wir möchten Ihnen heute unseren neuen Cheftrainer Peter Pacult vorstellen, den ich sehr herzlich hier neben mir auf dem Podium und in unserer Stadt Leipzig begrüße.... Leipzig am Donnerstag, den 5. Mai. Enrico Bach, seit wenigen Wochen Pressesprecher bei Regionalligist Rasenballsport Leipzig e. V. - kurz RB Leipzig - hat turbulente Tage hinter sich. Die Personalie "Cheftrainer" hat seinen Terminplan durcheinander gewirbelt. Am Tag zuvor waren Spekulationen über die Nachfolge des noch amtierenden Cheftrainers Thomas Oral ins Kraut geschossen, Interviewtermine geplatzt, Gerüchte kollabiert. Nun endlich Klarheit. Der österreichische Meistertrainer Peter Pacult kommt doch nach Leipzig - er soll den Weg zum Aufstieg in die dritte Liga ebnen. Doch zunächst muss RB-Geschäftsführer Dr. Dieter Gudel noch einen überraschenden und auch tief greifenden Abgang aus dem ungewöhnlichen Leipziger Newcomer-Verein verkünden. Der Sportdirektor, die wohl zweitwichtigste Position im Kader, hat das Handtuch geworfen: O-Ton Dr. Dieter Gudel, Geschäftsführer RB Leipzig e.V. Gestern Mittag hat Thomas Linke mich darüber informiert, dass er mit sofortiger Wirkung von seinem Amt als Sportdirektor, das er knapp 70 Tage inne hatte zurücktritt. Über die Gründe und wie wir es dann im Detail gemacht haben, möchten wir uns auch nicht weiter äußern. Wir haben gestern Abend die Ära Thomas Linke bei RB Leipzig auch abgeschlossen. Der frühere Bundesligaprofi Thomas Linke war nur zehn Wochen im Amt. Er galt als Hoffnungsträger in einer verkorksten Saison, die eigentlich den Aufstieg aus der ungeliebten und Kräfte zehrenden Regionalliga bringen sollte. Vor seinem Einsatz in Leipzig hatte der 41- Jährige als stellvertretender Sportdirektor bei RB Salzburg wichtige Erfahrungen gesammelt. Linke kann auf beachtliche sportliche Erfolge zurückschauen. Unter Giovanni Trappatoni holte er 2007 den ersten österreichischen Meistertitel für RB Salzburg. Seine Bundesliga-Karriere hatte bei Schalke 04 begonnen, jahrelang war er dann bei Rekordmeister Bayern München unter Vertrag. Mit den Bayern gewann Linke fünf deutsche Meistertitel, die Champions League und den Weltpokal 2001. Linke ist ein Mann mit Prinzipien. Die Entscheidung für den neuen Cheftrainer des RB Leipzig kann und will er offenbar nicht mittragen. In einer Presseerklärung des Vereins heißt es, Linke habe seinen Rücktritt aus "persönlichen Gründen" angeboten. Das ist eine kaum verbrämte Klausel für die Ablehnung der fast zeitgleich beschlossenen Neubesetzung des Cheftrainerpostens. Doch Geschäftsführer Dieter Gudel will an diesem Tag keine Analyse des Debakels im Personalkarrussel zulassen. Eine weitere offene Flanke kann er nicht gebrauchen: O-Ton Dr. Dieter Gudel, Geschäftsführer RB Leipzig Soviel zum Thema Vergangenes. Weiteres möchten wir zum Thema Vergangenheit auch gar nicht mehr kommunizieren, sondern wir möchten jetzt den Blick wieder positiv in die Zukunft richten. Die Zukunft sitzt an diesem Donnerstagmittag links neben ihm, der österreichische Meistertrainer und Europa-League-Teilnehmer Peter Pacult. Dem Wiener Urgestein eilt nicht nur unter Journalisten ein ruppiger Ruf voraus, den er offenbar an diesem Tag widerlegen möchte. Er ist sehr gesprächig, jovial und bittet um Fairness bei der Berichterstattung. Vorsichtig baut er eine kleine Brücke: O-Ton Peter Pacult Das Erste, was ich sagen möchte, dass ich ein bisschen aufpasse wegen meinem Dialekt. Wenn`s nicht verständlich ist, dann bitte