Deutschlandradio Kultur Länderreport Alles nur Fassade? 400 Jahre Bremer Rathausfassade - und die Geschichte der Hansestadt Autorin Selzer, Christina Redaktion Stucke, Julius Sendung 12.04.2012 - 13 Uhr 07 In diesem Jahr wird die Fassade des Bremer Rathauses 400 Jahre alt. Das Haus selbst, im gotischen Stil erbaut, stand bereits 200 Jahre, als die Renaissance-Fassade hinzukam. Bremen war inzwischen eine wichtige und selbstbewusste Handelsstadt und wollte das auch zeigen. Und so erzählen die Reliefs der reichverzierten Fassade mit ihren vielen Figuren etliche Geschichten - und auch die Geschichte der Hansestadt. Darstellungen der Sternzeichen finden sich ebenso, wie Gestalten der antiken Mythologie. Die Tugenden kommen ebenso vor wie erotische Darstellungen... M A N U S K R I P T B E I T R A G Mit seinen elf Arkadenbögen zieht das Bremer Rathaus die Blicke auf sich. Die Fassade ist über diesen Arkaden üppig mit Figuren und Reliefs, Körpern und Köpfen, Fabeltieren und Engeln verziert. Zwischen den Fenstern unter Baldachinen stehen acht Figuren - der Kaiser und sieben Kurfürsten. An der Westfassade sind Platon und Aristoteles zu erkennen. Petrus, Moses und Salomo schauen nach Osten. Mehr als einhundert Allegorien und Bilder sind zu entschlüsseln. Das Rathaus an der oberen Seite des Marktplatzes zählt zu den bedeutendsten Bauwerken sowohl der Gotik als auch der Renaissance. Zwei Epochen sind hier an ein und demselben Bauwerk zu besichtigen. Der Marktplatz ist Besuchermagnet, Treffpunkt für Reisegruppen und beliebtes Fotomotiv. Eva Rogge, seit vielen Jahren Stadtführerin: Also die Fassade ist schon...die Gesamtheit des Marktplatzes beeindruckt schon jeden, weil es ja kaum noch so geschlossene Marktplätze gibt in dieser Form. Vor allen Dingen mit diesem enormen historischen Bestand, der noch da ist Die Schauseite zum Marktplatz hin ist dem Entschluss des Bremer Rates zu verdanken, dem nüchtern gotischen Rathaus eine prächtige Fassade zu geben. Der gotische Bau von 1410 genügte dem Repräsentationsbedürfnis des Rates nicht mehr und entsprach auch nicht mehr dem Zeitgeschmack. Zur Zeit der Renaissance zog man prachtvolle Bauten und aufwändig geschmückte Fassaden vor. Also beauftragte der Rat den Stadtbaumeister Lüder von Bentheim damit, eine neue Fassade vor das alte Rathaus zu setzen. 1612 war sie fertig. Eva Rogge begrüßt eine kleine zusammengewürfelte Gruppe, die an der Touristeninfo wartet. Drei Ehepaare, drei junge Frauen. Ist jemand außer unseren Gästen aus Wuppertal auch noch zum ersten Mal hier? Sie auch? Na, das wurde aber Zeit! Eva Rogge holt etwas aus, sie erzählt von der Gründung der Stadt Bremen. Schließlich kommt sie auf das Rathaus zu sprechen. Die Besucher blinzeln in die Sonne, versuchen einzelne Szenen zu erkennen. Sehr schön, so alte Sachen gibt es bei uns in Karlsruhe nicht, Karlsruhe ist eine sehr junge Stadt und wir haben solche Gebäude nicht. Uns hat halt mal interessiert, in den Norden zu gehen. Mal schauen, wie es hier aussieht. Es gibt aber sehr schöne Gebäude hier, das muss man schon sagen. Ich finde es sehr gut und sehr schön, wenn man überlegt, zu was für einer Zeit es gebaut wurde. Da hat man keine Technik gehabt und keine Betonmischer und alles das und kein PC. Die ganzen Figuren alle - ich bewundere es sehr. Mit fehlen die Worte irgendwie. Ohne