Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio Deutschlandrundfahrt Du dödl di Jodeln im Chiemgau Von Thomas Klug Sendung: 04. Mai 2013, 15.05 Uhr Ton: Inge Görgner Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 Sprecher 01: (singt sich zunächst ein; dann Dialog) Bayreuth – hier bin ich. Autor: (schüchtern) Ähm, hallo. Sprecher 01: (großspurig) Endlich. Bayreuth braucht mich. Autor: Herr... Sprecher 01: Wagner hätte mich schon viel früher... Autor: Herr Kammersänger. Sprecher 01: Es wird großartig, grandios. Ich spüre schon, dass. . Autor: Herr Superstar. Sprecher 01: (gnädig) Ja, bitte. Autor: Das ist nicht Bayreuth. Sprecher 01: Da muss ich aber hin, ich werde dort als Helden-Dings-Tenor gebraucht. Autor: Klar. Es gibt ja auch tragische Helden. Sprecher 01: Ich will singen... Ich muss singen. Die Welt braucht mich. Autor: Ein kleines Missverständnis... Sprecher 01: Ich muss auf dem grünen Hügel singen. Autor: Nein. Sprecher 01: Wie nein? Autor: Nicht Hügel. Berge. Sprecher 01: Ist doch dasselbe. Autor: Und nicht singen. Jodeln. - Pause – Kennmusik setzt ein. Sprecher 01 (lachend): Weiß du, was ich gerade verstanden habe? Ich habe Jodeln verstanden. Autor: Ja. Sprecher 01 (genervt) Jodeln? Du, du, du Dödel du. Autor: Nein. Sprecher 01: (genervt) Wie nein? Sprecher vom Dienst: Du dödl di Jodeln im Chiemgau Eine Deutschlandrundfahrt von Thomas Klug ATMO Berg Autor: Oben soll es losgehen, oben in 1500 Meter Höhe. Hier soll die Aussicht sein: Aussicht auf die Kampenwand, Aussicht auf den Chiemsee. Und Aussicht auf einen Jodelkurs. Heute ist die Aussicht beschränkt. Nur der Jodelkurs liegt in Sichtweite. Das Chiemgau selbst hält sich bedeckt. Take 01 Biewald Das Wichtigste ist natürlich, dass man Jodeln kann. Und das hab ich als Kind schon ofangt, weil mir das Spaß gemacht hat. Und dann ist es wichtig, dass man auch vermitteln kann. Das kann ich auch in anderen Bereichen, ich bin Feinmechanikermeister und bilde auch aus. Und dann ist es wichtig, dass man ein gutes Konzept hat. Autor: Vielleicht sind es nur so Laute, vielleicht ist es eine Sprache. Aber eigentlich gilt: Jodeln ist Jodeln. Jodelnde Mitmenschen lassen sich in drei Gruppen einteilen: Diejenigen, die es können. Diejenigen, die es lernen. Und diejenigen, die Sinnvolles tun wollen. Und dann gibt es noch die Jodellehrer mit einem Jodelkonzept für einen Jodelkurs zum Erwerb des Jodeldiploms. So einer ist Horst Biewald. Take 02 Biewald Die Kurse sind so aufgebaut, dass das spielerisch passiert. Es geht darum, dass man einen großen Tonsprung schafft, dass man Kraft in die Stimme bekommt und auch mal am Kehlkopf schlagt. Das kann man zwar lang erklären, aber viel besser ist es, wenn man praktisch, spielerisch reinkommt. So lernt auch der Mensch leichter. Autor: Aber was ist, wenn man tatsächlich jodeln kann? Dann könnte man ja jodeln. Einfach so. Das macht keiner, nicht in der Stadt, nicht auf der Straße. Kein Jodeln, nirgends. Dabei machen sie in der Stadt alles mögliche. Die Jodelei aber hat man zum Überleben in den Musikantenstadl gesteckt, in volkstümelnde Musikanten injiziert oder schockgefrostet. Und dann, wenn man es am wenigsten erwartet, bricht so ein Jodler aus. Die Augen der Volkstümler weiten sich dann ganz erschrocken, während sich ihr verkrampftes Lächeln ins Gesicht brennt. Aber damit muss man Horst Biewald gar nicht erst kommen. Den Musikantenstadl hat er noch nie gesehen. Und dass Jodeln eine merkwürdige Erscheinung sei – ach, sollen die anderen doch reden. Horst Biewald atmet ein. Atmet aus. Und guckt, als läge er gerade sonnenbeschienen in einer Hängematte. Diesen Blick kann er gut, auch in diesem kalten Kegelkeller, in dem er auf die Teilnehmer seines Jodelkurses wartet. Take 03 Biewald Grundsätzlich die Technik vom Jodeln ist etwas, was man erstmal erlernt und dann übt. Aber es ist ja Musik und es kann sich immer weiterentwickeln. Ich habe heut z.B. einen Jodler im Gepäck, den habe ich die letzte Woche erst fertig geschrieben. Den werden wir heute, wenn wir mit der Gruppe soweit kommen, das erste Mal in so einem Jodelseminar ausprobieren. Den Sonnenjodler. Take 04 Biewald Sonnenjodler Autor: Horst Biewald jodelt sich ein. Er ist Musiker. Und er ist Jodellehrer und Feinmechaniker, wobei das nichts miteinander zu tun hat. Es ist kurz nach 14 Uhr. Jodeln scheint zu entspannen. Horst Biewald guckt, als hätte er alle Zeit der Welt. Und er guckt so, als ob irgendwann doch noch die Sonne kommt. Er hat einen Jodler komponiert: Den Sonnenjodler. Take 05 Biewald Der hat ein bisschen was Lebensfrohes so zur Einteilung, und man könnte sich vorstellen, dass das eigene Gesicht wird wie eine Sonne, wie so eine gemalte Sonne aus einem Kinderbuch. Atmo Kneipe Autor: Die Jodelschüler kommen zu spät. Jetzt, wo sie da sind, wollen sie erst einmal essen. Sie feiern Junggesellenabschied. Bis jetzt gab es für sie mehr zu trinken als zu essen. Einen leeren Bierkasten stellen sie vor dem Restaurant ab. Horst Biewald wartet weiter und erzählt derweil über ganz andere Musik: Take 06 Biewald So um das Jahr 2000, da kam mir mal die Idee, weil wir da immer das Reggae-Festival haben, da bin ich, während das Festival hier gelaufen ist, bin ich hier am See gesessen und da kam mir mal die Idee, da drüber ein Lied zu machen und einfach einen Reggae zu jodeln. Regie: 10 sec können unter O-Ton liegen Musik 01: Titel: Chiemgaureggae Interpret und Komponist: Horst Biewald Label: Mundartageh, LC-Nr. 09815 Sprecher 01: Boah eh. Autor: Das klingt nicht nach jodeln. Sprecher 01: Ich habe den Ring geprobt, jede Partie. Monatelang. Wagner! Autor: Das war doch eben nicht Wagner. Sprecher 01: Soll ich Wagner jodeln? Den ganzen Ring vielleicht? Autor: Es muss nicht Wagner sein. Sprecher 01: Toll. Bayreuth, ade. Aber gut: Ich mache jeden Jodler zur Wagner-Oper. Ich werde dieses Bayreuth über...