fragen, dann drehe ich halt die Wörter ein wenig um, das war zu meiner Dynamo Dresden Zeit genau dasselbe. Ich möchte weiterhin so bleiben und auch von der Sprache her, wie ich mich am besten artikulieren kann und ich denke, da fahre ich immer den besten Weg. Der 51-jährige Pacult hat eine beachtliche Profi-Karriere hinter sich. Als Stürmer war der 24-fache Nationalspieler für mehrere österreichische Vereine, aber auch für den Erstligisten 1860 München aktiv. Seit 1996, also seit gut 15 Jahren, läuft seine zweite Karriere als Trainer. Knapp fünf Jahre davon, von September 2006 bis April 2011 war er Cheftrainer des österreichischen Rekordmeisters Rapid Wien. Mit ihm wurde Pacult 2008 Österreichischer Meister, führte die Mannschaft kurz darauf gleich zweimal in die Europa League. Dann der Eklat im April dieses Jahres: Rapid Wien setzt Trainer Pacult trotz des noch laufenden Vertrages wegen "massiven Vertrauensbruchs" den Stuhl vor die Tür. Pacult bestreitet, dass er diesen neuen Zwei-Jahres-Vertrag vor seiner Entlassung bei Rapid Wien mit den Leipzigern verhandelt hat: O-Ton Peter Pacult Ja, ich bin eigentlich sehr froh, dass ich nach diesem überraschenden Rausschmiss von Rapid Wien dieses Angebot von Red Bull bekommen habe, muss ein bisschen aufpassen, ich muss jetzt sagen von RB, da tue ich mich natürlich ein bisschen schwer, und habe dann in den Gesprächen gemerkt, dass ich hier etwas bewegen kann. Pacult kennt sich aus im Ostfußball. Schließlich hat er vor seinem Wiener Engagement in den Jahren 2005 und 2006 den ostdeutschen Kultverein Dynamo Dresden trainiert. Den Abstieg der Elbestädter aus der 2. Bundesliga konnte er jedoch nicht aufhalten. In dieser Zeit hat er wertvolle Einblicke auch in die Regionalliga erhalten. Die neue Aufgabe, den Regionalligisten RB Leipzig zu führen, sei kein Abstieg, beteuert Pacult, denn: O-Ton Peter Pacult Man muss sich neuen Aufgaben stellen. Ich denke, ich habe bei Rapid meine Aufgabe als sportlicher Leiter erfüllt und jetzt kommt eine Aufgabe, die mich unheimlich reizt, auch wenn man natürlich sagt, was macht ein Trainer, der österreichischer Meister geworden ist und European League gespielt hat, zweimal, was macht der in der vierten Liga. Nein, gerade da liegt für mich dieser sportliche Reiz, dieses Projekt weiter zu führen und ich hoffe, dass mir das mit meinem Trainerstab, wie gesagt, dieses Projekt, was Red Bull sich allein gesetzt hat ist für einen Trainer schon eine sehr, sehr reizvolle Aufgabe. Das Projekt in Leipzig ist ehrgeizig. Mit dem Einstieg des österreichischen Multimillionärs Dietrich Mateschitz in den SSV Markranstädt, im Sommer 2009, hat eine neue Zeitrechnung in der Leipziger Fußballwelt begonnen. Schon seit 2006 hatte es immer wieder Gerüchte gegeben, dass der österreichische Hersteller der geheimnisumwitterten, belebenden Brause den Einstieg in den deutschen Fußball plane, doch in Sachsen hatte dies zunächst keiner ernst genommen. Ein erster Anlauf beim Leipziger Traditionsverein FC Sachsen Leipzig schlug fehl, Mateschitz scheiterte unter anderem an dem Veto der Club-Mitglieder, die eine Kommerzialisierung ihres Fußballs-Vereins ablehnten. Zudem erwiesen sich Statuten des DFB als hinderlich, so dass Red Bull-Gründer Mateschitz nach neuen Wegen suchen musste. Die fand er im Stadion am Bad, in Markranstädt, wenige Kilometer südwestlich von Leipzig. Ein kleiner Verein, der zu DDR-Zeiten immer wieder Nachwuchstalente für den Fußball hervorbrachte. Hier schlägt