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Februar 2013, 19.30 Uhr Die Kunst des großen Bauens Warum Bauzeiten und Budgets oft in Deutschland nicht eingehalten werden Von Susanne Arlt O-Ton Collage: Wir haben gerade einen Vertrag unterschrieben zur Finanzierung eines großen Pro- jektes, die Neubaustrecken Wendlingen-Ulm und Stuttgart 21 stehen ab heute auf solidem Fundament...Nicht ein Musentempel für wenige, sondern Kultur für alle, ein Bauwerk für ein breites kulturelles Angebot, das auch erschwinglich sein soll für je- den...Viele Menschen werden hier in der Region ihre Zukunftsmöglichkeiten erken- nen und es ist nicht nur das größte Infrastrukturprojekt, sondern es wird der Luft- fahrtindustrie helfen, dem Tourismus, dem Export auch der Wissenschaft! Sprecher vom Dienst: Die Kunst des großen Bauens Warum Bauzeiten und Budgets oft in Deutschland nicht eingehalten werden Von Susanne Arlt Musik Sprecher: Am Anfang steht das Versprechen. O-Ton Stephan Mappus: Ich bin der Überzeugung, dass dieses Projekt ein Generationenprojekt für die Zu- kunft dieses Landes ist. Das ist eine historische Chance, die nie mehr wiederkommt. Dass es der wirtschaftlichen Entwicklung nutzt, dass es Tausende von Arbeitsplät- zen bringt! Autorin: Gemeint ist Stuttgart 21. Bahnhof der Superlative. Das neue Herz Europas nennt die Deutsche Bahn ihr Prestigeprojekt. Viele Menschen fragen sich inzwischen, wann endlich der Infarkt kommt? Der alte Kopfbahnhof soll unter die Erde gebracht wer- den. Nicht sinnbildlich versteht sich. An den Kosten wurden mehrfach geschraubt, zurzeit liegen sie bei 5,6 Milliarden Euro. Womöglich kommen noch weitere 1,2 Mil- liarden hinzu, verlautbarte jüngst die Bahn, bleibt aber bei ihrer Prophezeiung: Steht das Bauwerk erst, wird es Maßstäbe für künftige Neubauten setzen. Das Bauprojekt setzt wahrlich Maßstäbe, aber andere als erwartet. Atmo Musik Sprecher: Am Anfang steht die Euphorie. O-Ton Ole von Beust: Dass ein solches Bauwerk mit einer faszinierenden Architektur - mit einer Verbin- dung von Tradition, von Backstein, von Hafen, von Wasser - etwas ist, was Strahl- kraft hat, weit über Hamburg hinaus nach Berlin, aber auch über Berlin und Hamburg hinaus nach Europa... Autorin: Gemeint ist die Elbphilharmonie. Neues Wahrzeichen der Hansestadt Hamburg. Das architektonische Schmuckstück soll schon von weitem zu sehen sein, schwärmte Ole Von Beust, damals erster Bürgermeister der Hansestadt Hamburg. Eine gläser- ne Welle, die sich in der Elbe spiegelt und über die neue Hafencity aufschwingt. Wie toll das glitzert - zumindest in der 3-D-Animation. Doch auf der Baustelle tut sich wenig. Und so wie in Stuttgart explodieren auch hier die Kosten. Aber was soll´s. Die Oper in Sydney ist schließlich auch vierzehn Mal teurer geworden als geplant! Musik Sprecher: Am Anfang steht der Glaube. O-Ton Matthias Platzeck: Wir haben schon mal von blühenden Landschaften gesprochen, haben danach das Desaster in der Psychologie erlebt als die nicht eintraten, dass ich jetzt sage, das wären fünf-, zehn- oder 50.000 Arbeitsplätze. Was aber unbestritten ist, glaube ich, dass der gesamte Wirtschaftsstandort in Ansehen und Qualität gewinnen wird mit einem solchen BBI, es ist auf jeden Fall ein erheblicher Ge- winn. Autorin: Gemeint ist der Flughafen Berlin Brandenburg. Vor zehn Jahren verkünden Matthias Platzeck und Klaus Wowereit auf einer gemeinsamen Pressekonferenz: Die geplan- te