überjodeln. Es wird zurückgejodelt. Wo ist die Bühne? Autor: Berge. Gejodelt wird in den Bergen. Sprecher 01: Ich hasse Berge. Naja, das ist jetzt auch schon egal. (singt den Satz recht eigentümlich) Autor: Ähm. Ist das nicht zu eigensinnig? Sprecher 01: (ein Ausbruch) Es ist Kunst. Es ist suggestiv. Autonom. Knallhart subjektiv. Angstfrei. Etwas Besonderes. Es ist das, was ich fühle. Autor: Oh. Sprecher 01: (singt) Jaaaaaaaa. Autor: (sehr vorsichtig) Du fühlst... Sprecher 01: (genervt) Ja. Autor: Und dann fühlst du so was? Sprecher 01: (genervt) Ja. Besonders jetzt. Autor: Gut. Vielleicht erstmal tief einatmen. Also..Das ist gut, wirklich gut. Aber es ist..... Sprecher 01: Sag nichts. Ich weiß, dass das nicht gut ist. Es ist sehr gut. Phänomenal. Ich werde jodeln. Eigentlich wollte ich schon immer jodeln. Wo ich jodle, lass dich nieder, böse Menschen...sind so wie du. Du kannst die Bayern schon mal auf mein Konzert vorbereiten. Autor: Ja, die müssen sich bestimmt ganz allmählich an dich gewöhnen. Sprecher 02 (leicht genervt): Darf ich jetzt endlich? Autor: Nicht jodeln bitte. Regie: bei Sprecher 02 zwei- bis dreimal einen der vorhandenen Jodler unterlegen Sprecher 02: Georg Simmel war ein bedeutender Mann. Philosoph, Soziologe, Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Befreundet mit Ernst Bloch. Doch bevor er all das war, interessierte er sich für das Jodeln. Simmel war Berliner. Er schrieb Fragen über das Jodeln auf, die ihn interessierten. Jodeln – das sollte ein Teil seiner Dissertation werden. Er schrieb: „Um Beantwortung nachstehender Fragen ersuche ich im Interesse einer anthropologischen Forschung, welche der merkwürdigen Erscheinung des Jodelns in der Geschichte der menschlichen Empfindungsäußerungen den gebührenden Platz anweisen möchte: Von welchem Lebensalter an und bis zu welchem jodeln die Bergbewohner? Lässt sich etwa beobachten, dass die Höhe des Wohnortes eine Verschiedenheit im Jodeln mit sich bringt und welche? Um gefällige Antwort bittet ganz ergebenst Georg Simmel“. Atmo Alperer Autor: Klingt jodeln wie das Chiemgau? Klingt das Chiemgau wie jodeln? Klingt hier überhaupt etwas anders als anderswo? Take 07 Kreier Wenn man das jetzt als Nicht-Bayer hört, da stellt man sich was anderes vor als ich. Es gibt ja unglaublich schöne, melancholische, tragende Jodler, wo es nicht darum geht, möglichst oft joajehidö oder so was zu sagen, wo man einfach mit dem Kehlkopfgesang spielt. Den Kehlkopfgesang oder auch Obertongesang, der da teilweise auch eine Rolle spielt, den gibt es beispielsweise auch im Tibet. Autor: Der Musiker Florian Kreier weiß, wie es im Chiemgau klingt. Nämlich anders. Doch erst einmal klingt es gar nicht. Musik 02: Titel: You is a tree Interpret und Komponist: Angela Aux Label: Red Can Records, LC-Nr. 09441 Autor: Es klingt nicht am Bahnhof. Nicht nach Bayern, nicht nach Tradition, nicht nach Bergen und nach einem See auch nicht. Niemand jodelt oder schlägt mit Löffeln oder führt einen Schuhplattler auf. Es ist Kleinstadt am frühen Abend. Bahnhof hinten, Straße vorn. Ein paar Autos. Rollkoffer. Stimmen, die bayerisches Idiom verbreiten, aber vom Jodeln so weit entfernt sind wie die Nordsee von den Alpen. Oder wie ein Indianer von der Bayerntracht. Das hier könnte Bielefeld sein oder noch Schlimmeres. Nur diese Werbetafeln schreien etwas von Bayern: das bayerischste Wasser, die bayerischste Wurst. Weißblau und Weißblauer. Dies gilt aber nicht für den Himmel. Atmo: Schiff (Stimmengewirr) Autor: Die Plätze unter dem Verdeck sind gefragt. Das Schiff fährt über den Chiemsee. Draußen sitzen will keiner. Zu sehen gibt es nichts, nur Wasser und Wolken. Die Tourismuswerber erwähnen eher die anderen Tage, die es auch geben soll, mit Sonne und so. Das Schiff legt an. Atmo: Schiffs: Ansage + Ankunft Autor: Die Herreninsel, auch Herrenchiemsee genannt. Die größte der drei Chiemseeinseln. Take 08 Kreier Wir stehen jetzt gerade an einem schönen Platz auf der Herreninsel, auf der Terrasse der Schlosswirtschaft. Wir sehen hinüber zur Fraueninsel. Autor: Claudia Kreier sagt das. Sie ist von der Chiemsee/Alpenland Tourismus GmbH. Und sie sagt, dass es hier oft Sonne gibt. Sehr oft. Eigentlich immer. Nur gerade heute eben nicht. Take 09 Die Herreninsel ist eine parkähnliche Insel mit einem parkähnlichen Baumbestand. Es gibt hier einen Tulpenbaum, es gibt hier wunderbare uralte Baumriesen. Autor: Wir sind in Bayern, also muss König Ludwig erwähnt werden. Er hat die Insel gekauft. Und was ist schon eine Insel ohne Schloss – so denken Bayernkönige. Und Bayerns Tourismusmanager freuen sich heute über jedes Schloss, das irgendwie vorzeigbar ist. Take 10 