im Frühsommer 2009 unter großer medialer Anteilnahme die Geburtsstunde des Retortenvereins Rasenballsport Leipzig e.V., wie ein Reporter des Mitteldeutschen Rundfunks berichtet: O-Ton TV-Reportage 2009 aus Markranstädt Das hat Markranstädt noch nicht erlebt, ein Medienrummel wie beim Trainingsauftakt des FC Bayern München. Doch beim neuen Rasenballsport, kurz RB Leipzig, geht es nicht um die Champions League, zumindest noch nicht. Denn Red Bull hat Großes vor mit dem Leipziger Vorstadtverein, 100 Millionen Euro will der Brausehersteller angeblich in den nächsten Jahren investieren. Das Ziel - ein Fußballmärchen Ost soll Wirklichkeit werden: Das Salzburger Unternehmen will den Fünftligisten aus Markranstädt innerhalb von 8 bis 10 Jahren in die Fußball-Bundesliga führen. Markus Egger, 2009 erster Sportdirektor des neuen Clubs: O-Ton Markus Egger Kurzfristig Aufstieg, langfristig kontinuierliches Entwickeln nach oben bis Bundesliga und was immer es darüber noch gibt. Die österreichische Liga sei zu schwach, um international und vor allem in der finanziell hochlukrativen Champions League mitspielen zu können, gibt Dietrich Mateschitz 2009 in einem seiner seltenen Interviews zu Protokoll. Der Einstieg in die deutschen Fußballszene soll Türen in neue Dimensionen öffnen. Mateschitz will sich global aufstellen mit drei eigenen Clubs, in Salzburg, New York und Rasenball Leipzig in Markranstädt. Den Namen des österreichischen Unternehmens darf der sächsische Retortenverein allerdings nicht tragen, das verbieten die rigiden Regeln des Deutschen Fußballbundes. In Deutschland dürfen allein die Clubs von Wacker Burghausen, Carl Zeiss Jena und Bayer Leverkusen ihre Vereins- und Produktnahmen so eng verbinden. Die Gründung des neuen Clubs, den seine Leipziger Rivalen abschätzig als "Krösus- Verein" bezeichnen, ist für die beiden etablierten, traditionsreichen aber erfolglosen Leipziger Vereine "FC Sachsen Leipzig 1990" und den "1. FC Lokomotive Leipzig" eine große Herausforderung. Der damalige Lok-Leipzig Präsident Steffen Kubald kritisiert im Sommer 2009 die massive Kommerzialisierung des Fußballsports in Leipzig durch den finanzstarken Neuzugang: O-Ton Steffen Kubald, Präsident von Lok Leipzig, Einschätzung 2009 Ja, das hat schon damit zu tun, dass man die Tradition von anderen Vereinen kaputt macht durch das viele Geld, indem man eben alles kauft und es keine Tradition gibt. Es ist ein Retortenverein, der dort auch keine Mitglieder zulässt, sondern es wird alles von Red Bull bestimmt und das ist manchen bestimmt ein Dorn im Auge. Im Moment bedeutet das gar nichts für uns, wir werden deswegen nicht den Kopf in den Sand stecken, wir werden einfach weiter machen und sehen, wie sich die Sache entwickelt. Lok Leipzig hat durchaus Grund, kummervoll auf die Entwicklung des Leipziger Fußballsports zu schauen. Schließlich steht er in der Tradition des einstigen VfB Leipzig, des ersten Deutschen Meisters überhaupt. Doch der Titelgewinn stammt aus dem Jahr 1903 und vom Meister-Glanz ist nicht viel übrig geblieben. Zuletzt stieg der VfB Leipzig 1993 in die höchste Klasse auf. Seitdem herrscht sportlich eher Tristesse, wenn man von der erfolgreichen Damenmannschaft einmal absieht. Im betagten Stadion des Vereins müssen mangels finanzieller Ressourcen immer wieder viele der rund 1.700 Mitglieder selbst Hand anlegen, um den Platz und die Zuschauerränge zu reparieren. Es fehlt an Geld und an Perspektive. Für Schlagzeilen sorgen weniger die