Erklärung lassen sich die Bilder nur schwer entschlüsseln. Eva Rogge waltet ihre Amtes, erläutert die Reliefs. Sie zeigt auf die Halbkreisbögen: Gut erkennbar ist dort die lange Reihe der Allegorien. Frauen stellen Tugenden dar: Großmut, Mäßigung, Fleiß, Keuschheit, Tapferkeit. Oder die Freigiebigkeit: Eine Gestalt verteilt Münzen aus einem Sack. Eine andere liegt in Ketten, ein Lamm und ein Kreuz sind ihr beigelegt: Die Geduld. Im Gegensatz dazu stehen die freizügigen Szenen der griechischen Mythologie. Fabelwesen aber auch christliche Darstellungen: Die vier Evangelisten. Und: Tugend und Laster im Kampf miteinander. Das ist das Thema der Szenen über den mittleren Arkaden. Da triumphiert zum Beispiel die Mäßigkeit über die Gier, die Wahrheit über die Lüge. Konrad Elmshäuser, der Leiter des Bremer Staatsarchivs hat sich eingehend mit Bremens Geschichte und dem Rathaus befasst. Das Gesamtprogramm der Fassade sollte vor allem eines: den Betrachter beeindrucken. Also, einmal durch die schiere Pracht und den Umfang, da hat man ja nicht nur irgendwie hier eine Putte und da ein Figürchen drangesetzt, sondern das ist ein Fassaden- Programm, ja, dass das ganze Haus auch umschließt. Und dass den Charakter, den Aussage-Charakter des Hauses grundlegend geändert hat. Das mittelalterliche Rathaus, also vor dieser Fassade, war ein Pallace, also ein Wehrbau, das hatte Zinnen, das hatte Türme, das war ein ganz wehrhafter Trutzbau im Stile der Spätgotik. Und diese Renaissancefassade ist prächtiger, ist verspielter und ist vor allen Dingen gelehrter. Das klassische humanistische Bildungsprogramm sollte deutlich machen, wie gebildet der Rat war. In seiner Dichte es Ausdruck einer ersten Bildungsrevolution. Noch im Mittelalter durften nur die vermögenden Bürger und Geistliche auch Ratsherren werden. In der Renaissance änderte sich das. Nun waren studierte Juristen und Theologen im Rat zu finden. In der Renaissancefassade sind noch viele mittelalterliche Elemente zu sehen. Das hat einen Grund: Bremen war eine wichtige Handelsstadt und wollte endlich freie Reichsstadt werden, um unabhängig von Adel und Kirche zu sein. Dieses Privileg konnte aber nur der Kaiser der Stadt verleihen. Den Bremern war es daher wichtig, sein Vertrauen zu gewinnen und ihm zu schmeicheln. Deshalb beließ man in der neuen Fassade die Skulpturen des alten Rathauses, die das Kaisertum und die Kurfürsten repräsentieren, erläutert Bremens Denkmalpfleger Georg Skalecki: Es war zum einen der Anspruch auf die Reichsfreiheit, der symbolisiert wird durch die Figuren: der Kaiser und die Kurfürsten, die in einer Reihe stehen - sozusagen mit dem Hinweis: Seht, wir gehören in diese Reihe der großen Kurfürsten und sind nur dem Kaiser untertan. Sonst niemandem. Also: diese politische Aussage. Das mittelalterliche Rathaus stand im Zeichen der Kurfürsten. Die neue Renaissance- Fassade ist dagegen geradezu überhängt mit allegorischen Anspielungen. Sie zeugen von der Stärke der Regierung, die sich nach der Reformation ganz anders versteht als im Mittelalter. Konrad Elmshäuser, der Leiter des Staatsarchivs. Kluge Männer regieren weise eine bedeutende und wohlhabende Stadt. Das ist die Aussage. Zusammen mit dem Roland, der mehr als fünf Meter hohen Ritterfigur direkt nebenan wurde das Rathaus im Jahr 2004 