Der nächste Schritt war, dass er hier eines seiner Schlösser geplant hat. 3'52 Er hat selbst nicht im Schloss gewohnt, weil, er ist ja dann im Starnberger See zu Tode gekommen, bevor das Schloss wirklich fertig war. Atmo Schritte auf Kies Diese Insel ist ja vermutlich kein Ort des klassischen Jodelns. Aber theoretisch könnte man das doch hier tun. Man könnte hier natürlich jodeln. Gerade dieser Platz würde sich eignen zum Jodeln, gerade weil man da so einen schönen Blick hat auf die Fraueninsel über'n See. Wie würde das denn klingen, wenn man hier jodelt? Jodelt. Die Bewegungen gehören ja immer dazu, zum Jodeln? Man lernt das ja so. Wenn man ein Jodelseminar besucht, dann lernt man das so, dass man sich selbst mit den Bewegungen unterstützt, um den Ton auch wirklich herstellen zu können oder hervorbringen zu können. Mit der rechten Hand holt man also den unteren Ton hervor und mit der linken Hand gibt man sich dann die Tonhöhe für das dulioh vor, duriö. War das sauber? Ich kann auch nochmal, denn der obere Ton war nicht ganz sauber, finde ich. Jetzt fängt es an, Spaß zu machen? Jetzt gehen wir mal ganz vor an die Brüstung. Es stand an seines Schlosses Brüstung, der Ritter Fips in voller Rüstung. Jodelt. Musik 03: Titel: Was mach ich mit mei'm Leben Interpret und Komponist: Michael Fitz Label: Trikont, LC-Nr. 04270 Autor: Er wollte unbedingt da sein. Er ist nicht da. Sie ruft ihn an. Ein paar Minuten dauerts, bis er kommt. Jaja, habe er gesagt. Kein Wort davon, dass er den Termin vergessen hat. So was sagt er nie, erzählt sie. Schließlich kommt er. Atmo Pfaller Autor: Er hat gute Laune und redet gleich los. Er ist der Pfaller Franz. Und sie ist die Frau. Anders spricht er sie nicht an. Sie protestiert. Take 13 Pfaller Ich bin der Pfaller Franz und bin aus Aschau im Chiemgau und ich frei mich jedes Mal, wenn ich für die Gemeinde, für die Gäste was Positives erreichen kann und machen kann. Mein Hauptding ist Löffelschlagen. Da kennt mich jeder. Und obendrein als Künstler Vogel schnitzen, also nur die Singvogel. Und dann natürlich Witze zu erzählen, die Leute aufmuntern und so. Autor: Er redet von Bienenkästen, von Brotzeit, von Löffelschlagen. Und er sagt, dass er Hobby-Metzger war. Und: Take 14 Pfaller Ein Hobby ist eben der Schinken, der Geräucherte.... Autor: Franz Pfaller ist 71 Jahre alt. 35 Jahre lang war er er Postbote in Aschau im Chiemgau. Aber erst einmal die Tracht. Er geht nach oben und holt sie, die Tracht. Er braucht sie, schließlich ist er hier ein Original, ein bayerisches. Take 15 Pfaller Das ist der Ranzen. Also Ranzen müssen wir erklären. Das ist eine Geldkatze, hat man früher dazu gesagt. Und diese Geldkatze hat man früher, weil es am Körper war, hat man das Geld drin gehabt. Und das ist heute ein Schmuckstück und ist sehr teuer. Das ist die lange Hose, das muss auch gestickt sein, da gehört natürlich das Messer dazu...Das ist das Laibl, das muss so mit Silberknöpfen sein. Laibl? Laibl, eine Weste. Und da ist dann die Uhr drin oder hat man die Kette dran. Und das ist natürlich der Hut und das ist der Hut und das sind die Hirschrosen, die wo geschnitzt sind. Die sind gleich, die sind alle geschnitzt. So eine Art Abzeichen kann man sagen? Nein, das ist Schmuck, Leder und das ist die hintere Seite. Auch wieder Gemsen. Und das ist dann Jacke, wo alles original sein muss und das ist dann die Tracht. Und der Hut, das ist eine Feder. Da kostet die Feder schon 3/400 Euro circa und der Hut kostet auch... Was macht die Feder so teuer? Ja, weil das sind bei uns geschützt, die dürfen gar nicht mehr geschossen werden. Das sind alte Federn noch, die vielleicht schon 50 Jahre alt sind. Und die gehen nicht nach oben, wenn man sie pflegt. Also nichts mit Waschmaschine oder so? Um Gottes Willen. Und das ist der Gamsbart. Und der kostet ungefähr so um die 3500. Es sieht aus, darf man das sagen, wie ein Staubwedel. Ja, wie ein Rasierpinsel. Autor: Ein Hut gehört noch dazu. Mit der Tracht ist er auf Reisen. Italien, Frankreich, Schweiz. Take 16 Pfaller Menschen, die ein kleines Hirn, tragen oft sehr teueren Zwirn. Das ist auch Wahrheit. Autor: Franz Pfaller war schon überall mit seiner Tracht. Nicht, um aufzufallen, sagt Franz Pfaller. Er braucht sie einfach, er will zeigen, wo er herkommt. Atmo Löffelschlagen Autor: Die Löffel, endlich. Franz Pfaller holt einen Beutel, aus dem er ein gutes Dutzend Löffel hervorholt. Manche sind schon mit einander verbunden. Man muss sie beim Schlagen nicht zusammenpressen. Deshalb werden sie Faulenzer-Löffel genannt. Take 19 Pfaller Einen bestimmten Ton haben die alle. Autor: Andere Löffel sind lose. Löffelschlagen geht mit Faulenzer-Löffeln, mit Eisenlöffeln. Aber auch mit den Holzlöffeln, die Franz Pfaller auf dem Tisch ausgebreitet hat. Musik 04: Titel: Summer of Love Interpret und Komponist: Stefan Dettl Label: RCA Records Label, LC-Nr. 00316 Autor: Eines wollte Franz Pfaller unbedingt noch loswerden: Take 21 Pfaller Die ganze Sprache hat einen harmonischen Hintergrund...Nur ein Beispiel: Wenn einer sagt „Guten Tag“, das klingt doch ganz anders, wie wenn ich sag „Grüß Gott“. Da ist der Ton schon drin. Sprecher 01: Ja, recht hat er. Bayerisch ist harmonisch. Autor: Gesprochen ja. Von Leuten, die es können. Aber hast du