sportlichen Leistungen des Vereins, als vielmehr die regelmäßig wiederkehrenden Scharmützel der teilweise radikalen Lok-Fans mit denen des verhassten Haupt-Rivalen vor Ort, dem FC Sachsen Leipzig. Radikal empfangen wird auch der neue Rasenballsport Leipzig Club, als er 2009 in seinem ersten Auswärtsspiel auf das Team von Carl Zeiss Jena trifft Zuspielung Atmo Randale Fanparolen - Scheiss Red Bull, Scheiss Red Bull Die Spieler des neuen Leipziger Clubs werden äußerst unschön zu ihrem ersten Punktspiel in Jena empfangen, sie werden beschimpft, attackiert und bespuckt, es ist ein Tiefpunkt der Fußballkultur. Ein Trauma für die Neuankömmlinge. In einer Dokumentation des mdr-Fernsehens erinnert sich RB-Torhüter Sven Neuhaus an das Debakel der Rasenballsport-Auswärts-Premiere: Zuspielung Atmo Randale dann O-Ton Sven Neuhaus, Torhüter RB-Leipzig Ich war beim ersten Spiel dabei und muss natürlich sagen, dass ich mich da schon öfters gefragt habe, ob ich das Richtige gemacht habe. Die Lage wird zum Ende der Partie so brenzlig, dass die Polizei nicht für die Sicherheit der Spieler im Trikot der Roten Bullen garantieren kann. Sie rät zu einem schnellen Rückzug der Mannschaft: Zuspielung O-Ton Sven Neuhaus Bis hin, dass da in Jena uns einfach gesagt hat, Ihr müsst ungeduscht weg, wenn Ihr nicht ungeduscht wegfahrt, können wir für Eure Sicherheit nicht garantieren, und daher war Jena natürlich ein ganz einschneidendes Erlebnis für uns alle, glaube ich. Polizei und Verein Rasenballsport Leipzig lernen schnell und ziehen Konsequenzen aus dem Spiel von Jena. Wenige Tage später, beim ersten Heimspiel von RB-Leipzig, im Stadion am Bad von Markranstädt gleicht die beschauliche Arena einer Festung. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort. Es gibt ein Sicherheitskonzept und Leibesvisitationen am Eingang zum Stadion: O-Ton Ansage Stadionsprecher Die Mannschaften stehen bereit, heute und hier bei dem schönen und spannnenden Fußballnachmittag, bei großer Kulisse, hier im Stadion am Bad,... Die Polizei hat die Fans der beiden Mannschaften dieses Fünftliga-Spiels säuberlich getrennt. Der FSV Zwickau ist zu Gast bei RB-Leipzig, zum ersten Mal lädt der Retortenclub mit den roten Bullen auf den weißen Trikots zum Heimspiel ein. 250 hochgerüstete Bereitschaftspolizisten, die Reiterstaffel und zwei Wasserwerfer haben Position bezogen, Fanbeobachter sind rund um das Spielfeld postiert, haben mit dem Rücken zum Rasen die Fans im Blick, deren Blöcke durch leere Ränge wie durch Pufferzonen getrennt sind. Der sächsische Fußballverband hat vorsichtshalber alle Spiele des ehrgeizigen Neulings aus Leipzig als Risiko-Partien eingestuft. Ab Sommer 2009 gibt es kein Spiel, dem nicht eine sorgfältige Sicherheitsbesprechnung von Club und Polizei voraus geht. Besonders knifflige Partien werden in das Zentralstadion von Leipzig verlegt. Atmo Fangesänge Das massive Aufgebot der Sicherheitskräfte steht an diesem heißen Sonntag im August in einem krassen Missverhältnis zu den zahlreichen friedlichen Fußballfans, die teilweise mit Kind und Kegel in das Stadion strömen. Manche tragen der Hitze zum Trotz bereits wenige Wochen nach der Gründung des neuen Vereins einen Rasenballsport Leipzig e.V.