von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt. Die Unesco würdigt damit das Ensemble als ein einzigartiges Zeugnis für die Entwicklung von bürgerlicher Autonomie und Marktrechten, die sich im Laufe von Jahrhunderten in Europa entwickelten. Hervorgehoben wird von der Unesco, dass es den unterschiedlichen Baumeistern gelungen ist, die Authentizität des Bauwerkes zu erhalten, obwohl es restauriert und ein Teil angebaut wurde. Der Denkmalpfleger Georg Skalecki war an dem mehrjährigen Bewerbungsverfahren beteiligt. Es ist in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen worden, weil das Rathaus insgesamt in seiner Bedeutung vom Gründungsbau 1405 über die Veränderung in der Renaissancezeit, also das, was wir jetzt gerade begehen, also von 1612 der Umbau der Fassade, aber auch durch die Erweiterung, durch den Bau von Gabriel von Seidel, ein sehr herausragender Vertreter dieser wichtigen Bauaufgabe Rathaus ist. Die europäischen Stadtrepubliken, oder die europäische Gesellschaft schlechthin, die Stadtgesellschaft, braucht ja einen Verwaltungsbau und es gibt einen typologischen Vertreter, den so genannten Saalgeschossbau, und den vertritt das Bremer Rathaus besonders anschaulich und vor allen Dingen sehr authentisch. Der gotische Saalgeschossbau entstand aus antiken Vorbildern und frühmittelalterlichen Königshallen heraus und wurde in Italien im 12. Jahrhundert schließlich der Bautyp für die selbstverwalteten Städte. Von dort gelangte er schließlich auch in den Norden. Von dem Prädikat "Weltkulturerbe" profitiert der Tourismus. So sieht es Bremens Tourismuschef Peter Siemering. Das Rathaus ist eine der wichtigsten Attraktionen der Stadt. Ja, es ist also ja eine Welterbestätte und damit etwas Besonders. Davon gibt es in Deutschland nur 35. Und auf der Welt kennt man solche wie das Taj Mahal und den Kölner Dom und einige mehr und da reihen wir uns ein. Das ist schon etwas ganz Besonderes, obwohl das Rathaus und der Roland - die müssen erst einmal entdeckt werden. Aber der Effekt ist der, dass die Menschen sagen: Hätte ich das doch bloß eher gewusst, wie schön das hier ist. Der Städtetourismus ist eine boomende Branche, aber auch ein harter Wettbewerb, wie Peter Siemering zugibt. Nicht immer sei es leicht, sich gegen Städte wie Hamburg oder Köln zu behaupten. Daher halten es Marketingexperten auch für wichtig, Anlässe zu suchen, wie zum Beispiel auch die 400-Jahrfeier der Fassade in diesem Jahr. Wir erinnern daran, dass diese Fassade eben auch wegen der Weser-Renaissance eine besondere Bedeutung hat. Und wir haben natürlich eins im Sinn dabei: Wir wollen bei der Gelegenheit allen Bremerinnen und Bremern noch mehr Details und Wissen über die Fassade vermitteln. Denn mehr als 40 Prozent aller Besucher in Bremen, werden aufgrund der Empfehlungen ausgesprochen. Das ist "Empfehlungs-Marketing". Wir glauben und wir sind sehr sicher, dass die Bremerinnen und Bremer sich das gerne anhören, das Wissen abspeichern und das dann auch weitergeben. Bremer könnten zum Beispiel einen Rundgang bei dem Veranstalter "Stattreisen" buchen. Stattreisen, geschrieben wird das nicht wie die Stadt, sondern mit zwei t: Gemeint ist: Statt in die Fremde zu reisen, bleibt man zuhause und erkundet seine eigene Stadt ganz neu. Das Rathaus gehört eher zum konventionellen Programm, ist aber unverzichtbar, vor