schon mal das hier gelesen? Hier: Sprecher 01: Wia'r i bin auf' d Alma aufe ganga, hamms ma woin mei Bibi-Hendal fanga. Was ist das denn? Autor: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob du das alles richtig ausgesprochen hast. Ich bin mir eher sicher, dass du genau das nicht hast. Sprecher 01: Ach, bayerisch. So schön ist das nun auch wieder nicht. Sprecher 02: Ach, bloß weil Ihr Hobby-Komiker keine Ahnung habt. Es ist doch ganz einfach: Wia'r i bin auf' d Alma aufe ganga, hamms ma woin mei Bibi-Hendal fanga. Klar? Sprecher 1 und Autor: Jaja. Klar. Autor: Das ist übrigens ein Lied zum Jodeln. Sprecher 2: Ich hab noch was von Georg Simmel. Autor: Du willst doch nur von deinem, hm, Bayerisch ablenken. Sprecher 2: Hört mir vielleicht mal jemand zu? Autor: Selbstverständlich. Sprecher 2: „Lässt sich constatieren“ - fragt also Georg Simmel - „dass das Jodeln auch reiner, unbeabsichtigter Reflexlaut der Stimmung ist, d.h., gibt es Stimmungen, in denen der Bergbewohner ohne Rücksicht auf das Gehörtwerden, ja auch das Sichselbsthören, den äusseren Ausgleich derselben im Jodeln in ähnlicher Weise sucht, wie man ihn im Schmerz, im Schreien und Seufzen sucht?“ Sprecher 1: stößt einen missverständlichen Jodler aus. Sprecher 2: (ganz unbeeindruckt und seriös weiter) „Was sind das für Stimmungen? Etwa u.a. die der geschlechtlichen Erregung?“ Soweit Georg Simmel. Sprecher 1: räuspert sich verlegen, dann: Guck mal hier steht: Holla rä i di. Hulio – dudl o u ru di ri. Atmo Abschiedsjodler Autor: Der Jodelkurs. Die Jungs sind satt. Take 22 Jodelkurs Ich bin der Markus, ich komme aus Pfaffenhofen und ein alter Spetzl vom Bräutigam. Ich bin der Andi, komme auch aus Pfaffenhofen und habe die große Ehre, der Trauzeuge vom Michel zum sein, der heit das Jodeln lerne derf. Die Idee hat mer miteinander. Irgendetwas Sportliches sollte es sein und viellleicht auch etwas Musikalisches, weil er ja auch musikalisch aktiv ist. Dadurch hat sich das als gute Mischung, Bergsteigen, Jodeln, bissl bewegen, ganz gut ergeben. Mir haben diesen bayerischen Aspekt mit einfließen lassen und Musikalität, Heimatverbundenheit, das ist halt das, was unserem Bräutigam auszeichnet, deswegen haben wir gesagt, des taugt der, wie man in Bayern sagt, sowas können wir machen. In Bayern ist ja eher der Trend, was man im Lifestyle so mitkriegt, sind die Jugendlichen schon sehr heimatverbunden. So wie wir Michel kennen, oder der ganze Freundeskreis war schon immer sehr heimatverbunden, sehr bayerisch, er zieht zusammen mit der zukünftigen Frau in ein Haus, das nicht in einer Großstadt ist, sondern auch irgendwo in der Pampa. Was ist denn heimatverbunden eigentlich? Für mich die Identifikation mit der Kultur, mit der Geschichte, mit der Musik, generell mit der Kulturverbundenheit. Wir sind eigentlich alle irgendwie im Freundeskreis ziemlich an einem großen, kulturellen Aspekt irgendwo, den wir mit einfließen lassen. Das heißt, ein König-Ludwig-Bild übern Bett hängen und jeden Tag jodeln oder was? Na, so krass nett, aber jeden Tag ein Weißbier vielleicht, na Schmarrn. Net, das der König-Ludwig über den Bett hängt... Sondern Strauß, oder wer? Eigentlich hängt keiner übern Bett. Ich glaube, die Heimatverbundenheit läuft so nebenher. Der Reggae, die jamaikanische Musik ist ziemlich verbreitet, aber nebenher kommt dann, wenn ein Weißwurstfrühstück ist, dann wird das auch traditionell durchgezogen. Auch, wenn man sagt, man zieht sich in der Freizeit vielleicht nicht jeden Tag mit Lederhosen und Gamshut, laft net jeden Tag mit Lederhoden, ähm Lederhosen und Gamshut rum, aber wenn eine Weißwurst und ein Weißbier gibt, dann weiß man schon, wo das herkommt und wie man es isst. Autor: Die Jungs wollen los, jodeln lernen. Draußen, auf dem Berg. Sie scheinen Spaß zu haben. Atmo Abschiedsjodler Autor: Horst Biewald ist ihr Jodellehrer. Aber eigentlich dreht sich heute alles um ihn, den Michel aus Pfaffenhofen. Der Michel will die Susi heiraten. Seit zehn Jahren sind sie schon zusammen. Er will sie heiraten, richtig groß soll die Feier werden und die Reise danach. Das soll nichts sein, wo man sonst mit dem Campingbus hinfährt. Die Malediven sollen es sein im Mai. Er will nur ein einziges Mal heiraten, deshalb soll es so ganz groß werden – für ihn und für die Susi. Susi ist heute nicht dabei, denn das ist sein Tag. Am Morgen wusste er das noch nicht. Take 23 Dazu gekommen ist das so, dass ich heute früh aufgestanden bin und gedacht habe, ich hab einen ganz gemütlichen Tag. Und irgendwann sind ein Haufen Leit dahergekommen und haben gesagt, kommts mit, wir gehen jetzt zum Cafe, das ist so eine Wirtschaft in Pfaffenhofen. Ich sag, super, freue mich schon voll drauf und auf einmal bin ich ausgestiegen an einer Haltestelle in Bernau, genau, bin ich ausgestiegen, in einem Bus eingestiegen und schon waren wir da. Und dann hats geheißen, ich derf jetzte jodeln lernen. Das hat mich wahnsinnig gefreit, weil ich wollte schon immer mal jodeln können. Autor: Mit einem Dutzend junger Männer ist er unterwegs – der Abschied vom Junggesellendasein soll ein Grund zum Feiern sein, sagen sie hier. Sie sagen das, genauso wie sie sagen, dass ihr Reiseproviant schon verbraucht ist – zwei Kästen Bier. Es geht nach oben. Von 1500 Meter