Privatisierung der Berliner Flughäfen sei gescheitert. Nicht das Baukonsortium Hochtief werde den neuen Flughafen in Schönefeld bauen, sondern die öffentliche Hand. "Jetzt müssen wir es selber anpacken", erklärte damals selbstbewusst Berlins Regierender Bürgermeister den Journalisten. Und um Schlampereien und Kosten- überschreitungen zu vermeiden, die es bei öffentlichen Großprojekten nur allzu oft gebe, werde ein professioneller Projektmanager aus der Privatwirtschaft eingesetzt. Neun Jahre später treten Matthias Platzeck und Klaus Wowereit wieder gemeinsam vor die Presse: O-Ton Klaus Wowereit: Kein guter Tag für den Flughafen Berlin-Brandenburg, kein guter Tag für die Bürge- rinnen und Bürger unserer beiden Länder. Autorin: und auch kein guter Tag für Klaus Wowereit. Vier Wochen vor der Eröffnung muss er bekannt geben, dass die Brandschutzanlage nicht richtig funktioniere. Bei der einen Verschiebung ist es bis heute nicht geblieben. Und auch die im Jahr 2003 veran- schlagten Kosten in Höhe von 1,3 Milliarden Euro haben sich inzwischen verdrei- facht. Als der Flughafen geplant wurde, hieß er noch BBI. Jetzt heißt er offiziell BER - das steht vermutlich für "Berliner-Edel-Ruine". Atmo Musik ausblenden Sprecher: Am Ende stehen Verzweiflung und Schuldzuweisungen Autorin: verursacht durch horrend gestiegene Baukosten und verschobene Eröffnungstermi- ne. Sprecher: Aber woran liegt das? Der Berliner Architekturhistoriker und Buchautor Falk Jaeger kommt zu einem einfachen Schluss. Als Bauherr sei der Staat ein Versager. Das fange schon bei den veranschlagten Baukosten an. O-Ton Falk Jaeger: Die Politik ist nie mit offenen Karten in die Öffentlichkeit gegangen und die Politik hat, wie es so üblich ist bei großen Projekten zunächst einmal mit einem relativ nied- rigen Finanzansatz gehandelt, um das Projekt durchzukriegen, um das durch die Parlamente zu bekommen und um loslegen zu können. Immer - und davon muss man ausgehen - mit dem Gedanken im Hinterkopf, ja wenn´s dann teurer wird, dann wird das Geld schon nachgeschossen werden. Wenn es dann aber so viel teurer wird, dann wird es natürlich schnell zum Skandal. Sprecher: Es gibt auch private Projekte, die teurer werden als geplant. Muss aber ein privater Bauherr nachbessern, dann steigen für ihn nicht nur die Baukosten, weil zum Bei- spiel Stahl- oder Kupfer teurer geworden ist, sondern die Kosten für den Kredit - also die Zinsen. Die öffentliche Hand bezieht diesen Posten in ihre Kostenkalkulation gar nicht mit ein, kritisiert der Architekt. Würde sie dies tun, dann stünde bei öffentlichen Großprojekten unterm Schlussstrich eine noch viel höhere Bausumme. Nun kann man von einem Politiker nicht erwarten, dass er ein Experte in Sachen Bau ist. Das sind in den seltensten Fällen auch die privaten Häuslebauer. Darum holen sie sich jemanden, der ihre Baustelle überwacht und kontrolliert. Oft ist das der Architekt. Bei großen Projekten hingegen gibt es jedoch schon länger die Tendenz, die Verant- wortlichkeiten aufzusplitten. Der eine liefert die Pläne, der andere macht die Termin- kontrolle, der dritte die Kostenkontrolle, wieder ein anderer übernimmt die Steuerung des Projekts. Diese Aufteilung wurde auch deshalb eingeführt, damit es am Bau zu weniger Mauscheleien kommt. Trotzdem bedarf es jemanden, bei dem die Fäden zusammenlaufen, der weisungsbefugt ist, der also frühzeitig eingreifen kann, wenn etwas schief läuft. Diese Aufgabe übernimmt