allem im Jubiläumsjahr, erklärt Andreas Calic von Stattreisen. Stadtführungen sind natürlich mehr als eine bloße Aneinanderreihung von Zahlen Daten und Fakten. Die gehören dazu, aber man muss sie in einen gewissen erzählerischen Kontext stellen. Eine Legende wird oft erzählt: Die von der Stadtgründung Bremens. Über dem zweiten Bogen in der Fassade erkennt man eine Glucke mit ihren Küken. Der Volksmund erzählt sich, dass arme Fischer, die die Weser entlang schipperten, von ihren Booten aus die Henne auf einer Sanddüne entdeckten. Dort, wo eine Henne mit ihren Kleinen sitzt, da muss wohl ein geschützter Ort sein, dachten sich die Fischer und beschlossen, sich hier niederzulassen. Hübsch erzählt, sagt Andreas Calic, aber erfunden. Es ist eine Tugenddarstellung wie eben alle anderen Figuren hier auch. Es geht um die Darstellung sozusagen: So wie die Henne sich um ihr Küken kümmern soll, so sind die Oberen der Stadt aufgerufen, sich um die Bürger der Stadt zu kümmern, genau und wenn man sich die Frauenfigur anschaut, die diese Figur hält, entdeckt man, dass sie überraschenderweise einen Waffenrock trägt, also soldatische Kleidung. Das heiß im Zweifelsfall wird eben dieses Sich Kümmern um die Bewohner der Stadt eben halt auch mit soldatischer Unterstützung ausgetragen. Die Reliefs stellen die Tugenden dar. Gerechtigkeit, Treue, Hoffnung, Liebe, Weisheit, Mäßigung. Damit wollten die Ratsherren zeigen, dass sie ihre Entscheidungen auf einem soliden Fundament von Werten trafen. In der Mitte der Fassade: Die vier Evangelisten und: die vier Elemente. Die Luft ist zum Beispiel ein junger Mann mit wehendem Haar, er hat eine Taube in der Hand. Die Erde ist eine junge Frau. Überhaupt tummeln sich an der Rathausfassade viele junge leicht gekleidete Frauen, die die Tugenden verkörpern und auch ihr Gegenteil. Die lockige Sanftmut streichelt ein Lamm und sitzt dabei gelassen auf einer wilden Wut, dargestellt mit einer Löwenmähne. Die barbusige Geduld hat ein Kreuz im Arm. Die Enthaltsamkeit wendet dem Betrachter den nackten Po zu hält einen Schlüssel in der Hand. Auf dem Fries über den Arkaden werden die Reliefs noch freizügiger. (Calic) Es gibt allerdings auch richtige ... ja, Sexszenen, wenn man so möchte, akrobatische Kuss-Darstellungen zum Beispiel und auch andere sehr intime Umarmungen. Die haben wir weiter drüben auf der Seite. Aber Vorsicht: Immer auf die Straßenbahnen achten, die regelmäßig sehr nah am Rathaus vorbeifahren. (Calic) Immer gucken, ob eine Straßenbahn kommt, klar. Einmal links und einmal rechts. Das sind hier zum Beispiel also Nixendarstellungen oder Anspielungen auf griechische Gottheiten, oder dergleichen. Das muss man nicht immer direkt zuordnen. Was gemeint ist hier, sind verschiedene Tätigkeiten im Rahmen des Jahres, was stattfindet. Es gibt in diesem Fries in dieser Kette, die hier oben langgeht, dementsprechend verschiedene Darstellungen übers Jahr verteilt. Die Ernte wird zum Beispiel dargestellt, wann geerntet wird, wann gesät wird. Aber es gibt auch eine Zeit für die Liebe. So ist das gemeint, auch das gehört quasi kalendarisch in die Tätigkeiten des Menschen. Das ist Auf diese Art und Weise dementsprechend sinnbildlich umgesetzt. Auch daran wird deutlich: Die selbstbewussten Ratsherren wollten zeigen, dass sie umfassend gebildet waren. Dass sie sich