- Fanschal Ja, weil das für Leipzig gut ist. Wir haben halt eigentlich ein großes Stadion, viele Fans, die Fußball sehen wollen, die nicht so gewalttätig sind und deshalb finde ich das perfekt! Also ich bin selber Sachsen Leipzig Fan gewesen und gehe immer noch hin und finde das ok. Die Tradition soll ja auch bleiben, aber es passiert da halt zu wenig, finde ich! Die Tradition - das ist ein Wert der hochgehalten wird in der Leipziger Fußballwelt. Wie eine Monstranz wird sie von den Fans vor sich hergetragen, doch sie ist bis heute mehr Fluch als Segen, so scheint es. Einerseits machen die Traditionsvereine Lokomotive Leipzig und der einstige "Chemie"- jetzt FC Sachsen Leipzig ihren Anspruch auf Führerschaft geltend. Andererseits unterlaufen ihre sportlichen Leistungen die hohe Latte, die sie selbst aufgelegt haben. Nach wie vor dümpeln beide Clubs in den unteren Ligen. Beide haben kein Geld, aber treue Fans, die dem neuen Club Rasenballsport Leipzig das Existenzrecht absprechen. Der Grund: mangelnde Tradition und Kommerzstreben. Daran hat sich auch im April 2011 nichts geändert, als es zum Lokalderby beim FC Sachsen Leipzig kommt: O-Töne Fans beim Pokal-Spiel RB Leipzig gegen FC Sachsen-Leipzig. Sie halten es mit wem heute bei dem Spiel? Chemie! Warum? Tradition verpflichtet! Das ist nur Geld, kein Herzblut, nur Geld! Warum ist RB Leipzig eigentlich so unbeliebt in Leipzig? Na wahrscheinlich weil es keine gewachsene Mannschaft ist hier und es an für sich durch große Sponsoring-Gelder entstanden. Aber kann so etwas nicht den Fußball hier in Leipzig beleben? Ja, mit Sicherheit, und das Geld, was da rein gesteckt wird, wird auch in der Region bleiben. Insofern ist es prinzipiell zu begrüßen, dass es so gemacht wird. Ein Standpunkt den auch Champions-League-Mitbegründer Jürgen Lenz vertritt. Im Spätsommer 2009 hält er den Kritikern von RB-Leipzig entgegen: O-Ton Jürgen Lenz, Mitbegründer Champions League Wenn man heute im Profi-Fußball tätig sein will, dann braucht man Geldmittel, dann braucht man Kapital. Wenn man im Profi-Fußball mitspielen will, in diesem Haifischbecken, dann muss man die entsprechenden Waffen haben. Eine Waffe davon ist sicherlich Geld, aber es ist bei weitem nicht die einzige Waffe. Also mit Geld allein hat es bis jetzt noch kein Fußballclub geschafft, Erfolg zu haben. Dieter Gudel, Geschäftsführer beim jüngsten Leipziger Fußballclub, kann das Gerede von der fehlenden Tradition nicht mehr hören. Vehement hält er dagegen und argumentiert: O-Ton Dr. Dieter Gudel, Geschäftsführer bei RB Leipzig In 50 Jahren werden wir sagen, dass RB Leipzig inzwischen 50 Jahre Tradition hat. Dieses Denken schließt neue Initiativen oder neue Fußballclubs grundsätzlich aus. Irgendwann muss man einfach anfangen. Im Verhältnis zu manchem Club in der Stadt sage ich mal ganz provokativ: viele haben 50 Jahre Vergangenheit, wir haben 50 bis 100 Jahre Zukunft! Das sieht auch die Verwaltungsspitze der Stadt Leipzig so. Schon 2009 bekannte sich Sportbürgermeister Heiko Rosenthal positiv zu dem ehrgeizigen Fußball-Projekt, mit einem dreistelligen Millioneneinsatz von Sachsen aus den Sprung in die Erste Fußball- Bundes-Liga zu schaffen: O-Ton Sport-BM der Stadt Leipzig, Heiko Rosenthal Es ist eine Imagefrage, ein Imagefaktor, es ist ein Wirtschaftsfaktor, da sind viele, viele andere Aspekte damit verbunden und insofern ist natürlich für die Wirtschaftsförderung und auch für die Sportentwicklung ein solcher Verein ganz, ganz wichtig. Zwei Jahre später, im Sommer 2011, hat sich zwar der Aufstieg des Clubs nicht ganz so eingestellt wie erhofft, dennoch hat er bereits jetzt für die Stadt Leipzig eine immense wirtschaftliche Bedeutung. Und egal, ob die Schlagzeilen über den Neuling