bei Großprojekten normalerweise ein Projektsteuerer. Nur so könne ein Bauherr auf Augenhöhe mit dem Architekten und mit dem Generalunternehmer verhandeln, glaubt Architekturkritiker Jäger. O-Ton Falk Jäger: Dazu braucht man eben vernünftige Berater, die den Bauherren schon vorher war- nen. Denn die Baufirma oder der Generalunternehmer werden das einem nicht auf die Nase binden, sondern die sagen, ja die Kosten, die kommen dann hinterher und die sind unumgänglich und die müssen sie dann sowieso bezahlen. Sprecher: Gemeint ist das so genannte Nachtrags- oder Claimsmanagement. Baukonzerne beschäftigen Experten und Rechtsanwälte, die sich von der Ausschreibung an nur damit beschäftigen, die Schwachstellen eines Vertrags aufzudecken. Denn ist der Kontrakt zwischen Bauherrn und Baukonzern besiegelt, kann das Bauunternehmen in aller Ruhe seine Nachforderungen stellen. Einfallstor für die Kostensteigerungen sind vor allem Änderungswünsche des Bauherrn oder des Architekten. Bei der Elb- philharmonie hatten die Bauarbeiten schon begonnen, da überlegte sich der Bau- herr, also die Hansestadt Hamburg, es wäre doch schön, nicht nur einen, sondern gleich drei Konzertsäle zu haben. Nice-to-have eben. Gebaut wird jetzt ein Großer Konzertsaal mit 2.150 Sitzplätzen, ein kleiner Saal mit 550 Plätzen und das soge- nannte Kaistudio mit 170 Sitzplätzen. Hamburg möchte eben mitspielen im Konzert der großen Musikmetropolen. Atmo: See und Möwen und Schiffstuten und Eröffnungszeremonie JWP O-Ton David McAllister Das ist die deutsche Antwort auf Rotterdam. Es ist ein weiteres Tor zur Welt für Deutschland und dieser Hafen ist eine sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden großen Containerhäfen in Hamburg und Bremerhaven. Autorin: Wenn es um Großprojekte geht, nehmen Politiker gerne große Worte in Mund. Auch der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister geriet ins Schwärmen als er im September vergangenen Jahres gemeinsam mit Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen und Wirtschaftsminister Phillip Rösler den Jade-Weser-Port in Wilhelms- haven eröffnete. Der JWP, wie er abgekürzt wird, ist Deutschlands einziger See- hafen mit Tiefgang und für die beiden Bundesländer Bremen und Niedersachsen ein Jahrhundertprojekt. 46 Millionen Kubikmeter Sand mussten aufgespült werden, um das neue Hafenareal in die Nordsee hinein zu bauen. Gutachter haben dem 1,5 Mil- liarden Euro teuren Hafen großes Potential attestiert, denn die Containerschiffe wer- den immer größer und die Kapazitäten in Hamburg und Bremerhaven reichen bald nicht mehr aus. Doch auch bei diesem Megaprojekt gab es Probleme - vor allem bei der Bauvergabe. O-Ton Michael Halama: Da hätte man im Vorfeld bei der Vergabe des Bauauftrages weniger Interessen ver- folgen müssen, sondern offensichtlich sich an die Fakten der eingereichten Bau- unternehmen halten müssen und wäre wahrscheinlich dann schneller zu der richti- gen Entscheidung gekommen. Autorin: sagt der Reporter der Wilhelmshavener Zeitung, Michael Halama, Er hat das Hafen- projekt von Anfang an begleitet. Vor zehn Jahren hatten der damalige niedersächsi- sche Ministerpräsident Sigmar Gabriel und Bremens früherer Bürgermeister Henning Scherf, beide SPD, das Hafenprojekt aus der Taufe gehoben. Bremen wollte unbe- dingt den Essener Baukonzern Hochtief mit dem Bau des Hafenbeckens betrauen. Schließlich musste eine Kaimauer aus Stahl in die See gerammt werden - 1.700 Me- ter lang und achtzehn Meter tief. Keine gewöhnliche Ingenieursarbeit. In Bremerha- ven hatte man beim Bau des neuen Containerterminals gute Erfahrungen mit Hoch- tief gemacht. Doch in Niedersachen war unterdessen die SPD abgewählt worden. Und die neue schwarz-gelbe Regierung präferierte eine heimische Bietergruppe. O-Ton Michael Halama: Dass jeder Politiker, der dort entsprechen in Funktion war, für sein Land und das Staatssäckel möglichst viel rausholen wollte, möglichst viel Mitspracherecht sichern wollte, kann man ja erst mal keinem vorwerfen. Traurig aus meiner Sicht ist, dass dieses gesamte Projekt im Laufe der ganzen Jahre immer wieder auch Wahlkampf- thema wurde. Autorin: was negative Folgen hatte, wie zum Beispiel bei der Vergabe. Zunächst setzen sich die Bremer sich durch. Der Auftrag ging an Hochtief. Die unterlegene Bietergruppe klagte, der Baubeginn musste gestoppt werden. Das Vergabeprüfverfahren zog sich über ein Jahr hin, schließlich urteilten die Richter: Im Angebot von Hochtief gab es einen Verfahrensfehler. Der Baukonzern hätte nie in den engeren Kreis der Aus- schreibung mit aufgenommen werden dürfen. Musik Autorin: Axel Kluth, Geschäftsführer der Jade Weser Port Realisierungsgesellschaft, sitzt entspannt in seinem Büro. Im Auftrag der beiden Länder Bremen und Niedersachsen fungiert seine GmbH als Bauherrin. Axel Kluth ist seit über 30 Jahren im Bauge- schäft. Sein Motto: Acht Männer rudern in einem Boot, einer steuert - und nicht um- gekehrt. Für das Projekt hat der studierte Wasserbauingenieur seinen alten Arbeit- geber STRABAG verlassen, ist vor viereinhalb Jahren nach Wilhelmshaven gezogen und hat das Controlling für den Bau des Jade Weser Ports übernommen. Seine Vor- gänger waren aufgrund der Reibereien entlassen worden. Mit ihm als Geschäftsfüh- rer kamen bislang keine neuen Probleme hinzu. Dass unter seinen Fittichen der Bau des Hafens nahezu reibungslos lief, liegt vermutlich an seiner jahrzehntelagen Erfah- rung als Projektsteuerer. Kluth wiegelt das Kompliment ab: Erstens seien die Pla- nungsunterlagen immer zeitnah dagewesen. Außerdem habe sein Team jeden Mo- nat eine Hochrechnung erstellt und konnte mit einer speziellen Software jederzeit die aktuell gültige Endabrechnung im Auge behalten. O-Ton Axel Kuth: Und haben damit ich sage mal in Anführungszeichen gewusst, wo stehen wir eigent- lich monetär. Wo läuft die Baustelle hin. Läuft sie aus dem Ruder, läuft sie noch im Ruder. Und das Ganze natürlich in Abgleich gebracht mit der geforderten Technik. Also das ist schlicht und ergreifend die einzigste Kunst, so haben wir es mal gelernt auf Projekten auf der Auftragnehmerseite und das gilt sich einfach auf den Auftrag- geber zu übertragen. Sie müssen einfach wissen, wo sie stehen, sonst können sie nicht gegensteuern. Sie können überhaupt nicht steuern, wenn sie nicht wissen, wo sie stehen. Autorin: Man fragt sich an dieser Stelle, ob die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg jemals im Besitz einer solchen Software gewesen ist. Will die öffentliche Hand mit der privaten Bauwirtschaft auf Augenhöhe verhandeln, dann dürfe sie beim Control- ling, also der Projektsteuerung nicht sparen, sagt Kluth. Und manchmal sei es auch einfach nur die praktische Vernunft, die einen weiter bringe. Als die Risse in der Kaimauer auftauchten, rief Axel Kluth nicht gleich die Anwälte zu sich, sondern lud die ausführenden Bauunternehmen zum