mit dem Christentum ebenso auskennen wie mit antiker Mythologie, mit Werten und Wissenschaft. Nur einen Steinwurf vom Rathaus entfernt, steht der Roland, er ist so etwas wie das Wahrzeichen Bremens. So groß ist dieser Roland gar nicht - etwas höher als 5 Meter. Aber die Ritterfigur steht auf einem kleinen Podest und wird von einem Baldachin gekrönt: zusammen sind das stattliche 10 Meter 21. Gerüstet ist der aus Liedern und Epen bekannte Heerführer mit einem Kettenhemd, Brustpanzer und Beinschienen, die am Knie zu spitzen Stacheln werden. Das Gesicht ist eher weich, nicht das eines harten Kämpfers, und von Locken umrahmt. Er ist ein freier Mann. Sein Schwert hat er senkrecht erhoben, keineswegs drohend, eher wie ein Standessymbol. Fast die gesamte Brust ist bedeckt vom dominanten Schild mit dem Doppeladlerwappen des Reiches. Auch über den Roland wird eine Legende erzählt. Der Blick des Rolands Richtung Dom soll eine gegen den erzbischöflichen Stadtherrn gerichtete Machtgeste sein. Für Historiker ist das Humbug. Denn Roland und Rathaus gehörten 1404 zu ein und demselben Bauprogramm, der Bischof gab sogar Geld dazu. Dies hätte er wohl nicht getan, wenn der Roland als Trutzfigur gegen ihn selbst gerichtet wäre. Konrad Elmshäuser vom Staatsarchiv, weist auf ein wichtiges Detail hin: Es wird immer noch gern kolportiert, der guckt auf den Dom, als Gegenpart zur Kirche. Und wenn Sie sich mal hinstellen und gucken: Wo guckt der hin? Der guckt haarscharf am Dom vorbei. Und jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Erste Möglichkeit ist, der Roland schielt, ja - und deswegen steht er so oder es stimmt nicht. Tatsächlich guckt der Roland nämlich zum wichtigsten Stadttor, dem Ostertor. Er begrüßt alle Handeltreibenden, die von dort zum Marktplatz kommen. Das macht er wehrhaft mit Schild und Spruch. Und nicht gegen den Erzbischof. Das ist unausrottbar, (lacht). Der Roland steht also auf dem Markt als Repräsentant des Kaisers, er verkündet und garantiert die Marktrechte und Freiheiten, die der Stadt verliehen worden waren - angeblich, sagt Andreas Calic. "Freiheit, die ich Euch offenbar, die Karl der Große und mancher Fürst fürwahr dieser Stadt gegeben hat." So heißt es ja dementsprechend hier auf dem Schild. Also auch da wird darauf angespielt, auf die Freie Reichstadt, die Bremen durch den Kaiser Karl den Großen bekommen hat. Was nicht stimmt. Karl der Große hat Bremen nie zur Freien Reichsstadt erhoben. Zu Zeiten Karls des Großen gab es gar keine Stadt, die man Bremen hätte nennen können, denn Bremen war hier eine Ansammlung von winzigen Hüttchen im 9. Jahrhundert, wenn man so möchte. Also richtig viele Einwohner gab es hier noch nicht. Bremen hat sich den begehrten Status der Freien Reichsstadt also erschummelt. Er bedeutete viele Privilegien. Vor allem in der Gesetzgebung war man autonom. Erst viel später, im 17. Jahrhundert bekam Bremen von Ferdinand dem Dritten das sogenannte Linzer Diplom, worin er den Status bestätigte. Auch die heutige Bezeichnung Bremens als Freie Hansestadt spielt darauf an. (Calic) Dieses Linzer Diplom hat viel Geld gekostet. Also der Ferdinand der Dritte, der damalige Kaiser, war hochverschuldet aufgrund eben auch des 30jährigen Krieges. Er ist immer schwer, so Beträge in der Geschichte umzurechnen, aber es dürften mehrere Millionen