Höhe an noch ein paar Meter weiter. Es liegt noch Schnee. Wer Turnschuhe trägt, tut besonders mutig. Das funktioniert ein paar Minuten lang. Horst Biewald packt seine Gitarre aus. Was für ein Bild: Ein Dutzend junger Männer steht im Halbkreis auf einer Lichtung auf einem Berg. Werden sie wirklich jodeln? Atmo: Jodelkurs draußen Autor: Aufstellen. Atmen. Entspannen. Take 24 Jodeln draußen Das Jodeln ist ja im Alpenraum als Verständigungsruf Ausdruck von Schönheit der Natur. Und Ausdruck von Liebe zur Natur, Kraft und Potenz. Um schöne Töne von uns zu lassen, ist es ja wichtig, beim Jodeln genauso wie beim Singen, dass man gerade dastehen kann. Und um einmal die Haltung und die Entspannung in der geraden Haltung ein bisschen zu fördern, machen wir ein paar Übungen. Autor: Man könnte die Berge sehen, so unendlich hoch. Die Kampenwand in den Chiemgauer Alpen. Man könnte weit über den Chiemsee schauen. Aussichten - nach oben, nach vorn. Hoch und fern. Die Sonne könnte man auch genießen. Wenn man wüsste, ob sie überhaupt noch da ist hinter dieser geschlossenen Wolkendecke, die jeden Blick in irgendeine Ferne verhindert. Aber es gibt die Fotos in den Prospekten. So könnte es hier aussehen: Panoramablick auf Berge, Seen. Unendliche Landschaft in unendlicher Sonne. Farben, Blüten. Es könnte so sein. Es wird hier wohl so sein. Heute ist es nicht so. Regie: (folgender Take kann auch im Hintergrund weiterlaufen) Take 25a Jodeln draußen Jetzt stellt euch vor, Ihr steht jetzt da wie eine Bergtanne, die Wind und Wetter trotzt. Und jetzt nehmen wir mal unsere Hände Rücken an Rücken, bewegen Sie über den Kopf, atmen ein dabei und mit einer runden Bewegung atmen wir aus. Und wenn wir das zweite Mal machen, stellen wir uns vor, wir öffnen einen großen Brautstrauß. Da sieht man an eueren Gesichter: alle strahlen. Wir atmen ein und wieder aus. Und noch ein letztes Mal. Nehmen wir die Hände vor die Brust, Daumen und Zeigefinger zusammen. Atmen ein und mit einem zischenden S-Laut atmen wir aus, das ist gekoppelt mit der Bewegung. Und wenn wir ganz draußen sind, lassen wir auch noch die Restluft raus. Autor: Ein Berg wird gebraucht – zum anjodeln. Die Kampenwand, die heute Unsichtbare. Horst Biewald hält seine Jodelschüler bei Laune. Take 26a Jodelkurs draußen Da ungefähr steht die Kampenwand oder was würdest du sagen? Könnt ihr euch das vorstellen, da steht ein Riesenberg eigentlich. Man sieht ihn bloß so schlecht irgendwie. Den wollen wir jetzt mal begrüßen mit unseren Gipfeljodler: Juliodirih. Und nochmal: Sehr schön. Beim Jodeln, die Kraft muss aus dem Bauch kommen. Der ganze Körper funktioniert ja wie ein Dudelsack. Das heißt, wir müssen schauen, dass wir mit dem Bauch atmen. Den ganzen unteren Bereich anspannen. Die Bauchdecke bewegt sich vor und zurück, kann man die Hände darauf legen, dass man das besser spürt. Und dadurch, dass der Druck kommt aus dem warm pack, kommt der Ton auch besser raus und wir können ihn länger halten. Probiert das mal...Ein bisschen Spannung geben auf den Bauch. Take 26b Probieren wir jetzt mal den Jodler, den einfachen Jodler vom Alperer. Der Alperer ist ein Berggeist. Das Ganze spielt sich ab in F-Dur. Ich glaube, das passt ganz gut. Und die Jodelsilben sind Jö die ei hoh. Und der Text geht: Jö, die ei ho, Alperer, Alperer, de di ei ho. Alperer, Alperer, ho. Take 27 Jetzt könnten wir was machen, was etwas Leben reinbringt, dass uns a bissl warm wird. Autor: Weiter nach oben? Oder wieder zurück, fragt Horst Biewald später. Die Frage erscheint waghalsig. Es ist kalt. Und dann die Turnschuhe. Vielleicht ahnte er die Antwort schon: Wieder zurück. Sprecher 01: jodelt schräg Autor: Ich weiß nicht, was du da tust. Aber kann man das nicht irgendwie leiser tun? Sprecher 01: Ich trainiere. Sprecher 02: Ich hätte dazu was zu sagen. Sprecher 01: Der schon wieder. Sprecher 02: „Das Protoplasma des Jodelns ist der Affekt: wenn gejodelt wird, so steht der Jodelnde unter dem Affekt, möglichst laut rufen oder schreien zu wollen, wobei sich die Stimme überschlägt.“ Hat Georg Simmel geschrieben. Sprecher 01: Oh, danke, dass du das erwähnt hast, du bist toll. Ich hab ja gleich gewusst, dass du was ganz Wichtiges zu sagen hast. Autor: Er sprach vom Jodeln, nicht von akustischen Unfällen. Die Leute denken doch, ich habe dir was angetan. Sprecher 01: Naja. Würde ja auch stimmen. Sprecher 02: Können wir jetzt mal weitermachen? Autor: Ja. Also das Chiemgau klingt - Sprecher 01: kurzer Jodler Autor: Klappe. Autor: Immer wieder Jodeln und Musik. Tradition. Und vielleicht doch auch Moderne? Florian Kreier muss nicht lange nachdenken: Musik 05: Angela Aux: “You is a tree” - s. Musik 02 Take 29 Florian Kreier Die Musik spielt im Chiemgau in der traditionellen Richtung eine ziemlich große Rolle. Und auch allgemein beschäftigen sich viele Leute mit Musik, was auch daran liegt, dass es eine ziemlich wohlhabende Gegend ist. Es ist einer der reichsten Landkreise Deutschlands. Das bedeutet so strukturell ist die Gegend furchtbar gut aufgestellt. Es gibt viele Musikschulen, es gibt Jugendtreffs, die auch oft Probenräume haben. Es fehlt den allermeisten Familien nicht, dass sie eine Gitarre kaufen oder Gitarrenunterricht geben oder Klavierunterricht usw. usf. Autor: Vielleicht