Gespräch. Gemeinsam habe man das Pro- blem analysiert und dann gemeinsam entschieden, wie man es löst. Nicht im Kon- flikt, sondern im Konsens - der Sache wegen. O-Ton Axel Kuth: Es ging erst mal darum sicherzustellen, dass bestimmte terminliche Voraussetzun- gen eingehalten worden sind. Rechtsanwälte lassen sich ja nicht vermeiden, die Frage ist, wann setze ich sie ein. Sprecher: Das Vertrauen zwischen öffentlichen Auftraggebern und Auftragneh- mern scheint in vielen Fällen nachhaltig gestört zu sein. Das bestätigt auch Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Der Wirtschaftsverband vertritt die Interessen von 2.000 großen und mittelständi- schen Unternehmen der deutschen Bauindustrie. O-Ton Michael Knipper: Wir haben uns leider im Bauen in zwei Gräben begeben. In dem einen Graben sit- zen die Auftraggeber, die der Bauwirtschaft misstrauen und in dem anderen Graben sitzen die Bauunternehmen, die den Bauherren misstrauen. Dieses System der bei- den Gräben hat sich immer weiter vertieft. Das Misstrauen in der Baukrise, wo es den Firmen nicht gutging, man hatte nur Angst. Und dann hat sich leider keine Kultur des Miteinanders entwickelt, sondern eine Kultur des Gegeneinanders. Sprecher: Es hapere aber nicht nur am Vertrauen und an der fehlenden Kommu- nikation, ärgert sich der Baulobbyist. Oft scheitere es an deutschen Rahmenbedin- gungen. O-Ton Michael Knipper: Weil wir in Deutschland ein Denken haben, wirklich das Billigste ist das Beste. Diese Geiz-ist-geil-Denke, man muss es so sagen, ist in Deutschland stark ausgeprägt. Sprecher: Eine öffentliche Ausschreibung findet in vier Schritten statt. Ein Baupro- jekt wird bekannt gegeben, ausführende Baufirmen beteiligen sich an der Ausschrei- bung und geben ihr Angebot ab. Der Bauherr vergleicht die Angebote: Er bewertet die Eignung des Unternehmens und anschließend die Kriterien, nach denen er den Auftrag vergeben will. Maßgeblich sei dabei der Preis, sagt Michael Knipper. Die Vergaberichtlinien sind in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, kurz VOB genannt, geregelt. O-Ton Michael Knipper: Im Moment wird offiziell der Wirtschaftlichste genommen, so steht es in der VOB. Aber die Realität ist, dass 95 Prozent aller Bauprojekte an den Billigsten vergeben werden. Das hat zur Folge, dass die Firmen zum Teil versuchen, mit Dumpingange- boten sich die Angebote an Land zu ziehen. Und dann, weil sie natürlich Geld ver- dienen müssen, versuchen die Schwachstellen in der Ausschreibung zu nutzen, um Nachträge zu stellen. Sprecher: Für das VOB ist das Bundesbauministerium zuständig. Und obwohl Baulobbyisten wie Michael Knipper schon jahrelang das Verfahren kritisieren, ist das Vergaberecht nie grundsätzlich geändert worden. Der Preis ist und bleibt das Kriterium, bemängelt der Hauptgeschäftsführer. Das deutsche Vergaberecht setze einfach falsche Anrei- ze. In der Schweiz zum Beispiel werde der billigste Anbieter bei öffentlichen Aus- schreibungen immer ausgeschlossen. Das führe bei den Firmen zu einem ganz an- deren Bieterverhalten. Im angelsächsischen Raum wird bei Großprojekten ein so genannter Präqualifikationswettbewerb durchgeführt. Wird das Projekt ausgeschrie- ben, steht es nur in groben Zügen. Vier bis fünf Bietergruppen werden ausgesucht. Bewertet werden sie nach ihrer fachlichen Kompetenz, ihrer kaufmännischen Bonität und ihren Referenzprojekten. Mit diesen Bietergruppen geht der Bauherr in Detailge- spräche. Auf