Euro an Kaufkraft wert gewesen sein, wenn man das umrechnet auf die heutigen Tage, was damals die Bremer Kaufleute für diese Urkunde, die ihnen so wichtig war, hingelegt haben. Kein Wunder, dass das Land Bremen diesen besonderen Status "Freie Hansestadt" bewahren will. In Bremen erzählt man sich. Die Stadt Bremen bleibt so lange frei und selbstständig, wie der Roland steht und über die Stadt wacht. Es geht die Legende, dass deswegen eine zweite Rolandstatue als schnell verfügbarer Ersatz in den Kellergewölben des Rathauses versteckt sei. Als sicher darf wohl gelten: Es gäbe kein Bundesland Bremen, wenn die Stadt damals nicht alles in Bewegung gesetzt hätte, um selbständig zu werden. Das hätte der heutige Regierungschef Bremens sicherlich bedauert. Immerhin dient das Rathaus auch heute noch als Regierungssitz des Bundeslandes. Und möglicherweise hat Bürgermeister Jens Böhrnsen von der SPD einen der schönsten und gediegensten Arbeitsplätze, die sich ein Ministerpräsident wünschen kann. Er regiert in einem Denkmal, das sogar Weltkulturerbe ist, und täglich spürt er den Resonanzboden der Geschichte. Mir ist schon sehr bewusst, wenn ich morgens hier ins Rathaus komme, dass das ein sehr, sehr besonderer Arbeitsplatz ist. Und wenn man mal an den Aufgeregtheiten des Alltags ein bisschen zu verzweifeln droht, dann ist es einfach schön, auch mal in die obere Halle zu gehen. Wenn man in einem Gebäude arbeitet, das 600 Jahre alt ist, dann weiß man: auch meine Vor-Vor-Vor- Vorgänger, unsere Vorahnen, haben auch das ein oder andere Problem gehabt. Und wenn man das dann einordnet in einen langen geschichtlichen Kontext, dann werden auch die Dinge des Tages sehr viel besser zu bewältigen sein. Das Rathaus, sagt Böhrnsen, erzählt Geschichten über Bremen. An einigen Stellen finden sich Ermahnungen an die Regierenden. Mir gefällt ganz besonders gut, dass über einer Tür in der Oberen Rathaus-Halle angebracht sind 12 Regeln, an die die Stadt regieren aus dem 15. Jahrhundert. Und da liest man Dinge, da ist man erstaunt, dass man die damals schon gedacht hat, lange vor der Aufklärung und vor der französischen Revolution. Behandele arm und reich immer gleich. Oder wenn wir in der Oberen Rathaushalle das salomonische Urteil sehen, dieses große Gemälde. Das ist immer eine Aufforderung gewesen an den Rat der Stadt, der ja nicht nur Stadtregierung sondern auch Gericht war, gerecht zu sein, gerecht zu urteilen. Diese Mahnungen gefallen mir besonders gut. Wir sollten häufiger da hinschauen, denn das hat uns heute noch viel zu sagen. Das Rathaus wird, gemäß den strengen Auflagen der Unesco, gehegt und gepflegt. Doch es ist ein lebendiges Denkmal, und genau deshalb gefällt es Konrad Elmshäuser vom Staatsarchiv so gut. Das ist kein Museum. Also: In dem Haus findet noch genau das statt, wofür das vor 600 Jahren gebaut wurde. Da sitzt jemand drin, der regiert die Stadt. Und der wird gewählt. Also der ist nicht Geblütsadel, das ist kein Dynast, sondern das ist ein von den Bürgern gewählter Regierungschef auf Zeit. Den Bezug zur Gegenwart kann man noch weiterspinnen: als große Mahnung. Schließlich dominiert in den Allegorien Mäßigung über Gier, besiegt die Vernunft die Ungerechtigkeit und Wahrheit triumphiert über die Lüge. Nicht nur Bremer wünschen, dass das nicht alles nur Fassade ist. -E N D E- 1