ist es der See, vielleicht sind es die Berge. Beides läuft immer Gefahr, verkitscht zu werden – in der Tourismuswerbung, in Fernsehserien und in der volkstümelnden Musik. Verkitscht von Touristen, mittelmäßigen Drehbuchautoren, einfältigen Redakteuren und scheinheiligen Sängern – das alles gibt es natürlich auch in der weiblichen Form. Doch die Landschaft ist da – und die Auseinandersetzung mit ihr. Berge lassen sich nicht ignorieren. Sie haben Einfluss. Florian Kreier: Take 30 Kreier Traditionen spielen für viele Menschen im Chiemgau eine große Rolle, das ist aber auch Teil der Kultur. Das ist auch Teil von dem ganzen Lebenskonzept. Natürlich, die trennen sich auf eine gewisse Art und Weise von der Menschheit, würde ich sagen. Aber das ist vielleicht ein bisschen extrem. Das ist so ein gewisses Leben: Die Tradition verplant ihren Terminkalender, weil eben die ganze Zeit bestimmte Feste sind und bestimmte Sachen, die man so macht. Aber ich glaube, da unterscheidet sich die bayerische Tradition nicht so von Techno und deren Tradition. Oder der Punkkultur und -tradition. Die haben auch so bestimmte Feiertage, mein Gott, die gehen halt auch Samstag und Sonntag saufen oder feiern oder machen sonst irgendwas, fahren dann auf irgendwelche Raves oder was weiß ich, Chaostage oder so was. Ich habe mich nur darüber gewundert, wie können Leute solche Klamotten anziehen, wie können Leute Spaß daran haben, genau das selbe zu machen, was schon seit 200 Jahren gemacht wird und wo ist der Wert dabei. Mittlerweile sehe ich das anders. Ich glaube, es ist wichtig, dass sich bestimmte Leute dafür interessieren und die das ganze auch schützen wollen, genau wie ja die Punkkultur ständig geschützt werden muss vor irgendwelchen Einflüssen aus dem Pop oder sowas. Ich würde die bayerischen Traditionen nicht schützen können, ich habe das Maß an Verbindung gar nicht. Ich würde glaube ich, versuchen, anders zu interpretieren oder weiter zu entwickeln und damit den Kern auch zu verschieben. Autor: Florian Kreier stammt aus dem Chiemgau. Und er macht Musik. Take 31 Kreier In meiner Musik findet sich das Chiemgau also bezüglich der traditionellen bayerischen Musik insofern wieder, als mir vor allem der traditionelle Gesang gefällt. Es gibt sowas wie das Gstanzl-Singen, was im Endeffekt etwas vom Freestyle und HipHop hat. Es gibt immer so einfache Wendungen, vor allem rhythmisch, das ist immer so 4/4 Takt und dann versucht man, irgendwelche lustigen Geschichten zu erzählen in jeweils vier Strophen. Freestylen hat nicht nur vier Strophen und wird nicht nur mit Volksmusikinstrumenten gemacht, aber es hat genau dieselbe Action, hat einfach einen Beat. Sowas hat mich immer fasziniert und auch mehrstimmiger Gesang hat mich unglaublich fasziniert. Und so eine gewisse Klangfarbe, so eine fröhliche Melancholie, die sich in ganz vielen Melodien, Melodiewendungen findet. Atmo Musik, Kreier „Mountainesly“ - kurz freistehend, dann im Hintergrund Take 32 Kreier Interessanterweise sind das Wendungen, die sich auch in afrikanischer Musik finden oder in südamerikanischer Musik. Ich habe da ein bisschen den Verdacht, dass es so bestimmte Ur-Gefühle gibt, die dann in Töne übersetzt werden. Und dann kommen so ähnliche Sachen und ähnliche Tonkombinationen heraus. Zum Beispiel auf meiner neuen Platte der Song, der heißt Mountainesly. Das ist eigentlich ein Folksong, ich glaube, das würde jeder sogleich als Folksong bezeichnen mit englischem Text. Da sind aber so ein paar Melodiewendungen drin, die könnten eins zu eins auch in so einem bayerischen Jodler drin sein oder in so einem dreistimmigen bayerischen Gesang, vor allem das Ende, wenn ich da so runter sing....Ich könnte mir das gut vorstellen, es passt irgendwie zu Natur und zu Bergen und deswegen habe ich es auch Mountainesly genannt. Atmo Musik, Kreier „Mountainesly“ - kurz freistehend, dann weg Autor: Florian Kreier, der sich Flo nennt, veröffentlicht seine Musik unter dem Namen Angela Aux. Und schreibt unter dem Namen Heiner Hendrix. Einordnen mag er seine Musik nicht. Musik 06: Titel: Cheesy Weather Interpret und Komponist: Angela Aux Label: Red Can Records, LC-Nr.: 09441 Autor: Florian Kreier, alias Angela Aux, hat sich mit dem Chiemgau auseinandergesetzt, mit der Musik, mit den Traditionen, die lähmend sein können. Die aber auch das sind, was heute allerorts authentisch genannt wird. Take 33 Kreier Es hat etwas unglaublich tiefes, der Gesang so. Man darf da nicht an Musikantenstadl und so 'nen Scheißdreck denken. Man muss da schon mal auf so einem richtigen Alm-Abtrieb oder so was sein. So im Morgengrauen, da stehen drei bayerische Männer oder auch Frauen und dann singen die gemeinsam. Und das hat so eine unglaubliche Kraft und auch Tiefe. Ich glaube, ganz viele Leute, die sich das gar nicht vorstellen können, die würden einfach nur umfallen, weil es so eine Größe hat und so eine wahnsinnige Schönheit. Und gleichzeitig so eine Demut. Es überhöht sich selbst nicht so sehr und es geht nicht darum, welchen Trachtenjanker die anhaben, sondern es geht darum, dass die sich so in das Bild einfügen, dass sich auf Augenhöhe stellen mit allem, was sie umgibt. Das ist eine superinteressante Sache, vor der ich auch einen Riesen-Respekt habe. Atmo Volksharfe