diese Art und Weise wird das Projekt inhaltlich verdichtet und das Bau- soll definiert. Am Ende muss sich der Bauherr für eine Gruppe entscheiden, die unterlegenen Konkurrenten erhalten eine faire Aufwandsentschädigung. O-Ton Michael Knipper: Das stärkt das Projekt und macht das Projekt besser und die ausführenden Firmen haben ja auch viel Know-how und viel Kompetenz, um das Projekt zu optimieren. Wenn es uns also gelänge, diese Hürde zu überwinden und die Trennung von Pla- nung und Bauausführung aufzugeben, dann würde es den Großprojekten gut tun wenn ich es so sagen darf und wir würden wesentlich partnerschaftlich bauen und nicht so konfrontativ. Sprecher: Dabei ist es derzeit über das europäische Recht möglich, diesen so genannten wett- bewerblichen Dialog auch in Deutschland durchzuführen. Doch bislang hat kaum ein öffentlicher Bauherr dieses Partneringmodell genutzt. Im Ausland habe man begrif- fen, in Deutschland noch nicht, bedauert Michael Knipper und zuckt verdrossen die Schultern. Atmo: Herzlich willkommen hier in der Schweiz im Kanton Uri auf der Baustelle, wo der längste Eisenbahntunnel gebaut wird. Es freut uns natürlich immer wenn wir da inte- ressierte Leute für uns haben. ... Sprecher: Wisi Bissig steht in einem kleinen Saal vor einer weißen Projektionsleinwand. Das provisorische Gebäude auf der weltberühmten Baustelle musste der Baukonzern STRABAG errichten, so steht es im Vertrag. Bei diesem Großprojekt beteiligen sich die Auftragnehmer somit direkt an einer guten Öffentlichkeitsarbeit. Vor Wisi Bissig sitzen acht Gäste - alle aus Deutschland. Sie möchten sich das eidgenössischen Megaprojekt, den Gotthard-Basis-Tunnel, anschauen. Bislang haben uns eine Million Menschen besucht, sagt Wisi Bissig stolz. Vor allem die Deutschen stellen ihm dann immer die gleiche Frage: Warum läuft dieses riesige Bauprojekt so reibungslos? Da- heim in Deutschland machen sie derzeit ganz andere Erfahrungen. O-Ton Deutsche: Da regt man sich schon drüber auf, natürlich. Das erwartet man einfach nicht, dass das so daneben läuft. ... Berlin ist ja nur lächerlich, da wird sich ja die ganze Welt drüber lustig machen, oder? Sprecher: Dabei hat das Projekt der Schweiz gigantische Ausmaße: 28 Millionen Tonnen Stein und Schutt mussten beseitigt und vier gigantische Tunnelbohrmaschinen koordiniert werden. Bis vor kurzem arbeiteten 1.800 Menschen daran, den 57 Kilometer langen Tunnel pünktlich fertig zu bekommen. Das Schweizer Bundesamt für Verkehr bezif- fert die Kosten auf knapp 19 Milliarden Franken. Während in Deutschland fast jeden Tag ungleich kleinere Bauprojekte in den Schlagzeilen stehen, werden die Eidge- nossen wohl in aller Ruhe und wie geplant in drei Jahren den längsten Tunnel der Welt eröffnen können. Herr dieser Megabaustelle ist Renzo Simoni. Als sich die Schweizer Bahn entschied, das Projekt nicht an einen Generalunternehmer, sondern an einzelne Bauunternehmen zu vergeben, wurde die alptransit Gotthard AG ge- gründet. 