positiv oder sportlich negativ sind, aus Sicht der Stadtoberen ist dies nicht von Belang für das Projekt an sich. Leipzig profitiert schon jetzt. Seit Jahresbeginn wird ein neues großes Trainingszentrum für den jungen Verein im zentrumsnahen Stadtgebiet gebaut. Auf rund 92.000 Quadratmetern werden bis 2013 sechs neue Trainingsfelder entstehen, davon zwei mit Kunstrasen. Gebaut werden außerdem ein Trainingsgebäude, Büros und ein Jugendinternat: O-Ton BM Heiko Rosenthal, Stadt Leipzig Wir sehen hier die Investition, 30 Millionen Euro, die in das Trainingsgelände investiert werden sollen. Wir sehen hier insbesondere auch die finanziellen Spielräume, die Red Bull sich selbst vorgenommen hat, die im Spielerischen ausgegeben werden sollen, der Verein hat ja jetzt schon in der 4. Liga ein Budget zur Verfügung gehabt, wie mancher Dritt- und Zweit-Liga-Verein ausgeben kann, und das zeigt auch, welches Potential in dem Verein steckt und insoweit setzen wir auch große Hoffnung darauf, dass dann auch in der nächsten Saison der Aufstieg klappt. Doch der Durchmarsch nach Plan, wie ihn der kultige Salzburger Brausehersteller erfolgreich im Formel 1 Sportzirkus angelegt und durchgeführt hat, lässt sich nicht einfach auf den Fußball übertragen. Das ist für den Club-Eigner die wohl wichtigste Lektion aus der aktuellen Saison. "Geld allein schießt keine Tore" lautet das Fazit in der neuen Geschäftsstelle des Clubs in der Leipziger Innenstadt. Trotz des prominenten und teuren Kaders, der gespickt ist mit ehemaligen Bundesligaprofis und Zweitligaspielern, wird das Team eine Ehrenrunde in der unbeliebten - weil - schwer berechenbaren Regionalliga drehen: Ausgerechnet der Ostdeutsche Traditionsclub Chemnitzer FC, das ist die Heimat von Fußball-Nationalspieler Michael Ballack, hat den wohlhabenden Hoffnungsträgern in der Regionalliga den Rang abgelaufen. Ein bitterer Rückschlag für das globale Projekt, wie auch Vereins-Geschäftsführer Dieter Gudel zugibt, wenngleich er eine Kursänderung ausschließt: O-Ton Dieter Gudel Nein, wir werden unsere Ziele nicht neu justieren, wir haben immer gesagt, dass wir in einem 8 bis 10- Jahreszeitraum unser Ziel in der Bundesliga zu erscheinen, angesetzt haben und dass wir glücklich sind, wenn es schneller geht. Wir werden nächstes Jahr einfach noch ein wenig intensiver daran arbeiten, dieses Ziel zu erreichen. Die Spieler seien genervt, sagt Gudel, sowohl über die Situation an sich, als auch über ihre eigenen Leistungen. Chefcoach Thomas Oral, der noch bis Ende Juni das Team im Training und durch die letzten Spiele führen wird, mahnt indessen zur Geduld. O-Ton Thomas Oral Dass wir natürlich uns die Zielvorgabe geben, dass wir die Besten sein wollen in der Liga, in der wir uns bewegen, das ist kein Geheimnis, aber trotzdem muss man die Spiele spielen, und wir sind in einer Entwicklungsphase als Verein und das ganze Drumherum, und da muss man Geduld zeigen und darf die Nerven nicht verlieren. Aber wir wissen auch, dass wir als Verein viel Zeit brauchen, dass wir Geduld brauchen, wir haben eine Infrastruktur zu entwickeln, das Ganze Drumherum und wir wussten auch da, dass es kein Selbstläufer wird, und wir kommen nicht einfach irgendwo hin und es läuft alles nach Plan, das gibt es im Fußball nicht, da kann so viel eine Rolle spielen, das kann man nicht planen, da muss man vernünftig aufbauen. Soviel Zeit wird Thomas Oral als Cheftrainer allerdings nicht mehr gegeben. Erst kürzlich, ausgerechnet nach einem 