Autor: Derweil sitzt Sebbi Pfliegl vor seiner Harfe. Atmo Volksharfe 3'15 Take 34 Lausbuam Also, das ist eine Volksharfe mit sieben Pedale. Das ist so üblich. Also die ist chromatisch. Man hat nur wenige Halbtöne nicht drauf. Die hat 43 Seiten von Es-Contra bis zum hohen Es. Sie ist 1,70 m groß und 70 cm weit. Und man kann damit alles machen, also jede Musikrichtung. Aber ich konzentriere mich im Wesentlichen auf die Volksmusik, die wo bei uns gespielt wird. Autor: Bernau am Chiemsee. Seppi spielt Harfe. Seppi ist 17, trägt einen Trachtenhut, den er auch im Wohnzimmer nicht ablegt. Er ist einer des Trios „Bernauer Lausbuam“. Also, so ähnlich. Schwierig wird es auch mit anderen Begriffen. Musi – das ist Musik. Eine Ziach dagegen ist weniger eine Ziege, sondern eine Ziehharmonika. Geschulte Ohren erkennen das natürlich ganz leicht. Take 35 Also, ich bin der Sebastian Weingartner, bin 15 Jahre alt, wohne da in Bernau. Meine Hobbys sind Fußball spielen, Musi spielen, Trachtenverein und Sport halt, ja. Ich bin der Weingartner, Franzi. Ich bin 16 Jahre alt. Meine Hobbys sind: Ich spiel Ziach, also Harmonika. Ich spuil Fußball, aber ich tue auch noch andere Sportarten, z.B. Skifahren und so in meiner Freizeit. Ja, und ich bin auch im Trachtenverein. Autor: Die drei Jungs haben sich nebeneinander auf die Ofenbank gesetzt, ihre Instrumente vor sich aufgebaut. Genau gegenüber, auf zwei Stühlen, sitzen die Eltern Weingartner und verfolgen, wie ihre Söhne ihre Instrumente beschreiben. Die Jungs musizieren, die Eltern schauen ihnen bewegungslos dabei zu. Atmo Lausbuam Take 36 Lausbuam Das ist ein Tenorhorn, das hat halt vier Ventile. Da muss man reinblasen, dann hat jeder Ton seinen Griff und dann muss man auch mit dem Mund ein bisschen hin- und hermachen. Da kann man nicht viel dazu sagen. Atmo Lausbuam Take 37 Lausbuam Das ist die diatonische Harmonika. Es gibt viele für die. In Österreich sagen sie Zuggeln, wir sagen Ziach. Das ist ein Ausdruck für das Instrument. Man hat da eine Melodieseite und eine Begleitseite. Mit der rechten Hand spielt man da die Melodie, man hat da einen Balg in der Mitte, da muss man ziehen. Und wenn man ziecht, dann entstehen da die Töne. Und mit der rechten Hand spielt man da die Melodie und mit der linken Hand die Begleitung. Atmo: Holzrichterpolka kurz freistehend, dann im Hintergrund Autor: Die Bernauer Lausbuam spielen, die Eltern freuen sich. Und Angelika Weingartner, die Mutter überlegt, was sie gemacht hätte, wenn ihre Söhne nicht Tenorhorn oder Harmonika spielen würden, sondern vielleicht E-Gitarre: Take 38 Weingartner Das kann ich jetzt nicht so sagen, aber ich hätte es schon probiert, das ein bisschen umzulenken. Man weiß ja nicht, was denen noch alles einfällt. Ich hab das immer schon gespürt, wenn die einfach unter Druck standen haben, unter Stress, da ist diese Musik, find jetzt i, einfach schon sehr beruhigend und einfach sehr ausgleichend. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass man mit Popmusik, dass man da runterkommt. Bin vielleicht auch nicht der Typ dazu. Atmo: Holzrichterpolka, kurz freistehend und weg Take 39 Lausbuam Ich könnte auch Klassik spielen, aber das kann ich nicht, das hab ich nicht gelernt. Für die Harfen ist das gar nichts anderes, aber ich kann das halt nicht, weil die Melodie, da wird sich genau an die Noten gehalten. Musst du das nicht machen? Nein, in der Volksmusik da darf man alles machen, da ist fast alles erlaubt. Hauptsache, es ist Volksmusik. Da derf man halt das Stückl, das interpretiert man halt selber. Also Hauptsache, die Harfe steht richtig rum, was dann gemacht wird, ist egal. Na, so ist das auch wieder nicht. Wir haben halt keine Noten und wir spielen das nach Gehör und so, wie wir uns das so ungefähr denken. Also, wir bleiben schon noch auf der richtigen...Wir spielen es halt so halbwegs, wie wir uns das denken. Dass man halt das Stückl schon noch als das Stückl erkennt. Autor: Die Jungs legen ihre Instrumente zur Seite. Sebbi erzählt noch, dass er beim Musizieren immer sparsam guckt. Take 40 Lausbuam Ich schau z.B. ziemlich sparsam, grimmig könnte man es fast nennen. Und andere schauen freundlich, aber das kann man bei Musispielen fast nicht verstellen. Autor: Einen Moment lang sieht es so aus, als will Franzi noch etwas sagen. Aber dann redet doch Sebbi: Take 41 Lausbuam Franz, sags, sonst sags i. Volksmusik for ever, hat er gesagt. Meine Meinung ist, dass man das erhalten muss. Die Alten, was weiß ich, vor hundert, zweihundert Jahr, da war die Blütezeit, da haben die das praktisch so ungefähr erfunden oder das war schon früher, das weiß ich jetzt nicht so genau. Aber die haben sich da eine Riesenmühe gegeben. Und wenn jetzt so irgendeiner hergeht und macht da einen Jazz dazu, nachher sagt er, das ist Volksmusik, da ist das ein Frevel. Das ist mei Meinung. Das g'hert sich net. Wenn man Volksmusik spielt, dann g'scheit. Musik 07: Titel: Traumweg Interpret: LaBrassBanda   Komponist: Stefan Dettl Label: Edel, LC-Nr. 01666    Autor: So, genug gelernt? Sprecher 01: Jede Menge. Jodeln befreit. Es befreit meine Stimme, meine Lunge, meinen Geist. Ich will jodeln. Ich muss jodeln. Ich glaube, es geht nämlich: Mit Jodeln die Welt retten. Kommt her, Freunde, erhebt Euere Stimmen. Lass uns Jodeln. Jodeln für die Welt, jodeln für den Frieden, Jodeln für die Lie..... Autor: Ja, und jodeln gegen den Weltuntergang. Geht es eine Nummer kleiner? Sprecher 01 He, jodeln ist ohne Worte. Du musst größer denken. Viel größer. Gut, du musst überhaupt erst einmal denken. Es geht doch darum: Jodeln als Freiheit. Als Befreiung von Grenzen, Jodeln, um über sich hinauszuwachsen. Jodeln gegen die Diktatur der Sprache. Jodeln gegen Floskeln. Jodeln gegen das Elend der Welt. Autor: Und jodeln gegen Bielefeld. Sprecher 01: Ach. Jodeln hebt doch jede Grenze auf. Jeder muss sich entscheiden, ob er etwas Gutes tun will. Jodeln oder...