170 Ingenieure arbeiten für die Arbeitsgemeinschaft. Der Grund für den vergleichsweise reibungslosen Verlauf der Arbeiten sei die strenge Aufsicht, sagt Simoni. Der Gotthard-Tunnel sei eines der am besten kontrollierten Infrastrukturpro- jekte. O-Ton Renzo Simoni: Die Überwachung und das Controlling ist dann viel aufwendiger, komplexer, an- spruchsvoller und intensiver und dafür braucht es eine sehr starke Bauherrenorgani- sation und dementsprechend eine sehr intensive Überwachung, denke ich. Und das ist bei diesem Projekt in der Schweiz wirklich eine einmalige Geschichte. Also nicht im Sinn von glorios, sondern einmalig im Sinn von Umfang, was hier im Rahmen der Überwachung alles gemacht wird. Sprecher: Alle drei Monate erstellen die Erbauer des Gotthard-Basis-Tunnel eine Kosten- Nutzen-Analyse. Skurrilitäten, wie sie das deutsche Planungsrecht erlaubt, etwa die Kalkulation mit alten Zahlen, kennen die Schweizer nicht. Alle sechs Monate wird mit Hilfe einer gängigen Software eine Endkostenprognose erstellt. Darüber werden dann die Fachleute des Bundesamtes für Verkehr informiert, die die direkte Aufsicht über das Projekt haben. Die eidgenössische Finanzkontrolle führt regelmäßig Revi- sionen durch, macht Stichproben, überprüft bestimmte Bereiche. Und dann gibt es noch eine zwölfköpfige parlamentarische Aufsicht, die alle zwei Monate einen Be- richt mit allen wichtigen Fakten erhält. Sie erstellt schließlich einen Jahresbericht, den wiederum das Gesamtparlament zur Einsicht erhält. Gibt es Probleme auf der Baustelle, arbeiten die Schweizer stets lösungsorientiert. O-Ton Renzo Simoni: Was wir, denke ich, mit sehr gutem Erfolg installieren konnten, war der Ablauf, wie geht man vor, wenn Streitigkeiten entstehen. Und da gibt es als Eskalationseben dann die so genannte Streitschlichtung. Beide Parteien verpflichten sich, also das Konsortium und wir als Bauherrschaft, bevor man vor Gericht geht, wird diese Streit- schlichtung angerufen und die macht dann einen Schlichtungsvorschlag. Den kann man akzeptieren oder nicht. Und erst wenn eine Partei diesen Vorschlag verwirft, ist der Weg frei, um ein ordentliches Gericht anzurufen. Und während dieser Streit- schlichtung ist es eigentlich üblich, dass die Ingenieure miteinander diskutieren und nicht die Anwälte. Sprecher: Die Schweizer sind eben ein friedfertiges Völkchen. Das bestätigt auch Markus Züst, Baudirektor im Kanton Uri. An der Baukunst der Deutschen liege es ganz sicher nicht, dass die Nachbarn im Norden derzeit mit ihren Großprojekten ha- derten. Dass es in der Schweiz keine Wutbürger gebe, liege wiederum vor allem an den Volksbefragungen. Ob Schulausbau, eine neue Umgehungsstraße oder ein neuer Tunnel. Das Volk entscheidet, nicht die Politiker. O-Ton Markus Züst: Ich denke, die Frage der basisdemokratischen Mitwirkung spielt eine sehr wichtige Rolle. Die Bürger fühlen sich wahrscheinlich eher einbezogen. Und ich glaube, heut- zutage wollen aufgeschlossene Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden, wenn es um Großprojekte geht. Unabhängig davon, welches Regierungssystem jetzt da ist. Weil die Betroffenheit, die spielt eine entscheidende Rolle. Und man muss dann aber auch aus der politischen Sicht akzeptieren, dass es eine Gegenmeinung geben kann. Dass wenn man ein Projekt erarbeitet halt keinen Konsens findet und die Mehrheit dagegen ist, dann muss man das halt auch fallen lassen, oder. Sprecher: Statt Bastapolitik Basisdemokratie. Vielleicht ist sie der Schlüssel für die Realisie- rung neuer Großprojekte in Deutschland. Das setzt allerdings voraus, dass Politiker mit den Menschen reden, sie nicht überreden, sondern ehrlich aufklären. Dieser Prozess nehme viel Zeit und Kraft in Anspruch, weiß Markus Züst aus eigener Erfah- rung. O-Ton Markus Züst: Die Gefahr besteht natürlich, wenn man nicht transparent ist, dass das einen einholt, oder? Autorin: Diese Gefahr