2:1 Pokalsieg gegen Auerbach, wurde ihm mitgeteilt, dass seine Zeit mit dem Saisonende ablaufen wird. Eine Entscheidung, die nach der missratenen Saison keinen sonderlich überraschen dürfte. Anders als bei seinem ungleich erfolgreicheren Vorgänger, Tino Vogel, der als Coach einen rasanten Aufstieg des neuen Clubs aus der fünften Liga begleitete und dann dennoch gehen musste, liegen bei Oral die Fakten auf dem Tisch. Die Regionalliga erwies sich für den Edel-Kader als unberechenbar und offenbar zu schwer. Aus Sicht der Stadt Leipzig ist der verlangsamte Aufstieg des stark zielorientierten Clubs, der mehr einem Markenprodukt ähnelt als einem Sportverein, nachrangig. Seit längerem trägt das neu erbaute, elegante, aber lange Zeit defizitäre und club-lose Zentralstadion den Namen des erfolgreichen Brauseherstellers aus Salzburg. Der Getränkekonzern hat sich die Namensrechte langfristig bis 2030 gesichert, heißt es. Nennenswerte Proteste gegen die Umbenennung des Stadions habe es nicht gegeben, beteuert Leipzig Sportbürgermeister Heiko Rosenthal. Und Oberbürgermeister Burghard Jung sieht schon jetzt nachhaltige Gewinne, die die Stadt mit der Ansiedlung des Clubs gemacht hat. Im mdr-Fernsehen macht das Stadtoberhaupt folgende Rechnung auf. O-Ton OBM Burghard Jung, im MDR-Fernsehen Es sind direkte Arbeitsplätze, es sind indirekte Arbeitsplätze, es ist eine volkswirtschaftliche Gesamtbilanz, die man einbeziehen muss und da spricht man, wenn man heute in der ersten Bundesliga eine Mannschaft hat, als Stadt, spricht man von einer mittelständischen größeren Industrieansiedlung, je nach Rechnung, vergleichbar, spricht man von mehreren 1000 Arbeitsplätzen, die indirekt und direkt von einem solchen Engagement abhängen. Soviel Zuspruch und Lob von offizieller Seite steigert den Beliebtheitsgrad der aus Österreich gesponserten Fußballer in Sachsen nicht gerade. Das ist deutlich zu spüren beim Pokalspiel gegen den FC-Sachsen Leipzig im April 2011. "Tötet Red Bull" ist gleich mehrfach zu lesen auf den Zugängen zum Stadion. Wieder ist ein Großaufgebot von Polizei angetreten, um ein gewaltfreies Fußballspiel zu ermöglichen. Das Stadion des Clubs ist fast voll: Zuspielung Stadionsprecher Der FC Sachsen-Leipzig bedankt sich heute bei 3500 Zuschauern,..... Klatschen und Gejohle Schon in der ersten Halbzeit sind die Fans des ehemaligen Chemieclubs in Rage. Eine wie sie meinen, Fehlentscheidung des Schiedsrichters führt zu einem geschenkten Elfmeter für den ungeliebten Rivalen, der diesen zu seinen Gunsten zu nutzen weiß. Das 1: 0 geht im Protestgeheul unter. In der Fankurve des gastgebenden Clubs werfen junge wütende Männer mit leeren Bierbechern und Klopapierrollen nach dem Torwart der roten Bullen aus Leipzig. Immer wieder versuchen Ordner und Fanbeobachter dem frustgesteuerten Tun Einhalt zu gebieten, doch es kommt noch dicker, nach der Halbzeitpause fliegen Feuerwerkskörper: O-Ton Stadionansage: Liebe Freunde auf dem Norddamm, nochmals die eindringliche Bitte, unterlasst bitte das Abbrennen von Pyrotechnik und erst recht nicht aufs Spielfeld. Lieber Freunde!!! Ich bitte Euch eindringlich, Ihr stellt gerade die Existenz unseres Vereins in Frage (Geschrei auf den Rängen). Durch Euren Blödsinn müssen wir Spiele wie etwa gegen Zwickau im Zentralstadion ausüben, dann ist dieser Verein pleite, bedenkt das bitte! Danke! Ich bitte auch alle Fans, die drum herum stehen, schnappt Euch den Typen und übergebt ihn der Polizei! Am Ende steht es 