ähm Autor: oder was? Sprecher 01: Jodeln oder gejodelt werden. Autor: Aua. Sprecher 01: Du gibst hier mal wieder den Erhabenen. Hab doch mal Phantasie. Du musst die Welt neu entdecken. Leben ist jodeln. Alle Welt ist Jodeln. Also, mehr oder weniger. Der Berge Majestates, des Wassers Rauschen, des Windes liebliches Pusten – sind all das nicht die Jodler der Natur? Jodeln erzeugt Nähe als Schutz vor dem Bösen. Und Jodeln gibt ein Gefühl von Unendlichkeit. Ja, guckt nicht so belämmert. Jeder sollte Jodelkönig werden. Du und du. Und ich bin Jodelpapst I. Autor: Ach, du hast jetzt ernsthaft jodeln gelernt? Sprecher 01: Ach, ich brauch da nicht soviel zu lernen. Ich bin einfach ein Naturtalent. Spar dir aber dein Lob. Jedes andere Genie kann das genauso wie ich. Autor: Dann lass hören. Sprecher 01: jodelt erbärmlich Autor: Was war das? Sprecher 01: Avantgarde. Freestyle-Jodeling. So ländlich-großstädtig. The best of both worlds. Ja, ich weiß, da kann Bayreuth jetzt dichtmachen. Ich brauche eine riesige Jodelarena. Lass das Publikum rein und dann... Autor: Und dann tut sich die Erde auf und die Berge fallen ins Nichts. Sprecher 01: Ich habe doch schon immer gesagt, dass ich Großes bewirken kann. Aber Du und dein Pessimismus. Man muss mal das Undenkbare denken. Träume bewahren. Sich dem Leben stellen. Die Welt verbessern! Autor: Durch jodeln? Sprecher 01: Etwas versuchen. Mut haben. Vertrauen. Sich etwas trauen. Etwas eingehen. Mut haben. Ach, das habe ich schon gesagt. Autor: Jodelnd geht die Welt zugrunde. Sprecher 01: Dann macht wenigstens der Weltuntergang noch Spaß. Wer jodelt, lässt etwas aus sich raus. Ganz einfach. Autor: Und das soll irgendwie gut sein? Regie: Sprecher 2 fällt Autor ins Wort Sprecher 02: Sagt mal, Jungs, meint Ihr das eigentlich ernst? Regie: Autor und Sprecher 1 antworten gleichzeitig Autor: Ja. Sprecher 1: Nein. Sprecher 2: (hörbares Schulterzucken) Aha. Regie: Mini-Pause Sprecher 2: Ich habe noch etwas von Georg Simmel: "Lässt sich überhaupt constatiren, dass das Jodeln, ähnlich manchem Schnadahüpfeln, eine Verständigung zwischen Bursche und Dirne ist, wenn auch nicht mit directen Zwecken, wie der Paarungsruf der Thiere, so doch ein Zeichen gegenseitiger Neigung oder Einverständnisses? Oder dient es auch nur von einer Seite ähnlichen Zwecken? Wie wichtige Factoren bei der Ausübung des Jodelns bilden die Gewohnheit, die Lust an der Sache und der Ehrgeiz (auch vor dem anderen Geschlecht), vollkommener als die Anderen zu jodeln?" Autor: Hm. Und was ist aus diesem Fragenkatalog geworden? Sprecher 02: Georg Simmel hat eine Dissertation geschrieben. Autor: Da gab es ja bestimmt nichts, wo er abschreiben konnte. Eine Dissertation, die kein Plagiat war. Was es alles mal gegeben hat. Hat er dennoch einen Doktortitel erhalten? Sprecher 02: Da musste er noch eine Doktorarbeit schreiben. Diese Jodel-Dissertation haben die Gutachter abgelehnt. Autor: Ach. Sprecher 01: Jodeln entzieht sich eben der Wissenschaft. Es ist etwas eigenes: Hör mal hin: Sprecher 01: versucht noch einmal zaghaft zu jodeln Sprecher 2: Übrigens: Du kannst gar nicht jodeln. Sprecher 1: Ich habe es wenigstens versucht. Sprecher 02: Schnadahüpfel. Autor: Ich frag lieber nicht, was das sein soll. Sprecher 01: Offenbar bin ich hier der einzige, der jodelt. Ihr probiert es natürlich nicht einmal. Naja, Preiss'n. Autor: (lustlos) Holla rä i di Sprecher 02 (lustlos) Dudl ru di ri Sprecher 01: Und jetzt zusammen: Autor und Sprecher 02 (lustlos): Jola ri di ri. Sprecher 01: (überdreht) Das ist doch phänomenal. Klar, so gut wie ich könnt ihr das natürlich nicht. Aber so als Background-Jodel-Chor, habt ihr eine große Zukunft. Man dürfte euch dabei natürlich nicht sehen. Und besser auch nicht hören. Aber so als Jodel-Pantomimen.... Autor und Sprecher 02: Du dödl du. Autor: Das ist doch ein schöner Satz zum Abschied. Atmo: Löffel schlagen oder Alperer Biewald 42 Gejodelt wird auf der ganzen Welt. Da hat man das Klischee mit Lederhosen und dass man nur auf dem Berg jodelt. Aber es kommt ja gesangstechnisch, man kann sagen, es kommt vom Esel, der macht auch sowas wie einen Kehlkopfschlag. Take 45 Pfaller 'luja, 'lujah, haben wir gesungen, sie haben uns unsere Weiber genommen. 'luja, 'lujah, singen wir nicht mehr, sie könnten sie uns ja wieder bringen. Kennmusik: Sp. v.D. Du dödl di Jodeln im Chiemgau Eine Deutschlandrundfahrt von Thomas Klug Es sprachen: Tim Lang, Joachim Schönfeld und der Autor Ton: Inge Görgner Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2013 Manuskript und Online-Version der Sendung finden Sie im Internet unter dradio.de 1 1