besteht durchaus. Stefan Mappus wurde bereits überholt und Klaus Wowereit steht dies wohl noch bevor. Glaubt man dem dänischen Ökonomen Bent Flyvbjerg, dann haben die enormen Kostensteigerungen System. In einer Studie aus dem Jahr 2002 wies er nach, dass bei neun von zehn Infrastrukturprojekten weltweit die Kosten unterschätzt worden waren. Das zahle sich aus. Nicht unbedingt für den Steuerzahler, aber für den Politiker, der auf diese Art seine Projekte leichter geneh- migt bekommt und für alle anderen Baubeteiligten, die an dem Projekt ihr Geld ver- dienen. Enrico Gualini, Professor für Raumplanung an der TU-Berlin, sieht das ähn- lich. Stadtpolitik habe sich seit den 80er Jahren enorm verändert. Es gehe immer weniger um profane Daseinsvorsoge, sagt Gualini, sondern, O-Ton Enrico Gualini: Dass Stadt sich zunehmend als Wettbewerbsstandort versteht. Dass man über Pro- jekte angibt, wir können etwas bewegen. Wir können hier richtunggebend sein. Und das Subtile dabei ist, dass dieses Spiel mit dem Symbolischen sich aneignet, ja symbolische Politik zu betreiben. Das heißt im Grunde auch die Öffentlichkeit zu manipulieren. Autorin: Also steckt hinter der architektonischen Verführung Kalkül. Der Glanz dieser Pres- tigeprojekte soll auf die Politiker abstrahlen. Sie nutzen diese Strahlkraft. Sie wollen sich damit eine politische Legitimation ihres Handelns verschaffen, ohne jemals das Projekt öffentlich hinterfragen zu lassen. O-Ton Enrico Gualini: Man entscheidet sehr oft in sehr eng definierten, fast technokratischen Kreisen. Dann kommt eine Phase, in der man die Entscheidung ankündigt, dass man die Be- völkerung mit informiert bzw. erzieht darüber, warum dieses Projekt so gut ist ver- meintlich. Und dann kommt aber die Phase in der eigentlich Öffentlichkeit erweckt wird und es einen Bedarf an Öffentlichkeit gibt, die Planungssystematik aber im Grunde sie nicht wirklich zulässt und deswegen eine Phase eintritt, in der das Pro- jekt verteidigt werden muss. Es wird meistens dann versucht, Beteiligung zu maxi- mieren über marginale Aspekte des Projektes. Autorin: Gualini hofft, dass sich durch die jüngsten Baudesaster vielleicht etwas ändert. Pla- nungswissen sollte man bei Großprojekten sozialisieren, es also einer breiten Bevöl- kerungsschicht zugänglich macht, fordert der Professor für Raumplanung. O-Ton Enrico Gualini: Das würde natürlich bedeuten, dass Politik und das ist natürlich das größte Problem, dass Politik nicht Entscheidungsabläufe bevorzugt, die Kontroversen ausweicht, sondern, dass Politik den Pluralismus von Interessen ernsthaft als Material politi- scher Entscheidungen ansieht. Autorin: Davon würde sicherlich nicht nur der Steuerzahler profitieren, sondern letztlich auch die Politik. Denn missratene Bauprojekte sind wie kaum etwas anderes geeignet, die politische Kaste als dumm, unfähig oder bestechlich erscheinen zu lassen. Noch bleiben Reaktionen aus, aber die Wutbürger aus Stuttgart sind womöglich nur der Anfang. Sprecher vom Dienst: Die Kunst des großen Bauens Warum Bauzeiten und Budgets in Deutschland oft nicht eingehalten werden Ein Feature von Susanne Arlt Es sprachen: Die Autorin und Max-Volkert Martens Ton: Ralf Perz Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 Nächste Woche hören Sie an dieser Stelle: Gute Banken - Schlechte Banken Ver- braucherschutz nach der Lehmann Pleite. Die Zeitfragen können Sie nachhören und nachlesen unter: www.dradio.de