2:0 für RB Leipzig, doch der Sieg geht unter im Protest der Fußball- Wutbürger des FC Sachsen Leipzig. Manche Fans bezeichnen dieses unsportliche Verhalten als Fankultur, doch letztlich schadet es der traditionsreichen Fußballstadt Leipzig. Allerdings - es gibt auch versöhnliche Töne: O-Ton Fußball-Fan Leipzig Wenn man wirklich in den Profi-Fußball will und Leistung bringen will, dann geht das nur mit entsprechender finanzieller Unterstützung. Mit Red Bull denke ich, haben wir mal eine Chance. Tradition hin, Tradition her, ich habe keine Lust, in zehn Jahren immer noch fünfte Liga zu gucken. 44000 Zuschauer fasst das Leipziger Zentralstadion. Die muss man erst mal füllen, sagen Skeptiker mit Blick auf den jungen Verein. Und auch auf den Seiten des Mitglieder-Blogs im Internet mischt sich leiser Zweifel in die Beiträge der Rasenballsport-Anhänger. Als Sportdirektor Thomas Linke zurücktritt, schreibt einer von ihnen: Nun geht noch einer über den Jordan. Und fragt weiter "Was ist denn nun das Konzept für die neue Saison? Ich bete, dass nun endlich Ruhe einkehrt." Ein weiterer Fan schreibt jammernd: "Nur noch schlechte Nachrichten". Eine solche Stimmung kann dem Geschäftsführer des Vereins, der zugleich Markenschützer für das ihm anvertraute Projekt ist, nicht egal sein. Doch unklar ist, wie unabhängig er tatsächlich agieren darf. Werden die Geschicke und somit auch die wichtigen Personalentscheidungen im Verein durch Geschäftsführer Gudel getroffen oder längst in der Konzernzentrale Salzburg? Gudel winkt ab. Er sei Chef im Haus, und führt dann aus: O-Ton Dr. Dieter Gudel, Geschäftsführer RB Leipzig Im operativen Geschäftsbetrieb ist es der Club selber, der sich als eigenständige Zelle natürlich verhalten muss, d.h. der Verein arbeitet in dem Sinne eigenständig. Geht es jetzt um maßgebliche sportliche Entscheidungen, also beispielsweise einen Trainer oder Sportdirektor, dann ist es so, dass wir sehr gerne mit unserem Hauptförderer darüber reden, weil in der Kultur, wie RED BULL Sport betreibt, und ein Sportprojekt auch aufsetzt, es immer so ist, dass die letzte sportliche Entscheidung bei Herrn Mateschitz liegt. Somit dürfte klar sein, dass die Entscheidung für Peter Pacult als neuen Cheftrainer in Salzburg gefallen ist, gegen den Wunsch des zurückgetretenen Sportdirektors Linke, der lieber einen in der Region verankerten Coach engagiert gesehen hätte. Pacult, der menschlich als schwieriger Trainer gilt, hat also ein schweres Erbe in diesem von der Firmenleitung global angelegten Projekt angetreten. Das Anforderungsprofil ist klar, der Meistertrainer soll die roten Bullen von Leipzig auf Meisterkurs trimmen. O-Ton Peter Pacult Es kommt nicht,... ein Greenhorn kommt sicher nicht her. Nächste Saison muss der Aufstieg in die dritte Liga gelingen, daran lässt RB-Leipzig- Geschäftsführer Dieter Gudel keinen Zweifel. Das ist für ihn wichtiger als der Image- Verlust durch das Towabohu bei den jüngsten Personalentscheidungen im Verein: O-Ton Dr. Dieter Gudel, Geschäftsführer RB Leipzig Ich befürchte eher einen Image-Schaden durch sportlichen Misserfolg, wenn überhaupt. Das heißt anders herum, wir werden uns wieder auf unsere Kernaufgaben konzentrieren, wenn wir heute hier rausgehen und einfach versuchen, wieder vernünftig an unserem Sport zu arbeiten. Damit fällt und steigt alles. Wir wollen ja keine Traditionsmannschaft in der Regionalliga-Nord werden. Dann hätten wir zwar eine Tradition, aber in der falschen Spielklasse. 12